TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/26 W280 2119717-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 26.07.2021
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

26.07.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §13 Abs1
AsylG 2005 §13 Abs2 Z1
AsylG 2005 §13 Abs4
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §18 Abs1 Z1
BFA-VG §18 Abs5
BFA-VG §19
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1a
StGB §105 Abs1
StGB §125
StGB §126 Abs1
StGB §223 Abs2
StGB §83 Abs1
StGB §84
VwGVG §24 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W280 2119717-3/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Wolfgang BONT über die Beschwerde von XXXX alias XXXX , geb. XXXX .1993, StA. Ukraine, vertreten durch RA Mag. Eva VELIBEYOGLU, Columbusgasse 65/22, 1100 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX .2021, Zl. XXXX , zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass sich in Spruchpunkt VII. die Aberkenung der aufschiebenden Wirkung auf § 18 Abs. 1 Z 1 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. Nr. 87/2012 (BFA-VG) stützt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (BF) reiste am XXXX .08.2014 illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz.

Mit Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA oder belangte Behörde) vom XXXX .02.2015 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung sowohl des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 als auch des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Ukraine abgewiesen und ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 nicht erteilt. Das Bundesamt erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung in die Ukraine gemäß § 46 FPG zulässig ist. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG sprach es aus, dass die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom XXXX .05.2016 als unbegründet ab. Eine dagegen erhobene außerordentliche Revision wurde vom Verwaltungsgerichtshof (VwGH) am XXXX .09.2016 als unzulässig zurückgewiesen.

Am XXXX .01.2017 stellte der BF einen Folgeantrag auf internationalen Schutz, den das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Bescheid vom XXXX .10.2017 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abwies; unter einem erkannte es dem BF gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte diesem eine bis zum XXXX .10.2018 befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005.

Mit Bescheid des BFA vom XXXX .12.2018 wurde dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt, die befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 entzogen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 9 Abs. 2 und 3 BFA-VG für auf Dauer unzulässig erklärt und dem BF eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 erteilt.

Aufgrund eines Strafantrages, einer Anzeige sowie der Verständigung der Verhängung der Untersuchungshaft über den BF ab XXXX .07.2019 leitete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein fremdenpolizeiliches Verfahren gegen diesen ein.

Im Rahmen dessen setzte es ihn mit Schreiben vom XXXX .07.2019 über die beabsichtigte Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbots in Kenntnis und räumte ihm die Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme, insbesondere in Hinblick auf das gegen ihn geführte Strafverfahren, ein.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom XXXX .08.2019 zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 15 Monaten, hiervon 12 Monate bedingt nachgesehen auf eine Probezeit von 3 Jahren, verurteilt.

Nachdem in weiterer Folge keine Stellungnahme beim Bundesamt einlangte, erließ es mmit Bescheid vom XXXX .08.2019 gegen den BF gemäß § 52 Abs. 4 FPG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt I.), stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG die Zulässigkeit der Abschiebung in die Ukraine fest (Spruchpunkt II.), erließ gemäß § 53 Abs. 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt III.), gewährte gemäß § 55 Abs. 4 FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt IV.) und erkannte einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt V.).

Gegen diesen Bescheid erhob der BF über seinen Rechtsanwalt am XXXX .09.2019 vollinhaltlich Beschwerde und führte im Wesentlichen aus, dass die Rückkehrentscheidung sowie das Einreiseverbot seinem Recht auf Achtung des privat- und Familienlebens gemäß Art. 8 EMRK widerspräche. Dies unter Hinweis auf seine Aufenthaltsdauer, sein Alter zum Zeitpunkt der Einreise ins Bundesgebiet, sein soziales Umfeld. Sein Wohlverhalten bis zur einmaligen strafgerichtlichen Verurteilung und seinen psychischen Zustand. Darüber hinaus sei er wegen seiner Mitgliedschaft bei einer Organisation zur Korruptionsbekämpfung in der Ukraine an „Leib und Leben“ massiv gefährdet.

Am XXXX .11.2019, sohin zwei Tage vor dem festgelegten und dem BF bekanntgegebenen Abschiebetermin, stellte der BF sodann einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz und führte in der Erstbefragung zu seinen Fluchtgründen aus, dass er früher bei einem Antikorruptionskomitee gearbeitet habe und dem er noch immer angehöre. Wenn er in seine Heimat zurückgebracht werde, so bestehe für ihn Lebensgefahr, da jene Personen, die er während seiner Tätigkeit in diesem Komitee verfolgt hätte, nunmehr ihn verfolgen würden. Die Personen könnten ihn zu einem Krüppel machen oder umbringen. Bei diesen Personen handle es sich um solche, die er ins Gefängnis gebracht habe. Hochrangige Polizeibeamte und Menschen, die mit Korruption und Drogenhandel zu tun hätten und sohin eine massive Gefahr für sein Leben darstellen würden.

Außerdem habe er von seinem Arbeitgeber eine Arbeitsbestätigung die vom XXXX .10.2019 datiere. In dieser Bestätigung stünde, dass die ukrainischen Behörden den Staat Österreich ersucht hätten dem BF zu helfen und dass wegen dessen professionellen Tätigkeiten eine reelle Lebensgefahr für ihn nach einer Rückkehr in die Ukraine bestehe.

Wegen seiner professionellen Tätigkeit sei es ihm bisher nicht möglich gewesen darüber zu sprechen. Vor kurzem habe er jedoch seinen Arbeitgeber kontaktiert, diesem alles erzählt und habe ihm dieser folglich erlaubt darüber zu reden und habe ihm mehrere Beweise geschickt.

Mit Mandatsbescheid vom XXXX .11.2019 wurde seitens des BFA gemäß §12a Abs. 4 AsylG festgestellt, dass die Voraussetzungen des § 12 Abs. 4 Zif 2 AsylG nicht vorliegen würden und ihm der faktische Abschiebeschutz nicht zuerkannt und der BF am XXXX .11.2019 in die Ukraine abgeschoben.

Mit Erkenntnis vom XXXX .12.2019, Zl. W237 2119717-2/10E, hob das BVwG den angefochtenen Bescheid vom XXXX .08.2019 betreffend die Erlassung einer Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem Einreiseverbot auf und führte begründend im Wesentlichen aus, dass im Rahmen eines Rückkehrentscheidungsverfahren keine abschließende Prüfung eines allfälligen Gefährdungsszenarios erfolge. Der BF habe im Verfahren über die Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung geltend gemacht, dass er in der Ukraine mit massiver physischer Gewalt bedroht sei, er deshalb einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe und über diesen bislang noch nicht rechtskräftig abgesprochen worden sei.

Die dagegen erhobene Amtsrevision wurde mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19.11.2020, Ra 2020/21/0041-5, zurückgewiesen.

Die belangte Behörde nahm folglich das Verfahren betreffend den am XXXX .11.2019 gestellten Antrag auf internationalen Schutz wiederum auf.

Mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom XXXX .01.2020, wurde der BF zu einer Zusatz-Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt. Die Freiheitsstrafe wurde unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren nachgesehen.

Am XXXX .04.2021 wurde der BF sodann im Rahmen des wiederaufgenommenen Asylverfahrens im Rahmen einer niederschriftlichen Einvernahme im Beisein seiner rechtsfreundlichen Vertretung sowie einer Dolmetscherin der ukrainischen Sprache befragt.

Im Zuge der Befragung gab der BF zu den Gründen des Verlassens seines Heimatlandes und den Asylgründen befragt an, dass er erstmals im Jahre 2014 einen Asylantrag gestellt habe. Damals habe er nicht sagen können, dass er wegen seiner Arbeit hier in Österreich sei, sondern habe angegeben, dass er vom Militär geflüchtet sei. Beim zweiten Asylantrag habe er angegeben, wegen seiner Tätigkeit für Antikorruption in Österreich zu sein und habe seine beruflichen Unterlagen vorgelegt. Es sei für ihn gefährlich. Er habe in Österreich eine Firma und sei sein Lebensmittelpunkt in Österreich. Er sei hier integriert und habe viele Freunde in Österreich.

