Index
001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AVG §37;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Baumgartner und die Hofräte Dr. Sauberer und Dr. Handstanger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gruber, über die Beschwerde des G in N, Deutschland, vertreten durch Dr. N, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid des Unabhängigen Veraltungssenates für die Steiermark vom 20. Juni 1996, Zl. UVS.30.9-172/95-4, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Das Land Steiermark hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.920,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Beschwerdeführer wegen der Verwaltungsübertretung nach § 20 Abs. 2 StVO 1960 bestraft, weil er am 20. Februar 1995 um
19.44 Uhr in Lichendorf auf einem näher bezeichneten Straßenstück als Lenker eines Pkw"s mit einem bestimmten deutschen Kennzeichen im Ortsgebiet die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 46 km/h überschritten habe. In der Begründung stützte die belangte Behörde die - vom Beschwerdeführer bestrittene - Feststellung, daß er der Lenker des angeführten Fahrzeuges gewesen sei, darauf, daß er seiner Mitwirkungspflicht nicht entsprochen habe, weil er in keinem Stadium des Verfahrens konkrete Angaben darüber gemacht habe, wer sonst als er das Fahrzeug zum Tatzeitpunkt am Tatort gelenkt haben könnte. Da sich der Beschwerdeführer im Ergebnis auf ein bloßes Bestreiten der ihm zur Last gelegten Übertretung beschränkt habe, sei die belangte Behörde im Rahmen der Beweiswürdigung zum Schluß gekommen, er als Zulassungsbesitzer selbst sei der Täter gewesen. Aus dem von ihm vorgelegten Schreiben seines italienischen Geschäftspartners sei nicht zwingend zu schließen, daß er sich zum Tatzeitpunkt in Italien aufgehalten habe. "Hinsichtlich der Aufforderung zur Vorlage weiterer Beweise für seine Unschuld, etwa der Vorlage einer Nächtigungsbestätigung für den angefragten Zeitraum", habe der Beschwerdeführer mitgeteilt, er könne eine derartige Bestätigung nicht beibringen, da er immer privat nächtige. Diesbezüglich sei ihm entgegenzuhalten, daß es selbst bei Privatnächtigungen durchaus üblich sei, für den Zeitpunkt der Übernachtung eine Rechnung oder Bestätigung ausgestellt zu bekommen. Überdies stehe das im erstinstanzlichen Verfahren dem Polizeihauptmeister der Polizeiinspektion Kitzingen abgegebene Tateingeständnis im Widerspruch zu den vom Beschwerdeführer "sonst geführten Bestreitungen hinsichtlich des ihm zur Last gelegten Deliktes", wobei er für seine Entlastung keinerlei konkreten Beweisanbote geliefert habe, die eine weitere Ermittlungspflicht der Behörde auszulösen vermocht hätten.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten des Verwaltungsstrafverfahrens und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
Die belangte Behörde räumte in der Gegenschrift ein, daß es sich um einen Irrtum handle, wenn in der Begründung des angefochtenen Bescheides davon gesprochen werde, daß der Beschwerdeführer der Zulassungsbesitzer des betreffenden Kraftfahrzeuges sei. Damit ist aber der der Beweiswürdigung zugrundeliegenden, mit der hg. Rechtsprechung (vgl. das Erkenntnis vom 30. November 1994, Zl. 94/03/0265) übereinstimmenden Rechtsprechung, aus dem Untätigbleiben des Zulassungsbesitzers gegenüber dem Vorwurf eines bestimmten strafbaren Verhaltens könne abgeleitet werden, der Zulassungsbesitzer sei selbst der Täter gewesen, die Grundlage entzogen. Ist der Beschuldigte nicht Zulassungsbesitzer des bei der Begehung der Verwaltungsübertretung verwendeten Kraftfahrzeuges bzw. nicht das vertretungsbefugte Organ einer juristischen Person, die Zulassungbesitzern (Halterin) des Kraftfahrzeuges ist, so kann von ihm - sofern nicht etwa andere Umstände hinzutreten (wie etwa, wenn ihm der Zulassungsbesitzer das Fahrzeug zur Verwendung überlassen hat) - nicht unter Berufung auf die ihm im Strafverfahren treffende Mitwirkungspflicht verlangt werden, konkrete Angaben darüber zu machen, wer das Fahrzeug zum Tatzeitpunkt gelenkt habe, kann doch in einem solchen Fall bei ihm nicht vorausgesetzt werden, daß er Kenntnis vom entsprechenden Sachverhalt habe. Er ist in einem solchen Fall auch nicht gehalten, von sich aus den Beweis seiner mangelnden Lenkereigenschaft anzutreten. Die Mitwirkungspflicht des Beschuldigten im Strafverfahren erfordert es wohl, seine Verantwortung nicht darauf zu beschränken, die ihm vorgehaltenen konkreten Erhebungsergebnisse für unrichtig zu erklären, ohne diesen Erhebungsergebnissen ebenso konkrete Behauptungen entgegenzusetzen und entsprechende Beweise anzubieten; unterläßt er dies, so bedeutet es keinen Verfahrensmangel, wenn die Behörde von Amts wegen keine weiteren Beweiserhebungen durchführt (vgl. die bei Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens5, 890, zitierte Judikatur). Die Mitwirkungspflicht bedeutet jedoch keine Verschiebung der Beweislast zu ungunsten der Partei (vgl. die bei Hauer/Leukauf, a.a.O., 259, angeführte Rechtsprechung), ihre Verletzung enthebt die Behörde nicht der Verpflichtung, entsprechend dem Offizialprinzip den für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt von Amts wegen zu erheben.
Die belangte Behörde erwähnte zwar in der Begründung ihres Bescheides "das im erstinstanzlichen Verfahren dem Polizeihauptmeister der Polizeiinspektion Kitzingen abgegebene Tateingeständnis"; sie legte jedoch nicht dar, welche Erwägungen sie dazu veranlaßten, der Verantwortung des Beschwerdeführers (siehe das in den Verwaltungsstrafakten erliegende Schreiben vom 9. Juli 1995), es müsse sich um ein Mißverständnis handeln, er habe dem Polizeibeamten in dem Telefongespräch (lediglich) mitgeteilt, "daß es möglich ist, die Verkehrsüberschreitung getätigt zu haben", nicht zu folgen. Da damit der Begründungspflicht gemäß § 60 in Verbindung mit § 67 AVG und § 24 VStG nicht entsprochen wurde, vermag auch der Hinweis auf das erwähnte "Tateingeständnis" die umstrittene Feststellung der Lenkereigenschaft des Beschwerdeführers nicht schlüssig zu untermauern.
Die aufgezeigten Begründungsmängel haben zur Folge, daß der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufgehoben werden mußte.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Stempelgebührenersatz konnte nur in dem zur Rechtsverfolgung erforderlichen Ausmaß zuerkannt werden.
Schlagworte
Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung BeweislastVerfahrensgrundsätze im Anwendungsbereich des AVG Offizialmaxime Mitwirkungspflicht Manuduktionspflicht VwRallg10/1/1Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung MitwirkungspflichtBegründungspflicht Manuduktionspflicht MitwirkungspflichtBeweismittel BeschuldigtenverantwortungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1996030237.X00Im RIS seit
11.07.2001Zuletzt aktualisiert am
07.08.2012