TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/29 W166 2180494-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.07.2021
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Entscheidungsdatum

29.07.2021

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W166 2180494-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Carmen LOIBNER-PERGER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch RA Dr. Christian SCHMAUS, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.11.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 11.05.2021 zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AslyG 2005 wird festgestellt, dass ihm damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Afghanistan, reiste illegal und schlepperunterstützt in das Bundesgebiet ein und stellte am 29.07.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 30.07.2015 führte der Beschwerdeführer aus, er sei am XXXX in XXXX , Iran geboren worden und dort aufgewachsen. In Afghanistan habe er noch nie gelebt. Er sei schiitischer Hazara, habe zwei Jahre die Grundschule in XXXX besucht und als Hilfsarbeiter gearbeitet. Seine Muttersprache sei Farsi. Seine Eltern, seine beiden Brüder und seine Schwester würden in XXXX im Iran leben. Der Aufenthaltsort seines dritten Bruders sei unbekannt. Der Beschwerdeführer gab weiters an, er habe den Iran verlassen, da er kein Bleiberecht gehabt und sich dort illegal aufgehalten habe. Auch gebe es im Iran keine Ausbildungsmöglichkeiten, aus diesem Grund sei er von dort geflohen. Seine Familie sei noch vor seiner Geburt aufgrund des Krieges und der Taliban aus Afghanistan geflohen. In Afghanistan fürchte er die Taliban und er habe dort niemanden. Im Iran drohe ihm die Abschiebung nach Afghanistan.

Am 13.05.2016 wurde eine sachverständige forensische Altersschätzung aufgrund von körperlichen, radiologischen sowie zahnärztlichen Untersuchungen am 29.04.2016 durchgeführt, und unter Berücksichtigung aller Untersuchungsergebnisse wurde ein Mindestalter von 19 Jahren zum Zeitpunkt der Untersuchung festgestellt. Mit Verfahrensanordnung vom 07.06.2016 wurde als Geburtsdatum des Beschwerdeführers der XXXX festgelegt und der Beschwerdeführer für volljährig erklärt.

Am 02.11.2017 wurde der Beschwerdeführer vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: „BFA“ oder „belangte Behörde“), Regionaldirektion Niederösterreich einvernommen und gab an, seine Muttersprache sei Dari. Auch spreche er ein wenig Deutsch und Farsi, und besitze weder Reisepass noch Tazkira. Befragt zu seiner Religion führte der Beschwerdeführer aus, er habe keinen Glauben an eine Religion. Seit er in Österreich angekommen sei, sei er kein schiitischer Moslem mehr. Er wolle frei sein, nicht mehr in die Moschee gehen und nicht mehr beten müssen. Dies hätte er seinen Freunden bereits gesagt, seiner Familie noch nicht. Auf Nachfrage, warum er dies seiner Familie noch nicht erzählt habe, gab er an, sie hätten nicht gefragt und es hätte noch keine Gelegenheit dazu gegeben. Er habe Burschen in XXXX gesehen, die nicht beten und nicht in die Moschee gehen, er habe sie als sorglos und glücklich wahrgenommen.

Zu seinem bisherigen Leben gab der Beschwerdeführer an, er sei in XXXX im Iran geboren und aufgewachsen. Dort habe er zwei Jahre eine afghanische Schule besucht und habe dann mit neun Jahren begonnen als Hilfsarbeiter zu arbeiten. Bis zu seinem 13. Lebensjahr habe er Ziegel hergestellt, dann habe er eine Lehre als Tischler begonnen. Dies habe er dann zwei Jahre gemacht, danach sei er ausgereist. Seine ganze Familie habe Ziegel hergestellt und ihre finanzielle Situation sei schwierig gewesen. Er habe seit drei Monaten keinen Kontakt mehr zu seiner Familie, sein Handy sei kaputt und er habe kein Internet.

Befragt warum er aus dem Iran ausgereist sei gab er an, er habe keine Dokumente gehabt. Die Polizei habe ihn immer wieder kontrolliert, aufgegriffen, beschimpft und geschlagen. Einmal hätten die Polizisten zu ihm gesagt, dass er entweder nach Syrien in den Kampf ziehen müsse oder ansonsten nach Afghanistan abgeschoben werde. Nach diesem Vorfall hätte ihm seine Mutter gesagt, dass er ausreisen müsse. Deswegen sei er ausgereist. Zu seinem dritten verschwundenen älteren Bruder befragt gab er an, dieser sei eines Tages nicht mehr nach Hause gekommen. Die Familie wüsste seit 11 Jahren nichts mehr von ihm, möglicherweise habe die Polizei ihn aufgegriffen. Der Beschwerdeführer sei zu diesem Zeitpunkt acht Jahre alt gewesen. Vor seiner Geburt habe seine Familie in Afghanistan in der Provinz Ghazni, Distrikt XXXX gelebt. Er glaube, seine Eltern haben Afghanistan aufgrund des Krieges verlassen, aber er habe nie nachgefragt. Befragt nach den Geschwistern seiner Eltern gab er an, er habe nie darüber nachgedacht sie nach ihren Geschwistern zu fragen. Die Familie hätte nur gearbeitet. Er wisse nur, dass seine Mutter eine Schwester habe da diese einmal zu Besuch gewesen sei, mehr nicht. In Afghanistan habe er keine Angehörigen mehr, ob seine Großeltern noch leben würden, wisse er nicht.

In Österreich habe er keine Angehörigen und beziehe Grundversorgung. Er habe in Österreich eine Vertrauensperson und dessen Familie.

Befragt nach seinen Bedenken bezüglich einer Rückkehr nach Afghanistan gab er an, in Afghanistan habe er niemanden und es herrsche dort Krieg. Er sei Hazara und diese würden in Afghanistan jeden Tag umgebracht werden. Auch glaube er nicht mehr an den Islam und würde deswegen in Afghanistan umgebracht werden. Außerdem würde man als Bacha Bazi missbraucht, wenn man aus Europa zurückkehre.

