TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/16 W228 2242264-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.07.2021
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Entscheidungsdatum

16.07.2021

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W228 2242264-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Harald WÖGERBAUER über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX 1994, Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch die BBU GmbH, diese vertreten durch Mag.a XXXX BA, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.03.2021, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang

Die Beschwerdeführerin (in der Folge auch: BF), eine afghanische Staatsangehörige, hat ihr Heimatland verlassen, ist am 20.11.2020 mit einem afghanischen Reisepass und einem Visum D der österreichischen Botschaft Islamabad rechtmäßig in das Bundesgebiet eingereist und hat am 07.12.2020 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

In der am selben Tag durchgeführten Erstbefragung gab die Beschwerdeführerin an, ihr Ehemann sei in Österreich asylberechtigt und sie wolle mit ihm gemeinsam in Österreich leben. Auch habe sie Angst alleine in Afghanistan leben zu müssen. Im Zuge der Befragung legte die Beschwerdeführerin ihren Reisepass mit dem Visum vor.

Die Beschwerdeführerin wurde am 25.03.2021 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge auch: BFA oder belangte Behörde) im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Paschto niederschriftlich einvernommen. Dabei führte sie wiederum aus, mit ihrem Ehemann in Österreich leben zu wollen und Angst zu haben, in Afghanistan alleine leben zu müssen. Eigene Fluchtgründe sowie Rückkehrbefürchtungen habe sie keine. Auch legte die Beschwerdeführerin ihre Tazkira, ihre Heiratsurkunde sowie ihren afghanischen Führerschein vor. Auch wurde eine Kopie ihres Mutter-Kind-Passes zum Akt genommen.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde der Antrag auf internationalen Schutz der Beschwerdeführerin gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde ihr der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) Die befristete Aufenthaltsberechtigung wurde ihr gemäß § 8 Abs. 4 AsylG für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt III.).

In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person der Beschwerdeführerin, zu ihren Fluchtgründen, zu ihrer Situation im Falle ihrer Rückkehr und zur Lage in ihrem Herkunftsstaat. Die Beschwerdeführerin habe keine eigenen Fluchtgründe oder Rückkehrbefürchtungen gemacht. Sie habe sich lediglich auf die von ihrem Ehemann in dessen Verfahren angeführten Gründe gestützt. Diese seien nicht als glaubhaft erachtet worden und sei sein Status als Asylberechtigter von dem seiner Mutter abgeleitet worden. Eine asylrelevante Verfolgung der Beschwerdeführerin im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention habe nicht festgestellt werden können. Ihr sei jedoch subsidiärer Schutz zu gewähren, da sie zwar über eine Schulbildung verfüge, aber keine Arbeitserfahrung oder Berufsausbildung habe.

Gegen Spruchpunkt I. des verfahrensgegenständlich angefochtenen Bescheides wurde mit Schreiben der Rechtsvertretung der Beschwerdeführerin vom 28.04.2021 Beschwerde erhoben. Darin wird ausgeführt, dass es sich bei der Beschwerdeführerin um eine westlich orientierte Frau handle. Ihr würde deswegen und auch als (de facto) alleinstehende Frau bei einer Rückkehr nach Afghanistan eine asylrelevante Verfolgung drohen. Auch fürchte sie eine Verfolgung aufgrund der Feindschaften ihres Ehemannes.

Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt langten am 07.05.2021 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde in der gegenständlichen Rechtssache am 11.06.2021 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein der Beschwerdeführerin, ihrer Rechtsvertretung sowie eines Dolmetschers für die Sprache Paschto durchgeführt. Für die belangte Behörde erschien ein informierter Vertreter. Im Zuge der mündlichen Verhandlung schränkte die Beschwerdeführerin ihr Vorbringen auf ihre westliche Orientierung ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person der Beschwerdeführerin:

Die Beschwerdeführerin heißt XXXX , ist afghanische Staatsangehörige und wurde am XXXX 1994 in der Provinz Nangarhar, Distrikt Kama, Dorf XXXX geboren. Dort verbrachte sie auch ihre Kindheit. Später zog sie mit ihrer Familie nach Kabul in den Stadtteil XXXX . Vorübergehend lebte sie auch im Provinz Nangarhar, Dorf XXXX bei der Familie ihres Ehemannes. Sie gehört der Volksgruppe der Paschtunen an und ist sunnitische Muslima. Ihre Muttersprache ist Paschto, sie spricht auch Dari sowie Farsi.

In Afghanistan besuchte die BF zwölf Jahre lang die Schule und kümmerte sich um den Haushalt ihrer Kernfamilie. Auch absolvierte sie in Kabul den (theoretischen Teil des) Führerschein(s).

Die Eltern und Geschwister, zwei Brüder und drei Schwestern, der Beschwerdeführerin leben nach wie vor in Kabul im Stadtteil XXXX . Mit diesen steht sie regelmäßig in Kontakt. Sie hat auch noch weitere Verwandte in Afghanistan, die in Nangarhar und Kabul leben. In Afghanistan lebte die BF bis zu ihrer Ausreise bei ihrer Familie in Kabul, die ihren Lebensunterhalt durch die Herstellung von Ziegelsteinen bestritt.

Die Beschwerdeführerin ist gesund und seit 2014 mit XXXX verheiratet. Am XXXX 2021 brachte sie eine Tochter zur Welt. Ihr Ehemann (W163 2134640-1/17E) und ihre Schwiegermutter (W163 2134637-1/17E) sind in Österreich asylberechtigt, ihrem Schwiegervater wurde subsidiärer Schutz gewährt (C17 419656-1/2011).

