Entscheidungsdatum
01.10.2021Norm
AsylG 2005 §10Spruch
L512 1430851-3/22E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Marlene JUNGWIRT als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. der islamischen Republik Pakistan, vertreten durch die Rechtsanwälte Dr. Peter LECHENAUER – Dr. Margrit SWOZIL, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Salzburg, Außenstelle Salzburg, vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX , zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
I.1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge kurz als „BF“ bezeichnet), ein Staatsangehöriger der islamischen Republik Pakistan, (in weiterer Folge „Pakistan“ genannt), stellte nach illegaler Einreise am 31.10.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz und wurde am 02.11.2012 durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes einer Erstbefragung unterzogen.
Zu seinen Fluchtgründen befragt führte der BF aus, dass er einen kleinen Laden in XXXX betrieben habe. Eines Tages sei er von einem bewaffneten Mann beraubt worden. Der Mann habe dem BF eine Pistole gezeigt und gesagt, dass er sich jeden Monat Geld vom BF holen werde. Da der BF nicht gezahlt habe, sei es zu Handgreiflichkeiten gekommen. Ein Freund des BF namens XXXX habe ihn gerettet. Der fremde Mann habe dem BF mit dem Umbringen gedroht, weshalb der BF Pakistan verlassen habe. Außerdem gebe es keine Elektrizität dort und das Leben sei sehr schwierig.
Der BF wurde am 13.11.2012 durch das Bundesasylamt (kurz: BAA) niederschriftlich einvernommen.
Zu seinem Fluchtgrund führte der BF aus, dass sie ein Geschäft gehabt haben, in welchem circa 30 bis 35 Leute gearbeitet haben. Es sei dort chirurgisches Material hergestellt worden, welches für den Export bestimmt gewesen sei. Der BF habe sich um alles gekümmert. Manchmal habe er bis Mitternacht gearbeitet. Eines Tages, nachts, als der BF die Abrechnung gemacht habe, sei ihm aufgefallen, dass es Unstimmigkeiten gegeben habe. Der BF habe seinen Arbeiter nach dem Umsatz gefragt, woraufhin ihm dieser gesagt habe, dass 10.000 pakistanische Rupien zu wenig in der Kasse wären. Die Tür des kleinen Büroraums der Werkstatt sei offen gewesen und ein unbekannter Mann sei in das Zimmer gekommen. Der Mann habe den BF aufgefordert, ihm Geld zu geben und ihm angedroht ansonsten andere Mittel zu ergreifen. Es sei dann auch eine zweite Person hereingekommen, die der BF davor nicht gesehen habe. Während die beiden sich unterhalten haben, habe der BF sein Handy aus der Tasche geholt und unter dem Tisch die Nummer von zuhause gewählt. Der Mann habe das Tippen des BF gehört. Er habe eine Faustwaffe getragen und dem BF mit dem Griff der Waffe in das Genick geschlagen. Der BF sei daraufhin sehr ängstlich gewesen. Der Mann habe dem BF gesagt, dass er das ganze Geld herausgeben solle, was der BF auch getan habe. Der Arbeiter und Freund des BF XXXX habe ebenfalls sein Geld hergegeben. Der Mann habe dem BF daraufhin gesagt, dass dies nicht genug sei und er jeden Monat ein oder zwei Mal kommen werde. Der BF habe gedroht, die Polizei zu informieren, woraufhin ihm der Mann gesagt habe, dass er wisse, wo der BF wohnhaft sei und in welche Schule sein Bruder gehe. Er habe den BF gefesselt und ihm seinen Ellbogen auf den Rücken geschlagen. Der Freund des BF sei ebenfalls geschlagen und der PC des BF beschädigt worden. Daraufhin seien die Männer gegangen. Der Vater und Bruder des BF seien dann gekommen; der BF habe seinem Vater alles erzählt. 33 Tage nach dem Vorfall seien sie zur Polizei gegangen.
Weiter befragt gab der BF an, die nächste Abrechnung von zuhause aus gemacht zu haben. Am nächsten Abend, als der BF und sein Freund mit dem Auto unterwegs gewesen seien, seien sie gegen 20:00/21:00 Uhr über eine Brücke gefahren. Dort seien vier Leute mit zwei Motorrädern gestanden; sie haben Waffen bei sich gehabt und haben den BF und seinen Freund angehalten. Drei der Leute seien maskiert gewesen, die vierte Person sei jene Person gewesen, die sie beraubt habe. Er habe den BF geohrfeigt und ihm Fauststöße verpasst. Er habe den BF gefragt, warum dieser sein Büro zugemacht habe, er müsse ihm ja jedes Monat Geld geben. Der Freund des BF wollte seine Pistole ziehen, die er für deren Sicherheit geholt habe, jedoch sei ihm diese sofort weggenommen worden. Der Mann habe Geld aus dem Auto genommen und dem BF erneut gedroht. Daraufhin haben die Männer den BF und seinen Freund gefesselt und seien den Fluss entlanggefahren. Nach zwei bis drei Stunden seien der BF und sein Freund von der Polizei befreit worden. Auf der Polizeistation habe der BF dann Anzeige gegen unbekannte Täter erstattet.
Auf weitere Nachfrage hin gab der BF an, dass sechs-sieben Tage nach der Anzeigeerstattung auf das Haus seines Freundes geschossen worden sei. Der BF und sein Freund seien nach XXXX gegangen, haben aber auch dort einen der beiden Männer gesehen. Außerdem sei der Bruder des BF geschlagen und aufgefordert worden den Aufenthaltsort des BF anzugeben. Der BF habe von XXXX aus mit seinem Vater telefoniert, diesem sei von den Männern gesagt worden, dass sie kein Interesse mehr am Geld hätten, sondern nur mehr am BF. Sie würden ihn töten wollen.
In Österreich habe der BF keine Verwandten. Er sei auch kein Mitglied in einem Verein und besuche keine Kurse. Er habe bereits pakistanische Leute kennengelernt.
Mit Bescheid des damals zuständigen Bundesasylamtes (kurz: BAA) vom XXXX , AZ XXXX , wies das Bundesasylamt den Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG, sowie gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG den Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Pakistan ab (Spruchpunkt I. und II.). In Spruchpunkt III. wurde der BF gemäß § 10 Abs. 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Pakistan ausgewiesen.
Gegen diesen Bescheid erhob der BF fristgerecht Beschwerde an den Asylgerichtshof.
Mit Erkenntnis des Asylgerichtshofs vom XXXX , ZI. XXXX , wurde die Beschwerde gemäß § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1 Z 1, § 10 Abs. 1 Z 2 als unbegründet abgewiesen. Dieses Erkenntnis erwuchs am 08.02.2013 in Rechtskraft.
I.2. Der BF kam seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach, sondern blieb gemäß Auszug aus dem Zentralen Melderegister bis zum XXXX aufrecht im Bundesgebiet gemeldet, wobei der Aufenthalt in diesem Zeitraum unrechtmäßig war.
Am 03.02.2015 langte ein Rückübernahmeersuchen aufgrund der Dublin-VO seitens der XXXX Asylbehörde beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (kurz: BFA) ein. Mit Schreiben vom 06.02.2015 erklärte sich Österreich zur Übernahme des BF bereit.
I.3. Am XXXX wurde der BF von XXXX nach Österreich rücküberstellt und stellte im Zuge der Überstellung seinen zweiten Antrag auf internationalen Schutz („Folgeantrag“).
Vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes brachte der BF am 01.06.2015 zusammengefasst Folgendes vor:
Der BF sei ledig und gesund. Er habe Österreich im XXXX verlassen, da sein Asylantrag abgewiesen worden sei und sei nach XXXX gereist, um dort einen Antrag zu stellen.