Im Zuge der Einvernahme legte der Beschwerdeführer Teilnahmebestätigungen an Projekten, Seminaren und Fußballturnieren, Empfehlungsschreiben und Fotos hinsichtlich seiner Integration vor.

Mit gegenständlich angefochtenem Bescheid der belangten Behörde vom 07.11.2017 wurde der Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AyslG2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 57 AsylG 2005 wurde ihm ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass eine Abschiebung nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

In der Begründung des angefochtenen Bescheides führte das BFA im Wesentlichen aus, falsche bzw. unglaubhafte Angaben des Beschwerdeführers zu seinem Geburtsdatum, der Dauer des Aufenthaltes seiner Familienangehörigen im Iran, seines Geburtsortes sowie zum Ausreisegrund seiner Eltern aus Afghanistan ließen ihn unglaubwürdig erscheinen. Unglaubwürdig erschien der belangten Behörde auch, dass der Beschwerdeführer nicht gewusst habe, wie viele Geschwister sein Vater habe. Auch habe der Beschwerdeführer im gerichtmedizinischen Gutachten zur Altersfeststellung XXXX in Afghanistan als Geburtsort angegeben, was seiner Behauptung im Iran geboren zu sein widerspreche. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer im Iran geboren worden sei, erschien der belangten Behörde daher ebenfalls als unglaubwürdig. Das BFA führte weiter aus, der Beschwerdeführer konnte seine Behauptung, er gehöre keiner Religionsgemeinschaft an, nicht glaubwürdig darstellen. Auch sei der Aussage hinsichtlich der fehlenden Anknüpfungspunkte in Afghanistan kein Glauben zu schenken. Er sei nach wie vor arbeitsfähig und gesund und sei davon auszugehen, dass er im Fall einer Rückkehr an jedem beliebigen Ort, wie beispielsweise Kabul, seinen Lebensunterhalt sichern werde könne. Darüber hinaus könne er Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen und bestehe die Möglichkeit, dass der Beschwerdeführer entgegen seiner Angaben doch über soziale Netzwerke in Kabul verfüge. Im Ergebnis hätten sich in einer Gesamtschau der Angaben des Beschwerdeführers und unter Berücksichtigung der aktuellen Lage in Afghanistan keine konkreten Anhaltspunkte dahingehend ergeben, wonach die unmittelbar nach erfolgter Rückkehr allenfalls drohenden Gefahren nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht wären, dass sich daraus mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit das reale Risiko einer derart extremen Gefahrenlage ergeben würde, dass eine Rückführung nach Afghanistan nicht möglich wäre. Ein Familienleben des Beschwerdeführers in Österreich habe nicht festgestellt werden können. Auch weise er kein schützenswertes Privatleben im Sinne des Art. 8 EMRK auf.

Gegen den angefochtenen Bescheid richtet sich die fristgerecht eingebrachte Beschwerde vom 07.12.2017, worin vom Beschwerdeführer, vertreten durch seinen Rechtsanwalt, im Wesentlichen ausgeführt wurde, das Verfahren vor der belangten Behörde sei mit wesentlichen Verfahrensmängeln belastet, da das Parteiengehör verletzt worden sei. Auch habe das BFA eine mangelhafte Beweiswürdigung vorgenommen. Der Beschwerdeführer stelle daher den Antrag auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und zeugenschaftliche Einvernahme einer Vertrauensperson. Dem Beschwerdeführer würde im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan eine asylrelevante Verfolgung drohen. Auch würden Rückkehrer aus dem Iran zu Opfern von Verfolgungshandlungen durch die Taliban.

Die Beschwerde samt dem Verwaltungsakt langte am 21.12.2017 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Mit Eingabe vom 13.08.2019 langte eine ergänzende Stellungnahme des Beschwerdeführers ein, in welcher dieser wiederholt darlegte vom islamischen Glauben abgefallen zu sein. Weiter gab der Beschwerdeführer an, an einer posttraumatischen Belastungsstörung, Aufmerksamkeitsstörung sowie mittelgradiger Minderbegabung zu leiden. Dem Schreiben legte der Beschwerdeführer eine Austrittserklärung aus der islamischen Kirchengemeinschaft vom 11.09.2018, einen psychologischen Befund vom 27.09.2018 und diverse Teilnahmebestätigungen bei.

Mit Eingabe vom 11.11.2020 langte eine weitere ergänzende Stellungnahme des Beschwerdeführers ein, in welcher dieser angab bereits erfolgreich in die österreichische Gesellschaft integriert zu sein. Der Beschwerdeführer hob darin seine berufliche Integration, Selbsterhaltungsfähigkeit, ehrenamtliche Tätigkeiten sowie seine zahlreichen österreichischen Sozialkontakte hervor und gab an, die Bindungen zu seinem Herkunftsstaat seien erloschen. Dem Schreiben legte der Beschwerdeführer diverse Empfehlungsschreiben, Zertifikate und Teilnahmebestätigungen, sowie das Zeugnis zu bestandenen Integrationsprüfung Sprachniveau A2 vom 06.02.2020 und das ÖSD Zertifikat Sprachniveau A2 vom 29.10.2019 bei. Auch legte der Beschwerdeführer Gewerbeberichtigungen, einen Werkvertrag für die Tätigkeit als Zusteller vom 21.03.2020, sowie Kontoauszüge der Sozialversicherungsanstalt und eine Aufstellung seiner Einnahmen von Februar 2020 bis Oktober 2020 vor.

