Entscheidungsdatum
08.10.2021Norm
AsylG 2005 §10Spruch
L518 2231957-1/6E
Beschluss
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. STEININGER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , vertreten durch die Mutter XXXX , geb. XXXX alias XXXX , beide StA ungeklärt, vertreten durch WEH Rechtsanwalt GmbH, über den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.05.2020, Zl. XXXX , beschlossen:
A) Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang und Sachverhalt
Die minderjährige Beschwerdeführerin (in der Folge: BF) wurde am 28.10.2019 in Österreich geboren.
Am 06.11.2019 wurde durch den Vater XXXX (ausgewiesen durch Aufenthaltstitel Daueraufenthalt EU) die Geburt der BF nach § 17a AsylG angezeigt.
Der Anzeige wurden die Geburtsurkunde, ein Bericht über die Entbindung aus dem Mutter-Kind-Pass sowie eine aktuelle Meldebestätigung beigelegt. Die Anzeige war nur unvollständig ausgefüllt.
Am 11.11.2019 wurde ein Parteiengehör übermittelt, in dem die belangte Behörde (idF auch bB) darlegte, von welchem Sachverhalt sie ausgeht und wurde der Vertretung dazu die Möglichkeit der Stellungnahme eingeräumt. Eine Stellungnahme dazu langte binnen Frist nicht ein.
Am 21.01.2020 wurden die Mutter und der Vater der BF durch das Bundesamt im Beisein einer Dolmetscherin für die russische Sprache von einem Organwalter des Bundesamtes einvernommen. Es folgen die entscheidungsrelevanten Auszüge:
„…
F: Wie geht es Ihnen. Sind Sie psychisch und physisch in der Lage, Angaben zu machen?
P1: Ja, ich bin dazu in der Lage. Ich habe keine physischen oder psychischen Probleme.
P2: Ja, ich bin dazu in der Lage. Ich habe keine physischen oder psychischen Probleme.
F: Halten Sie Ihre bisher getätigten Angaben vor dem Bundesamt aufrecht?
P1: Ja, ich bleibe bei meinen Aussagen.
P2: Ja, ich bleibe bei meinen Aussagen.
F: Haben Sie für Ihre Tochter spezielle Asylgründe vorzutragen, oder sollen für Ihre Kinder die gleichen Asylgründe gelten, wie für Sie?
Anmerkung: Auf Nachfrage, wir die Frage nochmals kurz erläutert und verständlich gemacht.
P1: Das Kind hat keine eigenen Gründe. Mein Asylverfahren ist schon länger her, für das Kind gelten die Gründe meiner Partnerin
P2: Ich habe als gesetzliche Vertreterin, nämlich als Mutter für meine Tochter dieselben Gründe geltend gemacht wie für mich. Ich habe zu diesem Verfahren bereits alle Angaben in meinen Einvernahmen gemacht. Diesen Angaben habe ich nichts mehr hinzuzufügen. Für meineTochter habe ich keine eigenen Asylgründe vorzubringen. Für meine Kinder sollten die gleichen Gründe gelten wie für mich. Meine Angaben gelten auch für meine Kinder.
F: Haben Ihre Kinder gesundheitliche Probleme?
P1: Meine Tochter hat ein Herzproblem, dieses wurde bei der Geburt festgestellt. Momentan ist sie in Behandlung. Mein Sohn XXXX ist gesund.
P2: Das stimmt so, das wird derzeit untersucht, im Februar ist der nächste Termin. Ja, mein Sohn ist gesund.
F: Wann genau ist der Termin?
P1: 26. oder 28. Februar.
F: Können Sie das gesundheitliche Problem Ihrer Tochter durch entsprechend Unterlagen belegen?
P1: Wir haben die Unterlagen der Tochter nicht hier, aber ich kann Ihnen den aktuellen Befund schicken.
Aufforderung: Sie werden ersucht, binnen einer Woche hinsichtlich der gesundheitlichen Probleme Ihrer Tochter die entsprechenden Unterlagen vorzulegen. Haben Sie das verstanden?
P1: Ja, das mache ich.
F: Warum haben Sie auf das Parteiengehör zum Verfahren Ihrer Tochter nicht reagiert?
P1: Dass ich einen solchen Brief bekommen habe, kann ich mich nicht erinnern.
F: Die Staatsangehörigkeit welchen Staates haben Sie?
P1: Ich bin armenischer Staatsangehöriger.
P2: Hier keine, grundsätzlich habe ich die russische Staatsangehörigkeit.
F: Welche Staatsangehörigkeit hat das neugeborene Kind?
P1: Das Kind hat die armenische Staatsangehörigkeit.
P2: Wir sind uns einig, dass das Kind die armenische Staatsangehörigkeit hat.
Erklärung: Die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 22.03.2017 stellt unter anderem klar, dass nach Art 11 armenische Staatsbürgerschaftsgesetz, das Kind armenischer Staatsbürger ist, wenn ein Elternteil armenisch ist und die Eltern sich über die armenische Staatsbürgerschaft geeinigt haben. Sohin wird von der Behörde davon ausgegangen, dass das Kind armenischer Staatsangehörigkeit ist. Möchten Sie dazu etwas sagen?
P1: Nein.
P2: Nein.
Erklärung: Die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 17.07.2018 stellt klar, dass russische Staatsbürger bis zu 180 Tage im Jahr visafrei in Armenien sein können. Darüber hinaus, kann bei entsprechendem Verwandtschaftsverhältnis zu armenischen Staatsbürgern auch ein Aufenthaltstitel für Armenien erteilt werden. Möchten Sie dazu etwas sagen?
P1: Nein.
P2: Nein.
F: Unter diesen Vorzeichen stellt sich folgende Frage: Was steht einem gemeinsamen Leben in Armenien entgegen?
P2: Wir können dort nicht leben, weil wir dort niemanden kennen, keine Verwandten haben und auch kein armenisch können.
P1: Ich lebe schon seit 16 Jahren in Österreich. Das ist jetzt mein zu Hause. Ich spreche nicht einmal armenisch. Das würde nicht funktionieren.
F an P1: Seit wann sind sie in Österreich?
A: Wir sind 2005 nach Österreich gekommen.
F an P1: Wo waren Sie vorher?
A: In Armenien, wir sprechen aber nicht armenisch, sondern eine eigene Sprache, nämlich jezidisch.
F an P1: Sind Sie in Armenien zur Schule gegangen?
A: Nein, wir Jeziden sind ein unterdrücktes Volk, wir sind nicht mehr viele und sind überall verstreut. Wir lebten auf einem Bauernhof.
F an P1: Wer lebte sonst auf diesem Hof?
A: Meine Eltern und meine Geschwister, sonst kann ich mich nicht erinnern, wer noch aller dort war.
F an P1: Was ist jetzt mit diesem Hof?
A: Wir haben keinen Bezug mehr nach Armenien, nachdem der Hof dort aufgegeben wurde.
F: an P1: Gehörte der Hof Ihren Eltern?
A: Das weiß ich nicht.
F an P1: Wie viele Jeziden gibt es in Armenien?
A: Ich kann keine genaue Zahl nennen, aber es sind sehr viele.