Bei seiner letzten Rückkehr sei er geschlagen worden und sei dies auf seinem Personalausweisfoto ersichtlich. Er habe einen Polizisten ins Gefängnis gebracht der korrupt gewesen sei, woraufhin ihn dessen Leute geschlagen hätten. Dies habe sich drei Tage nach seiner Rückkehr in die Ukraine zugetragen. Er befürchte in der Ukraine von diesen Leuten gefunden zu werden und dass sich der Polizist, für dessen Inhaftierung er verantwortlich sei, sich an ihm rächen werde. Die Inhaftierung habe sich zu einem ihm nicht mehr erinnerlichen Zeitpunkt jedoch vor 2014 zugetragen. Die Ukraine sei kein sicherer Herkunftsstaat und nicht willens Schutz zu gewähren.

Eine Unterkunftnahme in einem anderen Landesteil wäre vermutlich möglich gewesen, sofern er seine Identität getauscht hätte. Mit seiner richtigen Identität würden ihn diese Leute jedoch überall finden.

Er sei in seinem Herkunftsstaat weder vorbestraft, noch werde er von ukrainischen Behörden gesucht oder habe von staatlicher Seite wegen seiner politischen Gesinnung oder seiner Religion Verfolgung zu gewärtigen.

Zu seinen finanziellen Mitteln befragt, gab der BF an, dass er in Österreich auf einer Baustelle arbeite und auch eine Reinigungs- und Hausbetreuungsfirma betreibe. Er habe in Österreich einen A 2 Deutschkurs und einen Kurs beim BIFI sowie auf der Universität Salzburg einen Universitätslehrgang für zwei Semester besucht. Er engagiere sich beim Roten Kreuz und bei der Nachbarschaftshilfe, habe viele Freunde und Bekannte im Bundesgebiet. Eine Einsichtnahme in die Länderfeststellungen des BFA zur Ukraine lehnte der BF ab.

Von der dem BF eingeräumten Frist zu einer schriftlichen Stellungnahme machte dieser durch seine Rechtsvertretung am XXXX .05.2021 Gebrauch. In dieser führt der BF zu seinen Gründen betreffend das Verlassen seines Heimatstaates aus, dass sich sein Lebensmittelpunkt in Österreich befinde, weshalb ihn eine Rückkehr in sein Heimatland unbillig hart treffen würde. Des Weiteren drohe auch die Gefahr einer staatlichen Verfolgung. Es bestünde eine begründete Furcht vor Verfolgung, weil der BF im Rahmen seiner Tätigkeit als Korruptionsbekämpfer ein Exekutivorgan, nämlich einen korrupten Polizisten, verhaften habe lassen, weshalb er auch auf brutale Art und Weise von korrupten Polizisten verprügelt worden sei. Im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat drohe dem BF ein ernsthafter Schaden, da er aufgrund seines Engagements gegen Korruption der akuten Gefahr der Verfolgung ausgesetzt sei. Insbesondere Angehörige der Polizei hätten den BF bereits bei seiner vorherigen Rückkehr auf brutale Art und Weise misshandelt. In dessen Heimat würden die Menschenrechte und die menschlichen Werte nicht respektiert und geachtet. Der BF habe eine uneingeschränkt bejahende Einstellung zur Republik Österreich, habe kein Naheverhältnis zu einer extremistischen oder terroristischen Gruppierung und stelle keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit dar. Er identifiziere sich voll und ganz mit den Grundwerten der Republik Österreich, ihrer Rechtsordnung und ihrer Gesellschaft.

Die belangte Behörde erließ sodann am XXXX .2021 den nunmehr angefochtenen Bescheid, mit dem der Antrag des BF auf Zuerkennung von internationalem Schutz vom XXXX .11.2019 hinsichtlich der Zuerkennung sowohl des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 als auch des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Ukraine abgewiesen und ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 AsylG 2005 nicht erteilt wurde. Das Bundesamt erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung in die Ukraine gemäß § 46 FPG zulässig ist. Gemäß § 55 Abs. 1a sprach die belangte Behörde aus, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe und erkannte einer Beschwerde gegen diese Entscheidung über den beantragten internationalen Schutz die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs. 1 Z 2 BFA-VG ab. Des Weiteren wurde festgestellt, dass der BF gemäß § 13 Abs. 2 Z 1 AsylG das Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 14.08.2019 verloren habe.

Die belangte Behörde führte begründend im Wesentlichen an, dass der BF die Ukraine wegen Bedrohungen durch Privatpersonen verlassen habe. Insofern der BF angäbe, dass er drei Tage nach seiner Rückkehr in die Ukraine am XXXX .11.2019, von Leuten eines korrupten Polizisten, der aufgrund der Zusammenarbeit des BF mit der Exekutive bei der Antikorruptionsbekämpfung vor seiner Ausreise aus der Ukraine im Jahr 2014 ins Gefängnis gekommen sei und er sohin nicht in der Ukraine bleiben könne, so sei dies nicht nachvollziehbar. Dies deshalb, als der BF vor seiner Rückkehr am 28.11.2019, zuletzt 2014 in der Ukraine gewesen sei und es nicht schlüssig sei, dass Privatpersonen von dieser Rückkehr Kenntnis erlangt haben sollten.

Auch habe es der BF trotz seiner langjährigen Zusammenarbeit mit der ukrainischen Polizei und Behörden unterlassen sich an staatliche Stellen zu wenden.

Hinsichtlich seiner Rückkehrbefürchtungen habe der BF angeben, dass er Angst habe, dass diese „Leute“ (Bekannte des korrupten Polizisten) ihn erneut finden würden. An ein genaues Datum der Inhaftierung des besagten Polizisten könne sich der BF nicht mehr erinnern, was indiziere, dass dies sich bereits vor seiner Ausreise aus der Ukraine im Jahr 2014 ereignet habe.

Eine nach wie vor bestehende Bedrohung wegen dieses Vorfalles sei nicht nachvollziehbar. Nach den eigenen Angaben des BF sei es diesem möglich in einem anderen Landesteil der Ukraine Unterkunft zu nehmen, wobei damit wohl eine Änderung seiner Identität verbunden sein müsste.

Aufgrund der langjährigen Zusammenarbeit mit den ukrainischen Behörden und er dortigen Polizei im Antikorruptionsbereich sei davon auszugehen, dass der BF bei seiner Rückkehr Hilfe von staatlichen Stellen erhalte und dieser sohin keiner staatlichen Verfolgung ausgesetzt sei. Andere Gründe für eine Verfolgung seien nicht geltend gemacht worden.

Mit dem am XXXX .07.2021 eingebrachten Schriftsatz wurde gegen den oben angeführten Bescheid der belangten Behörde seitens der gewillkürten Vertreterin des BF fristgerecht die verfahrensgegenständliche Beschwerde eingebracht. Der angeführte Bescheid wurde darin in seinem gesamten Umfang angefochten und dies mit einer inhaltlich falschen Entscheidung und mangelhafter Verfahrensführung durch die belangte Behörde begründet.

So habe der BF in seiner Einvernahme detailliert dargelegt, dass er im Falle seiner Rückkehr in die Ukraine von einem korrupten Polizisten, den er ins Gefängnis gebracht habe und dadurch dessen Leben zerstört hätte bzw. dessen Handlangern verfolgt und zumindest misshandelt werde.