Mit Eingabe vom 04.05.2021 langte eine weitere ergänzende Stellungnahme des Beschwerdeführers ein, in welcher dieser eine enge familiäre Bindung zu Frau XXXX und deren Familie betonte und in weitere Folge deren zeugenschaftliche Einvernahme beantragte. Der Beschwerdeführer hob erneut seine erfolgreiche Integration, Selbsterhaltungsfähigkeit sowie seinen Abfall vom islamischen Glauben hervor. Dem Schreiben legte er zahlreiche Empfehlungsschreiben, Teilnahmebestätigung an Ausbildungen und seine Einkommenssteuererklärung bei.

Am 11.05.2021 führte das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung durch, in welcher der Beschwerdeführer, vertreten durch seinen Rechtsanwalt, im Beisein einer Dolmetscherin, von der erkennenden Richterin zu seinem Antrag und seiner Beschwerde einvernommen wurde, und der Beschwerdeführer die Möglichkeit hatte, den Sachverhalt umfassend darzulegen. Ein Vertreter der belangten Behörde nahm ebenfalls an der mündlichen Verhandlung teil. Er beantragte in der mündlichen Verhandlung die Abweisung der Beschwerde, da keine direkte, individuelle Bedrohung vorgebracht worden sei und daher kein asylrelevanter Fluchtgrund vorliegen würde. Bezüglich des Fluchtgrunds der Apostasie würde keine direkte, auf den Beschwerdeführer gerichtete Bedrohung vorliegen. Zum Status des subsidiär Schutzberechtigten verwies die Behörde auf die Zumutbarkeit einer Rückkehr in die Städte Mazar-e Sharif oder Herat.

Weiters erschienen die österreichischen Ersatzfamilienmitglieder des Beschwerdeführers als Vertrauenspersonen zur mündlichen Verhandlung.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara, wurde im Iran in XXXX geboren und hat mit seiner Familie bis zu seiner Ausreise im Iran gelebt. Der Beschwerdeführer besuchte zwei Jahre eine afghanische Schule im Iran, und war im Iran als Hilfsarbeiter in einem Steinbruch tätig. Die Familie des Beschwerdeführers - die Mutter, zwei Brüder und eine Schwester - leben nach wie vor im Iran. Der Vater des Beschwerdeführers ist verstorben. Der Beschwerdeführer hat regelmäßigen Kontakt zu seiner Familie. Der Beschwerdeführer war noch nie in Afghanistan und hat auch keine Familienmitglieder in Afghanistan. Er hat auch keine Familienangehörigen in Österreich.

Der Beschwerdeführer gehört keiner Glaubensrichtung mehr an. Er ist am 11.09.2018 aus der Islamischen Glaubensgemeinschaft ausgetreten.

Seine Identität steht mangels Vorlage identitätsbezeugender Dokumente lediglich mit der für das Verfahren ausreichenden Sicherheit fest.

Der Beschwerdeführer reiste am schlepperunterstützt und illegal in Österreich ein, und stellte am 29.07.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

Der Beschwerdeführer ist gesund.

Der Beschwerdeführer ist selbständig als XXXX und als Putzkraft tätig. Er ist selbsterhaltungsfähig und bezieht keine Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung. Der Beschwerdeführer hat Deutschkurse besucht, und seine Deutschkenntnisse sind sehr gut. Der Beschwerdeführer ist sehr gut in die österreichische Gesellschaft integriert.

1.2. Zu den geltend gemachten Fluchtgründen:

Der Beschwerdeführer reiste illegal in Österreich ein und stellte am 29.07.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Der Beschwerdeführer ist bereits im Iran nicht in die Moschee gegangen und hat auch nicht gebetet, weswegen er von seiner Familie - welche gläubig ist - geschlagen und beschimpft wurde. Der Beschwerdeführer hatte bzw. hat kein Interesse am Islam.

In Österreich ist der Beschwerdeführer aus der islamischen Glaubensgemeinschaft ausgetreten. Er fühlt sich dem Islam nicht mehr zugehörig, führt keine islamischen Rituale aus, fastet und betet nicht, geht nicht in die Moschee und will nichts mehr mit dem Islam zu tun haben.

Religion spielt keine Rolle im Leben des Beschwerdeführers. Der Beschwerdeführer will auch nicht zum Christentum konvertieren.

Der Beschwerdeführer hat sich aus freier persönlicher Überzeugung von seiner ursprünglichen Religion des Islam abgewendet, und es ist nicht anzunehmen, dass der Beschwerdeführer seine Apostasie im Herkunftsstaat Afghanistan verleugnen würde.

Der Beschwerdeführer befürchtet, infolge seiner Abwendung vom muslimischen Glauben in Afghanistan verfolgt und getötet zu werden.

Es kann im gegenständlichen Fall nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund seiner Abkehr vom Islam (Apostasie) einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt wäre bzw. ihm aufgrund seiner Apostasie physische und/oder psychische Gewalt drohen würde.

Dem Beschwerdeführer steht auch keine innerstaatliche Fluchtalternative offen.

1.3. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Zur Situation in Afghanistan wird festgestellt (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Stand 02.04.2021):

Religionsfreiheit

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime. Die Sunniten werden auf 80 bis 89,7% und die Schiiten auf 10 bis 19% der Gesamtbevölkerung geschätzt (CIA 06.10.2020; vgl. AA 16.07.2020). Andere Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha‘i und Christen machen weniger als 1% der Bevölkerung aus (AA 16.07.2020; vgl. CIA 06.10.2020, USDOS 10.06.2020). Genaue Angaben zur Größe der christlichen Gemeinschaft sind nicht vorhanden (USDOS 10.06.2020). In Kabul lebt auch weiterhin der einzige jüdische Mann in Afghanistan (UP 16.08.2019; vgl. BBC 11.04.2019). Die muslimische Gemeinschaft der Ahmadi schätzt, dass sie landesweit 450 Anhänger hat, gegenüber 600 im Jahr 2017 (USDOS 10.6.2020).

Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (USDOS 10.06.2020; vgl. FH 04.03.2020). Ausländische Christen und einige wenige Afghanen, die originäre Christen und nicht vom Islam konvertiert sind, werden normal und fair behandelt. Es gibt kleine Unterschiede zwischen Stadt und Land. In den ländlichen Gesellschaften ist man tendenziell feindseliger (RA KBL 10.06.2020). Für christliche Afghanen gibt es keine Möglichkeit der Religionsausübung außerhalb des häuslichen Rahmens (AA 16.07.2020; vgl. USCIRF 4.2020, USDOS 10.06.2020), da es keine öffentlich zugänglichen Kirchen im Land gibt (USDOS 10.06.2020; vgl. AA 16.07.2020). Einzelne christliche Andachtsstätten befinden sich in ausländischen Militärbasen. Die einzige legale christliche Kirche im Land befindet sich am Gelände der italienischen Botschaft in Kabul (RA KBL 10.06.2020). Die afghanischen Behörden erlaubten die Errichtung dieser katholischen Kapelle unter der Bedingung, dass sie ausschließlich ausländischen Christen diene und jegliche Missionierung vermieden werde (KatM KBL 08.11.2017). Gemäß hanafitischer Rechtsprechung ist Missionierung illegal; Christen berichten, die öffentliche Meinung stehe ihnen und der Missionierung weiterhin feindselig gegenüber (USDOS 10.06.2020). Die Abkehr vom Islam gilt als Apostasie, die nach der Scharia strafbewehrt ist (USDOS 10.06.2020; vgl. AA 16.07.2020). Wie in den vergangenen fünf Jahren gab es keine Berichte über staatliche Verfolgungen wegen Blasphemie oder Apostasie; jedoch berichten Personen, die vom Islam konvertieren, dass sie weiterhin die Annullierung ihrer Ehen, die Ablehnung durch ihre Familien und Gemeinschaften, den Verlust ihres Arbeitsplatzes und möglicherweise die Todesstrafe riskieren (USDOS 10.06.2020).

Das Gesetz verbietet die Produktion und Veröffentlichung von Werken, die gegen die Prinzipien des Islam oder gegen andere Religionen verstoßen (USDOS 10.06.2020). Das neue Strafgesetzbuch 2017, das im Februar 2018 in Kraft getreten ist (USDOS 10.06.2020; vgl. ICRC o.D.), sieht Strafen für verbale und körperliche Angriffe auf Anhänger jedweder Religion und Strafen für Beleidigungen oder Verzerrungen gegen den Islam vor (USDOS 10.06.2020).

Das Zivil- und Strafrecht basiert auf der Verfassung; laut dieser müssen Gerichte die verfassungsrechtlichen Bestimmungen sowie das Gesetz bei ihren Entscheidungen berücksichtigen. In Fällen, in denen weder die Verfassung noch das Straf- oder Zivilgesetzbuch einen bestimmten Rahmen vorgeben, können Gerichte laut Verfassung die sunnitische Rechtsprechung der hanafitischen Rechtsschule innerhalb des durch die Verfassung vorgegeben Rahmens anwenden, um Recht zu sprechen. Die Verfassung erlaubt es den Gerichten auch, das schiitische Recht in jenen Fällen anzuwenden, in denen schiitische Personen beteiligt sind. Nicht-Muslime dürfen in Angelegenheiten, die die Scharia-Rechtsprechung erfordern, nicht aussagen. Die Verfassung erwähnt keine eigenen Gesetze für Nicht-Muslime. Vertreter nicht-muslimischer religiöser Minderheiten, darunter Sikhs und Hindus, berichten über ein Muster der Diskriminierung auf allen Ebenen des Justizsystems (USDOS 10.06.2020).

Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsalierung gegenüber religiösen Minderheiten und reformerischen Muslimen behindert (FH 04.03.2020; vgl. USDOS 10.06.2020).

Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung (FH 04.03.2020). Mitglieder der Taliban und des Islamischen Staates (IS) töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung (USDOS 10.06.2020; vgl. FH 04.03.2020). Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen (USDOS 10.06.2020).

Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin einer anderen abrahamitischen Religion (Christentum oder Judentum) ist. Einer Muslima ist es nicht erlaubt, einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten. Konvertiten vom Islam riskieren die Annullierung ihrer Ehe (USDOS 10.06.2020). Ehen zwischen zwei Nicht-Muslimen sind gültig (USE o.D.). Die nationalen Identitätsausweise beinhalten Informationen über das Religionsbekenntnis. Das Bekenntnis zum Islam wird für den Erwerb der Staatsbürgerschaft nicht benötigt. Religiöse Gemeinschaften sind gesetzlich nicht dazu verpflichtet, sich registrieren zu lassen (USDOS 10.06.2020).

Laut Verfassung soll der Staat einen einheitlichen Lehrplan, der auf den Bestimmungen des Islam basiert, gestalten und umsetzen; auch sollen Religionskurse auf Grundlage der islamischen Strömungen innerhalb des Landes entwickelt werden. Der nationale Bildungsplan enthält Inhalte, die für Schulen entwickelt wurden, in denen die Mehrheiten entweder schiitisch oder sunnitisch sind; ebenso konzentrieren sich die Schulbücher auf gewaltfreie islamische Bestimmungen und Prinzipien. Der Bildungsplan beinhaltet Islamkurse, nicht aber Kurse für andere Religionen. Für Nicht-Muslime an öffentlichen Schulen ist es nicht erforderlich, am Islamunterricht teilzunehmen (USDOS 10.06.2020).