Die Beschwerdeführerin reiste am 20.11.2020 mit einem Visum D legal per Flugzeug ins Bundesgebiet ein und ist seitdem durchgehend im Bundesgebiet aufhältig. Bisher hat sie weder einen Deutschkurs besucht, noch sich für einen angemeldet oder ist für einen vorgemerkt.

Die Beschwerdeführerin ist strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zum Fluchtgrund:

Die Beschwerdeführerin war in Afghanistan keiner konkreten individuellen Verfolgung ausgesetzt und wurden von ihr keine asylrelevanten Gründe für das Verlassen ihres Heimatstaates dargetan. Es wird festgestellt, dass der Beschwerdeführerin im Falle der Rückkehr nach Afghanistan keine konkrete individuelle Verfolgungsgefahr droht.

Der Beschwerdeführerin droht in Afghanistan aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung keine Verfolgung.

Bei der Beschwerdeführerin liegt keine vertiefte westliche Orientierung vor. Ihre Lebensweise ist nicht derart selbstbestimmt, dass dies bei einer Rückkehr nach Afghanistan als gegen die sozialen Sitten verstoßend und die sie exponierend wahrgenommen wird. Eine solche Lebensweise und eine sich an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als "westlich" bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild ist auch nicht wesentlicher Bestandteil ihrer Identität.

Bei der Beschwerdeführerin ist keine derart fortgeschrittene Persönlichkeitsentwicklung zu erkennen, aufgrund derer eine Verinnerlichung eines "westlichen Verhaltens" oder eine "westlichen Lebensführung" als wesentlicher Bestandteil ihrer Identität angenommen werden kann.

Die Beschwerdeführerin verließ Afghanistan, um in Österreich mit ihrem Ehemann zu leben.

Die Beschwerdeführerin wäre in Afghanistan auch nicht als Frau auf sich alleine gestellt, da sie verheiratet ist. Zudem wurde ihr in Österreich subsidiärer Schutz gewährt.

1.3. Zur Lage im Herkunftsstaat/ maßgebliche Situation in Afghanistan:

Frauen

Art. 22 der afghanischen Verfassung besagt, dass jegliche Form von Benachteiligung oder Bevorzugung unter den Bürgern Afghanistans verboten ist. Die Bürger Afghanistans, sowohl Frauen als auch Männer, haben vor dem Gesetz gleiche Rechte und Pflichten (CoA 26.01.2004). Afghanistan verpflichtet sich in seiner Verfassung durch die Ratifizierung internationaler Konventionen und durch nationale Gesetze, die Gleichberechtigung und Rechte von Frauen zu achten und zu stärken. In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der Umsetzung dieser Rechte (AA 16.07.2020). Nach wie vor gilt Afghanistan als eines der weltweit gefährlichsten Länder für Frauen (REU 26.06.2018).

Während sich die Situation der Frauen seit dem Ende der Taliban-Herrschaft insgesamt ein wenig verbessert hat (HRW 30.06.2020; vgl. STDOK 25.06.2020, AA 16.07.2020), können sie ihre gesetzlichen Rechte innerhalb der konservativ-islamischen, durch Stammestraditionen geprägten afghanischen Gesellschaft oft nur eingeschränkt verwirklichen. Viele Frauen sind sich ihrer in der Verfassung garantierten und auch gewisser vom Islam vorgegebenen Rechte nicht bewusst (AA 16.07.2020; vgl.: REU 02.12.2019, STDOK 25.06.2020). Eine Verteidigung ihrer Rechte ist in einem Land, in dem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt und überwiegend von männlichen Richtern oder traditionellen Stammesstrukturen bestimmt wird, nur in eingeschränktem Maße möglich. Staatliche Akteure aller drei Gewalten sind häufig nicht in der Lage oder aufgrund tradierter Wertevorstellungen nicht gewillt, Frauenrechte zu schützen. Gesetze zum Schutz und zur Förderung der Rechte von Frauen werden nur langsam umgesetzt. Das Personenstandsgesetz enthält diskriminierende Vorschriften für Frauen, insbesondere in Bezug auf Heirat, Erbschaft und Bewegungsfreiheit (AA 16.07.2020; vgl. STDOK 25.06.2020).

Seit dem Fall der Taliban wurden jedoch langsam Fortschritte in dieser Hinsicht erreicht, welche hauptsächlich in urbanen Zentren wie z.B. Herat-Stadt zu sehen sind. Das Stadt-Land-Gefälle und die Sicherheitslage sind zwei Faktoren, welche u.a. in Bezug auf Frauenrechte eine wichtige Rolle spielen. Einem leitenden Mitarbeiter einer in Herat tätigen Frauenrechtsorganisation zufolge kann die Lage der Frauen innerhalb der Stadt nicht mit den Lebensbedingungen der Bewohnerinnen ländlicher Teile der Provinz verglichen werden. Daher muss die Lage von Frauen in Bezug auf das jeweilige Gebiet betrachtet werden. Die Lage der Frau stellt sich in ländlichen Gegenden, wo regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv sind und die Sicherheitslage volatil ist, anders dar als z.B. in Herat-Stadt (STDOK 13.06.2019). In der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif und den angrenzenden Distrikten sind die Lebensumstände für Frauen verglichen mit anderen Landesteilen beispielsweise gut. Hier gibt es Frauen, welche sich frei bewegen, studieren oder arbeiten können und auch selbst entscheiden dürfen, ob sie heiraten oder nicht. Es gibt aber auch in Mazar-e Sharif Frauen, deren Familien dies nicht erlauben (STDOK 21.07.2020).

