TE Vwgh Erkenntnis 1996/11/13 96/01/0373

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.11.1996
beobachten
merken

Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §16 Abs1;
AsylG 1991 §20 Abs2;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner sowie Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke und Dr. Rigler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des F in L, vertreten durch Dr. J, Rechtsanwalt in O, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 6. November 1995, Zl. 4.346.454/1-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger "der Jugosl. Föderation" und Angehöriger der albanischen Roma im Kosovo, der am 26. April 1995 in das Bundesgebiet eingereist ist, hat den Bescheid des Bundesasylamt vom 4. Mai 1995, mit dem sein Asylantrag abgewiesen worden war, mit Berufung bekämpft.

Mit Bescheid vom 6. November 1995 wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Der Beschwerdeführer hat bei seiner Einvernahme durch das Bundesasylamt am 3. Mai 1995 geltend gemacht, er habe Jugoslawien deshalb verlassen, weil er im März 1995 drei Einberufungsbefehle zum serbischen Militär erhalten habe. Er habe nicht einrücken wollen, weil er bereits vom Oktober 1991 bis März 1992 in Kroatien für die Serben gekämpft und nicht nochmals an die Front wollen habe. Er sei im Kosovo keinerlei Verfolgung aus politischen, religiösen, rassischen oder anderen Gründen ausgesetzt gewesen und sei weder festgenommen worden noch habe er Schwierigkeiten mit der serbischen Polizei oder den serbischen Behörden gehabt.

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag des Beschwerdeführers mit der Begründung ab, weder die Flucht vor einem drohenden Militärdienst noch eine wegen dessen Verweigerung drohende auch strenge Bestrafung stellten einen Grund für die Anerkennung eines Asylwerbers als Flüchtling dar. Wohl gebe es Anhaltspunkte dafür, daß in der Zeit der allgemeinen Mobilmachung vom 3. Oktober 1991 bis zum 26. Mai 1992 Angehörige von nationalen Minderheiten in überproportionalem Umfang als Reservisten aufgeboten worden seien, doch sei im "Kosovo-Kontext" festzuhalten, daß die Roma-Wehrpflichtigen nach dem Ausbruch des Krieges in Kroatien im Herbst 1991 Aufgeboten der jugoslawischen Armee kaum mehr Folge geleistet hätten, wobei ab diesem Zeitpunkt Einberufungen an Roma aus dem Kosovo kaum mehr ergangen seien. Es fehlten aber Anhaltspunkte dafür, daß Roma-Reservisten oder Rekruten in den Kriegsgebieten in Bosnien-Herzegowina oder in den kroatischen Kriegsgebieten eingesetzt würden. Auch würden Roma nur mehr in technischen Einheiten eingesetzt und nicht mehr an Waffen ausgebildet. Die Armee der Jugoslawischen Föderation sei nicht im Bürgerkrieg in Bosnien-Herzegowina im Einsatz. Hinsichtlich der in die Zehntausende gehenden Anzahl der Deserteure und Refrakteure seien bisher - trotz formaler Anklageerhebung - erst rund hundert Prozesse durchgeführt worden; aus den Urteilen ergebe sich keinerlei Hinweis darauf, daß ethnische Kriterien beim Strafausmaß eine entscheidende Rolle gespielt hätten.

In seiner Berufung brachte der Beschwerdeführer unter teilweiser Zitierung von Urteilen der Verwaltungsgerichte in Karlsruhe und in Hannover vor, die schlechte Behandlung in der Armee sowie die systematische Vertreibung der Albaner aus dem Kosovo durch die Serben gelte im gleichen Maße für die Angehörigen der Roma-Minderheit.

