TE OGH 2021/11/30 33R94/21t

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Veröffentlicht am 30.11.2021
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Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hinger als Vorsitzenden und die Richterin Mag. Janschitz sowie den Richter Dr. Stiefsohn in der Rechtssache der klagenden Partei M***** wider die beklagte Partei p***** wegen EUR 123.920 über den Kostenrekurs der beklagten Partei (Rekursinteresse EUR 19.137,22) gegen die Kostenentscheidung im Urteil des [...] vom 16.7.2021 in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird teilweise Folge gegeben. Die angefochtene Kostenentscheidung wird geändert und lautet:

«Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 12.299,85 bestimmten Prozesskosten (darin enthalten EUR 874,99 USt und EUR 7.049,90 Barauslagen) zu ersetzen.»

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 439,70 (darin enthalten EUR 73,28 USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig.

Begründung

Text

Der Kläger macht mit seiner Klage zusammengefasst Ansprüche aus einem Unfallversicherungsvertrag mit der Beklagten geltend. Der Kläger habe insgesamt einen Leistungsanspruch von EUR 129.600 gegenüber der Beklagten, wovon eine bereits außergerichtlich erfolgte Zahlung von EUR 40.680 in Abzug zu bringen sei. Er begehre daher noch EUR 88.920.

Weiters habe der Kläger auch Anspruch auf eine monatliche Rente in Höhe von EUR 200. Dem Kläger stehe von 1.4.2013 bis 1.10.2017 (offenbar gemeint für die 55 Monate von April 2013 bis inkl Oktober 2017) aus der monatlichen Unfallrente ein Betrag von EUR 11.000 zu, sodass sich ein Zahlungsanspruch von insgesamt EUR 99.920 sA ergebe. Ab November 2017 habe der Kläger Anspruch auf Zahlung einer monatlichen Unfallrente in Höhe von EUR 200. Dieses Begehren wurde mit EUR 24.000 bewertet (§ 58 Abs 1 JN).

Mit dem im Kostenpunkt angefochtenen Urteil verpflichtete das Erstgericht die Beklagte, dem Kläger EUR 24.840 sA zu zahlen; das Mehrbegehren, weitere EUR 75.080 zu zahlen, und das in die Zukunft gerichtete Rentenbegehren wies es ab. Das Erstgericht verpflichtete die Beklagte weiters, dem Kläger EUR 16.466,40 an Prozesskosten (darin EUR 3.728,10 Barauslagen und EUR 2.123,05 USt) zu ersetzen.

Rechtlich folgerte das Erstgericht, dass im vorliegenden Fall § 43 Abs 2 ZPO sowohl für das Leistungs- als auch für das Rentenbegehren zur Anwendung komme. Teilzahlungen, Teilanerkenntnisse und sonstige Teilerledigungen könnten bei privilegierten Forderungen iSd § 43 Abs 2 ZPO das Kostenrisiko nicht zugunsten des Schädigers verschieben, auch wenn eine solche Teilerledigung vor dem Prozess erfolgt sei. Ein Teilanerkenntnis und eine Teilzahlung verminderten nur die Bemessungsgrundlage, sie hätten aber keinen Einfluss auf den Grund der Ersatzpflicht. Auch bei der Beurteilung, ob eine Überklagung vorliege, sei unter Außerachtlassung einer vor der Prozesseinleitung geleisteten Teilzahlung das gesamte ursprünglich erhobene Begehren mit dem insgesamt ersiegten Zuspruch zu vergleichen. Würden Renten- oder Versorgungsbeträge zusammen mit anderen Begehren geltend gemacht, so seien sie unter Beachtung des Rentenwerts zusammenzurechnen.

Hinsichtlich des Leistungsbegehrens sei das ursprüngliche Begehren des Klägers mit EUR 129.600 zu bewerten. Das Rentenbegehren sei mit EUR 24.000 bewertet. Insgesamt habe das ursprüngliche Begehren des Klägers somit EUR 153.600 betragen. Die Beklagte habe vor dem Prozess EUR 40.680 gezahlt, und im Urteil seien dem Kläger EUR 24.840 zugesprochen worden. Die Obsiegensquote des Klägers betrage daher rund 43 %.

Bei Anwendung des § 43 Abs 2 ZPO sei dem Kostenzuspruch als Bemessungsgrundlage nicht der ursprünglich begehrte, sondern nur der ersiegte Betrag zugrunde zu legen (RS0116722), auch die Pauschalgebühr sei auf der Basis des ersiegten Betrags zu honorieren. Der dem Kläger gebührende Prozesskostenersatz betrage daher auf Basis des Obsiegensbetrags (EUR 24.840) EUR 12.738,30 (darin EUR 2.123,05 USt).

Gemäß § 43 Abs 1 letzter Satz ZPO seien die Pauschalgebühr sowie die Kosten für Sachverständige nach der Obsiegensquote zu ersetzen. Die Obsiegensquote des Klägers betrage 43 %. Der Kläger habe Barauslagen von insgesamt EUR 8.670 aufgewendet. Davon gebühren ihm 43 %, das sind EUR 3.728,10. Der Beklagten sind keine Kosten für Barauslagen erwachsen. Die Beklagte sei verpflichtet, dem Kläger Verfahrenskosten von EUR 16.466,40 zu ersetzen.

Dagegen richtet sich der Kostenrekurs der Beklagten mit dem Antrag, die angefochtene Kostenentscheidung dahingehend abzuändern, dass dem Kläger auferlegt werde, der Beklagten EUR 4.404,82 (inklusive 20 % USt) an Kosten zu ersetzen, und die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger 20 % von dessen Barauslagen, somit EUR 1.734 zu ersetzen.

Die Kläger beantragt, dem Rekurs den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

Der Kostenrekurs ist im Ergebnis teilweise berechtigt.

Im hier vorliegenden Fall gehen weder das Erstgericht noch die Verfahrensparteien von der zutreffenden rechtlichen Grundlage für die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster Instanz aus. In allseitiger Überprüfung der erstgerichtlichen rechtlichen Beurteilung (Kodek in Rechberger/Klicka, ZPO5 § 471 Rz 16) ist daher klarzustellen:

1. Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten grundsätzlich gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen (§ 43 Abs 1 ZPO).

Gemäß § 43 Abs 2 ZPO kann das Gericht davon abgehen und einer Partei den Ersatz der gesamten, dem Gegner entstandenen Kosten unter anderem dann auferlegen, wenn der Betrag der von ihm erhobenen Forderung von der Ausmittlung durch Sachverständige abhängig war. Der Grundgedanke ist, dass dem Kläger auch in diesen Fällen eine genaue Bezifferung des Begehrens abverlangt wird, die aber nicht immer mit absoluter Richtigkeit vorweg getroffen werden kann, sodass ihm das damit verbundene Kostenrisiko abgenommen werden soll (Fucik in Rechberger/Klicka, ZPO5 § 43 Rz 11; RS0122016).

Ist zwar die Höhe des Anspruchs (oder eines von mehreren Ansprüchen) dem § 43 Abs 2 ZPO zu unterstellen, kommt es aber auch aus anderen Gründen zu Teilabweisungen, so sind beide Absätze des § 43 ZPO kombiniert anzuwenden. Im Mittelpunkt der Problemlösung steht die Ermittlung des kostenrelevanten Streitwerts als Rechengröße: § 43 Abs 2 ist bei der Ermittlung der Erfolgsquote heranzuziehen (also ist der „kostenunschädlich“ abgewiesene Teil auszuscheiden), und sodann ist im Sinne des § 43 Abs 1 ZPO vom reduzierten Betrag die Ersatzquote zu bilden (Fucik, aaO Rz 15 mwN; Obermaier, Kostenhandbuch3 Rz 1.185).

2. Der Kläger ist mit seinem Leistungsbegehren teilweise durchgedrungen, wobei der Betrag der von ihm erhobenen Forderung von der Ausmittlung durch Sachverständige abhängig war. Insoweit ist also eine Anwendung des § 43 Abs 2 dritter Fall ZPO zu prüfen. Die Anwendung dieses den Kläger entlastenden Kostenprivilegs setzt – neben dem Umstand dass nicht der Grund des Anspruchs, sondern nur seine Höhe strittig ist – voraus, dass dem Kläger nicht vorzuwerfen ist, dass er „offenbar überklagt“, also unabhängig von den Unsicherheiten bei der Bezifferung einen offensichtlich übermäßigen Anspruch geltend gemacht habe. Die Rechtsprechung nimmt als grobe Faustregel eine Überklagung an, wenn mehr als doppelt so viel eingeklagt wurde, wie (einschließlich etwaiger außergerichtlich und gerichtlich erhaltenen Teilzahlungen) ersiegt wurde. (Fucik aaO Rz 11 mwN). Teilzahlungen, ein Teilanerkenntnis und sonstige Teilerledigungen verschieben bei Begehren, die nach § 43 Abs 2 ZPO privilegiert sind, das Kostenrisiko nicht zugunsten des Beklagten. Unabhängig davon, ob solche Teilerledigungen vor oder im Prozess erfolgten, vermindern sie nur die Bemessungsgrundlage und haben keinen Einfluss auf den Grund der Ersatzpflicht (Obermaier aaO Rz 1.172, 1.186).

3. Der Kläger hat ein Leistungsbegehren von insgesamt EUR 129.600 erhoben und ist diesbezüglich mit insgesamt EUR 65.520 (also mit 50,55 %) durchgedrungen. Die Anwendung des Kostenprivilegs des § 43 Abs 2 dritter Fall ZPO begegnet damit keinen Bedenken.

Mit dem Rentenbegehren (Streitwert EUR 35.000, Zahlung von EUR 11.000 für die Zeit bis Oktober 2017 sowie Zahlung einer monatlichen Unfallrente von EUR 200 ab November 2017) ist der Kläger zur Gänze unterlegen, weil dieser Anspruch mangels eines vorliegenden Invaliditätsgrades von zumindest 50 % dem Grunde nach nicht zu Recht besteht. Hier kommt eine Anwendung des § 43 Abs 2 dritter Fall ZPO nicht in Betracht.

4. Bei der deshalb erforderlichen kombinierten Anwendung des § 43 Abs 1 und Abs 2 ZPO ist wie folgt vorzugehen (Obermaier, aaO Rz 1.185, 1.186 Fallbeispiel 7):

Erster Schritt: Errechnen des „echten Streitwerts“ (Herausrechnen des „kostenunschädlichen“ Unterliegens in Anwendung des § 43 Abs 2 ZPO).

Zweiter Schritt: Errechnen der Erfolgsquote.

Dritter Schritt: Vornahme der Quotenkompensation.

Vierter Schritt: Berechnung der Kosten auf der Basis des „echten Streitwerts“ und Kürzung auf die kompensierte Quote.

Zuerst ist damit der echte Streitwert zu ermitteln. Das Unterliegen beim Leistungsbegehren ist kostenunschädlich, der ersiegte Betrag beträgt EUR 65.520 (EUR 40.680 Teilzahlung und EUR 24.840 Zuspruch). Das Unterliegen beim Rentenbegehren ist kostenschädlich, es verbleibt der volle Betrag laut Klage im Streitwert, das sind EUR 35.000. Der „echte Streitwert“ beträgt damit EUR 100.520 (vgl oben 1. Schritt).

Der Kläger ist (unter Berücksichtigung der Teilzahlung) mit EUR 65.520 durchgedrungen und hat damit zu rund 65 % obsiegt. Er erhält daher 65 % seiner Barauslagen, die aus der Pauschalgebühr von EUR 2.919 (ein Tarifsprung laut GGG tritt nicht ein) und der von ihm getragenen Sachverständigengebühren von EUR 7.927 bestehen und sich insgesamt auf EUR 10.846 belaufen. Davon 65 % ergibt EUR 7.049,90 (§ 43 Abs 1 letzter Satz ZPO). Warum die Beklagte im Kostenrekurs von Barauslagen des Klägers in Höhe von EUR 8.670 ausgeht, legt sie nicht dar.

Der Kläger kann in Bezug auf einen Teil seines Zahlungsbegehrens (EUR 88.920) das Kostenprivileg des § 43 Abs 2 dritter Fall ZPO in Anspruch nehmen. Ihm sind die von § 43 Abs 2 ZPO betroffenen Kosten aber nur auf der Basis des obsiegten Betrags (EUR 24.840) zuzusprechen (Fucik aaO Rz 13). Zur Ermittlung der Bemessungsgrundlage für den Kostenersatz ist der Streitwert des von § 43 Abs 2 ZPO nicht betroffene Rentenbegehrens (EUR 35.000) dazuzurechnen, was EUR 59.840 ergibt (vgl oben 4. Schritt). Auf dieser Basis stehen dem Kläger 30 % seiner – im Übrigen im Rekursverfahren nicht strittigen – Kosten zu.

Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens beruht auf § 43 Abs 1 iVm § 50 ZPO und § 11 Abs 1 RATG.

Gemäß § 11 RATG ist Bemessungsgrundlage im Kostenrekursverfahren jener Betrag, dessen Zuspruch oder Aberkennung im Kostenrekurs beantragt wird. Da die Beklagte in ihrem Kostenrekurs die Aberkennung des (richtig) dem Kläger zugesprochenen Kostenersatzbetrages im Ausmaß von EUR 14.732,40 und zugleich die Zuerkennung von EUR 4.404,82 beantragt hat, ergibt sich als Bemessungsgrundlage für das Kostenrekursverfahren (und Rekursinteresse) ein Betrag von EUR 19.137,22.

Die Beklagte hat eine Reduktion ihrer Kostenersatzpflicht um EUR 4.166,55 erreicht und ist daher mit ihrem Rekurs – ausgehend von der Bekämpfung der Kostenentscheidung im Umfang von EUR 19.137,22 – mit rund 22 % durchgedrungen, der Kläger hat im Rekursverfahren mit rund 78 % obsiegt. Die Beklagte hat ihm deshalb 56 % seiner Kosten der Rekursbeantwortung im verzeichneten Ausmaß zu ersetzen.

Gemäß § 528 Abs 2 Z 3 ZPO ist der Revisionsrekurs jedenfalls unzulässig.

Schlagworte

Zivilprozess; Prozessrecht; Kostenersatz; Kostenrecht; § 43 Abs 2 ZPO,

Textnummer

EW0001129

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OLG0009:2021:03300R00094.21T.1130.000

Im RIS seit

06.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

06.12.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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