TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/31 W226 2241724-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 31.08.2021
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Entscheidungsdatum

31.08.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs2
AsylG 2005 §57
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52
FPG §52 Abs1 Z1
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2 Z6
FPG §53 Abs2 Z8
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W226 2241724-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. WINDHAGER über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Ukraine, vertreten durch Dr. Thomas Neugschwendtner, Embacher Neugschwendtner Rechtsanwälte, Schleifmühlgasse 5/8, 1040 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.03.2021, Zl.: 1019607010-200814005 zu Recht:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

I.1.1 Die Beschwerdeführerin (im Folgenden: BF) verfügte in der Zeit vom 25.8.2014 bis 27.8.2017 über einen Aufenthaltstitel für den Zweck „Studierender“. Mit Bescheid vom 9.5.2019 wurde sowohl der Verlängerungsantrag für den Zweck „Studierender“ als auch der Antrag für den Zweck „ausgenommen Erwerbstätigkeit“ abgewiesen.

I.1.2. Die BF stellte am 14.6.2019 aufgrund der am XXXX in XXXX erfolgten Eheschließung mit einem österreichischen Staatsbürger einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck „Familienangehöriger“. Am 3.10.2019 wurde der Zusatzantrag gemäß § 21 Abs. 3 NAG gestellt und dahin begründet, dass die Tochter in XXXX in den Kindergarten gegangen sei und zurzeit eine XXXX Volksschule besuche, weshalb ein durchgängiges Lernen möglich sein und die Tochter nicht aus dem Alltag gerissen werden soll, was als unzumutbar und widersinnig erscheine.

I.1.3. Am 23.8.2019 wurden die BF und ihr Ehemann von der LPD XXXX als Beschuldigte wegen § 117 Abs. 1 FPG (Eingehen und Vermittlung von Aufenthaltsehen und Aufenthaltspartnerschaften) auf Grund der Anzeige der XXXX einvernommen, wobei die Beiden hinsichtlich ihres gemeinsamen Familienlebens sehr unterschiedliche Angaben machten.

I.1.4. Mit Bescheid des Landeshauptmannes von XXXX , Magistratsabteilung XXXX (im Folgenden: XXXX ) vom 10.12.2019 wurde der Antrag der BF auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck „Familienangehöriger“ abgewiesen, da festgestellt wurde, dass es sich bei der Ehe der BF um eine Aufenthaltsehe gemäß § 30 Abs. 1 NAG handle.

I.1.5. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde der BF an das Verwaltungsgericht XXXX wurde nach Durchführung einer öffentlichen, mündlichen Verhandlung am 30.6.2020, im Zuge welcher die BF einvernommen wurde und ihr Ehemann als Zeuge aussagte, mit Erkenntnis vom 20.7.2020 vom Verwaltungsgericht XXXX abgewiesen.

Das Verwaltungsgericht XXXX stellte zum einen fest, dass der Antrag der BF auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck „Familienangehöriger“ gemäß § 21 Abs. 1 NAG im Ausland zu stellen gewesen wäre. Die Inlandsantragstellung sei daher nicht rechtmäßig gewesen, da weder die von der BF beantragte Zulassung der Inlandsantragstellung gemäß § 21 Absatz 3 Z 2 NAG, noch das Recht zur Inlandsantragstellung – und zum Abwarten der Entscheidung im Inland – nach § 21 Abs. 2 Z 1 NAG anwendbar gewesen sei.

Zum anderen wurde festgestellt, dass die Verbindung zwischen der BF und ihrem Ehemann als eine Gemeinschaft anzusehen sei, die zum Zweck eingegangen wurde, der BF (und ihrer Tochter) den rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermöglichen. Mögen auch einzelne (im Verfahren vorgelegte) Bilder ein Familienleben nahelegen, erreiche nach Ansicht des Gerichtes die Beziehung der BF und ihres Ehemannes nicht jenes Maß, welches einer durch enge Verbundenheit und gegenseitigen Beistand geprägten Beziehung gleicht, welche Anforderung jedoch nach der dargestellten Rechtsprechung gefordert sei. In einer Gesamtbetrachtung würden demnach jene Umstände überwiegen, die nahelegen, dass die BF sich auf die Ehe mit ihrem Ehemann für die Erteilung des Aufenthaltstitels berufe, obwohl ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK nicht geführt werde. Es sei daher vom Vorliegen einer Aufenthaltsehe im Sinn des § 30 Abs. 1 NAG auszugehen, womit ein Versagungsgrund nach § 11 Abs. 1 Z 4 NAG gegeben sei.

I.1.6. Gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts XXXX erhob die BF eine außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof. Nach Einbringung der außerordentlichen Revision wurde der Antrag der BF auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung hinsichtlich des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichts XXXX vom Verwaltungsgericht XXXX abgewiesen. Mit Beschluss vom 7.7.2021 wies der Verwaltungsgerichtshof den Antrag der BF auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung hinsichtlich des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichts XXXX ab.

I.2.1. Mit Schreiben vom 9.11.2020 verständigte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) die BF vom Ergebnis der Beweisaufnahme und teilte ihr mit, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem Einreiseverbot beabsichtigt sei. Am 25.11.2020 erstattete die BF eine Stellungnahme zum Ergebnis der Beweisaufnahme. In der Stellungnahme brachte die BF vor, ihr Lebensunterhalt sei durch das Einkommen ihres Ehemannes gesichert, sie sei rechtmäßig ins Bundesgebiet eingereist und habe bislang über Aufenthaltsbewilligungen verfügt. Der Zweck ihres weiteren Aufenthaltes liege darin, ein gemeinsames Familienleben mit ihrem Ehemann und ihrer minderjährigen Tochter, die im Bundesgebiet zur Schule gehe, zu führen. Die BF lebe mit ihrem Ehemann und ihrer Tochter im gemeinsamen Haushalt in der Wohnung ihres Ehemannes und nur fallweise in ihrer Wohnung im XXXX . Ihr Ehemann arbeite unter der Woche in der Steiermark und sei nur am Wochenende in XXXX . Das Verwaltungsgericht habe nicht festgestellt, dass kein Familienleben bestehe, sondern nur, dass es nicht die erforderliche Intensität erreiche. Die privaten Bindungen der BF seien sehr intensiv; sie gehe nach wie vor dem Studium der Theater-, Film- und Medienwissenschaften nach und sei in das Gemeindeleben der Pfarre XXXX eingebunden. Mit der Mutter habe die BF regelmäßigen Kontakt, diese komme auch regelmäßig nach Österreich zu Besuch. Zum Kindesvater bzw zu Verwandten der BF in der Ukraine habe die BF nur losen telefonischen bzw kaum Kontakt.

I.2.2. Mit dem angefochtenen Bescheid des BFA vom 17.3.2021 wurde der BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt, wurde gemäß § 10 Absatz 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 1 Ziffer 1 FPG erlassen, wurde gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der BF gemäß § 46 FPG in die Ukraine zulässig ist und gemäß § 53 Absatz 1 iVm Absatz 2 Ziffer 8 FPG gegen sie ein auf die Dauer von 2 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen. Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.

Die Rückkehrentscheidung begründete die im gegenständlichen Verfahren belangte Behörde damit, dass die BF sich zwar auf das gemeinsame Ehe- und Familienleben mit ihrer Tochter und ihrem Ehegatten berufe, dem jedoch nach umfangreichen Ermittlungen die Feststellung der XXXX sowie des Verwaltungsgerichtes XXXX gegenüberstehe, dass es sich bei der Eheschließung mit ihrem Ehemann um eine Aufenthaltsehe handle. Es sei daher festzustellen, dass die individuellen Interessen der BF im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht so ausgeprägt sind, dass sie die öffentlichen Interessen an der Einhaltung der fremdenpolizeilichen und aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen überwiegen. Auch hinsichtlich eines Privatlebens im Sinne des Art. 8 EMRK seien keine außerordentlichen integrativen Leistungen festzustellen. Die BF könne keine aktuelle Inskriptionsbestätigung hinsichtlich ihres Studiums vorlegen und gehe keiner Erwerbstätigkeit nach. Vielmehr würden sie und ihre Tochter von ihrem Ehemann finanziert. Aufgrund der Aufenthaltsdauer der BF sei von einer gewissen Integration auszugehen, wobei jedoch nicht davon ausgegangen werden könne, dass diese so schützenswert sei, dass sie einer Rückehrentscheidung entgegenstünde, zumal das Privatleben der BF in Österreich unter der Vortäuschung falscher Tatsachen entstanden ist. In diesem Zusammenhang sei auch auf die höchstgerichtliche Judikatur verwiesen, wonach selbst die Umstände, dass selbst ein Fremder, der perfekt Deutsch spricht sowie sozial vielfältig vernetzt und integriert ist, über keine über das übliche Maß hinausgehenden Integrationsmerkmale verfügt und diesen daher nur untergeordnete Bedeutung zukommt (Erk. d. VwGH vom 06.11.2009, 2008/18/0720; 25.02.2010, 2010/18/0029). Weiters könne nicht festgestellt werden, dass die BF im Falle einer Rückkehr in die Ukraine in eine existenzgefährdende Notlage geraten würden und ihr die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre, zumal sie den überwiegenden Teil ihres Lebens dort verbracht habe.