Die belangte Behörde hat der Abweisung der Berufung des Beschwerdeführers und damit der Versagung von Asyl die im erstinstanzlichen Bescheid zusammengefaßten Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die maßgebenden Erwägungen der Beweiswürdigung und die Beurteilung der Rechtsfrage durch das Bundesasylamt vollinhaltlich zugrunde gelegt und diese Ausführungen im erstinstanzlichen Bescheid zum Inhalt des angefochtenen Bescheides erhoben, wozu sie - ohne diese wiederholen zu müssen - berechtigt war (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 4. Oktober 1995, Zl. 95/01/0045). Zu den vom Beschwerdeführer angeführten Urteilen deutscher Verwaltungsgerichte führte die belangte Behörde aus, diese könnten nicht zur Glaubhaftmachung des Vorbringens des Beschwerdeführers dienen und nicht zu seiner Anerkennung als Flüchtling führen, weil diese in keiner Weise auf seine individuelle Situation eingingen und daher nicht für die Feststellung einer konkreten gegen den Beschwerdeführer persönlich gerichteten Verfolgung ausreichten. Überdies gehe von diesen ausländischen Urteilen keine Bindungswirkung für österreichische Behörden aus.

Soweit der Beschwerdeführer aus der Aufhebung des Wortes "offenkundig" in § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 durch den Verfassungsgerichtshof (Erkenntnis vom 1. Juli 1994, G 92, 93/94) etwas für seinen Standpunkt zu gewinnen sucht, ist ihm entgegenzuhalten, daß weder dem erst Ende 1995 und somit mehr als ein Jahr nach der angeführten Aufhebung erlassenen angefochtenen Bescheid noch der Beschwerde selbst ein Hinweis darauf entnommen werden kann, daß die belangte Behörde bei Erlassung dieses Bescheides nicht von der durch den Verfassungsgerichtshof bereinigten Rechtslage ausgegangen wäre.

Die Verweigerung der Ableistung des Militärdienstes - sei es durch Nichtbefolgung eines Einberufungsbefehls, sei es durch Desertion - rechtfertigt nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für sich allein nicht die Anerkennung eines Asylwerbers als Flüchtling. Der Verwaltungsgerichtshof geht allerdings von einer asylrechtlich relevanten Furcht vor Verfolgung in solchen Fällen aus, in denen die Einberufung aus einem der in § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 (übereinstimmend mit Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) angeführten Gründen erfolgt oder in denen davon auszugehen ist, daß eine dem Asylwerber wegen Wehrdienstverweigerung drohende Strafe aus diesen Gründen gegen diesen schwerer als gegenüber anderen Staatsangehörigen verhängt würde (vgl. insbesondere das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 29. Juni 1994, Zl. 93/01/0377). Der Beschwerdeführer hat bei seiner Ersteinvernahme keine Ausführungen, die auf das Vorliegen von in der Einberufung zum Militärdienst liegender Verfolgung im Sinne obiger Judikatur hindeuten würden, gemacht. Den im Bescheid der Behörde erster Instanz enthaltenen Darlegungen über die Verhältnisse im Heimatland des Beschwerdeführers und die dort geübte Praxis bei der Einberufung albanischer Wehrpflichtiger bzw. über die deswegen verhängten Strafen hat der Beschwerdeführer in der Berufung aber durch Zitierung der angeführten Urteile der Verwaltungsgerichte in Karlsruhe und in Hannover, in denen die Einberufung von Angehörigen der albanischen Minderheit im Kosovo als Mittel der serbischen Seite zur Erhöhung des Auswanderungsdrucks auf diese Bevölkerungsgruppe angesehen wird, entgegengehalten, daß diese systematische Vertreibung durch die Serben im gleichen Maße auch für die Angehörigen der Roma-Minderheiten gelte. Dieses Berufungsvorbringen ist auch in dem Sinne zu verstehen, daß dadurch ein der Behörde erster Instanz unterlaufener Verfahrensfehler, nämlich eine ungenügende oder unrichtige Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes, gerügt wird.