Befragt, warum der BF einen neuerlichen Asylantrag stelle, gab dieser zusammengefasst an, dass er beim ersten Antrag nicht gefragt worden sei, wer er sei und woher er komme. Man habe ihn nur gefragt wie er heiße, dies sei alles gewesen. Außerdem seien XXXX zwei Personen aus seiner Familie von den Taliban getötet worden; dies habe er in einem Telefonat XXXX erfahren. Der BF habe Angst wieder nach Pakistan zu müssen. Er würde wieder nach XXXX gehen, wenn er in Österreich wieder kein Asyl bekommen würde.
Der BF fürchte bei seiner Rückkehr in die Heimat aufgrund seiner schiitischen Religionszugehörigkeit von den Taliban verfolgt und getötet zu werden, wie seine Familienangehörigen.
Mit Aktenvermerk vom 26.09.2016 wurde das Asylverfahren gem. § 24 Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 AsylG eingestellt, da der Aufenthaltsort des BF wegen Verletzung der Mitwirkungspflicht weder bekannt noch sonst leicht feststellbar war und eine Entscheidung ohne weitere Einvernahme nicht erfolgen konnte.
Seit XXXX war der BF wieder im österreichischen Bundesgebiet gemeldet.
Am 27.11.2018 wurde der BF vor dem BFA einvernommen.
Dem BF wurde der bisherige Verfahrensgang erörtert und gab dieser an, dass die vom BFA aufgenommen Daten zu seiner Person stimmen würden. Vom BF wurde weiters eine Kopie seines Reisepasses vorgelegt, welchen er in XXXX von der Pakistanische Botschaft erhalten habe.
Zu seiner zweiten Asylantragstellung befragt, gab der BF an, dass die Gründe aus der Erstbefragung der Wahrheit entsprechen würden. Nur das mit den Taliban würde nicht stimmen, es sei eine andere Terroristengruppe gewesen.
Konkret befragt, aus welchem Grund der BF nun einen Neuantrag gestellt habe bzw. ob die Fluchtgründe aus dem Erstverfahren noch bestehen würde, meinte der BF, dass alles gleich sei. Die Oberen in seiner Gesellschaft hätten keine gute Beziehung zu den Schiiten, deshalb habe er immer wieder Probleme wegen seiner Religion gehabt.
Aufgefordert die Gründe für seinen zweiten Asylantrag ausführlich und vollständig zu schildern, brachte der BF zusammengefasst vor, dass seine Region Punjab nicht sicher sei; die Städte. Der BF habe auch in XXXX gewohnt und sei er auch dort nicht sicher gewesen. Die Schiiten hätten viele Probleme in Pakistan. Der BF sei Teil einer Organisation gewesen, welche für Proteste zuständig gewesen sei. Er sei bei diesen Protesten immer bewaffnet gewesen, weswegen er Probleme gehabt habe. Er sei jung bewaffnet gewesen und die Leute deswegen neidisch. Auch wegen der Religion hätten die Leute Probleme gemacht. Daher seien auch seine zwei Cousins ermordet worden. Wer sie ermordet habe, wisse der BF nicht.
Der BF legte verschiedene Dokumente zu seiner Integration vor, woraus sich unter anderem ergibt, dass der BF mit einer XXXX Staatsangehörigen, welche über einen Aufenthaltstitel Daueraufenthalt-EU verfügt, verheiratet ist. Dazu befragt gab der BF an seine Ehefrau über das Internet kennengelernt zu haben; sie hätten 2015 in der Moschee und am XXXX vor dem Standesamt geheiratet. Seit 2017 würden sie gemeinsam in einer Wohnung leben und gemeinsam Pokemon spielen.
Der BF sei nicht erwerbstätig und nicht in Grundversorgung. Er bekomme Geld von seiner Frau, deren Mutter und Großmutter, ab und zu schicke ihm auch sein Bruder aus XXXX Geld. Er habe Deutschkurse des WIFI besucht und spreche Deutsch auf Niveau A2. Ansonsten habe der BF keine Kurse besucht, sei kein Mitglied in einem Verein und nicht ehrenamtlich tätig. Er habe circa 50 bis 60 Freunde in XXXX .
Zwei Monate nach Stellung seines Asylantrags habe sich der BF ein Zimmer genommen und sich circa ein Jahr lang dort aufgehalten. Er sei zwei Mal wegen der Befragung hier in diesem Gebäude gewesen und habe bei der Rezeption nachgefragt, wann er Interview habe. Wegen dem Warten sei er XXXX im 4.,5. Oder 6. Monat nach XXXX gegangen und habe sich dort bis zum 1. oder 2. Monat XXXX aufgehalten. Von da an habe er bei seiner Frau gewohnt.
Auch die Ehefrau des BF ( XXXX ) wurde am 27.11.2018 als Zeugin vor dem BFA einvernommen und zu ihren persönlichen Daten und der Beziehung zu ihrem Ehemann befragt.
Mit Bescheid vom XXXX , ZI. XXXX wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (kurz: BFA) den Antrag des BF auf internationalen Schutz vom XXXX hinsichtlich des Status des Asylberechtigten und des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück. (Spruchpunkt I. und II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung nach Pakistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt IV. und V.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG wurde keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt VI.).
Beweiswürdigend führte die Behörde im Wesentlichen aus, dass der BF zur Begründung seines zweiten Asylantrags Umstände geltend gemacht habe, die seiner Schilderung zufolge schon vor seiner ersten Antragstellung passiert seien und ihm damals auch bekannt gewesen seien.
Sofern der BF in der Erstbefragung weiters angab, dass im Jahr XXXX zwei Personen aus seiner Familie getötet worden seien, enthalte diese Behauptung (aufgrund der zeitlich markant divergierenden Darstellung) keinen glaubhaften Kern.
Da somit weder in der maßgeblichen Sachlage noch im Begehren und auch nicht in den anzuwendenden Rechtnormen eine Änderung eingetreten sei, welche eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages nicht von vornherein als ausgeschlossen erscheinen ließe, stehe die Rechtskraft des ergangenen Erkennntnisses des Asylgerichtshofes vom XXXX , ZI.: XXXX , dem neuen Antrag sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten als auch des subsidiär Schutzberechtigten entgegen, weswegen das Bundesamt zu seiner Zurückweisung verpflichtet gewesen sei.
Der Bescheid erwuchs am 19.02.2019 in Rechtskraft.
I.4. Am 07.02.2019 stellte der BF persönlich einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK „Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens“ gemäß § 55 Abs. 1 AsylG. Der BF führte hierbei unter anderem aus, dass er in XXXX lebe und seit XXXX verheiratet sei (AS 1 ff.).
Vom BF wurden Dokumente vorgelegt, insbesondere eine Kopie seiner pakistanischen Geburtsurkunde samt deutscher Übersetzung (AS 13), einer Kopie seiner Heiratsurkunde, ausgestellt vom Standesamtsverband XXXX (AS 17), eine Kopie des Reisepasses, der Aufenthaltsberechtigungskarte und der ecard seiner Ehefrau (AS 19-23), eine Kopie eines Mietvertrages für eine Mietwohnung in XXXX , in welchem der BF und seine Frau als Mieter genannt sind (AS 25ff), eine Kopie des Meldezettels des BF (AS 33), Kopien der Lohn/Gehaltsabrechnungen der Ehefrau des BF vom XXXX bis XXXX (AS 35-39), ÖSD Zertifikat A1 (AS 41), Zeugnis zur Integrationsprüfung des ÖIF-Sprachkompetenz Niveau A2|Werte-und Orientierungswissen (AS 43).