Hinsichtlich des Einreiseverbotes sei § 53 Abs. 2 Ziffern 6 und 8 FPG erfüllt. Die BF befinde sich unrechtmäßig in Österreich, gehe keiner Erwerbstätigkeit nach und es sei ihr nicht möglich ihren Aufenthalt aus eigenen Mitteln legal zu finanzieren. Sie habe mit dem rechtsbrecherischen Vorhaben der Scheinehe versucht, sich in Österreich einen Aufenthaltstitel mit dem Zweck „Familienangehöriger“ zu erschleichen und habe somit maßgeblich gegen das Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrecht verstoßen. Es sei offensichtlich, dass die BF die österreichische Rechtsordnung nicht akzeptieren und einhalten wolle. Wie bereits festgestellt, seien die familiären und privaten Anknüpfungspunkte der BF in Österreich nicht dergestalt, dass sie einen Verbleib in Österreich rechtfertigen würden und verletze eine aufenthaltsbeendende Maßnahme Art. 8 EMRK daher nicht. Die Gesamtbeurteilung des Verhaltens der BF, ihre Lebensumstände sowie ihre familiären und privaten Anknüpfungspunkte hätten im Zuge der von der Behörde vorgenommenen Abwägungsentscheidung ergeben, dass die Erlassung des Einreiseverbotes in der angegebenen Dauer gerechtfertigt und notwendig sei, um die von der BF ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zu verhindern.

I.2.3. Gegen diesen Bescheid erhob die BF mit Schriftsatz vom 14.4.2021 vollumfänglich Beschwerde, wobei die BF vorbrachte, dass der überwiegende Teil ihres bisherigen Aufenthaltes rechtmäßig gewesen und sie seit 7 Jahren in Österreich aufhältig sei. Sie verfüge außerdem über intensive familiäre Bindungen im Bundesgebiet, nämlich über ihre minderjährige Tochter, welche die Schule in XXXX besuche, sowie ihren Ehemann, mit welchem sie gemeinsam mit der Tochter in einem Haushalt lebe. Die Tochter spreche nur Deutsch, an die Ukraine habe sie keine Erinnerungen. Durch eine Rückkehrentscheidung käme es nicht nur zu einer Trennung von ihrem Ehemann, sondern auch von ihrer Tochter, welche im Bundesgebiet lebe. Eine Ausreise mit der Tochter würde das Kindeswohl massiv gefährden, da diese im ukrainischen Schulbetrieb mangels Kenntnissen der ukrainischen Sprache nicht Fuß fassen könne. Die BF könne auch ein Deutschzertifikat auf B2-Niveau vorweisen und sei damit entgegen der Auffassung der Behörde sehr gut integriert. Im Herkunftsland habe sie keine Anknüpfungspunkte mehr, lediglich ihrer Mutter, welche aber immer nur zu ihr nach Österreich käme. Die BF hätte in der Ukraine keine Wohnmöglichkeit und Existenzgrundlage. Ihre Mutter, welche Pensionistin sei, könnte sie nicht unterstützen, da sie nur eine kleine Wohnung habe und ihre finanzielle Situation schlecht sei. Der Bescheid sei aus diesem Grund inhaltlich rechtswidrig, da eine Rückkehrentscheidung gegen die BF nicht zulässig sei. Bezüglich des Einreiseverbotes habe sich die belangte Behörde nur auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts XXXX , wonach eine Aufenthaltsehe vorliege, gestützt, verkenne aber, dass zahlreiche Fotos ein gemeinsames Familienleben belegen würden und das Bezirksgericht XXXX den Ehemann der BF (wie auch die BF als Beteiligte) auch bezüglich des Vorwurfs des Eingehens einer Aufenthaltsehe freigesprochen habe. Dass gar kein Familienleben vorliege, sei auch vom Verwaltungsgericht XXXX nicht festgestellt worden, vielmehr habe es festgestellt, dass ein Familienleben auf vereinzelte Tage oder Unternehmungen reduziert bestehe. Es sei deshalb nicht nachvollziehbar, warum die belangte Behörde sich auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts XXXX stütze und vom Vorliegen einer Aufenthaltsehe ausgehe. Da ein gemeinsames Familienleben vorliege, fehle jede Grundlage für die Erlassung eines Einreiseverbotes.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

II.1.1. Die BF führt die im Spruch angeführte Identität und ist ukrainische Staatsangehörige. Sie hat eine XXXX geborene minderjährige Tochter, welche die Volksschule in XXXX besucht.

Die Tochter der BF ist in der Ukraine geboren, verbrachte dort die ersten zwei Jahre ihres Lebens und lebt im Familienverband mit ihrer Mutter und quasi ihrer Großmutter, welche regelmäßig auf Besuch kommt. Die Tochter der BF ist mit ihrer Muttersprache vertraut, spricht mittlerweile allerdings besser Deutsch.

II.1.2. Die BF reiste im Jahr 2014 mit ihrer minderjährigen Tochter ins Bundesgebiet ein, da ihr am 25.8.2014 erstmals ein Aufenthaltstitel für den Zweck „Studierender“ erteilt wurde, welchen sie bis zum 27.8.2017 innehatte. Mit Bescheid vom 9.5.2019 wurde sowohl der Verlängerungsantrag für den Zweck „Studierender“ als auch der Antrag eines Aufenthaltstitels für den Zweck „ausgenommen Erwerbstätigkeit“ abgewiesen.

Am 14.6.2019 stellte die BF aufgrund der am XXXX in XXXX erfolgten Eheschließung mit einem österreichischen Staatsbürger einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck „Familienangehöriger“, welcher mit Bescheid der XXXX vom 10.12.2019 abgewiesen wurde. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde der BF an das Verwaltungsgericht XXXX wurde, nach Durchführung einer öffentlichen, mündlichen Verhandlung am 30.6.2020, mit rechtskräftigem Erkenntnis vom 20.7.2020 vom Verwaltungsgericht XXXX abgewiesen, wobei zum einen festgestellt wurde, dass der Antrag der BF auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck „Familienangehöriger“ gemäß § 21 Abs. 1 NAG im Ausland zu stellen gewesen wäre und zum anderen, dass vom Vorliegen einer Aufenthaltsehe im Sinn des § 30 Abs. 1 NAG auszugehen sei, womit ein Versagungsgrund nach § 11 Abs. 1 Z 4 NAG gegeben sei.

Mit dem angefochtenen Bescheid des BFA vom 17.3.2021 wurde der BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt, wurde gemäß § 10 Absatz 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 1 Ziffer 1 FPG erlassen, wurde gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der BF gemäß § 46 FPG in die Ukraine zulässig ist und gemäß § 53 Absatz 1 iVm Absatz 2 Ziffer 8 FPG gegen sie ein auf die Dauer von 2 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen. Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.

II.1.3 Die BF heiratete am XXXX einen österreichischen Staatsbürger standesamtlich in XXXX . Das Landesverwaltungsgericht XXXX stellte im angeführten Erkenntnis fest, dass die Verbindung zwischen der BF und ihrem Ehemann als eine Gemeinschaft anzusehen ist, die zum Zweck eingegangen wurde, der BF (und ihrer Tochter) den rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermöglichen, obwohl ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK nicht geführt wird. Das Bezirksgericht XXXX hat die BF und ihren Ehemann vom Vorwurf des § 117 FPG freigesprochen. Zwischen der BF und ihrem Ehemann besteht eine Aufenthaltsehe, allenfalls eine Freundschaft, aufgrund welcher sie hin und wieder auch gemeinsam mit der Tochter der BF Unternehmungen machen.