Die afghanische Regierung wird von den Vereinten Nationen (UN) als ehrlicher und engagierter Partner im Kampf gegen Gewalt an Frauen beschrieben (EASO 12.2017; vgl. STDOK 4.2018, UNAMA/OHCHR 5.2018), der sich bemüht, Gewalt gegen Frauen - beispielsweise Ermordung, Prügel, Verstümmelung, Kinderheirat und weitere schädliche Praktiken - zu kriminalisieren und Maßnahmen zur Rechenschaftspflicht festzulegen (UNAMA/OHCHR 5.2018). Jedoch ist sexuelle Belästigung in Afghanistan, speziell innerhalb der afghanischen Regierung, im Präsidentenpalast sowie anderen Regierungsinstitutionen sowohl national als auch international zum Thema regelmäßiger Diskussionen geworden (STDOK 25.06.2020; vgl. AT 06.11.2019). Aus verschiedenen Regierungsbüros berichten seit Mai 2019 vermehrt afghanische Frauen von sexueller Belästigung durch männliche Kollegen und hochrangige Personen (STDOK 25.06.2020; vgl. RY 01.08.2019, BBC 10.07.2019).

Die afghanische Regierung hat die erste Phase des nationalen Aktionsplans (NAP) zur Umsetzung der UN-Resolution 1325 (aus dem Jahr 2000) des UN-Sicherheitsrates implementiert; dies führte zu einer stärkeren Vertretung von Frauen in öffentlichen Einrichtungen, wie z.B. dem Hohen Friedensrat. Gemäß Art. 83 und 84 sind Maßnahmen für die Teilnahme von Frauen im Ober- und Unterhaus des Parlamentes vorsehen (WILFPFA 7.2019). Unter anderem hat die afghanische Regierung das nationale Schwerpunktprogramm „Women’s Economic Empowerment“ gestartet. Um Gewalt und Diskriminierung gegen Frauen zu bekämpfen, hat die Regierung in Afghanistan die Position eines stellvertretenden Generalstaatsanwalts geschaffen, der für die Beseitigung von Gewalt gegen Frauen und Kinder zuständig ist. Es wurden Kommissionen gegen Belästigung in allen Ministerien eingerichtet. Des Weiteren hat der Oberste Gerichtshof eine spezielle Abteilung geschaffen, um Fälle von Gewalt gegen Frauen zu überprüfen. Darüber hinaus waren in mehr als 20 Provinzen Sondergerichte zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen tätig (UNGA 28.02.2019). So hat die afghanische Regierung u.a. gemeinsam mit der internationalen Gemeinschaft verschiedene Projekte zur Reduzierung der Geschlechterungleichheit gestartet. Das Projekt „Enhancing Gender Equality and Mainstreaming in Afghanistan“ (EGEMA) beispielsweise ist ein Gemeinschaftsprojekt der afghanischen Regierung und des UNDP (United Nations Development Program) Afghanistan und hat den Hauptzweck, das Ministerium für Frauenrechte (MoWA) zu stärken. Es läuft von Mai 2016 bis Dezember 2020 (UNDP o.D.).

Im Zuge der Friedensverhandlungen bekannten sich die Taliban zu jenen Frauenrechten (STDOK 25.06.2020; vgl. BBC 27.02.2020, BP 31.08.2020, TN 31.05.2019, Taz 06.02.2019), die im Islam vorgesehen sind, wie zu lernen, zu studieren und sich den Ehemann selbst auszuwählen. Zugleich kritisierten sie, dass „im Namen der Frauenrechte“ Unmoral verbreitet und afghanische Werte untergraben würden (Taz 06.02.2019). Die Taliban haben während ihres Regimes afghanischen Frauen und Mädchen Regeln oktroyiert, die auf ihren extremistischen Interpretationen des Islam beruhen und die ihnen ihre Rechte - einschließlich des Rechts auf Schulbesuch und Arbeit - vorenthalten und Gewalt gegen sie gerechtfertigt haben (USAT 03.09.2019). Die afghanischen Frauen sind jedoch ob der Verhandlungen mit den Taliban besorgt und fürchten um ihre mühsam erkämpften Rechte (BP 31.08.2020; vgl. WP 12.09.2020). Eine jener vier Frauen, die an den Verhandlungen mit den Taliban teilnehmen, glaubt nicht, dass sich die Taliban-Kämpfer, die an der Frontlinie stehen, geändert hätten (BP 31.08.2020).

Restriktive Einstellung und Gewalt gegenüber Frauen betreffen jedoch nicht nur Gegenden, welche unter Taliban-Herrschaft stehen, sondern hängen grundsätzlich mit der Tatsache zusammen, dass die afghanische Gesellschaft zum Großteil sehr konservativ ist. Gewalt gegenüber Frauen ist sehr oft auch innerhalb der Familien gebräuchlich. So kann bezüglich der Behandlung von Frauen insbesondere in ländlichen Gebieten grundsätzlich kein großer Unterschied zwischen den Taliban und der Bevölkerung verzeichnet werden. In den Städten hingegen ist die Situation ganz anders (STDOK 13.06.2019; vgl. STDOK 25.06.2020).