I.5. Mit Bescheid des BFA vom XXXX , Zl. XXXX , wurde der Antrag des BF auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikel 8 EMRK vom 07.02.2019 gemäß § 58 Abs. 10 AsylG zurückgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 10 Abs. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG erlassen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Pakistan zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde eine Frist von 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt IV.).
In der Begründung wurde dargelegt, dass eine maßgebliche Sachverhaltsänderung in Bezug auf das Privat- und Familienleben des BF nicht eingetreten sei. Zwischen dem Zeitpunkt der jetzigen Entscheidung und der seinerzeitigen Rückkehrentscheidung des BFA liege nur eine kurze Zeitspanne von circa einem Monat, sodass sich auch der Inlandsaufenthalt nicht wesentlich verlängert habe. Sowohl die Sprachkenntnisse des BF als auch die Umstände seiner Lebensführung seien unverändert.
Der BF habe im Zuge der Antragstellung ausschließlich Unterlagen vorgelegt, welche er auch bereits im Zuge des Asylverfahrens vorgelegt habe. All diese Unterlagen seien bereits im Rahmen des Asylverfahrens berücksichtigt worden, was sich zweifelsfrei aus dem Asylbescheid vom XXXX ergebe.
In Anbetracht der genannten Faktoren könne nicht davon ausgegangen werden, dass sich der Sachverhalt seit der letzten Rückkehrentscheidung derart wesentlich geändert habe, dass eine erneute Abwägung gemäß Artikel 8 EMRK erforderlich wäre.
I.6. Gegen den Bescheid des BFA erhob der BF durch seine Vertretung fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Geltend gemacht wurden insbesondere die Rechtswidrigkeit in Folge Verletzung von Verfahrensvorschriften wegen wesentlicher Ermittlungsmängel sowie inhaltliche Rechtswidrigkeit.
Es wurden die Anträge gestellt, das Bundesverwaltungsgericht möge:
-) in der Sache selbst entscheiden und den angefochtenen Bescheid dahingehend abändern, dass dem Antrag vom 07.02.2019 stattgegeben wird;
-) eine mündliche Verhandlung durchführen;
-) in eventu den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde erster Instanz zurückverweisen;
-) der Beschwerde aufschiebende Wirkung erteilen.
I.7. Am XXXX wurde vor dem erkennenden Gericht eine mündliche Verhandlung durchgeführt, zu der der BF, dessen RV, das BFA und die Ehefrau des BF als Zeugin geladen wurden. Dem BF wurde die Möglichkeit eingeräumt, zum gegenständlichen Verfahren Stellung zu nehmen
I.8. Hinsichtlich des Verfahrensherganges im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
II.1. Feststellungen (Sachverhalt)
Der Beschwerdeführer ist ein männlicher, pakistanischer Staatsbürger, welcher rechtswidrig in das österreichische Bundesgebiet einreiste und sich seit Ende Oktober 2012 – mit längeren Unterbrechungen – im österreichischen Bundesgebiet befindet.
Der BF stellte am 31.10.2012 einen ersten Antrag auf internationalen Schutz, welcher mit Bescheid des BAA vom XXXX , AZ XXXX , gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, sowie gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich des Status des subsidiär Schutzberechtigen im Hinblick auf den Herkunftsstaat Pakistan abgewiesen wurde. In Spruchpunkt III. wurde der BF gemäß § 10 Abs. 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Pakistan ausgewiesen.
Mit Erkenntnis des Asylgerichtshofs vom XXXX , ZI. XXXX , wurde die Beschwerde gegen den Bescheid vom XXXX , AZ XXXX gemäß § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1 Z 1, § 10 Abs. 1 Z 2 als unbegründet abgewiesen. Das Erkenntnis erwuchs am 08.02.2013 in Rechtskraft.
Der BF kam seiner Ausreiseverpflichtung jedoch nicht nach, sondern setzte seinen Aufenthalt in Österreich unrechtmäßig fort; er war bis zum XXXX aufrecht im österreichischen Bundesgebiet gemeldet.
Der BF reiste daraufhin nach XXXX , um dort um Asyl anzusuchen. Am XXXX wurde der BF von XXXX nach Österreich rücküberstellt und stellte im Zuge der Überstellung seinen zweiten Antrag auf internationalen Schutz („Folgeantrag“).
Das Asylverfahren wurde am 26.09.2016 gem. § 24 Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 AsylG zwischenzeitig eingestellt, da der Aufenthaltsort des BF wegen Verletzung der Mitwirkungspflicht weder bekannt noch sonst leicht feststellbar war und eine Entscheidung ohne weitere Einvernahme nicht erfolgen konnte; der BF hat die Unterkunft der Betreuungseinrichtung ohne Angabe einer weiteren Anschrift verlassen. Laut durchgeführter ZMR-Auskunft erfolgte die Abmeldung von der bisherigen Meldeanschrift am 30.05.2016 und bestand keine aufrechte Meldung im Bundesgebiet.
Der BF hielt sich zwischenzeitlich in XXXX auf; er verfügte vom XXXX bis zum XXXX über einen XXXX Aufenthaltstitel.
Seit XXXX ist der BF an seiner aktuellen Wohnsitzadresse in XXXX gemeldet.
Mit Bescheid vom XXXX , ZI. XXXX wies das BFA den zweiten Antrag des BF auf internationalen Schutz vom XXXX hinsichtlich des Status des Asylberechtigten und des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück. (Spruchpunkt I. und II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung nach Pakistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt IV. und V.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG wurde keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt VI.).
Der Bescheid erwuchs am 19.02.2019 in Rechtskraft. Die Rückkehrentscheidung vom XXXX ist noch immer aufrecht.
Am XXXX stellte der BF den gegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK „Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens“ gemäß § 55 Abs. 1 AsylG.
Der BF hat nicht dargetan, dass sich im Hinblick auf sein Privat- und Familienleben seit der Erlassung des oben angeführten Bescheides vom XXXX , ZI. XXXX eine maßgebliche Änderung ergeben hat. Seine familiäre und private Situation im Bundesgebiet sowie seine Bindungen zum Heimatland stellen sich im Wesentlichen als unverändert dar. Der BF verweist im gegenständlichen Verfahren auf bereits im Vorverfahren vorgelegten Integrationsunterlagen, insbesondere etwa seiner Ehe zu einer XXXX Staatsbürgerin und seinen Deutschkenntnissen auf A2- Niveau.
Zum Beschwerdeführer:
Die Identität des BF steht fest.
Der BF ist ein gesunder, arbeitsfähiger Mann mit bestehenden familiären Anknüpfungspunkten im Herkunftsstaat. Der Vater, ein Bruder und vier Schwestern des BF leben in Pakistan. Der BF hat mit seiner älteren Schwester sowie mit seinem Vater Kontakt.
Der BF möchte offensichtlich sein künftiges Leben in Österreich gestalten und hält sich seit Mitte des Jahres 2017 durchgehend im Bundesgebiet auf.
Er ist seit dem XXXX mit einer XXXX Staatsangehörigen verheiratet, welche in Österreich geboren wurde und über einen Aufenthaltstitel Daueraufenthalt-EU verfügt. Der BF lebt mit seiner Ehefrau seit XXXX gemeinsam in einer Mietwohnung. Der BF und seine Ehefrau haben keine Kinder.
Der BF ist kein aktives Mitglied eines Vereins. Der Freundeskreis des BF setzt sich aus seiner Schwiegermutter und den Geschwistern seiner Frau zusammen.
Der BF verfügt über Deutschkenntnisse auf A2 Niveau, er hat zuletzt am XXXX die Integrationsprüfung des ÖIF bestehend aus Inhalten zur Sprachkompetenz Niveau A2 und zu Werte-und Orientierungswissen bestanden.
Der BF geht in Österreich keiner Beschäftigung nach.