II.1.4. Die BF war ab 2014 an zwei verschiedenen Adressen gemeldet, wobei sie von November 2014 bis Jänner 2020 mit dem Hauptwohnsitz an der Adresse der (Miet)wohnung des Kindesvaters ihrer Tochter gemeldet war. Seit dem 27.01.2020 ist die BF mit dem Hauptwohnsitz an der Adresse der (Miet)Wohnung ihres Ehemannes gemeldet, verfügt aber weiterhin über die oben genannte Wohnung im XXXX . Die BF ging vom 04.09.2017 bis 17.10.2019 einer Angestelltentätigkeit nach und ist derzeit mit ihrem Ehemann mitversichert und finanziell von diesem abhängig.

II.1.5. Die BF ist strafgerichtlich unbescholten und leidet an keiner lebensbedrohlichen oder schweren Krankheit. Sie verfügt über ein Sprachzertifikat für die deutsche Sprache auf B2-Niveau aus dem Jahr 2016, verfügt aber über keine gefestigten Sprachkenntnisse. Konkrete Anhaltspunkte für die Annahme einer Integration der BF in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht konnten nicht festgestellt werden. In der XXXX der Pfarre XXXX war sie in den Jahren 2017 und 2018 tätig.

II.1.6. Die BF verfügt in ihrem Herkunftsstaat über ihre Mutter, welche die BF regelmäßig in Österreich besucht. Auch zum Kindesvater der Tochter der BF, welcher in der Ukraine lebt, besteht Kontakt. Dieser zahlt auch das monatliche Schuldgeld der Tochter der BF.

II.1.7. Unter Zugrundelegung der im Folgenden dargestellten Länderberichte liegen keine stichhaltigen Gründe vor, dass die BF bei einer Rückkehr ins Herkunftsland mit hinreichender Wahrscheinlichkeit konkret Gefahr liefe, dort aktuell der Folter, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe bzw. der Todesstrafe unterworfen zu werden oder aufgrund der allgemeinen Versorgungslage in eine aussichtslose Lage (Nahrung, Unterkunft) zu geraten. Bei der BF handelt es sich um eine junge Frau, die unter keiner schweren Krankheit leidet, mit einer Tochter im schulfähigen Alter. Die BF ist daher arbeitsfähig und absolvierte in der Ukraine ein Wirtschaftsstudium (Bachelor und Master) und verfügt mittlerweile zudem über Deutschkenntnisse, welche sie sich bei der Jobsuche zunutze machen könnte. Die BF und ihre Tochter könnten anfänglich notfalls auch bei ihrer Mutter Unterstützung und Unterkunft finden und würde sie auch finanzielle Unterstützung vom Kindesvater für ihre Tochter erhalten. Gemäß § 1 Z 14 der HStV (Herkunftsstaaten-Verordnung, BGBl. II Nr. 177/2009 idF BGBl. II Nr. 145/2019) gilt Ukraine als sicherer Herkunftsstaat.

Es liegen weiters keine Gründe vor, dass das Leben der BF oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Ansichten bedroht ist.

II.1.8. Zur Situation in der Ukraine:

Länderspezifische Anmerkungen

Letzte Änderung: 16.10.2020

Durch die Ereignisse der letzten Jahre hat die ukrainische Regierung de facto nicht die vollständige Kontrolle über ihr Staatsgebiet.

Die Halbinsel Krim wurde am 16.3.2014 durch ein international nicht anerkanntes Referendum von Russland völkerrechtswidrig annektiert. Außerdem haben sich Teile der Ostukraine als von der Ukraine unabhängig erklärt. Diese separatistischen Gebiete bezeichnen sich selbst als die Volksrepubliken Donezk und Luhansk.

Grundsätzliche Aussagen zur Ukraine gelten vorerst nicht für die Halbinsel Krim und die Gebiete der selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk, außer es wird ausdrücklich anderes angemerkt!

In den westlichen Landesteilen ist die Lage grundsätzlich ruhig – nähere Informationen sind den Länderinformationen zu entnehmen.

Hinweis:

Die Länderinformationen gehen auf die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie sowie auf eventuelle Maßnahmen gegen diese nur insoweit ein, wie sie der Staatendokumentation für asyl- und fremdenrechtliche Verfahren in Österreich relevant erscheinen. Betreffend die aktuelle Anzahl der Krankheits- und Todesfälle in der Ukraine empfiehlt die Staatendokumentation, bei Interesse/Bedarf folgende - täglich aktualisierte - Websites zu kontaktieren: https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/situation-reports (WHO), https://gisanddata.maps.arcgis.com/apps/opsdashboard/index.html#/bda7594740fd40299423467b48e9ecf6 (Johns-Hopkins-Universität).

Covid-19-Situation

Letzte Änderung: 08.06.2021

In der Ukraine gilt ein System der adaptiven Quarantäne (regionales Ampelsystem), welches bis 30. Juni vorgesehen ist. Ein nationaler Lockdown ist nicht geplant (UNIAN 10.5.2021; vgl. UA 28.4.2021, AA 3.5.2021). Gemäß dem Gesundheitsminister ist die dritte Pandemiewelle in der Ukraine vorbei (UP 7.5.2021).

An öffentlichen Orten, nicht jedoch im Freien, besteht die Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes. Das gilt auch für öffentliche Verkehrsmittel. Hygiene- und Gesundheitsmaßnahmen müssen im öffentlichen Verkehr sowie in Geschäften und Gaststättenbetrieben eingehalten werden (AA 3.5.2021; vgl. WKO 30.4.2021, RFE/RL 1.5.2021). 2020 wurden mehr als 6.800 Personen im Rahmen der IOM Ukraine Covid-19 Response Intervention unterstützt (IOM 10.2.2021).

Am 24.2.2021 begannen in der Ukraine die Covid-Impfungen. Derzeit sind die folgenden Impfstoffe in Verwendung: AstraZeneca, SinoVac und Pfizer. Seit dem 24.4.2021 befindet sich die Ukraine in der zweiten Phase der Impfstrategie und verabreicht Impfungen an medizinisches Personal, Militärpersonal und ältere Personen (KP 10.5.2021). Die Impfungen werden vorwiegend von mobilen Impfteams durchgeführt (UA 28.4.2021; vgl. Gov.ua 10.5.2021). Impfungen sind freiwillig und kostenlos (GM 10.5.2021). Mit Stand 8.5.2021 erhielten 862.639 Personen die erste Teilimpfung und 446 Personen bereits die zweite Teilimpfung (GM 8.5.2021). Es wurden bisher 9.668.937 PCR-Tests durchgeführt (Gov.ua 10.5.2021).

In den Krankenhäusern der Hauptstadt Kiew werden derzeit 33 Covid-Patienten behandelt und 230 Patienten mit Verdacht auf Covid und Lungenentzündung (IU 9.5.2021). Ab 1.5.2021 wurden in Kiew die meisten Quarantänebeschränkungen aufgehoben (KP 10.5.2021; vgl. WKO 30.4.2021, RFE/RL 1.5.2021). Wieder geöffnet sind unter anderem Restaurants, Geschäfte, Sporteinrichtungen und Kultureinrichtungen (WKO 30.4.2021; vgl. KP 10.5.2021, RFE/RL 1.5.2021). Seit 5.5.2021 ist der Besuch von Vorschuleinrichtungen, Schulen und Hochschulen wieder erlaubt (WKO 30.4.2021; vgl. RFE/RL 1.5.2021).