Schiiten

Der Anteil schiitischer Muslime an der Bevölkerung wird auf 10 bis 19% geschätzt (CIA 06.10.2020; vgl. AA 16.07.2020). Zuverlässige Zahlen zur Größe der schiitischen Gemeinschaft sind nicht verfügbar und werden vom Statistikamt nicht erfasst. Gemäß Vertretern der Religionsgemeinschaft sind die Schiiten Afghanistans mehrheitlich Jafari-Schiiten (Zwölfer-Schiiten), 90% von ihnen gehören zur ethnischen Gruppe der Hazara. Unter den Schiiten gibt es auch Ismailiten (USDOS 10.06.2020).

Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten sind in Afghanistan selten (AA 16.07.2020). Beobachtern zufolge ist die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit zurückgegangen; dennoch existieren Berichte zu lokalen Diskriminierungsfällen. Gemäß Zahlen von UNAMA gab es im Jahr 2019 zehn Fälle konfessionell motivierter Gewalt gegen Schiiten, die 485 zivile Opfer forderten (117 Tote und 368 Verletzte), was einem Rückgang von 35% gegenüber 2018 entspricht, als es 19 Fälle gab, die 747 zivile Opfer forderten (233 Tote und 524 Verletzte). Der Islamische Staat Khorasan Provinz (ISKP) bekannte sich zu sieben der zehn Vorfälle und gab an, dass diese auf die religiöse Minderheit der schiitischen Muslime ausgerichtet waren (USDOS 10.06.2020). In den Jahren 2016, 2017 und 2018 wurden durch den Islamischen Staat (IS) und die Taliban 51 terroristische Angriffe auf Glaubensstätten und religiöse Anführer der Schiiten bzw. Hazara durchgeführt (FH 04.02.2019; vgl. USDOS 21.06.2019, CRS 01.05.2019).

Die schiitische Hazara-Gemeinschaft bezeichnet die Sicherheitsvorkehrungen der Regierung in den von Schiiten dominierten Gebieten als unzureichend. Die afghanische Regierung bemüht sich erneut um die Lösung von Sicherheitsproblemen im von schiitischen Hazara bewohnten Gebiet Dasht-e Barchi im Westen von Kabul-Stadt, das im Laufe des Jahres Ziel größerer Angriffe war, und kündigte Pläne zur Verstärkung der Präsenz der afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF) an. Nach Angaben der schiitischen Gemeinschaft gab es trotz der Pläne keine Aufstockung der ANDSF-Kräfte; es wurde jedoch angemerkt, dass die Regierung Waffen direkt an die Wachen der schiitischen Moscheen in Gebieten verteilt habe, die als mögliche Angriffsziele angesehen werden (USDOS 10.06.2020).

Die politische Repräsentation und die Beteiligung an den nationalen Institutionen seitens der traditionell marginalisierten schiitischen Minderheit, der hauptsächlich ethnische Hazara angehören, ist seit 2001 gestiegen (FH 04.03.2020). Obwohl einige schiitische Muslime höhere Regierungsposten bekleiden, behaupten Mitglieder der schiitischen Minderheit, dass die Anzahl dieser Stellen die demografischen Verhältnisse des Landes nicht reflektiert. Vertreter der Sunniten hingegen geben an, dass Schiiten im Vergleich zur Bevölkerungszahl in den Behörden überrepräsentiert seien. Einige Mitglieder der ismailitischen Gemeinschaft beanstanden die vermeintliche Vorenthaltung von politischen Posten; vier Parlamentssitze sind für Ismailiten reserviert (USDOS 10.06.2020).

Im Ulema-Rat, der nationalen Versammlung von Religionsgelehrten, die u.a. dem Präsidenten in der Festlegung neuer Gesetze und Rechtsprechung beisteht, beträgt die Quote der schiitischen Muslime 25 bis 30% (AB 08.09.2020; vgl. USIP 14.06.2018, AA 02.09.2019). Des Weiteren tagen regelmäßig rechtliche, konstitutionelle und menschenrechtliche Kommissionen, welche aus Mitgliedern der sunnitischen und schiitischen Gemeinschaften bestehen und von der Regierung unterstützt werden, um die interkonfessionelle Schlichtung zu fördern (USDOS 10.06.2020).

Das afghanische Ministry of Hajj and Religious Affairs (MOHRA) erlaubt sowohl Sunniten als auch Schiiten, Pilgerfahrten zu unternehmen (USDOS 10.06.2020).

Sikhs und Hindus

Die Gemeinschaft der Sikhs und Hindus schätzte 2019 ihre Größe in Afghanistan auf ca. 550 Personen. Im Jahr 2018 hatte sie noch 700 und im Jahr 2017 1.300 Personen umfasst. Der Rest hat Afghanistan verlassen (USDOS 10.06.2020). Noch vor einigen Jahrzehnten lebten einige Hunderttausend Hindus und Sikhs in Afghanistan (AJ 01.01.2017; vgl. AIIA 11.07.2018). Eine sich verschlechternde wirtschaftliche Lage der Gemeinschaften, erhöhte Sicherheitsbedenken sowie fehlender Zugang zum Arbeitsmarkt waren laut Sikh-Führern Hauptgrund einer verstärkten Emigration (USDOS 10.06.2020). Hindus und Sikhs leben im 1. Kabuler Stadtdistrikt im Stadtteil Hindu Gozar (AAN 19.03.2019) sowie in den Provinzen Nangarhar und Ghazni. Es gibt zwei aktive Gurudwaras (Gebetsstätten der Sikhs) in Kabul und vier Hindu-Tempel landesweit, davon zwei in Kabul sowie je einen in Jalalabad und Helmand (AA 16.07.2020).