Das afghanische Frauenministerium dokumentierte innerhalb eines Jahres (November 2018 – November 2019) 6.449 Fälle von Gewalt und Missbrauch gegen Frauen. Der Großteil dieser Fälle wurde in den Provinzen Kabul, Herat, Kandahar und Balkh registriert. Dem Frauenministerium zufolge wurden rund 2.886 Fälle an Ermittlungsbehörden und Gerichte weitergeleitet, 456 Frauen bekamen Anwälte zugewiesen, und 682 Fälle wurden durch Mediation zwischen den Parteien gelöst. Außerdem wurden 2.425 Fälle an Organisationen weitergeleitet, die sich für Frauenrechte einsetzen (STDOK 25.06.2020; vgl. RFE/RL 25.11.2019). Im Vergleich dazu registrierte die AIHRC (Afghanistan Independent Human Rights Commission) für den Untersuchungsraum 2019 4.693 Vorfälle und für 2018 4.329 Vorfälle (AIHCR 23.03.2020; vgl. STDOK 25.06.2020). Ein hohes Maß an Gewalt gegen Frauen ist auf verschiedene Faktoren zurückzuführen, wie z.B. die Sensibilisierung der Frauen für ihre Menschenrechte und die Reaktion auf häusliche Gewalt, ein geringes öffentliches Bewusstsein für die Rechte der Frauen, eine schwache Rechtsstaatlichkeit und die Ausbreitung von Unsicherheit in verschiedenen Teilen des Landes (AIHRC 23.03.2020). Die afghanische Regierung versäumt es weiterhin, hochrangige Beamte, die für sexuelle Übergriffe verantwortlich sind, strafrechtlich zu verfolgen (HRW 13.01.2021).

Als "verwestlicht" wahrgenommene Personen:

Berichten zufolge werden Personen von regierungsfeindlichen Kräften angegriffen, die vermeintlich Werte und/oder ein Erscheinungsbild angenommen haben, die mit westlichen Ländern in Verbindung gebracht werden, und denen deshalb unterstellt wird, die Regierung und die internationale Gemeinschaft zu unterstützen. UNHCR ist der Ansicht, dass - je nach den Umständen des Einzelfalls - für solche Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung oder mit der internationalen Gemeinschaft einschließlich der internationalen Streitkräfte verbunden sind, oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen, ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz aufgrund ihrer (zugeschriebenen) politischen Überzeugung oder aufgrund anderer relevanter Gründe bestehen kann.

Dokumentierte Fälle eines gezielten Vorgehens gegen zurückkehrende Afghanen auf Grundlage einer "Verwestlichung", weil diese in Europa gereist wären oder dort gelebt hätten, westliche Ausweisdokumente in ihrem Besitz oder Ideen angenommen hätten, welche als "unafghanisch", "westlich" oder "europäisch" angesehen werden, sind spärlich. Uneinheitliche Beschreibungen aus Quellen nennen vereinzelte Berichte vermeintlicher Entführungen oder sonstige, auf Einzelne abzielende Verfolgungshandlungen, oder, dass nicht für jede Person ein Risiko besteht, aber, dass solche Handlungen vorkommen, wobei allerdings der Grad und die Verbreitung schwierig zu quantifizieren sind, oder aber, dass Verfolgung nicht spezifisch vorkomme wegen des Asylwerbens oder des Bereisens westlicher Länder.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zur Person der Beschwerdeführerin:

Die Feststellungen zur Identität (Name, Geburtsdatum und -ort) und zur Staatsangehörigkeit ergeben sich aus den Angaben der Beschwerdeführerin beim BFA und in der mündlichen Verhandlung sowie aus dem vorgelegten und unbedenklichen afghanischen Reisepass.

Die übrigen Feststellungen zu ihrer Person, insbesondere zu ihren Wohnorten, zur Volksgruppenzugehörigkeit, zur Religion sowie zu den Sprachkenntnissen ergeben sich aus ihren plausiblen Angaben im Verfahren vor dem BFA und in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie auf die Kenntnis und Verwendung der Sprache Paschto.

Dass die BF zwölf Jahre lang die Schule besuchte, ergibt sich aus ihren gleichbleibenden Angaben dazu bei der Polizei, beim BFA sowie in der mündlichen Verhandlung. Dass sie den Haushalt machte, als sie bei ihrer Familie in Kabul lebte, gründet sich ebenso, wie dass sie den (theoretischen Teil des) Führerschein(s) absolviert hat, auf ihren plausiblen diesbezüglichen Angaben in der mündlichen Verhandlung sowie auf dem beim BFA vorgelegten Führerschein.

Die Feststellungen zur Familie der Beschwerdeführerin, deren Aufenthalt sowie bezüglich ihres Kontaktes mit den Familienmitgliedern gründet auf ihren nachvollziehbaren Ausführungen dazu beim BFA. Dass die BF bis zu ihrer Ausreise bei ihrer Familie in Kabul lebte und diese ihren Lebensunterhalt mit der Herstellung von Ziegelsteinen verdiente, beruht auf ihren plausiblen und im Wesentlichen gleichbleibenden Ausführungen dazu beim BFA und in der mündlichen Verhandlung.

Die Feststellung, dass die BF gesund ist, beruht auf ihren diesbezüglichen Angaben bei der Polizei und beim BFA sowie auf dem Umstand, dass sie nichts Gegenteiliges vorgebracht hat. Aus der beim BFA vorgelegten unbedenklichen Heiratsurkunde sowie aus den Angaben der BF während des gesamten Verfahrens, geht hervor, dass die Beschwerdeführerin mit XXXX verheiratet ist. Auch dass sie Mutter einer Tochter ist, beruht auf ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung und dem Umstand, dass sie sowohl bei der Einvernahme bei der Polizei als auch bei der Befragung durch das BFA schwanger war.

Dass ihr Ehemann und ihre Schwiegermutter asylberechtigt sind und ihrem Schwiegervater subsidiärer Schutz gewährt wurde, geht aus dem Erkenntnis W163 213460-1/17E des Bundesverwaltungsgerichtes vom 28.04.2017 sowie dem Erkenntnis C17 419656-1/2011 des Asylgerichtshofes vom 30.09.2011 hervor.

Die Feststellungen zur Einreise sowie zum Aufenthalt der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet ergeben sich aus dem Verwaltungsakt. Dass sie noch keinen Deutschkurs besucht hat oder sich für eine eingeschrieben hat, ergibt sich aus ihren diesbezüglichen Angaben beim BFA sowie dem Umstand, dass sie keine das Gegenteil aufzeigende Unterlagen vorlegte.

Die strafgerichtliche Unbescholtenheit ergibt sich aus einem Einblick in das Strafregister.

2.2. Zum vorgebrachten Fluchtgrund:

Die Beschwerdeführerin hat weder eine konkrete Verfolgung, noch eine individuelle Bedrohung durch staatliche Organe oder Privatpersonen vorgebracht. Angesichts der Tatsache, dass sich die Beschwerdeführerin nie politisch betätigte und von keinen Problemen mit den Behörden ihres Herkunftsstaates betroffen gewesen ist, ging die belangte Behörde zutreffend vom Nichtbestehen eines realen Risikos einer individuellen Verfolgung der Beschwerdeführerin im Falle ihrer Rückkehr aus, zumal auch die Beschwerdeführerin selbst zu keinem Zeitpunkt ein konkretes Vorbringen in diese Richtung erstattet hat. Sie bezog sich zunächst auf die Fluchtgründe ihres Ehemannes sowie ihrer Schwiegerfamilie. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung schränkte sie ihr Vorbringen jedoch auf eine westliche Orientierung ein.

Die Feststellung, dass die Beschwerdeführerin als Rückkehrerin mit westlicher Orientierung in Afghanistan keiner Verfolgung aus diesem Grund ausgesetzt wäre, ergibt sich aus ihrem diesbezüglich lediglich sehr allgemein gehaltenen sowie oberflächlichen Vorbringen, mit dem mögliche Gewalthandlungen gegen die Person der Beschwerdeführerin nicht hinreichend substantiiert aufgezeigt wurden. In der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde die Beschwerdeführerin aufgefordert ihren aktuellen Lebensstil und Alltag in Österreich zu beschreiben. Darauf gab sie lediglich an, glücklich und dankbar zu sein, gemeinsam mit ihrem Ehemann in Österreich zu sein sowie, dass sich ihr Leben wesentlich verändert habe, seitdem sie hier sei. Sie sei frei und sicher und könne jederzeit das Haus verlassen sowie Arzttermine selbständig wahrnehmen, auch würde sie bei Bedarf Einkaufen gehen. Nachgefragt wie sich ihr Alltag in Österreich von jenem in Afghanistan unterscheide, gab sie im Wesentlichen an, sie habe den Haushalt machen müssen sowie ihren Brüdern bei der Herstellung von Ziegeln helfen. Auch führte sie aus, ihr Vater sei sehr streng gewesen und hätte sie auch geschlagen.

Konkrete bzw. substantiierte Aussagen zu bestimmten, konkreten „westlichen“ Verhaltensweisen wurden nicht getätigt und konnte die Beschwerdeführerin nicht darlegen, wodurch sich ihr „westlicher Lebensstil“ äußern sollte.

Auf die Frage des Behördenvertreters, wie sich ihr Alltag in Österreich gestalte, führte die Beschwerdeführerin aus: „Als Mutter stehe ich jeden Tag rechtzeitig auf. Ich bin Gott sei Dank Muslimin. Ich bete und danach lese ich am Tag ein paar Seiten aus dem Koran. Danach lege ich mich ein bisschen hin, weil jetzt sind die Tage lang und die Nächte sind kurz. Ich kann nicht genug schlafen in der Nacht, weil ich ein kleines Kind habe. Ca. um 11 Uhr stehe ich auf, kümmere mich um meine Tochter und den Haushalt. Ich putze, wasche und kochen für die gesamte Familie. Danach wenn ich Zeit finde, gehe ich runter in den Park. Dort gibt es auch viele Kinder und dort habe ich auch ein paar einheimische weibliche Freunde gefunden. Eine davon ist eine Afghanin.“ (S. 12 VH-Protokoll vom 11.06.2021) Es wird nicht in Frage gestellt, dass die BF mit einem kleinen Baby sehr beschäftigt ist. Dieser Antwort und auch den restlichen Ausführungen der BF und ihres Ehemannes in der mündlichen Verhandlung kann jedoch nicht entnommen werden, wodurch sich der Tagesablauf der BF in Afghanistan von dem in Österreich grundlegend unterscheiden würde. Auch übernimmt ihr Ehemann keine Haushaltsaufgaben, wie dies bei einem westlichen Lebensstil üblich ist. Dem würde, insbesondere da ihr Ehemann derzeit nur geringfügig Arbeit, nichts entgegenstehen.

Auch stehen die Ausführungen der Beschwerdeführerin, wonach sie Arzttermine selbständig wahrnehme im Widerspruch zu den Ausführungen ihres Ehemannes. Dieser gab in der mündlichen Verhandlung an, dass er sowohl zu den Arztterminen seiner Frau als auch seiner Tochter mitgehe, da die BF nicht über die nötigen Deutschkenntnisse verfüge. Die BF gehe lediglich alleine mit ihrer Tochter zum Kinderarzt, wenn dort eine farsi-sprechende Ärztin im Dienst sei. Dies zeugt nicht von einem westlichen Lebensstil der BF und deutet auch nicht auf eine westliche Orientierung hin.

Insbesondere nicht, da die Beschwerdeführerin bisher weder einen Deutschkurs besucht hat noch für einen angemeldet ist. Auch entstand in der mündlichen Verhandlung, nicht der Eindruck, dass sie in naher Zukunft plant einen Deutschkurs zu besuchen. Wäre dies der Fall, hätte die Beschwerdeführerin entsprechende Unterlagen vorgelegt und genaue Angaben dazu getätigt. Das erkennende Gericht verkennt nicht, dass sich die BF erst seit etwas mehr als einem halben Jahr in Österreich aufhält und erst vor drei Monaten Mutter wurde. Wäre jedoch ihre westliche Orientierung verfestigt und würde sie einen westlichen Lebensstil anstreben, würde sie der allgemeinen Lebenserfahrung nach möglichst schnell Deutsch lernen wollen und sich informieren, wie sie dies schnellst möglich tun kann. Da dies eine wesentliche Voraussetzung ist, um im Alltag selbständig zu werden, und eben auch Arzttermine alleine wahrnehmen zu können, sowie um das von ihr geplante Studium absolvieren zu können.

Denn die Beschwerdeführerin gab an, Rechtsanwältin werden zu wollen und führte aus, dafür müsse sie zuerst Deutsch lernen, dann fünf Jahre studieren sowie in einer Kanzlei und bei Gericht arbeiten. Auch ein Studienbeitrag sei zu bezahlen. Auch wenn diese Angaben stimmen, sind sie sehr oberflächlich gehalten und wirkten auf das erkennende Gericht, wie eine auswendig gelernte Antwort und nicht als hätte sie sich die BF selbst tiefergehend damit auseinandergesetzt. Dies unter anderem auch deshalb, weil der Beschwerdeführerin nicht bewusst war, dass man für das Studium der Rechtswissenschaften laut Studienplan des Jus Studiums der Universität Wien Lateinkenntnisse benötigt. Dieser Eindruck wurde durch die Angaben ihres Ehemannes noch weiter verstärkt, wonach es alleine drei Jahre dauerte seine Schulabschlussunterlagen zu nostrifizieren und er nun zwei Jahre lang den VWU (Anmerkung: Vorstudienlehrgang der Wiener Universitäten) besuchen müsse, um anschließend zu einem Universitätsstudium zugelassen zu werden. Da er, wie die BF, in Afghanistan zwölf Jahre lang die Schule besucht hat, wird auch sie eine gewisse Zeit den VWU besuchen müssen sowie ihren Schulabschluss nostrifizieren lassen müssen. Die BF gab an, sie wolle, sobald ihre Tochter den Kindergarten besucht, mit dem Studium beginnen. Wenn man bedenkt, dass die BF bevor sie den VWU besuchen kann, Deutsch lernen muss und annimmt, die Tochter besucht ab einem Alter von drei Jahren den Kindergarten, ist nicht nachvollziehbar, wie sich die BF vorstellen kann zu diesem Zeitpunkt bereits mit dem Studium zu beginnen. Insgesamt machte ihre Angabe, Rechtsanwältin werden zu wollen und sich für Frauenrechte einsetzen zu wollen, somit einen asyltaktischen Eindruck und ist nicht auf eine verfestigte westliche Orientierung zurückzuführen.

Dass die Beschwerdeführerin in Kabul als Frau den Führerschein gemacht hat, zeugt ebenfalls nicht von einer nachhaltig verfestigten westlichen Orientierung. So gab sie in der mündlichen Verhandlung selbst an, sie habe den Führerschein gemacht, weil ihr Ehemann ihr gesagt habe, dann wäre es in Österreich leichter. Diese Ausführungen lassen nicht auf eine selbstbestimmte westlich orientierte Frau schließen, die den Führerschein gemacht hat, um unabhängiger zu sein. Vielmehr entsteht auch hier der Eindruck einer asyltaktischen Überlegung. In der mündlichen Verhandlung stellte sich auch heraus, dass die Beschwerdeführerin in Afghanistan lediglich den theoretischen Teil der Prüfung absolviert hat und noch nie selbst ein Auto gefahren ist. Die BF vermittelte insgesamt nicht den Eindruck ein besonderes Interesse an ihrem Führerschein zu haben. Zumal sie auch nicht wusste, wer in Afghanistan für den praktischen Teil des Führerscheins zuständig ist. Auch ist davon auszugehen, dass die BF ihren Führerschein bisher – sofern dies möglich ist – nicht umschreiben lies, da keine diesbezüglichen Unterlagen vorgelegt wurden und die BF auch keine Angaben dazu machte.

Ebenso vermochten die Angaben der als Zeugen einvernommenen Schwiegereltern der BF das erkennende Gericht nicht von ihrer westlichen Orientierung zu überzeugen. So gab ihre Schwiegermutter an, es stehe der BF frei sich so zu kleiden, wie sie es wolle. Dies alleine zeugt nicht von einer westlichen Orientierung, zumal die Beschwerdeführerin bei der mündlichen Verhandlung ein Kopftuch trug. Des Weiteren führte die Schwiegermutter der BF auf Nachfrage des Behördenvertreters aus, die BF würde in Afghanistan dasselbe Leben führen wie in Österreich.

Gefragt, ob sie im Alltag in Österreich, wie während der mündlichen Verhandlung, ein Kopftuch trägt, gab die Beschwerdeführerin an, sie wäre meistens so gekleidet und im Privatleben hätten sie eine Art traditionell-afghanische Kleidung. Diese Angaben sind ein weiteres Indiz dafür, dass bei der Beschwerdeführerin keine nachhaltige und verfestigte westliche Orientierung gegeben ist. Das erkennende Gericht verkennt nicht, dass auch eine westlich orientierte Frau ein Kopftuch tragen kann, aber in einer Gesamtschau der Umstände, spricht auch dieser Umstand nicht für das tatsächliche Vorliegen einer westlichen Orientierung bei der BF.

Aufgrund des, in der Verhandlung gewonnenen, persönlichen Eindrucks der Beschwerdeführerin ist somit nach Ansicht des erkennenden Gerichts nicht davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin eine westliche Lebenseinstellung in einer ihr in Afghanistan exponierenden Intensität übernommen hat. Es ist auch nicht erkennbar, warum gerade die Beschwerdeführerin gegenüber hunderttausend anderen Rückkehrern in eine derart exponierte Lage geraten soll, dass sie auf Grund ihres Lebensstils oder auf Grund ihres Aufenthaltes in einem westlichen Land bzw. im Iran psychischer oder physischer Bedrohung in Afghanistan ausgesetzt wäre. So blieb das diesbezügliche Vorbringen der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung vage und konnte sie keine hinreichend substantiierte Bedrohung ihrer Person im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan aufzeigen.

Dabei ist dem erkennenden Gericht auch bewusst, dass die Beschwerdeführerin erst seit etwas mehr als einem halben Jahr in Österreich ist und es ihr dementsprechend auch noch nicht möglich gewesen wäre eine völlig westliche Lebensweise anzunehmen. Diese kurze Zeit und der Umstand, dass bei genauer Betrachtung des Vorbringens der BF keine wirklichen Indizien vorliegen, die für eine nachhaltig verfestigte westliche Orientierung sprechen, war das Vorliegen dieser zu verneinen und in der Folge festzustellen, dass sie nach Österreich kam, um mit ihrem Ehemann hier zu leben, zumal sie dies im Laufe des Verwaltungsverfahrens mehrmals selbst angab.

In der Folge droht ihr in Afghanistan keine Verfolgung oder sonstige Gefahr aufgrund einer westlichen Orientierung.

2.3. Zur Situation im Falle der Rückkehr und zur Lage im Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat ergeben sich aufgrund des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation (Gesamtaktualisierung am 31.03.2021), den EASO-Richtlinien (Country Guidance Afghanistan) von Dezember 2020 und der UNHCR-RL vom 30.08.2018.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:

Gemäß § 9 Abs. 2 FPG und § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA.

Da sich die gegenständliche Beschwerde gegen einen Bescheid des BFA richtet, ist das Bundesverwaltungsgericht für die Entscheidung zuständig.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu A) Abweisung der Beschwerde:

Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Asylantrag gestellt hat, soweit der Antrag nicht gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl. 2004 Nr. L 304/12 [Statusrichtlinie] verweist). Damit will der Gesetzgeber an die Gesamtheit der aufeinander bezogenen Elemente des Flüchtlingsbegriffs der GFK anknüpfen (VwGH 24.3.2011, 2008/23/1443). Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offen steht oder, wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (idF des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) - deren Bestimmungen gemäß § 74 AsylG 2005 unberührt bleiben - ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren." (vgl. VfSlg. 19.086/2010; VfGH 12.6.2010, U 613/10).

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. zB VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011; 17.3.2009, 2007/19/0459; 28.5.2009, 2008/19/1031). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde (vgl. VwGH 19.12.2007, 2006/20/0771; 17.3.2009, 2007/19/0459; 28.5.2009, 2008/19/1031; 6.11.2009, 2008/19/0012). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011; 28.5.2009, 2008/19/1031. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 9.9.1993, 93/01/0284; 15.3.2001, 99/20/0128; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.3.1995, 95/19/0041; 27.6.1995, 94/20/0836; 23.7.1999, 99/20/0208; 21.9.2000, 99/20/0373; 26.2.2002, 99/20/0509 mwN; 12.9.2002, 99/20/0505; 17.9.2003, 2001/20/0177; 28.10.2009, 2006/01/0793; 23.2.2011, 2011/23/0064) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (VwGH 22.3.2000, 99/01/0256 mwN).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe Dritter präventiv zu schützen (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191; 28.10.2009, 2006/01/0793; 19.11.2010, 2007/19/0203; 23.2.2011, 2011/23/0064; 24.3.2011, 2008/23/1101). Für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht - unter dem Fehlen einer solchen ist nicht "zu verstehen, dass die mangelnde Schutzfähigkeit zur Voraussetzung hat, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht" (VwGH 22.3.2000, 99/01/0256) -, kommt es darauf an, ob jemand, der von dritter Seite (aus den in der GFK genannten Gründen) verfolgt wird, trotz staatlichem Schutz einen - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteil aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat (vgl. VwGH 22.3.2000, 99/01/0256 im Anschluss an Goodwin-Gill, The Refugee in International Law2 [1996] 73; weiters VwGH 26.2.2002, 99/20/0509 mwN; 20.9.2004, 2001/20/0430; 17.10.2006, 2006/20/0120; 13.11.2008, 2006/01/0191; 28.10.2009, 2006/01/0793; 19.11.2010, 2007/19/0203; 23.2.2011, 2011/23/0064; 24.3.2011, 2008/23/1101). Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er auf Grund staatlicher Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ob ihm dieser Nachteil mit derselben Wahrscheinlichkeit auf Grund einer Verfolgung droht, die von anderen ausgeht und die vom Staat nicht ausreichend verhindert werden kann. In diesem Sinne ist die oben verwendete Formulierung zu verstehen, dass der Herkunftsstaat "nicht gewillt oder nicht in der Lage" sei, Schutz zu gewähren (VwGH 26.2.2002, 99/20/0509). In beiden Fällen ist es dem Verfolgten nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen (vgl. VwGH 22.3.2000, 99/01/0256; 13.11.2008, 2006/01/0191; 28.10.2009, 2006/01/0793; 19.11.2010, 2007/19/0203; 23.2.2011, 2011/23/0064; 24.3.2011, 2008/23/1101).

Im gegenständlichen Fall sind nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes die dargestellten Voraussetzungen, nämlich eine "begründete Furcht vor Verfolgung" im Sinne von Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK, nicht gegeben.

Die Beschwerdeführerin stützte ihr Fluchtvorbringen auf die Furcht vor Verfolgung aufgrund ihrer westlichen Orientierung. Eine Verfolgungsgefahr ist nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0132; 23.09.1998, 98/01/0224; 26.11.1998, 98/20/0309, u. v.a.). Dem Vorbringen der Beschwerdeführerin war jedoch, wie bereits in der Beweiswürdigung dargelegt, keine der Beschwerdeführerin selbst mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohende individuelle, in ihrer Person liegende, Verfolgung durch die afghanische Regierung oder sonstige Personen zu entnehmen.

Zum Vorbringen hinsichtlich der westlichen Orientierung ist auszuführend, dass – wie beweiswürdigend ausgeführt – diese von der Beschwerdeführerin lediglich aus asyltaktischen Gründen vorgebracht wurde und diese nicht nachhaltig verinnerlicht und verfestigt ist und der Beschwerdeführerin in der Folge deswegen nicht die Gefahr einer Verfolgung droht.

Im Verfahren haben sich auch sonst keine Anhaltspunkte ergeben, die eine Verfolgung aus asylrelevanten Gründen im Herkunftsstaat für maßgeblich wahrscheinlich erscheinen ließen:

Die allgemeine Lage in Afghanistan ist nicht dergestalt, dass bereits jedem, der sich dort aufhält, der Status eines Asylberechtigten zuerkannt werden müsste (vgl. etwa AsylGH 07.06.2011, C1 411.358-1/2010/15E, sowie den diesbezüglichen Beschluss des VfGH vom 19.09.2011, Zahl U 1500/11-6 u.v.a.).

Auch aus der wirtschaftlich schlechten Lage in Afghanistan lässt sich für die Beschwerdeführerin eine Zuerkennung des Status einer Asylberechtigten nicht herleiten: Eine allgemeine desolate wirtschaftliche und soziale Situation stellt nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes keinen hinreichenden Grund für eine Asylgewährung dar (vgl. etwa VwGH vom 14.3.1995, 94/20/0798; 17.6.1993, 92/01/1081). Wirtschaftliche Benachteiligungen können nur dann asylrelevant sein, wenn sie jegliche Existenzgrundlage entziehen (vgl. etwa VwGH 9.5.1996, 95/20/0161; 30.4.1997, 95/01/0529, 8.9.1999, 98/01/0614). Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Judikatur erkennt, reicht auch der Verlust (oder die Schwierigkeit der Beschaffung) eines Arbeitsplatzes nicht aus, eine Asylgewährung zu begründen, solange damit nicht eine ernsthafte Bedrohung der Lebensgrundlage verbunden ist (VwGH 19.06.1997, 95/20/0482; vgl. 28.05.1994, 94/20/0034). Aber selbst für den Fall des Entzugs der Existenzgrundlage ist eine Asylrelevanz nur dann anzunehmen, wenn dieser Entzug mit einem in der GFK genannten Anknüpfungspunkt - nämlich der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung - zusammenhängt, was im vorliegenden Fall zu verneinen ist.

Da es der Beschwerdeführerin nicht gelungen ist, asylrelevante Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention in ihrem Herkunftsstaat glaubhaft darzutun, war der Antrag auf internationalen Schutz der Beschwerdeführerin gem. § 3 AsylG 2005 abzuweisen. Und es war spruchgemäß zu entscheiden.

Soweit auf Seite 165 des BFA Bescheids von „Syrien“ als Herkunftsland die Rede ist, ist zu vermerken, dass es sich um einen gem. § 62 Abs. 4 AVG korrigierbaren Fehler handelt und an dessen Stelle „Afghanistan“ zu lesen ist.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs.4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.

Schlagworte

alleinstehende Frau Asylantragstellung asylrechtlich relevante Verfolgung Asylverfahren begründete Furcht vor Verfolgung Bürgerkrieg Fluchtgründe Glaubhaftmachung Glaubwürdigkeit mündliche Verhandlung Verfolgungsgefahr Verfolgungshandlung westliche Orientierung wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W228.2242264.1.00

Im RIS seit

03.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

03.12.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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