Obwohl der BF sehr detailliert mit Einzelheiten die Gefährdung seines Lebens durch den Polizisten dargelegt habe, so habe das BFA lapidar festgestellt, dass es das Vorbringen des BF, wonach dieser die Ukraine wegen Bedrohungen von Privatpersonen verlassen habe, nicht für wahr erachte. Bei einem Polizeibeamten handle es sich um keine Privatperson. Das BFA sei der Meinung, dass der BF im Falle seiner Rückkehr Hilfe von staatlicher Seite erhalten würde und es dem BF jederzeit möglich gewesen wäre, die ukrainische Polizei heranzuziehen. Der BF habe jedoch bei seiner Einvernahme angegeben, dass es in der Ukraine keine Chance gäbe.

Das BFA spreche dem BF in seinem Vorbringen ganz allgemein die Glaubwürdigkeit zur Gänze ab und erscheine es der belangten Behörde nicht nachvollziehbar, dass der BF wegen dieses Vorfalls nach wie vor einer Bedrohung ausgesetzt sei. Wenn die belangte Behörde darauf verweise, dass der BF nach eigenen Angaben in einem anderen Landesteil der Ukraine Unterkunft finden könne, so habe der BF dies nie gesagt. Vielmehr sei er diese gefragt worden, ob der BF versucht habe in der Ukraine in einem anderen Landesteil Unterkunft zu nehmen. Dieser habe sodann geantwortet, dass dies nur gegangen wäre, wenn er seine Identität getauscht hätte.

Auch sei seitens der belangten Behörde nicht gewürdigt worden, dass der BF angegeben habe bei der Nachbarschaftshilfe tätig zu sein, die Behörde jedoch davon ausgehe, dass dieser kein Mitglied bei einem Verein oder einer Organisation sei. Ebenso sei die Behörde davon ausgegangen, dass der BF in Österreich keiner Beschäftigung nachgehe, obwohl dieser angegeben habe auf einer Baustelle zu arbeiten.

Die belangte Behörde habe es auch unterlassen von Amts wegen die Voraussetzungen wegen § 55 AsylG zu prüfen. Eine Prüfung der Voraussetzungen nach § 57 AsylG reiche keinesfalls aus. Da es sich nicht um eine reine Rechtsfrage handle, sondern um die richtige Beweiswürdigung und die Abwägung aller berührten Interessen sei eine mündliche Verhandlung vor dem BVwG unumgänglich.

Das BFA legte dem Bundesverwaltungsgericht den den BF betreffenden Verwaltungsakt samt gegenständlicher Beschwerde am XXXX .07.2021, einlangend am XXXX .07.2021, vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

Der BF wurde am XXXX .1993 geboren, ist Ukrainischer Staatsangehöriger und der ukrainischen Volksgruppe zugehörig. Er gehört dem christlich-orthodoxen Glauben an. Seine Identität steht fest.

Festgestellt wird, dass der BF im August 2014 unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet einreiste und sich seit diesem Zeitpunkt bis zu seiner Abschiebung am XXXX .11.2019 im Bundesgebiet aufgehalten hat.

Der BF stellte am XXXX .08.2014 erstmals einen Antrag auf internationalen Schutz der, nach Erhebung des Rechtsmittels der Beschwerde vom BVwG am XXXX .05.2016 abgewiesen wurde. Der VwGH hat folglich eine dagegen erhobene außerordentliche Revision mit Beschluss vom 14.09.2016, Ra 2016/18/0107-7, als unzulässig zurückgewiesen.

Ein vom BF am XXXX .01.2017 gestellter Folgeantrag wurde mit Bescheid des BFA vom XXXX .10.2017 hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten abgewiesen, diesem jedoch der Staus eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und dem BF eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis XXXX .10.2018 erteilt.

Mit Bescheid des BFA vom XXXX .12.2018 wurde dem BF der Status eines subsidiär Schutzberechtigten aberkannt, diesem die befristet erteilte Aufenthaltsberechtigung entzogen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig erklärt und dem BF eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 erteilt.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom XXXX .2019, XXXX , wurde der BF wegen versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt gemäß §§ 15, 269 Abs. 1 StGB, wegen versuchter schwerer Körperverletzung gemäß §§ 15, 83 Abs. 1 84 Abs. 2 und 4 StGB und wegen schwerer Sachbeschädigung gemäß §§ 125, 126 Abs. 1 Zif 5 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 15 Monaten, hiervon 12 Monate bedingt nachgesehen auf eine Probezeit von 3 Jahren, verurteilt.

Aufgrund der Delinquenz des BF wurde gegen diesen vom BFA mit Bescheid vom XXXX .08.2019 Rückkehrentscheidung erlassen, die Zulässigkeit der Abschiebung in die Ukraine festgestellt und ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Einreiseverbot ausgesprochen, keine Frist für eine freiwillige Ausreise zuerkannt und einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt.

Am XXXX .11.2019, sohin zwei Tage vor dem festgelegten und dem BF bekanntgegebenen Abschiebetermin, stellte der BF den gegenständlichen dritten Antrag auf internationalen Schutz.

Mit Mandatsbescheid vom XXXX .11.2019 stellte das BFA fest, dass die Voraussetzungen des § 12 Abs. 4 Zif 2 AsylG nicht vorliegen würden und erkannte diesem den faktischen Abschiebeschutz ab.

Am XXXX .11.2019 wurde der BF in die Ukraine abgeschoben.

Der Bescheid des BFA vom XXXX .08.2019 wurde mit Erkenntnis des BVwG vom 13.12.2019, Zl. W237 2119717-2/10E, ersatzlos behoben.

Nach der ersatzlosen Behebung der Rechtsgrundlage für die Abschiebung des BF in die Ukraine durch das Erkenntnis des BVwG vom 13.12.2019 reiste der BF vermutlich am XXXX .12.2019 wiederum nach Österreich ein und ist seither wiederum im Bundegebiet aufhältig.

Das Verfahren betreffend den dritten Asylantrag wurde von der belangten Behörde nach Erhebung der Amtsrevision gegen das Erkenntnis des BVwG vom XXXX .12.2019 und die Zurückweisung durch den VwGH wiederum aufgenommen.

Mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom XXXX .2020, XXXX rechtskräftig mit XXXX .01.2020, wurde der BF wegen des Vergehens der versuchten Körperverletzung nach den §§ 15 Abs. 1, 83 Ans. 1 StGB, wegen des Vergehens der Urkundenfälschung nach § 223 Abs. 2 StGB und des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer Zusatz-Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt. Die Freiheitsstrafe wurde unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren nachgesehen.

Dieser Verurteilung lag zugrunde, dass der BF am XXXX .10.2018 eine männliche Person vorsätzlich durch das Versetzen von Faustschlägen gegen den Oberkörper sowie das Treten gegen die Beine am Körper verletzt hat, wobei es beim Versuch gebelieben ist, dieser am XXXX .02.2019 bei einer Verkehrskontrolle gegenüber den Polizeibeamten einen total gefälschten ukrainischen Führerschein, sohin eine falschen Urkunde, vorgelegt hat und am XXXX .12.2018 eine weitere männliche Person vorsätzlich durch das Versetzen von mehreren Faustschlägen am Körper verletzt hat, wodurch diese einen Bruch des Nasenbeins ohne Dislokation der Bruchenden und eine blutende Wunde am rechten Ohr erlitt.

Mit Rücksicht auf das Urteil zu XXXX des Landesgerichtes XXXX vom XXXX .2019 wurde bei den Strafzumessungsgründen mildern die reumütige, geständige Verantwortung sowie dass es bei den Taten teilweise beim Versuch geblieben war, erschwerend das Aufeinandertreffen dreier Vergehen sowie die Tatbegehung während der Probezeit gewertet.

