TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/20 W176 2220546-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.07.2021
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Entscheidungsdatum

20.07.2021

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z15
AsylG 2005 §2 Abs1 Z22
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs1
AsylG 2005 §34 Abs2
AsylG 2005 §34 Abs4
AsylG 2005 §34 Abs5
AsylG 2005 §75 Abs24
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W176 2220547-1/9E
W176 2220544-1/10E
W176 2220546-1/9E
W176 2220545-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. NEWALD über die Beschwerden von (1.) XXXX , geboren am XXXX , (2.) XXXX , geboren am XXXX , (3.) XXXX , geboren am XXXX und (4.) XXXX , geboren am XXXX alle StA Syrien, jeweils gegen Spruchpunkt I. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.05.2019, Zlen. (1.) 1212830807-181110321, (2.) 1212831303-181110305, (3.) 1212829708-181110385 bzw. (4.) 1212830001-181110372, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, zu Recht:

A)

I. Den Beschwerden von XXXX , XXXX und XXXX wird gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 (VwGVG), stattgegeben und XXXX gemäß
§ 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG), der Status von Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

II. Die Beschwerde von XXXX wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 (B-VG), nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

1. Die Beschwerdeführer (die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer sind miteinander traditionell verheiratet und die Dritt- und Viertbeschwerdeführer deren minderjährige Kinder), sind syrische Staatsangehörige, sunnitisch-muslimischen Glaubens und Angehörige der arabischen Volksgruppe. Sie stellten jeweils am XXXX .11.2018 bei der Landespolizeidirektion Wien jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz.

Bei der Erstbefragung am selben Tag nannte die Erstbeschwerdeführerin als Fluchtgrund, eine ihrer Töchter sei im Jahr 2015 von einer Bombe getroffen und wie ihr Schwiegervater sowie andere Familienangehörige getötet worden. Sie wolle nicht, dass auch andere ihrer Kinder sterben müssen. Es gebe keine Sicherheit in ihrem Land und das Regime habe ihren Mann als Reservisten einberufen wollen. Bei einer Rückkehr fürchte sie sich vor dem Krieg und dass ihrem Mann eine Gefängnisstrafe drohen könnte.

Der Zweitbeschwerdeführer führte bei der Erstbefragung als Fluchtgrund ebenfalls den Vorfall im Jahr 2015 an, beim dem eine seiner Töchter, sein Vater und andere Familienangehörige getötet worden seien. Es gebe keine Sicherheit in Syrien und das Regime habe ihn als Reservisten einberufen wollen; er wolle jedoch nicht in den Krieg ziehen und Unschuldige töten. Bei einer Rückkehr fürchte er sich vor dem Krieg und dass ihm eine Gefängnisstrafe als Fahnenflüchtiger drohen könnte.

Im Rahmen der Erstbefragung legte der Zweitbeschwerdeführer seinen syrischen Reisepass vor. Die Erstbeschwerdeführerin gab an, über keine syrischen Identitätsdokumente zu verfügen.

2. Am XXXX .2019 wurden die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer vor dem Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden auch: belangte Behörde, BFA) niederschriftlich einvernommen.

Dabei gab die Erstbeschwerdeführerin zusammengefasst an, in der Stadt Aleppo geboren zu sein und dort bis zu ihrer Heirat im Jahr 2014 gelebt zu haben; dann sei sie in den Ort XXXX , welcher ebenfalls im Gouvernment Aleppo liege, gezogen. Sie habe ihren Mann (traditionell) 2014 in XXXX im Haus von dessen Eltern geheiratet. Befragt zu ihren Fluchtgründen führte sie aus, Syrien wegen dem Tod ihrer Tochter sowie der Angst, dass ihren anderen Kindern etwas passieren könnte, verlassen zu haben. Ihr Mann habe seinen Militärdienst bereits abgeleistet; er sei zwar nicht als Reservist einberufen worden, sie habe aber dennoch Angst gehabt, dass die Kurden oder die Freie Syrische Armee (FSA) ihr ihren Mann „wegnehmen“ könnten. Bei einer Rückkehr habe sie Angst, dass ihre Kinder ums Leben kommen würden.

Der Zweitbeschwerdeführer gab bei seiner Einvernahme im Wesentlichen an, er sei im Sommer 2013 von der FSA zu Hause entführt worden. Es hätten Männer an seiner Tür geklopft, ihm einen Sack über den Kopf gestülpt, die Hände auf den Rücken verbunden und er sei in ein Auto gebracht worden, mit dem er zu einem Gebäude gebracht worden sei. Die Männer hätten ihm dann sein Handy weggenommen und seinen Vater angerufen und hätten von diesem 40.000 Dollar Lösegeld gefordert. Sein Vater habe dann den Betrag gezahlt; so sei er wieder freigekommen. Die Entführer hätten offenbar gewusst, dass sein Vater Geld gehabt habe; seine Familie habe damals einen Handel mit Glasflaschen und Baumwolle betrieben.

Nach seiner Entführung habe er dann den Entschluss gefasst, Syrien zu verlassen. Er sei dann in den Libanon gereist, dann weiter in die Türkei und sei dann letztlich wieder nach Syrien (nach XXXX ) zurückgekehrt. Dann habe er geheiratet und es sei dann sehr schwierig gewesen, sein Wohngebiet zu verlassen, weil man dafür eine Bürgschaft und eine Genehmigung benötigt hätte. Sein Wohngebiet sei zeitweise unter IS-Kontrolle gestanden; es habe dann heftige militärische Auseinandersetzungen zwischen dem IS und kurdischen Streitkräften gegeben und kurdische Einheiten hätten ihnengesagt, dass sie ihr Haus verlassen müssten. Als sie auf der Straße unterwegs gewesen seien, sei es in unmittelbarer Umgebung zu einer Minenexplosion gekommen, bei der letztlich eine seiner Töchter, sein Vater sowie weitere Verwandte ums Leben gekommen seien.

20 Tage nach diesem Vorfall seien sie nach Azaz gegangen, wo sie darauf gewartet hätten, die türkische Grenze passieren zu können. Sie seien dann mehr als zwei Jahre in Azaz geblieben und nach vier missglückten Versuchen sei es ihnen schließlich gelungen, die Grenze zu überqueren.

Zu seinen Fluchtgründen befragt verwies der Zweitbeschwerdeführer auf die soeben geschilderten Ereignisse. Nach der Explosion, bei der seine Tochter ums Leben gekommen sei, habe er gesehen, dass sie in Syrien nicht mehr bleiben könnten.

Befragt führte er aus, seinen Militärdienst von XXXX bis Jänner XXXX abgeleistet zu haben. Er sei eineinhalb Jahre beim Militär gewesen und im XXXX regulär entlassen worden. Er sei „einfacher Soldat“ bei der Infanterie gewesen. Am Beginn sei ihm 15 Tage lang der Umgang mit einer Kalaschnikow gezeigt worden und sie hätten dreimal den Zusammenbau und die Zerlegung dieser Waffe geübt. Ein einziges Mal hätten sie Schussübungen gehabt. Dann sei er als Wachsoldat vor der Tür einer Kaserne bzw. eines medizinischen Zentrums in Damaskus, wo Militärangehörige behandelt werden, eingesetzt worden.

Befragt, ob er einen Einberufungsbefehl als Reservist erhalten habe, gab er an, keine persönliche Benachrichtigung wegen dem Reservedienst erhalten zu haben. Es seien jedoch die Geburtsjahre, welche zum Reservedienst eingezogen werden (1982-1995), auf Facebook und anderen sozialen Medien veröffentlicht worden. Er habe das nicht mit eigenen Augen gesehen, aber seine Schwester habe ihn von den Geburtsjahren erzählt und dass diese in Damaskus rekrutiert werden würden. Da er XXXX geboren sei, würde bei einer Rückkehr mit Sicherheit zum Reservedienst rekrutiert werden.

Über Frage, ob er seit Absolvierung des Wehrdienstes jemals wieder in Berührung mit dem syrischen Regime gekommen sei, gab er an, zweimal in XXXX von Handlangern des Regimes und von Militärangehörigen mitgenommen und festgehalten worden zu sein. Dabei sei überprüft worden, ob „etwas gegen ihn vorliege“. Er sei dann jeweils wieder am selben Tag freigelassen worden.

3. Mit den angefochtenen Bescheiden wies die belangte Behörde die Anträge auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 i.V.m § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erkannte den Beschwerdeführern gemäß § 8 Abs. 1 AsylG den Status von subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihnen gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 16.05.2020 (Spruchpunkt III.).

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, den Beschwerdeführern drohe bei einer Rückkehr keine asylrelevante Verfolgung. Es sei beim Zweitbeschwerdeführer zum Ausreisezeitpunkt keine Einberufungsabsicht seitens des syrischen Militärs vorgelegen und auch bei einer Rückkehr von keiner Einberufung zum Militärdienst (als Reservist) auszugehen. Es gebe keine Generalmobilmachung in Syrien und diesbezüglich bekräftigende Beweise – wie beispielsweise ein Einberufungsbefehl – habe der Zweitbeschwerdeführer nicht vorgelegt. Aufgrund der Position und der Tätigkeit des Zweitbeschwerdeführer im Rahmen seines Wehrdienstes (Wachsoldat in einem „Militärkrankenhaus“ in Damaskus) sei es äußerst unwahrscheinlich, dass dem Zweitbeschwerdeführer eine Einberufung als Reservist droht. Eine Einberufung zum Reservedienst stehe oft in direktem Zusammenhang mit den im Zuge des Wehrdienstes erworbenen Fähigkeiten; für die Armee von Interesse seien beispielsweise Piloten, Ärzte, Panzerfahrer sowie technisches Personal. Solche besonderen Fähigkeiten habe der Zweitbeschwerdeführer als Wachsoldat jedoch nicht erworben, weshalb von keiner drohenden Einberufung auszugehen sei. Im Ergebnis liege bei den Beschwerdeführern demnach kein Asylgrund vor, weshalb die Anträge hinsichtlich der Zuerkennung von Asyl abzuweisen gewesen seien. Aufgrund des Bürgerkrieges und der damit einhergehenden schlechten Sicherheitslage in Syrien sei den Beschwerdeführern jedoch der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen gewesen.

4. Gegen diese Bescheide erhoben die Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde gegen Spruchpunkt I. der Bescheide, in welcher sie im Wesentlichen vorbrachten, dass dem Zweitbeschwerdeführer aufgrund des akuten Soldatenmangels eine Zwangsrekrutierung der FSA und des syrischen Regimes (als Reservist) drohe. In den (sozialen) Medien seien die zum Reservedienst einberufenen Geburtsjahre (1982 bis 1995) veröffentlicht worden. Da der Zweitbeschwerdeführer 1989 geboren sei, drohe ihm die Zwangsrekrutierung. Den übrigen Beschwerdeführern drohe dadurch aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie Verfolgung.

Sofern die belangte Behörde meine, dass dem Zweitbeschwerdeführer keine Einberufung als Reservist drohe, da er über keine besonderen militärischen Fähigkeiten verfüge, so sei auf den Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 18.01.2018 zu verweisen (SFH- Schweizerische Flüchtlingshilfe: Vorgehen der syrischen Armee bei der Rekrutierung), wonach die Qualifikation eines Reservisten für dessen Einberufung bzw. Rekrutierung zum jetzigen fortgeschrittenen Zeitpunkt des Bürgerkrieges nicht mehr relevant sei.

Darüber hinaus drohe den Beschwerdeführern auch Verfolgung, weil ihr Herkunftsort im umkämpften Kurdengebiet liege und ihnen von den verschiedenen Parteien jeweils eine feindliche politische Gesinnung unterstellt werden würde. Überdies sei davon auszugehen, dass den Beschwerdeführern aufgrund ihrer illegalen Ausreise sowie der Asylantragstellung im Ausland bei einer Rückkehr jedenfalls eine oppositionelle Gesinnung unterstellt werden würde und sie unmittelbar nach ihrer Ankunft in Syrien mit asylrelevanter Verfolgung durch das Regime rechnen müssten.

Bei richtiger Beurteilung hätte die belangte Behörde daher zum Schluss kommen müssen, dass bei den Beschwerdeführern die Voraussetzungen für die Zuerkennung von Asyl vorliegen. Es werde daher beantragt Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides zu beheben und den Beschwerdeführern den Status von Asylberechtigten zuzuerkennen.

5. Am 11.06.2021 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, in welcher die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer als Parteien einvernommen wurden.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung legte der Zweitbeschwerdeführer ein Foto eines auf Arabisch abgefassten Reservisteneinberufungsbefehl samt beglaubigte Übersetzung ins Deutsch (vom 23.03.2020) vor (Beilage ./A):

XXXX

Er führte diesbezüglich aus, er habe den Einberufungsbefehl durch seinen Bruder im Libanon und dieser wiederum durch seine Schwester in XXXX erhalten. Seine Schwester sei bei der Personenstandsbehörde in XXXX gewesen um für sich nach einem Strafregisterauszug zu fragen und dabei habe ihr der Beamte gesagt, dass ihr Bruder als Reservist geführt und gesucht werde und er sich daher unbedingt melden müsse. Aufgrund dessen habe seine Schwester gesagt, dass sie nicht wisse, wo ihr Bruder sei und dass keinerlei Kontakt bestehe. Daraufhin habe ihr der Beamte diese „Bestätigung“ (den Einberufungsbefehl) ausgehändigt, welchen sie ihm im Falle einer Kontaktaufnahme geben solle.

Weiters legte der Zweitbeschwerdeführer ein geöffnetes Versandkuvert von der „Libanon Post, International PostXpress Airway Bill“ vom XXXX .03.2020 vor und führte diesbezüglich aus, dass dies das Kuvert sei, mit welchem sein Bruder ihm den Einberufungsbefehl übermittelt habe.

6. Am 16.06.2021 übermittelte der Zweitbeschwerdeführer dem Gericht den Reservisteneinberufungsbefehl im Original.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

1.1. Zu den Beschwerdeführern

1.1.1. Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer sind miteinander traditionell verheiratet und der Drittbeschwerdeführer sowie die Viertbeschwerdeführerin sind deren minderjährige ledige Kinder. Sie sind alle syrische Staatsangehörige, bekennen sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben und gehören der Volksgruppe der Araber an.

Die Erstbeschwerdeführerin wuchs in der Stadt Aleppo auf und besuchte dort acht Jahre lang die Grundschule. Der Zweitbeschwerdeführer wuchs im Ort XXXX , im Gouvernment Aleppo, auf, besuchte dort neun Jahre lang die Grundschule und arbeitete im Anschluss als Bäcker. Im Jahr 2014 heirateten die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer traditionell in XXXX und die Erstbeschwerdeführerin zog sodann zum Zweitbeschwerdeführer nach XXXX . Die Ehe wurde nicht behördlich registriert.

Im Jahr 2013 wurde der Zweitbeschwerdeführer von der Freien Syrischen Armee (FSA) entführt und einige Tage festgehalten. Er wurde letztlich von seinem Vater durch Bezahlung eines Lösegeldes freigekauft.

Die Stadt XXXX befand sich zeitweise unter Kontrolle des Islamischen Staates (IS). Im Jahr 2015 kam es zu heftigen militärischen Auseinandersetzungen zwischen dem IS und kurdischen Streitkräfte, wodurch die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer sowie deren restliche Familie letztlich gezwungen war, das Familienhaus zu verlassen. Auf der Flucht kam es auf einer Straße in unmittelbarer Umgebung zu einer Minenexplosion, bei der die Tochter der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers sowie weitere Familienmitglieder ums Leben kamen.

Nach diesem Vorfall beschlossen der Zweitbeschwerdeführer und die Erstbeschwerdeführerin Syrien zu verlassen, wobei es zu mehreren missglückten Versuchen kam, von Azaz aus in die Türkei zu gelangen. Am XXXX wurde der Drittbeschwerdeführer und am XXXX die Viertbeschwerdeführerin geboren. Im Mai 2018 gelang es den Beschwerdeführern die syrisch-türkische Grenze (illegal) zu passieren. In der Folge gelangten sie u.a. über Griechenland nach Österreich, wo sie am XXXX .11.2018 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz stellten.

Der Zweitbeschwerdeführer leistete von XXXX bis Anfang XXXX (insgesamt eineinhalb Jahre) seinen Militärdienst bei der syrischen Armee. Er war „einfacher“ Soldat bei der Infanterie und wurde als Wachsoldat für ein Heeresspital in XXXX eingesetzt.

Die Mutter des Zweitbeschwerdeführers, zwei Brüder sowie zwei Schwestern leben nach wie vor in XXXX . Aus der Herkunftsfamilie der Erstbeschwerdeführerin lebt kein (nahes) Familienmitglied mehr in Syrien; ihre Verwandten leben in der XXXX sowie in XXXX .

1.1.2. Für den XXXX -jährigen Zweitbeschwerdeführer besteht bei einer Rückkehr nach Syrien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr, also Reservist zum Wehrdienst bei der syrischen Armee eingezogen zu werden. Der Zweitbeschwerdeführer verweigert die Ableistung des Reservemilitärdienstes.

1.1.3. Für die Erstbeschwerdeführerin besteht bei einer Rückkehr nach Syrien nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr aufgrund (Reserve-)Wehrdienstverweigerung des Zweitbeschwerdeführers Repressalien der syrischen Regierung ausgesetzt zu sein.

1.1.4. Der Zweitbeschwerdeführer ist (wie die Erstbeschwerdeführerin) strafgerichtlich unbescholten (Strafregisterauszug vom 12.07.2021); der Drittbeschwerdeführer und die Viertbeschwerdeführerin sind strafunmündig.

1.2. Zur hier relevanten Situation in Syrien

1.2.1. Die syrischen Streitkräfte – Wehr- und Reservedienst

Für männliche syrische Staatsbürger ist im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes von zwei Jahren gesetzlich verpflichtend. Nach dem Ausbruch des Konfliktes stellte die syrische Regierung die Abrüstung von Rekruten, welche den verpflichtenden Wehrdienst geleistet hatten, ein. 2018 wurde mit der Entlassung der ältesten Rekrutenklassen begonnen, welche seit 2011 im Dienst waren. Zahlreiche Männer leisten ihren Wehrdienst jedoch auch weiterhin über den verpflichtenden Zeitraum hinaus ab.

Gemäß Artikel 15 des Gesetzesdekrets Nr. 30 von 2007 bleibt ein syrischer Mann nach Beendigung des Pflichtwehrdienstes, wenn er sich gegen einen Eintritt in den Militärdienst als Berufssoldat entscheidet, Reservist und kann bis zum Alter von 42 Jahren in den aktiven Dienst einberufen werden. Es liegen einzelne Berichte vor, denen zufolge die Altersgrenze für den Reservedienst erhöht wird, wenn die betreffende Person besondere Qualifikationen hat (das gilt z.B. für Ärzte, Panzerfahrer, Luftwaffenpersonal, Artilleriespezialisten und Ingenieure für Kampfausrüstung). Manche Personen werden wieder zum aktiven Dienst einberufen, andere wiederum nicht, was von vielen verschiedenen Faktoren abhängt. Es ist sehr schwierig zu sagen, ob jemand tatsächlich zum Reservedienst einberufen wird.

(Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 30.06.2021, S. 43)

Berichten zufolge werden Reservisten einberufen, wenn die syrische Armee über einen Mangel an Soldaten verfügt oder auch als Methode, um die Bevölkerung zu kontrollieren. Bestimmte Qualifikationen, wie beispielsweise Panzerfahrer, Ingenieure oder bestimmte berufliche Tätigkeiten, die ein Reservist nach Absolvierung seines Grundwehrdienstes ausübte, beeinflussen, ob jemand zum Reservedienst einberufen wird.

(EASO Syria Military service, Country of Origin Report von April 2021, S. 13).

Reservisten werden wie Rekruten einberufen. Entweder erhalten sie eine Benachrichtigung des Rekrutierungsbüros oder sie werden über öffentliche Aufrufe im Fernsehen, Radio oder über die Presse einberufen. Eine Einberufung könnte z.B. so ablaufen, dass das militärische Rekrutierungsbüro in Damaskus eine bestimmte Anzahl von Reservisten anfordert. Das Büro sendet die entsprechende Liste mit den Namen von Reservisten, die an einem spezifischen Ort leben, an das lokale Rekrutierungsbüro. Das lokale Rekrutierungsbüro beordert in der Folge einen lokalen Polizisten zur Adresse des Reservisten. Wird die Person dort nicht angetroffen, wird ein Familienmitglied aufgefordert, den Antrag zu unterschreiben.

An Checkpoints werden die Männer überprüft, ob sie eine Einberufung als Rekruten oder Reservisten bei sich haben. Eine Quelle von Jänner 2019 spricht von Benachrichtigungen (orig. notifications), die die Reservisten bekommen, und nach deren Erhalt sie sich in einem bestimmten Zeitraum melden müssen.

2015 gingen Quellen davon aus, dass Reservisten aufgrund ihres Alters oder ihrer Qualifikationen einberufen werden. Einige Quellen wiesen 2017 daraufhin, dass heute nicht nur besonders qualifizierte Reservisten einberufen werden, sondern die Einberufung auch Reservisten ohne besondere Qualifikation betrifft. Das Ausmaß der Einberufung von Reservisten unterscheide sich von Region zu Region.

In Kriegszeiten werden Reservisten einberufen. Seit Ende 2012 werden immer mehr Reservisten in den Militärdienst einberufen. An Checkpoints werden Männer überprüft, ob sie eine Einberufung als Rekruten oder Reservisten bei sich haben. Männer, die militärpflichtig sind, brauchen sowohl für einen Pass, wie auch für eine staatliche Arbeitsstelle oder sogar für Heiratszertifikate eine Bewilligung der Armee. Dies macht das Umgehen der Einberufung als Reservisten schwierig. Ist eine Einberufung erlassen, bleibt sie gültig, auch wenn sich die Person nicht meldet. Personen, die während ihres Auslandsaufenthaltes zum Wehrdienst einberufen werden, können bei ihrer Einreise durch die syrischen Behörden identifiziert werden, weil der Name auf einer entsprechenden Suchliste zu finden ist.

Am 06.01.2019 berichtete die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte, dass vertrauenswürdige Quellen bestätigt haben, dass Regimekräfte Listen mit mehr als 15.000 Personen veröffentlichten, die für den Reservedienst in den Provinzen Damaskus und Damaskus-Umland gesucht werden. Personen, die zum Reservedienst eingezogen werden sollen, haben nach Erhalt der Benachrichtigung (orig. notification) maximal 15 Tage Zeit, um sich zu melden. Diejenigen, die das nicht tun, müssen mit Strafverfolgung rechnen.

(Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 11.09.2019, Syrien. Einberufung von Reservisten)

Die syrische Armee hat durch Verluste, Desertion und Überlaufen zu den Rebellen einen schweren Mangel an Soldaten zu verzeichnen. Die syrische Regierung hat das syrische Militärdienstgesetz während des Konflikts mehrfach geändert, um die Zahl der Rekruten zu erhöhen. Der Personalbedarf des syrischen Militärs bleibt unverändert hoch, und seit Dezember 2018 haben sich die Rekrutierungsbemühungen aufgrund dessen sogar noch. Während ein Abkommen zwischen den überwiegend kurdischen Syrian Democratic Forces (SDF) und der syrischen Regierung vom November 2019 die Stationierung von Truppen der syrischen Streitkräfte in vormals kurdisch kontrollierten Gebieten vorsieht, hat die syrische Regierung aufgrund von mangelnder Verwaltungskompetenz bislang keinen verpflichtenden Wehrdienst in diesen Gebieten wiedereingeführt.

Bei der Einberufung neuer Rekruten sendet die Regierung Wehrdienstbescheide mit der Aufforderung, sich zum Militärdienst anzumelden, an Männer, die das wehrfähige Alter erreicht haben. Die Namen der einberufenen Männer werden in einer zentralen Datenbank erfasst. Männer, die sich beispielsweise im Libanon aufhalten, können mittels Bezahlung von Bestechungsgeldern vor ihrer Rückkehr nach Syrien überprüfen, ob sich ihr Name in der Datenbank befindet.

Die Regierung hat in vormals unter der Kontrolle der Oppositionskräfte stehenden Gebieten, wie zum Beispiel Ost-Ghouta, Zweigstellen zur Rekrutierung geschaffen. Wehrdienstverweigerer und Deserteure können sich in diesen Rekrutierungszentren melden, um nicht länger von den Sicherheitskräften gesucht zu werden. In vormaligen Oppositionsgebieten werden Listen mit Namen von Personen, welche zur Rekrutierung gesucht werden, an lokale Behörden und Sicherheitskräfte an Checkpoints verteilt. Ein „Herausfiltern“ von Militärdienstpflichtigen im Rahmen von Straßenkontrollen oder an einem der zahlreichen Checkpoints ist weit verbreitet. So errichtet die Militärpolizei beispielsweise in Homs stichprobenartig und nicht vorhersehbar Straßenkontrollen. Die intensiven Kontrollen erhöhen das Risiko für Militärdienstverweigerer, verhaftet zu werden. Rekrutierungen finden auch in Ämtern statt, beispielsweise wenn junge Männer Dokumente erneuern wollen, sowie an Universitäten, in Spitälern und an Grenzübergängen, wo die Beamten Zugang zur zentralen Datenbank mit den Namen der für den Wehrdienst gesuchten Männer haben. Nach Angaben einer Quelle fürchten auch Männer im wehrfähigen Alter, welche vom Militärdienst laut Gesetz ausgenommen sind oder von einer zeitweisen Amnestie vom Wehrdienst Gebrauch machen wollen, an der Grenze eingezogen zu werden. Während manche Quellen davon ausgehen, dass insbesondere in vormaligen Oppositionsgebieten (z.B. dem Umland von Damaskus, Aleppo, Dara‘a und Homs) immer noch Rekrutierungen mittels Hausdurchsuchungen stattfinden, berichten andere Quellen, dass die Regierung nun weitgehend davon absieht, um erneute Aufstände zu vermeiden.

Die Behörden ziehen vornehmlich Männer bis zu einem Alter von 27 Jahren ein, während Ältere sich eher auf Ausnahmen berufen können. Dennoch wurden die Altersgrenzen fallweise angehoben und auch Männer bis zu einem Alter von 55 Jahren eingezogen, bzw. konnten Männer nach Erreichen des 42. Lebensjahres die Armee nicht. Die Altersgrenze hängt laut Experten eher von lokalen Entwicklungen und den Mobilisierungsbemühungen der Regierung ab, als von allgemeinen Einberufungsregelungen. Generell hat sich das Maß der Willkür in Syrien im Zuge des Konfliktes erhöht. Manche Quellen berichten, dass ihnen keine Fälle von Rekrutierungen über-42-Jähriger nach 2016 bzw. 2018 bekannt seien. Gemäß anderen Quellen soll es jedoch zu Einberufungen von über-42-jährigen Rückkehrern aus dem Libanon und Jordanien als Reservisten gekommen sein, wobei es sich nicht um Zwangsrekrutierungen handelte.

Mitte Oktober 2018 berichteten regierungsnahe Medien, dass etwa 800.000 Männer nicht mehr für den Reservedienst benötigt werden. Eine Reihe Syrer kehrten daraufhin nach Syrien zurück, wobei manche über Beziehungen in der Heimat ihren Wehrdienststatus überprüfen ließen und sich versicherten, dass sie tatsächlich nicht mehr gesucht werden. Zumindest manche der Rückkehrer wurden wenige Wochen später eingezogen, nachdem das Verteidigungsministerium im Dezember 2018 neue Einberufungslisten für den Reservedienst veröffentlichte und so die vorherige Entscheidung aufhob. Die Gründe für diese Verkettung von Ereignissen ist jedoch laut International Crisis Group schwer zu ermitteln.

Die syrische Armee hat durch Verluste, Desertion und Überlaufen zu den Rebellen einen schweren Mangel an Soldaten zu verzeichnen. Wehrdienstverweigerer werden laut Gesetz in Friedenszeiten mit ein bis sechs Monaten Haft bestraft (Anm.: die Wehrpflicht besteht dabei weiterhin fort). In Kriegszeiten wird Wehrdienstverweigerung laut Gesetz, je nach Umständen, mit Gefängnisstrafe von bis zu fünf Jahren bestraft. Bezüglich der Konsequenzen einer Wehrdienstverweigerung gehen die Meinungen der Quellen auseinander. Während manche die Ergreifung eines Wehrdienstverweigerers mit Foltergarantie und Todesurteil gleichsetzen, sagen andere, dass Betroffene sofort eingezogen würden, was von einer Quelle mit dem Bedarf der syrischen Regierung nach Verstärkung in Verbindung gebracht wird. Quellen berichten jedoch auch, dass gefasste Wehrdienstverweigerer riskieren, von den syrischen Behörden vor der Einberufung inhaftiert zu werden. Die Konsequenzen hängen offenbar vom Einzelfall ab. Berichten zufolge betrachtet die Regierung Wehrdienstverweigerung nicht nur als eine strafrechtlich zu verfolgende Handlung, sondern auch als Ausdruck von politischem Dissens und mangelnder Bereitschaft, das Vaterland gegen „terroristische“ Bedrohungen zu schützen.

Repressalien gegenüber Familienmitglieder können insbesondere bei Familien von „high-profile“-Deserteuren der Fall sein, also z.B. solche Deserteure, die Soldaten oder Offiziere getötet oder sich der bewaffneten Opposition angeschlossen haben. Weitere Einflussfaktoren sind der Rang des Deserteurs, Wohnort der Familie, der für dieses Gebiet zuständige Geheimdienst und zuständige Offizier sowie die Religionszugehörigkeit der Familie.

(Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 30.06.2021, S. 43 ff)

In den unter Kontrolle der kurdischen Milizen stehenden Gebieten Syriens ist die syrische Armee in Hasaka, Qamischli, Manbij und Tal Tamr präsent. Aufgrund mangelnder Verwaltungskomptenz hat die syrische Regierung in diesen Gebieten jedoch bislang keinen verpflichtenden Militärdienst wiedereingeführt. Die syrische Armee betreibt in diesen Gebieten keine Wehrdienst-Kampagne und diejenigen, die keinen Wehrdienst leisten möchten, können sich diesem dadurch entziehen, dass sie diejenigen Gebiete, in denen die syrische Armee präsent ist, vermeiden.

(EASO Syria Military service, Country of Origin Report von April 2021, S. 18)

1.2.2. Folter, Haftbedingungen und unmenschliche Behandlung

Das Gesetz verbietet Folter und andere grausame oder erniedrigende Behandlungen oder Strafen, wobei das Strafgesetzbuch eine Strafe von maximal drei Jahren Gefängnis für Täter vorsieht. Nichtsdestotrotz wenden die Regimebehörden in Tausenden Fällen solche Praktiken an. Willkürliche Festnahmen, Misshandlung, Folter und Verschwindenlassen sind in Syrien weit verbreitet. Sie richten sich von Seiten der Regierung insbesondere gegen Oppositionelle oder Menschen, die vom Regime als oppositionell wahrgenommen werden.

NGOs berichten glaubhaft, dass die syrische Regierung und mit ihr verbündete Milizen physische Misshandlung, Bestrafung und Folter an oppositionellen Kämpfern und Zivilisten begehen. Vergewaltigung und sexueller Missbrauch von Frauen, Männern und Minderjährigen sind weit verbreitet. Die Regierung nimmt hierbei auch Personen ins Visier, denen Verbindungen zur Opposition vorgeworfen werden. Es sind zahllose Fälle dokumentiert, bei denen Familienmitglieder wegen der als regierungsfeindlich wahrgenommenen Tätigkeit von Verwandten inhaftiert und gefoltert wurden, auch wenn die als regierungsfeindlich wahrgenommenen Personen ins Ausland geflüchtet waren.

[…]

1.2.3. Frauen

Frauen in Syrien haben eine relativ lange Historie der Emanzipation. Vor dem Konflikt war Syrien eines der vergleichsweise fortschrittlicheren Länder der Arabischen Welt in Bezug auf Frauenrechte. Dennoch werden Frauen – teilweise aufgrund der Interpretationen der religiösen Gesetze – von verschiedenen Teilen des Familien- und Strafrechts und der Gesetze zu Personenstand, Arbeit, Erbschaft, Pensionierung, sozialer Sicherheit und Staatsbürgerschaft diskriminiert. Syrische Frauen übernehmen zunehmend Aufgaben, die über ihre traditionellen Rollen hinausgehen, während die vorherrschenden Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern und die damit einhergehenden geschlechtsspezifischen Benachteiligungen ihre grundlegenden Menschenrechte weiterhin untergraben.

Das syrische Familienbild und die Rolle der Frau sind tief in sozialen, religiösen und lokalen patriarchalischen Traditionen verwurzelt. Durch den anhaltenden Konflikt und die damit einhergehende Instabilität sowie sich verschlechternde wirtschaftliche Situation hat sich die Situation der Frauen zunehmend erschwert.

Da Frauen immer wieder Opfer unterschiedlicher Gewalthandlungen der verschiedenen Konfliktparteien werden, zögern Familien, Frauen und Mädchen das Verlassen des Hauses zu erlauben. Sie nehmen diese aus der Schule, was zur Minderung der Rolle von Frauen und zu ihrer Isolation in der Gesellschaft führt. Die Einschränkung der Bewegungsfreiheit aus Angst vor sexueller Gewalt kann auch selbstauferlegt sein. Vor dem Konflikt nahmen 13% der Frauen am Arbeitsmarkt teil, verglichen mit 73% der Männer. Aufgrund von Unsicherheit und Gewalt können weiterhin Millionen nicht am Arbeitsmarkt teilnehmen. Zuletzt ist in einigen Gebieten, wie in Damaskus, Raqqa und Dara‘a, die Beteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt wieder gestiegen, da viele Männer ihre Familien derzeit nicht unterstützen können.

Außerhalb der Gebiete, die unter der Kontrolle des Regimes stehen, unterscheiden sich die Bedingungen für Frauen sehr stark voneinander. Sie reichen von sexueller Versklavung und erdrückenden Kleidungsvorschriften in Gebieten unter Kontrolle von Extremisten, bis hin zu formaler Gleichberechtigung in den Gebieten unter Kontrolle der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD), wo Regierungssitze immer von einer Frau und einem Mann besetzt sind.

Alleinstehende Frauen

Alleinstehende Frauen sind in Syrien aufgrund des Konfliktes einem besonderen Risiko von Gewalt oder Schikane ausgesetzt, jedoch hängt dies von der sozialen Schicht und der Position der Frau bzw. ihrer Familie ab. Man kann die gesellschaftliche Akzeptanz von alleinstehenden Frauen aber in keinem Fall mit europäischen Standards vergleichen, und Frauen sind potentiell Belästigungen ausgesetzt, Vor dem Hintergrund der Geschlechterungleichheit versetzen Armut, Vertreibung, die Tatsache ein weiblicher Haushaltsvorstand oder jung und außerhalb der elterlichen Aufsicht zu sein, Frauen und Mädchen in eine „Position reduzierter Macht“ und erhöhen damit das Risiko von sexueller Ausbeutung. Unverheiratete Mädchen, Witwen und geschiedene Frauen sind diesbezüglich besonders vulnerabel.

In Syrien ist es fast undenkbar als Frau alleine zu leben, da eine Frau ohne Familie keine gesellschaftlichen und sozialen Schutzmechanismen besitzt. Beispielsweise würde nach einer Scheidung eine Frau in den meisten Fällen wieder zurück zu ihrer Familie ziehen. Vor dem Konflikt war es für Frauen unter bestimmten Umständen möglich alleine zu leben, z.B. für berufstätige Frauen in urbanen Gebieten.

Der Zugang von alleinstehenden Frauen zu Dokumenten hängt von deren Bildungsgrad, individueller Situation und bisherigen Erfahrungen ab. Beispielsweise werden ältere Frauen, die immer zu Hause waren, mangels vorhandener Begleitperson und behördlicher Erfahrung nur schwer Zugang zu Dokumenten bekommen können. Die Wahrnehmung von alleinstehenden Frauen durch die Gesellschaft unterscheidet sich von Gebiet zu Gebiet. Damaskus-Stadt ist weniger konservativ als andere Gebiete und es wird von Frauen berichtet, die dort in der Vergangenheit alleine lebten. In konservativen Gegenden bekommen alleinlebende Frauen jedoch „einen gewissen Ruf“.

Frauen in kurdisch kontrollierten Gebieten

Die Situation von kurdischen Frauen in den kurdischen Gebieten im Nordosten Syriens ist in Bezug auf Unabhängigkeit, Bewegungsfreiheit und die Vormundschaftsgesetze der selbsternannten Autonomieregierung besser. Frauen und Männer sind in der Regierung zu gleichen Teilen repräsentiert. Per Gesetz werden alle Regierungseinrichtugen von einem Mann und einer Frau gleichzeitig geleitet und die meisten staatlichen Behörden und Gremien müssen zwischen Männern und Frauen gleich besetzt sein, abgesehen von Einrichtungen, die nur für Frauen sind und von Frauen geleitet werden. Dabei soll es sich jedoch nur um eine oberflächliche Rolle ohne wirkliche Macht handeln.

Im November 2014 beschloss die Autonomieregierung ein Dekret, das die „Gleichheit zwischen Männern und Frauen in allen Sphären des öffentlichen und privaten Lebens“ vorsieht. Demnach haben Frauen in den Augen des Gesetzes den gleichen Status wie Männer, auch zum Beispiel bezüglich Scheidung und Erbrecht. Polygamie, Ehrenmorde, Zwangsehen, Ehen von Minderjährigen und andere Formen von Gewalt gegen Frauen wurden verboten. Frauenkomitees, Frauenhäuser und Frauenzentren wurden eingerichtet, um Frauen zu schützen und zu vertreten, in den Themen Politik, Wirtschaft, Kultur und Recht weiterzubilden, und ihnen die Möglichkeit zu geben über familiäre und soziale Probleme zu sprechen und Lösungen zu finden. Auch arabische und christliche Frauen nutzen die Zentren.

In Gebieten mit arabischer Mehrheitsbevölkerung, die konservativer sind und in denen tribale Strukturen noch stark verwurzelt sind, ist es schwerer für die kurdischen Behörden Gleichberechtigungsmaßnahmen ohne Widerstand durchzusetzen. So wurde beispielsweise in Kobane Polygamie verboten, von der lokalen Bevölkerung in Manbij gab es jedoch Widerstand durch lokale Stammesführer, was zu einer Ausnahme für Manbij von dieser Regelung führte.

Die Situation von Frauen in Nordsyrien hängt großteils von der persönlichen und familiären Einstellung und dem Glauben ab, wobei die Befolgung traditioneller sozialer Normen in stärker religiös oder traditionell eingestellten Gemeinschaften üblicher ist.

Die zivile Verwaltung der kurdisch kontrollierten Provinzen im Norden des Landes, der sogenannten „Demokratischen Föderation Nordsyrien“ (kurdisch Rojava) hat die Institution der Zivilehe eingeführt, die unabhängig von der religiösen Zugehörigkeit der Brautleute vor den zuständigen Behörden geschlossen werden kann. Ob eine in den kurdischen Gebieten geschlossene zivile Ehe vom syrischen Staat anerkannt wird, ist jedoch schwer zu beurteilen. Das syrische Familienrecht erkennt eine solche Ehe insbesondere dann nicht an, wenn sie einen Verstoß gegen das Ehehindernis aufgrund von unterschiedlichen Religionszugehörigkeiten der Ehepartner darstellt.

(Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 30.06.2021, S. 71 ff)

1.2.4. Ein- und Ausreise, Situation an Grenzübergängen

Die syrische Regierung kann die Ausstellung von Reisepässen oder anderen wichtigen Dokumenten aufgrund der politischen Einstellung einer Person, deren Verbindung zu oppositionellen Gruppen oder der Verbindung zu einem geographischen Gebiet, in dem die Opposition dominiert, verweigern.

Infolge der COVID-19-Pandemie wurden sowohl der Flughafen Damaskus als auch die Grenzen zu den Nachbarländern geschlossen. Es gab jedoch bereits wieder Lockerungen für Reisen in das Ausland als auch bei der Einreise nach Syrien. Der Flugbetrieb am internationalen Flughafen in Damaskus wurde wiederaufgenommen. Es kommt jedoch zu verstärkten Einreisekontrollen, Gesundheitsprüfungen und Einreisesperren. Die Reisebeschränkungen zwischen Städten und Umland wurden wieder aufgehoben. In Nordostsyrien haben lokale Machthaber den informellen Fishkabour/Semalka-Grenzübergang ausnahmslos bis auf Weiteres geschlossen. Eine Einreise nach Syrien ist demnach derzeit nur über den Flughafen Damaskus möglich.

(Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 30.06.2021, S. 78 ff; sowie OCHA, Syrian Arab Republic: COVID-19. Humanitarian Update No. 22 vom 23.12.2020)

1.2.5. Rückkehr

Über die Zustände, in welche die Flüchtlinge zurückkehren und die Mechanismen des Rück-kehrprozesses ist wenig bekannt. Da Präsident Assad die Kontrolle über große Gebiete wiedererlangt, sind immer weniger Informationen verfügbar. Die Behandlung von Einreisenden ist stark vom Einzelfall abhängig und über den genauen Wissensstand der syrischen Behörden über einzelne Rückkehrer gibt es keine gesicherten Kenntnisse. Es liegen widersprüchliche Informationen vor, ob Personen, die nach Syrien zurückkehren möchten, eine Sicherheitsüberprüfung durchlaufen müssen, oder nicht. Laut deutschem Auswärtigen Amt müssen syrische Flüchtlinge, unabhängig von politischer Ausrichtung, vor ihrer Rückkehr weiterhin eine Überprüfung durch die syrischen Sicherheitsdienste durchlaufen. Auch laut International Crisis Group (ICG) stellt unabhängig davon, welchen administrativen Weg ein rückkehrwilliger Flüchtling wählt, die Sicherheitsfreigabe durch den zentralen Geheimdienstapparat in Damaskus (oder die Verweigerung einer solchen) das endgültige Urteil dar, ob es einem Flüchtling möglich ist sicher nach Hause zurückzukehren. Im Gegensatz dazu berichtet der Danish Immigration Service (DIS) auf Basis von Interviews, dass Syrer, die außerhalb Syriens wohnen und nicht von der syrischen Regierung gesucht werden, keine Sicherheitsfreigabe benötigen, um nach Syrien zurückzukehren. Weiters berichtete Syria Direct gegenüber DIS, dass lediglich Syrer im Libanon, die über „organisierte Gruppenrückkehr“ nach Syrien zurückkehren möchten, eine Sicherheitsfreigabe benötigen.

Es gibt Berichte, denen zufolge Rückkehrer trotz positiver Sicherheitsüberprüfung Opfer willkürlicher Verhaftung, Folter oder Verschwindenlassens geworden und vereinzelt in Haft ums Leben gekommen sein sollen. Der Sicherheitssektor kontrolliert den Rückkehrprozess in Syrien. Die Sicherheitsdienste institutionalisieren ein System der Selbstbeschuldigung und Informationsweitergabe über Dritte, um große Datenbanken mit Informationen über reale und wahrgenommene Bedrohungen aus der syrischen Bevölkerung aufzubauen.

Gesetz Nr. 18 von 2014 sieht eine Strafverfolgung für illegale Ausreise in der Form von Bußgeldern oder Haftstrafen vor. Entsprechend einem Rundschreiben wurde die Bestrafung für illegale Ausreise jedoch aufgehoben und Grenzbeamte sind angehalten, Personen, die illegal ausgereist sind, „bei der Einreise gut zu behandeln“.

Es ist schwierig, Informationen über die Lage von Rückkehrern in Syrien zu erhalten. Regierungsfreundliche Medien berichten über die Freude der Rückkehrer, oppositionelle Medien berichten über Inhaftierungen und willkürliche Tötungen von Rückkehrern. Zur Situation von rückkehrenden Flüchtlingen aus Europa gibt es, wohl auch aufgrund deren geringen Zahl, keine Angaben.

Die syrische Regierung führt Listen mit Namen von Personen, die als in irgendeiner Form regierungsfeindlich angesehen werden. Die Aufnahme in diese Listen kann aus sehr unterschiedlichen Gründen erfolgen und sogar vollkommen willkürlich sein. Zum Beispiel kann die Behandlung einer Person an einer Kontrollstelle, wie einem Checkpoint, von unterschiedlichen Faktoren abhängen, darunter die Willkür des Personals am Kontrollpunkt oder praktische Probleme, wie die Namensgleichheit mit einer von der Regierung gesuchten Person. Personen, die als regierungsfeindlich angesehen werden, können unterschiedliche Konsequenzen von Regierungsseite zu gewärtigen haben, wie Festnahme und im Zuge dessen auch Folter. Es wurde regelmäßig von Verhaftungen von und Anklagen gegen Rückkehrer gemäß der Anti-Terror-Gesetzgebung berichtet, wenn diesen Regimegegnerschaft unterstellt wird. Es gibt Berichte über Menschenrechtsverletzungen gegenüber Personen, die nach Syrien zurückgekehrt waren. Hunderte syrische Flüchtlinge wurden nach ihrer Rückkehr verhaftet und verhört – inklusive Geflüchteten, die aus dem Ausland nach Syrien zurückkehrten, IDPs aus von der Opposition kontrollierten Gebieten, und Personen, die in durch die Regierung wiedereroberten Gebieten ein Versöhnungsabkommen mit der Regierung unterschrieben haben. Sie wurden gezwungen, Aussagen über Familienmitglieder zu machen und in manchen Fällen wurden sie gefoltert.

(Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 30.06.2021, S. 96 ff)

2. Beweiswürdigung

Der festgestellte Sachverhalt stützt sich auf die im Rahmen der Feststellungen jeweils in Klammer angeführten Beweismittel und im Übrigen auf nachstehende Beweiswürdigung:

2.1.1. Die wesentlichen biografischen Angaben zu den Beschwerdeführern beruhen auf deren glaubwürdigen Angaben.

Die Feststellungen zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführern beruhen auf den gleichbleibenden und widerspruchsfreien Schilderungen der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers, wonach maßgeblich für ihre Flucht aus Syrien die Bürgerkriegssituation und die damit einhergehende allgemeine schlechte Sicherheitslage, insbesondere der Tod einer ihrer Töchter und anderer Familienangehörige durch eine Minenexplosion, gewesen sei. Dies wurde auch vom BFA im angefochtenen Bescheid festgestellt und ist unstrittig.

2.1.2. Dass dem Zweitbeschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Syrien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Einziehung als Reservist zum Militärdienst bei der syrischen Armee droht, beruht auf folgenden Erwägungen:

Nach den Länderberichten bleibt ein syrischer Mann nach Beendigung des Pflichtwehrdienstes Reservist und kann bis zum Alter von 42 Jahren in den aktiven Dienst einberufen werden. Reservisten werden besonders in Kriegszeiten einberufen; seit Ende 2012 wurden immer mehr Reservisten einberufen. Berichten zufolge werden Reservisten meist dann einberufen, wenn die syrische Armee einen Mangel an Soldaten vorweist. Bestimmte Qualifikationen, wie beispielsweise die vormalige Tätigkeit als Panzerfahrer oder Artilleriespezialist im Rahmen des Pflichtwehrdienstes oder sonstige spezielle berufliche Qualifikationen (bspw. Ärzte oder Ingenieure), beeinflussen, ob jemand zum Reservedienst einberufen wird. Berichte weisen jedoch auch daraufhin, dass derzeit nicht nur besonders qualifizierte Reservisten einberufen werden, sondern die Einberufung auch Reservisten ohne besondere Qualifikation trifft. Es ist letztlich schwierig zu sagen, ob jemand tatsächlich zum Reservedienst einberufen wird.

Vor diesem Hintergrund kann eine Einziehung des Zweitbeschwerdeführer als Reservist zur syrischen Armee bei einer Rückkehr nach Syrien nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden:

Wenngleich der Zweitbeschwerdeführer (wie die belangten Behörde richtig festhielt) im Rahmen des Pflichtwehrdienstes als „einfacher Wachsoldat“ tätig war und auch aufgrund seiner sonstigen beruflichen Tätigkeit (als Bäcker sowie als Mithelfer in der Wollwirtschaft seiner Familie) über keine besonderen – im Rahmen des Militärdienstes relevanten – Qualifikationen verfügt, ist seine Einziehung als Reservist in Hinblick auf die derzeitigen Berichtslage betreffend den erhöhten Rekrutierungsdruck der syrischen Armee auf syrische Männer im Alter bis zu 42 Jahren – auch ohne besondere Qualifikationen – dennoch hinreichend wahrscheinlich, zumal sein Alter von 32 Jahren die angeführte Altersgrenze weit unterschreitet.

Dass der Zweitbeschwerdeführer aus einem kurdisch kontrollierten Gebiet ( XXXX ) stammt und in solchen Gebieten nach der Berichtslage die Wehrpflicht bei der syrischen Armee aufgrund mangelnder Verwaltungsstrukturen der syrischen Regierung derzeit nicht durchgesetzt wird, steht dieser Einschätzung insofern nicht entgegen, als eine Einreise des Beschwerdeführers derzeit nur über den Flughafen Damaskus in Betracht käme, welcher unter Kontrolle der syrischen Regierung steht. Für den Zweitbeschwerdeführer bestünde daher bei einer Rückkehr nach Syrien mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die Gefahr im Zuge von Sicherheitskontrollen durch syrische Beamte am Flughafen angehalten und nach Überprüfung seines Wehrdienststatus zum Reservemilitärdienst eingezogen zu werden. Da sich aus den Länderberichte ergibt, dass der Wehrdienststatus einer Person in einer zentralen Datenbank dokumentiert ist, zu welcher Beamte Zugang haben, und Rekrutierungen auch an Grenzübergangen stattfinden, ist es insgesamt hinreichend wahrscheinlich, dass dem Zweitbeschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Syrien eine Einziehung als Reservist zum Militärdienst bei der syrischen Armee droht.

Vor diesem Hintergrund kann dahingestellt bleiben, ob der vom Beschwerdeführer vorgelegte Einberufungsbefehl authentisch ist.

2.1.3. Zur Erstbeschwerdeführerin

Nach den Länderberichten können auch Familienmitglieder eines Wehrdienstverweigerers/Deserteurs aufgrund dessen Wehrdienstverweigerung oder Desertation Repressalien ausgesetzt sein, wobei dies insbesondere bei „high profile“-Deserteuren der Fall sein könne, also z.B. Deserteure, die Soldaten oder Offiziere getötet oder sich der bewaffneten Opposition angeschlossen haben.

Als Deserteur – oder gar „high-profile“-Deserteur – ist der Zweitbeschwerdeführer schon aus folgenden Gründen nicht anzusehen:

Es ist grundsätzlich zwischen Wehrdienstverweigerung und Desertation zu unterscheiden (vgl. auch LIB S. 54 f, wonach für beide Delikte jeweils unterschiedliche Haftstrafen vorgesehen sind). Desertion ist die Flucht eines Militärangehörigen vor aus der Armee, wohingegen Wehrdienstverweigerung die Weigerung darstellt, in die Armee einzutreten.

Da der Beschwerdeführer mangels befolgter Einberufung zum Reservewehrdienst vor seiner Ausreise aus Syrien nicht Militärangehöriger ist, kann er auch nicht als Deserteur angesehen werden.

Daher kann schon aus diesem Grund nicht angenommen werden, dass die Erstbeschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr nach Syrien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in diesem Zusammenhang Repressalien der Behörden ausgesetzt wäre.

Zudem wurde die Ehe zwischen der Erstbeschwerdeführerin und dem Zweitbeschwerdeführer (nur) traditionell geschlossen und nicht behördlich registriert, weshalb sie nach syrischem Recht nicht einmal als Ehefrau des Zweitbeschwerdeführers anzusehen ist.

Überdies ist auch aufgrund der Tatsache, dass die Mutter, zwei Schwestern und zwei Brüder des Zweitbeschwerdeführers nach wie vor unbehelligt in der Heimatstadt XXXX leben und der Schwester des Zweitbeschwerdeführers von den Behörden in Damaskus sogar der Reservisteneinberufungsbefehl des Zweitbeschwerdeführers ausgehändigt worden sei – ohne dass sie in diesem Zusammenhang Übergriffen der syrischen Behörden ausgesetzt gewesen sei – nicht davon auszugehen, dass die Erstbeschwerdeführerin, die (wie ausgeführt) aus Sicht der syrischen Behörden nicht einmal als Ehefrau des Zweitbeschwerdeführers anzusehen ist, bei einer Rückkehr nach Syrien Repressalien ausgesetzt wäre.

2.2. Die Feststellungen zur Situation in Syrien beruhen auf den genannten im Rahmen der Ladungen zur Beschwerdeverhandlung eingeführten Quellen, die schon das BFA (zum Teil) seinem Bescheid zugrunde legte und die im Wesentlichen inhaltsgleich blieben. Angesichts der Seriosität dieser Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen, denen auch die Parteien nicht entgegentraten, besteht für das Bundesverwaltungsgericht kein Grund, an deren Richtigkeit zu zweifeln.

Das inzwischen generierte (aktualisierte) Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien mit Stand 30.06.2021 enthält in den hier relevanten Teilen keine Aussagen, die ein maßgeblich anderes Bild zeichnen würden.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1 Zu Spruchpunkt A)

3.1.1. Zur Zuerkennung des Status von Asylberechtigten

3.1.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung i.S.d. Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht.

Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG ist der Antrag abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG) offensteht oder er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG) gesetzt hat.

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde (vgl. VwGH 19.12.2007, 2006/20/0771). Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob der Antragsteller tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.

Verfolgung ist gemäß § 2 Abs. 11 AsylG jede Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Statusrichtlinie. Nach Art. 9 der Statusrichtlinie muss eine Verfolgungshandlung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sein, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellt oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen bestehen, die so gravierend sind, dass eine Person davon in ähnlicher Weise betroffen ist.

Unter anderem können als Verfolgung folgende Handlungen gelten:

- Anwendung physischer oder psychischer, einschließlich sexueller Gewalt,

- gesetzliche, administrative, polizeiliche und/oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder diskriminierend angewandt werden,

- unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,

- Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,

- Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter den Anwendungsbereich des Art. 12 Abs. 2 fallen und

- Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

Nach Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann einer Wehrdienstverweigerung dann Asylrelevanz zukommen, wenn das Verhalten des Betroffenen auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht oder dem Betroffenen wegen seiner Wehrdienstverweigerung vom Staat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird und den Sanktionen - wie etwa bei Anwendung von Folter - jede Verhältnismäßigkeit fehlt. Ist Letzteres der Fall, so kann dies aber auch auf der - generellen - Unterstellung einer oppositionellen Gesinnung beruhen, womit unabhängig von einer der Wehrdienstverweigerung bzw. Desertion im konkreten Fall wirklich zugrundeliegenden religiösen oder politischen Überzeugung der erforderliche Zusammenhang zu einem Konventionsgrund gegeben wäre. Würde der Wehrdienst dazu zwingen, an völkerrechtswidrigen Militäraktionen teilzunehmen, kann nach der höchstgerichtlichen Rechtsprechung auch schon eine Bestrafung mit einer "bloßen" Gefängnisstrafe asylrelevante Verfolgung sein (vgl. zum Ganzen etwa VwGH 13.11.2019, Ra 2019/18/0274 mwN sowie VwGH 01.03.2007, 2003/20/0111 mwN).

Nach Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist für die Frage eines möglichen Asylanspruchs entscheidend, ob dem Beschwerdeführer bei Rückkehr in seinen Herkunftsstaat angesichts des in den Länderfeststellungen ausgewiesenen erhöhten Rekrutierungsdrucks der syrischen Armee und der besonderen Gefährdung von einreisenden Männern im wehrfähigen Alter mit maßgebender Wahrscheinlichkeit eine Einziehung zum Wehrdienst droht (VwGH 19.06.2019, Ra 2018/18/0548).

3.1.2.1. Zum Zweitbeschwerdeführer

Wie festgestellt, betrachtet die syrische Regierung Wehrdienstverweigerung nicht nur als eine strafrechtlich zu verfolgende Handlung, sondern auch als Ausdruck von politischem Dissens und mangelnder Bereitschaft, das Vaterland gegen „terroristische“ Bedrohungen zu schützen. Der Zweitbeschwerdeführer brachte im Laufe des Verfahrens mehrfach klar zum Ausdruck, dass er nicht für das syrische Regime kämpfen möchte und er bei einer allfälligen Einziehung die Ableistung des Militärdienstes verweigern würde. Er würde demnach im Falle des Versuchs einer Rekrutierung durch die syrische Armee und einer in Folge diesbezüglichen Verweigerung von der syrischen Regierung jedenfalls als Wehrdienstverweigerer und somit als politischer Gegner betrachtet werden. Ihm würde demnach bei einer Rückkehr aufgrund seiner Wehrdienstverweigerung (jedenfalls) eine politische (oppositionelle) Gesinnung unterstellt werden.

Wie festgestellt, ist Wehrdienstverweigerung mit hohen Haftstrafen bedroht und möglicherweise mit Foltergarantie und Todesurteil gleichzusetzen. Es liegen demnach jedenfalls Verfolgungshandlungen mit der in § 2 Abs. 11 AsylG bzw. Art. 9 der Statuslinie geforderten Intensität vor.

Damit fällt der Zweitbeschwerdeführer in eine von UNHCR angeführte Risikogruppe, nämlich der „Personen, die tatsächlich oder vermeintlich in Opposition zur Regierung stehen ([u.a. Wehrdienstverweigerer]“; zur Indizwirkung von UNHCR-Positionen vgl. etwa VwGH 23.01.2019, Ra 2018/18/0521, mwN).

Eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative besteht nicht; die Annahme ebendieser würde im Widerspruch zum aufgrund der derzeitigen Situation in Syrien bereits gewährten subsidiären Schutz stehen (vgl. etwa VwGH 25.03.2015, Ra 2014/18/0168; 29.06.2015,
Ra 2014/18/0070).

Da auch kein Asylausschlussgrund vorliegt, war dem Zweitbeschwerdeführer daher gemäß
§ 3 Abs. 1 AsylG der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen und seiner Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides stattzugeben.

3.1.2.2. Zum Drittbeschwerdeführer und zur Viertbeschwerdeführerin

Gemäß § 34 Abs. 2 AsylG ist aufgrund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn dieser nicht straffällig geworden ist und gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 7 AsylG).

Familienangehöriger ist gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG unter anderem das minderjährige und ledige Kind eines Asylwerbers oder Asylberechtigten.

Die zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjährigen und ledigen Dritt- und Viertbeschwerdeführer sind die Kinder des Zweitbeschwerdeführers. Da dem Zweitbeschwerdeführer – wie oben dargelegt – der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen war, ist dieser Status gemäß § 34 AsylG i.V.m. § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG auch dem Drittbeschwerdeführer und der Viertbeschwerdeführerin, bei denen keine der in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- und Ausschlussgründe vorliegen, zuzuerkennen.

3.1.2.3. Zur Erstbeschwerdeführerin

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Erstbeschwerdeführerin nicht als Familienangehörige im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG anzusehen ist, weil die Ehe zwischen ihr und dem Zweitbeschwerdeführer (nur) traditionell geschlossen wurde, jedoch nach syrischem Recht für die Gültigkeit einer Ehe eine behördliche Registrierung erforderlich ist. Da die Gültigkeit einer Ehe nach dem Personalstatut – somit im vorliegenden Fall nach syrischem Recht – zu beurteilen ist, ist von keiner gültigen Ehe zwischen der Erstbeschwerdeführerin und dem Zweitbeschwerdeführer auszugehen.

Wie festgestellt, ist auch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass die Erstbeschwerdeführerin aufgrund der Wehrdienstverweigerung des Zweitbeschwerdeführers bei einer Rückkehr Repressalien seitens des syrischen Staates ausgesetzt wäre, weshalb auch dieses Vorbringen nicht zur Zuerkennung von Asyl führt.

Weiters wäre (wenngleich dies von der Erstbeschwerdeführerin nicht einmal vorgebracht wurde) die Erstbeschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr auch nicht als „alleinstehende Frau“ (im Hinblick auf eine allfällige Asylrelevanz als soziale Gruppe der „alleinstehenden Frauen“ in Syrien) anzusehen, zumal der Erstbeschwerdeführer nach wie vor über zahlreiche Familienangehörige (Mutter, zwei Brüder und zwei Schwestern) in XXXX verfügt, von denen die Erstbeschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr mit hoher Wahrscheinlichkeit Unterstützung erhalten könnte. Sie würde demnach bei einer Rückkehr über ein familiäres Auffangnetz verfügen, weshalb sie nicht als „alleinstehende Frau“ anzusehen wäre.

Zudem ist zu beachten, dass der Herkunftsort der Erstbeschwerdeführerin XXXX unter Kontrolle kurdische

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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