Entscheidungsdatum
10.09.2021Norm
AsylG 2005 §10 Abs2Spruch
I406 2210367-1/21E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Gerhard KNITEL über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Tunesien, vertreten durch Rechtsanwältin Mag. Dr. Vera WELD, Weihburggasse 4/40, 1010 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.10.2018, Zl. XXXX , in der Fassung der Beschwerdevorentscheidung vom 21.11.2018 zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen und die Beschwerdevorentscheidung bestätigt.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer reiste (spätestens) am 23.04.2001 unrechtmäßig aus Italien kommend nach Österreich ein und stellte am 25.05.2001 einen Antrag auf internationalen Schutz, der mit Bescheid des damaligen Bundesasylamtes vom 05.01.2001, Zl. XXXX , als unzulässig zurückgewiesen wurde. Gleichzeitig wurde festgestellt, dass Italien für die Führung des Asylverfahrens zuständig sei und die Ausweisung des Beschwerdeführers nach Italien ausgesprochen. Diese Entscheidung wurde mit Berufungsbescheid des damaligen Unabhängigen Bundesasylsenates vom 29.11.2001 bestätigt. Der Beschwerdeführer kam seiner Verpflichtung zur Ausreise nach Italien nicht nach und verblieb illegal im Bundesgebiet.
2. Am XXXX heiratete er eine österreichische Staatsbürgerin. Am 13.05.2002 wurde dem Beschwerdeführer aufgrund dieser Ehe eine Niederlassungsbewilligung ausgestellt, die in weiterer Folge mehrmals verlängert wurde, zuletzt unbefristet am 09.11.2009.
3. Im Jänner 2007 brachte seine Ehefrau eine Scheidungsklage ein und verwehrte dem Beschwerdeführer den Zutritt zur gemeinsamen Wohnung. Am XXXX wurde die Ehe des Beschwerdeführers rechtskräftig geschieden.
4. Mit Urteil eines Landesgerichtes vom 23.03.2010 wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des Diebstahls gemäß § 127 StGB, des Verbrechens der Verleumdung gemäß §§ 297 Abs. 1 zweiter Fall, 15 StGB, des Vergehens des Diebstahls durch Einbruch gemäß §§ 129 Abs. 1 Z 3, 15 StGB, des Vergehens des Widerstands gegen die Staatsgewalt gemäß § 269 Abs. 1 erster Fall StGB und des Vergehens der schweren Körperverletzung gemäß §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 vierter Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von elf Monaten und vier Wochen rechtskräftig verurteilt, wovon zehn Monate und zwei Wochen unter Setzung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehen wurden.
5. Mit rechtskräftigem Urteil eines Landesgerichtes vom 21.11.2012 wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des Widerstands gegen die Staatsgewalt gemäß §§ 15, 269 Abs. 1 StGB, des Vergehens des unerlaubten Umganges mit psychotropen Stoffen gemäß § 30 Abs. 1 siebter Fall SMG und der Vergehen des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften gemäß § 27 Abs. 1 Z 1 achter Fall und Abs. 3 SMG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von zwölf Monaten verurteilt.
6. Am XXXX .2013 heiratete der Beschwerdeführer neuerlich seine Ex-Frau.
7. Aufgrund der beiden strafgerichtlichen Verurteilungen wurde gegen den Beschwerdeführer mit Bescheid des UVS Wien vom 21.08.2013, Zl. XXXX , ein fünfjähriges Aufenthaltsverbot erlassen (gültig bis 21.08.2018).
8. Am 15.11.2013 widerrief die zuständige Niederlassungs- und Aufenthaltsbehörde den dem Beschwerdeführer am 13.05.2002 verliehenen Aufenthaltstitel.
9. Mit Urteil eines Landesgerichtes vom 02.04.2014 wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des Widerstands gegen die Staatsgewalt gemäß §§ 15, 269 Abs. 1 dritter Fall StGB und des Vergehens der schweren Körperverletzung gemäß §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 vierter Fall StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von sechs Monaten rechtskräftig verurteilt.
10. Mit rechtskräftigem Urteil eines Bezirksgerichtes vom 14.05.2014 wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB zu einer einmonatigen unbedingten Freiheitsstrafe verurteilt.
11. Mit rechtskräftigem Urteil eines Landesgerichtes vom 08.11.2016 wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs. 1 StGB, des Vergehens des teils versuchten, teils vollendeten Diebstahls nach §§ 127, 15 StGB und des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs. 1 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Jahren verurteilt.
12. Daraufhin teilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA, belangte Behörde) dem Beschwerdeführer mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 09.04.2018 mit, dass gegen ihn die Erlassung einer Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem Einreiseverbot beabsichtigt sei. Die ihm gewährte Frist zur Erstattung einer schriftlichen Stellungnahme ließ der Beschwerdeführer ungenützt verstreichen.
13. Mit verfahrensgegenständlichem Bescheid vom 11.10.2018, Zl. XXXX , erteilte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt I. erster Satz) und erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt I. zweiter Satz). Zugleich wurde festgestellt, dass seine Abschiebung nach Tunesien zulässig ist (Spruchpunkt II.). Die belangte Behörde verhängte über den Beschwerdeführer ein Einreiseverbot in der Dauer von fünf Jahren (Spruchpunkt III.). Einer Beschwerde gegen diese Entscheidung wurde die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt IV.).
14. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer durch seine ausgewiesene Rechtsvertretung mit Schriftsatz vom 13.11.2018 fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Begründend wurde zusammengefasst ausgeführt, dass der Beschwerdeführer sich seit 2001 im Bundesgebiet aufhalte und eine österreichische Ehefrau habe. Die belangte Behörde habe das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers nicht ausreichend berücksichtigt und die gemäß Art. 8 EMRK gebotene Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht vorgenommen.
15. Mit Beschwerdevorentscheidung vom 21.11.2018 wies das BFA die Beschwerde als unbegründet ab.
16. Der Beschwerdeführer beantragte mit Schriftsatz seiner Rechtsvertretung vom 27.11.2018 die Beschwerdevorlage an das Bundesverwaltungsgericht.
17. Beschwerde und Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 29.11.2018 vorgelegt.
18. Zuletzt wurde der Beschwerdeführer mit rechtskräftigem Urteil eines Landesgerichtes vom 25.03.2019 wegen des Vergehens des Widerstands gegen die Staatsgewalt gemäß §§ 15, 269 Abs. 1 erster Fall StGB zu einer unbedingten achtmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die unter Punkt I. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus folgende weitere Feststellungen getroffen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der volljährige Beschwerdeführer ist tunesischer Staatsangehöriger. Seine Identität steht fest.
Er ist volljährig, geschieden und kinderlos.
Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig. Er hat in Tunesien die Grundschule besucht.
Die Mutter und ein Bruder des Beschwerdeführers leben nach wie vor in Tunesien.
Der Beschwerdeführer reiste erstmals im Jahr 2001 unter Umgehung der Grenzkontrollen in das Bundesgebiet ein und stellte am 25.05.2001 einen Asylantrag in Österreich, der am 29.11.2001 in zweiter Instanz wegen einer Dublin-Zuständigkeit Italiens als unzulässig zurückgewiesen wurde. Er kam seiner Verpflichtung zur Ausreise nach Italien nicht nach und verblieb illegal im Bundesgebiet.
Am XXXX .2002 heiratete er eine österreichische Staatsbürgerin. Am XXXX .2010 wurde die Ehe rechtskräftig geschieden und am XXXX .2013 erfolgte eine neuerliche Eheschließung zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Ex-Frau. Ab Mai 2017 verfügten sie über keinen gemeinsamen Wohnsitz mehr, in weiterer Folge wurde die Ehe neuerlich geschieden.