Der BF besitzt einen am XXXX .12.2019 ausgestellten und bis 10.Dezember 2029 gültigen ukrainischen Reisepass, ist der Volksgruppe der Ukrainer zugehörig und christlich-orthodoxen Glaubens.

Er hat neben seiner ukrainischen Muttersprache Kenntnisse der Russischen, der Moldawische, Deutschen und Rumänischen Sprache.

Anlässlich seines letzten Aufenthaltes in der Ukraine hielt sich dieser an der Adresse XXXX in der ukrainischen Stadt XXXX auf.

Die Kernfamilie des BF, sohin dessen ca. 55jähriger Vater und seine zwei Schwestern im Alter von ca. 25 und 15 Jahren, sind ebenfalls in der ukrainischen Stadt XXXX wohnhaft. Seine ca. 47 Jahre alte Mutter arbeitet in XXXX . Die anderen Mitglieder der Kernfamilie sind ohne Beschäftigung, die jüngere Schwester besucht noch die Schule. Die Familie besitzt mehrere Häuser in der Ukraine.

Der BF selbst ist nicht verheiratet, hat ein gutes Verhältnis und Kontakt zu seinen Angehörigen in seinem Herkunftsstaat und verfügt über einen Freundes- und Bekanntenkreis in seinem Herkunftsstaat, zu welchem dieser ebenfalls Kontakt hat.

Im Bundesgebiet ist eine Tante des BF aufhältig, zu der jedoch kein Kontakt besteht.

Nach der 11-jährigem Schulbesuch absolvierte der BF 3 Jahre ein College und studierte Architektur ohne dieses Studium abzuschließen. Darüber hinaus absolvierte der BF einen Lehrgang betreffen Antikorruptionsmaßnahmen.

Festgestellt wird, dass der BF in XXXX und in XXXX mit den ukrainischen Behörden und der Exekutive im Bereich Antikorruption zusammengearbeitet hat.

Der BF ist in seinem Herkunftsstaat weder vorbestraft, noch wird er von ukrainischen Behörden gesucht oder habe von staatlicher Seite wegen seiner politischen Gesinnung oder seiner Religion Verfolgung zu gewärtigen.

In Österreich ist weist der BF seit November 2017 bis dato neun verschiedene Beschäftigungsverhältnisse auf. Seit XXXX .05.2019 hat der BF im Bundesgebiet ein freies Gewerbe (Hausbetreuung, bestehend in der Durchführung einfacher Reinigungstätigkeiten einschließlich objektbezogener einfacher Wartungstätigkeiten) angemeldet.

Der BF verfügt auch in Österreich über einen entsprechenden Freundeskreis, engagierte sich beim Roten Kreuz und betätigt sich in der Nachbarschaftshilfe.

Hinsichtlich seines Vorbringens, wonach er in Verfolg zu seiner Abschiebung in die Ukraine von einem korrupten Polizisten nahestehenden Leuten misshandelt worden sei, wird festgestellt, dass der BF sich nicht an staatliche Stellen betreffend die Erlangung von Hilfe gewendet hat.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF im Falle einer Rückkehr in die Ukraine aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht wäre. Im Entscheidungszeitpunkt konnte keine aktuelle Gefährdung des BF in der Ukraine festgestellt werden.

Ebenfalls nicht festgestellt werden kann, dass der BF im Fall seiner Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation in seinem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen würde oder von der Todesstrafe bedroht wäre.

In diesem Zusammenhang wird insbesondere auch hervorgehoben, dass der BF unter keinen schwerwiegenden Krankheiten leidet und arbeitsfähig ist.

Zur Lage im Herkunftsstaat:

Politische Lage

Letzte Änderung: 09.07.2020

Die Ukraine ist eine parlamentarisch-präsidiale Republik. Staatsoberhaupt ist seit 20. Mai 2019 Präsident Wolodymyr Selenskyj (AA 6.3.2020). Beobachtern zufolge verlief die Präsidentschaftswahl am 21. April 2019 im Großen und Ganzen frei und fair und entsprach generell den Regeln des demokratischen Wettstreits. Kritisiert wurden unter anderem die unklare Wahlkampffinanzierung und die Medienberichterstattung in der Wahlauseinandersetzung (KP 22.4.2019).

Auf der russisch besetzten Halbinsel Krim und in den von Separatisten kontrollierten Gebieten im

Donbas fanden keine Wahlen statt (FH 4.3.2020; vgl. USDOS 11.3.2020).

2019 war ein Superwahljahr in der Ukraine. Am 31. März fanden die Präsidentschaftswahlen statt; Parlamentswahlen waren ursprünglich für den 27. Oktober 2019 angesetzt. Nach der Inauguration des Präsidenten Selenskyj wurde das Parlamaent aufgelöst. Die vorgezogenen Parlamentswahlen fanden am 21. Juli 2019 statt (GIZ 3.2020a). Selenskyjs Partei „Sluha Narodu“ (Diener des Volkes) gewann 254 von 450 Sitzen. Die Wahlbeteiligung war mit knapp 50% geringer als vor fünf Jahren. Die OSZE sprach trotz des klaren Ergebnisses von einer fairen Konkurrenz. Zwar bemängelte sie fehlende Transparenz bei der Finanzierung des Wahlkampfs, insgesamt registrierten die Wahlbeobachter bei der Abstimmung allerdings keine gröberen Verstöße (FH 4.3.2020; vgl. BAMF 22.7.2019, DS 22.7.2019). Es wurden sechs Fraktionen gebildet:

„Diener des Volkes“ mit 254 Sitzen, die Oppositionsplattform „Für das Leben“ mit 44 Sitzen, Europäische Solidarität (Ex-Block Poroschenko) mit 27 Sitzen, Batkivshchyna (Julia Timoschenkos Partei) mit 25 Sitzen, Holos (Stimme) mit 17 Sitzen und schließlich die aus unabhängigen Abgeordneten

bestehende Fraktion „Für die Zukunft“ mit 23 Sitzen (KP 29.8.2019). Auf der Krim und in den von Separatisten kontrollierten Teilen des Donbas konnten die Wahlen nicht stattfinden; folglich wurden nur 424 der 450 Sitze im Parlament besetzt. Darüber hinaus sind rund eine Million ukrainische Bürger nicht wahlberechtigt, weil sie keine registrierte Adresse haben (FH 4.3.2020).

Die nach der „Revolution der Würde“auf dem Kiewer Maidan im Winter 2013/2014 und der Flucht von Wiktor Janukowytsch von Präsident Poroschenko verfolgte europafreundliche Reformpolitik wird durch Präsident Selenskyj verstärkt fortgesetzt. Grundlage bildet ein ambitioniertes Programm für fast alle Lebensbereiche. Schwerpunkte liegen u.a. auf Korruptionsbekämpfung, Digitalisierung, Bildung und Stimulierung des Wirtschaftswachstums. Selenskyj kann sich dabei auf eine absolute Mehrheit im Parlament stützen. Diese Politik, maßgeblich von der internationalen Gemeinschaft unterstützt, hat über eine Stabilisierung der Verhältnisse im Inneren zu einer Annäherung an europäische Verhältnisse geführt (AA 29.2.2020).

Während des ersten Jahres seiner Amtszeit war Präsident Selenskyj mit einigen Herausforderungen

konfrontiert (RFE/RL 20.4.2020; vgl. Brookings 20.5.2020). Zwar liegt seine Popularität nicht mehr bei den historischen 70% Unterstützung, die er einst genoss; Umfragen zeigen jedoch, dass seine Zustimmungswerte immer noch höher sind als die aller seiner Vorgänger (RFE/RL 25.4.2020). Im März 2020 gestaltete er die Regierung um, nachdem Ministerpräsident Hon?aruk seinen Rücktritt bekanntgegeben hatte (DW 3.3.2020; vgl. Brookings 20.5.2020).