F an P2: Sind Sie auch Jezidin?
A: Ja.
F an P2: Ihr Vorbringen war vornehmlich auf Russland bezogen, gibt es für das Kind irgendwelche auf Armenien bezogenen Probleme?
A: Wir haben dort nie gelebt, deswegen haben wir dort keinerlei Probleme.
F: Könnten Sie im Fall einer Rückkehr nach Armenien – sie beide sind Jeziden und innerhalb dieser Gruppe herrscht in der Regel guter Zusammenhalt – mit Unterstützung durch die jezidische Gemeinschaft rechnen.
P1: Das…ich verstehe das jetzt nicht ganz…das mir da jemand helfen würde…das glaube ich jetzt nicht.
P2: Nein, vor allem ist mir nicht klar, womit sie uns helfen sollten, weil sie ja oft selbst nichts haben und aus dem Land flüchten, weil es Ihnen dort so schlecht geht. Sie könnten uns weder bei einer Wohnung noch bei der Arbeitssuche helfen.
Anmerkung: Ihnen wird nun die Möglichkeit eingeräumt, in die vom Bundesamt (BFA) zur Beurteilung Ihres Falles herangezogenen allgemeinen Länderfeststellungen des BFA zu Armenien samt den darin enthaltenen Quellen Einsicht und gegebenenfalls schriftlich Stellung zu nehmen. Diese Quellen berufen sich vorwiegend unter anderem auf Berichte von EU-Behörden aber auch Behörden anderer Länder, aber auch Quellen aus Ihrer Heimat wie auch zahlreichen NGOs und auch Botschaftsberichten, die im Einzelnen auch eingesehen werden können.
Sie haben die Möglichkeit dazu im Rahmen des Parteiengehörs schriftlich Stellung zu nehmen. Mit Ihrer Unterschrift unter den Feststellungen bestätigen Sie, dass Ihnen die Feststellungen zur Einsichtnahme vorgelegt wurden. Es bedeutet nicht, dass Sie mit dem Inhalt einverstanden sind. Möchten Sie die Erkenntnisse des BFA Ihr Heimatland betreffend in Kopie mitnehmen und eine schriftliche Stellungnahme innerhalb einer Frist von einer Woche dazu abgeben?
A: Ich möchte das und bestätige hiermit die Übernahme der genannten Feststellungen und die mir eingeräumte Frist bis 28.01.2020.
Anmerkung: Dem AW werden die Feststellungen persönlich ausgehändigt.
Angaben zum Privat- und Familienleben:
F: Haben sich bezüglich Ihres Privat- und Familienleben in Österreich irgendwelche Änderungen ergeben?
P1: Nein.
P2: Nein.
F: Wie sieht der Alltag Ihrer Kinder derzeit in Österreich aus?
P1: Unser Sohn ist im Kindergarten angemeldet. Jetzt müsste es dann einen Platz geben. Unsere Tochter kann noch nicht viel machen. Es ist oft schwierig, weil unser Sohn keine Karte hat.
Erklärung: Dass der Sohn keine Karte hat, beruht auf dem Ausgang des Asylverfahrens Ihrer Lebensgefährtin und damit auch Ihres Sohnes in zwei Instanzen.
P2: Mein Sohn ist zurzeit zu Hause, aber er ist schon im Kindergarten angemeldet.
F: In welcher Sprache unterhalten Sie sich mit Ihrem Kind/den Kindern?
P1: Wir versuchen so gut wie möglich Deutsch mit unserem Sohn zu sprechen, wir haben auch nur deutsche Fernsehprogramme. Wir möchten uns integrieren.
P2: Auf Deutsch, das lernt er gerade und in der Muttersprache.
F: Was ist die Muttersprache, von der Sie sprechen?
P1: Jezidisch.
P2: Jezidisch.
F: Sie haben sich vorhin in einer Fremdsprache unterhalten. Welche Sprache war das?
P1: Das war auch jezidisch.
Vorhalt bei sicherem Herkunftsstaat:
Sie werden darüber informiert, dass mit 20.06.2018 die Herkunftsstaaten (Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Mongolei, Mazedonien, Montenegro, Serbien, Albanien, Ghana, Marokko, Algerien, Tunesien, Georgien, Armenien, Ukraine, Benin, Senegal und Sri Lanka) durch die zuletzt geänderte VO BGBl II, 130/2018 als sichere Herkunftsstaaten festgelegt wurden. Das bedeutet, dass in diesen Staaten in der Regel eine staatliche Verfolgung nicht stattfindet, Schutz vor privater Verfolgung und Rechtsschutz gegen erlittene Menschenrechtsverletzungen gewährt wird.
Dazu bestimmt § 18 BFA-VG dass einer allfälligen Beschwerde gegen einen abweisenden Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die aufschiebende Wirkung aberkennen kann, wenn der Asylwerber aus einem sicheren Herkunftsstaat stammt. Eine Rückkehrentscheidung wird dann unter Umständen sehr rasch durchsetzbar. Haben Sie dazu etwas vorzubringen oder Fragen?
P1: Ich kann mir mein Leben in Armenien nicht vorstellen. Ich finanziere das Leben der Frau und der Kinder.
P2: Ich kann mir nicht vorstellen, wie wir dort leben sollen. Wir haben dort absolut nichts. Mein Mann hat hier die Arbeit und den Lebensunterhalt. Ich habe auch Kurse besucht und versuche mein Möglichstes. Ich habe auch Pläne für dieses Land hier. Wir denken vor allem an unsere Kinder. Hier haben sie eine Zukunft, dort nicht, es gibt dort keine Zukunft und alle flüchten aus diesem Land.
Anmerkung: Es wird kurz erläutert, wie es zur vorliegenden Problemsituation kommt, wieso P2 aufgrund des Einreiseverbots grundsätzlich keinen Zugang zu Aufenthaltstiteln hat und dass der richtige Weg zur Lösung des Problems konkret die Ausreise wäre.
P1: Können Sie mir garantieren, dass meiner Frau in Russland nichts passiert?
LA: Es war nicht die Rede davon, dass Ihre Partnerin nach Russland müsste, sondern es ging um Armenien.
P1: Meine Partnerin ist eine eigenständige Person, die Russin ist, wieso wird sie mit Armenien in Verbindung gebracht?
LA: Weil sie wie bereits erläutert als Verwandte von Ihnen bzw Ihrer Kinder, die ja auch Armenier sind, ein Recht auf einen dortigen Aufenthalt hat.
Anmerkung: Die entsprechenden Erläuterungen werden der P2 auch übersetzt.
Erklärung: Da Ihnen die aufschiebende Wirkung aberkannt und daher keine Frist zur freiwilligen Ausreise eingeräumt wird, wird gegen Sie eine Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot für das Bundesgebiet der Republik Österreich geprüft.
F: Möchten Sie sich dazu äußern?
P1: Ich möchte mich nicht dazu äußern.
P2: Ich möchte mich nicht dazu äußern.
F: Welche Staatsangehörigkeit hat Ihr erstes Kind?
(beraten sich auf jezidisch)
P1: Das erste Kind ist russischer Staatsangehörigkeit.
F: Wieso hat dieses eine andere Staatsangehörigkeit als das zweite?