Aufgrund seiner Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin war dem Beschwerdeführer erstmals am 13.05.2002 eine Niederlassungsbewilligung ausgestellt worden, die in weiterer Folge mehrmals verlängert wurde, zuletzt unbefristet am 09.11.2009.
Der Beschwerdeführer ist im Bundesgebiet wiederholt strafrechtlich in Erscheinung getreten. Aus diesem Grund widerrief die zuständige Niederlassungs- und Aufenthaltsbehörde am 15.11.2013 den dem Beschwerdeführer am 13.05.2002 verliehenen Aufenthaltstitel.
Außerdem wurde gegen den Beschwerdeführer aufgrund seiner Straffälligkeit mit Bescheid des UVS Wien vom 21.08.2013, Zl. XXXX , ein fünfjähriges Aufenthaltsverbot erlassen (gültig bis 21.08.2018).
Mit Urteil eines Landesgerichtes vom 23.03.2010 wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des Diebstahls gemäß § 127 StGB, des Verbrechens der Verleumdung gemäß §§ 297 Abs. 1 zweiter Fall, 15 StGB, des Vergehens des Diebstahls durch Einbruch gemäß §§ 129 Abs. 1 Z 3, 15 StGB, des Vergehens des Widerstands gegen die Staatsgewalt gemäß § 269 Abs. 1 erster Fall StGB und des Vergehens der schweren Körperverletzung gemäß §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 vierter Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von elf Monaten und vier Wochen rechtskräftig verurteilt, wovon zehn Monate und zwei Wochen unter Setzung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehen wurden.
Mit rechtskräftigem Urteil eines Landesgerichtes vom 21.11.2012 wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des Widerstands gegen die Staatsgewalt gemäß §§ 15, 269 Abs. 1 StGB, des Vergehens des unerlaubten Umganges mit psychotropen Stoffen gemäß § 30 Abs. 1 siebter Fall SMG und der Vergehen des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften gemäß § 27 Abs. 1 Z 1 achter Fall und Abs. 3 SMG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von zwölf Monaten verurteilt.
Mit Urteil eines Landesgerichtes vom 02.04.2014 wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des Widerstands gegen die Staatsgewalt gemäß §§ 15, 269 Abs. 1 dritter Fall StGB und des Vergehens der schweren Körperverletzung gemäß §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 vierter Fall StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von sechs Monaten rechtskräftig verurteilt.
Mit rechtskräftigem Urteil eines Bezirksgerichtes vom 14.05.2014 wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB zu einer einmonatigen unbedingten Freiheitsstrafe verurteilt.
Mit rechtskräftigem Urteil eines Landesgerichtes vom 08.11.2016 wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs. 1 StGB, des Vergehens des teils versuchten, teils vollendeten Diebstahls nach §§ 127, 15 StGB und des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs. 1 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Jahren verurteilt.
Dieser Verurteilung lag zugrunde, dass der Beschwerdeführer in Wien
A.) am 07.08.2016 mit Gewalt gegen eine Person S.K. eine fremde bewegliche Sache mit dem Vorsatz, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern weggenommen hat, indem er ihr zwei Faustschläge gegen das Gesicht versetzte und die Handtasche samt EUR 20,00, Zigaretten und einem Feuerzeug entriss.
B.) am 12.03.2016
1.) fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, weggenommen bzw. wegzunehmen versucht hat, und zwar
a) weggenommen hat, eine Kamera des M.W.
b) wegzunehmen versucht hat, Bargeld aus der Tasche der D.S.
2.) anlässlich der in 1.) b.) genannten Tat auch Urkunden, über die er nicht verfügen durfte, und zwar Aufenthaltstitel, einen Führerschein, eine E-Card, eine ÖAMTC Mitgliedskarte und zwei Studentenausweise, mit dem Vorsatz unterdrückt hat, zu verhindern, dass diese im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechtes, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache gebraucht werden.
Bei der Strafzumessung erschwerend wirkten sich drei einschlägige, rückfallbegründende Vorstrafen, das Zusammentreffen von einem Verbrechen und mehreren Vergehen und die Tatbegehung innerhalb offener Probezeit aus. Mildernd wurden das Geständnis, die Sicherstellung des Diebesgutes und der Umstand, dass es teilweise beim Versuch geblieben ist, gewertet.
Zuletzt wurde der Beschwerdeführer mit rechtskräftigem Urteil eines Landesgerichtes vom 25.03.2019 wegen des Vergehens des Widerstands gegen die Staatsgewalt gemäß §§ 15, 269 Abs. 1 erster Fall StGB zu einer achtmonatigen unbedingten Freiheitsstrafe verurteilt.
Der Beschwerdeführer ist geschieden und befindet sich in keiner Lebensgemeinschaft. In Österreich verfügt er über keine familiären Anknüpfungspunkte oder maßgebliche private Beziehungen, es leben keine Familienangehörigen oder Verwandten des Beschwerdeführers im Bundesgebiet.
Es konnten keine maßgeblichen Anhaltspunkte für die Annahme einer hinreichenden Integration des Beschwerdeführers in Österreich in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht festgestellt werden, jedenfalls keine, die man allein aufgrund der Dauer seines Aufenthaltes von nunmehr über 20 Jahren im Bundesgebiet erwarten kann. Er hat keine Deutschprüfung absolviert, gehört in Österreich weder einem Verein oder einer sonstigen Organisation an, noch steht er in einem Abhängigkeitsverhältnis zu irgendwelchen Personen oder hat er enge Bezüge zu ÖsterreicherInnen.
Der Beschwerdeführer bezieht keine Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung und geht keiner regelmäßigen Erwerbstätigkeit nach.
Er befand sich von 01.11.2012 bis 08.01.2013, von 09.03.2014 bis 08.10.2014, von 08.08.2016 bis 05.09.2019 in Strafhaft, war wiederholt obdachlos gemeldet oder ohne Wohnsitzadresse und verfügt seit dem 06.09.2019 über keine behördliche Meldeadresse mehr im Bundesgebiet. Sein derzeitiger Aufenthaltsort ist unbekannt.
1.2. Zur Lage in Tunesien:
Tunesien ist ein sicherer Herkunftsstaat im Sinne des § 1 Z 11 der Herkunftsstaaten-Verordnung.
Im Hinblick auf das Vorbringen des Beschwerdeführers stellt sich die Situation in Tunesien im Wesentlichen wie folgt dar:
COVID-19
Letzte Änderung: 19.03.2021
Aufgrund der Ausbreitung des Coronavirus (COVID-19), kommt es zu Einschränkungen im Flug- und Reiseverkehr und es ist mit weitgehenden Einschränkungen im öffentlichen Leben zu rechnen (BMEIA 10.3.2021; vgl. AA 10.3.2021). Es gilt eine landesweite Ausgangssperre von 22:00 bis 05:00 Uhr, und generell gilt die Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasenschutzes sowie eine Distanzpflicht im öffentlichen Raum (BMEIA 10.3.2021). Nach einem starken Anstieg der Infektionszahlen seit Herbst 2020 ist zuletzt eine rückläufige Tendenz zu verzeichnen. Tunesien wird als Risikogebiet eingestuft. Regionale Schwerpunkte sind der Großraum Tunis sowie Gabès. Aktuelle und detaillierte Zahlen bieten das tunesische Gesundheitsministerium und die Weltgesundheitsorganisation (AA 10.3.2021).