Seit 4. März 2020 ist Denys Schmyhal neuer Ministerpräsident und somit Regierungschef (AA 6.3.2020). Dem neuen Kabinett fehlt jedoch die Glaubwürdigkeit in Bezug auf die Reformen und Mitglieder der alten Eliten sind in Machtpositionen zurückgekehrt. Ob und wie stark das Kabinett Veränderungen durchsetzen wird, muss sich erst zeigen (Brookings 20.5.2020).

Das ukrainische Parlament (Verkhovna Rada) wurde bisher über ein Mischsystem zur Hälfte nach Verhältniswahlrecht und zur anderen Hälfte nach Mehrheitswahl in Direktwahlkreisen gewählt. Das gemischte Wahlsystem wird als anfällig für Manipulation und Stimmenkauf kritisiert. Ukrainische Oligarchen üben durch ihre finanzielle Unterstützung für verschiedene politische Parteien einen bedeutenden Einfluss auf die Politik aus (FH 4.3.2020). Im Dezember 2019 wurde vom Parlament ein neues Wahlgesetz beschlossen. Es sieht teils ein Verhältniswahlsystem mit offenen Parteilisten sowohl für Parlaments- als auch für Kommunalwahlen vor (FH 4.3.2020).

Quellen:

• AA – Auswärtiges Amt (6.3.2020): Ukraine: Steckbrief, https://www.auswaertiges-amt.de/de/ausse

npolitik/laender/ukraine-node/steckbrief/201830 , Zugriff 25.5.2020

• AA – Auswärtiges Amt (29.2.2020): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine (Stand: Januar 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2027985/Deutschland___Ausw%

C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl- und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Ukraine_%28Stand_Januar_2020%29%2C_29.02.2020.pdf , Zugriff 19.5.2020

• BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (22.7.2019): Briefing Notes, per E-Mail

• Brookings Institution (20.5.2020): Zelenskiy’s first year: New beginning or false dawn?, https:

//www.brookings.edu/blog/order-from-chaos/2020/05/20/zelenskiys-first-year-new-beginning-or-fa

lse-dawn/ , Zugriff 22.5.2020

• DS – Der Standard (22.7.2019): Diener des Volkes werden Kiew regieren, https://www.derstandar

d.at/story/2000106566433/diener-des-volkes-werden-kiew-regieren , Zugriff 25.5.2020

• DW – Deutsche Welle (3.3.2020): Ukraine Prime Minister Oleksiy Honcharuk resigns for second time, https://www.dw.com/en/ukraine-prime-minister-oleksiy-honcharuk-resigns-for-second-time/a -52628402 , Zugriff 25.5.2020

• FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - Ukraine, https://www.ecoi.net/de/

dokument/2025958.html , Zugriff 19.5.2020

• FH - Freedom House (6.5.2020): Nations in Transit 2020 - Ukraine, https://www.ecoi.net/de/doku

ment/2029666.html , Zugriff 25.5.2020

• GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2020a): Länderinformationsportal, Ukraine, Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/ukraine/geschichte-staat/#c4037 , Zugriff 22.5.2020

• Jamestown Foundation (24.2.2020): Looming Confrontation in President Zelenskyy’s Entourage Could Lead to Reset of Ukrainian Government, https://jamestown.org/program/looming-confront ation-in-president-zelenskyys-entourage-could-lead-to-reset-of-ukrainian-government/ , Zugriff 25.5.2020

• KP – Kyiv Post (29.8.2019): Ukraine’s new parliament sworn in, Dmytro Razumkov becomes

speaker, https://www.kyivpost.com/ukraine-politics/ukraines-new-parliament-sworn-in.html?cn-re

loaded=1 , Zugriff 25.5.2020

• RFE/RL – Radio Free Europe / Radio Liberty (30.8.2019): Ukraine’s Zelenskiy Inducts Politically Untested Government, https://www.rferl.org/a/ukraine-zelenskiy-new-government-honcharuk/301

37220.html , Zugriff 25.5.2020

• RFE/RL – Radio Free Europe, Radio Liberty (25.4.2020): Zelenskiy’s First Year: He Promised

Sweeping Changes. How’s He Doing?, https://www.rferl.org/a/zelenskiys-first-year-he-promisedsweeping- changes-how-s-he-doing-/30576329.html , Zugriff 25.5.2020

• USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 -

Ukraine, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026415.html , Zugriff 19.5.2020

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 09.07.2020

In den von Separatisten kontrollierten Gebieten Donezk und Luhansk sowie auf der Krim haben ukrainische Behörden und Amtsträger zurzeit keine Möglichkeit, ihre Befugnisse wahrzunehmen und staatliche Kontrolle auszuüben (AA 29.2.2020).

Die Sicherheitslage außerhalb der besetzten Gebiete im Osten des Landes ist im Allgemeinen stabil. Allerdings gab es in den letzten Jahren eine Reihe von öffentlichkeitswirksamen Attentaten und Attentatsversuchen, von denen sich einige gegen politische Persönlichkeiten richteten (FH 4.3.2020). In den von der ukrainischen Regierung kontrollierten Teilen der Gebiete Donezk und Luhansk wurde nach Wiederherstellung der staatlichen Ordnung der Neuaufbau begonnen. Die humanitäre Versorgung der Bevölkerung ist sichergestellt (AA 29.2.2020).

Russland hat im März 2014 die Krim annektiert und unterstützt seit Frühjahr 2014 die selbst erklärten separatistischen „Volksrepubliken“ im Osten der Ukraine. Seit Beginn der bewaffneten Auseinandersetzungen im Osten sind über 13.000 Menschen getötet und rund 30.000 Personen verletzt worden, davon laut OHCHR zwischen 7.000 und 9.000 Zivilisten. 1,5 Mio. Binnenflüchtlinge

sind innerhalb der Ukraine registriert; nach Schätzungen von UNHCR sind weitere 1,55 Mio. Ukrainer in Nachbarländer (Russland, Polen, Belarus) geflohen (AA 29.2.2020). Das im Februar 2015 vereinbarte Maßnahmenpaket von Minsk wird weiterhin nur schleppend umgesetzt.

Die Sicherheitslage hat sich seither zwar deutlich verbessert, Waffenstillstandsverletzungen an der Kontaktlinie bleiben aber an der Tagesordnung und führen regelmäßig zu zivilen Opfern und Schäden an der dortigen zivilen Infrastruktur. Schäden ergeben sich auch durch Kampfmittelrückstände (v.a. Antipersonenminen). Mit der Präsidentschaft Selenskyjs hat der politische Prozess im Rahmen der Trilateralen Kontaktgruppe (OSZE, Ukraine, Russland), insbesondere nach dem Pariser Gipfel im Normandie-Format (Deutschland, Frankreich, Ukraine, Russland) am 9. Dezember 2019 wieder an Dynamik gewonnen. Fortschritte beschränken sich indes überwiegend auf humanitäre Aspekte (Gefangenenaustausch). Besonders kontrovers in der Ukraine bleibt die im Minsker Maßnahmenpaket vorgesehene Autonomie für die gegenwärtig nicht kontrollierten Gebiete, die unter anderem aufgrund der Unmöglichkeit, dort Lokalwahlen nach internationalen Standards abzuhalten, noch nicht in Kraft gesetzt wurde. Gleichwohl hat das ukrainische Parlament zuletzt die Gültigkeit des sogenannten „Sonderstatusgesetzes“ bis Ende 2020 verlängert (AA 29.2.2020).