Er bezog vom XXXX sowie vom XXXX verschiedene Leistungen aus der Grundversorgung für Asylwerber.
Vom XXXX bis zum XXXX war der BF aufgrund einer selbstständigen Tätigkeit als Gewerbetreibender nach dem GSVG pflichtversichert. Die Beiträge zur Pflichtversicherung wurden jedoch bis dato nicht bezahlt. Der BF hat während dieses Zeitraums auch keine Abgaben beim Finanzamt geleistet.
Seit XXXX ist der BF wieder um Zuge von Leistungen aus der Grundversorgung sozialversichert.
Dass der BF über eine Einstellungszusage verfügt, konnte nicht festgestellt werden.
Der BF ist strafrechtlich unbescholten.
Der BF wurde am XXXX vom Bezirksgericht XXXX wegen Urkundenfälschung gemäß § 223 Abs. 2 StGB (Gebrauch ein falschen/verfälschten Urkunde im Rechtsverkehr) zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen à 4,00 EUR (280,00 EUR), im Nichteinbringungsfall zu einer Ersatzfreiheitsstrafe von 35 Tagen verurteilt. Das Urteil erwuchs am 20.05.2014 in Rechtskraft. Die Tilgung erfolgte am 08.01.2021.
II.1.2. Die Lage im Herkunftsstaat Pakistan
Covid-19
Letzte Änderung: 29.01.2021
Die epidemiologische Situation in Pakistan ist weiterhin angespannt. In Pakistan wurden bisher mehr als 457.288 Infektionen mit dem Covid-19-Virus sowie mehr als 9.330 Todesfälle bestätigt (Stand 21.12.2020; Einwohnerzahl: 220 Millionen). Nach Angaben des National Command and Operation Center (NCOC) stieg die Zahl der durch das Coronavirus verursachten Todesfälle zum ersten Mal seit fünf Monaten um mehr als 100 innerhalb eines Tages. Die Positiv-Rate aller durchgeführten Testungen liegt in verschiedenen pakistanischen Großstädten bei etwa 7 bis 8%, während sie in der Millionenmetropole Karatschi etwa 19% beträgt. Landesweit wird weiterhin auf „Smart Lockdowns“ gesetzt, wobei zuletzt in Bezirken Peshawars und Karatschis Ausgangssperren verhängt wurden. Die Landesregierungen von Sindh und Khyber Pakhtunkhwa haben zudem angeordnet, alle religiösen Seminare („Madrassas“) wegen der Covid-19-Pandemie zu schließen. Laut Angaben des Sonderassistenten des pakistanischen Premierministers werde geplant, dass der Impfstoff – sofern verfügbar – der pakistanischen Bevölkerung kostenlos zur Verfügung gestellt werde. Wie gering die Impfbereitschaft der Pakistanis zeigt der Umgang mit der Polio-Impfung für Kinder im Land (ÖB 21.12.2020). Gleichzeitig geraten Krankenhäuser angesichts gestiegener Corona-Neuinfektionen landesweit an ihre Kapazitätsgrenzen. Mindestens sieben Patienten starben laut Medienberichten in der Nacht zum 6. Dezember 2020 in einem öffentlichen Krankenhaus in der nordwestlichen Stadt Peshawar (Khyber Pakhtunkhwa), weil der Sauerstoffnachschub ausging (BAMF 7.12.2020).
Als Folge des COVID-19-Schocks verschlechterte sich die wirtschaftliche Aktivität deutlich, wobei das Wirtschaftswachstum 2020 wird vorläufig auf -0,4% geschätzt. Um die zweite Welle abzumildern, wurden Lockdownmaßnahmen wieder eingeführt. Hinsichtlich anstehender Impfungen hat die Regierung bei der COVAX-Organisation der UN um Unterstützung angesucht. Diese wird die Impfung von vorrangig zu impfenden Gruppen - etwa 20% der Bevölkerung - abdecken. Die Regierung führt außerdem Gespräche mit mehreren Impfstoffherstellern und mit Gebern (Weltbank und Asiatische Entwicklungsbank) über die Beschaffung zusätzlicher Impfstoffe, die mit einem Budget von 250 Millionen US-Dollar finanziert werden sollen. Der Start der Impfkampagne wird für das zweite Quartal des Jahres 2021 erwartet (IMF 8.1.2021).
Am 24. März 2020 wurde von der Bundesregierung ein Hilfspaket im Wert von 1,2 Billionen PKR (ca. 6,2 Milliarden Euro) angekündigt, das inzwischen fast vollständig umgesetzt wurde. Zu den wichtigsten Maßnahmen gehören u.a. die Abschaffung der Importzölle auf medizinische Notfallausrüstung (kürzlich bis Dezember 2020 verlängert); Bargeldtransfers an 6,2 Millionen Tagelöhner (75 Mrd. PKR); Bargeldtransfers an mehr als 12 Millionen einkommensschwache Familien (150 Mrd. PKR); Unterstützung für KMUs und den Agrarsektor (100 Mrd. PKR) in Form von Aufschub der Stromrechnung, Bankkrediten sowie Subventionen und Steueranreizen. Das Konjunkturpaket sah außerdem Mittel für eine beschleunigte Beschaffung von Weizen (280 Mrd. PKR), finanzielle Unterstützung für Versorgungsunternehmen (50 Mrd. PKR), eine Senkung der regulierten Kraftstoffpreise (mit einem geschätzten Nutzen für die Endverbraucher in Höhe von 70 Mrd. PKR), Unterstützung für die Gesundheits- und Lebensmittelversorgung (15 Mrd. PKR), Erleichterungen bei der Bezahlung von Stromrechnungen (110 Mrd. PKR), einen Notfallfonds (100 Mrd. PKR) und eine Überweisung an die National Disaster Management Authority (NDMA) für den Kauf von COVID-19-bezogener Ausrüstung (25 Mrd. PKR) vor. Der nicht ausgeführte Teil des Hilfspakets wird auf das Jahr 2021 übertragen. Darüber hinaus enthält das Budget für das Jahr 2021 weitere Erhöhungen der Gesundheits- und Sozialausgaben, Zollsenkungen auf Lebensmittel, eine Zuweisung für das "COVID-19 Responsive and Other Natural Calamities Control Program" (70 Mrd. PKR), ein Wohnungsbaupaket zur Subventionierung von Hypotheken (30 Mrd. PKR) sowie die Bereitstellung von Steueranreizen für den Bausektor (Einzelhandels- und Zementunternehmen), die im Rahmen der zweiten Welle bis Ende Dezember 2021 verlängert wurden (IMF 8.1.2021).
Quellen:
? BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (7.12.2020): Briefing Notes, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041897/briefingnotes-kw50-2020.pdf, Zugriff 28.12.2020
? IMF – International Monetary Fund (8.1.2021): Policy Responses to COVID-19, Pakistan, https://www.imf.org/en/Topics/imf-and-covid19/Policy-Responses-to-COVID-19#P, Zugriff 28.1.2021
? ÖB – Österreichische Botschaft Bangkok [Österreich] (21.12.2020): Asylländerbericht Pakistan, per E-Mail
Punjab und Islamabad
Letzte Änderung: 29.01.2021
Die Bevölkerung der Provinz Punjab beträgt laut Zensus 2017 110 Millionen. In der Provinzhauptstadt Lahore leben 11,1 Millionen Einwohner (PBS 2017d; vgl. EASO 10.2020). Die Bevölkerung des Hauptstadtterritoriums beträgt laut Zensus 2017 ca. zwei Millionen Menschen (PBS 2017d).
Beim einzigen 2019 aus Islamabad gemeldeten Terroranschlag wurden zwei Polizisten getötet und ein weiterer bei einem Angriff auf eine Sicherheitsposten verletzt (PIPS 2020).