Quellen:
? AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (10.3.2021): Tunesien - Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/tunesien-node/tunesiensicherheit/219024, Zugriff 10.3.2021
? BMEIA - Bundesministerium Europäische und Internationale Angelegenheiten [Österreich] (10.3.2021): Reiseinformationen Tunesien, http://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/tunesien/, Zugriff 10.3.2021
Sicherheitslage
Letzte Änderung: 19.03.2021
Die von den bisherigen Regierungen angestrebte Verbesserung der Sicherheitslage im Inneren und der Kampf gegen den Terrorismus bleiben trotz vermehrter Anstrengungen und zahlreichen Verhaftungs- und Durchsuchungsaktionen weiter eine Herausforderung. Nach den tragischen Anschlägen im Jahr 2015 auf das Bardo Museum, eine Hotelanlage in Sousse sowie einen Bus der Präsidialgarde und dem schweren Angriff von IS-Milizen auf die tunesische Grenzstadt Ben Guerdane im März 2016 hat sich die Sicherheitslage verbessert. Durch die derzeit starke Einbindung des Militärs in den Antiterrorkampf als auch bei der Sicherung der Grenzen (so ist z.B. der Süden Tunesiens militärische Sperrzone) ist das Militär nach wie vor wichtiger Stützpfeiler der äußeren aber auch der inneren Sicherheit (AA 19.2.2021; vgl. AA 8.3.2021, EDA 8.3.2021).
Die Sicherheitslage ist nach wie vor prekär, geprägt von täglichen Sicherheitsoperationen von Militär und Polizei sowie Meldungen über vereitelte Anschläge. Die Sorge vor einer Infiltration durch aus Libyen und anderen Konfliktzonen zurückkehrende Islamisten tunesischen Ursprungs ist groß. Auch mit Hilfe ausländischer logistischer Unterstützung wurden die Grenzkontrollen drastisch verschärft, und es wird auch im Land nach Rückkehrern gefahndet (ÖB 1.10.2020).
Laut österreichischem Außenministerium gilt (für österreichische Staatsbürger) eine partielle Reisewarnung (Sicherheitsstufe 5) für die Saharagebiete, das Grenzgebiet zu Algerien und die westlichen Landesteile. Reisewarnungen bestehen für die Region südlich der Orte Tozeur – Douz – Ksar Ghilane – Tataouine – Zarzis. Mit gewaltsamen Aktionen terroristischer Organisationen ist zu rechnen. Das militärische Sperrgebiet an der Grenze zu Algerien in der Nähe des Berges Chaambi ist teilweise vermint und kann von den Sicherheitskräften kurzfristig ausgedehnt werden. Im Westen des Landes ist mit verstärkter Militär- und Polizeipräsenz zu rechnen; es finden bewaffnete Auseinandersetzungen mit Terroristengruppen statt (BMEIA 8.3.2021). Die Behörden haben insbesondere die Präsenz der Sicherheitskräfte im Land erhöht, vor allem in den Touristenorten (EDA 8.3.2021).
Der seit 2015 geltende nationale Ausnahmezustand in Tunesien wurde am 26.12.2020 von Präsident Kaïes Saïed um weitere sechs Monate bis Ende Juni 2021 verlängert. Im Ausnahmezustand verfügen die Sicherheitsbehörden über erweiterte Befugnisse, was zu einer Einschränkung der Bewegungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit führen kann (BAMF 11.1.2021). Es erlaubt den Sicherheitskräften Streiks, Kundgebungen und große Versammlungen zu verbieten, von denen angenommen wird, dass sie zu Unruhen führen. Die Regierung hat diese Maßnahmen aus Sicherheitsgründen als notwendig bezeichnet, aber Analysten haben argumentiert, dass die Maßnahmen Dissens unterdrücken sollen (FH 3.3.2021; vgl. ÖB 1.10.2020). Die Behörden verfügen somit über eine weitreichende Erlaubnis, die Bewegungsfreiheit von Einzelpersonen einzuschränken, und Tausende von Menschen sind von solchen Verfügungen betroffen (FH 3.3.2021).
Tunesien erlebt eine Welle landesweiter Streiks und Proteste gegen den COVID-19-bedingten Anstieg der Arbeitslosigkeit im Land und auch gegen das Versagen des öffentlichen Gesundheitssystems. Regierungs- und öffentliche Gebäude sind beliebte Orte für Streiks und Proteste (AQ 2.2021).
Am 27.6.2019 wurden in Tunis zwei Anschläge gegen die Sicherheitskräfte verübt; eine Person wurde getötet und mehrere wurden verletzt, darunter auch Zivilisten (EDA 8.3.2021; vgl. AA 19.2.2021). Am 4.4.2020 töteten tunesische Sicherheitskräfte in der Provinz Kasserine nahe der Grenze zu Algerien zwei Terroristen die mit dem sogenannten Islamischen Staat (IS) in Verbindung gebracht werden (BAMF 6.4.2020). Am 20.12.2020 wurde ein Hirte in der zentralwestlichen Provinz Kasserine von militanten Islamisten entführt und enthauptet. Seit mehreren Jahren gilt die Gebirgsregion um die Stadt Kasserine an der Grenze zu Algerien als Rückzugsgebiet für militant islamistische Gruppierungen. Es kommt immer wieder zu bewaffneten Auseinandersetzungen (BAMF 21.12.2020 ; vgl. CIR 2.2021). Der IS ist seit seinen beiden Anschlägen in Sousse im Jahr 2015, in Tunesien aktiv, hat aber nie eine offizielle Niederlassung im Land erklärt. Seine Aktivitäten beschränken sich auf sporadische Anschläge, meist gegen Sicherheitskräfte in den abgelegenen Regionen des Chaambi-Gebirges, manchmal auch in städtischen Gebieten. Am 7.1.2021 meldete das Innenministerium die Verhaftung eines ranghohen Anführers von al-Qaida im islamischen Maghreb (AQIM) (CIR 2.2021).
Quellen:
? AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (19.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Tunesien (Stand: Dezember 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2047265/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Tunesien_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_19.02.2021.pdf, Zugriff 18.3.2021
? AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (8.3.2021): Tunesien - Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/tunesien-node/tunesiensicherheit/219024, Zugriff 8.3.2021
? AQ - Anonyme Quelle (2.2021): Mail an die Staatendokumentation vom 3.2.2021
? BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Deutschland [Deutschland] (11.1.2021): Briefing Notes, 1. Januar 2021, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw02-2021.html, Zugriff 8.3.2021
? BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Deutschland [Deutschland] (21.12.2020): Briefing Notes, 21. Dezember 2020, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2020/briefingnotes-kw52-2020.html?nn=282314, Zugriff 8.3.2021
? BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Deutschland [Deutschland] (6.4.2020): Briefing Notes 6. April 2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2027827/briefingnotes-kw15-2020.pdf, Zugriff 30.6.2020
? BMEIA - Bundesministerium für Europäische und Internationale Angelegenheiten [Österreich] (8.3.2021): Tunesien - Reiseinformationen, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/tunesien/, Zugriff 8.3.2021
? EDA - Eidgenössisches Department für Auswärtige Angelegenheiten [Schweiz] (8.3.2021): Reisehinweise für Tunesien, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/laender-reise-information/tunesien/reisehinweise-tunesien.html#par_textimage_0, Zugriff 8.3.2021
? FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - Tunisia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025955.html, Zugriff 8.3.2021
? ÖB - Österreichische Botschaft Tunis [Österreich] (1.10.2020): Asylländerbericht Tunesien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2042211/TUNESIEN_ALB_2020_-Finale_Fassung.pdf, Zugriff 8.3.2021
Allgemeine Menschenrechtslage
Letzte Änderung: 19.03.2021
Die tunesische Verfassung vom 26.1.2014 enthält umfangreiche Garantien bürgerlicher und politischer sowie wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Grundrechte. Tunesien hat die meisten Konventionen der Vereinten Nationen zum Schutz der Menschenrechte einschließlich der entsprechenden Zusatzprotokolle ratifiziert. Vereinzelt noch bestehende Vorbehalte wurden 2011 größtenteils zurückgezogen. Eine ständige Herausforderung bleibt die Anpassung der nationalen Rechtsordnung an die neue Verfassung (AA 19.2.2021). Im Jahr 2020 machte das Parlament keine Fortschritte bei der Reform von Gesetzen, die Menschenrechte verletzen oder bedrohen (HRW 13.1.2021).
