TE Vfgh Erkenntnis 2021/9/27 E1951/2021

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Veröffentlicht am 27.09.2021
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §3
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Asylstatus betreffend einen Staatsangehörigen des Iraks; mangelhafte Auseinandersetzung mit der Glaubwürdigkeit bzw Unglaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens, wegen Homosexualität verfolgt zu werden; mangelhafte Berücksichtigung der Länderberichte und der einschlägigen Rechtsprechung

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger des Irak, gehört der Volksgruppe der Araber an und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Er stammt aus Bagdad und lebte dort bis zu seiner Ausreise. Am 13. Juli 2015 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Begründend führte der Beschwerdeführer im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zunächst aus, dass er von Milizen bedroht worden sei, welche Geld von ihm gewollt hätten. Außerdem lebe er in einem schiitischen Gebiet und werde als Sunnit dort bedroht.

In der Folge brachte der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 6. März 2017 vor, dass er homosexuell sei. Bei der niederschriftlichen Einvernahme wäre die Anwesenheit seines Lebensgefährten entscheidend dafür gewesen, dass er das asylrelevante Vorbringen zu seiner Homosexualität bereits damals hätte erstatten können. Auf Grund der Verweigerung der Teilnahme seiner Vertrauensperson an der niederschriftlichen Einvernahme habe sich der Beschwerdeführer nicht überwinden können, über seine Homosexualität zu sprechen.

2. Mit Bescheid vom 18. April 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak als unbegründet ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung in den Irak zulässig sei. Ferner wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen gesetzt.

3. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht – nach Durchführung der mündlichen Verhandlungen am 16. Jänner 2020 sowie am 19. Oktober 2020 – mit Erkenntnis vom 16. April 2021 als unbegründet ab.

3.1. Dem Beschwerdeführer sei es nicht gelungen, eine asylrelevante Verfolgung hinsichtlich der behaupteten Bedrohung durch die schiitischen Milizen glaubhaft zu machen. Er habe keine einzige Situation schildern können, in der er sich tatsächlich in einer ihn betreffenden Gefahrenlage befunden hätte.

3.2. Zur Lage sexueller Minderheiten im Irak stellt das BVwG unter anderem Folgendes fest:

"Auch wenn sensible Themen zunehmend öffentlich diskutiert werden, wird Homosexualität weitgehend tabuisiert und von großen Teilen der Bevölkerung als unvereinbar mit Religion und Kultur abgelehnt. Homosexuelle leben ihre Sexualität meist gar nicht oder nur heimlich aus und sehen sich Diskriminierung und sozialer Ausgrenzung ausgesetzt. Es besteht ein hohes Risiko sozialer Ächtung (AA 12.1.2019) und Gewalt (FH 4.3.2020), bis hin zu Ehrenmorden durch Familienangehörige (AA 12.1.2019; vgl USDOS 11.3.2020). Konfessionelle Milizen haben in den letzten Jahren wiederholt Mitglieder sexueller Minderheiten bedroht und verfolgt und werden mit Ermordungen von homosexuellen Männern in Verbindung gebracht (AA 12.1.2019). Angehörige sexueller Minderheiten sind häufig Misshandlungen und Gewalt durch staatliche und nicht-staatliche Akteure ausgesetzt, die von der Regierung nicht wirksam untersucht werden. Die Polizei wird mitunter eher als Bedrohung, denn als Schutz empfunden (AA 12.1.2019). Trotz wiederholter Drohungen und Gewalttaten gegen Angehörige sexueller Minderheiten versäumt es die Regierung, Angreifer zu identifizieren, festzunehmen oder strafrechtlich zu verfolgen bzw mögliche Opfer zu schützen (USDOS 11.3.2020). Staatliche Rückzugsorte für Angehörige sexueller Minderheiten gibt es nicht, die Anzahl privater Schutzinitiativen ist sehr beschränkt (AA 12.1.2019).

Auch in der KRI sind Angehörige sexueller Minderheiten Einschüchterungen und Drohungen, Gewalt und Diskriminierung ausgesetzt (USDOS 11.3.2020). Angehörige sexueller Minderheiten (insbesondere "männliche" Frauen, "weibliche" Männer und Transsexuelle) erleben unter der Regionalregierung Kurdistans körperlichen Missbrauch. Viele von ihnen werden inhaftiert, ohne über ihre Rechte informiert zu werden und ohne Zugang zu einem Rechtsbeistand zu erhalten. Manche haben trotz monatelanger Haft keine formelle Anhörung oder rechtliche Vertretung erhalten (CEDAW 9.2019). Ein interministerielles Komitee, das zu Fragen betreffend sexueller Minderheiten eingerichtet wurde, ist seit Mitte 2014 nicht mehr in Erscheinung getreten (AA 12.1.2019)."

