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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
AsylG 2005 §11Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, die Hofrätin Mag. Rossmeisel und den Hofrat Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, in der Revisionssache des A B, vertreten durch Mag. Dr. Bernhard Rosenkranz, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Plainstraße 23, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. August 2020, W261 2190431-1/17E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 12. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), den er zusammengefasst damit begründete, er habe Afghanistan wegen einer Blutfehde zwischen seinem Vater und dessen Onkel väterlicherseits und der ihm daraus drohenden Verfolgung verlassen.
2 Mit Bescheid vom 13. Februar 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
4 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
7 Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 41 VwGG, soweit nicht Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes oder infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften vorliegt, das angefochtene Erkenntnis oder den angefochtenen Beschluss auf Grund des vom Verwaltungsgericht angenommenen Sachverhalts im Rahmen der geltend gemachten Revisionspunkte bzw. der Erklärung über den Umfang der Anfechtung zu überprüfen hat. Somit sind Änderungen der Sach- und Rechtslage, die sich nach Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses ereignet haben und daher vom Verwaltungsgericht nicht berücksichtigt werden konnten, einer Prüfung im gegenständlichen Revisionsverfahren entzogen.
8 Die Revision wendet sich in ihrer Zulässigkeitsbegründung ausschließlich gegen die vom Bundesverwaltungsgericht angenommene innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 11 AsylG 2005 in der Stadt Mazar-e Sharif, welche der Gewährung des Status des subsidiär Schutzberechtigten entgegenstehe. Sie führt dazu unter Vorlage einer Reihe von Berichten ergänzende, ihrer Ansicht nach vom BVwG festzustellende Sachverhaltselemente an, aus denen sich ergebe, dass sich der Revisionswerber in Mazar-e Sharif keine Existenzgrundlage schaffen könne, weshalb ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen sei.
9 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Beurteilung einer möglichen Verletzung des Art. 3 EMRK eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr („real risk“) einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (vgl. etwa VwGH 3.7.2020, Ra 2020/14/0255, mwN). Eine solche einzelfallbezogene Beurteilung ist im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel (vgl. VwGH 7.7.2020, Ra 2020/14/0236, mwN).
10 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung weiters dargelegt, welche Kriterien erfüllt sein müssen, um von einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative sprechen zu können. Demzufolge reicht es nicht aus, dem Asylwerber entgegen zu halten, dass er in diesem Gebiet keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erwarten hat. Es muss ihm vielmehr möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Ob dies der Fall ist, erfordert eine Beurteilung der allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und der persönlichen Umstände des Asylwerbers. Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss (vgl. VwGH 14.9.2020, Ra 2019/14/0350; 23.1.2018, Ra 2018/18/0001, jeweils mwN).
11 Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes reicht eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, für sich betrachtet nicht aus, um die Verletzung des nach Art. 3 EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können oder um die Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative zu verneinen (vgl. etwa VwGH 13.1.2021, Ra 2020/14/0287 bis 0288, mwN).
12 Das BVwG traf im vorliegenden Fall auf der Grundlage einschlägiger Länderberichte hinreichend aktuelle Feststellungen zur Sicherheits- und zur Versorgungslage in Mazar-e Sharif. Es berücksichtigte bei der Prüfung der Zumutbarkeit der von ihm angenommenen innerstaatlichen Fluchtalternative ausdrücklich unter anderem sowohl die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018 als auch den EASO-Leitfaden zu Afghanistan vom Juni 2019 und setzte sich mit den persönlichen Umständen des Revisionswerbers auseinander. Das BVwG verkannte die angespannte Situation in Mazar-e Sharif nicht, ging aber davon aus, dass es sich beim Revisionswerber um einen erwachsenen und arbeitsfähigen Mann handle, der mit der afghanischen Kultur und den afghanischen Gepflogenheiten vertraut sei, im Heimatstaat zehn Jahre lang die Schule besucht habe und über eine rund eineinhalbjährige Berufserfahrung in der Lohnauszahlung einer Firma verfüge. In Österreich absolviere er eine Lehre als Koch im dritten Lehrjahr. Er könne von seinen Familienangehörigen in Afghanistan zumindest vorübergehend finanziell unterstützt werden und Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen. Es sei ihm daher möglich, allenfalls nach anfänglichen Schwierigkeiten, trotz der durch die COVID-19-Pandemie bedingten Lockdowns und der damit für Rückkehrer verbundenen Probleme, einen Arbeitsplatz und Unterkunft zu finden, sich in Mazar-e Sharif niederlassen und sich dort eine Existenz ohne unbillige Härten aufzubauen. Insbesondere sei er aufgrund seiner Schulbildung und seiner qualifizierten Berufserfahrung und -ausbildung nicht auf Tagelöhnerarbeiten angewiesen, sodass es ihm mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit gelingen werde, eine dauerhafte Arbeit zu finden.
13 Vor diesem Hintergrund zeigt die Revision mit ihren Ausführungen zu möglichen anfänglichen Schwierigkeiten bei der Ansiedelung - auch unter Einbeziehung der von ihr vermissten Feststellungen - nicht auf, dass die einzelfallbezogene Beurteilung des BVwG, dem Revisionswerber stehe im Entscheidungszeitpunkt in Mazar-e Sharif eine innerstaatliche Fluchtalternative offen, mit einer vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Rechtswidrigkeit belastet wäre (vgl. zur innerstaatlichen Fluchtalternative für junge, gesunde und arbeitsfähige Männer in Mazar-e Sharif bei vergleichbarer Berichtslage etwa VwGH 15.5.2020, Ra 2020/20/0140).
14 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 9. November 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020140450.L00Im RIS seit
06.12.2021Zuletzt aktualisiert am
06.12.2021