P1: Wir haben beim ersten Kind Russland angegeben.
F: Hat das Kind einen russischen Pass?
P1: Nein.
F: Das Kind wurde mit Ihrer Frau vormals als armenisch geführt, wieso sollte das Kind russisch sein?
P1: Weil damals meine Frau für sich und ihr Kind gesagt hat, dass sie Russen sind.
F: Welche Staatsbürgerschaft würden Sie nunmehr für das erste Kind wollen?
P1: Die russische.
P2: Die russische, weil die Kinder ja die Staatsbürgerschaft nach der Mutter haben.
F: Verfügen Sie über Barmittel oder Ersparnisse?
P1: Nein.
P2: Nein.
F: Wofür wird das ganze Geld verwendet?
P1: Ich habe drei Personen zu finanzieren.
F: Haben Sie Verwandte im europäischen Raum?
P1: Ich habe außerhalb Österreichs aktuell keinen Kontakt.
P2: Ich habe keine Verwandten in Europa.
F: Was würde einem gemeinsamen Aufenthalt in Russland entgegenstehen?
P1: Das würde nicht funktionieren, ich habe mein Leben hier aufgebaut und kann dort die Sprache nicht. Außerdem hat meine Frau dort eine Vergangenheit, über die sie ja im Asylverfahren gesprochen hat.
P2: Wir können dort nicht leben, aufgrund der Probleme mit meinen Eltern. Mein Vater würde mich umbringen, weil ich vor ihm weggelaufen bin.
F: Sind Sie mit eventuellen amtswegigen Erhebungen vor Ort unter Wahrung Ihrer Anonymität, eventuell unter Beiziehung der Österreichischen Botschaft und eines Vertrauensanwaltes einverstanden bzw. damit einverstanden, dass Ihre Daten an die Österreichische Botschaft/Vertrauensanwalt weitergegeben werden? Sie können Ihre Zustimmung danach jederzeit formlos und ohne Angabe von Gründen widerrufen.
P1: Ja, damit bin ich einverstanden.
P2: Ja, damit bin ich einverstanden.
F: Die Befragung wird hiermit beendet. Wollen Sie zu Ihrem Verfahren sonst noch etwas vorbringen, was Ihnen von Bedeutung erscheint?
P1: Nein, ich habe alles gesagt.
P2: Nein, ich habe alles gesagt.
F: Hatten Sie die Gelegenheit alles zu sagen, was Sie wollten?
P1: Ja, das hatte ich. Ich hatte die Gelegenheit alles vorzubringen, was mir wichtig war.
P2: Ja, das hatte ich. Ich hatte die Gelegenheit alles vorzubringen, was mir wichtig war.
…“
Am selben Tag der Einvernahme wurden seitens der Vertretung medizinische Unterlagen betreffend die BF übermittelt.
Mit 06.02.2020 gab die Rechtsanwaltskanzlei Dr. Kapferer/Dr. Dellasega ihre Bevollmächtigung auch für dieses Verfahren bekannt.
Am 07.02.2020 wurden der Vertretung Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation zum Ventrikelseptumdefekt einerseits sowie über die aktuelle medizinische Versorgungssituation bei Herz-Lungen-Krankheiten auch in Hinblick auf Kinder übermittelt und eine zweiwöchige Frist zur Stellungnahme eingeräumt.
Am 20.02.2020 langte eine Stellungnahme sowie ein Antrag um Fristerstreckung um 14 Tage zur Vorlage des aus der für 26.02.2020 angesetzten Untersuchung in der Universitätsklinik XXXX resultierenden Befundes ein.
Die Frist wurde daraufhin bis zum 06.03.2020 erstreckt.
Weitere medizinische Unterlagen wurden bis zum Tag der Entscheidung durch die bB jedoch nicht vorgelegt.
Am 30.03.2020 wurden für die Mutter und den Bruder der BF (allesamt vertreten durch die Weh Rechtsanwalts GmbH) Anträge auf Wiederaufnahme der Verfahren und Ausspruch der Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung sowie der Abschiebung sowie hinsichtlich der Mutter, des Bruders sowie der BF selbst auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG in eventu auf einen solchen nach § 57 AsylG gestellt. Über die Anträge auf Wiederaufnahme wird mit selben Tag diese Entscheidung durch das BVwG entschieden. Über die Anträge auf Erteilung von Aufenthaltstiteln wurde mit Bescheiden der bB vom 27.10.2020 entschieden, wobei die Mutter in diesem Bescheid mit StA. Russische Föderation geführt wird.
Im Aktenvermerk vom 04.05.2020 wurde festgehalten, dass die Vollmacht des ehemaligen Vertreters nicht mehr aufrecht ist und eine Neue vorliege.
Als Beweismittel wurden von der bB neben den Akteninhalten der BF und ihrer Eltern und den Anfragebeantwortungen hinsichtlich der Erkrankung der BF und den aktuellen Länderinformationen herangezogen:
? Anzeige über ein nachgeborenes Kind nach § 17a AsylG
? Geburtsurkunde
? Bericht über die Entbindung aus dem Mutter-Kind-Pass
? Meldebestätigung
? Accord-Bericht aus 2013 über die allgemeine medizinische Versorgung in Armenien
? Medizinische Unterlagen
Mit gegenständlichem, im Spruch genannten Bescheid wurde der Antrag der BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gem. § 3 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs 1 Z 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Armenien nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung nach Armenien gemäß § 46 FPG zulässig sei. Eine Frist zur freiwilligen Ausreise wurde mit 14 Tagen gewährt (Spruchpunkt VI.). Der Beschwerde wurde gem. § 18 (1) Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VII.). Gemäß § 55 Abs. 1 a bestehe keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VIII.).
Die bB traf folgende Feststellungen:
- Zu Ihrer Person:
Ihre Identität steht fest. Sie sind XXXX .2019 in XXXX , Staatsangehörige von Armenien.
Fest steht Ihre Eltern sind nicht weder traditionell, noch standesamtlich verheiratet.
Ihre Geburt wurde gegenüber der Behörde mit 06.11.2019 nach § 17a AsylG angezeigt.
Fest steht, dass Sie an einem Ventrikelseptumdefekt leiden.
Fest steht, dass dieser in Armenien behandelbar ist.
Fest steht, dass keine weiteren physischen oder psychischen Beeinträchtigungen Ihres Gesundheitszustandes vorliegen.
- Zu den Gründen für das Verlassen Ihres Herkunftsstaats:
Fest steht, dass Sie in der Heimat nicht vorbestraft sind.
Für Sie wurden keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht.
Feststeht, dass Sie in Armenien nicht verfolgt werden.
Fest steht, dass Ihre Eltern in Armenien keiner Verfolgung unterliegen.
- Zu Ihrer Situation im Fall Ihrer Rückkehr:
Es konnte nicht festgestellt werden, dass Sie im Fall Ihrer Rückkehr in Ihrem Leben gefährdet wären, der realen Gefahr von Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder der Gefahr der Vollstreckung der Todesstrafe ausgesetzt wären.
Feststeht dass in Armenien keine willkürliche Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen Konflikts zu befürchten ist.
Es konnte zudem nicht festgestellt werden, dass Ihnen im Herkunftsland die Lebensgrundlage gänzlich entzogen gewesen wäre oder dass Sie bei einer Rückkehr in eine die Existenz bedrohende (oder medizinische) Notlage gedrängt werden.
Fest steht, dass in Ihrem Heimatland ausreichende medizinische Behandlungsmöglichkeiten vorhanden und Ihnen auch zugänglich sind.
Fest steht, dass Ihre Eltern und die Familie Ihres Vaters Sie hier in Österreich unterstützt und auch in Armenien unterstützen kann. Fest steht, Ihre Eltern sind jung und erwerbsfähig und könnten für Ihren Unterhalt sorgen.
- Zu Ihrem Privat- und Familienleben:
Fest steht, Sie wohnen gemeinsam mit Ihrem Vater XXXX (laut Asylakten) und Ihrer Mutter XXXX bei der Familie Ihres Vaters.
Festgestellt wird, dass mit Ihren Eltern ein Familienleben in Österreich vorliegt.
Fest steht, dass Ihre Mutter als russische Staatsangehörige bis zu 180 Tage visafrei in Armenien aufhalten kann und überdies aufgrund des Verwandtschaftsverhältnisses auch ein Aufenthaltstitel für Armenien in Aussicht steht.
Fest steht, dass die Aufrechterhaltung dieses Familienlebens in Armenien grundsätzlich möglich ist.
Sie sind mit einem Lebensalter von weniger als einem Monat in einem anpassungsfähigen Alter.
Altersbedingt liegt kein über Ihre Familie hinausgehendes Privatleben vor.
- Zu den Asylverfahren Ihrer Familienangehörigen:
Das Asylverfahren Ihrer Mutter wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.03.2018 ebenfalls negativ entschieden. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde durch das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 14.05.2018 GZ: L524 2193752-1/8E abgewiesen und erwuchs sohin durch zweitinstanzliche Entscheidung in Rechtskraft.
Dasselbe gilt für das Asylverfahren Ihres Bruders XXXX .
Über beide wurde, da Sie der Verpflichtung zur Ausreise nicht nachgekommen waren, eine neue Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem Einreiseverbot von 2 Jahren verhängt, welche ebenfalls durch zweitinstanzliche Entscheidung in Rechtskraft erwuchs.
Das damalige Asylverfahren Ihres Vaters, E11 303978-1/2008/6E, vom 16.10.2005, wurde vom Asylgerichtshof am 20.06.2011 in zweiter Instanz negativ entschieden. Ihm kommt allerdings aktuell ein Daueraufenthaltstitel EU zu.
Im gegenständlichen Fall liegt hinsichtlich Ihrer Mutter ein Familienverfahren gemäß § 34 AsylG vor.
- Zur Lage in Ihrem Herkunftsstaat:
Gemäß Verordnung der Bundesregierung, mit der Staaten als sichere Herkunftsstaaten festgelegt werden (Herkunftsstaaten-Verordnung - HStV), BGBl. II Nr. 177/2009 zuletzt geändert mit BGBl II, 25/2018, gehört Ihr Herkunftsstaat Armenien zu den sicheren Herkunftsstaaten.
Die aktuellen Länderfeststellungen lauten wie folgt:
….
Im Rahmen der Beweiswürdigung hielt die bB fest:
- Betreffend die Feststellungen zu Ihrer Person:
Hinsichtlich Ihrer Identität sind Sie als glaubwürdig anzusehen, da Ihre Eltern für Sie ein unbedenkliches österreichisches Dokument vorlegen konnten (österreichische Geburtsurkunde). Aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 22.03.2017 ergibt sich, dass Kinder, die einen armenischen Elternteil haben – dass Ihr Vater armenischer Staatsangehöriger ist, ist unbestritten und wurde von diesem auch in der Einvernahme vom 21.01.2020 bejaht – und deren Eltern sich über die armenische Staatsbürgerschaft geeinigt haben, selbst armenischer Staatsangehörigkeit sind. In der Einvernahme danach gefragt, welche Staatsbürgerschaft bei Ihnen vorliegt, antworteten sowohl Ihr Vater als auch Ihre Mutter übereinstimmend, dass Sie die armenische Staatsangehörigkeit hätten. Somit sind Sie nach dem zuvor Gesagten armenische Staatsangehörige. Dazu nach einer Stellungnahme gefragt, verneinten Ihre gesetzlichen Vertreter einstimmig, sodass an Ihrer armenischen Staatsangehörigkeit keine Zweifel bestehen und Sie ein vollberechtigtes Mitglied des armenischen Staatsbürgerschaftsverbandes sind, mit allen daraus resultierenden Rechtspositionen.
Betreffend das Nicht-Bestehens einer Ehe zwischen Ihren Eltern wird auf Bescheid und Erkenntnis im Asylverfahren Ihrer Mutter verwiesen.
Der Umstand, dass eine Anzeige nach §17a AsylG erfolgte, ergibt sich aus dem unbestreitbaren Akteninhalt.
Im Parteiengehör wurden Sie über die Annahme Ihrer Gesundheit in Kenntnis gesetzt und Ihnen dargelegt, dass falls Sie sich dazu nicht äußern, der Entscheidung diese Annahme zugrundegelegt wird. Eine Reaktion auf die Stellungnahme erfolgte im Widerspruch zur vorhandenen Mitwirkungspflicht nicht. Die pauschale Ausführung Ihres gesetzlichen Vertreters, er hätte keinen solchen Brief bekommen, verfängt gegenüber dem Zustellnachweis nicht.
Dass Sie an einem Ventrikelseptumdefekt leiden ergibt sich aus den von Ihrer gesetzlichen Vertretung vorgelegten medizinischen Unterlagen.
Zur Behandelbarkeit in Armenien ist Folgendes auszuführen:
Bereits aus der Anfragebeantwortung vom 09.01.2009 ergibt sich, dass eine medizinische Versorgung von herzkranken Patienten durch äußerst kompetente Spezialisten gewährleistet ist. Darüber hinaus sind regelmäßige Kontrollen für Kinder mit Herzkrankheiten kostenlos möglich. Auch eine allenfalls erforderliche Herzoperation ist möglich.
Die Stellungnahme vom 20.02.2020 bringt einen allgemeinen Bericht über die medizinische Versorgung in Armenien aus 2013 in Anschlag. Die Stellungnahme legt jedoch nicht dar, in welcher Weise, die Angaben des Berichts die Antragstellerin konkret betreffen würden. Entgegen der vorgebrachten Behauptung es gäbe keine Informationen, wonach sich seit 2013 etwas verbessert hätte, ergibt sich aus der aktuellen Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 01.10.2019 übereinstimmend mit der vorzitierten Beantwortung aus 2009, dass ärztliche ambulante und stationäre Betreuung durch einen Kardiologen und Lungenfacharzt für Kinder verfügbar ist. Auch Operationen am Kinderherzen würden durchgeführt. Es geht daraus hervor, dass auch ohne der Anerkennung als behindertes Kind für Kinder bis zu 18 Jahren eine kostenlose stationäre Behandlung gewährt wird. Dass es im Hinblick auf den vorliegenden Ventrikelseptumdefekt zu einer mangelhaften medizinischen Behandlung kommen sollte, ist nicht zu erkennen, selbst für den Fall knapper finanzieller Mittel nicht.