Ukrainische Staatsangehörige benötigen für die Einreise einen negativen PCR-Test, welcher zum Zeitpunkt der Einreise nicht älter als 72 Stunden sein darf. Die verpflichtende Selbstisolation von 14 Tagen kann durch einen negativen PCR-Test bei einem zugelassenen Testzentrum nach Einreise verkürzt werden. Ein Einreiseverbot bzw. Beschränkungen im internationalen Reiseverkehr sind derzeit nicht vorgesehen, können aber nicht ausgeschlossen werden (AA 3.5.2021). Die Flughäfen in Kiew, Dnipro, Charkiw, Lwiw, Odesa und Saporischschja sind für den internationalen und inländischen Flugverkehr geöffnet (WKO 30.4.2021).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (3.5.2021): Ukraine: Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung und COVID-19-bedingte Reisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/ukraine-node/ukrainesicherheit/201946, Zugriff 10.5.2021

GM – Gesundheitsministerium [Ukraine] (10.5.2021): ?????????? ??? COVID-19 ? ???????: ?????????? ???? ?? 09 ?????? 2021 ???? [COVID-19-Impfung in der Ukraine: Operative Daten für den 9. Mai 2021], https://vaccination.covid19.gov.ua/news/vaccinationdata70, Zugriff 10.5.2021

GM – Gesundheitsministerium [Ukraine] (8.5.2021): ??? ??? ?????????? ??? COVID-19 ? ??????? [Alles über die COVID-19-Impfung in der Ukraine], https://vaccination.covid19.gov.ua/, Zugriff 10.5.2021

Gov.ua – Regierungsportal [Ukraine] (10.5.2021): ?????????? ?????????? ??? ????????? ?????????????? ???????? 2019-nCoV [Operative Information über die Ausbreitung der Coronavirus-Infektion 2019-nCoV], https://www.kmu.gov.ua/news/operativna-informaciya-pro-poshirennya-koronavirusnoyi-infekciyi-2019-ncov-10092021, Zugriff 10.5.2021

IOM – International Organization for Migration (10.2.2021): IOM Ukraine Covid-19 Response Report 8: IOM helps conflict-affected Toretsk get through water shortages, https://www.iom.org.ua/en/iom-ukraine-covid-19-response-report-8, Zugriff 10.5.2021

IU – Interfaks Ukraine (9.5.2021): ? ????? ?? ????? 255 ????? ?????????? COVID-19, ??????? ?? ??????????? [In Kiew binnen 24 Stunden 255 Covid-Neuerkrankungen, ebenso viele wurden geheilt], https://interfax.com.ua/news/general/742784.html, Zugriff 10.5.2021

KP – Kyiv Post (10.5.2021): COVID-19 in Ukraine: 2,817 new cases, 119 new deaths, 1,004 new vaccinations, https://www.kyivpost.com/ukraine-politics/covid-19-in-ukraine-2817-new-cases-119-new-deaths-1004-new-vaccinations.html, Zugriff 10.5.2021

RFE/RL – Radio Free Europe/Radio Liberty (1.5.2021): Kyiv Eases COVID-19 Restrictions Following Decrease In Infections, https://www.rferl.org/a/kyiv-eases-covid-lockdown-restrictions/31233221.html, Zugriff 10.5.2021

UA – Ukraine-Analysen (28.4.2021): Covid-19-Chronik, 23.3.-25.4.2021 (Nr. 250), https://www.laender-analysen.de/ukraine-analysen/250/UkraineAnalysen250.pdf, Zugriff 10.5.2021

UNIAN – ?????????? ????????? ???????????? ????????? ????? [Ukrainische unabhängige Nachrichtenagentur] (10.5.2021): ??????? ??????????? ????????? ??????????? ????????? ? ?????????, ????? ?? ????? ??????? [Schmygal kündigte Verlängerung der adaptiven Quarantäne an und teilte mit, ob es neuen Lockdown geben wird], https://www.unian.net/society/shmygal-anonsiroval-prodlenie-adaptivnogo-karantina-i-rasskazal-budet-li-novyy-lokdaun-novosti-ukrainy-11415166.html?, Zugriff 10.5.2021

UP – Ukrainska Prawda (7.5.2021): ??????? ?????? ? ??????? ????? ???????? – ???????? [In der Ukraine dritte Pandemiewelle vorbei – Stepanow], https://www.pravda.com.ua/news/2021/05/7/7292748/, Zugriff 10.5.2021

WKO – Wirtschaftskammer [Österreich] (30.4.2021): Coronavirus: Situation in der Ukraine, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-info-ukraine.html, Zugriff 10.5.2021

Politische Lage

Letzte Änderung: 09.07.2020

Die Ukraine ist eine parlamentarisch-präsidiale Republik. Staatsoberhaupt ist seit 20. Mai 2019 Präsident Wolodymyr Selenskyj (AA 6.3.2020). Beobachtern zufolge verlief die Präsidentschaftswahl am 21. April 2019 im Großen und Ganzen frei und fair und entsprach generell den Regeln des demokratischen Wettstreits. Kritisiert wurden unter anderem die unklare Wahlkampffinanzierung und die Medienberichterstattung in der Wahlauseinandersetzung (KP 22.4.2019). Auf der russisch besetzten Halbinsel Krim und in den von Separatisten kontrollierten Gebieten im Donbas fanden keine Wahlen statt (FH 4.3.2020; vgl. USDOS 11.3.2020).

2019 war ein Superwahljahr in der Ukraine. Am 31. März fanden die Präsidentschaftswahlen statt; Parlamentswahlen waren ursprünglich für den 27. Oktober 2019 angesetzt. Nach der Inauguration des Präsidenten Selenskyj wurde das Parlament aufgelöst. Die vorgezogenen Parlamentswahlen fanden am 21. Juli 2019 statt (GIZ 3.2020a). Selenskyjs Partei „Sluha Narodu“ (Diener des Volkes) gewann 254 von 450 Sitzen. Die Wahlbeteiligung war mit knapp 50% geringer als vor fünf Jahren. Die OSZE sprach trotz des klaren Ergebnisses von einer fairen Konkurrenz. Zwar bemängelte sie fehlende Transparenz bei der Finanzierung des Wahlkampfs, insgesamt registrierten die Wahlbeobachter bei der Abstimmung allerdings keine gröberen Verstöße (FH 4.3.2020; vgl. BAMF 22.7.2019, DS 22.7.2019). Es wurden sechs Fraktionen gebildet: „Diener des Volkes“ mit 254 Sitzen, die Oppositionsplattform „Für das Leben“ mit 44 Sitzen, Europäische Solidarität (Ex-Block Poroschenko) mit 27 Sitzen, Batkivshchyna (Julia Timoschenkos Partei) mit 25 Sitzen, Holos (Stimme) mit 17 Sitzen und schließlich die aus unabhängigen Abgeordneten bestehende Fraktion „Für die Zukunft“ mit 23 Sitzen (KP 29.8.2019). Auf der Krim und in den von Separatisten kontrollierten Teilen des Donbas konnten die Wahlen nicht stattfinden; folglich wurden nur 424 der 450 Sitze im Parlament besetzt. Darüber hinaus sind rund eine Million ukrainische Bürger nicht wahlberechtigt, weil sie keine registrierte Adresse haben (FH 4.3.2020).

Die nach der „Revolution der Würde“auf dem Kiewer Maidan im Winter 2013/2014 und der Flucht von Wiktor Janukowytsch von Präsident Poroschenko verfolgte europafreundliche Reformpolitik wird durch Präsident Selenskyj verstärkt fortgesetzt. Grundlage bildet ein ambitioniertes Programm für fast alle Lebensbereiche. Schwerpunkte liegen u.a. auf Korruptionsbekämpfung, Digitalisierung, Bildung und Stimulierung des Wirtschaftswachstums. Selenskyj kann sich dabei auf eine absolute Mehrheit im Parlament stützen. Diese Politik, maßgeblich von der internationalen Gemeinschaft unterstützt, hat über eine Stabilisierung der Verhältnisse im Inneren zu einer Annäherung an europäische Verhältnisse geführt (AA 29.2.2020).

Während des ersten Jahres seiner Amtszeit war Präsident Selenskyj mit einigen Herausforderungen konfrontiert (RFE/RL 20.4.2020; vgl. Brookings 20.5.2020). Zwar liegt seine Popularität nicht mehr bei den historischen 70% Unterstützung, die er einst genoss; Umfragen zeigen jedoch, dass seine Zustimmungswerte immer noch höher sind als die aller seiner Vorgänger (RFE/RL 25.4.2020). Im März 2020 gestaltete er die Regierung um, nachdem Ministerpräsident Hon?aruk seinen Rücktritt bekanntgegeben hatte (DW 3.3.2020; vgl. Brookings 20.5.2020). Seit 4. März 2020 ist Denys Schmyhal neuer Ministerpräsident und somit Regierungschef (AA 6.3.2020). Dem neuen Kabinett fehlt jedoch die Glaubwürdigkeit in Bezug auf die Reformen und Mitglieder der alten Eliten sind in Machtpositionen zurückgekehrt. Ob und wie stark das Kabinett Veränderungen durchsetzen wird, muss sich erst zeigen (Brookings 20.5.2020).

Das ukrainische Parlament (Verkhovna Rada) wurde bisher über ein Mischsystem zur Hälfte nach Verhältniswahlrecht und zur anderen Hälfte nach Mehrheitswahl in Direktwahlkreisen gewählt. Das gemischte Wahlsystem wird als anfällig für Manipulation und Stimmenkauf kritisiert. Ukrainische Oligarchen üben durch ihre finanzielle Unterstützung für verschiedene politische Parteien einen bedeutenden Einfluss auf die Politik aus (FH 4.3.2020). Im Dezember 2019 wurde vom Parlament ein neues Wahlgesetz beschlossen. Es sieht teils ein Verhältniswahlsystem mit offenen Parteilisten sowohl für Parlaments- als auch für Kommunalwahlen vor (FH 4.3.2020).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt (6.3.2020): Ukraine: Steckbrief, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/ukraine-node/steckbrief/201830, Zugriff 25.5.2020

AA – Auswärtiges Amt (29.2.2020): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine (Stand: Januar 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2027985/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Ukraine_%28Stand_Januar_2020%29%2C_29.02.2020.pdf, Zugriff 19.5.2020

BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (22.7.2019): Briefing Notes, per E-Mail

Brookings Institution (20.5.2020): Zelenskiy’s first year: New beginning or false dawn?, https://www.brookings.edu/blog/order-from-chaos/2020/05/20/zelenskiys-first-year-new-beginning-or-false-dawn/, Zugriff 22.5.2020

DS – Der Standard (22.7.2019): Diener des Volkes werden Kiew regieren, https://www.derstandard.at/story/2000106566433/diener-des-volkes-werden-kiew-regieren, Zugriff 25.5.2020

DW – Deutsche Welle (3.3.2020): Ukraine Prime Minister Oleksiy Honcharuk resigns for second time, https://www.dw.com/en/ukraine-prime-minister-oleksiy-honcharuk-resigns-for-second-time/a-52628402, Zugriff 25.5.2020

FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - Ukraine, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025958.html, Zugriff 19.5.2020

FH - Freedom House (6.5.2020): Nations in Transit 2020 - Ukraine, https://www.ecoi.net/de/dokument/2029666.html, Zugriff 25.5.2020

GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2020a): Länderinformationsportal, Ukraine, Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/ukraine/geschichte-staat/#c4037, Zugriff 22.5.2020

Jamestown Foundation (24.2.2020): Looming Confrontation in President Zelenskyy’s Entourage Could Lead to Reset of Ukrainian Government, https://jamestown.org/program/looming-confrontation-in-president-zelenskyys-entourage-could-lead-to-reset-of-ukrainian-government/, Zugriff 25.5.2020
KP – Kyiv Post (29.8.2019): Ukraine’s new parliament sworn in, Dmytro Razumkov becomes speaker, https://www.kyivpost.com/ukraine-politics/ukraines-new-parliament-sworn-in.html?cn-reloaded=1, Zugriff 25.5.2020

RFE/RL – Radio Free Europe / Radio Liberty (30.8.2019): Ukraine’s Zelenskiy Inducts Politically Untested Government, https://www.rferl.org/a/ukraine-zelenskiy-new-government-honcharuk/30137220.html, Zugriff 25.5.2020

RFE/RL – Radio Free Europe, Radio Liberty (25.4.2020): Zelenskiy's First Year: He Promised Sweeping Changes. How's He Doing?, https://www.rferl.org/a/zelenskiys-first-year-he-promised-sweeping-changes-how-s-he-doing-/30576329.html, Zugriff 25.5.2020

USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Ukraine, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026415.html, Zugriff 19.5.2020

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 09.07.2020

In den von Separatisten kontrollierten Gebieten Donezk und Luhansk sowie auf der Krim haben ukrainische Behörden und Amtsträger zurzeit keine Möglichkeit, ihre Befugnisse wahrzunehmen und staatliche Kontrolle auszuüben (AA 29.2.2020).

Die Sicherheitslage außerhalb der besetzten Gebiete im Osten des Landes ist im Allgemeinen stabil. Allerdings gab es in den letzten Jahren eine Reihe von öffentlichkeitswirksamen Attentaten und Attentatsversuchen, von denen sich einige gegen politische Persönlichkeiten richteten (FH 4.3.2020). In den von der ukrainischen Regierung kontrollierten Teilen der Gebiete Donezk und Luhansk wurde nach Wiederherstellung der staatlichen Ordnung der Neuaufbau begonnen. Die humanitäre Versorgung der Bevölkerung ist sichergestellt (AA 29.2.2020).

Russland hat im März 2014 die Krim annektiert und unterstützt seit Frühjahr 2014 die selbst erklärten separatistischen „Volksrepubliken“ im Osten der Ukraine. Seit Beginn der bewaffneten Auseinandersetzungen im Osten sind über 13.000 Menschen getötet und rund 30.000 Personen verletzt worden, davon laut OHCHR zwischen 7.000 und 9.000 Zivilisten. 1,5 Mio. Binnenflüchtlinge sind innerhalb der Ukraine registriert; nach Schätzungen von UNHCR sind weitere 1,55 Mio. Ukrainer in Nachbarländer (Russland, Polen, Belarus) geflohen (AA 29.2.2020). Das im Februar 2015 vereinbarte Maßnahmenpaket von Minsk wird weiterhin nur schleppend umgesetzt. Die Sicherheitslage hat sich seither zwar deutlich verbessert, Waffenstillstandsverletzungen an der Kontaktlinie bleiben aber an der Tagesordnung und führen regelmäßig zu zivilen Opfern und Schäden an der dortigen zivilen Infrastruktur. Schäden ergeben sich auch durch Kampfmittelrückstände (v.a. Antipersonenminen). Mit der Präsidentschaft Selenskyjs hat der politische Prozess im Rahmen der Trilateralen Kontaktgruppe (OSZE, Ukraine, Russland), insbesondere nach dem Pariser Gipfel im Normandie-Format (Deutschland, Frankreich, Ukraine, Russland) am 9. Dezember 2019 wieder an Dynamik gewonnen. Fortschritte beschränken sich indes überwiegend auf humanitäre Aspekte (Gefangenenaustausch). Besonders kontrovers in der Ukraine bleibt die im Minsker Maßnahmenpaket vorgesehene Autonomie für die gegenwärtig nicht kontrollierten Gebiete, die unter anderem aufgrund der Unmöglichkeit, dort Lokalwahlen nach internationalen Standards abzuhalten, noch nicht in Kraft gesetzt wurde. Gleichwohl hat das ukrainische Parlament zuletzt die Gültigkeit des sogenannten „Sonderstatusgesetzes“ bis Ende 2020 verlängert (AA 29.2.2020).

Ende November 2018 kam es im Konflikt um drei ukrainische Militärschiffe in der Straße von Kertsch erstmals zu einem offenen militärischen Vorgehen Russlands gegen die Ukraine. Das als Reaktion auf diesen Vorfall für 30 Tage in zehn Regionen verhängte Kriegsrecht endete am 26.12.2018, ohne weitergehende Auswirkungen auf die innenpolitische Entwicklung zu entfalten. (AA 22.2.2019; vgl. FH 4.2.2019). Die Besatzung der involvierten ukrainischen Schiffe wurde im September 2019 freigelassen, ihre Festnahme bleibt indes Gegenstand eines von der Ukraine angestrengten Verfahrens vor dem Internationalen Seegerichtshof (AA 29.2.2020).

Der russische Präsident, Vladimir Putin, beschloss am 24.4.2019 ein Dekret, welches Bewohnern der selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk den Erwerb der russischen Staatsbürgerschaft im Eilverfahren erleichtert ermöglicht. Demnach soll die Entscheidung der russischen Behörden über einen entsprechenden Antrag nicht länger als drei Monate dauern. Internationale Reaktionen kritisieren dies als kontraproduktiven bzw. provokativen Schritt. Ukrainische Vertreter sehen darin die Schaffung einer rechtlichen Grundlage für den offiziellen Einsatz der russischen Streitkräfte gegen die Ukraine. Dafür gibt es einen historischen Präzedenzfall. Als im August 2008 russische Truppen in Georgien einmarschierten, begründete der damalige russische Präsident Dmitrij Medwedjew das mit seiner verfassungsmäßigen Pflicht, „das Leben und die Würde russischer Staatsbürger zu schützen, wo auch immer sie sein mögen“. In den Jahren zuvor hatte Russland massenhaft Pässe an die Bewohner der beiden von Georgien abtrünnigen Gebiete Abchasien und Südossetien ausgegeben (FAZ 26.4.2019; vgl. SO 24.4.2019).