3.3. Hinsichtlich der sexuellen Orientierung des Beschwerdeführers stellt das Bundesverwaltungsgericht fest, dass dieser nicht homosexuell sei. Begründend wird ausgeführt, dass es nicht plausibel sei, dass der Beschwerdeführer, wäre er tatsächlich homosexuell, diesen Umstand weder im Rahmen der Erstbefragung noch im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erwähnt habe, sondern erst auf Grund rechtsanwaltlichen Einschreitens nach der niederschriftlichen Einvernahme. Vielmehr wäre zu erwarten, dass ein Fremder, der internationalen Schutz beantrage, initiativ alle ihm wesentlich erscheinenden Fluchtgründe, die zu seiner Flucht geführt hätten, den Behörden mitteile und nicht wesentliche Fluchtgründe verschweige und erst später vorbringe. Es sei von einem gesteigerten Vorbringen, welchem es an Glaubwürdigkeit fehle, auszugehen.

3.4. Alternativ stellt das Bundesverwaltungsgericht fest, dass selbst bei Zutreffen des Vorbringens des Beschwerdeführers zu seiner Homosexualität eine asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Beschwerdeführer als Homosexueller im Irak nicht bestehe. Ihm sei es nicht gelungen, eine Verfolgung auf Grund seiner sexuellen Orientierung glaubhaft zu machen. Der bloße Umstand, homosexuell zu sein, vermöge bezogen auf den Irak, in dem seit dem Ende des Regimes Saddam Husseins 2003 Homosexualität nicht mehr strafbar sei, angesichts der Länderfeststellungen nicht für sich bereits die ernstliche Gefahr einer Verfolgung glaubhaft zu machen.

4. Gegen die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 16. April 2021 richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973), auf ein faires Verfahren (Art6 EMRK) sowie darauf, nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden (Art3 EMRK, Art4 GRC), behauptet wird.

Begründend wird dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union ein verspätetes Vorbringen der Homosexualität einen Asylwerber nicht unglaubwürdig mache. Es sei verständlich, dass ein Antragsteller zögert, solche intimen Aspekte des Lebens gegenüber Behörden zu offenbaren. Alleine die Tatsache, dass der Beschwerdeführer den wahren Fluchtgrund – seine Homosexualität – erst verspätet vorgebracht habe, sei nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union kein ausreichender Grund für die Begründung der Unglaubwürdigkeit. Das Bundesverwaltungsgericht verkenne, dass der Beschwerdeführer auf Grund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe als homosexueller Mann weder durch staatliche noch durch nicht-staatliche Akteure in seinem Herkunftsland geschützt sei. Ihm drohe im Irak eine asylrelevante Verfolgung auf Grund seiner sexuellen Orientierung.

5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber Abstand genommen.

II. Erwägungen

Die – zulässige Beschwerde – ist begründet:

1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 8808/1980 mwN, 14.848/1997, 15.241/1998 mwN, 16.287/2001, 16.640/2002).

2. Ein solches willkürliches Verhalten ist dem Bundesverwaltungsgericht vorzuwerfen:

2.1. Aus der im Akt einliegenden Niederschrift ergibt sich, dass der ehemalige Lebensgefährte des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung am 16. Jänner 2020 als Zeuge bestätigte, dass der Beschwerdeführer homosexuell sei und er über zwei Jahre mit ihm in einer Beziehung gelebt habe. Das Bundesverwaltungsgericht hält hiezu lediglich fest:

"Auch wenn der im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 16.01.2020 einvernommene Zeuge bestätigt, mit dem Beschwerdeführer eine gleichgeschlechtliche Beziehung geführt zu haben (Protokoll vom 16.01.2020, S. 20 ff), gelangt das Bundesverwaltungsgericht aufgrund der vorangegangenen Überlegungen zu der Überzeugung, dass diese Aussage in Absprache mit dem Beschwerdeführer konstruiert wurde."