Tunesien verfügt über eine Reihe an Institutionen, die sich mit Menschenrechten befassen. Das Land schneidet allerdings auch nach dem Umbruch in den Berichten internationaler Menschenrechtsorganisationen regelmäßig schlecht ab. Eingeschränkte Presse- und Meinungsfreiheit, Folter von Häftlingen und Attacken gegen Oppositionelle listet der aktuelle Jahresbericht von Amnesty International auf. Seit dem Sturz Ben Alis hat sich die Situation zwar gebessert, allerdings kommt es nach wie vor zu Menschenrechtsverletzungen, so die Internationale Menschenrechtsliga (FIDH) (GIZ 11.2020a).
Im Vergleich zu den weitreichenden Einschränkungen von Meinungs- und Pressefreiheit vor der Revolution 2011 haben sich die Bedingungen für unabhängige Medienberichterstattung in den letzten Jahren allerdings grundlegend verbessert. Es wurden wichtige rechtliche Grundlagen zum Schutz der freien Presse geschaffen und offizielle und informelle Strukturen, die zur Unterdrückung freier Meinungsäußerung eingesetzt wurden, größtenteils abgeschafft. Die Meinungs- und Pressefreiheit, sowie auch das Recht auf Zugang zu Informationen und Kommunikationsnetzwerken wurden in den Artikeln 31 und 32 der Verfassung von 2014 ausdrücklich gestärkt. Die Medien berichten - in unterschiedlicher Qualität - frei und offen (AA 19.2.2021; vgl. FH 3.3.2021). Die Öffnung der Medienszene hat in den letzten Jahren zum Entstehen einer lebendigen, teilweise wildwüchsigen Medienlandschaft geführt, die Missstände offen thematisiert (AA 19.2.2021).
Gesetzlich sind Meinungs- und Pressefreiheit somit gewährleistet und die Regierung respektiert diese Rechte im Allgemeinen, wie wohl es weiterhin Restriktionen gibt (USDOS 11.3.2020; vgl. FH 3.3.2021). Diese Einschränkungen finden sich z. B. in Bezug auf sicherheitsrelevante Themen. Seit den Ausweitungen der Antiterrormaßnahmen hat sich diese Tendenz verstärkt. Journalisten und Blogger, die Kritik an Sicherheitskräften üben, müssen weiterhin mit Strafen rechnen (AA 19.2.2021). Mit der Verlängerung des Ausnahmezustands um weitere sechs Monate, verfügen nun auch die Sicherheitskräfte über erweiterte Befugnisse, was unter anderem zur Einschränkung der Pressefreiheit führen kann (BAMF 11.1.2021).
Während Online- und Printmedien häufig regierungskritische Artikel veröffentlichen, üben Journalisten und Aktivisten dennoch zeitweise Selbstzensur als Resultat von Gewaltakten gegen Journalisten. Meinungsäußerungen, welche "die öffentliche Ordnung oder Moral verletzen" oder "absichtlich Personen stören, auf eine Art und Weise, die den öffentlichen Anstand beleidigen" stehen weiterhin unter Strafe (USDOS 11.3.2020).
Ebenso existieren weiterhin Einschränkungen bei der Kritik an der Religion. Rechtlich verankert ist dies u.a. in Artikel 6 der Verfassung, der den "Schutz des Sakralen" garantiert. Es kommt immer wieder zu einzelnen Fällen von fragwürdiger Strafverfolgung von Journalisten und freischaffenden Bloggern (AA 19.2.2021). Entsprechende Verfahren gegen Zivilisten werden oft von Militärgerichten geführt – eine Praxis, die von tunesischen und internationalen Menschenrechtsorganisationen scharf kritisiert wird (FH 3.3.2021; vgl. AA 19.2.2021). Am 4.5.2020 lud die Kriminalpolizei Emna Chargui vor, nachdem sie auf Facebook einen kurzen Text mit dem Titel "Sura Corona" gepostet hatte, geschrieben und formatiert im Stil eines Koranverses (Sure). Der Staatsanwalt beschuldigte Chargui der "Aufstachelung zum Hass zwischen den Religionen durch feindselige Mittel oder Gewalt" gemäß Artikel 52 des Pressefreiheitsdekret-Gesetzes. Am 17.7.2020 verurteilte ein Gericht der ersten Instanz in Tunis Chargui zu sechs Monaten Gefängnis und einer Geldstrafe (HRW 13.1.2021).
Einige Journalisten sind im Zusammenhang mit ihrer Arbeit Druck und Einschüchterung durch Regierungsbeamte ausgesetzt. Reporter, die über die Sicherheitskräfte berichten, sind weiterhin besonders anfällig für Schikanen und Verhaftungen (FH 3.3.2021). Die Behörden stützten sich auf repressive Bestimmungen des Strafgesetzbuches sowie auf andere Gesetze, um Meinungsäußerungen zu bestrafen, darunter auch Kritik an Amtsträgern. Zwei Social-Media-Aktivisten wurden im April 2020 verhaftet und angeklagt, weil sie sich auf Facebook kritisch über die ihrer Meinung nach unzureichende oder korrupte Reaktion der Regierung auf die durch die Covid-19-Pandemie verursachte finanzielle Notlage äußerten (HRW 13.1.2021; vgl. FH 3.3.2021). Im November 2020 wurde ein Blogger zu einer zweijährigen Haftstrafe verurteilt, weil er sich in einem Facebook-Video kritisch über einen Staatsanwalt geäußert hatte (FH 3.3.2021).
Im Vorfeld der Wahlen 2019 äußerten tunesische Journalisten ihre Besorgnis über den Einfluss der Regierung auf die öffentliche Rundfunkanstalt (FH 3.3.2021).
Die Verfassung garantiert das Recht auf friedliche Versammlungen und Demonstrationen (FH 3.3.2021; vgl. AA 19.2.2021, USDOS 11.3.2020). Zu Einschränkungen kommt es mehrfach aufgrund des weiterhin gültigen Ausnahmezustands. Die Übergänge zwischen legitimen Protesten gegen die Wirtschafts- und Sozialpolitik einerseits und periodisch auftretenden gewaltsamen Ausschreitungen und Plünderungen andererseits sind oft fließend. Grundsätzlich ist jedoch festzustellen, dass die Sicherheitsorgane friedliche Versammlungen und Demonstrationen in der Regel zuverlässig schützen, aber bei Rechtsverletzungen auch entsprechend robust auftreten. Nur vereinzelt kommt es dabei zu unverhältnismäßigem Einsatz polizeilicher Mittel (AA 19.2.2021).
