Entscheidungsdatum
05.10.2021Norm
ÄrzteG 1998 §117b Abs1 Z19Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich erkennt durch seinen Richter Dr. Marvin Novak, LL.M., als Einzelrichter über die Beschwerde von Herrn A, aktuell vertreten durch Rechtsanwalt B, ***, ***, gegen den Bescheid der Österreichischen Ärztekammer vom 10. Juni 2020, Zl. ***, zu Recht:
1. Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.
2. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision nicht zulässig.
Rechtsgrundlagen:
ad 1.: § 28 Abs. 1 und 2 des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes (VwGVG)
ad 2.: § 25a des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG)
Art. 133 Abs. 4 des Bundes-Verfassungsgesetzes (B-VG)
Entscheidungsgründe:
1. Maßgeblicher Verfahrensgang und Sachverhalt:
1.1. Der nunmehrige Beschwerdeführer, Herr A, beantragte mit Schreiben vom 19. November 2019, eingebracht im Wege der Ärztekammer Niederösterreich, die Anrechnung von Ausbildungszeiten auf die Ausbildung im Hauptfach Unfallchirurgie.
1.2. Mit Bescheid der Österreichischen Ärztekammer vom 10. Juni 2020 wurde dieser Antrag abgewiesen. Begründend wurde im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
Der Beschwerdeführer sei in den Zeiträumen 1. Jänner 2015 bis 31. Dezember 2015, 1. Mai 2016 bis 31. Mai 2016 und 1. September 2016 bis 30. September 2016 auf einer Ausbildungsstelle im Fach Unfallchirurgie in der Ausbildung zum Arzt für Allgemeinmedizin gemäß ÄAO 2006 im LK ***, Abteilung Unfallchirurgie, gemeldet gewesen. Eine Meldung auf einer Hauptfachstelle im entsprechenden Sonderfach sei nicht erfolgt. Der Beschwerdeführer sei bereits seit 1. Jänner 2014 Arzt für Allgemeinmedizin und es sei die Meldung auf einer Stelle für Allgemeinmedizin deshalb erfolgt, weil in den angeführten Zeiträumen keine Ausbildungsstelle im Hauptfach Unfallchirurgie frei gewesen sei.
Der Antrag des Beschwerdeführers ziele auf die Anrechnung von Zeiten auf die Ausbildung im Hauptfach Unfallchirurgie, die nicht auf einer entsprechenden Ausbildungsstelle absolviert worden seien, ab. Die Anrechnung solcher Ausbildungszeiten hätte vor dem Hintergrund der ärztegesetzlichen Vorgaben eine gesetzlich nicht vorgesehene Vermehrung von Ausbildungsstellen zur Folge, was nicht der Wahrung der Ausbildungsqualität entspreche. Diese Auffassung sei durch den Verwaltungsgerichtshof bestätigt worden (VwGH 25.5.2012, 2010/11/0004). Es könne daher keine Anrechnung im Hauptfach Unfallchirurgie erfolgen, auch wenn nicht abzusprechen sei, dass der Beschwerdeführer eine gleichwertige Tätigkeit ausgeübt habe.
1.3. Der Beschwerdeführer erhob dagegen fristgerecht eine rechtsanwaltliche Beschwerde, in der er die Durchführung einer Verhandlung beantragte und im Wesentlichen ausführte, dass er bereits vor den beantragten Zeiträumen auf einer Hauptfachstelle im Fall Unfallchirurgie in Ausbildung gewesen sei. Über die Ab- bzw. Ummeldungen sei er nicht in Kenntnis gewesen und es könne dies nicht zu seinen Lasten ausgelegt werden. Unstrittig sei die Gleichwertigkeit der Tätigkeit und es sei durchaus Intention des Gesetzgebers alternative Ausbildungsstätten unter gewissen Voraussetzungen anzuerkennen. Dass keine Ausbildungsstellen im Hauptfach Unfallchirurgie zur Verfügung gestanden seien, könne nicht zu Lasten des Beschwerdeführers gehen, zumal es im Ermessen der Behörde gelegen sei, weitere Ausbildungsstellen zu schaffen.
1.4. Die Beschwerde samt Verwaltungsakt wurde in Folge an das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich zur Entscheidung übermittelt.
1.5. Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich führte am 14. Juli 2021 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher der Beschwerdeführer mit seinem Rechtsanwalt sowie ein Vertreter der belangten Behörde teilnahmen. In der Verhandlung wurde insbesondere auch die Frage der Zuständigkeit des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich bzw. des Bundesverwaltungsgerichtes thematisiert.
1.6. Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich teilte dem Beschwerdeführer und der belangten Behörde mit Schreiben vom 10. September 2021 Folgendes mit:
„Mit 1. September 2020 wurden Verwaltungsangelegenheiten gemäß § 14 ÄrzteG 1998 der Österreichischen Ärztekammer im übertragenen Wirkungsbereich zugewiesen (§ 117c Abs. 1 Z 6 ÄrzteG 1998). § 117c Abs. 1 Z 6 ÄrzteG 1998 trat mit Ablauf des 30. Juni 2021 außer Kraft. Mit der Änderung des ÄrzteG 1998 durch BGBl. I Nr. 172/2021 wurden Verwaltungsangelegenheiten gemäß § 14 ÄrzteG 1998 wieder (rückwirkend) dem übertragenen Wirkungsbereich zugewiesen und es wurde in § 117c Abs. 1a ÄrzteG 1998 die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes festgeschrieben (s. auch AA-150 27. GP, S 12: ‚Klarstellung‘).
Es wird vor diesem Hintergrund davon ausgegangen, dass sich seit Erlassung des angefochtenen Bescheides der Vollzugsbereich geändert hat und dass dies vom Landesverwaltungsgericht Niederösterreich entsprechend aufzugreifen ist (vgl. etwa VwSlg. 15.133 A/1999, 17.931 A/2010).“
1.7. Der Beschwerdeführer gab dazu mit Schreiben vom 27. September 2021 im Wesentlichen an, dass zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheids und zum Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung § 117c Abs. 1a ÄrzteG 1998 noch nicht in Kraft gewesen sei. Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich sei zuständig.
1.8. Seitens der belangten Behörde wurde mit Schreiben vom 27. September 2021 mitgeteilt, dass die Rechtsmeinung des Landesverwaltungsgerichtes grundsätzlich geteilt werde, wobei aber die abschließende Entscheidung beim Landesverwaltungsgericht liege.
2. Beweiswürdigung:
Der dargelegte maßgebliche Verfahrensgang und Sachverhalt gründet sich auf die vorliegende unbedenkliche Aktenlage.
3. Maßgebliche Rechtslage:
3.1. § 117b Abs. 1 Z 19 des Bundesgesetzes über die Ausübung des ärztlichen Berufes und die Standesvertretung der Ärzte (Ärztegesetz 1998 – ÄrzteG 1998), BGBl. I Nr. 169/1998 idF BGBl. I Nr. 9/2016, lautete:
„Eigener Wirkungsbereich
§ 117b. (1) Die Österreichische Ärztekammer ist berufen, im eigenen Wirkungsbereich insbesondere folgende Aufgaben wahrzunehmen:
[…]
19. Durchführung von Verfahren zur Prüfung der Gleichwertigkeit der ärztlichen Qualifikation,“
3.2. § 117b Abs. 1 Z 19 ÄrzteG 1998 wurde mit BGBl. I Nr. 86/2020 mit 1. September 2020 aufgehoben und es wurde dafür § 117c Abs. 1 Z 6 des ÄrzteG 1998 wie folgt geändert, wobei diese Bestimmung mit Ablauf des 30. Juni 2021 wieder außer Kraft trat:
„Übertragener Wirkungsbereich
§ 117c. (1) Die Österreichische Ärztekammer hat im übertragenen Wirkungsbereich folgende Aufgaben wahrzunehmen:
[…]
6. Führung der Ärzteliste sowie Durchführung sämtlicher mit der Ärzteliste und der Berufsberechtigung im Zusammenhang stehender Verfahren einschließlich Besorgung diesbezüglicher Verwaltungsangelegenheiten gemäß den §§ 4 bis 5a, 14 [Anmerkung: „Anrechnung von Zeiten ärztlicher Aus- oder Weiterbildung und ärztlicher Tätigkeiten“], 15, 27 bis 30, 34 bis 37, 47, 52c, 59, 62 und 63,“
3.3. Mit BGBl. I Nr. 172/2021 wurden Verwaltungsangelegenheiten gemäß § 14 ÄrzteG 1998 wieder rückwirkend ab 1. Juli 2021 dem übertragenen Wirkungsbereich zugewiesen, sodass § 117c Abs. 1 Z 6 des ÄrzteG 1998 aktuell lautet:
„Übertragener Wirkungsbereich
§ 117c. (1) Die Österreichische Ärztekammer hat im übertragenen Wirkungsbereich folgende Aufgaben wahrzunehmen:
[…]
6. Führung der Ärzteliste sowie Durchführung sämtlicher mit der Ärzteliste und der Berufsberechtigung im Zusammenhang stehender Verfahren einschließlich Besorgung diesbezüglicher Verwaltungsangelegenheiten gemäß den §§ 4 bis 5a, 14 [Anmerkung: „Anrechnung von Zeiten ärztlicher Aus- oder Weiterbildung und ärztlicher Tätigkeiten“], 15, 27 bis 30, 34 bis 37, 39 Abs. 2, 47, 52c, 59, 62 und 63,“