Berichten zufolge werden Hindus und Sikhs von großen Teilen der muslimischen Bevölkerung als Außenseiter betrachtet (AA 16.07.2020). Sie sind verbalen Übergriffen, Diskriminierung und Belästigung ausgesetzt, können jedoch ihren Glauben öffentlich ausüben. Quellen zufolge sind Hindus weniger gefährdet als Sikhs; der Grund dafür ist das Fehlen sichtbarer charakteristischer Merkmale (z.B. Kopfbedeckung) bei den Hindus (USDOS 10.06.2020). Sikhs sind zurückhaltend bei der Begehung religiöser Feste, um keine Aufmerksamkeit zu erregen, und der Staat hat nur eingeschränkte Möglichkeiten, die Gemeinschaft vor alltäglichem sozialem Druck zu schützen. Der afghanische Staat verhält sich den in Afghanistan verbliebenen Sikhs gegenüber nicht feindlich (AIIA 11.07.2018). Staatliche Diskriminierung gibt es nicht, auch wenn der Weg in öffentliche Ämter für Hindus und Sikhs schon aufgrund fehlender Patronagenetzwerke schwierig ist (AA 16.07.2020).

Trotz gesellschaftlicher Diskriminierung bekleiden Mitglieder dieser Gemeinschaften weiterhin Regierungsposten. Ein Sitz im Unterhaus ist für einen Vertreter der Hindu- und Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 10.06.2020). Dieser Sitz wird zurzeit durch Narender Singh bekleidet (AB 19.03.2019; vgl. RY 06.04.2019). Hindus und Sikhs vermeiden nach eigenen Angaben, Landstreitigkeiten über Gerichte beizulegen, da sie Angst vor Vergeltungsaktionen haben. Sie regeln Streitfälle mittels Gemeinschaftsversammlungen oder Mediation (USDOS 10.06.2020).

Hindus und Sikhs geben an, dass ihre Kinder in öffentlichen Schulen gehänselt und belästigt werden, manchmal bis zu dem Punkt, dass die Eltern sie aus dem Unterricht nehmen (USDOS 10.06.2020).

Hindus und Sikhs berichten weiterhin von Störungen während ihrer traditionellen Feuerbestattungen durch Anrainer ihrer Kremationsstätte (shamshan). Obwohl sie während der Einäscherungszeremonien die Regierung um Unterstützung für die Sicherheit bittet und diese auch erhält, sieht sich die Gemeinde weiterhin Protesten und Gewaltandrohungen ausgesetzt, die sie an der Ausübung der heiligen Praxis hindern (USDOS 10.06.2020; vgl. AIIA 11.07.2018).

Baha‘i

Im Jahr 1966 entstand die erste Baha‘i-Gemeinde in Kabul. Viele ihrer Anhänger wurden während der Taliban-Herrschaft verhaftet oder mussten das Land verlassen. Inzwischen sind einige von ihnen nach Afghanistan zurückgekehrt (AA 16.07.2020). Es existieren keine verlässlichen Schätzungen zur Größe der Baha‘i-Gemeinschaft (USDOS 10.06.2020). UNHCR schätzte ihre Zahl 2013 landesweit auf 2.000 Personen (AA 16.07.2020). Die Gemeinschaft der Baha‘i ist hauptsächlich in Kabul ansäßig, mit wenigen Mitgliedern in Kandahar (USDOS 10.06.2020).

Im Mai 2007 befand das Generaldirektorat für Fatwas, dass der Glaube der Baha’i eine Abweichung vom Islam und eine Form der Blasphemie sei. Auch wurden alle Muslime, die den Baha’i-Glauben annehmen, zu Abtrünnigen erklärt (USDOS 10.06.2020; vgl. AA 16.07.2020). Sie gelten somit als Ungläubige, nicht jedoch als Konvertiten und werden keines Vergehens angeklagt. Strafverfolgung wegen Blasphemie wird nicht berichtet (USDOS 10.06.2020; vgl. AA 16.07.2020).

Apostasie, Blasphemie, Konversion

Glaubensfreiheit, die auch eine freie Religionswahl beinhaltet, gilt in Afghanistan de facto nur eingeschränkt. Die Abkehr vom Islam (Apostasie) wird nach der Scharia als Verbrechen betrachtet, auf das die Todesstrafe steht (FH 04.03.2020; vgl AA 16.07.2020, USDOS 10.06.2020).

Afghanische Christen sind in den meisten Fällen vom Islam zum Christentum konvertiert. Neben der drohenden strafrechtlichen Verfolgung werden Konvertiten in der Gesellschaft ausgegrenzt und zum Teil angegriffen (AA 16.07.2020). Bei der Konversion vom Islam zum Christentum wird in erster Linie nicht das Christentum als problematisch gesehen, sondern die Abkehr vom und der Austritt aus dem Islam (LIFOS 21.12.2017). Jeder Konvertit soll laut islamischer Rechtsprechung drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken. Des Weiteren ist gemäß hanafitischer Rechtsprechung Missionierung illegal. Dasselbe gilt für Blasphemie, die in der hanafitischen Rechtsprechung unter die Kapitalverbrechen fällt (USDOS 10.06.2020) und auch nach dem neuen Strafgesetzbuch unter der Bezeichnung „religionsbeleidigende Verbrechen“ verboten ist (MoJ 15.05.2017: Art. 323).

Wie in den vergangenen fünf Jahren gab es keine Berichte über staatliche Verfolgungen wegen Blasphemie oder Apostasie (USDOS 10.06.2020; vgl. AA 16.07.2020); jedoch berichten Personen, die vom Islam konvertierten, dass sie weiterhin die Annullierung ihrer Ehen, die Ablehnung durch ihre Familien und Gemeinschaften, den Verlust ihres Arbeitsplatzes und möglicherweise die Todesstrafe riskieren (USDOS 10.06.2020) Die afghanische Regierung scheint kein Interesse daran zu haben, negative Reaktionen oder Druck hervorzurufen (LIFOS 21.12.2017; vgl. RA KBL 10.06.2020) - weder vom konservativen Teil der afghanischen Gesellschaft, noch von den liberalen internationalen Kräften, die solche Fälle verfolgt haben (LIFOS 21.12.2017).