Andere medizinische Probleme wurden weder behauptet noch durch medizinische Unterlagen belegt.
- Betreffend die Feststellungen zu den Gründen für das Verlassen Ihres Herkunftsstaats:
Hinsichtlich der von Ihrer gesetzlichen Vertreterin (Mutter) vorgebrachten Fluchtgründe und der diesbezüglich vorgenommenen Beweiswürdigung wird auf die Bescheidbegründung im Verfahren Ihrer gesetzlichen Vertreterin (Mutter) verwiesen sowie insbesondere auch auf das diesbezügliche Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, sodass mit Blick auf deren Verfahren unzweifelhaft klar war, dass dieser keine Verfolgung in Armenien droht. Auch in der Einvernahme vom 21.01.2020 bekräftigte Ihre Mutter, dass es auf Armenien bezogen keinerlei Probleme gäbe. Für eine Verfolgung Ihrer Person oder auch Ihrer Mutter in Armenien gibt es keine Hinweise, da keine der in der Einvernahme geäußerten Rückkehrbefürchtungen in Bezug auf Armenien sich auf eine mögliche Verfolgung bezogen.
Das Asylverfahren Ihres Vaters wurde ebenfalls negativ beschieden und es gibt keinen Hinweis darauf, dass in Abweichung davon aktuell eine Verfolgungsgefahr Ihres Vaters in Armenien bestünde.
Da Armenien ein Sicherer Herkunftsstaat ist gilt der Grundsatz der normativen Vergewisserung der Sicherheit. Dieser Annahme sind Sie nicht substantiiert entgegengetreten.
Vor diesem Hintergrund kann somit nicht erkannt werden, dass Sie in Ihrer Heimat staatliche oder private Verfolgungsmaßnahmen zu befürchten haben.
- Betreffend die Feststellungen zu Ihrer Situation im Fall Ihrer Rückkehr:
Wie ausgeführt, wurden die Asylanträge Ihrer Familienangehörigen ebenfalls abgewiesen.
Es sind keine Umstände amtsbekannt, dass in Armenien derzeit eine solche extreme Gefährdungslage bestünde, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung am Leben, körperlicher Unversehrtheit sowie Folter, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung ausgesetzt wäre, oder eine derartige humanitäre Katastrophe vorherrschte, dass das Überleben sämtlicher dort lebender Personen mangels Nahrung und Wohnraum tatsächlich in Frage gestellt wäre.
Hinsichtlich allgemein gehaltener Gefährdungspotentiale ist auf den Umstand zu verweisen, dass Armenien ein sicherer Herkunftsstaat ist.
Wie bereits ausgeführt, ist eine medizinische Versorgung eines Ventrikelseptumdefekts sowie anderer Herzerkrankungen in Armenien uneingeschränkt möglich, konkret für Sie auch kostenlos.
Bezugnehmend auf die aktuelle Covid-19-Pandemie ergibt sich aus den aktuellen Daten der WHO für Armenien, dass mit 03.05.2020 in Armenien bisher insgesamt 2386 bestätigte Fälle sowie 35 Tote vorlagen, für Österreich 15558 bestätigte Fälle und 596 Tote. Selbst wenn man die Bevölkerungszahl bzw. Fläche in die Betrachtung miteinbezieht, ist die Situation in Armenien weniger problematisch als die in Österreich.
- Zur Möglichkeit der Grundversorgung ist Folgendes auszuführen:
Ihre Familie (insbesondere Ihr Vater und dessen Eltern) ist nach den Ausführungen in den Anträgen vom 30.03.2020 in der Lage den Lebensunterhalt der gesamten Familie in Österreich zu finanzieren, dies ohne Heranziehung von Sozialleistungen. Warum das im Fall Ihrer Rückkehr nach Armenien – gerade auch mit Blick auf die dort im niedrigeren Lebenserhaltungskosten und der Tatsache dass Erwerbseinschränkungen bei Ihren Eltern nicht hervorgekommen sind – nicht gelingen sollte, wurde nicht dargelegt. Dass Jeziden in Armenien in einer Weise aus dem Wirtschaftsleben ausgeschlossen wären, dass die Sicherung Ihrer Existenz nicht möglich wäre, geht auch aus dem aktuellen Länderinformationsblatt nicht hervor. Dahingehende Behauptungen sind daher als bloß in den Raum gestellte Behauptungen zu werten, zumal in keinem der vorhergegangenen Asylverfahren ihrer Familie mit Blick auf Armenien eine dahingehende Bedrohung für maßgeblich befunden wurde.
- Betreffend die Feststellungen zu Ihrem Privat- und Familienleben:
Ihr Familienleben zu Ihren Eltern ergibt sich lebensalterbedingt aus allgemeinen Erfahrungssätzen und aus der gemeinsamen Meldeadresse mit Ihren Eltern sowie aus deren Aussagen.
Dass ein über die Familie hinausgehendes Privatleben nicht besteht, beruht lebensalterbedingt ebenfalls auf allgemeinen Erfahrungssätzen. Anderes wurde nicht dargestellt.
Die Tatsache, dass auch bei der Annahme, dass Ihre Mutter russische Staatsangehörige ist, ein visafreier Aufenthalt derselbe in Armenien möglich ist und sogar die Möglichkeit besteht, einen Aufenthaltstitel zu erlangen, wenn entsprechende Verwandtschaftsverhältnisse zu armenischen Staatsangehörigen vorliegen, ergibt sich aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 17.07.2018. Mit dieser Tatsache konfrontiert, gaben Ihre gesetzlichen Vertreter keinerlei Stellungnahme ab.
- betreffend die Feststellungen der Asylverfahren Ihrer Familienangehörigen:
Die Feststellungen zu den Asylverfahren Ihrer Familienmitglieder gründen sich auf deren Akteninhalt.
…
Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung wurde festgehalten:
…
Hinsichtlich der in Ihrem Fall festgestellten Gründe für den Antrag auf Zuerkennung der Asylberechtigung bedeutet dies:
Sie sind in Österreich geboren, für Sie wurden keine eigenen Asylgründe vorgebracht. Das Verfahren stützt sich sohin auf die Familieneigenschaft zu Ihrer Mutter iSd § 34 AsylG.
Deren Vorbringen wurde vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ausführlich beweiswürdigt und für nicht glaubwürdig bzw. nicht asylrelevant befunden und es wird auf den Bescheid Ihrer Mutter verwiesen, warum aus Sicht des Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl auch Ihnen in Armenien keine asylrelevante Verfolgung droht. Insbesondere auch das Bundesverwaltungsgericht konnte keine asylrelevante Verfolgung Ihrer Mutter feststellen.
Hinsichtlich der Zuerkennung von Subsidiären Schutz wurde festgehalten, dass das Verfahren des Vaters bereits in der Vergangenheit rechtskräftig abgeschlossen worden sei und auch der Mutter bzw. den Familienangehörigen kein Schutzstatus zuzuerkennen war. Es bestünde zudem eine uneingeschränkte kostenlose Behandlungsmöglichkeit für die BF in Armenien.