Im südlichen Punjab sind militante Netzwerke und Extremisten präsent, Lashkar-e Taiba (LeT) und JeM haben dort ihre Hauptquartiere und unterhalten religiösen Einrichtungen. Die Abteilung für Terrorismusbekämpfung im Punjab (CTD) hat 2019 und im ersten Halbjahr 2020 ihre Operationen gegen Militante fortgesetzt. Es kam dabei zu Festnahmen und zur Tötung von (mutmaßlichen) Kämpfern der TTP, HuA, LeJ und ISKP. Vom 1. Jänner bis 31. Juli 2020 zählte PIPS neun Vorfälle im Punjab, fünf davon wurden als Terroranschläge erfasst (EASO 10.2020; vgl. PIPS 2020).
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (9.12.2020): Pakistan: Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), Stand (22.12.2020), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/pakistan-node/pakistansicherheit/204974#content_1, Zugriff 22.12.2020
? EASO – European Asylum Support Office (10.2020): Pakistan Security Situation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2040057/10_2020_EASO_COI_Report_Pakistan_Security_situation.pdf, Zugriff 22.12.2020
? PBS – Pakistan Bureau of Statistics [Pakistan] (2017d): Province wise Provisional Results of Census – 2017, http://www.pbs.gov.pk/sites/default/files/PAKISTAN%20TEHSIL%20WISE%20FOR%20WEB%20CENSUS_2017.pdf, Zugriff 22.12.2020
? PIPS – Pak Institute for Peace Studies (2020): Pakistan Security Report 2019, https://www.pakpips.com/web/wp-content/uploads/2020/03/sr2019full.pdf, Zugriff 22.12.2020
Rechtsschutz, Justizwesen
Letzte Änderung: 29.01.2021
Das Gesetz garantiert die Unabhängigkeit der Justiz (USDOS 11.3.2020). Nach der Verfassung ist die politische Gewalt zwischen Legislative, Exekutive und Judikative aufgeteilt. In der Praxis wird diese Aufteilung in Pakistan jedoch nicht strikt eingehalten (BS 2020). Die pakistanische Verfassung und die gesamte pakistanische Rechtsordnung basieren weitgehend auf dem britischen Rechtssystem. Wenngleich gemäß Art. 227 der Verfassung alle Gesetze grundsätzlich im Einklang mit der Scharia stehen müssen, ist deren Einfluss auf die Gesetzgebung trotz Bestehens des Konsultativorgans Council of Islamic Ideology jedoch eher beschränkt, abgesehen von bestimmten Bereichen wie beispielsweise den Blasphemiegesetzen (ÖB 5.2020).
Der Supreme Court ist das pakistanische Höchstgericht und kann sich in Fällen von öffentlichem Interesse auch der Rechtsdurchsetzung bei Grundrechtsverletzungen, die gemäß Verfassung in die Zuständigkeit der High Courts fällt, annehmen. Die fünf High Courts fungieren u.a. als Berufungsinstanz gegen Beschlüsse und Urteile von Special Courts sowie als Aufsichts- und Kontrollorgane für alle ihnen unterstehenden Gerichte. Ferner bestehen Provinz- und Bezirksgerichte, Zivil- und Strafgerichte sowie spezialisierte Gerichte für Steuern, Banken und Zoll. Des Weiteren existiert gemäß Verfassung ein Federal Shariat Court, der zur Prüfung von Rechtsvorschriften auf ihre Vereinbarkeit mit den Vorgaben des Islam angerufen wird und diesbezüglich auch von sich aus tätig werden kann. Er fungiert zusätzlich zum Teil als Rechtsmittelinstanz in Delikten nach den Hudood Ordinances von 1979, die eine v.a. Frauen stark benachteiligende Islamisierung des Strafrechts brachten und durch den Protection of Women (Criminal Law Amendment) Act 2006 in Teilen etwas entschärft wurden. In Azad Jammu und Kaschmir (AJK) sowie in Gilgit-Baltistan gibt es eigene Justizsysteme (ÖB 5.2020).
Die oberen Gerichte und der Supreme Court werden allerdings als glaubwürdig eingestuft (USDOS 11.3.2020).
Im Zivil-, Straf- und Familienrecht gibt es öffentliche Verhandlungen, es gilt die Unschuldsvermutung, und es gibt die Möglichkeit einer Berufung. Angeklagte haben das Recht auf Anhörung und auf Konsultation eines Anwalts. Die Kosten für die rechtliche Vertretung vor den unteren Gerichten muss der Angeklagte übernehmen, in Berufungsgerichten kann auf öffentliche Kosten ein Anwalt zur Verfügung gestellt werden (USDOS 11.3.2020). Das National Accountability Bureau (Antikorruptionsbehörde) kann Verdächtige 15 Tage lang ohne Anklageerhebung festhalten (mit gerichtlicher Zustimmung verlängerbar) und ihnen vor der Anklageerhebung den Zugang zu einem Rechtsbeistand verweigern. Für Straftaten im Rahmen dieser Behörde kann keine Kaution hinterlegt werden, und nur dessen Vorsitzender ist befugt, über die Freilassung von Gefangenen zu entscheiden (USDOS 11.3.2020; vgl. BS 2020).
Die Justiz verteidigt ihre nach Ende der Militärherrschaft zurückgewonnene Unabhängigkeit und bemüht sich, den Rechtsstaat in Pakistan zu stärken. Gleichzeitig steht sie weiterhin unter dem Einfluss der mächtigen pakistanischen Armee. Erhebliche Unzulänglichkeiten im Justizapparat und Schwächen bei der Durchsetzung des geltenden Rechts bestehen fort. Die Gerichte und das pakistanische Rechtssystem sind hochgradig ineffizient (AA 29.9.2020). Zudem ist die Justiz in der Praxis oft von externen Einflüssen beeinträchtigt: Korruption, Einschüchterung und Unsicherheit; einem großen Rückstau an Fällen und niedrigen Verurteilungsquoten bei schweren Straftaten; von Angst vor Repressionen durch extremistische Elemente bei Fällen von Terrorismus, Blasphemie oder öffentlichkeitswirksamen politischen Fällen (USDOS 11.3.2020; vgl. HRCP/FIDH 10.2019; HRW 14.3.2020). Viele Gerichte unterer Instanzen bleiben für Korruption und den Druck von wohlhabenden Personen und einflussreichen religiösen und politischen Akteuren anfällig. Es gibt Beispiele, wo Zeugen, Staatsanwälte oder ermittelnde Polizisten in High Profile Fällen von unbekannten Personen bedroht oder getötet wurden. Verzögerungen in zivilen und Kriminalfällen sind auf ein veraltetes Prozessrecht, unbesetzte Richterstellen, ein schlechtes Fallmanagement und eine schwache rechtliche Ausbildung zurückzuführen. Der Rückstand sowohl in den unteren als auch in den höheren Gerichten beeinträchtigt den Zugang zu Rechtsmitteln oder eine faire und effektive Anhörung (USDOS 11.3.2020). Zivile Streitigkeiten, insbesondere wegen Eigentum und Geld, sind ein häufiger Grund für Mordfälle in Pakistan. Die oftmals Jahrzehnte dauernden Verzögerungen bei Urteilen durch Zivilgerichte können zu außergerichtlicher Gewaltanwendung zwischen den Streitparteien führen (JPP 4.10.2018).
