TE Vwgh Erkenntnis 1996/11/13 95/01/0395

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Veröffentlicht am 13.11.1996
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §16;
AVG §37;
AVG §45 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner sowie Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke und Dr. Rigler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des B in W, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 21. April 1995, Zl. 4.323.024/10-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist nigerianischer Staatsangehöriger und reiste am 15. Juli 1991 in das Bundesgebiet ein. Am 18. Juli 1991 beantragte er, ihm Asyl zu gewähren. Anläßlich seiner am 24. September 1991 vor der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich erfolgten niederschriftlichen Befragung gab er zu seinen Fluchtgründen an, er habe seine Heimat aus religiösen Gründen verlassen. Im südlichen Teil von Nigeria lebten hauptsächlich Christen, im nördlichen Teil Moslems. Er komme aus dem nördlichen Teil und sei bis zu seiner Ausreise von moslemischen Nigerianern unterdrückt worden. Die islamische Organisation OIC (Organisation of Islamic Conference) sei in Nigeria beheimatet. Die nigerianische Regierung wolle das Land nach islamischen Grundsätzen führen, Christen, die festgenommen würden, seien Mißhandlungen ausgesetzt. Er sei seit 1985 Mitglied der Organisation Catholic Carismatic Rennewal und sei 1988 zum ersten Sekretär dieser Organisation gewählt worden. Diese kämpfe mit demokratischen Mitteln für die Rechte der Christen in Nigeria. Er sei in seiner Heimatprovinz ein "berühmter Mann" und habe daher viele Feinde gehabt. Die Polizei versuche seit 1988, ihn festzunehmen bzw. zu töten. Als im April 1991 ein Funktionär dieser Organisation inhaftiert worden sei, habe er den Auftrag erhalten, diesen Mann im Gefängnis zu besuchen. Als er vor dem Gefängnis eingetroffen sei, habe er bemerkt, daß mehrere Moslems hinter den Gefängnistoren gestanden seien, weshalb ihm sofort klar geworden sei, daß dies eine Falle sei. Er sei sofort umgekehrt, habe ein Taxi bestiegen und sei so schnell wie möglich von K in seine Heimatstadt O zurückgefahren. Kurze Zeit nach seiner Ankunft habe ein Freund in seiner Wohnung angerufen und ihm mitgeteilt, daß er von der Polizei gesucht werde und fliehen müsse. Sein Freund habe weiters gesagt, daß bereits viele Christen getötet und Kirchen in Brand gesetzt worden seien. In Nigeria würden die Menschen auf der Straße von moslemischen Extremisten auf der Straße angehalten und gefragt, welcher Religionsgemeinschaft sie angehörten. Wenn man sage, daß man Christ sei, dann werde man "oft" getötet.

Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 7. Oktober 1991 wurde - ohne Eingehen auf die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Fluchtgründe - formularmäßig festgestellt, daß er die Voraussetzungen für die Zuerkennung seiner Flüchtlingseigenschaft nicht erfülle.

In der fristgerecht dagegen erhobenen Berufung machte der Beschwerdeführer im wesentlichen Begründungsmängel des Bescheides erster Instanz geltend, bekräftigte im übrigen sein Vorbringen anläßlich seiner Ersteinvernahme, bestätigte dessen richtige und vollständige Protokollierung und verwies auf die der Berufung beigelegte Kopie der offiziellen Tageszeitung der nigerianischen Regierung.

Mit Bescheid vom 30. Juli 1993 wies die belangte Behörde diese Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab. Infolge der dagegen gerichteten Beschwerde hob der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 15. September 1994, Zl. 94/19/0826, den bekämpften Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes (infolge Aufhebung des Wortes "offenkundig" in § 20 Abs. 2 AsylG 1991 durch den Verfassungsgerichtshof mit dessen Erkenntnis vom 1. Juli 1994, G 92,93/94) auf, sodaß das Berufungsverfahren wiederum bei der belangten Behörde anhängig wurde. Daraufhin forderte die belangte Behörde mit Manuduktionsschreiben vom 1. Februar 1995 den Beschwerdeführer auf, allfällige "einfache" Verfahrensmängel im Verfahren vor der Behörde erster Instanz und sich daraus allenfalls ergebende Änderungen der Sachverhaltsgrundlage geltend zu machen, und hielt ihm unter einem vor, im Norden des Heimatlandes des Beschwerdeführers bekenne sich eine Mehrheit der Bevölkerung zum islamischen Glauben, während die im Süden Nigerias lebende Bevölkerung mehrheitlich dem Christentum angehöre. Außerdem werde durch Art. 37 der Verfassung Nigerias die Religionsfreiheit geschützt.