Die Versammlungsfreiheit wurde auch unter den COVID-19-bezogenen Notstandsmaßnahmen Ende März 2020 eingeschränkt, die zunächst alle Versammlungen untersagten. Das Protestverbot wurde im November 2020 in eine weitere Anordnung aufgenommen, aber die Beschränkungen für Massenversammlungen wurden in einer Anordnung vom Dezember 2020 wieder gelockert. Dennoch kam es im Mai 2020 zu kleineren Protesten. Ende Juni 2020 protestierten Demonstranten in der Stadt Tataouine gegen die hohe Arbeitslosigkeit und stießen mit den Behörden zusammen, nachdem ein Aktivist festgenommen worden war. Das Innenministerium berichtete von zehn Verhaftungen nach diesen Zusammenstößen. Im Oktober 2020 protestierten Demonstranten vor dem Parlamentsgebäude in Tunis gegen einen Gesetzesvorschlag, der dem Sicherheitspersonal Immunität gewähren würde; die Teilnehmer wurden von den Sicherheitskräften körperlich angegriffen und mehrere wurden festgenommen. Andere Demonstrationen verliefen im Laufe des Jahres jedoch ohne gewaltsames Eingreifen (FH 3.3.2021).
Vereinigungsfreiheit ist gesetzlich gewährleistet (FH 3.3.2021; vgl. AA 19.2.2021, USDOS 11.3.2020). Im Zuge der Bekämpfung von Terrorismus und Geldwäsche wird derzeit eine Reform des Vereinsrechts vorbereitet, die von der tunesischen Zivilgesellschaft sehr kritisch beobachtet wird, hinsichtlich ihrer abschließenden Gestalt aber noch nicht beurteilt werden kann (AA 19.2.2021).
Die primäre Behörde der Regierung zur Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen und zum Kampf gegen Bedrohungen der Menschenrechte ist das Justizministerium. Das Ministerium versagt allerdings dabei, Fälle von Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen. Innerhalb des Präsidentenbüros ist der Hohe Ausschuss für Menschenrechte und Grundfreiheiten eine von der Regierung finanzierte Agentur, die mit der Überwachung der Menschenrechte und der Beratung des Präsidenten betraut ist. Das Ministerium für die Beziehungen zu den Verfassungsorganen, der Zivilgesellschaft und den Menschenrechten ist für die Koordinierung der Regierungsaktivitäten im Zusammenhang mit den Menschenrechten zuständig. Die Wahrheits- und Würdekommission (IVD) wurde 2014 gegründet, um schwere Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen (USDOS 11.3.2020). Anfang 2018 stimmte das Parlament gegen eine Verlängerung des Mandats der Kommission, eine Entscheidung, die sich kritisch äußerte, weil sie die Bemühungen um eine Übergangsjustiz schwächte. Die Kommission legte ihren Abschlussbericht im März 2019 vor und veröffentlichte ihn offiziell im Juni 2020. Sie stützte sich dabei auf mehr als 62.000 Beschwerden, die tunesische Bürger wegen Menschenrechtsverletzungen gegen den Staat eingereicht hatten. Tunesische Gerichte prüften zum Jahresende 69 Anklagen und 131 Überweisungen der IVD (FH 3.3.2021).
Quellen:
? AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (19.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Tunesien (Stand: Dezember 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2047265/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Tunesien_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_19.02.2021.pdf, Zugriff 18.3.2021
? BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (11.1.2021): Briefing Notes, 1. Januar 2021, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw02-2021.html, Zugriff 10.3.2021
? FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - Tunisia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025955.html, Zugriff 10.3.2021
? GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (11.2020a): Tunesien - Geschichte & Staat, http://liportal.giz.de/tunesien/geschichte-staat/, Zugriff 10.3.2021
? HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - Tunisia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043733.html, Zugriff 10.3.2021
? USDOS - US Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Tunisia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026438.html, Zugriff 30.6.2020
Bewegungsfreiheit
Letzte Änderung: 19.03.2021
Das Gesetz gewährleistet Bewegungsfreiheit innerhalb des Landes, Auslandsreisen (USDOS 11.3.2020; vgl. FH 3.3.2021), Emigration sowie Wiedereinbürgerung. Die Regierung respektiert im Allgemeinen diese Rechte auch in der Praxis (USDOS 11.3.2020). Die Situation bezüglich Bewegungsfreiheit hat sich seit 2011 substantiell verbessert. Allerdings können die Behörden unter dem breiten Mandat des Ausnahmezustands die Bewegungsfreiheit einzelner Personen beschränken. Davon waren tausende Menschen betroffen. Die Bewegungsfreiheit wurde auch durch COVID-19-bezogene Maßnahmen beeinträchtigt (FH 3.3.2021).
Einer Flucht innerhalb Tunesiens werden durch die geringe Größe des Landes enge Grenzen gesetzt. Ein Verlassen besonders gefährdeter Gebiete in den Grenzregionen ist grundsätzlich möglich (AA 19.2.2021).
Quellen:
? AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (19.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Tunesien (Stand: Dezember 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2047265/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Tunesien_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_19.02.2021.pdf, Zugriff 18.3.2021
? FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - Tunisia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025955.html, Zugriff 10.3.2021
? USDOS - US Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Tunisia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026438.html, Zugriff 30.6.2020
Grundversorgung und Wirtschaft
Letzte Änderung: 19.03.2021
Die Grundversorgung der Bevölkerung gilt als gut (AA 19.2.2021). Tunesien verfügt über eine moderne Wirtschaftsstruktur auf marktwirtschaftlicher Basis sowie wichtige Standortvorteile: Ein hoher Industrialisierungsgrad, gute Infrastruktur, Nähe zu Europa sowie qualifizierte Arbeitskräfte (AA 9.2019b) und Steuervorteile für Exportbetriebe ("Offshore-Sektor") (GIZ 11.2020c). Den größten Anteil am Bruttoinlandsprodukt erwirtschaftet der Dienstleistungssektor (ca. 50% aller Erwerbstätigen), gefolgt von der Industrie (32%) und der Landwirtschaft (ca. 25%) (AA 9.2019b; vgl. GIZ 11.2020c). Neben dem Bergbau, der einer der wichtigsten Sektoren der tunesischen Wirtschaft ist, spielen Landwirtschaft, Textilfabrikation und Tourismus eine wichtige Rolle für die tunesische Wirtschaft (GIZ 11.2020c). Der Tourismus ist einer der Sektoren, der am meisten von der Corona-Krise betroffen ist. Die Zahlen der Touristen im Jahr 2020 sind um knapp zwei Millionen zurückgegangen und die Gesamteinnahmen seit Jahresbeginn 2020 um 60% gesunken (WKO 9.10.2020). Im Dienstleistungssektor spielen vor allem nach Tunesien ausgelagerte Callcenter französischer Firmen und IT-Unternehmen eine große Rolle. Außerdem gründen sich seit 2011 immer mehr Start-Ups. Der sogenannte Start Up Act, der im April 2018 verabschiedet wurde, soll aufstrebenden jungen Kleinunternehmen v.a. im IT-Bereich den Start erleichtern. Seine Umsetzung wird jedoch kritisiert (GIZ 11.2020c).
Der Förderung der Wirtschaft und der Schaffung von Arbeitsplätzen kommt nach der Revolution große Bedeutung zu, da die politischen Ereignisse für einen deutlichen Einbruch der Wirtschaft gesorgt haben. Die Arbeitslosigkeit bleibt eines der dringlichsten Probleme des Landes. Die tunesische Wirtschaft ist auch mehr als sieben Jahre nach dem Umbruch nicht besonders konkurrenzfähig. Das Finanzgesetz 2018 hatte zu Beginn des Jahres massive Proteste ausgelöst (GIZ 11.2020c).