De facto spielt in weiten Landesteilen das staatliche Recht für die meisten Pakistaner kaum eine Rolle. Rechtsstreitigkeiten werden nach Scharia-Recht oder nach lokalen Rechtsbräuchen gelöst. Im WJP Rule of Law Index belegt Pakistan Platz 120 von 128 untersuchten Staaten (AA 29.9.2020). Neben dem bisher dargestellten staatlichen Justizwesen bestehen also vor allem in ländlichen Gebieten Pakistans auch informelle Rechtsprechungssysteme und Rechtsordnungen, die auf traditionellem Stammesrecht beruhen. Hier drohen vor allem Frauen menschenunwürdige Bestrafungen (ÖB 5.2020).
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (29.9.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Pakistan (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2038580/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Pakistan_%28Stand_Juni_2020%29%2C_29.09.2020.pdf , Zugriff 17.12.2020
? BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Country Report Pakistan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029416/country_report_2020_PAK.pdf, Zugriff 17.12.2020
? HRCP/FIDH – Human Rights Commission of Pakistan / International Federation for Human Rights (10.2019): Punished for being vulnerable; How Pakistan executes the poorest and the most marginalized in society, https://www.fidh.org/IMG/pdf/pakistan740angweb.pdf, Zugriff 17.12.2020
? HRW – Human Rights Watch (14.3.2020): World Report 2020 - Pakistan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022680.html, Zugriff 18.12.2020
? JPP – Justice Project Pakistan (4.10.2018): Counting the Condemned – Data Analysis of Pakistan’s Use of the Death Penalty, https://www.jpp.org.pk/wp-content/uploads/2018/10/2018_10_04_Counting-the-Condemned-Final.pdf, Zugriff 17.12.2020
? ÖB – Österreichische Botschaft Islamabad [Österreich] (5.2020): Asylländerbericht Pakistan
? USDOS – US Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Pakistan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026342.html, Zugriff 17.12.2020
Sicherheitsbehörden
Letzte Änderung: 29.01.2021
Die Sicherheitsbehörden Pakistans bestehen aus der Polizei, die dem Innenministerium untersteht, Geheimdiensten (AA 29.9.2020), dem Heer, das dem Verteidigungsministerium untersteht (MoD o.D.) sowie militärischen Hilfstruppen, die dem Innenministerium unterstehen (EASO 10.2020).
Die polizeilichen Zuständigkeiten sind zwischen nationalen und regionalen Behörden aufgeteilt. Die Bundespolizei (Federal Investigation Agency, FIA) ist zuständig für die Bereiche Einwanderung, organisierte Kriminalität, Interpol und verfügt über eine Abteilung zur Terrorismusbekämpfung (Counter Terrorism Wing – CTWI). Pakistan verfügt über einen Auslands-/Inlandsnachrichtendienst (Directorate for Inter-Service Intelligence, ISI), einen Inlandsnachrichtendienst (Intelligence Bureau, IB) sowie einen militärischen Nachrichtendienst (Military Intelligence, MI). Das IB ist für Diplomatenschutz, Abwehr terroristischer Bedrohungen im Inland sowie Ermittlungen bei Kapitalverbrechen zuständig. Der ISI wird vom Militär dominiert. Seine Aufgabe, die nationalen Interessen Pakistans zu schützen, ermöglicht ihm ein Tätigwerden in den unterschiedlichsten Bereichen. De jure untersteht der ISI dem Verteidigungsministerium, de facto jedoch dem jeweiligen Armeechef (Chief of Army Staff). Eine effektive zivile Kontrolle über die militärischen Geheimdienste gibt es nicht (AA 29.9.2020).
Frontier Corps (FC) und Rangers sind paramilitärische Hilfstruppen, die dem Innenministerium unterstehen. FC sind in Khyber Pakhtunkwa und Belutschistan und die Rangers in Punjab und Sindh stationiert. Sie unterstützen die örtlichen Strafverfolgungsbehörden u.a. bei der Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung sowie bei der Grenzsicherung (EASO 10.2020).
Unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung begehen Armee und Sicherheitskräfte v.a. in den Provinzen Belutschistan und Khyber Pakhtunkhwa regelmäßig menschenrechtsrelevante Verletzungen. Ein nach wie vor ungelöstes, tabuisiertes Problem sind in diesem Zusammenhang die sog. enforced disappearances, das „Verschwindenlassen“ von unliebsamen, v.a. armeekritischen Personen (AA 29.9.2020).
Die Effizienz der Arbeit der Polizeikräfte variiert von Bezirk zu Bezirk und reicht von gut bis ineffizient (USDOS 11.3.2020). In der Öffentlichkeit genießt die vor allem in den unteren Rängen schlecht ausgebildete, gering bezahlte und oft unzureichend ausgestattete Polizei kein hohes Ansehen. So sind u.a. die Fähigkeiten und der Wille der Polizei im Bereich der Ermittlung und Beweiserhebung gering. Staatsanwaltschaft und Polizei gelingt es häufig nicht, belastende Beweise in gerichtsverwertbarer Form vorzulegen (AA 29.9.2020). Zum geringen Ansehen der Polizei tragen Korruptionsanfälligkeit, unrechtmäßige Übergriffe und Verhaftungen sowie Misshandlungen von in Polizeigewahrsam Genommenen ebenso bei (AA 29.9.2020; vgl. HRCP 4.2020).
Mangelnde Bestrafung von Übergriffen, begangen von Angehörigen der Sicherheitskräfte, trägt zu einem Klima der Straflosigkeit bei. Interne Ermittlungen und Strafen können bei Übergriffen bzw. Misshandlungen vom Generalinspektor, den Bezirkspolizeioffizieren, den District Nazims, Provinzinnenministern oder Provinzministerpräsidenten, dem Innenminister, dem Premierminister und den Gerichten angeordnet werden. Die Exekutive und Polizeibeamte sind ebenfalls dazu befugt, in solchen Fällen eine strafrechtliche Verfolgung zu empfehlen, die gerichtlich angeordnet werden muss. Das Gerichtssystem bleibt das einzige Mittel, um Missbrauch durch Sicherheitskräfte zu untersuchen (USDOS 11.3.2020).
Nach der Integration der FATA in die Provinz Khyber Pakhtunkhwa im Mai 2018 wurde die Provinzpolizei auch in den ehem. FATA tätig, jedoch muss erst neues Personal aufgenommen und ausgebildet werden, um die ehem. FATA komplett abzudecken (USDOS 11.3.2020).
Insgesamt sind die Polizeikapazitäten in Pakistan begrenzt, was auf fehlende Ressourcen, schlechte Ausbildung, unzureichende und veraltete Ausrüstung und konkurrierenden Druck von Vorgesetzten, politischen Akteuren, Sicherheitskräften und der Justiz zurückzuführen ist. In der öffentlichen Wahrnehmung ist ein hohes Maß an Korruption bei der Polizei weit verbreitet [siehe Kapitel Korruption], insgesamt ist das Ansehen der Polizei in der Öffentlichkeit gering. Inländische und internationale Beobachter sehen das Militär als eine der fähigsten Organisationen in Pakistan. Es verfügt über erhebliche Macht und dominiert die Außen- und Sicherheitspolitik. Militärangehörige werden gut bezahlt, und eine Karriere beim Militär ist hoch angesehen, nicht nur wegen der Vorteile, sondern auch wegen des hohen gesellschaftlichen Ansehens und der Verbindungen, die Militärangehörige genießen (DAFT 20.2.2019).
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (29.9.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Pakistan (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2038580/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Pakistan_%28Stand_Juni_2020%29%2C_29.09.2020.pdf, Zugriff 16.12.2020
? DAFT – Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (20.2.2019): Country Information Report Pakistan, https://www.ecoi.net/de/dokumentensuche/?asalt=8b1bb51cc9&country%5B%5D=pak&countryOperator=should&srcId%5B%5D=12005&srcIdOperator=should&useSynonyms=Y&sort_by=origPublicationDate&sort_order=desc, Zugriff 16.12.2020
? EASO – European Asylum Support Office (10.2020): Pakistan Security Situation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2040057/10_2020_EASO_COI_Report_Pakistan_Security_situation.pdf, Zugriff 16.12.2020
? MoD – Ministry of Defense [Pakistan] (o.D.): Ministry Overview, http://www.mod.gov.pk/, Zugriff 16.12.2020
? HRCP – Human Rights Commission of Pakistan (4.2020): State of Human Rights in 2019, http://hrcp-web.org/hrcpweb/wp-content/uploads/2020/04/REPORT_State-of-Human-Rights-in-2019-20190503.pdf, 18.12.2020
? USDOS – US Department of State [USA] (11.3.2020): Country Reports on Human Rights Practices 2019 – Pakistan, https://www.ecoi.net/en/document/2026342.html, Zugriff 16.12.2020
Allgemeine Menschenrechtslage
Letzte Änderung: 29.01.2021
Generell ist der Schutz der Menschenrechte in der pakistanischen Verfassung verankert und die pakistanische Regierung bekennt sich zu den Menschenrechten. Darunter fallen Grundrechte, Schutz der körperlichen Unversehrtheit und Selbstbestimmung, Schutz vor willkürlicher Verhaftung, des persönlichen Ansehens sowie das Recht auf Freiheit und Eigentum, Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz, Verbot willkürlicher Verhaftungen und Tötungen ohne gesetzliche Grundlage (AA 29.9.2020).
Die Regierung von Premierminister Imran Khan hat jedoch seit dem Amtsantritt im Juli 2018 die Beschränkungen für Medien, die politische Opposition und NGOs sowie das harte Vorgehen gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung verschärft (HRW 14.1.2020; vgl. AI 30.1.2020). Das Militär verschärfte seine Kontrolle über die Wirtschaft, die Außenpolitik und die nationale Sicherheit und mehrere Mitglieder der politischen Opposition wurden wegen angeblich politisch motivierter Anschuldigungen inhaftiert (AI 30.1.2020).
Folter im Gewahrsam der Sicherheitskräfte und in Gefängnissen gilt als weit verbreitet [siehe Kapitel Folter und unmenschliche Behandlung], bei 27 verschiedenen Straftatbeständen kann die Todesstrafe verhängt werden [siehe Kapitel Todesstrafe]. Verschwindenlassen zählt zu den drängendsten und eklatantesten Menschenrechtsverletzungen in Pakistan – auch weil der Staat (v. a. Militär/Nachrichtendienste, insb. ISI) oftmals als Täter auftritt und seiner Schutzverantwortung nicht gerecht wird. Extralegale Tötungen kommen vor allem in Form von polizeilichen Auseinandersetzungen vor, d. h. bei Zusammenstößen zwischen mutmaßlichen Straftätern, Militanten oder Terroristen und der Polizei oder paramilitärischen Sicherheitskräften, die mit dem Tod des mutmaßlich Straffälligen enden. Willkürliche Festnahmen kommen insbesondere aufgrund der weit verbreiteten Korruption innerhalb der Polizei vor. Selbst bei offensichtlich unbegründeten Beschuldigungen kann eine lange Inhaftierung erfolgen, ohne dass es dabei zu einer Haftprüfung kommt. Als Beispiel hierfür dienen die Blasphemie-Fälle [siehe Kapitel Blasphemiegesetze] (AA 29.9.2020). Terroristische Gewalt und Menschenrechtsverletzungen durch nichtstaatliche Akteure tragen ebenfalls zu den Menschenrechtsproblemen bei. Einige Mitarbeiter von Geheimdiensten, Polizei und anderen Sicherheitskräften halten Gefangene in Isolationshaft und weigern sich, deren Aufenthaltsort preiszugeben. Medien und zivilgesellschaftliche Organisationen berichten über Fälle von Personen, die im Polizeigewahrsam starben, angeblich aufgrund von Folter (USDOS 11.3.2020).
Das Verschwindenlassen von Personen wird in Pakistan häufig als Instrument benutzt, um abweichende Meinungen und Kritik an militärischen Maßnahmen zu unterdrücken. Zu den Einzelpersonen und Gruppen, die Opfer des Verschwindenlassens werden, gehören Sindhis, Belutschen, Paschtunen, Schiiten, politische Aktivisten, Menschenrechtsverteidiger, Mitglieder und Unterstützer religiöser und nationalistischer Gruppen, mutmaßliche Mitglieder bewaffneter Gruppen und Angehörige von in Pakistan verbotenen religiösen und politischen Organisationen (AI 21.5.2020; vgl. HRCP 4.2020). Der vom Innenministerium eingesetzten Kommission zur Ermittlung erzwungenen Verschwindens (COIOED) wurden bis 31.12.2019 6.506 Fälle zur Kenntnis gebracht, wovon 4.365 Fälle abgeschlossen werden konnten (COIOED 1.1.2020).
Der Senat und die ständigen Komitees der Nationalversammlung zu Recht, Justiz, Minderheiten und Menschenrechten halten Anhörungen zu einer breiten Reihe von Problemen mit Bezug auf die Menschenrechte ab. Per Gesetz von 2012 wurde 2015 die Nationale Kommission für Menschenrechte als unabhängiges Komitee eingerichtet. Im November 2015 wurde wieder ein unabhängiges Ministerium für Menschenrechte eingerichtet. Doch nur selten bestrafen Behörden Regierungsbeamte für Menschenrechtsverletzungen (USDOS 11.3.2020).
Die derzeitige Regierung setzt das von ihrem Vorgänger im Jahr 2015 begonnene harte Vorgehen gegen in- und ausländische NGOs fort. Im Jänner 2019 waren nur 74 von 141 internationalen NGOs, die seit 2015 einen Antrag auf Registrierung gestellt hatten, zugelassen worden (FH 4.3.2020).
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (29.9.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Pakistan (Stand: Juni 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2038580/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Pakistan_%28Stand_Juni_2020%29%2C_29.09.2020.pdf Zugriff 11.12.2020
? AI – Amnesty International (21.5.2020): Menschenrechtsverteidiger seit November 2019 vermisst, https://www.amnesty.de/sites/default/files/2020-05/159-2_2019_DE_Pakistan.pdf, Zugriff 11.12.2020
? AI – Amnesty International (30.1.2020): Human Rights in Asia-Pacific; Review of 2019 - Pakistan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2023879.html, Zugriff 11.12.2020
? COIOED – Commission of Inquiry on Enforced Disappearances, Pakistan (1.1.2020): Monthly Progress on Cases of Alleged Enforced Disappearances – Dezember 2019, http://coioed.pk/wp-content/uploads/2020/01/MONTHLY-SUMMARY-DECEMBER-2019.pdf, Zugriff 19.10.2020
? FH – Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - Pakistan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2030906.html, Zugriff 11.12.2020
? HRCP – Human Rights Commission of Pakistan (4.2020): State of Human Rights in 2019, http://hrcp-web.org/hrcpweb/wp-content/uploads/2020/04/REPORT_State-of-Human-Rights-in-2019-20190503.pdf, Zugriff 19.10.2020
? HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Pakistan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022680.html, Zugriff 11.12.2020
? USDOS – US Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Pakistan, https://www.ecoi.net/en/document/2026342.html, Zugriff 19.9.2020
Todesstrafe
Letzte Änderung: 29.01.2021
Die Todesstrafe wird in Pakistan vollstreckt. Der Staat veröffentlicht keine offizielle Statistik zur Todesstrafe (AA 29.9.2020). Im Jahr 2019 wurde die Todesstrafe in mindestens 584 Fällen (HRCP 30.4.2020), nach anderen Angaben in 632 Fällen verhängt. 14 Personen wurden hingerichtet (AI 21.4.2020). 2019 betrug die Gesamtzahl der Insassen im Todestrakt pakistanischer Gefängnisse 4.225 Personen (JPP o.D.). Im Dezember 2019 saßen u.a. noch mindestens 17 Personen, die wegen Blasphemie verurteilt worden waren, in der Todeszelle (HRCP 30.4.2020).