Gemäß § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991 hat der Bundesminister für Inneres einer Berufungsentscheidung das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens erster Instanz zugrunde zu legen. Gemäß Abs. 2 dieses Paragraphen hat der Bundesminister eine Ergänzung oder Wiederholung des Ermittlungsverfahrens dann anzuordnen, wenn es mangelhaft war, der Asylwerber Bescheinigungsmittel vorlegt, die ihm im Verfahren vor dem Bundesasylamt nicht zugänglich waren, oder wenn sich der Sachverhalt, der der Entscheidung erster Instanz zugrunde gelegt wurde, in der Zwischenzeit geändert hat.

Die belangte Behörde hat ihrem Bescheid nicht nur das Vorbringen des Beschwerdeführers, sondern auch die im erstinstanzlichen Bescheid enthaltenen Feststellungen über die im Heimatland des Beschwerdeführers herrschenden maßgeblichen Verhältnisse zugrundegelegt, ohne daß dem Beschwerdeführer von der Behörde erster Instanz Gelegenheit geboten worden wäre, hiezu Stellung zu nehmen. Mit seinen gegen die Richtigkeit und Vollständigkeit dieser Feststellungen gerichteten Berufungsausführungen unterlag der Beschwerdeführer zufolge der unterlassenen Wahrung des Parteiengehörs nicht dem in § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991 zum Ausdruck kommenden Neuerungsverbot. Die im oben angeführten Sinn zu verstehende Verfahrensrüge des Beschwerdeführers in seiner Berufung gegen den Bescheid der Behörde erster Instanz hätte deshalb für die belangte Behörde Anlaß bieten müssen, das Ermittlungsverfahren wiederholen oder ergänzen zu lassen. Dies auch deshalb, weil die Ausführungen im erstinstanzlichen Bescheid in keiner Weise erkennen lassen, auf welchen Grundlagen die darin enthaltenen Feststellungen über die Verhältnisse im Heimatland des Beschwerdeführers beruhen. Eine solche Bescheidbegründung steht aber mit der sich aus den §§ 58 Abs. 2 in Verbindung mit 60 AVG ergebenden Forderung, daß darin in einer eindeutigen, die Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichenden Weise darzutun ist, welcher Sachverhalt der Entscheidung zugrunde gelegt wurde, aus welchen Erwägungen die Behörde zur Ansicht gelangte, daß gerade dieser Sachverhalt vorliege und aus welchen Gründen die Subsumtion dieses Sachverhaltes unter einen bestimmten Tatbestand als zutreffend erachtet wurde (vgl. die in Hauer - Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens5, Wien 1996, S 462 f, zitierte Judikatur), nicht im Einklang. Die belangte Behörde hat demgegenüber dadurch, daß sie einerseits die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die maßgebenden Erwägungen der Beweiswürdigung und die Beurteilung der Rechtsfrage durch die Behörde erster Instanz dem angefochtenen Bescheid zugrunde gelegt und den Berufungsausführungen des Beschwerdeführers lediglich entgegengesetzt hat, durch die zitierten ausländischen Urteile könnte eine konkrete, gegen den Beschwerdeführer gerichtete Verfolgung nicht glaubhaft gemacht werden, und andererseits dadurch, daß sie die Verletzung des Rechtes auf Parteiengehör durch die Behörde erster Instanz nicht aufgegriffen hat, auch ihren Bescheid mit diesen dem erstinstanzlichen Bescheid anhaftenden Verfahrensmängeln belastet.

Diese Verfahrensmängel erweisen sich angesichts des Vorbringens des Beschwerdeführers und insbesondere seiner Zugehörigkeit zu der im Kosovo lebenden Minderheit der Roma als wesentlich, weil bei Zutreffen seiner Behauptungen nicht mehr ohne weiteres davon ausgegangen werden könnte, seine Einberufung zum Militär sei in keiner Weise auf Gründe des § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 zurückzuführen.

Da der Sachverhalt sohin in wesentlichen Punkten einer Ergänzung bedarf und somit auch Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, mußte der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Verfahrensbestimmungen Berufungsbehörde

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1996010373.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten