TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/22 W212 2238174-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.07.2021
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Entscheidungsdatum

22.07.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W212 2238174-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Eva SINGER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Ukraine, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.11.2020, Zahl: 1264414605-200388397, zu Recht:

A) Die Beschwerde wird gemäß §§ 3, 8, 10 Abs. 1 Z 3, 57 AsylG 2005 i.d.g.F., § 9 BFA-VG i.d.g.F., §§ 46, 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, 55 FPG i.d.g.F. als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Ukraine, wurde im April 2020 im Bundesgebiet als Sohn zweier ukrainischer Staatsbürger geboren und es stellte seine Mutter und gesetzliche Vertreterin für ihn mit schriftlicher Eingabe vom 08.05.2020 einen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 34 AsylG. Seitens der gesetzlichen Vertreterin wurde festgehalten, dass sie sich zur Begründung des Antrages auf dieselben Fluchtgründe wie in ihrem Verfahren berufe und die Gewährung des gleichen Schutzumfanges für ihr minderjähriges Kind beantragen würde, welches keine eigenen Fluchtgründe aufweisen würde.

Vorgelegt wurde die von österreichischen Behörden ausgestellte Geburtsurkunde des minderjährigen Beschwerdeführers.

2. Mit dem im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.11.2020 wurde der Antrag auf internationalen Schutz des minderjährigen Beschwerdeführers vom 08.05.2020 gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.). Weiters wurde der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Ukraine abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm. § 9 BFA-VG wurde gegen den minderjährigen Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG unter einem festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in die Ukraine gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gewährt (Spruchpunkt VI.).

Begründend wurde im Wesentlichen angeführt, dass die Anträge der Eltern und des minderjährigen Bruders des Beschwerdeführers bereits zuvor negativ entschieden worden seien und für den gesunden minderjährigen Beschwerdeführer seitens seiner gesetzlichen Vertretung darüber hinaus keine individuellen Fluchtgründe vorgebracht worden seien. Auch aus den allgemeinen Länderinformationen zum Herkunftsstaat würden sich keine Gefahren oder Bedrohungen des Beschwerdeführers ergeben, die gegen seine Rückkehr in den Herkunftsstaat sprechen würden. Betreffend die Rückkehrentscheidung wurde darauf verwiesen, dass die Familienangehörigen des Beschwerdeführers wie er selbst von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen betroffen seien, weshalb diesbezüglich die Rückkehrentscheidung keinen Eingriff in sein Familienleben darstelle. Das Privatleben des Beschwerdeführers beschränke sich überwiegend auf die Familie und könne eine besondere Integration seiner Person nicht erkannt werden.

3. Gegen den dargestellten Bescheid wurde durch die damals bevollmächtigte Rechtsberatungsorganisation am 22.12.2020 die gegenständliche vollumfängliche Beschwerde eingebracht, zu deren Begründung zusammengefasst ausgeführt wurde, die Behörde habe ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren geführt, da der gesetzlichen Vertreterin des Beschwerdeführers weder im Rahmen einer Einvernahme, noch auf schriftlichem Weg, Parteiengehör eingeräumt worden sei. Darüber hinaus enthalte der angefochtene Bescheid keine Länderinformationen, sondern verweise lediglich auf die Länderinformationen der Staatendokumentation, wobei auch hier keine Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme eingeräumt worden sei. Zudem sei das Verfahren auch aufgrund der unterbliebenen Prüfung des Kindeswohls mangelhaft geführt worden. Dem Beschwerdeführer drohe aufgrund seiner Familienzugehörigkeit politische Verfolgung in der Ukraine, zudem handle es sich bei diesem um ein vulnerables Kleinkind, dessen Eltern in der Ukraine aufgrund ihres mehrjährigen Auslandsaufenthalts nicht mehr über das notwendige soziale Netz verfügen würden. Es sei nicht erkennbar, wie sich die Eltern des minderjährigen Beschwerdeführers in der Ukraine eine Existenz sichern können sollten, sodass davon auszugehen sei, dass eine Rückkehr den Minderjährigen in eine aussichtslose Lage versetzen würde. Dem Beschwerdeführer sei daher internationaler Schutz zu gewähren, überdies erweise sich eine Rückkehrentscheidung angesichts der Integration seiner Eltern und des Grundsatzes des Kindeswohls als unzulässig.

4. Die Beschwerdevorlage und der Bezug habende Verwaltungsakt des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl langten am 29.12.2020 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Ukraine und wurde im April 2020 als Sohn der ukrainischen Staatsbürger XXXX , geb. XXXX , und XXXX , geb. XXXX , im Bundesgebiet geboren.

Die im Jahr 2015 gestellten Anträge der Eltern und des Bruders des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz wurden letztlich mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 01.02.2019, Zahlen: W247 2180765-1/11E, W247 2180763-1/11E und W247 2180762-1/9E, sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Gewährung des Status von subsidiär Schutzberechtigten unter gleichzeitigem Ausspruch von Rückkehrentscheidungen und der Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung in die Ukraine jeweils als unbegründet abgewiesen. Die Eltern und der minderjährige Bruder des Beschwerdeführers verblieben trotz der rechtskräftigen Ausreiseverpflichtung im Bundesgebiet und stellten zuletzt am 05.02.2020 Anträge auf Erteilung von Aufenthaltstiteln gemäß § 56 AsylG 2005, welche mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.11.2020 unter gleichzeitigem Ausspruch von erneuten Rückkehrentscheidungen abgewiesen wurden. Mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts vom heutigen Datum, Zahlen: W212 2180765-3, W212 2180763-3 und W212 2180762-3, wurden die Beschwerden in den Verfahren der Eltern und des minderjährigen Bruders in diesem Umfang als unbegründet abgewiesen.

1.2. Der Beschwerdeführer war allein schon aufgrund seiner Geburt in Österreich in seinem Herkunftsstaat in der Vergangenheit keiner Bedrohung aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten ausgesetzt und drohen ihm solche auch in Zukunft nicht. Für den Beschwerdeführer wurden weder im Antrag noch im Rahmen seiner Beschwerde eigene Verfolgungsgründe geltend gemacht. Die von seinen Eltern behauptete Verfolgung im Herkunftsstaat wurde bereits in den zuvor angeführten rechtskräftigen Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts vom 01.02.2019 als nicht glaubhaft beurteilt.

Der Beschwerdeführer ist im Fall seiner Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Ukraine nicht in seinem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht. Dieser leidet an keiner schweren physischen oder psychischen, akut lebensbedrohlichen und zudem im Herkunftsstaat nicht behandelbaren Erkrankung. Der einjährige Beschwerdeführer würde in Obhut seiner Eltern und gemeinsam mit seinem Bruder in die Ukraine zurückkehren und weiterhin im Familienverband mit diesen leben. Seine Eltern, welche in der Ukraine XXXX aufgewachsen sind, dort eine (Hoch)Schulbildung absolviert haben und über Berufserfahrung verfügen, sind in der Lage, nach einer Rückkehr in den Herkunftsstaat den Lebensunterhalt für sich, den minderjährigen Beschwerdeführer und dessen älteren Bruder durch die Teilnahme am Erwerbsleben ausreichend zu sichern. Zudem leben in der Ukraine XXXX noch die Großeltern sowie ein Onkel väterlicherseits und eine Tante mütterlicherseits des minderjährigen Beschwerdeführers.

1.3. Aufgrund seines Lebensalters beschränken sich die familiären und privaten Beziehungen des Beschwerdeführers noch auf den Kreis seiner Eltern und seines fünfjährigen Bruders, mit denen er im gemeinsamen Haushalt wohnt.

Hinsichtlich der Eltern und des Bruders des Beschwerdeführers liegen rechtskräftige und durchsetzbare Rückkehrentscheidungen vor.

1.4. Zur Situation im Herkunftsstaat:

Covid-19-Situation

Letzte Änderung: 08.06.2021

In der Ukraine gilt ein System der adaptiven Quarantäne (regionales Ampelsystem), welches bis 30. Juni vorgesehen ist. Ein nationaler Lockdown ist nicht geplant (UNIAN 10.5.2021; vgl. UA 28.4.2021, AA 3.5.2021). Gemäß dem Gesundheitsminister ist die dritte Pandemiewelle in der Ukraine vorbei (UP 7.5.2021).

An öffentlichen Orten, nicht jedoch im Freien, besteht die Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes. Das gilt auch für öffentliche Verkehrsmittel. Hygiene- und Gesundheitsmaßnahmen müssen im öffentlichen Verkehr sowie in Geschäften und Gaststättenbetrieben eingehalten werden (AA 3.5.2021; vgl. WKO 30.4.2021, RFE/RL 1.5.2021). 2020 wurden mehr als 6.800 Personen im Rahmen der IOM Ukraine Covid-19 Response Intervention unterstützt (IOM 10.2.2021).

Am 24.2.2021 begannen in der Ukraine die Covid-Impfungen. Derzeit sind die folgenden Impfstoffe in Verwendung: AstraZeneca, SinoVac und Pfizer. Seit dem 24.4.2021 befindet sich die Ukraine in der zweiten Phase der Impfstrategie und verabreicht Impfungen an medizinisches Personal, Militärpersonal und ältere Personen (KP 10.5.2021). Die Impfungen werden vorwiegend von mobilen Impfteams durchgeführt (UA 28.4.2021; vgl. Gov.ua 10.5.2021). Impfungen sind freiwillig und kostenlos (GM 10.5.2021). Mit Stand 8.5.2021 erhielten 862.639 Personen die erste Teilimpfung und 446 Personen bereits die zweite Teilimpfung (GM 8.5.2021). Es wurden bisher 9.668.937 PCR-Tests durchgeführt (Gov.ua 10.5.2021).

In den Krankenhäusern der Hauptstadt Kiew werden derzeit 33 Covid-Patienten behandelt und 230 Patienten mit Verdacht auf Covid und Lungenentzündung (IU 9.5.2021). Ab 1.5.2021 wurden in Kiew die meisten Quarantänebeschränkungen aufgehoben (KP 10.5.2021; vgl. WKO 30.4.2021, RFE/RL 1.5.2021). Wieder geöffnet sind unter anderem Restaurants, Geschäfte, Sporteinrichtungen und Kultureinrichtungen (WKO 30.4.2021; vgl. KP 10.5.2021, RFE/RL 1.5.2021). Seit 5.5.2021 ist der Besuch von Vorschuleinrichtungen, Schulen und Hochschulen wieder erlaubt (WKO 30.4.2021; vgl. RFE/RL 1.5.2021).

Ukrainische Staatsangehörige benötigen für die Einreise einen negativen PCR-Test, welcher zum Zeitpunkt der Einreise nicht älter als 72 Stunden sein darf. Die verpflichtende Selbstisolation von 14 Tagen kann durch einen negativen PCR-Test bei einem zugelassenen Testzentrum nach Einreise verkürzt werden. Ein Einreiseverbot bzw. Beschränkungen im internationalen Reiseverkehr sind derzeit nicht vorgesehen, können aber nicht ausgeschlossen werden (AA 3.5.2021). Die Flughäfen in Kiew, Dnipro, Charkiw, Lwiw, Odesa und Saporischschja sind für den internationalen und inländischen Flugverkehr geöffnet (WKO 30.4.2021).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (3.5.2021): Ukraine: Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung und COVID-19-bedingte Reisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/ukraine-node/ukrainesicherheit/201946, Zugriff 10.5.2021

?        GM – Gesundheitsministerium [Ukraine] (10.5.2021): ?????????? ??? COVID-19 ? ???????: ?????????? ???? ?? 09 ?????? 2021 ???? [COVID-19-Impfung in der Ukraine: Operative Daten für den 9. Mai 2021], https://vaccination.covid19.gov.ua/news/vaccinationdata70, Zugriff 10.5.2021

?        GM – Gesundheitsministerium [Ukraine] (8.5.2021): ??? ??? ?????????? ??? COVID-19 ? ??????? [Alles über die COVID-19-Impfung in der Ukraine], https://vaccination.covid19.gov.ua/, Zugriff 10.5.2021

?        Gov.ua – Regierungsportal [Ukraine] (10.5.2021): ?????????? ?????????? ??? ????????? ?????????????? ???????? 2019-nCoV [Operative Information über die Ausbreitung der Coronavirus-Infektion 2019-nCoV], https://www.kmu.gov.ua/news/operativna-informaciya-pro-poshirennya-koronavirusnoyi-infekciyi-2019-ncov-10092021, Zugriff 10.5.2021

?        IOM – International Organization for Migration (10.2.2021): IOM Ukraine Covid-19 Response Report 8: IOM helps conflict-affected Toretsk get through water shortages, https://www.iom.org.ua/en/iom-ukraine-covid-19-response-report-8, Zugriff 10.5.2021

?        IU – Interfaks Ukraine (9.5.2021): ? ????? ?? ????? 255 ????? ?????????? COVID-19, ??????? ?? ??????????? [In Kiew binnen 24 Stunden 255 Covid-Neuerkrankungen, ebenso viele wurden geheilt], https://interfax.com.ua/news/general/742784.html, Zugriff 10.5.2021

?        KP – Kyiv Post (10.5.2021): COVID-19 in Ukraine: 2,817 new cases, 119 new deaths, 1,004 new vaccinations, https://www.kyivpost.com/ukraine-politics/covid-19-in-ukraine-2817-new-cases-119-new-deaths-1004-new-vaccinations.html, Zugriff 10.5.2021

?        RFE/RL – Radio Free Europe/Radio Liberty (1.5.2021): Kyiv Eases COVID-19 Restrictions Following Decrease In Infections, https://www.rferl.org/a/kyiv-eases-covid-lockdown-restrictions/31233221.html, Zugriff 10.5.2021

?        UA – Ukraine-Analysen (28.4.2021): Covid-19-Chronik, 23.3.-25.4.2021 (Nr. 250), https://www.laender-analysen.de/ukraine-analysen/250/UkraineAnalysen250.pdf, Zugriff 10.5.2021

?        UNIAN – ?????????? ????????? ???????????? ????????? ????? [Ukrainische unabhängige Nachrichtenagentur] (10.5.2021): ??????? ??????????? ????????? ??????????? ????????? ? ?????????, ????? ?? ????? ??????? [Schmygal kündigte Verlängerung der adaptiven Quarantäne an und teilte mit, ob es neuen Lockdown geben wird], https://www.unian.net/society/shmygal-anonsiroval-prodlenie-adaptivnogo-karantina-i-rasskazal-budet-li-novyy-lokdaun-novosti-ukrainy-11415166.html?, Zugriff 10.5.2021

?        UP – Ukrainska Prawda (7.5.2021): ??????? ?????? ? ??????? ????? ???????? – ???????? [In der Ukraine dritte Pandemiewelle vorbei – Stepanow], https://www.pravda.com.ua/news/2021/05/7/7292748/, Zugriff 10.5.2021

?        WKO – Wirtschaftskammer [Österreich] (30.4.2021): Coronavirus: Situation in der Ukraine, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-info-ukraine.html, Zugriff 10.5.2021

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 09.07.2020

In den von Separatisten kontrollierten Gebieten Donezk und Luhansk sowie auf der Krim haben ukrainische Behörden und Amtsträger zurzeit keine Möglichkeit, ihre Befugnisse wahrzunehmen und staatliche Kontrolle auszuüben (AA 29.2.2020).

Die Sicherheitslage außerhalb der besetzten Gebiete im Osten des Landes ist im Allgemeinen stabil. Allerdings gab es in den letzten Jahren eine Reihe von öffentlichkeitswirksamen Attentaten und Attentatsversuchen, von denen sich einige gegen politische Persönlichkeiten richteten (FH 4.3.2020). In den von der ukrainischen Regierung kontrollierten Teilen der Gebiete Donezk und Luhansk wurde nach Wiederherstellung der staatlichen Ordnung der Neuaufbau begonnen. Die humanitäre Versorgung der Bevölkerung ist sichergestellt (AA 29.2.2020).

Russland hat im März 2014 die Krim annektiert und unterstützt seit Frühjahr 2014 die selbst erklärten separatistischen „Volksrepubliken“ im Osten der Ukraine. Seit Beginn der bewaffneten Auseinandersetzungen im Osten sind über 13.000 Menschen getötet und rund 30.000 Personen verletzt worden, davon laut OHCHR zwischen 7.000 und 9.000 Zivilisten. 1,5 Mio. Binnenflüchtlinge sind innerhalb der Ukraine registriert; nach Schätzungen von UNHCR sind weitere 1,55 Mio. Ukrainer in Nachbarländer (Russland, Polen, Belarus) geflohen (AA 29.2.2020). Das im Februar 2015 vereinbarte Maßnahmenpaket von Minsk wird weiterhin nur schleppend umgesetzt. Die Sicherheitslage hat sich seither zwar deutlich verbessert, Waffenstillstandsverletzungen an der Kontaktlinie bleiben aber an der Tagesordnung und führen regelmäßig zu zivilen Opfern und Schäden an der dortigen zivilen Infrastruktur. Schäden ergeben sich auch durch Kampfmittelrückstände (v.a. Antipersonenminen). Mit der Präsidentschaft Selenskyjs hat der politische Prozess im Rahmen der Trilateralen Kontaktgruppe (OSZE, Ukraine, Russland), insbesondere nach dem Pariser Gipfel im Normandie-Format (Deutschland, Frankreich, Ukraine, Russland) am 9. Dezember 2019 wieder an Dynamik gewonnen. Fortschritte beschränken sich indes überwiegend auf humanitäre Aspekte (Gefangenenaustausch). Besonders kontrovers in der Ukraine bleibt die im Minsker Maßnahmenpaket vorgesehene Autonomie für die gegenwärtig nicht kontrollierten Gebiete, die unter anderem aufgrund der Unmöglichkeit, dort Lokalwahlen nach internationalen Standards abzuhalten, noch nicht in Kraft gesetzt wurde. Gleichwohl hat das ukrainische Parlament zuletzt die Gültigkeit des sogenannten „Sonderstatusgesetzes“ bis Ende 2020 verlängert (AA 29.2.2020).

Ende November 2018 kam es im Konflikt um drei ukrainische Militärschiffe in der Straße von Kertsch erstmals zu einem offenen militärischen Vorgehen Russlands gegen die Ukraine. Das als Reaktion auf diesen Vorfall für 30 Tage in zehn Regionen verhängte Kriegsrecht endete am 26.12.2018, ohne weitergehende Auswirkungen auf die innenpolitische Entwicklung zu entfalten. (AA 22.2.2019; vgl. FH 4.2.2019). Die Besatzung der involvierten ukrainischen Schiffe wurde im September 2019 freigelassen, ihre Festnahme bleibt indes Gegenstand eines von der Ukraine angestrengten Verfahrens vor dem Internationalen Seegerichtshof (AA 29.2.2020).

Der russische Präsident, Vladimir Putin, beschloss am 24.4.2019 ein Dekret, welches Bewohnern der selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk den Erwerb der russischen Staatsbürgerschaft im Eilverfahren erleichtert ermöglicht. Demnach soll die Entscheidung der russischen Behörden über einen entsprechenden Antrag nicht länger als drei Monate dauern. Internationale Reaktionen kritisieren dies als kontraproduktiven bzw. provokativen Schritt. Ukrainische Vertreter sehen darin die Schaffung einer rechtlichen Grundlage für den offiziellen Einsatz der russischen Streitkräfte gegen die Ukraine. Dafür gibt es einen historischen Präzedenzfall. Als im August 2008 russische Truppen in Georgien einmarschierten, begründete der damalige russische Präsident Dmitrij Medwedjew das mit seiner verfassungsmäßigen Pflicht, „das Leben und die Würde russischer Staatsbürger zu schützen, wo auch immer sie sein mögen“. In den Jahren zuvor hatte Russland massenhaft Pässe an die Bewohner der beiden von Georgien abtrünnigen Gebiete Abchasien und Südossetien ausgegeben (FAZ 26.4.2019; vgl. SO 24.4.2019).

Frieden in der Ostukraine gehörte zu den zentralen Versprechen von Wolodymyr Selenskyj während seiner Wahlkampagne 2019. In der Tat gelangen ihm einige Durchbrüche innerhalb der ersten zehn Monate seiner Präsidentschaft. Es kam zu einem mehrmaligen Austausch von Gefangenen, zur Entflechtung der Streitkräfte beider Seiten an drei Abschnitten der Kontaktlinie, zu einer relativ erfolgreichen Waffenruhe im August 2019 und zum Normandie-Treffen unter Teilnahme des russischen, französischen und ukrainischen Präsidenten sowie der deutschen Bundeskanzlerin. An der Dynamik des Konfliktes hat sich jedoch wenig verändert. Im Donbas wird weiterhin geschossen und die gegenwärtigen Verluste des ukrainischen Militärs sind mit denen in den Jahren 2018 und 2019 vergleichbar. In den ersten drei Monaten 2020 starben 27 ukrainische Soldaten in den Kampfhandlungen (KAS 4.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt (29.2.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine (Stand: Januar 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2027985/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Ukraine_%28Stand_Januar_2020%29%2C_29.02.2020.pdf, Zugriff 19.5.2020

?        FAZ – Frankfurter Allgemeine Zeitung (26.4.2019): Ein Signal an Selenskyj, https://www.faz.net/aktuell/politik/putin-verteidigt-russische-staatsbuergerschaft-fuer-ukrainer-16157482.html?printPagedArticle=true#pageIndex_0, Zugriff 25.5.2020

?        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - Ukraine, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025958.html, Zugriff 19.5.2020

?        KAS – Konrad Adenauer Stiftung (4.2020): Ukrainische Politik im Schatten der Pandemie: Teil 1, https://www.ecoi.net/en/file/local/2028885/Ukrainische+Politik+im+Schatten+der+Pandemie.+Teil+1.pdf, Zugriff 25.5.2020

?        SO – Spiegel Online (24.4.2019): Putins Provokation, https://www.spiegel.de/politik/ausland/ukraine-wladimir-putin-kuendigt-an-russische-paesse-im-besetzten-donbass-auszuteilen-a-1264280.html, Zugriff 25.5.2020

Ostukraine

Letzte Änderung: 09.07.2020

In den von Separatisten kontrollierten Gebieten Donezk und Luhansk haben ukrainische Behörden und Amtsträger zurzeit keine Möglichkeit, ihre Befugnisse wahrzunehmen und staatliche Kontrolle auszuüben. Seit Beginn der bewaffneten Auseinandersetzungen sind über 13.000 Menschen getötet und rund 30.000 Personen verletzt worden, davon laut OHCHR zwischen 7.000 und 9.000 Zivilisten. 1,5 Mio. IDPs sind innerhalb der Ukraine registriert; nach Schätzungen von UNHCR sind weitere 1,55 Mio. Ukrainer in Nachbarländer geflohen (AA 29.2.2020). An der Dynamik des Konfliktes hat sich wenig verändert, obwohl 2019 einige Durchbrüche gelangen, wie der mehrmalige Austausch von Gefangenen, die Entflechtung der Streitkräfte beider Seiten an drei Abschnitten der Kontaktlinie, und eine relativ erfolgreiche Waffenruhe im August 2019 (KAS 4.2020). Auch im April 2020 kam es wieder zu einem Gefangenenaustausch (RFE/RL 16.4.2020).

In den nicht von der ukrainischen Regierung kontrollierten Teilen der Oblaste Donezk und Luhansk kam es besonders 2014/15 zu schwersten Menschenrechtsverletzungen. Obwohl die Separatisten seither die öffentliche Ordnung und eine soziale Grundversorgung im Wesentlichen wiederhergestellt haben, werden zahlreiche Grundrechte (v.a. Meinungs- und Religionsfreiheit, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Eigentumsrechte) weiterhin systematisch missachtet (AA 29.2.2020).

In den selbsternannten Volksrepubliken Donezk (DPR) und Luhansk (LPR) gibt es seit 2014 keine unabhängige Justiz und das Recht auf ein faires Verfahren wird systematisch eingeschränkt. Es werden Inhaftierungen auf unbestimmte Zeit ohne gerichtliche Überprüfung und ohne Anklage oder Gerichtsverfahren berichtet. Bei Verdacht auf Spionage oder Verbindungen zur ukrainischen Regierung werden von Militärgerichten geheime Gerichtsverfahren abgehalten, gegen deren Urteile es nahezu keine Beschwerdemöglichkeit gibt und die Berichten zufolge lediglich dazu dienen, bei der Verfolgung von Personen einen Anschein von Legalität zu wahren. Willkürliche Verhaftung sind in der DPR und der LPR weit verbreitet. 2018 wurde die Möglichkeit der Präventivhaft für 30 bis 60 Tage geschaffen, wenn eine Person an Verbrechen gegen die Sicherheit von DPR oder LPR beteiligt gewesen sein soll. Die Präventivhaft wird Angehörigen nicht mitgeteilt (incommunicado) und kein Kontakt zu einem Rechtsbeistand und Verwandten zugelassen. Der Zustand der Hafteinrichtungen in den separatistisch kontrollierten Gebieten verschlechtert sich weiter und wird als hart und teils lebensbedrohlich bezeichnet. Berichten zufolge existiert in den Gebieten Donezk und Luhansk in Kellern, Abwasserschächten, Garagen und Industrieunternehmen ein umfangreiches Netz inoffizieller Haftstätten. Es gibt Berichte über schweren Mangel an Nahrungsmitteln, Wasser, sanitären Einrichtungen und angemessener medizinischer Versorgung. Es gibt Berichte über systematische Übergriffe gegen Gefangene, wie körperliche Misshandlung, Folter, Hunger, sexuelle Gewalt, öffentliche Demütigung, Verweigerung der medizinischen Versorgung und Einzelhaft sowie den umfangreichen Einsatz von Gefangenen als Zwangsarbeiter zur persönlichen Bereicherung der separatistischen Anführer (USDOS 11.3.2020; vgl. FH 2020).

Im Donbas unterdrücken die Separatisten die Rede- und Pressefreiheit durch Belästigung, Einschüchterung, Entführungen und Übergriffe auf Journalisten und Medien (USDOS 11.3.2020; vgl. FH 2020, ÖB 2.2019). Die Separatisten verhindern auch die Übertragung ukrainischer und unabhängiger Fernseh- und Radioprogramme in von ihnen kontrollierten Gebieten. In der LPR sollen die Websites von mehr als 50 ukrainischen Nachrichtenagenturen blockiert worden sein. Journalisten werden in der DNR genau überwacht, müssen die „Behörden“ der Separatisten z.B. über ihre Aktivitäten informieren oder werden von Mitgliedern bewaffneter Gruppen begleitet, wenn sie sich in der Nähe der Kontaktlinie bewegen. Es sind nur Demonstrationen zulässig, welche von den lokalen „Behörden“ unterstützt oder organisiert werden; oft mit erzwungener Teilnahme. In der DNR/LNR können nationale und internationale zivilgesellschaftliche Organisationen nicht frei arbeiten. Es gibt eine steigende Zahl von zivilgesellschaftlichen Organisationen, die von den Separatisten gegründet wurden (USDOS 11.3.2020).

Es gibt es eine massive Zerstörung von zivilem Eigentum und Infrastruktur in den Konfliktgebieten. Auch Schulen und medizinische Einrichtungen waren und bleiben weiterhin betroffen. Zuweilen ist vielerorts die Strom- und Wasserversorgung unterbrochen oder nur zeitweise gesichert, ohne die im Winter auch nicht geheizt werden kann. Aufgrund der fehlenden Rechtsstaatlichkeit in den Separatistengebieten sind dort Frauen besonders gefährdet. Es gibt Berichte über Missbrauch, Sexsklaverei und Menschenhandel (ÖB 2.2019). Die meisten LGBTI-Personen sind aus den separatistischen Teilen der Oblaste Donezk und Luhansk geflohen oder verstecken ihre sexuelle Orientierung bzw. Geschlechtsidentität (USDOS 13.3.2019). 2019 soll sich laut Berichten das soziale Stigma und die Intoleranz aufgrund der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität verschärft haben; v.a. aufgrund der Anwendung von Gesetzen, welche die "Propaganda gleichgeschlechtlicher Beziehungen" kriminalisieren (USDOS 11.3.2020). Obwohl DNR und LNR in ihren Verfassungen Religionsfreiheit garantieren, sind Anhänger von Glaubensrichtungen, die nicht der russisch-orthodoxen Kirche angehören, Verfolgung ausgesetzt. Am schlimmsten betroffen sind die Zeugen Jehovas, die 2018 als extremistische Organisation vollständig verboten wurden und deren Eigentum beschlagnahmt wurde (FH 2020).

Die separatistischen Kräfte im Gebiet Donezk verboten die humanitäre Hilfe der ukrainischen Regierung und schränken die Hilfe internationaler humanitärer Organisationen ein. Infolgedessen sind Berichten zufolge die Preise für Grundnahrungsmittel für viele Personen, die auf dem von Russland kontrollierten Gebiet verblieben, zu hoch. Menschenrechtsgruppen berichten auch über einen ausgeprägten Mangel an Medikamenten, Kohle und medizinischen Hilfsgütern. Es kommen weiterhin Konvois der russischen „humanitären Hilfe“ an, die nach Ansicht der ukrainischen Regierungsbeamten aber Waffen und Lieferungen für die separatistischen Streitkräfte enthalten (USDOS 11.3.2020). Die laufende Handelsblockade zwischen den besetzten Gebieten in der Ostukraine und dem Rest der Ukraine dämpfte, kombiniert mit Korruption und anhaltenden Kampfhandlungen, die Bemühungen zur Wiederbelebung der lokalen Wirtschaft. Viele Einwohner sind auf humanitäre Hilfe angewiesen (FH 2020).

Durch die Kontaktlinie, welche die Konfliktparteien trennt, wird das Recht auf Bewegungsfreiheit beschnitten und Gemeinden getrennt. Jeden Tag warten bis zu 30.000 Menschen stundenlang unter erschwerten Bedingungen an den fünf Checkpoints auf das Überqueren der Kontaktlinie. Unzureichend beschilderte Minen entlang der Straßen stellen eine Gefahr für die Wartenden dar (ÖB 2.2019; vgl. PCU 3.2019). Es gibt nur unzureichende sanitäre Einrichtungen, speziell auf separatistischer Seite (HRW 17.1.2019). Die Bewegungsfreiheit nach Russland ist weniger eingeschränkt (FH 2020).

Im Zuge der Kampfhandlungen zwischen der Ukraine und den Separatisten kam es 2014 in jenen Gebieten, in denen nicht die ukrainischen Streitkräfte selbst, sondern Freiwilligenbataillone eingesetzt waren, mitunter zu schweren Menschenrechtsverletzungen. Diese Bataillone wurden in der Folgezeit sukzessive der Nationalgarde (Innenministerium) unterstellt, nur das Bataillon „Ajdar“ wurde in die Armee eingegliedert. Offiziell wurden Freiwilligenbataillone danach nicht mehr an der Kontaktlinie, sondern ausschließlich zur Sicherung rückwärtiger Gebiete eingesetzt. Die nicht immer klare hierarchische Einbindung dieser Einheiten hatte zur Folge, dass es auch in den von ihnen kontrollierten Gebieten zu Menschenrechtsverletzungen kam, namentlich zu Freiheitsberaubung, Erpressung, Diebstahl und Raub, evtl. auch zu extralegalen Tötungen. Diese Menschenrechtsverletzungen sind Gegenstand von teilweise schleppend verlaufenden Strafverfahren. Infolge des Übergangs von der ATO (Anti-Terror-Operation in der Ostukraine, geführt vom SBU, Anm.) zu der nunmehr von der Armee koordinierten OVK (Operation der Vereinigten Kräfte) mit April 2018, wurden verbliebene Freiwilligenverbände endgültig in die regulären Streitkräfte eingegliedert oder haben die OVK-Zone verlassen (AA 29.2.2020).

Es gibt Berichte über Entführungen auf beiden Seiten der Kontaktlinie. Am häufigsten wurden Zivilisten von den von Russland geführten Streitkräften an Ein-/Ausreisekontrollpunkten entlang der Kontaktlinie festgenommen. Beide Konfliktparteien setzen Landminen ohne Umzäunung, Beschilderung oder andere Maßnahmen ein, wodurch Opfer unter der Zivilbevölkerung verhindert werden könnten. Besonders akut sind die Risiken für Personen, die in Städten und Siedlungen in der Nähe der Kontaktlinie leben, sowie für Personen, welche die Kontaktlinie täglich überqueren müssen (USDOS 11.3.2020). Von Jänner bis November 2019 dokumentierte die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte 162 konfliktbezogene zivile Unfallopfer; davon kamen 26 zu Tode, 136 wurden verletzt. Dabei wurden 101 der Unfälle durch Handfeuerwaffen und 58 durch Minen und Sprengstoffe verursacht. Insgesamt war im Jahr 2019 gegenüber 2018 ein Rückgang konfliktbedingter Unfälle um fast 40% zu verzeichnen (AA 29.2.2020). Zu den fünf Gruppen, die am stärksten vom Konflikt betroffen sind, gehören ältere Menschen, Menschen mit Behinderungen, IDPs, Kinder und Familien von Alleinerzieherinnen (UN 1.2020).

Im Juni 2019 begann die Russische Föderation damit, in einem erleichterten Verfahren russische Pässe für ukrainische Staatsbürger, die in den besetzten Gebieten leben, auszustellen (FH 2020). Acht Monate nach der Vereinfachung des Verfahrens zum Erwerb eines russischen Passes für die Donbas-Bewohner gab Russland bekannt, dass es bereits über 196.000 Ukrainern die Staatsbürgerschaft verliehen hatte (TMT 3.1.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt (29.2.2020): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine (Stand: Januar 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2027985/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Ukraine_%28Stand_Januar_2020%29%2C_29.02.2020.pdf, Zugriff 19.5.2020

?        FH – Freedom House (2020): Freedom in the World Index 2020, Eastern Donbas, https://freedomhouse.org/country/eastern-donbas/freedom-world/2020, Zugriff 26.5.2020

?        HRW – Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 – Ukraine, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002209.html, Zugriff 26.5.2020

?        KAS – Konrad Adenauer Stiftung (4.2020): Ukrainische Politik im Schatten der Pandemie: Teil 1, https://www.ecoi.net/en/file/local/2028885/Ukrainische+Politik+im+Schatten+der+Pandemie.+Teil+1.pdf, Zugriff 25.5.2020

?        ÖB - Österreichische Botschaften (2.2019): Asylländerbericht Ukraine, https://www.ecoi.net/en/file/local/2003113/UKRA_%C3%96B-Bericht_2018.doc, Zugriff 20.5.2020

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?        RFE/RL – Radio Free Europe, Radio Liberty (16.4.2020): Ukraine, Russia-Backed Separatists Hold Another Prisoner Swap, https://www.rferl.org/a/ukraine-russia-backed-separatists-begin-new-round-in-prisoner-swap/30558758.html, Zugriff 26.5.2020

?        TMT – The Moscow Times (3.1.2020): Kyiv Post: Moscow Says it Issued Nearly 200,000 Russian Passports in Ukraine’s Donbass, https://www.themoscowtimes.com/2020/01/03/kyiv-post-moscow-says-it-issued-nearly-200000-russian-passports-in-ukraines-donbass-a68807, Zugriff 26.5.2020

?        UN – United Nations (1.2020): UKRAINE, At a glance: 2020 Humanitarian Needs Overview, https://www.humanitarianresponse.info/sites/www.humanitarianresponse.info/files/documents/files/ukriane_2020_hno_at_a_glance-en.pdf, Zugriff 25.5.2020

?        USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Ukraine, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026415.html, Zugriff 19.5.2020

?        USDOS – US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Ukraine, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004269.html, Zugriff 26.5.2020

Allgemeine Menschenrechtslage

Letzte Änderung: 09.07.2020

Der Schutz der Menschenrechte durch die Verfassung ist gewährleistet (AA 29.2.2020; vgl. GIZ 3.2020a). Jedoch bestehen in der Ukraine gegenwärtig noch Unzulänglichkeiten in der Umsetzung und Gewährung der Menschenrechte, was insbesondere die Bereiche Folter, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, Behandlung von Geflüchteten und sozialen (LGBTQ) bzw. ethnischen Minderheiten (Roma) betrifft. 2019 stufte Freedom House die Ukraine auf „partly free“ ab (GIZ 3.2020a). Zu den Menschenrechtsproblemen gehören darüber hinaus u.a. rechtswidrige oder willkürliche Tötungen; Folter und andere Misshandlungen von Gefangenen durch Vollzugspersonal; schlechte Bedingungen in Gefängnissen; willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen; Probleme mit der Unabhängigkeit der Justiz; Einschränkungen der Internetfreiheit und Korruption. Die Regierung hat es im Allgemeinen versäumt, angemessene Schritte zu unternehmen, um Fehlverhalten von Beamten strafrechtlich zu verfolgen oder zu bestrafen. Menschenrechtsgruppen und die Vereinten Nationen stellten erhebliche Mängel bei den Ermittlungen zu mutmaßlichen Menschenrechtsverletzungen durch staatliche Sicherheitskräfte fest (USDOS 11.3.2020).

Die Möglichkeit von NGOs, sich im Bereich Menschenrechte zu betätigen, unterliegt keinen staatlichen Restriktionen (AA 29.2.2020). Die Verfassung sieht eine vom Parlament bestellte Ombudsperson vor, den parlamentarischen Menschenrechtsbeauftragten. Das Amt wird derzeit von Lyudmila Denisova bekleidet. Ihr Büro arbeitet bei verschiedenen Projekten zur Überwachung von Menschenrechtspraktiken in Gefängnissen und anderen staatlichen Institutionen häufig mit NGOs zusammen. Die Ombudsperson bemühte sich in der Vergangenheit speziell um Krimtataren, IDPs, Roma, Menschen mit Behinderungen, und von Russland inhaftierte politische Gefangene. Sie ist auch bei Problemen mit der Justiz jederzeit ansprechbar (USDOS 11.3.2020).

[…]

Die Aktivitäten von Oppositionsparteien und -gruppen sowie die Versammlungs-, Meinungs- und Pressefreiheit unterliegen keinen rechtsstaatlichen Restriktionen (AA 29.2.2020). Die Medienlandschaft zeichnet sich durch einen beträchtlichen Pluralismus sowie offene Kritik an der Regierung aus (FH 4.3.2020). Meinungs- und Pressefreiheit leiden jedoch weiter hinunter der wirtschaftlichen Schwäche des unabhängigen Mediensektors und dem Übergewicht von Medien, die Oligarchen gehören oder von ihnen finanziert werden. Repressionen und Angriffe gegenüber Journalisten sind insgesamt rückläufig; besorgniserregend bleiben aber die oftmals fehlenden Ermittlungserfolge und die daraus resultierende Straflosigkeit – selbst in schwerwiegenden Fällen. Diverse russische soziale Medien und populäre Onlinedienste bleiben seit einem Dekret von Mai 2017 weiter verboten. Aus diesen Gründen verbleibt die Ukraine trotz großer Fortschritte gegenüber den Jahren vor dem Euromaidan im „Reporter ohne Grenzen“-Index auf Platz 102 von 180 Staaten (AA 29.2.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). Im Jahr 2018 erneuerten die Behörden bestehende Maßnahmen gegen eine Reihe russischer Nachrichtenagenturen und ihre Journalisten. Verschiedene Sprachgesetze schreiben Nachrichtenagenturen vor, dass bestimmte Inhalte in ukrainischer Sprache verfasst sein müssen. Im Jahr 2019 bestätigte der Oberste Gerichtshof der Ukraine regionale Verbote für russischsprachige "Kulturprodukte", darunter Bücher und Filme (FH 4.3.2020). Die Regierung setzte die Praxis fort, bestimmte Werke russischer Schauspieler, Filmregisseure und Sänger zu verbieten und Sanktionen gegen pro-russische Journalisten zu verhängen (USDOS 11.3.2020).

Von einigen Ausnahmen abgesehen, können Einzelpersonen im Allgemeinen öffentlich und privat Kritik an der Regierung üben und Angelegenheiten von öffentlichem Interesse diskutieren, ohne offizielle Repressalien befürchten zu müssen. Das Gesetz verbietet jedoch Aussagen, die die territoriale Integrität bzw. nationale Sicherheit des Landes bedrohen, den Krieg fördern, einen Rassen- oder Religionskonflikt befeuern oder die russische Aggression gegen das Land unterstützen, und die Regierung verfolgt Personen nach diesen Gesetzen (USDOS 11.3.2020). Gewalt und Drohungen gegen Journalisten bleiben weiterhin ein Problem (USDOS 11.3.2020; vgl. FH 4.3.2020). Das unabhängige Institut für Masseninformation registrierte von Januar bis Anfang Dezember 2019 226 Verstöße gegen die Medienfreiheit, darunter die Ermordung eines Journalisten. Weitere Verstöße waren 20 Fälle von Schlägen, 16 Cyberangriffe, 93 Fälle von Einmischung, 34 Fälle von Bedrohung und 21 Fälle von Einschränkung des Zugangs zu öffentlichen Informationen (FH 4.3.2020). Die Qualität des ukrainischen Journalismus leidet nicht nur unter russischer Propaganda, Verflechtungen zwischen Wirtschaft und Politik sowie der wirtschaftlichen Krise, sondern auch unter einer nicht zufriedenstellenden Ausbildung und Einhalten von journalistischen Standards (GIZ 3.2020a). Die Strafverfolgungsbehörden überwachen das Internet, zeitweise ohne entsprechende rechtliche Befugnisse, und unternahmen 2019 schwerwiegende Schritte, um den Zugang zu Websites aufgrund von "nationalen Sicherheitsbedenken" zu blockieren. Gerichte sollen auch begonnen haben, den Zugang zu Websites aus anderen Gründen als der nationalen Sicherheit zu blockieren. Es gab Berichte darüber, dass die Regierung Einzelpersonen wegen ihrer Beiträge in sozialen Medien strafrechtlich verfolgte (USDOS 11.3.2020).

Die Verfassung sieht die Versammlungsfreiheit vor und die Regierung respektiert dieses Recht im Allgemeinen. Gelegentlich wird berichtet, dass die Polizei übermäßige Gewalt anwendet, um Proteste aufzulösen. In Kiew, Odessa und Charkiw fanden groß angelegte LGBT-Veranstaltungen weitgehend friedlich und unter dem Schutz tausender Polizeibeamter statt. Bisweilen schützte die Polizei die Teilnehmer vor oder nach diesen Veranstaltungen nicht ausreichend vor Angriffen, und auch kleinere Demonstrationen, insbesondere von Minderheiten oder oppositionellen politischen Bewegungen, wurden nicht ausreichend geschützt. Veranstaltungen von Frauenrechtsaktivisten oder der LGBT-Gemeinschaft wurden regelmäßig von Mitgliedern gewalttätiger radikaler Gruppen gestört (USDOS 11.3.2020; vgl. FH 4.3.2020). Zu den Pflichten des Veranstalters von friedlichen Versammlungen zählt unter anderem die Anmeldung der Veranstaltung im Vorfeld bei den örtlich zuständigen Behörden. Die Fristen, die in diesem Zusammenhang anzuwenden sind, sind jedoch nicht klar geregelt und variieren je nach vertretener Auffassung zwischen drei und zehn Tagen. Diese Unklarheit lässt den öffentlichen Behörden einen relativ großen Freiraum, Versammlungen zu untersagen (ÖB 2.2019; vgl. USDOS 11.3.2020). Tatsächlich wird die Abhaltung von friedlichen Versammlungen von den Behörden regelmäßig abgelehnt. Als gängige Begründungen dienen die zu späte Ankündigung der Demonstration, der Mangel an verfügbaren Polizisten zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, der gleichzeitige Besuch einer offiziellen ausländischen Delegation oder das gleichzeitige Stattfinden einer anderen Veranstaltung am gleichen Ort. Auch die Definition der „Friedlichkeit“ einer Versammlung ist nicht immer unstrittig (ÖB 2.2019).

Die Verfassung und das Gesetz sehen die Vereinigungsfreiheit vor und die Regierung respektiert dieses Recht im Allgemeinen. Menschenrechtsorganisationen berichten für 2019 über einen Rückgang der Angriffe auf Aktivisten, nachdem die Zahl der Angriffe 2018 sprunghaft angestiegen war (37 Angriffe 2019, gegenüber 66 im Jahr 2018). Einige zivilgesellschaftliche Organisationen geben jedoch an, dass dies aufgrund von mangelnder Berichterstattung sei, und dass sich Aktivisten gegen eine Beschwerde entscheiden würden, da sie Verfolgung fürchten. Menschenrechts-NGOs sind nach wie vor besorgt über die mangelnde Rechenschaftspflicht bei Angriffen auf Mitglieder zivilgesellschaftlicher Organisationen (USDOS 11.3.2020). Angriffe auf Journalisten, Aktivisten der Zivilgesellschaft und Angehörige von Minderheitengruppen sind häufig, und die Reaktion der Polizei ist oft unzureichend (FH 4.3.2020). Sowohl natürliche als auch juristische Personen können einen Verein gründen. Die Vereinsgründung kann nur aus im Gesetz eng definierten Gründen untersagt werden (ÖB 2.2019). Mit Ausnahme eines Verbots der Kommunistischen Partei gibt es keine formellen Hindernisse für die Gründung und den Betrieb politischer Parteien. In den letzten Jahren entstanden mehrere politische Parteien. Ein Gesetz aus dem Jahr 2016 regelt die staatliche Finanzierung im Parlament vertretener Parteien; die Regelung begünstigt etablierte Parteien gegenüber neu entstandenen. Oppositionsgruppen sind im Parla-ment vertreten und ihre politischen Aktivitäten werden im Allgemeinen nicht durch administrative Beschränkungen behindert. Neue Kleinparteien haben Schwierigkeiten mit etablierten Parteien zu konkurrieren, welche die Unterstützung politisch vernetzter Oligarchen genießen (FH 4.3.2020).

Die Freiheit des religiösen Bekenntnisses und der ungestörten Religionsausübung wird von der Verfassung garantiert und von der Regierung in ihrer Politik gegenüber Kirchen und Religionsgemeinschaften respektiert (AA 29.2.2020). Laut Befragungen sind 67,3% der Ukrainer christlich-orthodox. Davon gehören 28,7% zur ukrainisch-orthodoxen Kirche des Kiewer Patriarchats (UOC-KP), 12,8% zur ukrainisch-orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats (UOC-MP), 0,3% zur ukrainisch-autokephalen Kirche (UAOC) und 23,4% bezeichnen sich als „schlicht orthodox“. 9,4% der Ukrainer sind griechisch-katholisch, 0,4% jüdisch, 0,8% römisch-katholisch, 2,2% protestantisch und 0,2% muslimisch. Weitere 7,7% identifizieren sich als „Christen“ und 11% geben an, dass sie keiner religiösen Gruppe angehören (USDOS 21.6.2019). Kleinere religiöse Gruppen berichten jedoch weiterhin von einer gewissen Diskriminierung. So werfen Gläubige der russisch-orthodoxen Kirche dem ukrainischen Staat vereinzelt Verletzungen der Religionsfreiheit vor. Im Oktober 2018 erhielten ukrainisch-orthodoxe Kleriker die Erlaubnis der religiösen Behörden in Istanbul, dem historischen Sitz der östlichen orthodoxen Kirche, zur Errichtung einer eigenen autokephalen Kirche außerhalb der kanonischen Gerichtsbarkeit der russisch-orthodoxen Kirche. Im Dezember 2018 wurde diese neue orthodoxe Kirche der Ukraine gegründet, um die bestehenden Denominationen zu vereinigen. Der Kreml und die Kirchenführer in Moskau lehnen diesen Schritt entschieden ab (FH 4.3.2020). Die Gründung der orthodoxen Kirche der Ukraine (OKU) hat zwar zu heftigen kircheninternen Auseinandersetzungen geführt, verlief insgesamt aber weitestgehend friedlich. Die OKU wurde inzwischen durch die Patriarchen von Konstantinopel und Alexandrien sowie durch die orthodoxe Kirche Griechenlands formal anerkannt (AA 29.2.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt (29.2.2020): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine (Stand: Januar 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2027985/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Ukraine_%28Stand_Januar_2020%29%2C_29.02.2020.pdf, Zugriff 19.5.2020

?        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - Ukraine, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025958.html, Zugriff 19.5.2020

?        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2020a): Länderinformationsportal, Ukraine, Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/ukraine/geschichte-staat/#c4037, Zugriff 22.5.2020

?        ÖB - Österreichische Botschaften (2.2019): Asylländerbericht Ukraine, https://www.ecoi.net/en/file/local/2003113/UKRA_%C3%96B-Bericht_2018.doc, Zugriff 20.5.2020

?        USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Ukraine, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026415.html, Zugriff 19.5.2020

?        USDOS – US Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom: Ukraine, https://www.ecoi.net/de/dokument/2011020.html, Zugriff 22.5.2020

Ethnische Minderheiten

Letzte Änderung: 09.07.2020

Die Misshandlung von Angehörigen von Minderheitengruppen und die Belästigung von Ausländern nicht-slawischen Aussehens bleiben problematisch (USDOS 11.3.2020). Diskriminierung von Roma ist ein Problem. Es gab 2018 zahlreiche Berichte über gesellschaftliche Gewalt gegen Roma, die häufig von bekannten Mitgliedern gewalttätiger nationalistischer Gruppen begangen wurden, darunter mehrere Angriffe auf Roma-Siedlungen, bei denen es auch ein Todesopfer gab. In einigen Fällen lehnte es die Polizei ab, einzugreifen und es gibt selten Ermittlungen wegen solcher Gewalttaten (ÖB 2.2019). Im Laufe des Jahres 2019 wurden weniger Vorfälle fremdenfeindlicher gesellschaftlicher Gewalt und Diskriminierung verzeichnet, verglichen mit einem Anstieg im Jahr 2018. Zivilgesellschaftliche Gruppen sind jedoch weiterhin besorgt über die mangelnde strafrechtliche Verfolgung von Verbrechen, die 2018 von radikalen Gruppen begangen wurden. Polizei und Staatsanwaltschaft schaffen es nicht, solche Verbrechen zu verhindern, und sie verfolgen weiterhin rassistisch motivierte Straftaten nach den Gesetzen gegen 'Rowdytum' oder ähnlichen Delikten (USDOS 11.3.2020).

Bezüglich staatlicher Diskriminierung gehen die quellen auseinander: während die einen dazu keine Erkenntnisse vorliegen haben (AA 29.2.2020), betrachten andere staatliche und gesellschaftliche Diskriminierung als gegeben (USDOS 11.3.2020). 2012 wurde eine nicht abschließende Liste von Gründen eingeführt, aus denen Diskriminierung verboten ist. Diese Schutzmaßnahmen werden jedoch uneinheitlich durchgesetzt und die Minderheit der Roma wird in der Praxis erheblich diskriminiert. Roma erhalten im Allgemeinen nur dann Schutz durch Polizei oder Justiz, wenn erheblicher zivilgesellschaftlicher Druck aufgebaut wird (FH 4.3.2020). Die Zahl der Roma im Land beträgt laut offiziellen Schätzungen 48.000 Personen, nach Schätzungen von Roma-NGOs sollen es 400.000 sein. Diese Diskrepanz ist nur zum Teil erklärbar durch das Bedürfnis vieler sozial integrierter Roma, sich nicht zu erkennen zu geben. Unstrittig ist, dass große Teile der Roma-Bevölkerung sozial marginalisiert und benachteiligt sind. Prägend sind nach wie vor Probleme nicht-registrierter und auch staatenloser Roma, fehlende Integration in Gemeindestrukturen, Isolation und Stigmatisierung durch die ukrainische Bevölkerung. Ein weiteres Problem sind die unterdrückenden hierarchischen Strukturen innerhalb der Roma-Gemeinschaften selbst. Der Polizei werden regelmäßig unzureichende Ermittlungsbestrebungen bei Übergriffen auf Roma und den Behörden allgemein eine bisher nur eingeschränkte Umsetzung des Maßnahmenplans zum Schutz und der Integration der Roma-Minderheit 2014-2020 vorgeworfen (AA 29.2.2020). Roma sind von gesellschaftlicher Gewalt betroffen. Sie sehen sich weiterhin mit Diskriminierung und erheblichen Barrieren beim Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung, sozialen Diensten und Beschäftigung konfrontiert, u.a. wegen fehlender Geburtenregistrierung. Nach Angaben von Experten des Europarates sind 60% der Roma arbeitslos, 40% haben keine Dokumente (USDOS 11.3.2020; vgl. AA 29.2.2020). Im Westen des Landes kommt es teilweise zur Segregation von Roma in Schulen und medizinischen Einrichtungen, in einigen Fällen wurde ihnen medizinische Versorgung verweigert, was einen Verstoß gegen ukrainisches Recht darstellt (ÖB 2.2019).

Es gibt keine formalen Restriktionen in Bezug auf die politische Partizipation von Minderheitengruppen, in der Praxis wird diese jedoch durch Diskriminierung, den Konflikt im Osten, das Fehlen von Ausweispapieren für viele Roma und den Vorschriften gegen eine unabhängige Kandidatur auf lokaler Ebene behindert (FH 4.3.2020).

Weitere ethnische bzw. sprachliche Minderheiten in der Ukraine sind laut der letzten Volkszählung von 2001 auch noch Weißrussen (0,6% der Bevölkerung), Moldauer (0,5%), Bulgaren (0,4%), Ungarn, Polen und Rumänen (jeweils 0,3%) und Juden (0,2%). Vor allem die Ereignisse rund um den sogenannten Euromaidan 2014 führten in der Ukraine zu einem verstärkten Bestreben, sich von Russland abzugrenzen und die eigene Identität als Nation zu stärken. In diesem Zusammenhang wurden auch zahlreiche Gesetzesentwürfe zur Stärkung der Rolle der ukrainischen Sprache, z.B. in Hochschulen und im Sekundarschulbereich, verabschiedet. Diese Initiativen wurden und werden zum Teil auch von westlichen Nachbarn der Ukraine kritisiert, allen voran von Ungarn, die darin eine Benachteiligung angestammter Minderheiten und ihrer verfassungsmäßigen Rechte sehen (ÖB 2.2019). Die nächste Volkszählung soll Ende 2020 stattfinden (UA 27.1.2020).

Antisemitische Vorfälle sind seit Jahren rückläufig und bewegen sich auf einem stabil niedrigen Niveau. Der ukrainische Staat bezieht offen Stellung gegen Antisemitismus und unterhält Institutionen, die explizit der Bekämpfung von Antisemitismus und weiterer Formen von Rassismus und Xenophobie gewidmet sind (AA 29.2.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt (29.2.2020): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine (Stand: Januar 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2027985/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Ukraine_%28Stand_Januar_2020%29%2C_29.02.2020.pdf, Zugriff 19.5.2020

?        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - Ukraine, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025958.html, Zugriff 19.5.2020

?        ÖB - Österreichische Botschaften (2.2019): Asylländerbericht Ukraine, https://www.ecoi.net/en/file/local/2003113/UKRA_%C3%96B-Bericht_2018.doc, Zugriff 19.5.2020

?        UA – UA Crisis, Ukraine Crisis Media Center (27.1.2020): Neuer 'Ukraine-Kurator' im Kreml, aktuelle Bevölkerungszahlen, Umfrage zu EU und NATO-Beitritt sowie weitere Themen, https://uacrisis.org/de/74644-weekly-update-ukraine-3-20-26-january, Zugriff 25.5.2020

?        USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Ukraine, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026415.html, Zugriff 19.5.2020

Bewegungsfreiheit

Letzte Änderung: 09.07.2020

In Gebieten unter Regierungskontrolle ist die Bewegungsfreiheit im Allgemeinen nicht eingeschränkt. Das komplizierte ukrainische System, das von Einzelpersonen verlangt, dass sie sich rechtmäßig an einer Adresse registrieren lassen müssen, um wählen und bestimmte Dienstleistungen in Anspruch nehmen zu können, stellt jedoch ein Hindernis für die volle Bewegungsfreiheit dar, insbesondere für Vertriebene und Personen ohne offizielle Adresse, wo sie für offizielle Zwecke registriert werden könnten (FH 4.3.2020).

Verfassung und Gesetz gewähren den Bürgern Bewegungsfreiheit im Inland, Auslandsreisen, Auswanderung und Rückkehr. Die Regierung schränkt diese Rechte jedoch ein, insbesondere im östlichen Teil des Landes in der Nähe der Konfliktzone. Die Regierung und die von Russland geführten Kräfte kontrollieren die Bewegungen zwischen den von der Regierung kontrollierten Gebieten und den nicht von der Regierung kontrollierten Gebieten in der Region Donbas streng. Das Überschreiten der Kontaktlinie ist weiterhin mühsam. Am 17. Juli 2019 verabschiedete die Regierung neue Bestimmungen, die den Menschen mehr Flexibilität beim Transport von Gegenständen über die Kontaktlinie bieten sollten. Der öffentliche Personentransport über die Grenze bleibt verboten; private Beförderungsmittel sind zu hohen Preisen verfügbar und für die Mehrheit der Reisenden im Allgemeinen unbezahlbar. Obwohl es fünf Grenzübergänge gibt, waren während eines Großteils des Jahres 2019 nur vier in Betrieb. Nach Angaben des HRMMU überquerten zwischen Mai und August 2019 täglich durchschnittlich 39.000 Personen die Kontaktlinie. Das Pass-System, welches die ukrainische Regierung für den Übertritt vorsieht, bringt erhebliche Härten für Personen mit sich, die in das von der Regierung kontrollierte Gebiet einreisen, besonders für diejenigen, die Renten und staatliche Leistungen erhalten wollen (USDOS 11.3.2020). Rentner mit eingeschränkter Mobilität aufgrund von Krankheit, Behinderung oder fortschreitendem Alter, die in nicht von der Regierung kontrollierten Gebieten im Osten der Ukraine leben, sehen sich überwältigenden Schwierigkeiten beim Zugang zu ihren Renten gegenüber oder erhalten diese überhaupt nicht (HRW 24.1.2020). Die Regierung versuchte, das Pass-System zu reformieren, und führte ein Online-Antragsverfahren zur Kontrolle der Einreise in das von der Regierung kontrollierte Gebiet ein, wobei die Maßnahme jedoch wenig Verbesserung brachte. Viele Personen in den nicht von der Regierung kontrollierten Gebieten haben keinen Zugang zum Internet, um solche Pässe zu erhalten (USDOS 11.3.2020).

Die Ausreisefreiheit wird (vorbehaltlich gesetzlicher Einschränkungen) von der Verfassung garantiert. Ausreisewillige ukrainische Staatsangehörige müssen über einen Reisepass verfügen, der auf Antrag und gegen Gebühr ausgestellt wird. Bei Ausreise zur ständigen Wohnsitznahme im Ausland ist zudem zuvor ein gebührenpflichtiger Sichtvermerk des Staatlichen Migrationsdienstes einzuholen und dem Zoll eine Bestätigung des zuständigen Finanzamts vorzulegen, dass sämtliche steuerlichen Verpflichtungen erfüllt wurden. Weitergehende Verpflichtungen sind seit 1. Oktober 2016 entfallen. Die ukrainischen Grenzschutzbehörden kontrollieren an der Grenze, ob ein gültiger Reisepass und gegebenenfalls ein Visum des Ziellandes vorliegen, der Ausreisende in der Ukraine zur Fahndung ausgeschrieben ist oder andere Ausreisehindernisse bestehen. Ausgereist wird vornehmlich auf dem Landweg. Derzeit liegen keine Erkenntnisse vor, dass bei männlichen Reisenden an der Grenze der Status ihrer Wehrpflicht überprüft wird (AA 29.2.2020).

Die von Russland geführten Kräfte behindern weiterhin die Bewegungsfreiheit im östlichen Teil des Landes. An der Grenze zwischen der russisch besetzten Krim und dem Festland gibt es strenge Passkontrollen. Es gibt keinen Eisenbahn- und kommerziellen Busverkehr über die Verwaltungsgrenze; Menschen müssen die Verwaltungsgrenze entweder zu Fuß oder mit einem Privatfahrzeug überqueren (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt (29.2.2020): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine (Stand: Januar 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2027985/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Ukraine_%28Stand_Januar_2020%29%2C_29.02.2020.pdf, Zugriff 19.5.2020

?        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - Ukraine, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025958.html, Zugriff 19.5.2020

?        HRW – Human Rights Watch (24.1.2020): Ukraine: People with Limited Mobility Can’t Access Pensions, https://www.ecoi.net/de/dokument/2023448.html, Zugriff 19.5.2020

?        USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Ukraine, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026415.html, Zugriff 19.5.2020

IDPs und Flüchtlinge

Letzte Änderung: 09.07.2020
Die Zahl der vom ukrainischen Sozialministerium registrierten Binnenflüchtlinge (Internally Displaced Persons, IDPs) lag am 2. Dezember 2019 bei 1.427.211 Personen; die tatsächliche Zahl der dauerhaft vertriebenen IDPs dürfte nach UN-Schätzungen bei ca. 800.000 liegen. Diese Personen erhalten bisher nur durch die Registrierung als IDPs Zugang zu Sozial- und Rentenleistungen. Nach Angaben von UNHCR halten sich darüber hinaus ca. 1,55 Millionen Ukrainer in Nachbarländern, v.a. in Russland und Belarus, auf (Asyl und andere legale Formen des Aufenthalts) (AA 29.2.2020). Schätzungen zufolge stammen rund 60% der IDPs aus von Separatisten kontrollierten Gebieten im Kreis Donezk, 37% aus von Separatisten kontrollierten Gebieten im Kreis Lugansk und 3% von der Krim (Landinfo 16.4.2020).

Binnenvertreibung ist nach wie vor ein Problem. Auf der einen Seite gab es 2018 aufgrund von Kampfhandlungen, oder weil das Militär Häuser beschlagnahmte, ca. 12.000 zusätzliche IDPs. Auf der anderen Seite mussten zahlreiche ältere bzw. ärmere Personen in gefährdete Gebiete zurückkehren. 2018 konnten rund 12.000 IDPs ihre Situation in irgend einer Weise zumindest partiell verbessern, etwa durch Heimkehr oder lokale Integration (IDMC 5.2019). Stand 31. Dezember 2019 gab es insgesamt 730.000 IDPs in der Ukraine. Im Jahr 2019 wurden 60 neue Vertreibungen verzeichnet (IDMC 2020).

Die Regierung arbeitet mit UNHCR und anderen humanitären Organisationen zusammen, um Binnenvertriebenen Schutz und Unterstützung zu bieten. Nur registrierte IDPs bekommen Unterstützungsleistungen vom Staat. Die meisten IDPs leben in Gebieten, die unmittelbar an die Konfliktzonen angrenzen, in den von der Regierung kontrollierten Gebieten der Oblaste Donezk und Luhansk, sowie in den Gebieten Charkiw, Dnipropetrovsk und im Oblast Zaporizhzhya (USDOS 11.3.2020). Die meisten Binnenflüchtlinge leben nahe der Kontaktlin

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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