Die Todesstrafe kann bei 27 verschiedenen Straftatbeständen verhängt werden, darunter Blasphemie, Mord, Hochverrat, Spionage, Besitz von und Handel mit mehr als einem Kilogramm Rauschgift, Vergewaltigung und terroristischer Anschlag mit Todesfolge (HRCP o.D.; vgl. AA 29.9.2020). Nach anderen Angaben sind es bis zu 32 Straftatbestände (HRCP/FIDH 10.2019). Der unter Todesstrafe gestellte Tatbestandskatalog geht weit über den gesetzten Rahmen des - von Pakistan ratifizierten - internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte hinaus (AA 29.9.2020).
Sowohl das Gesetz als auch die frühere Verordnung über das Jugendgerichtssystem aus dem Jahr 2000 verbieten die Anwendung der Todesstrafe auf Minderjährige. Trotzdem verurteilen Gerichte für schuldig befundene Kinder nach dem Antiterrorismusgesetz zum Tode. Das fehlen von Personaldokumenten erschwert die Bestimmung des Alters möglicher Minderjähriger (USDOS 11.3.2020).
Außerdem gehört Pakistan zu den Ländern mit den schärfsten Blasphemiegesetzen (§§ 295a-c des Pakistan Penal Code, PPC). Seit 1990 verbietet § 295a PPC das absichtliche Verletzen religiöser Objekte oder Gebetshäuser, § 295b PPC die Entweihung des Korans und § 295c PPC die Beleidigung des Propheten Mohammed. Die letztgenannte Norm sieht selbst bei unbeabsichtigter Erfüllung des Tatbestands der Prophetenbeleidigung die Todesstrafe vor. Oftmals wird erstinstanzlich auf Druck von Extremisten die Todesstrafe verhängt, diese wurde bislang jedoch noch nie vollstreckt und häufig durch ein höheres Gericht wieder aufgehoben (AA 29.9.2020). Überhaupt wurde zwischen 2010 und 2018 alleine durch den Obersten Gerichtshof bei 78 % von 310 Urteilen die Todesstrafe aufgehoben - entweder durch Freispruch des Angeklagten, Strafumwandlung oder Anordnung einer Überprüfung (HRCP 30.4.2020).
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (29.9.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Pakistan (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2038580/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Pakistan_%28Stand_Juni_2020%29%2C_29.09.2020.pdf, Zugriff 17.10.2020
? AI – Amnesty International (21.4.2020): Death penalty in 2019: Facts and figures, https://www.amnesty.org/en/latest/news/2020/04/death-penalty-in-2019-facts-and-figures/, Zugriff 17.10.2020
? HRCP – Human Rights Commission of Pakistan (30.4.2020): State of Human Rights in 2019, http://hrcp-web.org/hrcpweb/wp-content/uploads/2020/04/REPORT_State-of-Human-Rights-in-2019-20190503.pdf, Zugriff 17.10.2020
? HRCP – Human Rights Commission of Pakistan (o.D.): Death penalty offences, http://hrcp-web.org/hrcpweb/death-penalty-offences/, Zugriff 17.10.2020
? HRCP/FIDH – Human Rights Commission of Pakistan / International Federation for Human Rights (10.2019): Punished for being vulnerable; How Pakistan executes the poorest and the most marginalized in society, https://www.fidh.org/IMG/pdf/pakistan740angweb.pdf, Zugriff 17.10.2020
? JPP – Justice Project Pakistan (o.D.): Death row population in Pakistan, https://data.jpp.org.pk/page/9pa1cdfd4u, Zugriff 4.12.2020
? USDOS – US Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Pakistan, https://www.ecoi.net/en/document/2026342.html, Zugriff 17.10.2020
Grundversorgung
Letzte Änderung: 29.01.2021
Derzeit macht der landwirtschaftliche Sektor ca. ein Fünftel des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus, der industrielle Sektor trägt zu einem Viertel des BIP bei und der größte Sektor für Handel und Dienstleistung trägt bis zu über 50 % des BIP bei. Trotz des geringsten Anteils am BIP ist der landwirtschaftliche Sektor immer noch sehr wichtig, weil mehr als 40 % der Bevölkerung in diesem Sektor direkt beschäftigt sind und die Existenz von mehr als 60 % der ländlichen Bevölkerung direkt oder indirekt von diesem Sektor abhängt. Neben den verheerenden Wettereinflüssen, wie Flut auf der einen und Dürre auf der anderen Seite, führt u.a. der Mangel an modern-technologischem Feldmanagement und Weiterverarbeitungsmöglichkeiten zu einer verhältnismäßig niedrigen Produktivität in diesem Sektor. Gepaart mit anderen soziopolitischen Faktoren führt dies zudem zu einer unsicheren Nahrungsmittelversorgung im Land (GIZ 9.2020).
Die Arbeitslosigkeit lag mit Stand 2017 offiziell bei etwa 7,8 % (CIA 24.9.2020). Kritisch ist vor allem die Situation von jungen erwerbslosen/arbeitslosen Männern zwischen 15 und 30 Jahren. Eine hohe Arbeitslosigkeit gepaart mit einer Verknappung natürlicher Ressourcen - vor allem auf dem Land - führte zur verstärkten Arbeitsmigration in große Städte und traditionell auch in die Golfstaaten. Rücküberweisungen von Arbeitsmigranten und Gastarbeitern nach Pakistan belaufen sich gegenwärtig auf ca. 5 % des BIP (GIZ 9.2020).
Das Tameer-e-Pakistan-Programm ist eine Armutsbekämpfungsmaßnahme, um Einkommensquellen für Arme zu verbessern und Arbeitsplätze im Land zu schaffen (IOM 2019). Das Kamyab Jawan Programm, eine Kooperation des Jugendprogramms des Premierministers und der Small and Medium Enterprises Development Authority (SMEDA), soll durch Bildungsprogramme für junge Menschen im Alter zwischen 15 und 29 die Chancen am Arbeitsmarkt verbessern (Dawn 11.2.2019).
Zwar hat die aktuelle Regierung die staatlichen Ausgaben für Gesundheit deutlich gesteigert, doch sind diese weiterhin zu niedrig, um eine flächendeckende Versorgung zu gewährleisten. Die öffentlichen Gesundheitsausgaben betragen 0,92 % des Bruttoinlandsprodukts (GIZ 9.2020). Am Human Development Index des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) für 2019, der 189 Staaten umfasst und Fortschritte in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Einkommen im internationalen Vergleich misst, hat sich Pakistan gegenüber den Vorjahren auf Rang 152 verschlechtert (AA 29.9.2020).
Gemäß dem Global Education Monitoring Report 2017/18 der UNESCO stellen sich die Bildungserfolge Pakistans relativ schwach dar. Die Einschulungs- und Alphabetisierungsrate Pakistans zählt zu den niedrigsten der Welt, lediglich rund 60 % der Bevölkerung (Frauen: 46 %) können lesen und schreiben. Nur etwas über 2 % des Bruttosozialprodukts werden in Bildung investiert. Weiterhin bleiben große Diskrepanzen in der Alphabetisierungs- und Bildungspolitik zwischen Provinzen sowie zwischen ländlichen und städtischen Gebieten bestehen. Das pakistanische Bildungssystem spiegelt die anhaltende soziale Ungleichheit in der G