TE Bvwg Erkenntnis 2021/6/23 W278 2205535-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.06.2021
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Entscheidungsdatum

23.06.2021

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W278 2205535-1/19E
W278 2205537-1/16E
W278 2205536-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. HABITZL als Einzelrichter über die Beschwerden von 1.) XXXX alias XXXX , geb. XXXX , StA. Jemen 2.) XXXX alias XXXX , geb. XXXX , StA. Irak und 3.) XXXX , geb. XXXX , StA. Irak und Jemen, der minderjährige Drittbeschwerdeführer vertreten durch die Erstbeschwerdeführerin, alle vertreten durch die Bundesagentur für XXXX , gegen Spruchpunkt I. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.08.2018, Zlen. 1.) 1100364204-15068674, 2.) 1100364106-152068666 und 3.) 1100364008-152068695, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 01.03.2021, zu Recht:

A)       Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

1. Verfahrensgang:

Die Erstbeschwerdeführerin (infolge: BF1) und der Zweitbeschwerdeführer (infolge: BF2) sind verheiratet und die Eltern des minderjährigen Drittbeschwerdeführers (infolge: BF3).

Die Beschwerdeführer (infolge: BF) reisten im Dezember 2015 unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und stellten am 28.12.2015 Anträge auf internationalen Schutz.

Am 29.12.2015 fand die Erstbefragung der BF1 und des BF2 vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes statt.

Der BF2 gab dabei zu seinen Fluchtgründen an, er sei im Irak wegen seines Namens bedroht worden und habe zuletzt einen Drohbrief erhalten. Im Jahr 2011 habe er bei der Ausstellung von Dokumenten für sich und den BF3 Probleme wegen seines Namens bekommen. Im Jemen habe er nicht bleiben können, weil dort die Huthi regieren würden.

Die BF1 wiederholte im Wesentlichen die Probleme des BF2 im Irak und führte ergänzend aus, dass sich der BF2 im Irak mit einem Beamten gestritten habe, woraufhin dieser den BF3 gestoßen und dadurch verletzt habe. Der BF3 sei deswegen operiert worden. Im Jemen hätten die Huthi dem BF2 gedroht, ihn zu töten, wenn er mit seiner Familie das Land nicht verlasse.

Am 04.05.2017 übermittelte der BF2 dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (infolge: BFA) ein ÖIF-Sprachzertifikat.

Am 20.03.2018 erfolgte unter Beziehung eines Dolmetschers für die Sprache Arabisch die niederschriftliche Einvernahme der BF1 und des BF2 vor dem BFA.

Die BF1 führte zum Fluchtgrund im Wesentlichen aus, dass ihr Mann wegen seiner Arbeit erpresst worden sei. Am 29.11.2015 hätten Milizen ihre Wohnung aufgesucht, diese durchsucht und gefragt, wo der BF2 sei. Sie habe ihnen mitgeteilt, dass er nicht zuhause sei, doch hätten sie ihr nicht geglaubt, weil sein Auto auf dem Parkplatz abgestellt gewesen sei. Sie habe daraufhin erklärt, dass der BF2 mit dem Dienstwagen zur Arbeit fahre. Sie hätten die Autoschlüssel, einen Laptop, einen USB-Stick und andere Erinnerungen mitgenommen und angekündigt, dass sie den BF2 finden würden. Nachdem die Milizen die Wohnung verlassen hätten, habe sie den BF2 angerufen und ihm geraten, nicht nach Hause zu kommen. Der BF2 habe mit ihrem Nachbarn gesprochen und gesagt, sie und der BF3 sollten zu ihm fahren. Sie hätten sich am selben Tag bei einer Bezirkshauptmannschaft, die zu Saana gehöre, getroffen und am nächsten Tag das Land in Richtung Saudi Arabien verlassen. Sie selbst habe auch Probleme mit ihrer Familie und ihrem Stamm gehabt, weil sie einen Mann, der nicht aus dem Jemen stamme, geheiratet habe. Den BF3 habe sie wegen der Rekrutierung Minderjähriger zum Krieg ein Jahr lang nicht zur Schule gehen lassen können.

Der BF2 führte zu seinen Fluchtgründen befragt an, dass er im Jemen als Telekommunikationsingenieur gearbeitet habe und von den Huthi-Milizen Drohungen erhalten habe. Etwa zwölf bewaffnete Milizangehörige seien an seinem Arbeitsplatz erschienen und hätten von ihm verlangt, die Kommunikationseinrichtungen zu ändern, um ein stärkeres Signal zu erhalten und die Sendungen Richtung Norden zu unterbrechen. Er habe ihnen mitgeteilt, dass er dazu nicht befugt sei und habe einen anderen Arbeitsort aufgesucht. Am nächsten Tag seien die Milizen noch einmal am selben Arbeitsort erschienen und hätten ihn gefragt, ob er das Verlangen umgesetzt habe. Als er ihnen geantwortet habe, dass die Umsetzung schwierig sei, habe ihm einer der Männer mit einer Waffe auf den Rücken geschlagen und ihm bis zum Abend Zeit dafür gegeben. Am nächsten Morgen um sieben Uhr sei er wieder zur Arbeit gegangen. Um elf Uhr habe ihn seine Frau angerufen und ihm erzählt, dass 20 bis 25 bewaffnete Männer bei ihnen zu Hause gewesen seien. Sie hätten seinen Laptop, einen USB-Stick und Dokumente betreffend seine Arbeit sowie die Autoschlüssel mitgenommen. Seine Frau habe ihn davor gewarnt, nach Hause zu kommen. Seine Frau sei zu ihm gekommen. Sie hätten an der Grenze vier Tage auf ein Visum gewartet und seien anschließend nach Saudi-Arabien ausgereist. Darüber hinaus habe er gegen den Willen des Stammes seiner Frau geheiratet, weshalb es sein könne, dass er getötet werde. Auch um den BF3 habe er Angst gehabt, weil die Milizen auch Kinder für den Krieg rekrutieren würden. Im Irak habe er zuletzt 2011 im Zuge seiner Einreise Probleme gehabt. Er habe Dokumente für sich und seinen Sohn beantragt und mit einem Beamten wegen der langen Wartezeit diskutiert. Dieser habe seinen Sohn gestoßen. Der BF3 sei daraufhin auf den Boden gefallen und von einem Messer verletzt worden. In der Tasche des BF3 hätten sie einen Zettel gefunden, auf dem „heute dein Sohn, morgen du“ zu lesen gewesen sei.

Mit den angefochtenen Bescheiden wurden die Anträge der BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.), den BF der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und dem BF2 eine bis 01.08.2019, sowie der BF1 und dem BF3 eine bis 02.08.2019 befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III.).

Begründend führte das BFA zur Abweisung der Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten im Wesentlichen aus, dass es der BF1 und dem BF2 nicht gelungen sei, glaubhaft zu machen, dass ihnen wegen ihrer Heirat im Jemen Verfolgung durch die Familie bzw. den Stamm der BF1 drohe. Ebenso wenig habe der BF2 glaubhaft machen können, dass er im Falle der Rückkehr in der Irak einer Verfolgung von asylrechtlich relevanter Intensität ausgesetzt sei. Für den BF3 seien keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht worden und seien auch sonst keine Anhaltspunkte für eine ihm drohende Gefahr vor Verfolgung im Jemen oder im Irak hervorgekommen.

Gegen die Abweisung ihrer Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten erhoben die BF fristgerecht Beschwerde und brachten ergänzend vor, dass die BF1 und der BF2 nach der Eheschließung in Nordjemen in Sicherheit hätten leben können, weil zum damaligen Zeitpunkt wenig Kontakt zwischen Süd- und Nordjemen bestanden habe. Im Oktober 2015 habe die Mutter der BF1 angerufen und mitgeteilt, dass der Stammesführer des Stammes, dem die BF1 angehöre, die BF1 aus dem Stamm ausgestoßen habe und sie sohin überall getötet werden könne. Die BF würden im gesamten Jemen wegen Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe von Personen, die aus einem Stamm ausgestoßen worden seien, verfolgt. Die angefochtenen Bescheide seien nicht vom selben Organ erlassen worden, das die Einvernahme durchgeführt habe, sodass das entscheidende Organ kein persönliches Bild von der Glaubwürdigkeit der BF1 und des BF2 habe.

Am 01.03.2021 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht (infolge: BVwG) eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt, in welcher die BF1 und der BF2 ausführlich zu ihren persönlichen Lebensumständen im Jemen und in Österreich sowie der BF2 ergänzend zu seinem Leben im Irak und ihren jeweiligen Fluchtgründen und befragt wurden und ihnen Gelegenheit gegeben wurde, sich binnen einer Frist von zwei Wochen zu den in der Verhandlung eingebrachten Länderberichten zu äußern.

Mit schriftlicher Stellungnahme vom 15.03.2021 übermittelten die BF Gehaltsnachweise der BF1 und der BF2 und äußerten sich zur in der mündlichen Verhandlung ins Verfahren eingebrachten Analyse der Staatendokumentation zur Ehe im Islam vom 05.05.2015.

Mit Verfahrensanordnung vom 09.06.2021 gab das BVwG den BF Gelegenheit, binnen einer Woche zum Länderinformationsblatt zum Irak vom 14.05.2020 Stellung zu nehmen.

Mit Stellungnahme vom 17.06.2021 brachten die BF vor, dass für Angehörige des sunnitischen Islam durch den hohen Einfluss schiitischer Miliztruppen auf Städte wie Bagdad die reale Gefahr einer Verletzung von Art. 3 EMRK bestehe. Neben der drohenden Gefahr durch den IS würde der BF2 jedenfalls ins Augenmerk der schiitischen Milizen – welche bekanntermaßen den irakischen Staatsapparat infiltrieren würden – geraten. Der BF2 könne sich daher nicht ohne weiteres im irakischen Staatsgebiet ansiedeln.

2. Feststellungen:

2.1. Zur Person der Beschwerdeführer:

Die BF führen die im Spruch genannten Namen und Geburtsdaten. Ihre Identität steht fest. Die BF1 ist Staatsangehörige der Republik Jemen, der BF2 ist irakischer Staatsangehöriger, der BF3 ist sowohl irakischer, als auch jemenitischer Staatsangehöriger. Die BF gehören der Volksgruppe der Araber an und bekennen sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache der BF ist Arabisch.

Die BF1 und der BF2 sind verheiratet und die Eltern des minderjährigen BF3.

Die BF1 ist in Aden, Jemen, geboren, beendete die Schule mit der Matura, schloss im Jahr 2002 ein Studium in Buchhaltung ab und arbeitete im Jahr 2005 als Sekretärin bei einem Telekommunikationsunternehmen.

Der BF2 ist in Bagdad, Irak, geboren und besuchte dort sechs Jahre die Schule. 1996 übersiedelte der BF mit seinen Eltern und Geschwistern nach Sanaa im Jemen, wo er drei Jahre die Hauptschule und drei Jahre ein Gymnasium besuchte, das er mit der Matura beendete. Anschließend schloss der BF2 ein Studium in Elektrotechnik ab. Parallel zum Studium begann der BF2 als Ingenieur in dem Telekommunikationsunternehmen zu arbeiten, in dem die BF1 tätig war.

Im April 2005 lernten sich die BF1 und der BF2 während ihrer beruflichen Tätigkeit kennen. Am 28.12.2005 schlossen sie einen Heiratsvertrag ab.

Anschließend beendete die BF1 ihre berufliche Tätigkeit beim Telekommunikationsunternehmen und zog zum BF2 nach Sanaa, wo sie gemeinsam mit den Eltern des BF2 in deren Haus lebten. Am 29.06.2006 fand die Hochzeitsfeier statt. Anschließend bezogen die BF1 und der BF2 eine eigene gemeinsame Unterkunft. Zuletzt lebten die BF in Sanaa in einer Mietwohnung.

Am XXXX kam der BF3, in Sanaa, Jemen, zur Welt.

Von 2010 bis 2012 arbeitete die BF1 im Finanzministerium. Der BF2 war bis zu seiner Ausreise im Telekommunikationsunternehmen als Ingenieur beschäftigt.

Im Jemen leben die Eltern, der Bruder und die Schwester der BF1. Sie hat gelegentlich Kontakt zu ihrer Mutter. Zum Vater und ihren Geschwistern besteht kein Kontakt.

Der BF2 hat im Irak seine Mutter und zwei Schwestern. Ein Bruder des BF2 lebt in den USA, ein anderer Bruder in der Türkei.

Die BF sind gesund.

2.2. Zum (Privat-)Leben der Beschwerdeführer in Österreich:

Die BF1 und der BF2 reisten mit dem BF3 im Dezember 2015 unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und stellten am 28.12.2015 Anträge auf internationalen Schutz.

Die BF leben in Österreich in einer privaten Unterkunft. Die BF1 und der BF2 besuchten zuletzt im Jahr 2017 einen Deutschkurs auf Sprachniveau A2 und sind in der Lage, eine einfache Unterhaltung auf Deutsch zu führen.

Die BF1 bestand am 13.12.2017 die ÖSD-Deutschprüfung auf Sprachniveau A2. Von Mai bis August 2017 verrichtete die BF1 gemeinnützige Tätigkeiten bei einem Bauhof und nahm am 11.04.2018 an einem Werte- und Orientierungskurs teil. Die BF1 absolvierte ein Praktikum in einem Seniorenheim und arbeitet 30 Stunden pro Woche als Reinigungskraft. Sie organisiert den Haushalt alleine und kümmert sich um den BF3. In ihrer Freizeit begleitet sie den BF3 gelegentlich ins Schwimmbad und geht spazieren. Die Wochenenden verbringt sie mit ihrer Familie.

Der BF2 bestand am 13.04.2017 die ÖIF-Deutschprüfung auf Sprachniveau A1, besuchte am 28.02.2018 einen Werte- und Orientierungskurs und verrichtete von Juni 2016 bis Oktober 2017 gemeinnützige Arbeiten bei einem Bauhof. Der BF2 ist Vollzeit bei einem Lebensmittelproduzenten beschäftigt. Er verbringt die Wochenenden mit seiner Familie und unternimmt gelegentlich Freizeitaktivitäten mit dem BF3.

Der BF3 besuchte in Österreich zunächst die Volksschule und geht derzeit in die Neue Mittelschule. Er nahm im Jahr 2016 an einem von seiner Schule organisierten Schwimmwettbewerb teil.

Die BF haben in Österreich soziale Anknüpfungspunkte in Form eines Freundes- und Bekanntenkreises.

Die BF1 und der BF2 sind in Österreich strafgerichtlich unbescholten. Der BF3 ist strafunmündig.

2.3. Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer:

Die BF sind im Jemen keiner konkreten und individuellen Gefahr ausgesetzt, von den Huthi-Milizen mit der Anwendung von physischer und/oder psychischer Gewalt bedroht zu werden.

Die BF1 ist im Jemen keiner konkreten und individuellen Gefahr ausgesetzt, aufgrund ihrer Heirat mit dem BF2 von Stammesführern oder Angehörigen ihrer Familie mit der Anwendung von physischer und/oder psychischer Gewalt bedroht zu werden.

Bei der BF1 handelt es sich nicht um eine Frau, deren persönliche Wertehaltung und Lebensführung an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als „westlich“ bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert ist und im Falle ihrer Rückkehr in den Jemen nicht mehr gelebt werden könnte.

Der BF3 ist im Jemen nicht der Gefahr ausgesetzt vom Staat oder bewaffneten Gruppierungen zwangsrekrutiert zu werden.

Auch sonst sind die BF1 und der BF3 keiner Gefahr ausgesetzt, aufgrund ihrer Rasse, Religion, Nationalität, politischen Gesinnung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe im Jemen mit der Anwendung von physischer und/oder psychischer Gewalt bedroht zu werden.

Der BF2 ist nicht der Gefahr ausgesetzt, aufgrund der früheren beruflichen Tätigkeit seines Vaters für die damalige irakische Regierung unter Saddam Hussein im Irak mit der Anwendung von physischer und/oder psychischer Gewalt bedroht zu werden.

Ebenso wenig sind der BF2 und der BF3 der Gefahr ausgesetzt, aufgrund ihrer Rasse, Religion, Nationalität, politischen Gesinnung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe im Irak mit der Anwendung von physischer und/oder psychischer Gewalt bedroht zu werden.

2.4. Zur maßgeblichen Situation in den Herkunftsstaaten der Beschwerdeführer:

2.4.1. Zur maßgeblichen Situation im Jemen:

Im Folgenden werden die wesentlichen Feststellungen aus dem vom BVwG herangezogenen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zum Jemen, Gesamtaktualisierung vom 16.12.2019, wiedergegeben:

Politische Lage

Die Republik Jemen bezeichnet sich in ihrer am 15./16. Mai 1991 in einer Volksabstimmung angenommenen Verfassung (geändert am 28. September 1994) als unabhängigen, arabischen, islamischen und republikanischen Staat. Staatsreligion ist der Islam (GIZ 10.2019). Die innere Lage des Landes wird immer noch durch die geteilten historischen Erfahrungen geprägt: einerseits britische Kolonialherrschaft und danach sozialistische Einflüsse im Süden, andererseits konservative muslimische Herrschaft und Stammesgesellschaft im Norden. 1990 vereinigten sich beide Staaten; der Nordjemen war die dominierende Kraft (DW 30.1.2018). Die gravierenden ökonomischen, sozialen und politischen Differenzen zwischen beiden Landesteilen sind jedoch nicht überwunden (GIZ 10.2019).

Die politischen Herausforderungen für Jemen bestanden bereits vor Ausbruch des andauernden bewaffneten Konflikts im Jahr 2014. 2004 begann in der nordjemenitischen Provinz Saada der Huthi-Aufstand, ab 2007 erstarkte die sezessionistische Bewegung im Süden des Landes. Beide Gruppen begehren gegen die Marginalisierung ihrer jeweiligen Region auf. Zusätzlich bereitete sich spätestens seit 2009 das internationale islamistische Terrornetzwerk Al-Qaida im Jemen immer weiter aus. 2011 kam es landesweit zu Massenprotesten, in denen die Demonstranten das Ende des Saleh-Regimes und einen demokratischen Wandel forderten. Gleichzeitig traten jedoch Kämpfe innerhalb der Machtelite zutage (BPB 18.10.2011).

(Ex-)Präsident Ali Abdullah Saleh bekämpfte während seiner Amtszeit den mutmaßlich durch den Iran unterstützten Huthi-Aufstand. 2011 trat er nach langen Verhandlungen und unter Zugeständnissen zu seinen Gunsten wie dem Erlangen von strafrechtlicher Immunität für seine Rolle bei der gewaltsamen Niederschlagung von Protesten gegen die Regierung zugunsten seines damaligen Vizepräsidenten Abd Rabbo Mansur Hadi zurück, der 2012 von den Wählern interimistisch im Amt bestätigt wurde. Ein Konsens für die Neuordnung des politischen Systems wurde zwar begonnen, dann aber vom Huthi-Aufstand und dem bewaffneten Konflikt zum Erliegen gebracht. Hadis Regierung ist zwar international anerkannt, sie kontrolliert jedoch nicht das ganze Territorium und hat kein klares Mandat (FH 4.2.2019; vgl. Der Standard 4.12.2017).

Es gibt im Jemen keine funktionierende Zentralregierung, und staatliche Institutionen, die noch funktionieren, werden durch nicht-gewählte Beamte oder bewaffnete Gruppierungen kontrolliert (FH 4.2.2019). Das gewählte (und somit legitime) Parlament besteht laut derzeitiger Verfassung aus einer Kammer mit 301 Abgeordneten, die für sechs Jahre gewählt werden (GIZ 10.2019). Am 13. April 2019 wurde Sultan al-Barakani zum Parlamentspräsidenten gewählt, nachdem das Parlament erstmals seit Ausbruch des Konflikts 2015 wieder zusammengetreten war. Zahlreiche Abgeordnete halten sich derzeit im Ausland auf (AA 12.8.2019). Parlaments- und Präsidentschaftswahlen sind viele Jahre überfällig, und keiner Seite gelang es während des Krieges, genug Territorium zu kontrollieren, um etwaige Wahlen abzuhalten. Parlamentswahlen wurden zuletzt am 27. April 2003 abgehalten, und hätten eigentlich 2009 wieder durchgeführt werden sollen. Bei der letzten Präsidentschaftswahl 2012 gab es nur einen Kandidaten. Im Kontext des Bürgerkriegs wird die politische Opposition unterdrückt. Normale politische Aktivität wird durch die Präsenz mehrerer bewaffneter Gruppen im Jemen verhindert, darunter Huthi-Rebellen, sunnitische Extremisten, südjemenitische Separatisten, ausländische Truppen der von Saudi-Arabien angeführten Koalition, Truppen der Hadi-Regierung und lokale Milizen (FH 4.2.2019).

[…]

Sicherheitslage

Die Sicherheitslage ist im ganzen Land ausgesprochen volatil. Die Sicherheit kann durch staatliche Behörden nicht gewährleistet werden. Der bewaffnete Konflikt zwischen Huthi-Rebellen aus dem Nordwesten des Landes und der Regierung und ihren Unterstützern, darunter die von Saudi-Arabien angeführte Militärkoalition, dauert weiter an (AA 28.8.2019). Daneben ist auch der südjemenitische, von den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) unterstützte Southern Transitional Council (STC) ein zentraler bewaffneter Akteur. Sowohl STC als auch die Kräfte, die hinter der Regierung stehen, kämpfen gegen die Huthi. Sie bekämpfen sich jedoch auch untereinander, was die Spannungen zwischen Abu Dhabi und Riyadh verdeutlicht (ICG 16.10.2019). Im Chaos des Krieges zwischen Hadi-Regierung und Huthi erstarkten außerdem Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel, der „Islamische Staat“ und andere bewaffnete Gruppierungen (Al Jazeera 2.8.2019; vgl. The Guardian 1.10.2019).

Die fortdauernden Kampfhandlungen stellen für die Zivilbevölkerung weiterhin eine erhebliche Gefährdung dar. Die staatlichen Institutionen sind landesweit nur noch sehr eingeschränkt funktionsfähig. Bereits im September 2014 hatten Huthi-Milizen die Kontrolle über weite Landesteile, darunter auch die Hauptstadt Sanaa, übernommen und auch Teile der Sicherheitskräfte unter ihre Kontrolle gebracht. Die staatlichen Sicherheitsorgane sind nur bedingt funktionsfähig und können im Einzelfall keinen ausreichenden Schutz garantieren. Die Spannungen zwischen Nord- und Südjemen und die zunehmende Fragmentierung des Landes tragen zur Instabilität des Landes bei (AA 28.8.2019).

ACLED berichtet von mehr als 12,000 zivilen Todesfällen im Konflikt seit 2015. Insgesamt wurden seit 2015 mehr als 100,000 (militärische und zivile) Opfer gezählt. Bis Ende Oktober wurden 2019 circa 1,100 getötete Zivilisten verzeichnet. Die Gewalt konzentrierte sich 2019 auf die Gouvernements Taiz, Hodeidah und Al Jawf (ACLED 31.10.2019). Die Luftschläge der saudisch-geführten Koalition und die Angriffe der Huthis unterscheiden nicht zwischen Zivilisten und Militärpersonen. Bei einem saudischen Luftangriff im August 2018 wurde beispielsweise ein Schulbus in Saada getroffen und 40 Kinder getötet (FH 4.2.2019).

Ab Juni 2018 war die Hafenstadt Hodeidah von starken Kämpfen betroffen. Im Dezember 2018 vermittelte die UN ein Abkommen („Stockholm-Abkommen“), das die Demilitarisierung Hodeidahs vorsah. Die Umsetzung gestaltete sich jedoch schwierig. So brachen dort z.B. gleich nach Unterzeichnung des Abkommens, so wie auch im Mai 2019 erneut Kämpfe aus. Gleichzeitig intensivierten die Huthi ihre Angriffe auf saudisches Territorium, und auch die saudischen Luftangriffe verstärkten sich in den letzten Monaten [Mai bis Juli 2019] (ICG 18.7.2019; vgl. The Guardian 15.5.2019; vgl. FH 4.2.2019). Anfang August 2019 kam es in der Hafenstadt Aden zu schweren Gefechten zwischen südjemenitischen Separatisten und gegenüber der Hadi-Regierung loyalen Truppen. Weite Teile des Landes sind von täglichen Bombardierungen, Raketenangriffen und Kampfhandlungen am Boden betroffen (AA 28.8.2019). Im August nahmen die Separatisten Aden ein (BBC 11.8.2019). Im September erklärten die Huthis einen unilateralen Waffenstillstand; die saudischen Luftangriffe haben seitdem zumindest abgenommen (Al Jazeera 24.9.2019; vgl. ICG 10.2019). Im Oktober 2019 kam es Berichten zufolge in den Gouvernements Abyan und Shebwa zu sporadischen Kämpfen zwischen Regierungstruppen und Separatisten des STC. Saudische Kräfte übernahmen schrittweise die Kontrolle über Aden, und die Kräfte der VAE zogen sich zurück (ICG 10.2019; vgl. ACLED 5.11.2019).

Am 5. November 2019 wurde das „Riyad-Abkommen“ unterzeichnet, nachdem die Unterzeichnung wegen Eskalation der Kämpfe in Abyan am 31. Oktober verschoben worden war. Das Abkommen zwischen den Separatisten im Südjemen und der Hadi-Regierung soll eine Machtteilung bringen. Die Kämpfe im Gouvernement Abyan gehen weiter. Luftangriffe der saudisch-geführten Militärkoalition in den Gouvernements Hajjah und Sadah, sowie in geringerem Maße in Sanaa, halten an (ACLED 5.11.2019).

Die politische Instabilität im Jemen führt dazu, dass der Fluss an Waffen und Munition in die Region nicht kontrolliert werden kann (USDOS 1.11.2019). Im ganzen Land leiden Zivilisten an einem Mangel an grundlegenden Dienstleistungen, an der sich verschlimmernden Wirtschaftskrise, sowie am Nicht-Funktionieren der Verwaltung, des Gesundheits-, Bildungs- und Justizsystems (HRW 17.1.2019). In Jemen herrscht laut UN die größte humanitäre Krise weltweit. Sie hat sich seit Beginn des Konflikts im März 2015 immer weiter zugespitzt. Von den 30 Millionen Einwohnern Jemens sind 24 Millionen auf humanitäre Hilfe angewiesen. 20 Millionen Menschen haben keinen Zugang zu grundlegender Gesundheitsversorgung. Viele sind ohne Zugang zu sauberem Wasser und sanitären Einrichtungen. Die Zahl der Binnenvertriebenen liegt bei über 3 Millionen Menschen (AA 12.8.2019).

[…]

Huthi (Harakat Ansar Allah)

Die Huthi - offiziell bekannt als Harakat Ansar Allah (wörtl. „Bewegung der Helfer Gottes“) – sind eine vom Iran unterstützte, schiitisch-muslimische militärische und politische Bewegung. Ihre Mitglieder, die sich der Minderheit der Zaiditen des schiitischen Islam zugehörig fühlen, setzen sich für die regionale Autonomie der Zaiditen im Nordjemen ein […]. Die Gruppe hat seit 2004 eine Reihe blutiger Aufstände gegen die jemenitische Regierung ausgeführt, die zu einem Sturz des Regimes Anfang 2015 geführt haben. Die Huthi-Bewegung begann als Versuch, die Autonomie der Stämme im Nordjemen aufrechtzuerhalten und gegen den westlichen Einfluss im Nahen Osten zu protestieren. Heute streben die Huthi eine größere Rolle in der jemenitischen Regierung an und setzen sich weiterhin für die Interessen der zaiditischen Minderheit ein. Die Huthi sind für ihre heftige anti-amerikanische und antisemitische Rhetorik bekannt (CEP 2019). Sie sind außerdem durch die von ihnen so wahrgenommene wirtschaftliche Diskriminierung während der Saleh-Herrschaft motiviert (DW 1.10.2019). Die Ziele der Huthi umfassen auch Entschädigungen für die Schäden während der Saada-Kriege [Anm. Kriege zwischen Huthi und Regierung im Gouvernement Saada zwischen 2004 und 2010], die Interessensvertretung [der Zaiditen] innerhalb der Zentralregierung, und die Garantie, dass die Gruppe vor zukünftiger politischer und wirtschaftlicher Marginalisierung geschützt wird. Nicht alle Zaiditen im Jemen identifizieren sich mit der Huthi-Bewegung (CT 2019). Die Huthi-Bewegung besteht heute aus verschiedenen militärischen Kräften, darunter auch circa 60 Prozent ehemalige Angehörige der jemenitischen Armee unter Ex-Präsident Saleh. Schätzungen zufolge sollen die Huthi militärisch 180.000 bis 200.000 Mann stark sein und über verschiedene Waffensysteme verfügen (DW 1.10.2019). In den nördlichen Gebieten, die traditionell unter zaiditischer Kontrolle standen, gibt es Berichte über fortgesetzte Bemühungen der Huthi, ihre religiösen Bräuche auch Nicht-Zaiditen aufzuzwingen, unter anderem durch ein Musikverbot und die Forderung, dass Frauen eine Voll-Verschleierung tragen müssen (USDOS 21.6.2019). Bewaffnete Huthi-Kräfte nahmen häufig Geiseln und begingen andere ernsthafte Missbräuche an Personen, die sich in ihrem Gewahrsam befinden (HRW 25.9.2018).

[…]

Rechtsschutz / Justizwesen

Im Jemen gibt es keine funktionierende Zentralregierung, und alle staatlichen Institutionen, die noch intakt sind, werden von nicht gewählten Beamten oder bewaffneten Gruppen kontrolliert. Das Justizwesen ist nominell unabhängig, jedoch anfällig für Beeinflussung durch politische Fraktionen. Die Behörden haben eine schlechte Bilanz, was die Durchsetzung von juristischen Urteilen angeht, besonders wenn es sich um Verurteilungen von Stammesführern oder bekannten politischen Personen handelt. Durch das Fehlen eines effektiven Gerichtswesens greift die Bevölkerung häufig auf stammesrechtliche Formen von Justiz oder Gewohnheitsrecht zurück, besonders seit der Einfluss der Regierung schwächer wird (FH 4.2.2019). Unter Kontrolle der Huthi ist die Justiz schwach und durch Korruption, politische Einmischung, gelegentliche Bestechung und mangelnde juristische Ausbildungen beeinträchtigt. Die mangelnde Kapazität der Regierung und die teilweise mangelnde Durchsetzungsbereitschaft der Gerichte, insbesondere außerhalb der Städte, haben die Glaubwürdigkeit der Justiz weiter untergraben. Kriminelle bedrohen und schikanieren Angehörige der Justiz, um den Ausgang von Verfahren zu beeinflussen (USDOS 13.3.2019). Willkürliche Verhaftungen sind üblich. In den letzten Jahren wurden hunderte solcher Fälle dokumentiert. In vielen Fällen kommt es zu gewaltsamem Verschwindenlassen. Gefangene werden oft in inoffiziellen Haftanstalten untergebracht. Es gibt unzählige Berichte über politische Gefangene (FH 4.2.2019; vgl. USDOS 13.3.2019).

Vor dem Gesetz sind Angeklagte unschuldig bis ihre Schuld bewiesen ist. Gerichtsverhandlungen sind im Allgemeinen öffentlich, aber Gerichte können aus Gründen der „öffentlichen Sicherheit oder Moral“ geschlossene Verhandlungen abhalten. Richter nehmen aktiv an der Befragung der Zeugen und des Angeklagten teil und urteilen über Kriminalfälle. Angeklagte haben das Recht bei ihrer Gerichtsverhandlung anwesend zu sein und sich mit einem Anwalt zu beraten. Der Angeklagte kann Zeugen, die gegen ihn aussagen, befragen und konfrontieren und zu seiner eigenen Verteidigung Zeugen oder Beweise vorbringen. Die Regierung muss laut Gesetz in schweren Kriminalfällen einen Anwalt für mittellose Angeklagte zur Verfügung stellen, wobei dies in der Vergangenheit nicht immer geschehen ist. Grundsätzlich haben Angeklagte und deren Anwälte Zugang zu relevanten Beweisen und Anwälten wird ermöglicht, Klienten und Zeugen zu befragen sowie Beweise zu prüfen. Angeklagte haben das Recht auf Berufung. Angeklagte können weder zu einer Zeugenaussage noch zu einem Schuldgeständnis gezwungen werden. Es gibt außerdem ein spezielles Staatssicherheitsgericht, welches unter anderen Bedingungen arbeitet und Verhandlungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit durchführt. Dieses Gericht garantiert den Angeklagten nicht dieselben Rechte wie die ordentlichen Gerichte. Anwälte bekommen oft nicht ausreichend Zugang zu den Anklagepunkten, Beweismitteln oder Gerichtsakten. Das Fehlen von Geburtsregistern erschwert die Altersfeststellung, woraufhin die Gerichte Jugendliche wie Erwachsene verurteilen, auch zum Tode.

Neben dem bestehenden Gerichtssystem gibt es ein Stammesrechtssystem für Fälle, die nicht unter das Strafrecht fallen [Anm. d.h. z.B. Familienrecht, etc.]. Stammesrichter, meist angesehene Scheichs, entscheiden jedoch auch oft in Kriminalfällen auf stammesrechtlicher Basis. Zu diesen Fällen kommt es gewöhnlich in Folge öffentlicher Beschuldigungen, nicht in Folge von formell eingereichten Anklagepunkten. Stammes-Mediation betont oft den sozialen Zusammenhalt mehr als Bestrafung. Die Öffentlichkeit respektiert die Ergebnisse von Stammesprozessen oft mehr als das formelle Gerichtssystem, das von vielen als korrupt und nicht unabhängig angesehen wird (USDOS 13.3.2019).

[…]

Sicherheitsbehörden

Die jemenitischen Sicherheitsbehörden sind in Folge des politischen und militärischen Konflikts stark fragmentiert (EASO 15.10.2019). Die jemenitischen Streitkräfte bestehen mit Stand März 2018 grundsätzlich aus Landstreitkräften, Seestreitkräften und Küstenwache, Luftstreitkräften, Grenzwache, Strategischer Reserve, sowie militärischen Nachrichtendiensten (u.a. Department of Military Intelligence, Department of Reconnaissance) (CIA 5.11.2019). Die Huthi übernahmen 2014 die Kontrolle über das Verteidigungs- und Innenministerium in Sanaa. Laut eines Berichts haben bis zu 70 Prozent der Armee-, Polizei und paramilitärischen Kräfte zu Beginn des Krieges die Huthi-Saleh-Allianz unterstützt. Die staatliche Armee (Yemen National Army, YNA) wurde ab 2015 von der Hadi-Regierung neu formiert, indem Saleh-treues Personal ersetzt wurde, und bis zu 200.000 neue Soldaten rekrutiert wurden, darunter Stammeskämpfer (EASO 15.10.2019).

Die primären staatlichen Nachrichtendienste, die Organisation für Politische Sicherheit (Political Security Organisation - PSO) und das Büro für Nationale Sicherheit (National Security Bureau - NSB) unterstehen zuerst dem Innenminister und dann dem Präsidenten. Die Zusammenarbeit dieser beiden Organisationen bleibt unklar, und es gibt keine klaren Definitionen vieler Prioritäten des NSB. Die PSO ist laut Gesetz dafür zuständig, politische Verbrechen und Sabotageakte aufzudecken und zu verhindern. PSO und NSB gerieten Ende 2014 unter die Kontrolle der Rebellen der Huthi-Saleh-Allianz. Die Hadi-Regierung behielt jedoch ihre eigenen Posten in PSO und NSB in den von der Regierung kontrollierten Gebieten bei (USDOS 13.3.2019; vgl. GS 21.1.2015). Wie andere staatliche Institutionen auch, teilten sich Sicherheits- und Nachrichtendienste wie die PSO in parallele Strukturen auf; ein Teil wird von den Huthi kontrolliert, der andere Teil von der Hadi-Regierung. Die Dienste operieren jeweils in einem von ihrer Seite im Bürgerkrieg kontrollierten Gebiet (FH 4.2.2019). Auch die Abteilung für kriminaldienstliche Ermittlungen (Criminal Investigation Division) untersteht dem Innenministerium und führt die meisten Untersuchungen und Festnahmen in Kriminalfällen durch. Der Innenminister kontrolliert außerdem die paramilitärischen Spezialsicherheitskräfte (Special Security Forces SSF) – oft zur Kontrolle von Menschenansammlungen eingesetzt -, sowie die Anti-Terror-Einheit. Dem Verteidigungsminister unterstehen außerdem Einheiten zum Einsatz gegen interne Unruhen und in internen bewaffneten Konflikten (USDOS 13.3.2019).

Straflosigkeit von Sicherheitsbeamten bleibt ein Problem, zum einen, weil die Hadi-Regierung nur begrenzt Macht ausübt und zum anderen, weil es keine wirksamen Mechanismen zur Untersuchung und Verfolgung von Missbrauch und Korruption gibt. Die SSF, die Sondereinsatzkräfte des Jemen, die Präsidentengarde (ehemals republikanische Garde), die NSB und andere Sicherheitsorgane sind vordergründig zivilen Behörden des Innenministeriums, des Verteidigungsministeriums und des Präsidentenbüros unterstellt. Die zivile Kontrolle über diese Einrichtungen verschlechterte sich 2018 jedoch weiter, da regionale Bemühungen zur nationalen Versöhnung ins Stocken gerieten. Durch die Verschärfung des Problems der Straflosigkeit verstärkten Interessensgruppen, darunter auch die Familie des ehemaligen Präsidenten Saleh und andere Stammes- und Parteigruppen, ihren Einfluss auf die Nachrichtendienste, oft auf inoffiziellem Wege und nicht durch die formale Befehlsstruktur (USDOS 13.3.2019).

Die Southern Resistance Forces wurden ab 2016 mit Unterstützung der VAE aufgebaut. Sie werden manchmal auch als unter Kontrolle der international anerkannten jemenitischen Regierung angesehen, obwohl sie angeblich von den Vereinigten Arabischen Emiraten ferngesteuert werden (EASO 15.10.2019; vgl. MEI 31.7.2019; vgl. WP 28.8.2019).

[…]

Wehrdienst und Rekrutierungen

2001 wurde im Jemen die zweijährige Wehrpflicht abgeschafft. Das Mindestalter für einen freiwilligen zweijährigen Wehrdienst beträgt 18 Jahre (CIA 5.11.2019). Viele junge Männer treten aus ökonomischen Gründen und aus Mangel an Alternativen am Arbeitsmarkt in den Militärdienst ein (IRB 8.12.2017). Obwohl Gesetz und Regierungspolitik die Praxis ausdrücklich verbieten, nahmen Kinder unter 18 Jahren direkt an bewaffneten Konflikten für Regierungs-, Huthi-, mit der Regierung verbündete Kräfte, Stammeskräfte und andere bewaffnete Gruppierungen teil, vor allem als Wächter und Kuriere (USDOS 13.3.2019; vgl. Global Security 2.9.2017). Im Jahr 2017 überprüften die Vereinten Nationen 842 Fälle von Rekrutierung und Einsatz von Jungen ab 11 Jahren, von denen fast zwei Drittel Huthi-Truppen zuzuschreiben waren (HRW 17.1.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). 2014 unterzeichnete die jemenitische Regierung einen Aktionsplan der Vereinten Nationen zur Beendigung des Einsatzes von Kindersoldaten. Mangels einer effektiven Regierung wurde der Aktionsplan jedoch noch nicht umgesetzt (HRW 12.1.2017). Fast ein Drittel der Kämpfer im Land waren nach einigen Schätzungen jünger als 18 Jahre. Das Fehlen eines einheitlichen Systems für die Registrierung von Geburten erschwert den Nachweis des Alters, was zuweilen zur Rekrutierung von Minderjährigen beiträgt (USDOS 13.3.2019).

Laut Berichten internationaler NGOs benutzten Stämme, einschließlich einiger bewaffneter und von der Regierung finanzierter Stämme, die neben der regulären Armee kämpften, minderjährige Rekruten in Kampfzonen. Huthi-Rebellen setzten regelmäßig Kinder ein, um Kontrollpunkte zu besetzen, als menschliche Schutzschilder oder Selbstmordattentäter. Berichten zufolge wurden verheiratete Burschen zwischen 12 und 15 Jahren während bewaffneter Konflikte in den nördlichen Stammesgebieten als Kämpfer eingesetzt. Gemäß der Stammestradition werden verheiratete Burschen als Erwachsene betrachtet, die dem Stamm Loyalität schulden. Infolgedessen war laut NGOs die Hälfte der Stammeskämpfer Jugendliche unter 18 Jahren. Anderen Quellen zufolge brachten die Stämme die Burschen selten in Gefahr, und setzten sie eher als Wache und nicht als Kämpfer ein (USDOS 13.3.2019).

Die Huthi rekrutieren neue Kämpfer mit verschiedenen Methoden, unter anderem durch die Einführung von Rekrutierungsquoten für Stammesführer und lokale Vertreter, die Verbreitung von Propaganda und religiöser Indoktrination, die Freilassung von Gefangenen und die Rekrutierung an Kontrollpunkten. Dabei wenden sie jeweils einen unterschiedlichen Grad von Zwang an (EASO 8.4.2019). Im Laufe des Jahres verstärkten die Huthi und andere bewaffnete Gruppen, einschließlich Stammes- und islamistischer Milizen sowie Al-Qaeda auf der Arabischen Halbinsel, die Rekrutierung von Kindern als Teilnehmer am Konflikt. Berichten zufolge betreiben Huthi-Vertreter lokale Zentren, in denen Jungen und Männer für den Kampf rekrutiert werden. Laut einer Quelle führten die Huthi Rekrutierungsquoten für lokale Vertreter ein. Laut OHCHR rekrutieren Huthi auch gewaltsam Kinder in Schulen, Krankenhäusern oder indem sie von Haus zu Haus gehen. Es wird auch mit Appellen an den Patriotismus und durch finanzielle Anreize rekrutiert (USDOS 13.2.2019).

[…]

Allgemeine Menschenrechtslage

Die Bevölkerung im Jemen leidet weiterhin unter den Auswirkungen des bewaffneten Konflikts, an Gewalt sowie schweren Menschenrechtsverletzungen und Missbräuchen. Die wichtigsten Menschenrechtsprobleme sind u.a. rechtswidrige und willkürliche Tötungen, darunter politische Morde; Verschwindenlassen; Folter; willkürliche Verhaftungen und Inhaftierungen; harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen; politische Gefangene; willkürliche Verletzungen der Rechte der Bürger auf Privatsphäre; erhebliche Eingriffe in die Meinungs-, Presse-, Versammlungs-, Vereinigungs- und Bewegungsfreiheit; Einschränkungen der Religionsfreiheit; die Tatsache, dass die Bürger ihre Regierung nicht durch freie und faire Wahlen wählen können; Korruption und der Einsatz von Kindersoldaten (USDOS 13.3.2019; vgl. USDOS 21.6.2019). Die Hadi-Regierung unternimmt den Versuch, Menschenrechtsverletzungen durch Beamte zu verfolgen und bestrafen, wobei sie nicht alle Institutionen des Landes kontrolliert. Straffreiheit blieb jedoch ein weit verbreitetes Problem. Nicht-staatliche Akteure, darunter Huthis, Stammesmilizen, südjemenitische separatistische Gruppierungen, Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel (AQAP) und der IS begehen erhebliche Verstöße gegen die Menschenrechte (USDOS 13.3.2019). Huthi-Truppen nahmen Geiseln. Bewaffnete Kräfte in Aden verprügelten, vergewaltigten und folterten Migranten (HRW 17.1.2019).

Der Krieg führte landesweit zu weit verbreiteter Gewalt gegen die Zivilbevölkerung. Laut OHCHR wurden seit Konfliktbeginn bis November 2018 mehr als 6,800 Zivilisten getötet und mehr als 10,700 verletzt, die meisten davon durch Luftangriffe der von Saudi Arabien angeführten Koalition. Die wahren Opferzahlen dürften weit höher liegen. Tausende wurden durch die Kämpfe vertrieben, und Millionen Menschen sind von Engpässen in Nahrungsmittelversorgung und medizinischer Versorgung betroffen (HRW 17.1.2019). ACLED berichtet von mehr als 12,000 zivilen Todesfällen seit 2015. Insgesamt wurden seit 2015 mehr als 100,000 (militärische und zivile) Opfer gezählt. Bis Ende Oktober wurden im Jahr 2019 circa 1,100 tote Zivilisten verzeichnet. Die Gewalt konzentrierte sich 2019 auf die Gouvernements Taiz, Hodeidah und Al Jawf (ACLED 31.10.2019).

Die von Saudi-Arabien angeführte Militärkoalition führte zahlreiche wahllose und unverhältnismäßige Luftangriffe durch, unter anderem auf Wohnhäuser, Märkte, Schulen, Krankenhäuser und Moscheen, bei denen Tausende von Zivilisten getötet und zivile Objekte unter Verletzung des Völkerrechts beschossen bzw. zerstört wurden. Die Koalition setzte auch international verbotene Streumunition ein. Huthi-Truppen setzten verbotene Landminen ein, es kam zur Rekrutierung von Kindern, und es wurde mit Artillerie wahllos auf Städte gefeuert (HRW 17.1.2019; vgl. FH 4.2.2019). Obwohl Beweise auf Völkerrechtsverletzungen durch die Konfliktparteien hindeuten, sind diese bis jetzt nicht adäquat zur Rechenschaft gezogen worden (HRW 17.1.2019).

Alle Konfliktparteien verschlimmerten die humanitäre Katastrophe noch weiter, indem sie dringend benötigte Hilfslieferungen verzögerten bzw. verhinderten. Mitarbeiter von Hilfsorganisationen wurden teils mit Gewalt in ihrer Arbeit behindert (HRW 17.1.2019). Laut UN OCHA waren Anfang 2019 nahezu 25 Prozent der Bevölkerung unterernährt. Alle Konfliktparteien zerstörten Einrichtungen, die für das Überleben der jemenitischen Bevölkerung notwendig sind. Luftangriffe der Koalition zerstörten z.B. Ackerland, Bewässerungsanlagen und wichtige Hafeninfrastruktur. Auch medizinische Einrichtungen wurden beschädigt oder zerstört (HRC 3.9.2019). Im Jahr 2018 verschlechterte sich die humanitäre Lage aufgrund der andauernden Kämpfe weiter. 8,4 Millionen Menschen sind von einer Hungersnot bedroht, und 80 Prozent der Bevölkerung ist auf humanitäre Hilfe angewiesen (USDOS 13.3.2019).

Obwohl in der Verfassung Meinungs- und Pressefreiheit vorgesehen ist, darf die Staatsführung nicht kritisiert werden. Die Huthi-Rebellen respektierten diese Rechte nicht, und die Hadi-Regierung konnte ihre Einhaltung nicht durchsetzen. Alle Konfliktparteien schränkten das Recht auf Meinungs- und Pressefreiheit ein (USDOS 13.3.2019). Journalisten und Aktivisten sind mit gewaltsamen Angriffen und Verschwindenlassen vonseiten aller Konfliktparteien konfrontiert (FH 4.2.2019; vgl. RoG 13.8.2019). Allen Bevölkerungsgruppen mangelt es unter den gegenwärtigen Bedingungen im Jemen an politischen Rechten. Reguläre politische Aktivität wird durch die Präsenz unzähliger bewaffneter Gruppen im Land verhindert. Der Handlungsspielraum für zivilgesellschaftliche Organisationen wurde in Folge des Krieges stark reduziert. Einige NGOs sind noch im Land aktiv, ihre Funktionsfähigkeit wird jedoch in der Praxis durch Einmischung durch bewaffnete Gruppierungen eingeschränkt. Seit 2015 unterdrücken die Huthi in den von ihnen kontrollierten Gebieten politischen Widerspruch brutal. 2018 gab es sowohl Proteste gegen die Huthi-Herrschaft, als auch gegen die Hadi-Regierung (FH 4.2.2019; vgl. HRW 17.1.2019).

Religionsfreiheit

99.1% der Bevölkerung des Jemen sind Muslime, ca. 65% davon Sunniten und 35% Schiiten Zaiditen). Die restlichen 0.9% beinhalten Juden, Bahai, Hindus und Christen, von denen viele Flüchtlinge sind oder nur eine temporäre Aufenthaltsgenehmigung haben (CIA 5.11.2019). Es gibt auch einige Zwölfer-Schiiten (vor allem im Norden), Ismailis und Sufis (USDOS 21.6.2019). Die Verfassung erklärt den Islam zur Staatsreligion und die Scharia zur Quelle aller Gesetze. Sie sieht Gedanken- und Meinungsfreiheit "innerhalb der Grenzen des Gesetzes" vor, lässt aber die Erwähnung der Religionsfreiheit aus. Das Gesetz verbietet die Herabwürdigung des Islams, die Konversion vom Islam zu einer anderen Religion und Missionierungsversuche, die auf Muslime gerichtet sind, um diese zur Konversion zu einer anderen Religion zu bringen. Apostasie ist ein Kapitalverbrechen. Angeklagte haben dreimal die Möglichkeit, ihr Verhalten zu „bereuen“ [Anm. der arabische Ausdruck tawba bezeichnet wörtlich die „Rückkehr zum Islam“, „das sich Umdrehen“]; wenn sie dies tun, sind die von der Todesstrafe ausgenommen. Im Norden, der von den Huthis kontrolliert wird, setzen diese ihre religiösen Praktiken auch bei Nicht-Zaiditen durch. Mitglieder der kleinen jüdischen Gemeinde berichten von anhaltenden sozialen Schikanen und rückläufigen Mitgliederzahlen, die es schwierig machten, ihre religiösen Praktiken aufrechtzuerhalten. Ismailitische Muslime klagen weiterhin über Diskriminierungen (USDOS 21.6.2019).

Amnesty International dokumentierte, dass religiöse Minderheiten vom Specialized Criminal Court vermehrt ins Visier genommen werden. Insbesondere Anhänger der Bahai geraten in den Fokus der Behörden. Im Jänner 2018 wurde Hamed Kamal Muhammad bin Haydara, ein Bahai, wegen Apostasie, Proselytismus und Spionage für Israel zum Tode verurteilt. Im September 2018 wurden mehr als 20 Bahai wegen Apostasie und Spionage verurteilt; auf die Anklagepunkte könnte die Todesstrafe stehen (AI 9.7.2019; vgl. USDOS 21.6.2019; vgl. AI 18.9.2018).

Das Familiengesetz verbietet die Ehe zwischen einem Muslim und einem Apostaten. Frauen, die das Sorgerecht für ein Kind beantragen, „sollen“ keine Apostaten sein, und ein Mann „sollte“ denselben Glauben wie das Kind haben. Muslimische Frauen dürfen keine nicht-muslimischen Männer heiraten und muslimische Männer keine Frauen, die weder muslimisch, christlich noch jüdisch sind (USDOS 21.6.2019).

[…]

Ethnische Minderheiten

Jemen besteht nahezu vollständig aus arabischer und afro-arabischer Bevölkerung (MRG 1.2018). Obgleich Rassendiskriminierung illegal ist, sind einige Gruppen wie die Muhamaschin (Muhammasheen, auch bekannt als Akhdam) und die Muwaladin (Jemeniten, die von ausländischen Eltern geboren wurden) sozialen und institutionellen Diskriminierungen ausgesetzt, die auf Rasse, Ethnizität und sozialem Status beruhen. Die Muhamaschin haben ostafrikanische Wurzeln, verrichten traditionell niedrige Tätigkeiten, wie Straßenkehren, leben in der Regel in Armut und sind von schwerer anhaltender gesellschaftlicher und politischer Diskriminierung betroffen. Muhamaschin-Frauen sind besonders von Vergewaltigung und anderem Missbrauch betroffen, und zwar aufgrund der allgemeinen Straflosigkeit für Täter, die auf den niedrigen gesellschaftlichen Status der Muhamaschin-Frauen zurückzuführen ist (USDOS 13.3.2019; vgl. FH 4.2.2019). Schätzungen gehen davon aus, dass 2-5 Prozent der jemenitischen Bevölkerung Muhamaschin sind. Andere Berichte schätzen, dass es bis zu 10 Prozent sind. Sie leben meist in ärmlichen Verhältnissen in Slums oder am Stadtrand, sind von Armut, Arbeitslosigkeit und Analphabetismus betroffen, und haben mangelhaften Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen. Da sie nicht in den jemenitischen Stammesstrukturen verankert sind, fehlt ihnen oft der Zugang zu Konfliktregelung und Mediation. Muhamaschin sind vor allem seit 2015 besonders vom bewaffneten Konflikt betroffen (MRG 11.2018).

Relevante Bevölkerungsgruppen

Frauen

Frauen sind mit tiefgreifender Diskriminierung durch das Gesetz sowie im täglichen Leben konfrontiert. Mechanismen, um Schutz zu gewährleisten, sind schwach, und die Regierung kann sie nicht effektiv umsetzen (USDOS 13.3.2019). Jemen belegt beim Gender Equality Index des UNDP und dem Global Gender Gap Index des WEF, in denen die Situation in Bezug auf Gesundheitsversorgung, Bildung, wirtschaftlicher und politischer Teilhabe und Schutz vor geschlechtsbasierter Gewalt bewertet wird, jeweils den letzten Platz. Besonders häusliche Gewalt und Kinderehen waren schon vor Ausbruch des Konflikts ein großes Problem (HRC 3.9.2019). Nur sechs Prozent der Frauen gehen Erwerbsarbeit nach (USDOS 13.3.2019).

Der anhaltende Konflikt verschärfte die ungleiche Behandlung von Frauen und Mädchen im Jemen noch weiter. Seit 2016 setzt die de facto-Regierung zunehmend patriarchale Normen und Gesetze durch. Die Gewalt gegen Frauen ist angestiegen, und das Vorgehen gegen diese Gewalt durch das Justizsystem brach 2019 weiter zusammen. 2018 waren laut Schätzungen der UN drei Millionen Frauen und Mädchen dem Risiko von Gewalt ausgesetzt. Zwangsehen, darunter auch Kinderehen, sind häufiger geworden. Einige Strafverfolgungsbehörden, Streitkräfte und bewaffnete Gruppierungen stellen eine direkte Bedrohung für die Sicherheit von Frauen dar (HRW 17.1.2019; vgl. HRC 3.9.2019; vgl. AI 26.2.2019). Frauen und Mädchen sind überproportional von der humanitären Krise und den daraus resultierenden Einschränkungen im Bereich Gesundheitsversorgung, Ernährung und sichere Unterkunft betroffen. Von den 24,1 Millionen Jemeniten, die Hilfe benötigen, sind 18,2 Millionen Frauen und Kinder (HRC 3.9.2019).

Im Jemen ist die untergeordnete Rolle von Frauen und Mädchen in der Gesellschaft im Gesetz verankert. Frauen können nicht ohne die Erlaubnis ihres männlichen Vormunds heiraten und haben keine gleichen Rechte auf Scheidung, Erbschaft oder Sorgerecht. Der Mangel an Rechtsschutz setzt sie häuslicher und sexueller Gewalt aus. Es gibt kein Mindestalter für Eheschließungen (HRW 17.1.2019). Frauen werden in Bereichen wie Beschäftigung, Kreditvergabe, Lohn, Besitz oder dem Führen von Unternehmen, Bildung, Wohnen und vor Gericht diskriminiert (USDOS 13.3.2019). Eine Frau braucht die Erlaubnis ihres Ehemannes oder Vaters, um einen Pass zu beantragen und ins Ausland zu reisen (FH 4.2.2019). Männliche Verwandte haben lebenslang die Vormundschaft („wilaya“) über eine Frau. Eine Frau soll ihrem Ehemann gehorchen (HRC 3.9.2019). Das Gesetz sieht Strafen für Vergewaltigung von bis zu 25 Jahren vor, doch die Regierung setzt das Gesetz nicht wirksam durch. Es gibt keine brauchbaren Statistiken zu Vergewaltigung. Innerhalb der Ehe ist die Vergewaltigung straffrei, weil das Gesetz besagt, dass eine Frau die sexuelle Beziehung zu ihrem Ehemann nicht ablehnen darf. Nach dem Gesetz können die Behörden Vergewaltigungsopfer wegen Unzucht verfolgen, wenn die Behörden keinen Täter anklagen. Ohne Geständnis des Täters muss die Überlebende einer Vergewaltigung laut Gesetz vier männliche Zeugen für das Verbrechen haben. Das Gesetz sieht die Exekution eines Mannes vor, wenn er wegen Mordes an einer Frau verurteilt wird. Das Strafgesetzbuch sieht im Falle eines „Ehrenmordes“ mildernde Umstände vor. Nachsicht wird gegenüber Tätern gewaltet, wenn sie eine Frau für als "unanständig" oder "trotzig" wahrgenommenes Verhalten angreifen oder töten. Andere Formen geschlechtsspezifischer Gewalt wie Schläge, Zwangsisolierung, Einsperren, Früh- und Zwangsheirat, werden im Gesetz nicht behandelt. Opfer häuslicher Gewalt wenden sich selten an Polizei und Justiz. Strafverfahren bei Fällen häuslicher Gewalt sind selten (USDOS 13.3.2019; vgl. HRC 3.9.2019).

Das Gesetz verbietet weibliche Genitalverstümmelung (female genital mutilation - FGM) nicht, es gab jedoch 2001 einen Ministerialerlass, der diese Praxis aus staatlichen Institutionen und medizinischen Einrichtungen verbannte. In einigen Gebieten ist FGM jedoch verbreitet, Zahlen aus 2015 gehen von 15-20 Prozent aus (USDOS 13.3.2019; vgl. FH 4.2.2019).

[…]

Kinder

Die Staatsbürgerschaft eines Kindes wird von der Herkunft der Eltern bestimmt. Ein Kind eines jemenitischen Vaters ist jemenitischer Staatsbürger. Jemenitische Frauen können die Staatsbürgerschaft auf ihre Kinder, die von einem im Ausland geborenen Vater stammen, übertragen, wenn das Kind im Land geboren wurde. Wenn das Kind nicht im Land geboren wurde, kann das Innenministerium in seltenen Fällen einer Frau gestatten, die Staatsbürgerschaft an das Kind zu übertragen, wenn der Vater stirbt oder das Kind verlässt. Es gab keine universelle Geburtenregistrierung, und vor allem in ländlichen Gebieten registrieren Eltern viele Kinder nicht oder melden sie erst mehrere Jahre nach deren Geburt an. Die Forderung, dass Kinder Geburtsurkunden haben müssen, um sich für die Schule anzumelden, wird nicht allgemein durchgesetzt. Es gibt allerdings keine Berichte über Behörden, die Bildungs- oder Gesundheitsdienstleistungen sowie andere Leistungen für Kinder aufgrund mangelnder Registrierung verweigern (USDOS 13.3.2019). Laut UNICEF besuchen im Jemen zwei Millionen Kinder nicht die Schule, und weitere 3,7 Millionen könnten bald betroffen sein, da die Löhne von Lehrern bereits seit zwei Jahren nicht bezahlt wurden (UNICEF 25.9.2019).

Im Jemen gibt es Kinder, die von schweren Formen der Kinderarbeit betroffen sind (USDOL 27.9.2019). Früh- bzw. Zwangsheirat sind ein weit verbreitetes Problem. Der militärische Konflikt verschärfte die Situation wahrscheinlich noch weiter. Vertreter lokaler und internationaler NGOs berichten über eine Zunahme von Zwangsehen und Kinderheirat aus finanziellen Gründen und wegen der wirtschaftlichen Unsicherheit. Mädchen werden ab dem Alter von acht Jahren verheiratet. Das Gesetz verbietet Sex mit minderjährigen Bräuten, bis sie "für den Geschlechtsverkehr geeignet" sind, wobei ein konkretes Alter unbestimmt bleibt. Das Gesetz definiert oder verbietet Kindesmissbrauch nicht. Die Behörden betrachten Gewalt gegen Kinder als Familienangelegenheit (USDOS 13.3.2019; vgl. HRC 3.9.2019).

Obwohl gesetzlich verboten, nahmen Kinder unter 18 Jahren auf Seiten der Hadi-Regierung, auf Seiten von Stammeskämpfern, Huthis und anderen bewaffneten Gruppierungen, wie der Security Belt Forces, am Konflikt teil. Schätzungen zufolge soll fast ein Drittel der Kämpfer im Jemen jünger als 18 Jahre sein. Das Fehlen eines einheitlichen Systems für die Geburtsregistrierung erschwert den Altersnachweis, was manchmal zur Rekrutierung von Minderjährigen für das Militär beiträgt. Allein im Jahr 2017 wurden 842 Fälle von Rekrutierung und Einsatz von Jungen verifiziert und dokumentiert, zwei Drittel der Fälle gingen auf Huthi-Kräfte zurück (USDOS 13.3.2019; vgl. HRW 17.1.2019). Verletzungen der Kinderrechte im bewaffneten Konflikt werden von den Huthi, Al-Qaeda auf der Arabischen Halbinsel, regierungstreuen Milizen, von den VAE unterstützten jemenitischen Streitkräften und der von Saudi-Arabien angeführten Militärkoalition begangen (HRW 17.1.2019). Laut eines UN-Berichts wurden im Jahr 2018 insgesamt 729 Kinder durch die von Saudi-Arabien und die VAE geführte Militärkoalition getötet oder verwundet; 398 durch die Huthi-Rebellen, und 58 durch jemenitische Regierungskräfte (Al Jazeera 23.10.2019).

Von den 24,1 Millionen Jemeniten, die humanitäre Hilfe benötigen, sind 18,2 Millionen Frauen und Kinder (HRC 3.9.2019). Andere Quellen gehen davon aus, dass mit Stand Dezember 2018 zwei Millionen Kinder von Nahrungsmittelunsicherheit betroffen waren, zusätzliche 1,8 Millionen Kinder waren stark unterernährt (USDOL 27.9.2019). Der Krieg beeinträchtigt auch die psychische Gesundheit von Kindern stark (TNA 20.8.2018).

[…]

2.4.2. Zur maßgeblichen Situation im Irak:

Im Folgenden werden die wesentlichen Feststellungen aus dem vom BVwG herangezogenen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zum Irak, Version 3 vom 14.05.2020, wiedergegeben:

Politische Lage

Letzte Änderung: 14.05.2020

Die politische Landschaft des Irak hat sich seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 enorm verändert (KAS 2.5.2018) und es wurde ein neues politisches System im Irak eingeführt (Fanack 2.9.2019). Gemäß der Verfassung vom 15.10.2005 ist der Irak ein islamischer, demokratischer, föderaler und parlamentarisch-republikanischer Staat (AA 12.1.2019; vgl. GIZ 1.2020a; Fanack 2.9.2019), der aus 18 Gouvernements (muhafaz?t) besteht (Fanack 2.9.2019). Artikel 47 der Verfassung sieht eine Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative vor (RoI 15.10.2005). Die Kurdische Region im Irak (KRI) ist Teil der Bundesrepublik Irak und besteht aus den drei nördlichen Gouvernements Dohuk, Erbil und Sulaymaniyah. Sie wird von einer Regionalverwaltung, der kurdischen Regionalregierung (Kurdistan Regional Government, KRG), verwaltet und verfügt über eigene Streitkräfte (Fanack 2.9.2019). Beherrschende Themenblöcke der irakischen Innenpolitik sind Sicherheit, Wiederaufbau und Grundversorgung, Korruptionsbekämpfung und Ressourcenverteilung, die systemisch miteinander verknüpft sind (GIZ 1.2020a).

An der Spitze der Exekutive steht der irakische Präsident, der auch das Staatsoberhaupt ist. Der Präsident wird mit einer Zweidrittelmehrheit des irakischen Parlaments (majlis al-nuww?b, engl.: Council of Representatives, dt.: Repräsentantenrat) für eine Amtszeit von vier Jahren gewählt und kann einmal wiedergewählt werden. Er genehmigt Gesetze, die vom Parlament verabschiedet werden. Der Präsident wird von zwei Vizepräsidenten unterstützt, mit denen er den Präsidialrat bildet, welcher einstimmige Entscheidungen trifft (Fanack 2.9.2019).

Der Premierminister wird vom Präsidenten designiert und vom Parlament bestätigt (Fanack 2.9.2019; vgl. RoI 15.10.2005). Der Premierminister führt den Vorsitz im Ministerrat und leitet damit die tägliche Politik und ist auch Oberbefehlshaber der Streitkräfte (Fanack 27.9.2018).

Die gesetzgebende Gewalt, die Legislative, wird vom irakischen Repräsentantenrat (Parlament) ausgeübt (Fanack 2.9.2019). Er besteht aus 329 Abgeordneten (CIA 28.2.2020; vgl. GIZ 1.2020a). Neun Sitze werden den Minderheiten zur Verfügung gestellt, die festgeschriebene Mindest-Frauenquote im Parlament liegt bei 25% (GIZ 1.2020a).

Nach einem ethnisch-konfessionellen System (Muhasasa) teilen sich die drei größten Bevölkerungsgruppen des Irak - Schiiten, Sunniten und Kurden - die Macht durch die Verteilung der Ämter des Präsidenten, des Premierministers und des Parlamentspräsidenten (AW 4.12.2019). So ist der Parlamentspräsident gewöhnlich ein Sunnit, der Premierminister ist ein Schiit und der Präsident der Republik ein Kurde (Al Jazeera 15.9.2018). Viele sunnitische Iraker stehen der schiitischen Dominanz im politischen System kritisch gegenüber. Die Machtverteilungsarrangements zwischen Sunniten, Schiiten und Kurden festigen den Einfluss ethnisch-religiöser Identitäten und verhindern die Herausbildung eines politischen Prozesses, der auf die Bewältigung politischer Sachfragen abzielt (AA 12.1.2019).

Am 12.5.2018 fanden im Irak Parlamentswahlen statt, die fünfte landesweite Wahl seit der Absetzung Saddam Husseins im Jahr 2003. Die Wahl war durch eine historisch niedrige Wahlbeteiligung und Betrugsvorwürfe gekennzeichnet, wobei es weniger Sicherheitsvorfälle gab als bei den Wahlen in den Vorjahren (ISW 24.5.2018). Aufgrund von Wahlbetrugsvorwürfen trat das Parlament erst Anfang September zusammen (ZO 2.10.2018).

Am 2.10.2018 wählte das neu zusammengetretene irakische Parlament den moderaten kurdischen Politiker Barham Salih von Patriotischen Union Kurdistans (PUK) zum Präsidenten des Irak (DW 2.10.2018; vgl. ZO 2.10.2018; KAS 5.10.2018). Dieser wiederum ernannte den schiitischen Politik-Veteranen Adel Abd al-Mahdi zum Premierminister und beauftragte ihn mit der Regierungsbildung (DW 2.10.2018). Nach langen Verhandlungsprozessen und zahlreichen Protesten wurden im Juni 2019 die letzten und sicherheitsrelevanten Ressorts Innere, Justiz und Verteidigung besetzt (GIZ 1.2020a).

Im November 2019 trat Premierminister Adel Abdul Mahdi als Folge der seit dem 1.10.2019 anhaltenden Massenproteste gegen die Korruption, den sinkenden Lebensstandard und den ausländischen Einfluss im Land, insbesondere durch den Iran, aber auch durch die Vereinigten Staaten (RFE/RL 24.12.2019; vgl. RFE/RL 6.2.2020). Präsident Barham Salih ernannte am 1.2.2020 Muhammad Tawfiq Allawi zum neuen Premierminister (RFE/RL 6.2.2020). Dieser scheiterte mit der Regierungsbildung und verkündete seinen Rücktritt (Standard 2.3.2020; vgl. Reuters 1.3.2020). Am 17.3.2020 wurde der als sekulär geltende Adnan al-Zurfi, ehemaliger Gouverneur von Najaf als neuer Premierminister designiert (Reuters 17.3.2020).

Im Dezember 2019 hat das irakische Parlament eine der Schlüsselforderung der Demonstranten umgesetzt und einem neuen Wahlgesetz zugestimmt (RFE/RL 24.12.2019; vgl. NYT 24.12.2019). Das neue Wahlgesetz sieht vor, dass zukünftig für Einzelpersonen statt für Parteienlisten gestimmt werden soll. Hierzu soll der Irak in Wahlbezirke eingeteilt werden. Unklar ist jedoch für diese Einteilung, wie viele Menschen in den jeweiligen Gebieten leben, da es seit über 20 Jahren keinen Zensus gegeben hat (NYT 24.12.2019).

Die nächsten Wahlen im Irak sind die Provinzwahlen am 20.4.2020, wobei es sich um die zweite Verschiebung des ursprünglichen Wahltermins vom 22.12.2018 handelt. Es ist unklar, ob die Wahl in allen Gouvernements des Irak stattfinden wird, insbesondere in jenen, die noch mit der Rückkehr von IDPs und dem Wiederaufbau der Infrastruktur zu kämpfen haben. Die irakischen Provinzwahlen umfassen nicht die Gouvernements Erbil, Sulaymaniyah, Duhok und Halabja, die alle Teil der KRI sind, die von ihrer eigenen Wahlkommission festgelegte Provinz- und Kommunalwahlen durchführt (Kurdistan24 17.6.2019).

[…]

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 14.05.2020

Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen, territorialen Sieg über den Islamischen Staat (IS) (Reuters 9.12.2017; vgl. AI 26.2.2019). Die Sicherheitslage hat sich, seitdem verbessert (FH 4.3.2020). Ende 2018 befanden sich die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) in der nomine

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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