Die Corona-Krise trifft Tunesien hart und zeichnet vor allem die Wirtschaft mit tiefen Kerben. Für das Gesamtjahr 2020 wird ein Einbruch des tunesischen BIP um 8,1% erwartet (WKO 9.10.2020). Die größten Herausforderungen liegen in der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit (AA 9.2019b; vgl. GIZ 11.2020c) und der Beschäftigungsförderung, der Verbesserung der arbeitsmarktorientierten Aus- und Fortbildung, sowie der Erhöhung des Investitionsniveaus im privaten und öffentlichen Sektor (AA 9.2019b). Die Arbeitslosigkeit bewegt sich zwischen 15% und 16%, wobei junge Menschen, Frauen, Akademiker (ca. 300.000) und die benachteiligten Regionen im Binnenland überproportional betroffen sind (AA 9.2019b; vgl. GIZ 11.2020c, ÖB 1.10.2020). Mit Ausbruch der Covid-19 Krise Mitte März 2020 verschärfte sich die Lage nochmals um ein Vielfaches: die Arbeitslosigkeit, seit Jahren gemäß offiziellen Statistiken 15,6% ist auf 18% gestiegen und dürfte bis Jahresende weiter auf 20% steigen (ÖB 1.10.2020; vgl. WKO 9.10.2020). Die Erhebung tatsächlich zutreffender Zahlen wird durch die Tatsache erschwert, dass 45% der Arbeitskräfte Tunesiens im informellen Sektor beschäftigt sind (ÖB 1.10.2020).
Um regionalen Ungleichheiten zu begegnen, hat Tunesien ein ambitioniertes Programm zur Regionalentwicklung vorgelegt (AA 9.2019b). Die vorherige Regierung hat zur Verbesserung der Grundversorgung der Bevölkerung in den armen Gegenden des Südens und des Landesinnern eine Umwidmung der staatlichen Ausgabenprogramme weg vom gut entwickelten Küstenstreifen hin zu diesen Regionen vorgenommen (AA 19.2.2021).
Tunesien ist ein Niedriglohnland. Die durchschnittlichen Monatslöhne im produzierenden Gewerbe liegen zwischen 500 und 800 Dinar. Arbeiter im öffentlichen Sektor verdienen rund 900 Dinar, Beamte 1.000-1.600 Dinar (ÖB 1.10.2020). Der staatliche Mindestlohn wurde nach der Revolution von 225 auf 380 Dinar monatlich (ca. 125 Euro) angehoben. Auch das genügt kaum, um den Lebensunterhalt einer Person zu decken, geschweige denn davon eine Familie zu ernähren. Laut einer aktuellen Untersuchung des Sozialministeriums leben rund 24% der Bevölkerung in Armut, d.h. sie leben von weniger als dem staatlichen Mindestlohn (GIZ 11.2020c). Nichtsdestotrotz verfügt das Land über eine relativ breite, weit definierte Mittelschicht aus selbständigen Kleinunternehmern, Angestellten und Beamten (deren Einkommen niedrig ist) und einer schmalen Oberschicht. Diese spaltet sich in alteingesessenes Bildungsbürgertum und ökonomische Elite (GIZ 11.2020b).
In Tunesien gibt es ein gewisses strukturiertes Sozialsystem. Es bietet zwar keine großzügigen Leistungen, stellt aber dennoch einen gewissen Grundschutz für Bedürftige, Alte und Kranke dar. Der Deckungsgrad beträgt 95%. Folgende staatlichen Hilfen werden angeboten: Rente, Arbeitslosengeld, Kindergeld, Krankengeld, Mutterschaftsgeld, Sterbegeld, Witwenrente, Waisenrente, Invalidenrente, Hilfen für arme Familien, Erstattung der Sach- und Personalkosten bei Krankenbehandlung, Kredite für Familien. Eine Arbeitslosenunterstützung wird für maximal ein Jahr ausbezahlt – allerdings unter der Voraussetzung, dass man vorab sozialversichert war. Es gibt folgende Arbeitsvermittlungsinstitutionen: Nationale Arbeitsagentur (ANETI), Berufsbildungsagentur (ATFP), Zentrum für die Ausbildung der Ausbilder und die Entwicklung von Lehrplänen (CENAFFIF), Zentrum für die Weiterbildung und Förderung der beruflichen Bildung (CNFCPP) (ÖB 1.10.2020).
Es existiert ein an ein sozialversichertes Beschäftigungsverhältnis geknüpftes Kranken- und Rentenversicherungssystem. Nahezu alle Bürger finden Zugang zum Gesundheitssystem. Die Regelungen der Familienmitversicherung sind großzügig und umfassen sowohl Ehepartner, als auch Kinder und sogar Eltern der Versicherten. Allerdings gibt es keine allgemeine Grundversorgung oder Sozialhilfe. Die mit Arbeitslosigkeit verbundenen Lasten müssen überwiegend durch den traditionellen Verband der Großfamilie aufgefangen werden, deren Zusammenhalt allerdings schwindet (AA 19.2.2021).
Quellen:
? AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (19.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Tunesien (Stand: Dezember 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2047265/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Tunesien_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_19.02.2021.pdf, Zugriff 18.3.2021
? AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (9.2019b): Tunesien - Wirtschaft, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/tunesien-node/-/219026, Zugriff 21.10.2019
? GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (11.2020b): Tunesien - Gesellschaft, https://www.liportal.de/tunesien/gesellschaft/, Zugriff 10.3.2021
? GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (11.2020c): Tunesien - Wirtschaft & Entwicklung, https://www.liportal.de/tunesien/wirtschaft-entwicklung/, Zugriff 10.3.2021
? ÖB - Österreichische Botschaft Tunis [Österreich] (1.10.2020): Asylländerbericht Tunesien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2042211/TUNESIEN_ALB_2020_-Finale_Fassung.pdf, Zugriff 10.3.2021
? WKO - Wirtschaftskammer Österreich (9.10.2020): Die tunesische Wirtschaft, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/die-tunesische-wirtschaft.html, Zugriff 18.3.2021
Medizinische Versorgung
Letzte Änderung: 19.03.2021
Die medizinische Versorgung (einschließlich eines akzeptabel funktionierenden staatlichen Gesundheitswesens) hat das für ein Schwellenland übliche Niveau (AA 19.2.2021). Tunesien hat lange Zeit in das Gesundheitswesen investiert, es gibt in allen Landesteilen staatliche Gesundheitseinrichtungen. Allerdings sind die rund 2.200 Einrichtungen trotz guter medizinischer Ausbildung der Beschäftigten oft in desolatem Zustand (ÖB 1.10.2020; vgl. GIZ 11.2020b). Die öffentliche Gesundheitsversorgung ist nach einem dreistufigen System organisiert und dringend reformbedürftig: erweiterte Leistung der Bezirkskrankenhäuser, verstärkte Ausstattung der Regionalkrankenhäuser und Ausbau der Uni-Kliniken. Zwar beträgt der Radius zur Erlangung medizinischer Hilfe weniger als 5 km, jedoch ist die qualitative Ausstattung in den öffentlichen Krankenhäusern katastrophal (ÖB 1.10.2020). Es mangelt an Ausstattung und Fachärzten, die vor allem in den Großstädten an der Küste angesiedelt sind. Darunter leiden vor allem bedürftige Patienten. Darüber hinaus gibt es ein weites Netz an Privatkliniken und niedergelassenen Ärzten von oft deutlich besserer Qualität (GIZ 11.2020b). Üblicherweise ist eine weitreichende Versorgung in den Ballungsräumen (Tunis, Sfax, Sousse) gewährleistet; Probleme gibt es dagegen in den entlegenen Landesteilen (AA 19.2.2021). Ein Großteil der Ärzteschaft ist gut ausgebildet (z.T. auch im Ausland) und das Pflegepersonal ist günstig – die Basis für einen zunehmenden Gesundheitstourismus. Eine stark angestiegene Anzahl an Privatkliniken bedient meist Ausländer, u.a. zahlungskräftigen Libyer und Algerier (ÖB 1.10.2020).