Mit Eingabe vom 16. Februar 1995 hielt der Beschwerdeführer an seiner Darstellung in erster Instanz fest, hielt der Annahme der belangten Behörde entgegen, Tatsache sei, daß sein Vorbringen von religiös motivierter Verfolgung nach wie vor zutreffe und Substanz habe, somit asylrechtlich relevant sei, und schloß u.a. ein Schreiben der Dreikönigsaktion der katholischen Jungschar Österreichs vom 14. Februar 1995 an, wonach die von der belangten Behörde zitierte Verfassung von der derzeitigen Militärregierung Nigerias außer Kraft gesetzt worden sei und der Druck islamischer Radikalisten immer stärker werde. Ab Ende 1992 hätten sich moslemische Izalah-Gruppen paramilitärisch unter dem Banner der sogenannten nigerianischen Hilfstruppe zu organisieren begonnen, diese würden von der Exekutive nicht verfolgt, in vielen Fällen sogar offen unterstützt. Gerade Repräsentanten von christlichen Bewegungen - wie der Beschwerdeführer - seien seit einigen Jahren und nach wie vor akut bedroht. Wer sich offen zum Christentum bekenne und aktiv für seinen Glauben eintrete, müsse mit Verfolgung rechnen.

Mit (Ersatz-)Bescheid vom 21. April 1995 wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers (neuerlich) gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab. Begründend hielt sie dem Beschwerdeführer entgegen, die Tatsache, daß er seit dem Jahre 1985 Mitglied der Organisation Catholic Carismatic Rennewal und seit 1988 erster Sekretär dieser Organisation sei, könne einen Asylanspruch nicht begründen, zumal seit 21. November 1993 die Verfassung von 1979 wieder in Kraft sei, in der auch die Glaubensfreiheit verankert sei. Christen würden wegen der Ausübung ihres Glaubens in Nigeria grundsätzlich nicht verfolgt. Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten (auch religiösen) Minderheit allein sei noch kein Grund für die Anerkennung als Flüchtling. Im Süden Nigerias gehöre die Bevölkerung mehrheitlich dem Christentum an. Diese Tatsache sei auch von ihm selbst in seiner Stellungnahme vom 16. Februar 1995 bestätigt worden. Es hätte daher für ihn eine "inländische Fluchtalternative" bestanden. Die Furcht vor Verfolgung müsse sich jedoch auf das gesamte Gebiet des Heimatstaates eines Asylwerbers beziehen. Auch müßten konkret gegen den Asylwerber selbst gerichtete Verfolgungshandlungen glaubhaft gemacht werden, allgemeine Berichte könnten ebensowenig wie Verfolgungshandlungen gegen Glaubensbrüder zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen. Überdies müsse auch die Verfolgung entweder von staatlichen Stellen des Heimatlandes ausgehen oder der betreffende Staat müsse nicht in der Lage oder nicht gewillt sein, die von anderen Stellen ausgehenden Verfolgungshandlungen hintanzuhalten. Der Beschwerdeführer sei, obwohl die Polizei angeblich bereits seit dem Jahr 1988 nach ihm fahnde, dennoch über 3 Jahre in seinem Heimatland verblieben. Wäre er tatsächlich einer drohenden Verfolgung seitens der nigerianischen Polizei ausgesetzt gewesen, hätte er sich wohl sofort in ein anderes Land begeben, um vor Verfolgung sicher zu sein. Die Behörde wertete auch die Verwendung des echten und auf sein Nationale ausgestellten Reisepasses bei der Ausreise aus Nigeria als Indiz für ein mangelndes subjektives Schutzbedürfnis. Sollte er von seiten dritter Personen islamischen Glaubens bedroht worden sein, so könne dies nicht als mittelbare staatliche Verfolgung gewertet werden, da dies Übergriffe von Einzelpersonen gewesen wären, welche sich nicht als politisch, religiös oder ethnisch motivierte vom Staat initiierte oder geduldete Verfolgungshandlungen darstellten. Auf das Berufungsvorbringen, soweit es mit dem erstinstanzlichen Vorbringen in Widerspruch stünde, ging die belangte Behörde im Hinblick auf die Bestimmung des § 20 Abs. 1 AsylG 1991 nicht ein.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Dem Beschwerdeführer ist zunächst zuzugeben, daß die belangte Behörde bei Annahme des Vorliegens einer "inländischen Fluchtalternative" von mit der Darstellung des Beschwerdeführers in Widerspruch stehenden Ermittlungsergebnissen ausgegangen ist, die dem Akt nicht zu entnehmen sind, dies insbesondere im Hinblick auf die tatsächlich derzeit geltende Rechts- und Verfassungslage in Nigeria, abgesehen davon, daß diese mit den tatsächlichen Verhältnissen nicht übereinstimmen muß. Ebensowenig nennt sie die Quellen für ihre Annahmen betreffend die allgemeinen Verhältnisse in bezug auf die Auseinandersetzung zwischen islamischen und andersgläubigen Bevölkerungsteilen im Hinblick auf deren territoriale Zuordnung sowie der Frage einer allenfalls stillschweigenden Duldung religiös motiverter Verfolgung durch den Staat. Darin liegen Begründungsmängel. Dennoch können diese der belangten Behörde unterlaufenen Verfahrensverletzungen zu keinem anderen Sachergebnis führen. Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Judikatur ausgesprochen hat, reicht ein bloßer Verweis auf die allgemeinen Verhältnisse im Heimatland eines Asylwerbers nicht, wenn nicht vor diesem Hintergrund eine konkrete, den Asylwerber selbst betreffende Verfolgungsgefahr glaubhaft gemacht wird.