Die Feststellung, wonach der Beschwerdeführer nicht homosexuell sei, stützt das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen auf den Umstand, dass der Beschwerdeführer das Vorbringen zur Homosexualität erst nach niederschriftlicher Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorgebracht habe. Es sei daher von einem gesteigerten Vorbringen auszugehen. Begründend wird ausgeführt:

"Es ist gänzlich unplausibel, dass der Beschwerdeführer, wäre er tatsächlich homosexuell, diesen Umstand, weder im Rahmen der Erstbefragung noch im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme durch die belangte Behörde erwähnte, sondern erst aufgrund rechtsanwaltlichen Einschreitens nach der niederschriftlichen Einvernahme. Vielmehr wäre zu erwarten, dass ein Fremder, der internationalen Schutz beantragt, initiativ alle ihm wesentlich erscheinenden Fluchtgründe, die zu seiner Flucht geführt haben, den Behörden mitteilt und nicht wesentliche Fluchtgründe verschweigt und erst später vorbringt. So geht auch der VwGH davon aus, dass ein spätes, gesteigertes Vorbringen als unglaubwürdig qualifiziert werden kann, denn kein Asylwerber würde wohl eine sich bietende Gelegenheit, ein zentral entscheidungsrelevantes Vorbringen zu erstatten, ungenützt vorübergehen lassen und ein solches erst etwa zwei Jahre nach seiner Einreise in das Verfahren einbringen (VwGH 07.06.2000, 2000/01/0250)."

2.2. Wie sich aus den vom UNHCR herausgegebenen "Guidelines on International Protection No. 9: Claims to Refugee Status based on Sexual Orientation and/or Gender Identity within the context of Article 1A(2) of the 1951 Convention and/or its 1967 Protocol relating to the Status of Refugees" vom 23. Oktober 2012 (im Folgenden: SOGI-Richtlinien) ergibt, können Schamgefühle oder internalisierte Homophobie und Trauma dazu führen, dass Antragstellende nur schwer Auskunft über ihre Sexualität und damit ihren Fluchtgrund geben können. Wenn sich daher eine Person im Verfahren vor oder in früheren Phasen der Anhörung nicht zu seiner sexuellen Orientierung oder gleichgeschlechtlichen Identität bekennt, so sollte dies im Allgemeinen nicht nachteilig beurteilt werden (s SOGI-Richtlinien Rz 59).

Den Berichten des UNHCR und des EASO ist nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes bei der Beurteilung von Anträgen auf internationalen Schutz besondere Beachtung zu schenken (vgl VfGH 12.12.2019, E2692/2019; 12.12.2019, E3369/2019; 4.3.2020, E4399/2019 und 23.6.2021, E865/2021). Dies gilt auch für die oben erwähnten SOGI-Richtlinien (vgl jüngst VfGH 26.6.2020, E902/2020).

Ebenso hält der Gerichtshof der Europäischen Union in seiner Rechtsprechung fest, dass nicht alleine deshalb, weil eine Person zögert, intime Aspekte ihres Lebens – wie insbesondere zu ihrer Sexualität – zu offenbaren, auf die Unglaubwürdigkeit dieser Person geschlossen werden kann. Angesichts des sensiblen Charakters der Fragen, die die Sexualität betreffen, spricht der alleinige Umstand, dass eine Person nicht sofort ihre Homosexualität angegeben hat, nicht gegen die Glaubwürdigkeit eines solchen Vorbringens (vgl EuGH 2.12.2014, Rs C-148/13-150/13, A., B., C., Rz 69).

2.3. Mit all dem setzt sich das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung nicht auseinander: Die Aussage des in der mündlichen Verhandlung als Zeuge einvernommenen Lebensgefährten bleibt ohne nähere Begründung in der Entscheidung unberücksichtigt. Die Begründung des Bundesverwaltungsgerichtes hinsichtlich der Unglaubwürdigkeit des Vorbringens zur Homosexualität des Beschwerdeführers erschöpft sich somit darin, dass erst im späteren Verlauf des Verfahrens Angaben dazu gemacht wurden und deshalb von einem gesteigerten Vorbringen auszugehen sei. Der alleinige Umstand, dass eine Person nicht sofort ihre Homosexualität angegeben hat, spricht allerdings angesichts des sensiblen Charakters der Fragen, die die Sexualität betreffen, nicht gegen die Glaubwürdigkeit eines solchen Vorbringens (so EuGH 2.12.2014, Rs C-148/13-150/13, A., B., C., Rz 69). Vor diesem Hintergrund erweist sich die Begründung des Bundesverwaltungsgerichtes zur Unglaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers zu seiner Homosexualität als nicht nachvollziehbar.