Die Behandlung psychischer Erkrankungen ist möglich. Die medizinische Behandlung von HIV-Infizierten bzw. AIDS-Kranken ist sichergestellt; es handelt sich jedoch um ein gesellschaftlich tabuisiertes Thema (AA 19.2.2021).
Aktuell ist die medizinische Versorgung aufgrund der Covid-19-Pandemie nicht gewährleistet, da die Krankenhäuser ihre Kapazitätsgrenzen erreicht haben (BMEIA 10.3.2021). Gerade die Covid-19-Pandemie hat starke Defizite aufgezeigt (ÖB 1.10.2020).
Tunesien gibt rund 6% seines Staatshaushaltes für das Gesundheitswesen aus. Die staatliche Krankenkasse CNAM ist für die Versicherung zuständig und erstattet Behandlungen in staatlichen Einrichtungen und teilweise auch Behandlungskosten bei niedergelassenen Ärzten. Ähnlich wie in Deutschland wird dabei ein Hausarzt-Modell praktiziert. Auch Medikamente werden teilweise erstattet (GIZ 11.2020b). Beim Aufsuchen eines Arztes muss der Behandlungspreis stets sofort entrichtet werden. Je nach Praxis (Krankenhaus, Klinik, Hospital, Fachgebiet) sind das zwischen 20 und 80 Dinar (ca. 8 bis 30 Euro). 2005 wurden die beiden Krankenkassen (CNSS: Caisse nationale de sécurité sociale und CNRPS: Caisse nationale de retraite et de prévoyance sociale) zur Caisse Nationale d’Assurance Maladie (CNAM) zusammengelegt. Allerdings ist diese Kasse mit ca. 1 Milliarden Dinar hoch verschuldet – fehlende Beitragszahlungen und verteuerte Medikamente sind nur einige der Gründe. Tatsächlich besteht eine Klassengesellschaft innerhalb der medizinischen Versorgung. Nur gut betuchte können sich Privat- und Spezialkliniken oder Ärztezentren leisten, wo die Versorgung hochpreisig, einwandfrei und an westlichen Standards angepasst ist (ÖB 1.10.2020).
Seit dem Sommer 2018 fehlt es immer häufiger an Medikamenten, die auf Grund von Zahlungsschwierigkeiten der Zentralapotheke nicht mehr eingekauft werden (GIZ 11.2020b). In Einzelfällen kann es also - insbesondere bei der Behandlung mit speziellen Medikamenten - Versorgungsprobleme geben. Ein Import dieser Medikamente ist grundsätzlich möglich, wenn auch nur auf eigene Kosten der Patienten. In Einzelfällen ist also eine konkrete Nachfrage bezüglich der Verfügbarkeit der benötigten Medikamente erforderlich, in den allermeisten Fällen sind sie vor Ort problemlos erhältlich (AA 19.2.2021).
Quellen:
? AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (19.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Tunesien (Stand: Dezember 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2047265/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Tunesien_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_19.02.2021.pdf, Zugriff 18.3.2021
? BMEIA - Bundesministerium Europäische und Internationale Angelegenheiten [Österreich] (10.3.2021): Reiseinformationen Tunesien, http://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/tunesien/, Zugriff 10.3.2021
? GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (11.2020b): Tunesien - Gesellschaft, https://www.liportal.de/tunesien/gesellschaft/, Zugriff 10.3.2021
? ÖB - Österreichische Botschaft Tunis [Österreich] (1.10.2020): Asylländerbericht Tunesien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2042211/TUNESIEN_ALB_2020_-Finale_Fassung.pdf, Zugriff 10.3.2021
Rückkehr
Letzte Änderung: 19.03.2021
Es gibt keine speziellen Hilfsangebote für Rückkehrer. Soweit bekannt, werden zurückgeführte tunesische Staatsangehörige nach Übernahme durch die tunesische Grenzpolizei einzeln befragt und es erfolgt ein Abgleich mit den örtlichen erkennungsdienstlichen Registern. Sofern keine innerstaatlichen strafrechtlich relevanten Erkenntnisse vorliegen, erfolgt anschließend eine reguläre Einreise. Hinweise darauf, dass, wie früher üblich, den Rückgeführten nach Einreise der Pass entzogen und erst nach langer Wartezeit wieder ausgehändigt wird, liegen nicht vor. An der zugrundeliegenden Gesetzeslage für die strafrechtliche Behandlung von Rückkehrern hat sich indes nichts geändert. Sollte ein zurückgeführter tunesischer Staatsangehöriger sein Land illegal verlassen haben, ist mit einer Anwendung der Strafbestimmung in §35 des Gesetzes Nr. 40 vom 14.5.1975 zu rechnen: „Jeder Tunesier, der beabsichtigt, ohne offizielles Reisedokument das tunesische Territorium zu verlassen oder zu betreten, wird mit einer Gefängnisstrafe zwischen 15 Tagen und sechs Monaten sowie einer Geldstrafe zwischen 30 und 120 DT (ca. 15 bis 60 Euro) oder zu einer der beiden Strafarten verurteilt. Bei Wiederholung der Tat (Rückfälligkeit) kann sich das im vorhergehenden Absatz aufgeführte Strafmaß für den Täter verdoppeln.“ Soweit bekannt, wurden im vergangenen Jahr ausschließlich Geldstrafen verhängt. Die im Gesetz aufgeführten Strafen kommen dann nicht zur Anwendung, wenn Personen das tunesische Territorium aufgrund höherer Gewalt oder besonderer Umstände ohne Reisedokument betreten (AA 19.2.2021).
Eine „Bescheinigung des Genusses der Generalamnestie“ wird auf Antrag vom Justizministerium ausgestellt und gilt als Nachweis, dass die in dieser Bescheinigung ausdrücklich aufgeführten Verurteilungen - kraft Gesetz - erloschen sind. Eventuelle andere, nicht aufgeführte zivil- oder strafrechtliche Verurteilungen bleiben unberührt. Um zweifelsfrei festzustellen, ob gegen eine Person weitere Strafverfahren oder Verurteilungen vorliegen, kann ein Führungszeugnis (das sog. „Bulletin Numéro 3“) beantragt werden (AA 19.2.2021).