Primär ist davon auszugehen, daß die belangte Behörde die Angaben des Beschwerdeführers, die nigerianische Polizei habe seit dem Jahre 1988 nach ihm gefahndet, es sei daher eine dem Staat zurechenbare Verfolgung im Sinne des Asylgesetzes vorgelegen, als unglaubwürdig erachtet hat, wobei ihre Argumentation, in diesem Falle sei es nicht nachvollziehbar, daß der Beschwerdeführer noch weitere drei Jahre in seinem Heimatland verblieben sei, der vom Verwaltungsgerichtshof anzustellenden Schlüssigkeitsprüfung standzuhalten vermag. Kann aber von einer auf das Jahr 1988 zurückzuführenden staatlichen Fahndung nach dem Beschwerdeführer nicht mehr ausgegangen werden, erweist sich auch der Hinweis auf einen angeblichen Anruf eines Freundes mit der Warnung, nach dem Beschwerdeführer werde gesucht und deshalb müsse er fliehen, ebenfalls in Ermangelung einer erkennbaren Verfolgungsmotivation ebenso als bloße Vermutung, wie der von ihm ins Treffen geführte Versuch, ihm anläßlich eines Gefängnisbesuches in K eine "Falle" zu stellen, ist doch seinen Angaben nicht zu entnehmen, daß die "Moslems" gerade auf ihn und in feindlicher Absicht gewartet hatten. Wohlbegründete Furcht vor Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention liegt jedoch (erst) dann vor, wenn OBJEKTIVERWEISE eine Peron in der individuellen Situation des Asylwerbers Grund hat, eine Verfolgung zu fürchten. Lediglich subjektiv empfundene Furcht vor Verfolgung reicht für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht aus. Der belangten Behörde kann daher im Ergebnis nicht mit Erfolg entgegengetreten werden, wenn sie der Darstellung der die Flucht des Beschwerdeführers aus seinem Heimatland auslösenden Ereignisse als für die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung nicht ausreichend angesehen hat.

Aus diesem Grunde war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Beweiswürdigung Sachverhalt angenommener geklärter Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Freie Beweiswürdigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995010395.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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