Es kann jedoch einzelne Lokalpolitiker geben, die streng gegen mutmaßliche Apostaten vorgehen, und es kann auch im Interesse einzelner Politiker sein, Fälle von Konversion oder Blasphemie für ihre eigenen Ziele auszunutzen (LIFOS 21.12.2017).

Allein der Verdacht, jemand könnte zum Christentum konvertiert sein, kann der Organisation Open Doors zufolge dazu führen, dass diese Person bedroht oder angegriffen wird (AA 16.07.2020). Die afghanische Gesellschaft hat generell eine sehr geringe Toleranz gegenüber Menschen, die als den Islam beleidigend oder zurückweisend wahrgenommen werden (LIFOS 21.12.2017; vgl. FH 04.03.2020). Obwohl es auch säkulare Bevölkerungsgruppen gibt, sind Personen, die der Apostasie beschuldigt werden, Reaktionen von Familie, Gemeinschaften oder in einzelnen Gebieten von Aufständischen ausgesetzt, aber eher nicht von staatlichen Akteuren (LIFOS 21.12.2017). Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung (FH 04.03.2020).

Abtrünnige haben Zugang zu staatlichen Leistungen; es existiert kein Gesetz, Präzedenzfall oder Gewohnheiten, die Leistungen für Abtrünnige durch den Staat aufheben oder einschränken. Sofern sie nicht verurteilt und frei sind, können sie Leistungen der Behörden in Anspruch nehmen (RA KBL 10.06.2020).

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellung zur Staatsangehörigkeit, zur Volksgruppenzugehörigkeit, zur Herkunft, zu seinem persönlichen und familiären Leben stützen sich auf die diesbezüglich glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers in der Einvernahme und im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 11.05.2021.

Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid ausgeführt, es könne nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Iran geboren worden sei, und wurde dies im Wesentlichen mit dem fehlenden Wissen des Beschwerdeführers über die Herkunftsprovinz und die Dauer des Aufenthaltes der Eltern im Iran, sowie des Umstandes, dass im gerichtsmedizinischen Gutachten zur Altersfeststellung vom 13.05.2016 als Geburtsort XXXX angegeben worden sei, begründet. Diese Ansicht der belangten Behörde kann von der erkennenden Richterin nicht geteilt werden. Aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführer nicht genau weiß, wann vor seiner Geburt seine Eltern Afghanistan verlassen hätten, führt nicht zur Unglaubwürdigkeit seines Vorbringens betreffend seine Geburt und sein Aufwachsen im Iran. Es ist auch nicht richtig, dass der Beschwerdeführer auf Befragen durch die belangte Behörde nicht angegeben konnte, aus welcher Provinz seine Eltern stammen. Vielmehr hat er auf die Frage eines Vertreters der belangten Behörde: „Wissen Sie, wo Ihre Familie damals in Afghanistan gelebt hat?“ geantwortet: „In der Provinz Ghazni, Distrikt XXXX .“ Auf Vorhalt des Vertreters der belangten Behörde, im gerichtsmedizinischen Gutachten sei die Provinz XXXX als Geburtsort angegeben, antwortete der Beschwerdeführer konkret: „Ich bin nicht aus XXXX . (…) Ich bin im Iran geboren und habe Afghanistan noch nie gesehen. Ich weiß nur, dass meine Eltern aus Ghazni sind. Wieso soll ich XXXX sagen?“ Aus welchem Grund im gerichtsmedizinischen Gutachten als Geburtsort XXXX vermerkt ist, ist nicht feststellbar, es kann sich aber auch um einen Irrtum handeln bzw. auf Grund der Verwendung von Unterlagen, in welchen nur mehr persönliche Datensätze geändert werden, ergeben haben. Da der Beschwerdeführer sowohl in der Erstbefragung am 30.07.2015, in der niederschriftlichen Einvernahme am 02.11.2017, als auch in der mündlichen Verhandlung am 11.05.2021 immer gleichbleibend und daher glaubwürdig angegeben hat, dass er afghanischer Staatsbürger aber im Iran, XXXX geboren und aufgewachsen sei, seine Familie vor seiner Geburt aus Afghanistan in den Iran geflüchtet sei, und nach wie vor im Iran lebe, geht die erkennende Richterin von der Glaubwürdigkeit seines Vorbringens aus, welches überdies auch in Zusammenschau mit dem notorischen Amtswissen über Afghanistan glaubhaft erscheint, und beruhen darauf die diesbezüglich getroffenen Feststellungen. Der Vertreter der belangten Behörde hat zu diesem Themenkomplex in der mündlichen Verhandlung lediglich wie folgt gefragt:

„BFA: Die 1. Frage bezieht sich noch auf die Familie: haben Sie inzwischen etwas erfahren über die Geschwister Ihres Vaters, hatte er welche? Bei der Einvernahme haben Sie gesagt, das interessiert Sie nicht.

BF: Ja. Ich habe meine Familie danach gefragt. Meine Mutter sagte mir, dass mein Vater 2 Brüder hat, die in Mashad/Iran, leben. Meine Mutter hat selbst eine Schwester und einen Bruder, die ebenfalls im Iran leben. Die Schwester, meine Tante, lebt in XXXX und mein Onkel ms lebt in XXXX .“

Die im Bescheid von der belangten Behörde festgestellten Unglaubwürdigkeiten betreffend den Geburtsort des Beschwerdeführers, die Herkunftsprovinz der Eltern sowie den Umstand, wann und aus welchem Grund die Eltern Afghanistan verlassen hätten, wurden dem Beschwerdeführer vom Vertreter der belangen Behörde in der mündlichen Verhandlung nicht vorgehalten.