Auch bei der Annahme, dass es sich bei der Mutter um eine russische Staatsangehörige handelt, sei darauf hinzuweisen, dass deren Aufenthalt in Armenien rechtlich möglich sei und die Familie auch jetzt ohne deren Zutun zur Finanzierung des Lebensunterhalts in der Lage sei, weshalb nicht zu erkennen gewesen wäre und auch nicht glaubhaft gemacht werden konnte, weshalb in Armenien die Versorgung nicht möglich sein sollte.
Das gesamte Vorbringen der gesetzlichen Vertreterin enthalte nichts, was einen Hinweis auf eine Verfolgung oder Verfolgungsgefahr in Armenien bieten würde.
Weder aus dem Amtswissen noch aus dem Vorbringen ergäbe sich ein weiterer qualifizierter Sachverhalt, welcher einem Non-Refoulement-Gebot entgegenstünde.
Die gesetzliche Vertreterin habe schließlich auch weder eine lebensbedrohende Erkrankung noch einen sonstigen auf die Person der BF bezogenen „außergewöhnlichen Umstand“ behauptet oder bescheinigt, der ein Abschiebehindernis im Sinne von Art. 3 EMRK iVm. § 8 Abs. 1 AsylG darstellen könnte.
Ein Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG sei nicht zu erteilen und wäre eine Rückkehrentscheidung nach Armenien zulässig. Dies begründete die bB wie folgt:
Sie sind in Österreich geboren und leben mit Ihren Eltern und Ihrem Bruder.
Es liegt somit ein iS von Art. 8 EMRK schützenswertes Familienleben in Österreich vor. Ihre Mutter ist jedoch ebenfalls von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen betroffen – es besteht gegen sie und auch Ihren Bruder eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung. Ihrem Vater dagegen steht es, wie im Bescheid Ihrer Mutter bereits ausgeführt, jederzeit frei gemeinsam mit Ihnen nach Armenien zurückzukehren. Diesbezüglich stellt die Rückkehrentscheidung keinen Eingriff in Ihr Familienleben dar. Da auch Ihrer Mutter, selbst unter der Annahme, dass es sich um eine russischen Staatsangehörige handelt, 180 Tage im Jahr visafrei in Armenien weilen kann und aufgrund entsprechender Verwandtschaft zu armenischen Staatsangehörigen auch die Möglichkeit der Erteilung von Aufenthaltstiteln dort besteht, ist auch hier Art 8 EMRK nicht verletzt. Auch das Bundesverwaltungsgericht erachtete die Rückkehrentscheidung hinsichtlich Ihrer Mutter für zulässig.
Nicht zutreffend sind in dieser Hinsicht die Ausführungen des Antrages vom 30.03.2020: Weder ist es wie dargelegt richtig, dass die Mutter, selbst wenn Sie russische Staatsangehörige ist, nicht zu Ihnen nach Armenien reisen kann, noch ist aus der Rechtsprechung erkennbar, dass die Rückkehrentscheidung für ein in Österreich geborenes Kind pauschal unzulässig sein soll, wenn es einen daueraufenthaltsberechtigten Elternteil hat. Eine derartige Rechtsprechung wurde auch vom Schriftsatz nicht ins Treffen geführt.
Warum es der Mutter wie im Schriftsatz ausgeführt nicht möglich sein soll, nach Armenien zu reisen, bleibt unbegründet und verkennt die entscheidungsmaßgebliche Tatsache, dass die Mutter Möglichkeit zum Aufenthalt in Armenien hat.
Sofern das BVG über die Rechte der Kinder ins Treffen geführt wird, ist dazu zu sagen, dass der gesamte Schriftsatz nicht dartut, warum eine persönliche Beziehung zwischen den beiden Elternteilen und den Kindern in Armenien nicht möglich sein soll, auch dass ein Kind aus der Familie herausgerissen würde, lässt sich aus dem beabsichtigten behördlichen Vorgehen nicht erkennen, zumal der Vater jederzeit mit dem Kind nach Armenien reisen kann und die Mutter aufgrund der bereits dargelegten aufenthaltsrechtlichen Voraussetzungen für Armenien ebenso.
Auch bei einer Rückkehr nach Armenien kann somit nicht erkannt werden, wieso dadurch die persönliche Beziehung abbrechen sollten, wenn bei Mutter und Vater der Wunsch nach dem gemeinsamen Leben mit den Kindern weiter als bedeutungsvoll erachtet wird.
Das Recht auf Achtung des Privatlebens sichert dem Einzelnen zudem einen Bereich, innerhalb dessen er seine Persönlichkeit frei entfalten und erfüllen kann.
Aufgrund Ihres Alters steht für die Behörde fest, dass Sie kein Privatleben in Österreich haben.
Insgesamt kann zumindest hinsichtlich Ihrer Mutter und Ihres Bruders letztlich kein Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechts erkannt werden, da diese ebenfalls das Land zu verlassen haben.
Nachdem aber Ihr Vater weiter im Land verbleiben darf, liegt hier ein Eingriff in den Schutzbereich von Art 8 EMRK vor.
Gem. Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechts auf das Privat- und Familienleben nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, welche in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, der Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Das BFA ist eine öffentliche Behörde im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK; der Eingriff ist – wie bereits oben dargestellt – in § 10 AsylG iVm § 52 Abs. 2 Z 2 FPG gesetzlich vorgesehen.
Daher ist zu prüfen, ob der Eingriff in Ihr Recht auf Achtung des Familien- und Privatlebens im gegenständlichen Fall durch den Eingriffsvorbehalt des Art. 8 EMRK gedeckt ist und ein in einer demokratischen Gesellschaft legitimes Ziel, nämlich die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK, verfolgt. Es ist eine individuelle Abwägung der betroffenen Interessen vorzunehmen, um festzustellen, ob der Eingriff durch die Rückkehrentscheidung auch als im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK verhältnismäßig angesehen werden kann.
In der Rechtsprechung des EGMR ist klargestellt, dass Art. 8 EMRK nicht das Recht gewährt, den Ort zu wählen, der nach Ansicht der Betroffenen am besten geeignet ist, ein Familienleben aufzubauen (EGMR 28.11.1996, Ahmut v. Niederlande).
…
Der gesamte Aufenthalt Ihrer Mutter und das daraus entstandene Privat- und Familienleben beruht auf einer missbräuchlichen Asylantragstellung und im Weiteren einem Beharren im Bundesgebiet entgegen einer bestehenden rechtskräftigen Rückkehrentscheidung verbunden mit einem Einreiseverbot – dies ungeachtet des gestellten Antrags auf Wiederaufnahme – die Rechtskraftwirkung hätte die Ausreise Ihrer Mutter zwingend verlangt. Auch Ihr Aufenthalt ist abgesehen von der lebensalterbedingten sehr kurzen Dauer lediglich durch das Aufenthaltsrecht im nunmehr negativ entschiedenen Asylverfahren rechtlich gedeckt.
Wie bereits durch das Bundesverwaltungsgericht im Fall Ihrer Mutter und Ihres Bruders dargelegt, ist der gesetzlich vorgesehene Weg zur Führung eines gemeinsamen Familienlebens jener über das Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz, den zu beschreiten Ihnen (auch aus dem Ausland) zumutbar ist. Die erkennende Behörde erlaubt sich, sich der Interessensabwägung, die hinsichtlich Mutter und Bruder bei im Wesentlichen gleichgelagerten Sachverhalt vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommen wurde anzuschließen und gelangt bezugnehmend darauf zum Schluss, dass Ihre privaten Interessen am Verbleib im Bundesgebiet nicht überwiegen.
In diesem Kontext ist nochmals das vom Verwaltungsgerichtshof als hoch zu gewichtende öffentliche Interesse an einem geordneten Asyl- und Fremdenwesen zu betonen.
Gegen den Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben und wurde ein Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gestellt. Der Vater der BF sei seit seinem 10 Lebensjahr in Österreich und verfüge über einen Aufenthaltstitel Daueraufenthalt EU. Es folgten diverse Ausführungen zum Vater, der armenischer Staatsangehöriger sei. Die BF lebe mit dem Vater, der Mutter, dem Bruder und den Eltern des Vaters in einer Wohnung und werde insbesondere vom Gehalt des Vaters versorgt. Der Vater erfülle auch die Voraussetzungen für die Erteilung der österreichischen Staatsbürgerschaft. Er habe einen Reisepass bei der armenischen Botschaft bereits beantragt und die Zahlung für die Nichtleistung des Militärdienstes geleistet. Die österreichische Staatsangehörigkeit würde später auch auf die Kinder durchschlagen. Vater und Mutter der BF seien traditionell verheiratet. Die bB habe sich im Bescheid nicht mit den Anträgen der BF, ihrer Geschwister und Eltern im Schriftsatz vom 26.03.2020 auseinandergesetzt. Die Mutter der BF könne als russische Staatsangehörige nicht nach Armenien abgeschoben werden und habe einen Reisepass der russischen Föderation bereits beantragt. Hinsichtlich der russischen Staatsangehörigkeit wurde auf die Einvernahme vom 21.01.2020 und die gemäß § 50 AsylG ausgestellte Verfahrenskarte für die Mutter mit Herkunftsstaat russische Föderation hingewiesen. Die Ausführungen im Bescheid, der Vater der BF könne in Armenien leben, seien willkürlich. In Armenien stünde die Familie vor dem Nichts, während der Vater hier in gehobener Position in einem Lebensmittelgeschäft arbeite. Zudem wäre die Herzerkrankung der BF nicht entsprechend berücksichtigt worden.
Schließlich sei Art. 8 EMRK und das Kindeswohl im Falle einer Abschiebung verletzt und wurde dazu aus Entscheidungen wie folgt zitiert:
Zuletzt legte der Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 22.08.2019, Ra 2019/21/0128-6, zur Frage der Trennung von einer österreichischen Ehegattin und gemeinsamer Kinder die maßgebliche Judikatur dar und ergibt sich daraus im Wesentlichen auch das Ausmaß des für diesen Fall zu ermittelnde Sachverhaltes:
[…] 11 Die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts haben bereits wiederholt die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit den Auswirkungen einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme auf das Kindeswohl bei der nach § 9 BFA-VG vorzunehmenden Interessenabwägung zum Ausdruck gebracht (siehe dazu die Nachweise in VwGH 7.3.2019, Ra 2018/21/0141, Rn. 16). Dem wurde das BVwG - wie in der Revision im Ergebnis zu Recht gerügt wird - nicht gerecht. Trotz des anpassungsfähigen Alters der Kinder wäre nämlich zu berücksichtigen gewesen, dass sie nicht nur in Österreich geboren wurden, sondern vor allem die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen. Im Übrigen geht es nicht um ein bloßes „Mitreisen“ der Ehefrau und Kinder mit dem Revisionswerber, sondern um eine Wohnsitzverlegung der gesamten Familie, was in der Regel einerseits mit der Aufgabe der bisherigen Wohnung und der Berufstätigkeit in Österreich sowie dem Verlust der sozialen Anknüpfungspunkte und andererseits mit der Neugründung eines Haushalts und Suche nach einer Beschäftigung in der Türkei sowie in Bezug auf das ältere Kind dem Beginn eines Schulbesuchs in einem fremden Land verbunden wäre. Wie sich das im vorliegenden Fall konkret gestalten würde und welche „beachtlichen Auswirkungen“ - so das BVwG nur generalisierend - im Einzelnen damit verbunden wären, hat das BVwG unerörtert gelassen, obwohl sich dafür die abgehaltene mündliche Verhandlung angeboten hätte. Da es im Übrigen auch nicht aufzeigte, in welcher Form dem Revisionswerber gemeinsam mit seinen Angehörigen eine legale Rückkehr und neuerliche Wohnsitznahme in Österreich nach Ablauf der Befristung des Einreiseverbotes möglich wäre, hätte überdies in Betracht gezogen werden müssen, dass die für zumutbar erachtete Ausreise der gesamten Familie in die Türkei voraussichtlich auf Dauer werde erfolgen müssen. Das wäre den österreichischen Kindern, die grundsätzlich einen Anspruch auf ein gemeinsames Familienleben mit beiden Elternteilen haben, nicht zumutbar. Das gilt aber auch für die Ehefrau des Revisionswerbers, die sich seit etwa 27 Jahren rechtmäßig in Österreich aufhält und seit mehr als 15 Jahren die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt.
Das BVwG bedachte aber - im Hinblick auf die Äußerung der Ehefrau des Revisionswerbers in der mündlichen Verhandlung, nicht mit ihrem Ehemann in die Türkei übersiedeln zu wollen - auch den Fall der Trennung der Angehörigen und es meinte, dann könne der Kontakt im Wege moderner Medien, wie etwa Skype, aufrecht erhalten werden. Dabei lässt das BVwG jedoch außer Acht, dass die Aufrechterhaltung des Kontaktes mittels moderner Kommunikationsmittel mit einem Kleinkind, wie dem jüngeren Kind des Revisionswerbers, kaum möglich ist und dem Vater eines Kindes (und umgekehrt) grundsätzlich das Recht auf persönlichen Kontakt zukommt (so schon VwGH 16.5.2012, 2011/21/0277, mwN; vgl. etwa auch VfGH 12.10.2016, E 1349/2016).
In diesem Zusammenhang ist aber auch noch darauf hinzuweisen, dass der Verwaltungsgerichtshof in seiner rezenten Judikatur eine Trennung von einem österreichischen oder in Österreich dauerhaft niedergelassenen Ehepartner im Ergebnis nur dann für gerechtfertigt erachtete, wenn dem öffentlichen Interesse an der Vornahme einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme insgesamt ein sehr großes Gewicht beizumessen ist, wie insbesondere bei Straffälligkeit des Fremden (vgl. etwa VwGH 23.3.2017, Ra 2016/21/0199, Rn. 12, mit dem Hinweis auf VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0271, Rn. 13 f, mwN). […]“
…
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat ausdrücklich festgehalten, dass es von übergeordnetem Interesse ist, dass die Kinder in der Nähe ihrer Eltern aufwachsen, was naturgemäß nur möglich ist, wenn dem Vater im Heimatland des Kindes ein Aufenthaltsrecht gewährt wird.
Diese Entscheidung ist eins zu eins auf den vorliegenden Fall anwendbar da es dem Erstantragsteller und den beiden minderjährigen weder möglich noch zumutbar ist, nach Russland auszureisen und es der Zweitantragstellerin weder möglich noch zumutbar ist, nach Armenien auszureisen.
…
Am 15.06.2020 wurde die Beschwerde inklusive der mit ihr in Bezug stehenden Verwaltungsakte und einer „Beschwerdebeantwortung“ der bB dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt.
Mit Beschluss des BVwG vom 30.06.2020 wurde der Beschwerde der bP die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen
Die unter Punkt I. als Verfahrensgang dargelegten Ausführungen werden als Feststellungen der vorliegenden Entscheidung zugrunde gelegt. Diese ergeben sich aus dem unzweifelhaften Akteninhalt.
Der Antrag der Mutter der BF sowie der Antrag des Bruders auf internationalen Schutz wurde gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status einer Asylberechtigten nicht zuerkannt. Gem. § 8 Abs 1 Z 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den von der belangten Behörde angenommenen Herkunftsstaat Armenien nicht zugesprochen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die Mutter eine Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung nach gemäß § 46 FPG zulässig sei.
Zudem wurde mit Bescheiden der bB über die Mutter und den Bruder ein Einreiseverbot samt Rückkehrentscheidung erlassen, die dagegen erhobenen Beschwerden wurden mit Entscheidungen des BVwG vom 31.02.2019 als unbegründet abgewiesen. Die Anträge der bP sowie der Mutter und des Bruders gemäß §§ 55, 57 AsylG vom 30.03.2020 wurden mit Bescheiden der bB gemäß § 58 AsylG zurückgewiesen. Mit Entscheidungen des BVwG vom heutigen Tag wurde der Bescheid der bP bestätigt und die Bescheide betreffend den Bruder und die Mutter behoben.
Der Vater der BF lebt seit ca. seinem 10ten Lebensjahr in Österreich und erhielt nach negativem Asylverfahren 2011 einen Aufenthaltstitel über die Niederlassungsbehörde. Er hält sich rechtmäßig aufgrund eines Daueraufenthaltstitels EU, zuletzt ausgestellt mit Gültigkeit bis 07.05.2025, in Österreich auf.
2. Beweiswürdigung
Ins Leere gehen die Ausführungen in der Beschwerde, dass zuerst andere Verfahren zu erledigen gewesen wären – nämlich die Wiederaufnahmeanträge der Mutter und des Bruders – und die Herzerkrankung der BF nicht entsprechend berücksichtigt worden wäre. Tatsächlich kann nicht in Zweifel gezogen werden, dass die Erkrankung der BF in Armenien behandelbar wäre und ist die Reihenfolge der Prüfung der Anträge letztlich nicht im Ermessen einer beschwerdeführenden Partei, wenn sie wie gegenständlich unter einem gestellt werden.
Soweit mit der Beschwerde letztlich ausgeführt wird, dass die Rückkehrentscheidung unzulässig wäre, da die Mutter der BF russische Staatsangehörige ist und nicht mit ihrem minderjährigen Kind nach Armenien reisen könne und zudem eine Rückkehrentscheidung gegen ein Kind eines langfristig daueraufenthaltsberechtigten Vaters nach allen grund- und europarechtlichen Vorgaben unzulässig sei, ist die Beschwerde vor dem Hintergrund des Akteninhalts mangels entsprechender Ermittlungen hierzu durch die bB im Recht.
Entgegen der Ansicht der bB, es reiche die Darlegung, dass selbst bei Annahme einer russischen Staatsangehörigkeit der Mutter der BF ein Aufenthalt von dieser in Armenien möglich wäre, ist gerade die Staatsangehörigkeit eines Asylwerbers ein wesentliches Kriterium, nach deren Feststellung erst alle weiteren Spruchpunkte, insbesondere auch Asyl und Subsidiärer Schutz im Hinblick auf den festgestellten Herkunftsstaat, geprüft werden können. Die bB hat im Kopf des Bescheides die Stelle, an der normalerweise die Staatsangehörigkeit angeführt ist in Bezug auf die Mutter die Staatsangehörigkeit nicht festgehalten und ergibt sich diese auch nicht aus den weiteren Ausführungen, insbesondere den Feststellungen im Bescheid selbst. Nur davon abgeleitet könnte jedoch entsprechend auch die Staatsangehörigkeit der BF festgestellt werden, selbst wenn es Anhaltspunkte dafür gibt, dass diese sich auch vom Vater ableiten ließe, der armenischer Staatsangehöriger ist. Bei tatsächlicher Annahme der russischen Staatsangehörigkeit der Mutter der BF – wofür es angesichts einer Mitteilung in den Akten der Mutter aus dem Jahr 2019 Anhaltspunkte gibt (im HRZ Verfahren wäre die russische Staatsangehörigkeit hervorgekommen), wäre dies entsprechend zu berücksichtigen. Auffällig ist in diesem Zusammenhang, dass in der Entscheidung der bB hinsichtlich der Mutter der bP vom 27.102020 gemäß § 58 AsylG die bB gerade in den Feststellungen hinsichtlich der russische Staatsangehörigkeit eine Negativfeststellung trifft, im Bescheidkopf diese jedoch festhält. Aktuell liegen jedoch keine Unterlagen oder Dokumente vor, die dies tatsächlich für das BVwG nachvollziehbar belegen. Selbst in der Einvernahme vor der bB waren die Angaben der Eltern der BF jedenfalls nicht so eindeutig und offenbar nicht von entsprechenden Kenntnissen des Staatsbürgerrechts von Armenien und der russischen Föderation getragen, dass sie „entscheiden“ hätten können, welche Staatsangehörigkeit die BF hat. Erst bei Feststellung der tatsächlichen Staatsangehörigkeiten der Eltern kann auch eine entsprechende Interessensabwägung iSd Art. 8 EMRK gerade auch im Zusammenhang mit der Zumutbarkeit eines Aufenthalts der Eltern in Armenien durchgeführt werden. Die bB hat zudem die Identität der BF im Bescheid festgestellt, was vor dem Hintergrund des Verhaltens der Eltern, welche offensichtlich beide über ihre Identität getäuscht haben, nicht einsichtig ist. Vor diesem Hintergrund hat die bB ihre Ermittlungspflichten im Zusammenhang mit der Staatsangehörigkeit bei ansonsten tragfähigen Bescheid gröblich verletzt.
3. Rechtliche Beurteilung
Zu Spruchteil A) Behebung des angefochtenen Bescheides
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.
Nach § 28 Abs. 2 VwGVG hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen und die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
Das Modell der Aufhebung des Bescheids und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraus. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener der Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG (Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren, 2013, § 28 VwGVG, Anm. 11).
§ 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.
Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet (vgl. auch VwGH 30.06.2015, Ra 2014/03/0054):
? Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht kommt nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.
? Der Verfassungsgesetzgeber hat sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51/2012, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden haben, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen ist.
? Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt veranke