Frieden in der Ostukraine gehörte zu den zentralen Versprechen von Wolodymyr Selenskyj während seiner Wahlkampagne 2019. In der Tat gelangen ihm einige Durchbrüche innerhalb der ersten zehn Monate seiner Präsidentschaft. Es kam zu einem mehrmaligen Austausch von Gefangenen, zur Entflechtung der Streitkräfte beider Seiten an drei Abschnitten der Kontaktlinie, zu einer relativ erfolgreichen Waffenruhe im August 2019 und zum Normandie-Treffen unter Teilnahme des russischen, französischen und ukrainischen Präsidenten sowie der deutschen Bundeskanzlerin. An der Dynamik des Konfliktes hat sich jedoch wenig verändert. Im Donbas wird weiterhin geschossen und die gegenwärtigen Verluste des ukrainischen Militärs sind mit denen in den Jahren 2018 und 2019 vergleichbar. In den ersten drei Monaten 2020 starben 27 ukrainische Soldaten in den Kampfhandlungen (KAS 4.2020).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt (29.2.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine (Stand: Januar 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2027985/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Ukraine_%28Stand_Januar_2020%29%2C_29.02.2020.pdf, Zugriff 19.5.2020

FAZ – Frankfurter Allgemeine Zeitung (26.4.2019): Ein Signal an Selenskyj, https://www.faz.net/aktuell/politik/putin-verteidigt-russische-staatsbuergerschaft-fuer-ukrainer-16157482.html?printPagedArticle=true#pageIndex_0, Zugriff 25.5.2020

FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - Ukraine, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025958.html, Zugriff 19.5.2020

KAS – Konrad Adenauer Stiftung (4.2020): Ukrainische Politik im Schatten der Pandemie: Teil 1, https://www.ecoi.net/en/file/local/2028885/Ukrainische+Politik+im+Schatten+der+Pandemie.+Teil+1.pdf, Zugriff 25.5.2020

SO – Spiegel Online (24.4.2019): Putins Provokation, https://www.spiegel.de/politik/ausland/ukraine-wladimir-putin-kuendigt-an-russische-paesse-im-besetzten-donbass-auszuteilen-a-1264280.html, Zugriff 25.5.2020

Rechtsschutz / Justizwesen

Letzte Änderung: 09.07.2020

Die ukrainische Verfassung sieht eine unabhängige Justiz vor, die Gerichte sind aber trotz Reformmaßnahmen der Regierung weiterhin ineffizient und anfällig für politischen Druck und Korruption. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Justiz ist gering. Trotz der Bemühungen um eine Reform der Justiz und der Generalstaatsanwaltschaft ist Korruption bei Richtern und Staatsanwälten weiterhin ein Problem. Zivilgesellschaftliche Gruppen bemängeln weiterhin die schwache Gewaltenteilung zwischen der Exekutive und der Judikative. Einige Richter behaupten Druckausübung durch hochrangige Politiker. Einige Richter und Staatsanwälte erhielten Berichten zufolge Bestechungsgelder. Andere Faktoren, welche das Recht auf ein faires Verfahren behindern, sind langwierige Gerichtsverfahren, insbesondere bei Verwaltungsgerichten, unterfinanzierte Gerichte und mangelnde Möglichkeiten Urteile durchzusetzen (USDOS 11.3.2020).

Die ukrainische Justizreform trat im September 2016 in Kraft, der langjährige Prozess der Implementierung der Reform dauert weiter an. Bereits 2014 startete ein umfangreicher Erneuerungsprozess mit der Annahme eines Lustrationsgesetzes, das u.a. die Entlassung aller Gerichtspräsidenten sowie die Erneuerung der Selbstverwaltungsorgane der Richterschaft vorsah. Eine im Februar 2015 angenommene Gesetzesänderung zur „Sicherstellung des Rechtes auf ein faires Verfahren“ sieht auch eine Erneuerung der gesamten Richterschaft anhand einer individuellen qualitativen Überprüfung („re-attestation“) aller Richter vor, die jedoch von der Zivilgesellschaft als teils unzureichend kritisiert wurde. Bislang wurden laut Informationen von ukrainischen Zivilgesellschaftsvertretern rund 2.000 der insgesamt 8.000 in der Ukraine tätigen Richter diesem Prozess unterzogen, wobei rund 10% entweder von selbst zurücktraten oder bei der Prozedur durchfielen. Ein wesentliches Element der Justizreform ist auch der vollständig neu gegründete Oberste Gerichtshof, der am 15. Dezember 2017 seine Arbeit aufnahm. Allgemein ist der umfassende Erneuerungsprozess der Richterschaft jedoch weiterhin in Gange und schreitet nur langsam voran. Die daraus resultierende häufige Unterbesetzung der Gerichte führt teilweise zu Verfahrensverzögerungen. Von internationaler Seite wurde die Annahme der weitreichenden Justizreform weitgehend begrüßt (ÖB 2.2019).

2014 wurde auch eine umfassende Reform der Staatsanwaltschaft in Gang gesetzt. In erster Linie ging es dabei auch darum, das schwer angeschlagene Vertrauen in die Institution wieder herzustellen, weshalb ein großer Teil dieser Reform auch eine Erneuerung des Personals vorsieht. Im Juli 2015 begann die vierstufige Aufnahmeprozedur für neue Mitarbeiter. Durchgesetzt haben sich in erster Linie jedoch Kandidaten, die bereits in der Generalstaatsanwaltschaft Erfahrung gesammelt hatten. Weiters wurde der Generalstaatsanwaltschaft ihre Funktion als allgemeine Aufsichtsbehörde mit der Justizreform 2016 auf Verfassungsebene entzogen, was jedoch noch nicht einfach gesetzlich umgesetzt wurde. Jedenfalls wurde in einer ersten Phase die Struktur der Staatsanwaltschaft verschlankt, indem über 600 Bezirksstaatsanwaltschaften auf 178 reduziert wurden. 2017 wurde mit dem Staatsanwaltschaftsrat („council of prosecutors“) ein neues Selbstverwaltungsorgan der Staatsanwaltschaft geschaffen. Es gab bereits erste Disziplinarstrafen und Entlassungen, Untersuchungen gegen die Führungsebene der Staatsanwaltschaft wurden jedoch vorerst vermieden. Auch eine spezialisierte Antikorruptions-Staatsanwaltschaft wurde geschaffen. Diese Reformen wurden vor allem wegen der mangelnden personellen Erneuerung der Staatsanwaltschaft kritisiert. Auch erhöhte die Reform die Belastung der Ankläger, die im Durchschnitt rund je 100 Strafverfahren gleichzeitig bearbeiten, was zu einer Senkung der Effektivität der Institution beiträgt. Allgemein bleibt aber, trotz einer signifikanten Reduktion der Zahl der Staatsanwälte, diese im europäischen Vergleich enorm hoch, jedoch ineffizient auf die zentrale, regionale und lokale Ebene verteilt (ÖB 2.2019).

Die jüngsten Reforminitiativen, die sich gegen korrupte und politisierte Gerichte wenden, sind ins Stocken geraten oder blieben hinter den Erwartungen zurück. Das neue Hohe Anti-Korruptionsgericht, das im September 2019 seine Arbeit aufgenommen hat, hat noch keine Ergebnisse erzielt. Obwohl es Garantien für ein ordnungsgemäßes Verfahren gibt, können Personen mit finanziellen Mitteln und politischem Einfluss in der Praxis einer Strafverfolgung wegen Fehlverhaltens entgehen (FH 4.3.2020). Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis orientieren sich an westeuropäischen Standards. Untersuchungshaft wird nach umfassender Reform des Strafverfahrensrechts erkennbar seltener angeordnet als früher (AA 29.2.2020). Nach den 2019 veröffentlichten Statistiken des World Prison Bureau sind etwa 36% der Gefangenen in der Ukraine Untersuchungshäftlinge (FH 4.3.2020).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt (29.2.2020): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine (Stand: Januar 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2027985/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Ukraine_%28Stand_Januar_2020%29%2C_29.02.2020.pdf, Zugriff 19.5.2020

FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - Ukraine, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025958.html, Zugriff 19.5.2020

ÖB - Österreichische Botschaften (2.2019): Asylländerbericht Ukraine, https://www.ecoi.net/en/file/local/2003113/UKRA_%C3%96B-Bericht_2018.doc, Zugriff 20.5.2020

USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Ukraine, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026415.html, Zugriff 19.5.2020

Sicherheitsbehörden

Letzte Änderung: 09.07.2020

Das Innenministerium ist für die Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit und Ordnung zuständig. Das Ministerium beaufsichtigt das Personal der Polizei und anderer Strafverfolgungsbehörden. Der Sicherheitsdienst der Ukraine (SBU) ist für den Staatsschutz im weitesten Sinne, den nicht-militärischen Nachrichtendienst sowie für Fragen der Spionage- und Terrorismusbekämpfung zuständig. Das Innenministerium untersteht dem Ministerkabinett, der SBU ist direkt dem Präsidenten unterstellt. Das Verteidigungsministerium schützt das Land vor Angriffen aus dem In- und Ausland, gewährleistet die Souveränität und die Integrität der Landesgrenzen und übt die Kontrolle über die Aktivitäten der Streitkräfte im Einklang mit dem Gesetz aus. Der Präsident ist der oberste Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Das Verteidigungsministerium untersteht direkt dem Präsidenten. Der Staatliche Steuerfiskus übt über die Steuerpolizei Strafverfolgungsbefugnisse aus und untersteht dem Ministerkabinett. Der dem Innenministerium unterstellte Staatliche Migrationsdienst setzt die staatliche Politik in Bezug auf Grenzsicherheit, Migration, Staatsbürgerschaft und Registrierung von Flüchtlingen und anderen Migranten um (USDOS 11.3.2020).

Die Sicherheitsbehörden unterstehen generell effektiver ziviler Kontrolle. Die Regierung hat es jedoch im Allgemeinen versäumt, angemessene Schritte zu unternehmen, um Missbräuche durch Beamte strafrechtlich zu verfolgen oder zu bestrafen. Menschenrechtsgruppen und die Vereinten Nationen stellten erhebliche Mängel bei den Ermittlungen zu mutmaßlichen Menschenrechtsverletzungen durch staatliche Sicherheitskräfte fest. Zuweilen wenden die Sicherheitskräfte selbst übermäßige Gewalt an, um Proteste aufzulösen (USDOS 11.3.2020), oder verabsäumen es in einzelnen Fällen, Opfer vor Belästigung oder Gewalt zu schützen. Dies betrifft vor allem Hassverbrechen gegen ethnische Minderheiten, insbesondere Roma, LGBT-Personen, Feministinnen oder Personen, die von ihren Angreifern als „anti-ukrainisch“ wahrgenommen werden. Auch die Misshandlung von Festgenommenen durch die Polizei ist weiterhin ein Problem (USDOS 11.3.2020; vgl. AI 16.4.2020).

Während der Maidan-Proteste 2013/2014 kam es zu Menschenrechtsverletzungen durch die gewaltsame Unterdrückung der Proteste durch Sicherheitskräfte, mehr als 100 Menschen wurden getötet, hunderte verletzt. Die laufende Untersuchung zu diesen Verbrechen ist langsam und ineffektiv (AI 16.4.2020). Es wurden dennoch einige Fortschritte erzielt, 422 Menschen wurden angeklagt, 52 verurteilt und 9 davon mit einer Gefängnisstrafe belegt. Die Gesellschaft fordert jedoch, dass auch diejenigen, die die Befehle zur Tötung gaben, zur Rechenschaft gezogen werden, und nicht nur jene, die diesen Befehlen folgten (BTI 2020).

In den letzten Jahren wurden u.a. Reformen im Bereich der Polizei durchgeführt (AA 29.2.2020). Das sichtbarste Ergebnis der ukrainischen Polizeireform ist die Gründung der Nationalen Polizei nach europäischen Standards, mit starker Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, als von der Politik grundsätzlich unabhängiges Exekutivorgan. Mit November 2015 ersetzte die Nationale Polizei offiziell die bestehende und aufgrund von schweren Korruptionsproblemen in der Bevölkerung stark diskreditierte „Militsiya“. Alle Mitglieder der Militsiya hatten grundsätzlich die Möglichkeit, in die neue Truppe aufgenommen zu werden, mussten hierfür jedoch einen „Re-Attestierungsprozess“ samt umfangreichen Schulungsmaßnahmen und Integritätsprüfungen durchlaufen. Im Oktober 2016 verkündete die damalige Leiterin der Nationalen Polizei den erfolgreichen Abschluss dieses Prozesses, in dessen Zuge 26% der Polizeikommandanten im ganzen Land entlassen, 4.400 Polizisten befördert und im Gegenzug 4.400 herabgestuft wurden. Zentrale Figur der Polizeireform war die ehemalige georgische Innenministerin Khatia Dekanoidze, die jedoch am 14. November 2016 aufgrund des von ihr bemängelnden Reformfortschrittes, zurücktrat. Zu ihrem Nachfolger wurde, nach einem laut Einschätzung der EU Advisory Mission (EUAM) offenen und transparenten Verfahren, im Februar 2017 Serhii Knyazev bestellt. Das Gesetz „Über die Nationalpolizei“ sieht eine Gewaltenteilung zwischen dem Innenminister und dem Leiter der Nationalen Polizei vor. Der Innenminister ist ausschließlich für die staatliche Politik im Rechtswesen zuständig, der Leiter der Nationalen Polizei konkret für die Polizei. Dieses europäische Modell soll den Einfluss des Ministers auf die operative Arbeit der Polizei verringern. Dem Innenministerium unterstehen seit der Reform auch der Staatliche Grenzdienst, der Katastrophendienst, die Nationalgarde und der Staatliche Migrationsdienst. Festzustellen ist, dass der Innenminister in der Praxis immer noch die Arbeit der Polizei beeinflusst und die Reform somit noch nicht vollständig umgesetzt ist. Das nach dem Abgang von Khatia Dekanoidze befürchtete Zurückrollen diverser erzielter Reformen, ist laut Einschätzung der EUAM, jedenfalls nicht eingetreten. Das im Juni 2017 gestartete Projekt „Detektive“ – Schaffung polizeilicher Ermittler/Zusammenlegung der Funktionen von Ermittlern und operativen Polizeieinsatzkräften, spielt in den Reformen ebenfalls eine wichtige Rolle. Wie in westeuropäischen Staaten bereits seit langem praktiziert, soll damit ein- und derselbe Ermittler für die Erhebung einer Straftat, die Beweisaufnahme bis zur Vorlage an die Staatsanwaltschaft zuständig sein. Bislang sind in der Ukraine, wie zu Sowjetzeiten, immer noch die operative Polizei für die Beweisaufnahme und die Ermittler für die Einreichung bei Gericht zuständig. Etwas zögerlich wurde auch die Schaffung eines „Staatlichen Ermittlungsbüros (SBI)“ auf den Weg gebracht und mit November 2017 ein Direktor ernannt. Das SBI hat die Aufgabe, vorgerichtliche Erhebungen gegen hochrangige Vertreter des Staates, Richter, Polizeikräfte und Militärangehörige durchzuführen, sofern diese nicht in die Zuständigkeit des Nationalen Antikorruptions-Büros (NABU) fallen. Die Auswahl der Mitarbeiter ist jedoch noch nicht abgeschlossen. Mit Unterstützung der EU Advisory Mission (EUAM) wurde 2018 auch eine „Strategie des Innenministeriums bis 2020“ sowie ein Aktionsplan entwickelt (ÖB 2.2019). Kritiker bemängeln, dass bei den Reformen der Strafverfolgung ab 2015 systemische Fragen im Innenministerium und im Strafrechtssystem nicht behandelt wurden, und dass sich das weit verbreitete kriminelle Verhalten von Polizisten, Ermittlern und Staatsanwälten fortsetzt bzw. sich in einigen Fällen sogar verschlechtert hat (AC 30.6.2020).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt (29.2.2020): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine (Stand: Januar 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2027985/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Ukraine_%28Stand_Januar_2020%29%2C_29.02.2020.pdf, Zugriff 19.5.2020

AC – Atlantic Council (30.6.2020):Ukraine’s powerful Interior Minister Avakov under fire over police reform failures, https://www.atlanticcouncil.org/blogs/ukrainealert/ukraines-powerful-interior-minister-avakov-under-fire-over-police-reform-failures/, Zugriff 6.7.2020

AI – Amnesty International (16.4.2020): Human Rights in Eastern Europe and Central Asia - Review of 2019 - Ukraine [EUR 01/1355/2020], https://www.ecoi.net/de/dokument/2028174.html, Zugriff 20.5.2020

BTI – Bertelsmann Transformation Index (2020): Ukraine, Country Report 2020, https://www.bti-project.org/de/berichte/country-report-UKR.html, Zugriff 22.5.2020

ÖB - Österreichische Botschaften (2.2019): Asylländerbericht Ukraine, https://www.ecoi.net/en/file/local/2003113/UKRA_%C3%96B-Bericht_2018.doc, Zugriff 19.5.2020

USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Ukraine, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026415.html, Zugriff 19.5.2020

Folter und unmenschliche Behandlung

Letzte Änderung: 09.07.2020

Folter sowie grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung und Bestrafungen, die gegen die Menschenwürde verstoßen, sind gemäß Artikel 28 der ukrainischen Verfassung verboten. Die Ukraine ist seit 1987 Mitglied der UN-Anti-Folter-Konvention (CAT) und seit 1997 Teilnehmerstaat der Anti-Folter-Konvention des Europarats (AA 29.2.2020).

Trotzdem gibt es Berichte, dass Strafverfolgungsbehörden an solchen Misshandlungen beteiligt waren. Obwohl Gerichte keine unter Zwang zustande gekommene Geständnisse mehr als Beweismittel verwenden, gibt es Berichte über von Exekutivbeamten durch Folter erzwungene Geständnisse. Die Misshandlung von Gefangenen durch die Polizei blieb ein weit verbreitetes Problem. In einem Bericht des UN-Sonderberichterstatters über Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe von Jänner 2019 heißt es, dass der Sonderberichterstatter zahlreiche Vorwürfe von Folter und Misshandlung durch die Polizei erhalten habe, darunter auch gegen Jugendliche, fast immer während der Festnahme und des Verhörs. Die meisten Insassen berichteten, dass die Untersuchungsbeamten eine solche Behandlung einsetzten, um sie einzuschüchtern oder sie zu zwingen, ein angebliches Verbrechen zu gestehen. Der Sonderberichterstatter stellte ferner fest, dass es Rechtsanwälten, Polizeibeamten, Staatsanwälten und Richtern an grundlegenden Kenntnissen mangelte, um Anschuldigungen von Folter und Misshandlung angemessen zu untersuchen und zu dokumentieren. Folglich erhielten Opfer von Folter oder anderen Misshandlungen im Allgemeinen keine Hilfe von staatlichen Behörden. Nach Angaben der Charkiwer Menschenrechtsgruppe berichteten diejenigen, die bei der Generalstaatsanwaltschaft Folterbeschwerden eingereicht hatten, dass Strafverfolgungsbeamte sie oder ihre Angehörigen eingeschüchtert und gezwungen hätten, ihre Beschwerden zurückzuziehen. Menschenrechtsorganisationen und Medien berichteten über Todesfälle aufgrund von Folter oder Vernachlässigung durch Polizei oder Gefängnispersonal (USDOS 11.3.2020).

Im von der Regierung kontrollierten Gebiet erhielt das Office of the UN High Commissioner for Human Rights Monitoring Mission in Ukraine (HRMMU) weiterhin Vorwürfe, dass der SBU Personen sowohl in offiziellen als auch in inoffiziellen Haftanstalten festhielt und missbrauchte, um Informationen zu erhalten und Verdächtige unter Druck zu setzen, damit sie gestehen oder kooperieren. Die Zahl der gemeldeten Fälle war erheblich geringer als in den vergangenen Jahren. HRMMU vermutete, dass solche Fälle zu wenig gemeldet wurden, weil die Opfer oft in Haft blieben oder aus Angst vor Vergeltungsmaßnahmen oder aus mangelndem Vertrauen in das Justizsystem Angst hatten, Missbrauch anzuzeigen. Dem HRMMU zufolge gibt der Mangel an wirksamen Ermittlungen in zuvor dokumentierten Fällen von Folter und körperlicher Misshandlung nach wie vor Anlass zur Sorge (USDOS 11.3.2020). Der ukrainische Sicherheitsdienst SBU bestreitet, trotz anderslautender Erkenntnisse des HRMMU, einige wenige Personen in der Konfliktregion unbekannten Orts festzuhalten und verweist auf seine gesetzlichen Ermittlungszuständigkeiten. In mindestens einem Fall haben die Strafverfolgungsbehörden bisher Ermittlungen wegen illegaler Haft gegen Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden aufgenommen. HRMMU, das sonst in regierungskontrollierten Gebieten problemlos Zugang zu Inhaftierten erhält, beklagte in der Vergangenheit gelegentlich erhebliche Verzögerungen beim Erhalt von Besuchsgenehmigungen für Personen, gegen die der SBU ermittelt. Ein im Mai 2017 bekannt gewordener Gesetzentwurf räumt die Existenz illegaler SBU-Gefängnisse ein und zielt darauf ab, diese auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen (AA 29.2.2020).

Aus den von Separatisten kontrollierten Gebieten im Osten der Ukraine (Donbas) gibt es Berichte über gewaltsame Unterdrückung aller Formen von Dissidenten, allgegenwärtige Folter und andere Misshandlungen von Gefangenen (AI 16.4.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). Nach Angaben internationaler Organisationen und NGOs gehören zu den Missbräuchen Schläge, Zwangsarbeit, psychische und physische Folter, öffentliche Erniedrigung und sexuelle Gewalt (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt (29.2.2020): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine (Stand: Januar 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2027985/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Ukraine_%28Stand_Januar_2020%29%2C_29.02.2020.pdf, Zugriff 19.5.2020

AI – Amnesty International (16.4.2020): Human Rights in Eastern Europe and Central Asia - Review of 2019 - Ukraine [EUR 01/1355/2020], https://www.ecoi.net/de/dokument/2028174.html, Zugriff 19.5.2020

USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Ukraine, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026415.html, Zugriff 19.5.2020

Korruption

Letzte Änderung: 09.07.2020

Die Ukraine wird im 2019 Corruption Perceptions Index von Transparency International mit 30 (von 100) Punkten bewertet (0=highly corrupt, 100=very clean) (TI 2019). Die Gesetze sehen strafrechtliche Sanktionen für Korruption vor, aber die Behörden setzen diese nicht effektiv um, und viele Beamte sind ungestraft korrupt, weniger in der Regierung, aber auf allen Ebenen der Exekutive, Legislative und der Justizbehörden. Trotz Maßnahmen zur Bekämpfung der Korruption durch die Regierung, bleibt diese ein Problem für Bürger und Unternehmen (USDOS 13.3.2019).

Korruption ist in der Ukraine weit verbreitet und stellt seit vielen Jahren ein inhärentes Problem dar. Korruption war ein zentrales Thema während der Proteste in Kiew im Herbst/Winter 2013/2014, die im Februar 2014 mit einem Regimewechsel endeten. In den Jahren 2014 und 2015 wurden im Rahmen einer nationalen Antikorruptionsstrategie mehrere neue Gremien zur Bekämpfung der Korruption auf verschiedenen Ebenen des Regierungsapparats eingerichtet. Darüber hinaus wurden Reformen in Polizei und Justiz eingeleitet, die beide stark von Korruption betroffen sind. Bis heute gibt es je nach Zuständigkeitsbereich eine Reihe von Stellen, die Korruptionsfälle untersuchen und strafrechtlich verfolgen. Es kam jedoch, wenn überhaupt, nur zu sehr wenigen Verurteilungen (Landinfo 2.3.2020). Bis vor kurzem gab es keine separaten Gesetze zum Schutz von Informanten, weshalb viele Bürger Korruption nicht anzeigen wollten. Im Jänner 2020 trat ein neues bzw. geändertes Gesetz zum Schutz von Informanten bezüglich Korruption in Kraft (Landinfo 2.3.2020; vgl. RFE/RL 14.11.2019).

Im Juni 2018 unterzeichnete der Präsident das Gesetz über das Hohe Antikorruptionsgericht (HACC) (USDOS 13.3.2019). Das HACC n

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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