3.4. § 117c Abs. 1a des ÄrzteG 1998 idgF BGBl. I Nr. 172/2021 lautet aktuell:
„Übertragener Wirkungsbereich
§ 117c. (1) Die Österreichische Ärztekammer hat im übertragenen Wirkungsbereich folgende Aufgaben wahrzunehmen:
[…]
(1a) Über Beschwerden gegen Bescheide in den Verfahren gemäß Abs. 1 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht.“
4. Erwägungen des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich:
4.1. Zur Aufhebung des angefochtenen Bescheids:
Wie sich aus der wiedergegebenen maßgeblichen Rechtslage ergibt, wurden mit § 117c Abs. 1 Z 6 ÄrzteG 1998 Verwaltungsangelegenheiten gemäß § 14 ÄrzteG 1998 mit 1. September 2020 der Österreichischen Ärztekammer im übertragenen Wirkungsbereich zugewiesen. § 117c Abs. 1 Z 6 ÄrzteG 1998 trat mit Ablauf des 30. Juni 2021 außer Kraft. Mit der Änderung des ÄrzteG 1998 durch BGBl. I Nr. 172/2021 wurden Verwaltungsangelegenheiten gemäß § 14 ÄrzteG 1998 wieder rückwirkend dem übertragenen Wirkungsbereich zugewiesen und es wurde in § 117c Abs. 1a ÄrzteG 1998 die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes festgeschrieben.
Hintergrund der mit BGBl. I Nr. 86/2020 erfolgten Verschiebung von Angelegenheiten betreffend Anrechnung von Zeiten ärztlicher Aus- oder Weiterbildung vom eigenen zum übertragenen Wirkungsbereich der Österreichischen Ärztekammer war die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes zum System der mittelbaren Bundesverwaltung gemäß Art. 102 B-VG (s. IA 706/A, 27. GP, S 3 ff.; VfSlg. 20.323/2019). Auch die Novelle BGBl. I Nr. 172/2021 wurde maßbeglich mit der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes begründet (AA-150, 27. GP, S 6 ff.; VfSlg. 20.375/2020 und VfGH 12.6.2020, G 252/2019 ua). Zur mit § 117c Abs. 1a des ÄrzteG 1998 erfolgten Normierung der Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes wurde ausgeführt, die Regelung diene „der Klarstellung, dass die verfahrensrechtliche Zuständigkeit über Beschwerden gegen Bescheide des Österreichischen Ärztekammer in sämtlichen Verfahren im übertragenen Wirkungsbereich beim Bundesverwaltungsgericht[…] liegt“ (AA-150, 27. GP, S 12).
Es ist vor diesem Hintergrund davon auszugehen, dass sich seit Erlassung des angefochtenen Bescheides betreffend die Beurteilung der Anrechnung von Ausbildungszeiten der Vollzugsbereich geändert hat (vom eigenen zum übertragenen Wirkungsbereich).
Eine andere Sichtweise scheidet schon aus verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten aus.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist nach Änderung der Rechtslage hinsichtlich des Vollzugsbereiches der bekämpfte Bescheid ersatzlos aufzuheben (dies ungeachtet dessen, dass für beide Vollzugsbereiche dieselbe erstinstanzliche Behörde vorgesehen ist). Zuständig dafür ist aber noch die Rechtsmittelbehörde nach der alten Rechtslage (vgl. zu alledem etwa VwSlg. 15.133 A/1999, 17.931 A/2010).
Der Beschwerde ist daher Folge zu geben und es ist der angefochtene Bescheid vom Landesverwaltungsgericht Niederösterreich aufzuheben (vgl. zum amtswegigen Aufgreifen auch etwa VwGH 29.1.2020, Ra 2018/08/0234, Rz 21).
4.2. Zur Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Dieser Ausspruch ist kurz zu begründen.
Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist die Revision gegen ein Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Derartige Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind im vorliegenden Fall nicht hervorgekommen. Die Erwägungen des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich folgen der zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes.
Schlagworte
Freie Berufe; Ärzte; Ausbildungszeiten; Anrechnung; Vollzugsbereich; Zuständigkeit;European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGNI:2021:LVwG.AV.791.001.2020Zuletzt aktualisiert am
07.12.2021