Ende November 2018 kam es im Konflikt um drei ukrainische Militärschiffe in der Straße von Kertsch erstmals zu einem offenen militärischen Vorgehen Russlands gegen die Ukraine. Das als Reaktion auf diesen Vorfall für 30 Tage in zehn Regionen verhängte Kriegsrecht endete am 26.12.2018, ohne weitergehende Auswirkungen auf die innenpolitische Entwicklung zu entfalten.

(AA 22.2.2019; vgl. FH 4.2.2019). Die Besatzung der involvierten ukrainischen Schiffe wurde im September 2019 freigelassen, ihre Festnahme bleibt indes Gegenstand eines von der Ukraine angestrengten Verfahrens vor dem Internationalen Seegerichtshof (AA 29.2.2020).

Der russische Präsident, Vladimir Putin, beschloss am 24.4.2019 ein Dekret, welches Bewohnern der selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk den Erwerb der russischen Staatsbürgerschaft im Eilverfahren erleichtert ermöglicht. Demnach soll die Entscheidung der russischen Behörden über einen entsprechenden Antrag nicht länger als drei Monate dauern.

Internationale Reaktionen kritisieren dies als kontraproduktiven bzw. provokativen Schritt. Ukrainische Vertreter sehen darin die Schaffung einer rechtlichen Grundlage für den offiziellen Einsatz der russischen Streitkräfte gegen die Ukraine.

Dafür gibt es einen historischen Präzedenzfall. Als im August 2008 russische Truppen in Georgien einmarschierten, begründete der damalige russische Präsident Dmitrij Medwedjew das mit seiner verfassungsmäßigen Pflicht, „das Leben und die Würde russischer Staatsbürger zu schützen, wo auch immer sie sein mögen“. In den Jahren zuvor hatte Russland massenhaft Pässe an die Bewohner der beiden von Georgien abtrünnigen Gebiete Abchasien und Südossetien ausgegeben (FAZ 26.4.2019; vgl. SO 24.4.2019).

Frieden in der Ostukraine gehörte zu den zentralen Versprechen von Wolodymyr Selenskyj während seiner Wahlkampagne 2019. In der Tat gelangen ihm einige Durchbrüche innerhalb der ersten zehn Monate seiner Präsidentschaft. Es kam zu einem mehrmaligen Austausch von Gefangenen, zur Entflechtung der Streitkräfte beider Seiten an drei Abschnitten der Kontaktlinie, zu einer relativ erfolgreichen Waffenruhe im August 2019 und zum Normandie-Treffen unter Teilnahme des russischen, französischen und ukrainischen Präsidenten sowie der deutschen Bundeskanzlerin. An der Dynamik des Konfliktes hat sich jedoch wenig verändert. Im Donbas wird weiterhin geschossen und die gegenwärtigen Verluste des ukrainischen Militärs sind mit denen in den Jahren 2018 und 2019 vergleichbar. In den ersten drei Monaten 2020 starben 27 ukrainische Soldaten in den Kampfhandlungen (KAS 4.2020).

Quellen:

• AA – Auswärtiges Amt (29.2.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine (Stand: Januar 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2027985/Deutschland___Ausw% C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Ukraine_%28Stand_Januar_2020%29%2C_29.02.2020.pdf , Zugriff 19.5.2020

• FAZ – Frankfurter Allgemeine Zeitung (26.4.2019): Ein Signal an Selenskyj, https://www.faz.net/ak

tuell/politik/putin-verteidigt-russische-staatsbuergerschaft-fuer-ukrainer-16157482.html?printPage

dArticle=true#pageIndex_0 , Zugriff 25.5.2020

• FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - Ukraine, https://www.ecoi.net/de/

dokument/2025958.html , Zugriff 19.5.2020

• KAS – Konrad Adenauer Stiftung (4.2020): Ukrainische Politik im Schatten der Pandemie: Teil 1, https://www.ecoi.net/en/file/local/2028885/Ukrainische+Politik+im+Schatten+der+Pandemie.+T eil+1.pdf , Zugriff 25.5.2020

• SO – Spiegel Online (24.4.2019): Putins Provokation, https://www.spiegel.de/politik/ausland/ukrai

ne-wladimir-putin-kuendigt-an-russische-paesse-im-besetzten-donbass-auszuteilen-a-1264280.ht

ml , Zugriff 25.5.2020

Ostukraine

Letzte Änderung: 09.07.2020

In den von Separatisten kontrollierten Gebieten Donezk und Luhansk haben ukrainische Behörden und Amtsträger zurzeit keine Möglichkeit, ihre Befugnisse wahrzunehmen und staatliche Kontrolle auszuüben. Seit Beginn der bewaffneten Auseinandersetzungen sind über 13.000 Menschen getötet und rund 30.000 Personen verletzt worden, davon laut OHCHR zwischen 7.000 und 9.000 Zivilisten. 1,5 Mio. IDPs sind innerhalb der Ukraine registriert; nach Schätzungen von UNHCR sind weitere 1,55 Mio. Ukrainer in Nachbarländer geflohen (AA 29.2.2020).

An der Dynamik des Konfliktes hat sich wenig verändert, obwohl 2019 einige Durchbrüche gelangen, wie der mehrmalige Austausch von Gefangenen, die Entflechtung der Streitkräfte beider Seiten an drei Abschnitten der Kontaktlinie, und eine relativ erfolgreiche Waffenruhe im August 2019 (KAS 4.2020). Auch im April 2020 kam es wieder zu einem Gefangenenaustausch (RFE/RL 16.4.2020).

In den nicht von der ukrainischen Regierung kontrollierten Teilen der Oblaste Donezk und Luhansk kam es besonders 2014/15 zu schwersten Menschenrechtsverletzungen. Obwohl die Separatisten seither die öffentliche Ordnung und eine soziale Grundversorgung im Wesentlichen wiederhergestellt haben, werden zahlreiche Grundrechte (v.a. Meinungs- und Religionsfreiheit, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Eigentumsrechte) weiterhin systematisch missachtet (AA 29.2.2020).

In den selbsternannten Volksrepubliken Donezk (DPR) und Luhansk (LPR) gibt es seit 2014 keine unabhängige Justiz und das Recht auf ein faires Verfahren wird systematisch eingeschränkt. Es werden Inhaftierungen auf unbestimmte Zeit ohne gerichtliche Überprüfung und ohne Anklage oder Gerichtsverfahren berichtet. Bei Verdacht auf Spionage oder Verbindungen zur ukrainischen Regierung werden von Militärgerichten geheime Gerichtsverfahren abgehalten, gegen deren Urteile es nahezu keine Beschwerdemöglichkeit gibt und die Berichten zufolge lediglich dazu dienen, bei der Verfolgung von Personen einen Anschein von Legalität zu wahren.

Willkürliche Verhaftung sind in der DPR und der LPR weit verbreitet. 2018 wurde die Möglichkeit der Präventivhaft für 30 bis 60 Tage geschaffen, wenn eine Person an Verbrechen gegen die Sicherheit von DPR oder LPR beteiligt gewesen sein soll. Die Präventivhaft wird Angehörigen nicht mitgeteilt (incommunicado) und kein Kontakt zu einem Rechtsbeistand und Verwandten zugelassen. Der Zustand der Hafteinrichtungen in den separatistisch kontrollierten Gebieten verschlechtert sich weiter und wird als hart und teils lebensbedrohlich bezeichnet. Berichten zufolge existiert in den Gebieten Donezk und Luhansk in Kellern, Abwasserschächten, Garagen und Industrieunternehmen ein umfangreiches Netz inoffizieller Haftstätten. Es gibt Berichte über schweren Mangel an Nahrungsmitteln, Wasser, sanitären Einrichtungen und angemessener medizinischer Versorgung. Es gibt Berichte über systematische Übergriffe gegen Gefangene, wie körperliche Misshandlung, Folter, Hunger, sexuelle Gewalt, öffentliche Demütigung, Verweigerung der medizinischen Versorgung und Einzelhaft sowie den umfangreichen Einsatz von Gefangenen als Zwangsarbeiter zur persönlichen Bereicherung der separatistischen Anführer (USDOS 11.3.2020; vgl. FH 2020).

Im Donbas unterdrücken die Separatisten die Rede- und Pressefreiheit durch Belästigung, Einschüchterung, Entführungen und Übergriffe auf Journalisten und Medien (USDOS 11.3.2020; vgl. FH 2020, ÖB 2.2019). Die Separatisten verhindern auch die Übertragung ukrainischer und unabhängiger Fernseh- und Radioprogramme in von ihnen kontrollierten Gebieten. In der LPR sollen die Websites von mehr als 50 ukrainischen Nachrichtenagenturen blockiert worden sein.

Journalisten werden in der DNR genau überwacht, müssen die „Behörden“ der Separatisten z.B. über ihre Aktivitäten informieren oder werden von Mitgliedern bewaffneter Gruppen begleitet, wenn sie sich in der Nähe der Kontaktlinie bewegen. Es sind nur Demonstrationen zulässig, welche von den lokalen „Behörden“ unterstützt oder organisiert werden; oft mit erzwungener Teilnahme. In der DNR/LNR können nationale und internationale zivilgesellschaftliche Organisationen nicht frei arbeiten. Es gibt eine steigende Zahl von zivilgesellschaftlichen Organisationen, die von den Separatisten gegründet wurden (USDOS 11.3.2020).

Es gibt es eine massive Zerstörung von zivilem Eigentum und Infrastruktur in den Konfliktgebieten. Auch Schulen und medizinische Einrichtungen waren und bleiben weiterhin betroffen. Zuweilen ist vielerorts die Strom- und Wasserversorgung unterbrochen oder nur zeitweise gesichert, ohne die im Winter auch nicht geheizt werden kann. Aufgrund der fehlenden Rechtsstaatlichkeit in den Separatistengebieten sind dort Frauen besonders gefährdet. Es gibt Berichte über Missbrauch, Sexsklaverei und Menschenhandel (ÖB 2.2019). Die meisten LGBTI-Personen sind aus den separatistischen Teilen der Oblaste Donezk und Luhansk geflohen oder verstecken ihre sexuelle Orientierung bzw. Geschlechtsidentität (USDOS 13.3.2019). 2019 soll sich laut Berichten das soziale Stigma und die Intoleranz aufgrund der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität verschärft haben; v.a. aufgrund der Anwendung von Gesetzen, welche die „Propaganda gleichgeschlechtlicher Beziehungen“ kriminalisieren (USDOS 11.3.2020). Obwohl DNR und LNR in ihren Verfassungen Religionsfreiheit garantieren, sind Anhänger von Glaubensrichtungen, die nicht der russisch-orthodoxen Kirche angehören, Verfolgung ausgesetzt.

Am schlimmsten betroffen sind die Zeugen Jehovas, die 2018 als extremistische Organisation vollständig verboten wurden und deren Eigentum beschlagnahmt wurde (FH 2020). Die separatistischen Kräfte im Gebiet Donezk verboten die humanitäre Hilfe der ukrainischen Regierung und schränken die Hilfe internationaler humanitärer Organisationen ein. Infolgedessen sind Berichten zufolge die Preise für Grundnahrungsmittel für viele Personen, die auf dem von Russland kontrollierten Gebiet verblieben, zu hoch. Menschenrechtsgruppen berichten auch über einen ausgeprägten Mangel an Medikamenten, Kohle und medizinischen Hilfsgütern. Es kommen weiterhin Konvois der russischen „humanitären Hilfe“ an, die nach Ansicht der ukrainischen Regierungsbeamten aber Waffen und Lieferungen für die separatistischen Streitkräfte enthalten (USDOS 11.3.2020). Die laufende Handelsblockade zwischen den besetzten Gebieten in der Ostukraine und dem Rest der Ukraine dämpfte, kombiniert mit Korruption und anhaltenden Kampfhandlungen, die Bemühungen zur Wiederbelebung der lokalen Wirtschaft.

Viele Einwohner sind auf humanitäre Hilfe angewiesen (FH 2020). Durch die Kontaktlinie, welche die Konfliktparteien trennt, wird das Recht auf Bewegungsfreiheit beschnitten und Gemeinden getrennt. Jeden Tag warten bis zu 30.000 Menschen stundenlang unter erschwerten Bedingungen an den fünf Checkpoints auf das Überqueren der Kontaktlinie.

Unzureichend beschilderte Minen entlang der Straßen stellen eine Gefahr für die Wartenden dar (ÖB 2.2019; vgl. PCU 3.2019). Es gibt nur unzureichende sanitäre Einrichtungen, speziell auf separatistischer Seite (HRW 17.1.2019). Die Bewegungsfreiheit nach Russland ist weniger eingeschränkt (FH 2020).

Im Zuge der Kampfhandlungen zwischen der Ukraine und den Separatisten kam es 2014 in jenen Gebieten, in denen nicht die ukrainischen Streitkräfte selbst, sondern Freiwilligenbataillone eingesetzt waren, mitunter zu schweren Menschenrechtsverletzungen. Diese Bataillone wurden in der Folgezeit sukzessive der Nationalgarde (Innenministerium) unterstellt, nur das Bataillon „Ajdar“ wurde in die Armee eingegliedert. Offiziell wurden Freiwilligenbataillone danach nicht mehr an der Kontaktlinie, sondern ausschließlich zur Sicherung rückwärtiger Gebiete eingesetzt. Die nicht immer klare hierarchische Einbindung dieser Einheiten hatte zur Folge, dass es auch in den von ihnen kontrollierten Gebieten zu Menschenrechtsverletzungen kam, namentlich zu Freiheitsberaubung, Erpressung, Diebstahl und Raub, evtl. auch zu extralegalen Tötungen.

Diese Menschenrechtsverletzungen sind Gegenstand von teilweise schleppend verlaufenden Strafverfahren. Infolge des Übergangs von der ATO (Anti-Terror-Operation in der Ostukraine, geführt vom SBU, Anm.) zu der nunmehr von der Armee koordinierten OVK (Operation der Vereinigten Kräfte) mit April 2018, wurden verbliebene Freiwilligenverbände endgültig in die regulären Streitkräfte eingegliedert oder haben die OVK-Zone verlassen (AA 29.2.2020).

Es gibt Berichte über Entführungen auf beiden Seiten der Kontaktlinie. Am häufigsten wurden Zivilisten von den von Russland geführten Streitkräften an Ein-/Ausreisekontrollpunkten entlang der Kontaktlinie festgenommen. Beide Konfliktparteien setzen Landminen ohne Umzäunung, Beschilderung oder andere Maßnahmen ein, wodurch Opfer unter der Zivilbevölkerung verhindert werden könnten. Besonders akut sind die Risiken für Personen, die in Städten und Siedlungen in der Nähe der Kontaktlinie leben, sowie für Personen, welche die Kontaktlinie täglich überqueren müssen (USDOS 11.3.2020). Von Jänner bis November 2019 dokumentierte die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte 162 konfliktbezogene zivile Unfallopfer; davon kamen 26 zu Tode, 136 wurden verletzt. Dabei wurden 101 der Unfälle durch Handfeuerwaffen und 58 durch Minen und Sprengstoffe verursacht. Insgesamt war im Jahr 2019 gegenüber 2018 ein Rückgang konfliktbedingter Unfälle um fast 40% zu verzeichnen (AA 29.2.2020). Zu den fünf Gruppen, die am stärksten vom Konflikt betroffen sind, gehören ältere Menschen, Menschen mit Behinderungen, IDPs, Kinder und Familien von Alleinerzieherinnen (UN 1.2020).