2.4. Alternativ führt das Bundesverwaltungsgericht aus, dass selbst bei Zutreffen des Vorbringens des Beschwerdeführers zu seiner Homosexualität eine solche in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak keinen asylrelevanten Fluchtgrund darstelle. Homosexualität sei im Irak nicht strafbar. Die im Länderinformationsblatt Irak angeführten Ressentiments bestimmter Gruppen seien nicht derart, dass von einer ernstlichen Gefahr einer Verfolgung homosexueller Menschen auf Grund ihrer sexuellen Neigung auszugehen sei. Zudem sei es auf Grund der Tabuisierung der Sexualität durch die islamisch geprägte Gesellschaft, die auf strikter Geschlechtertrennung aufbaut, keinem Iraker und keiner Irakerin möglich, ihre Sexualität in der Öffentlichkeit auszuleben, sodass heterosexuelle Paare wie auch homosexuelle Paare ihre Sexualität im Privaten ausleben. Dieser Umstand sei somit nicht tauglich, eine Gefahr einer Verfolgung homosexueller Personen auf Grund ihrer sexuellen Orientierung als glaubhaft anzunehmen.

Die hier vorgenommene rechtliche Beurteilung der Asylrelevanz der sexuellen Orientierung des Beschwerdeführers ist jedoch mit den eigenen Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichtes zur Lage sexueller Minderheiten im Irak nicht vereinbar. Aus diesen geht hervor, dass Homosexualität im Irak weitgehend tabuisiert und von großen Teilen der Bevölkerung als unvereinbar mit Religion und Kultur abgelehnt werde. Homosexuelle würden ihre Sexualität meist gar nicht oder nur heimlich ausleben und seien Diskriminierung und sozialer Ausgrenzung ausgesetzt. Es bestehe ein hohes Risiko sozialer Ächtung und Gewalt, bis hin zu Ehrenmorden durch Familienmitglieder. Konfessionelle Milizen hätten in den letzten Jahren wiederholt Mitglieder sexueller Minderheiten bedroht und verfolgt und würden mit Ermordungen von homosexuellen Männern in Verbindung gebracht. Angehörige sexueller Minderheiten seien häufig Misshandlungen und Gewalt durch staatliche und nicht-staatliche Akteure ausgesetzt, die von der Regierung nicht wirksam untersucht würden.

2.5. Im Ergebnis würde die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes dazu führen, dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in den Irak gezwungen wäre, seine sexuelle Orientierung im Geheimen zu leben, um sich nicht der Gefahr von Diskriminierung, Verfolgung und körperlicher Schädigung auszusetzen.

Damit verkennt das Bundesverwaltungsgericht die Rechtslage hinsichtlich der Frage, ob eine asylrelevante Bedrohung auf Grund der sexuellen Orientierung vorliegt, in grundsätzlicher Weise. Es widerspricht der Anerkennung eines für die Identität so bedeutsamen Merkmals, auf das zu verzichten die Betroffenen nicht gezwungen werden dürfen, wenn von den Mitgliedern einer sozialen Gruppe, die die gleiche sexuelle Ausrichtung haben, verlangt wird, dass sie diese Ausrichtung geheim halten. Daher kann nicht erwartet werden, dass ein Asylwerber seine Homosexualität in seinem Herkunftsland geheim hält, um eine Verfolgung zu vermeiden (EuGH 7.11.2013, Rs C-199-201/12, X ua, Rz 70 f.; VfSlg 20.170/2017; VfGH 18.9.2014, E910/2014; 11.6.2019, E291/2019; 22.9.2020, E423/2020). Das Erkenntnis ist mit Willkür belastet und aufzuheben.

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 BVG zur Durchführung des Internationalen Abkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten. Ein Ersatz der Eingabegebühr ist nicht zuzusprechen, weil der Beschwerdeführer Verfahrenshilfe im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießt.

Schlagworte

Asylrecht, Homosexualität, Entscheidungsbegründung, Verhandlung mündliche

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:E1951.2021

Zuletzt aktualisiert am

07.12.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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