Seit der Revolution 2011 sind tausende Tunesier illegal emigriert. Vor allem junge Tunesier haben nach der Revolution das Land verlassen, kehren nun teilweise zurück und finden so gut wie keine staatliche Unterstützung zur Reintegration. Eine kontinuierliche Quelle der Spannung ist die Diskrepanz zwischen starkem Migrationsdruck und eingeschränkten legalen Migrationskanälen. Die Reintegration tunesischer Migranten wird durch eine Reihe von Projekten von IOM unterstützt. Sowohl IOM als auch der UNHCR übernehmen die Registrierung, Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen in Tunesien. Finanzielle Hilfe dafür kommt hauptsächlich von der EU, sowie aus humanitären Programmen der Schweiz und Norwegens. Die Schweiz ist dabei einer der größten Geber und verfügt über zwei Entwicklungshilfebüros vor Ort. Wesentlich für eine erfolgreiche Reintegration ist es, rückkehrenden Migranten zu ermöglichen, eine Lebensgrundlage aufzubauen. Rückkehrprojekte umfassen z.B. Unterstützung beim Aufbau von Mikrobetrieben, oder im Bereich der Landwirtschaft. Als zweite Institution ist das ICMPD [International Centre for Migration Policy Development] seit 2015 offizieller Partner in Tunesien im Rahmen des sogenannten „Dialog Süd“ – Programms (EUROMED Migrationsprogramm) (ÖB 1.10.2020).
Quellen:
? AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (19.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Tunesien (Stand: Dezember 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2047265/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Tunesien_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_19.02.2021.pdf, Zugriff 18.3.2021
? ÖB - Österreichische Botschaft Tunis [Österreich] (1.10.2020): Asylländerbericht Tunesien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2042211/TUNESIEN_ALB_2020_-Finale_Fassung.pdf, Zugriff 10.3.2021
Eine nach Tunesien zurückkehrende Person, bei welcher keine berücksichtigungswürdigen Gründe vorliegen, wird durch eine Rückkehr nicht automatisch in eine unmenschliche Lage versetzt.
Dem Beschwerdeführer droht somit im Falle seiner Rückkehr keine Gefährdung in seinem Herkunftsstaat. Ihm droht auch keine Strafe nach seiner Rückkehr nach Tunesien wegen illegaler Ausreise.
Zusammengefasst konnte somit nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Tunesien einer realen Gefahr der Todesstrafe, der Folter unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung ausgesetzt wäre oder sein Leben oder seine Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes ernsthaft bedroht wäre.
Es liegen auch keine Anhaltspunkte vor, dass der volljährige und arbeitsfähige Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Tunesien in eine aussichtslose oder existenzbedrohende Situation geraten könnte.
Der Beschwerdeführer hat dort den Großteil seines Lebens verbracht, verfügt über eine Grundschulbildung und könnte seinen Lebensunterhalt in Tunesien aus eigener Kraft - wenn auch anfangs allenfalls mit Gelegenheitsjobs - bestreiten.
Es wurden zwischenzeitlich auch keine Anhaltspunkte dafür bekannt, wonach die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 50 FPG idgF in seinen Heimatstaat Tunesien unzulässig wäre.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zum Sachverhalt:
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der Angaben des Beschwerdeführers vor dieser, des bekämpften Bescheides, seiner Angaben im Beschwerdeschriftsatz, der Beschwerdevorentscheidung und des Vorlageantrages. Ergänzend wurden Auszüge des Zentralen Melderegisters (ZMR), des Informationsverbundsystems Zentrales Fremdenregister (IZR), des Betreuungsinformationssystems der Grundversorgung (GVS) und des Strafregisters eingeholt.
2.2. Zur Person des Beschwerdeführers:
Die Identität des Beschwerdeführers steht aufgrund des von ihm in Vorlage gebrachten tunesischen Reisepasses Nr. F467189 fest.
Die Feststellungen zu seinen persönlichen Umständen ergeben sich aus seinen eigenen Angaben gegenüber den österreichischen Behörden und dem Verwaltungsakt.
Die Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers ergeben sich aus dem Verwaltungsakt. In der Beschwerde wurde den Feststellungen der belangten Behörde, wonach der Beschwerdeführer gesund und arbeitsfähig ist, nicht entgegengetreten.
Die Feststellungen zur Ausbildung des Beschwerdeführers ergeben sich aus dem Verwaltungsakt.
Aus den Angaben des Beschwerdeführers und dem Verwaltungsakt ergeben sich die Feststellungen zu seiner in Tunesien lebenden Familie.
Die Feststellung zum Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet ergibt sich unstrittig aus dem Verwaltungsakt in Zusammenschau mit den Angaben des Beschwerdeführers und einer am 06.09.2021 eingeholten zmr-Auskunft. Ebenso aus dem Verwaltungsakt und einer eingeholten IZR-Auskunft ergeben sich die Feststellungen zu seinem am 29.11.2001 zurückgewiesenen Asylantrag, seinem unrechtmäßigen Verbleib im Bundesgebiet, der Erteilung und mehrmaligen Verlängerung einer Niederlassungsbewilligung aufgrund seiner Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin, dem gegen ihn am 21.08.2013 erlassenen Aufenthaltsverbot und der Widerrufung des ihm erteilten Aufenthaltstitels am 15.11.2013.
Die Feststellung zur Ehe des Beschwerdeführers und der neuerlich erfolgten Ehescheidung ergibt sich aus dem Verwaltungsakt und den zusätzlich zum Beschwerdeführer sowie seiner Ex-Frau eingeholten Auskünften aus dem zentralen Melderegister.
Seine strafgerichtlichen Verurteilungen, das diesen Verurteilungen zugrundeliegende strafrechtlich relevante Verhalten und die vom Strafgericht berücksichtigten Strafzumessungsgründe ergeben sich aus einem aktuellen Auszug aus dem Strafregister und den sich im Verwaltungsakt befindlichen Strafurteilen.
Dass der Beschwerdeführer über kein soziales Umfeld im Bundesgebiet verfügt und keine familiären Anknüpfungspunkte oder relevanten private Beziehungen hat, ergibt sich aus dem Verwaltungsakt. Auch aus dem Beschwerdeschriftsatz ergeben sich keine Anhaltspunkte für die Annahme entscheidungsrelevanter Beziehungen des Beschwerdeführers im Bundesgebiet, zumal seine Ehe mittlerweile neuerlich geschieden wurde.
Es wurden keine Unterlagen in Vorlage gebracht, die eine integrative Verfestigung des Beschwerdeführers im Bundesgebiet belegen würden.
In einer Gesamtschau und insbesondere unter Berücksichtigung des mehrjährigen Aufenthaltes des Beschwerdeführers in Strafhaft oder im Verborgenen war daher die Feststellung zu treffen, dass trotz der langen Aufenthaltsdauer des Beschwerdeführers im Bundesgebiet kein im Sinne des Art. 8 EMRK schützenswertes Privatleben in Österreich besteht, wie in der rechtlichen Beurteilung näher auszuführen sein wird.
Die Feststellung zum Nicht-Bezug von Leistungen aus der Grundversorgung ist einem Speicherauszug aus dem Betreuungsinformationssystem des Bundes zu entnehmen.
Die Feststellung zum Aufenthalt des Beschwerdeführers in Strafhaft und seinen bisherigen Meldeadressen ergibt sich aus dem Verwaltungsakt und dem zentralen Melderegister. Nachdem der Beschwerdeführer laut zmr seit dem 06.09.2019 über keine behördliche Meldeadresse mehr im Bundesgebiet verfügt und auch seine Rechtsvertretung auf Anfrage am 31.08.2021 keine Angaben über seinen Verbleib machen konnte, war die Feststellung zu treffen, dass der derzeitige Aufenthaltsort des Beschwerdeführers unbekannt ist.
2.3. Zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers:
Tunesien ist gemäß § 1 Z 11 Herkunftsstaaten-Verordnung, BGBl. II Nr. 177/2009 idF BGBl. II Nr. 145/2019 ein sicherer Herkunftsstaat.
Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat beruhen auf dem aktuellen Länderinformationsbericht der Staatendokumentation für Tunesien samt den dort publizierten Quellen und Nachweisen. Dieser Länderinformation