Im Juni 2019 begann die Russische Föderation damit, in einem erleichterten Verfahren russische Pässe für ukrainische Staatsbürger, die in den besetzten Gebieten leben, auszustellen (FH 2020). Acht Monate nach der Vereinfachung des Verfahrens zum Erwerb eines russischen Passes für die Donbas-Bewohner gab Russland bekannt, dass es bereits über 196.000 Ukrainern die Staatsbürgerschaft verliehen hatte (TMT 3.1.2020).

Quellen:

• AA – Auswärtiges Amt (29.2.2020): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine (Stand: Januar 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2027985/Deutschland___Ausw%

C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_d

er_Ukraine_%28Stand_Januar_2020%29%2C_29.02.2020.pdf , Zugriff 19.5.2020

• FH – Freedom House (2020): Freedom in the World Index 2020, Eastern Donbas, https://freedo

mhouse.org/country/eastern-donbas/freedom-world/2020 , Zugriff 26.5.2020

• HRW – Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 – Ukraine, https://www.ecoi.net/de/

dokument/2002209.html , Zugriff 26.5.2020

• KAS – Konrad Adenauer Stiftung (4.2020): Ukrainische Politik im Schatten der Pandemie: Teil 1,

https://www.ecoi.net/en/file/local/2028885/Ukrainische+Politik+im+Schatten+der+Pandemie.+T

eil+1.pdf , Zugriff 25.5.2020

• ÖB - Österreichische Botschaften (2.2019): Asylländerbericht Ukraine, https://www.ecoi.net/en/file

/local/2003113/UKRA_%C3%96B-Bericht_2018.doc , Zugriff 20.5.2020

• PCU – Protection Cluster Ukraine (3.2019): Mine Action in Ukraine, https://www.unhcr.org/ua/wpcontent/

uploads/sites/38/2019/04/2019_03_advocacy_note_on_mine_action_eng-1.pdf , Zugriff

26.5.2020

• RFE/RL – Radio Free Europe, Radio Liberty (16.4.2020): Ukraine, Russia-Backed Separatists Hold

Another Prisoner Swap, https://www.rferl.org/a/ukraine-russia-backed-separatists-begin-new-roun

d-in-prisoner-swap/30558758.html , Zugriff 26.5.2020

• TMT – The Moscow Times (3.1.2020): Kyiv Post: Moscow Says it Issued Nearly 200,000 Russian

Passports in Ukraine’s Donbass, https://www.themoscowtimes.com/2020/01/03/kyiv-post-moscow

-says-it-issued-nearly-200000-russian-passports-in-ukraines-donbass-a68807 , Zugriff 26.5.2020

• UN – United Nations (1.2020): UKRAINE, At a glance: 2020 Humanitarian Needs Overview, https:

//www.humanitarianresponse.info/sites/www.humanitarianresponse.info/files/documents/files/ukri

ane_2020_hno_at_a_glance-en.pdf , Zugriff 25.5.2020

• USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 -

Ukraine, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026415.html , Zugriff 19.5.2020

• USDOS – US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 -

Ukraine, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004269.html , Zugriff 26.5.2020

Rechtsschutz / Justizwesen

Letzte Änderung: 09.07.2020

Die ukrainische Verfassung sieht eine unabhängige Justiz vor, die Gerichte sind aber trotz Reformmaßnahmen der Regierung weiterhin ineffizient und anfällig für politischen Druck und Korruption. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Justiz ist gering. Trotz der Bemühungen um eine Reform der Justiz und der Generalstaatsanwaltschaft ist Korruption bei Richtern und Staatsanwälten weiterhin ein Problem. Zivilgesellschaftliche Gruppen bemängeln weiterhin die schwache Gewaltenteilung zwischen der Exekutive und der Judikative. Einige Richter behaupten Druckausübung durch hochrangige Politiker. Einige Richter und Staatsanwälte erhielten Berichten zufolge Bestechungsgelder. Andere Faktoren, welche das Recht auf ein faires Verfahren behindern, sind langwierige Gerichtsverfahren, insbesondere bei Verwaltungsgerichten, unterfinanzierte Gerichte und mangelnde Möglichkeiten Urteile durchzusetzen (USDOS 11.3.2020).

Die ukrainische Justizreform trat im September 2016 in Kraft, der langjährige Prozess der Implementierung der Reform dauert weiter an.

Bereits 2014 startete ein umfangreicher Erneuerungsprozess mit der Annahme eines Lustrationsgesetzes, das u.a. die Entlassung aller Gerichtspräsidenten sowie die Erneuerung der Selbstverwaltungsorgane der Richterschaft vorsah. Eine im Februar 2015 angenommene Gesetzesänderung zur „Sicherstellung des Rechtes auf ein faires Verfahren“ sieht auch eine Erneuerung der gesamten Richterschaft anhand einer individuellen qualitativen Überprüfung („re-attestation“) aller Richter vor, die jedoch von der Zivilgesellschaft als teils unzureichend kritisiert wurde.

Bislang wurden laut Informationen von ukrainischen Zivilgesellschaftsvertretern rund 2.000 der insgesamt 8.000 in der Ukraine tätigen Richter diesem Prozess unterzogen, wobei rund 10% entweder von selbst zurücktraten oder bei der Prozedur durchfielen.

Ein wesentliches Element der Justizreform ist auch der vollständig neu gegründete Oberste Gerichtshof, der am 15. Dezember 2017 seine Arbeit aufnahm. Allgemein ist der umfassende Erneuerungsprozess der Richterschaft jedoch weiterhin in Gange und schreitet nur langsam voran. Die daraus resultierende häufige Unterbesetzung der Gerichte führt teilweise zu Verfahrensverzögerungen. Von internationaler Seite wurde die Annahme der weitreichenden Justizreform weitgehend begrüßt (ÖB 2.2019).

2014 wurde auch eine umfassende Reform der Staatsanwaltschaft in Gang gesetzt. In erster Linie ging es dabei auch darum, das schwer angeschlagene Vertrauen in die Institution wiederherzustellen, weshalb ein großer Teil dieser Reform auch eine Erneuerung des Personals vorsieht.

Im Juli 2015 begann die vierstufige Aufnahmeprozedur für neue Mitarbeiter. Durchgesetzt haben sich in erster Linie jedoch Kandidaten, die bereits in der Generalstaatsanwaltschaft Erfahrung gesammelt hatten. Weiters wurde der Generalstaatsanwaltschaft ihre Funktion als allgemeine Aufsichtsbehörde mit der Justizreform 2016 auf Verfassungsebene entzogen, was jedoch noch nicht einfach gesetzlich umgesetzt wurde. Jedenfalls wurde in einer ersten Phase die Struktur der Staatsanwaltschaft verschlankt, indem über 600 Bezirksstaatsanwaltschaften auf 178 reduziert wurden. 2017 wurde mit dem Staatsanwaltschaftsrat („council of prosecutors“) ein neues Selbstverwaltungsorgan der Staatsanwaltschaft geschaffen. Es gab bereits erste Disziplinarstrafen und Entlassungen, Untersuchungen gegen die Führungsebene der Staatsanwaltschaft wurden jedoch vorerst vermieden. Auch eine spezialisierte Antikorruptions-Staatsanwaltschaft wurde geschaffen. Diese Reformen wurden vor allem wegen der mangelnden personellen Erneuerung der Staatsanwaltschaft kritisiert. Auch erhöhte die Reform die Belastung der Ankläger, die im Durchschnitt rund je 100 Strafverfahren gleichzeitig bearbeiten, was zu einer Senkung der Effektivität der Institution beiträgt. Allgemein

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten