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32/01 Finanzverfahren allgemeines AbgabenrechtNorm
BAO §115 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Mairinger und den Hofrat Dr. Thoma sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Galli, LL.M., über die Revision des Ing. P H in H, vertreten durch Dr. Gerhard Holzinger und Dr. Monika Holzinger, Rechtsanwälte in 5280 Braunau/Inn, Stadtplatz 36, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 11. Juni 2019, Zl. RV/5101893/2017, betreffend Normverbrauchsabgabe 4/2014 und Kraftfahrzeugsteuer 4/2014 bis 9/2015 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: nunmehr Finanzamt Österreich), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von 1.346,40 € binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesfinanzgericht die Beschwerden des Revisionswerbers gegen die Bescheide des damaligen Finanzamts Braunau Ried Schärding vom 10. November 2015 und vom 15. September 2016, mit denen gegenüber dem Revisionswerber für ein näher bezeichnetes Kraftfahrzeug Kraftfahrzeugsteuer für Juli bis Dezember 2014 iHv 941,16 € und für Jänner bis September 2015 iHv 1.605,06 € sowie Normverbrauchsabgabe für April 2014 iHv 7.144,03 € festgesetzt worden war, ab. Weiters änderte das Bundesfinanzgericht den Bescheid des Finanzamts vom 15. September 2016, mit dem gegenüber dem Revisionswerber für das genannte Kraftfahrzeug Kraftfahrzeugsteuer für April bis Juni 2014 iHv 475,60 € festgesetzt worden war, dahingehend ab, dass es die Kraftfahrzeugsteuer mit 316,60 € festsetzte.
2 In der Begründung führte das Bundesfinanzgericht aus, der Revisionswerber habe seinen Wohnsitz und den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen in Österreich im grenznahen Bereich zu Deutschland. Von seinem deutschen Arbeitgeber sei ihm aufgrund einer Gehaltsumwandlungserklärung ein in Deutschland zugelassenes Firmenfahrzeug überlassen worden. Gemäß der Fahrzeugüberlassungsvereinbarung seien mit diesem Betrag alle wesentlichen Kosten im Rahmen der mit dem Leasinggeber bzw. den externen Dienstleistern abgeschlossenen Verträge wie Finanzierungsraten, Plan-Treibstoffkosten, Versicherung, Service etc. abgedeckt („Full-Service-Leasingrate“). Darüber hinaus gehende Kosten (unregelmäßig anfallende Kosten für Schmiermittel, Nachfüllöle, Selbstbehalte bei Voll- oder Teilkaskoschäden, gefahrene Mehrkilometer etc.) habe der Revisionswerber zusätzlich zu tragen. Das Kraftfahrzeug sei dem Revisionswerber im März 2014 übergeben und nach Österreich eingebracht worden. Der Revisionswerber fahre nahezu an jedem Werktag mit dem Kraftfahrzeug von seinem Wohnsitz in Österreich zu seinem Arbeitsort nach Deutschland und wieder zurück. Auch die Privatfahrten nach Deutschland würden von Österreich aus angetreten. Der Revisionswerber verwende das Leasingfahrzeug für berufliche und private Fahrten, wobei die private Verwendung dem Revisionswerber von seinem Arbeitgeber völlig freigestellt sei und der Revisionswerber gleich einem privaten Leasingnehmer über den Einsatz des Kraftahrzeugs frei verfügen könne. Bis zum 3. Mai 2016 seien mit dem Kraftfahrzeug 28.658 Kilometer zurückgelegt worden, wovon ca. 1.520 Kilometer auf Dienstreisen, der Rest auf Privatfahrten entfallen seien. Die gefahrenen dienstlichen Kilometer seien dem Revisionswerber über die Reisekostenabrechnung erstattet worden. Von den insgesamt gefahrenen Kilometern seien ca. 2.000 Kilometer auf österreichischen Straßen, ca. 1.000 Kilometer auf tschechischen und italienischen Straßen und der Rest auf deutschen Straßen zurückgelegt worden, sodass ca. 90% der gefahrenen Kilometer auf Deutschland entfielen. Bei der gebotenen Gesamtbetrachtung könne das Kraftfahrzeug jedoch keinem bestimmten Standort außerhalb des Bundesgebiets zugeordnet werden. Die Fahrten seien immer vom österreichischen Standort aus angetreten worden. Alleine durch die Fahrten vom österreichischen Wohnsitz zum deutschen Arbeitsort sei kein dauernder Standort am Arbeitsplatz des Revisionswerbers in Deutschland begründet worden, sei bei einem Arbeitnehmer, der mit seinem Kraftfahrzeug zur Arbeitsstätte fahre, doch nach der allgemeinen Verkehrsauffassung davon auszugehen, dass die Verfügung über das Kraftfahrzeug vom Wohnsitz des Arbeitnehmers aus erfolge. Die Aufenthalte bei den Schwiegereltern in Deutschland seien zu kurz gewesen, um dort einen Standort zu begründen. Dies gelte umso mehr für die Besuchsfahrten, Arztbesuche und Einkäufe in Deutschland.
3 Nach § 82 Abs. 8 KFG 1967 seien Fahrzeuge mit ausländischem Kennzeichen, die von Personen mit Hauptwohnsitz oder Sitz im Inland in das Bundesgebiet eingebracht oder in diesem verwendet würden, bis zum Gegenbeweis als Fahrzeuge mit dem dauernden Standort im Inland anzusehen. Die Verwendung solcher Fahrzeuge ohne Zulassung im Inland sei gemäß § 37 leg. cit. nur während eines Monats ab der Einbringung in das Bundesgebiet zulässig. Gemäß § 1 Z 3 NoVAG 1991 unterliege ua. die Verwendung eines Kraftfahrzeugs im Inland der Normverbrauchsabgabe, wenn es nach dem Kraftfahrgesetz zuzulassen wäre. Weiters unterliege ein Kraftfahrzeug, das auf Straßen mit öffentlichem Verkehr im Inland ohne die kraftfahrrechtlich erforderliche Zulassung verwendet werde, nach § 1 Abs. 1 Z 3 KfzStG 1992 der Kraftfahrzeugsteuer.
4 Die Beurteilung, ob ein Kraftfahrzeug seinen dauernden Standort entgegen der Vermutung des § 82 Abs. 8 KFG 1967 nicht im Bundesgebiet habe, setze nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Feststellungen über den regelmäßigen Ort sowie die Art und Weise der Verwendung des Kraftfahrzeugs voraus, um beurteilen zu können, ob dieses bei der gebotenen Gesamtbetrachtung einem bestimmten Ort außerhalb des Bundesgebiets zuzuordnen sei. Die in § 82 Abs. 8 KFG 1967 normierte Standortvermutung könne durch den Nachweis eines tatsächlichen dauernden Standorts in einem anderen Staat widerlegt werden. Dabei sei es die Aufgabe des Verwenders des Kraftfahrzeugs, der einen dauernden Standort außerhalb des Bundesgebiets behaupte, nachzuweisen, dass das Kraftfahrzeug zu einem anderen Staat eine größere Bindung habe als zu Österreich und dass die im Wesentlichen dauernde Verwendung des Kraftfahrzeugs tatsächlich in einem bestimmten anderen Land erfolge.
5 Zwar habe der Revisionswerber nachgewiesen, dass das verfahrensgegenständliche Kraftfahrzeug zu ca. 90% auf deutschen Straßen und damit sowohl kilometermäßig als auch zeitlich fast ausschließlich im deutschen Raum gefahren und damit weitaus überwiegend nicht in Österreich verwendet worden sei. In dem dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. Oktober 2009, 2008/15/0276, zugrundeliegenden Fall, sei neben der weitaus überwiegenden Verwendung in Deutschland jedoch auch ein „Betriebsstandort“ in Deutschland vorgelegen. Im revisionsgegenständlichen Fall habe jedoch kein Standort in Deutschland festgestellt werden können, sei mit dem Kraftfahrzeug doch immer wieder zum Standort in Österreich zurückgekehrt und das Kraftfahrzeug dort geparkt oder garagiert worden und habe der Revisionswerber über das Fahrzeug von seinem österreichischen Wohnsitz aus verfügt. In Österreich sei die Entscheidung getroffen worden, in welcher Art und Weise das Kraftfahrzeug verwendet werde. Da der Arbeitgeber des Revisionswerbers nicht als Verwender des Fahrzeugs anzusehen sei, komme ein Standort am Firmengelände in Deutschland ebenfalls nicht in Betracht. Damit sei dem Revisionswerber die Widerlegung der Standortvermutung nach § 82 Abs. 8 KFG 1967 nicht gelungen. Der Beschwerde sei nur hinsichtlich der Kraftfahrzeugsteuer für den Zeitraum April bis Juni 2014 teilweise Folge zu geben gewesen, weil die Steuerschuld erst nach ungenütztem Ablauf der kraftfahrrechtlichen „Einmonatsfrist“ habe entstehen können.
6 Eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erklärte das Bundesfinanzgericht für zulässig, weil der Lösung der Rechtsfrage, ob bereits durch das bloße, überwiegende Verwenden eines Kraftfahrzeugs im Ausland dort ein Standort begründet werde, grundsätzliche Bedeutung zukomme.
7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision über die der Verwaltungsgerichtshof nach Erstattung einer Revisionsbeantwortung durch die belangte Behörde in einem nach § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
8 In der Revision wird zu deren Zulässigkeit vorgebracht, das Bundesfinanzgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, wonach bei einer aufgrund der zurückgelegten Kilometer weitaus überwiegenden Verwendung eines Kraftfahrzeugs im Ausland jedenfalls die Erbringung des Gegenbeweises für die Widerlegung der Standortvermutung im Inland als gelungen anzusehen sei.
9 Die Revision ist zulässig. Sie ist auch begründet.
10 Gemäß § 1 Z 3 des Normverbrauchsabgabegesetzes (NoVAG 1991), BGBl. 695/1991 in der im Revisionsfall noch anzuwendenden Fassung BGBl. I Nr. 34/2010, unterliegt der Normverbrauchsabgabe die erstmalige Zulassung von Kraftfahrzeugen zum Verkehr im Inland, sofern die Steuerpflicht nicht bereits nach § 1 Z 1 oder Z 2 leg. cit. eingetreten ist oder nach Eintreten der Steuerpflicht eine Vergütung nach § 12 oder § 12a leg. cit. erfolgt ist. Als erstmalige Zulassung gilt ua. auch die Verwendung eines Fahrzeugs im Inland, wenn es nach dem Kraftfahrgesetz zuzulassen wäre, ausgenommen es wird ein Nachweis über die Entrichtung der Normverbrauchsabgabe erbracht.
11 Bei Verwendung eines Fahrzeugs im Inland, das nach dem Kraftfahrgesetz zuzulassen wäre, entsteht die Steuerschuld gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 NoVAG 1991, BGBl. 695/1991 idF BGBl. I Nr. 34/2010, mit dem Zeitpunkt der Einbringung in das Inland.
12 Gemäß § 1 Abs. 1 Z 3 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes 1992 (KfzStG 1992) unterliegen der Kraftfahrzeugsteuer Kraftfahrzeuge, die auf Straßen mit öffentlichem Verkehr im Inland ohne die kraftfahrrechtlich erforderliche Zulassung verwendet werden (widerrechtliche Verwendung).
13 Bei widerrechtlicher Verwendung eines Kraftfahrzeugs gemäß § 1 Abs. 1 Z 3 KfzStG 1992 dauert die Steuerpflicht gemäß § 4 Abs. 1 Z 3 leg. cit. vom Beginn des Kalendermonats, in dem die Verwendung einsetzt, bis zum Ablauf des Kalendermonats, in dem die Verwendung endet.
14 Gemäß § 79 des Kraftfahrgesetzes 1967 (KFG 1967) ist das Verwenden von Kraftfahrzeugen und Anhängern mit ausländischem Kennzeichen, die keinen dauernden Standort im Bundesgebiet haben, auf Straßen mit öffentlichem Verkehr unbeschadet zollrechtlicher und gewerberechtlicher Vorschriften nur zulässig, wenn die Fahrzeuge vor nicht länger als einem Jahr in das Bundesgebiet eingebracht wurden und wenn die Vorschriften der §§ 62, 82 und 86 leg. cit. eingehalten werden.
15 Gemäß 82 Abs. 8 KFG 1967, BGBl. Nr. 267/1967 idF BGBl. I Nr. 26/2014, sind Fahrzeuge mit ausländischem Kennzeichen, die von Personen mit dem Hauptwohnsitz oder Sitz im Inland in das Bundesgebiet eingebracht oder in diesem verwendet werden, bis zum Gegenbeweis als Fahrzeug mit dem dauernden Standort im Inland anzusehen. Die Verwendung solcher Fahrzeuge ohne Zulassung gemäß § 37 leg. cit. ist nur während eines Monats ab der erstmaligen Einbringung in das Bundesgebiet zulässig.
16 § 82 Abs. 8 KFG 1967 enthält eine widerlegliche Rechtsvermutung, die der Person, die das Kraftfahrzeug in das Bundesgebiet eingebracht hat oder in diesem verwendet, die Möglichkeit einräumt, den Gegenbeweis zu erbringen, dass das Fahrzeug seinen dauernden Standort tatsächlich nicht im Inland hat (vgl. VwGH 30.1.2020, Ra 2019/16/0215).
17 Wie der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 28. Oktober 2009, 2008/15/0276, ausgeführt hat, bedarf es für die Widerlegung der Standortvermutung nach § 82 Abs. 8 KFG 1967 entsprechender Feststellungen über den regelmäßigen Ort sowie die Art und Weise der Verwendung des Kraftfahrzeugs.
18 Im revisionsgegenständlichen Fall hat das Bundesfinanzgericht aufgrund des Vorbringens des Revisionswerbers festgestellt, dass das verfahrensgegenständliche Kraftfahrzeug zu ca. 90% auf deutschen Straßen und damit sowohl kilometermäßig als auch zeitlich fast ausschließlich im deutschen Raum gefahren und damit weitaus überwiegend nicht in Österreich verwendet worden sei. Dennoch hat das Bundesfinanzgericht den Gegenbeweis nach § 82 Abs. 8 KFG 1967 nicht als erbracht angesehen, weil ein dauernder Standort des Kraftfahrzeugs in Deutschland nicht festgestellt werden könne.
19 Damit weicht das Bundesfinanzgericht - wie in der Revision zu Recht ausgeführt wird - von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, wonach die Widerlegung der Standortvermutung und damit der Gegenbeweis nach § 82 Abs. 8 KFG 1967 (jedenfalls) als erbracht anzusehen ist, wenn das Fahrzeug weitaus überwiegend nicht in Österreich verwendet wird (vgl. VwGH 23.9.2021, Ra 2019/16/0152; 16.6.2021, Ra 2018/16/0171; 28.10.2009, 2008/15/0276). Dabei macht es keinen Unterschied, ob das Kraftfahrzeug überwiegend betrieblich oder privat genutzt wird (vgl. nochmals VwGH 23.9.2021, Ra 2019/16/0152).
20 Dass der Revisionswerber mit dem verfahrensgegenständlichen Kraftfahrzeug regelmäßig an seinen österreichischen Wohnsitz zurückgekehrt ist, das Kraftfahrzeug dort geparkt oder garagiert und dort über die Verwendung des Kraftfahrzeugs entschieden hat, vermag an der erfolgreichen Widerlegung der Standortvermutung im Inland nichts zu ändern. Ob und von wem das verfahrensgegenständliche Kraftfahrzeug in Deutschland zuzulassen war, richtet sich nach den diesbezüglichen deutschen Rechtsvorschriften.
21 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
22 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 12. November 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RO2019160012.J00Im RIS seit
06.12.2021Zuletzt aktualisiert am
04.01.2022