Zu seinem persönlichen Leben hat der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vorgebracht, er habe im Iran zwei Jahre eine afghanische Abendschule besucht und in einem Steinbruch gearbeitet. In Afghanistan sei er noch nie gewesen. Zu seiner Familie hat der Beschwerdeführer vorgebracht, er habe im Iran seine Mutter, zwei Brüder, eine Schwester und der Vater sei im September 2020 verstorben. Er habe regelmäßigen Kontakt zu seiner Familie, in Afghanistan habe er niemanden. Auch in Österreich habe er keine Familienangehörigen sondern nur seine österreichische Familie.

Dazu hat der Vertreter der belangen Behörde den Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung wie folgt befragt:

„BFA: Diese Abendschule, die Sie besucht haben, war das eine iranisch geführte Schule oder eine afghanische Flüchtlingsschule?“

BF: Es war für Afghanen. Es war eine afghanische Abendschule.

BFA: Sind Sie im Iran mehr unter Afghanen gewesen? Sind Sie im Rahmen Ihrer afghanischen Familie, im Rahmen von afghanischen Traditionen aufgewachsen oder anders mit iranischen Gepflogenheiten?

BF: Ich war die meiste Zeit arbeiten und in meiner Freizeit habe ich Fußball gespielt. Die Kinder, mit denen ich gespielt habe, waren meistens aus Afghanistan.“

Dass der Beschwerdeführer keiner Glaubensgemeinschaft mehr angehört und aus der islamischen Glaubensgemeinschaft ausgetreten ist, ergibt sich aus der Bescheinigung über den Austritt vom 11.09.2018 und insbesondere den Angaben des Beschwerdeführers sowie seiner Ersatzmutter in der mündlichen Verhandlung.

Mangels seine Identität zweifelsohne bezeugende Dokumente, steht diese lediglich mit der für das Verfahren ausreichenden Sicherheit fest.

Das Datum der Antragstellung ergibt sich aus dem Akteninhalt.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer in Österreich strafrechtlich unbescholten ist, ergibt sich aus der Einsichtnahme in das österreichische Strafregister und dem diesbezüglich aktuellen Strafregisterauszug.

Dass der Beschwerdeführer gesund ist, ergibt sich aus seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung wo er angab, gesund zu sein und keine Medikamente zu nehmen.

Dass der Beschwerdeführer über sehr gute Deutschkenntnisse verfügt, Erwerbstätigkeiten nachgeht, selbsterhaltungsfähig und sehr gut in die österreichische Gesellschaft integriert ist, ergibt sich aus den diversen vorgelegten Unterlagen, den Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung und den vorgelegten Unterlagen der Mitglieder seiner österreichischen Ersatzfamilie bzw. den Angaben seiner österreichischen Ersatzmutter in der mündlichen Verhandlung. Der Beschwerdeführer hat die Integrationsprüfung auf dem Sprachniveau A2 abgelegt und besucht derzeit Basisbildungsschulungen um einen Pflichtschulabschluss nachzuholen und eine Ausbildung zum Altenpfleger zu machen. Der Beschwerdeführer hat eine klare Vorstellung von seiner Zukunft, und arbeitet bereits selbständig als XXXX und als Putzkraft. Der Beschwerdeführer lebt nunmehr seit mehr als eineinhalb Jahren bei einem österreichischen Ehepaar. Zu diesem Ehepaar und dessen erwachsenen Töchtern besteht seit Jahren eine sehr innige, familienähnliche Beziehung. Dies wurde nicht nur vom Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung dargelegt, sondern auch durch die Angaben der Ersatzmutter in der mündlichen Verhandlung bestätigt. Auf die Frage des Vertreters der belangten Behörde in der mündlichen Verhandlung, ob eine stärkere Bindung zu seiner leiblichen Familie oder zu seiner Ersatzfamilie bestehe, gab der Beschwerdeführer an, er liebe seine Familie und seine Mutter. Er liebe seine Ersatzfamilie genauso. Er kann sagen, dass seine Familie gewachsen sei.

2.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zur Abwendung des Beschwerdeführers vom muslimischen Glauben ergeben sich aus den Stellungnahmen des Beschwerdeführers im Rahmen des Beschwerdeverfahrens, aus seinen vorgelegten Dokumenten – insbesondere der Austrittserklärung aus der islamischen Glaubensgemeinschaft – den Unterstützungsschreiben, aus den vom Beschwerdeführer in der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA und in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht getroffenen Aussagen, sowie aus der Befragung der Vertrauensperson.

Der Beschwerdeführer hat bereits in der Einvernahme vor der belangten Behörde am 02.11.2017 vorgebracht, er habe keinen Glauben an eine Religion. Er wolle nicht beten, und nicht in die Moschee gehen. Hier in Österreich habe er gesehen, dass afghanische Burschen nicht beten und nicht an eine Religion glauben, und es ihnen gut gehe. Auch er möchte nicht beten, nicht in die Moschee gehen, auch nicht den Koran lesen und frei sein.

Der Beschwerdeführer gab in der mündlichen Verhandlung befragt über seine Religionszugehörigkeit an, er habe festgestellt, dass in Österreich viele nicht beten, ohne Religion leben dürfen bzw. jeder sich eine Religion selbst aussuchen darf. In Österreich werde man nicht gezwungen eine Religion zu haben, daher habe er sich entschieden keine zu haben. Im Iran sei er auch nicht in die Moschee gegangen und habe auch nicht gebetet und wurde deswegen von seiner Familie beschimpft und geschlagen. Zu großen Festen wie Ramadan sei er dann mit seiner Familie in die Moschee gegangen. Er fühle sich dem Islam nicht mehr zugehörig und sei in weiterer Folge auch aus der Glaubensgemeinschaft ausgetreten. In Österreich würde das auch jeder wissen, seine Freunde, seine österreichische Familie. Seiner eigenen Familie habe er es nicht erzählt, weil er seine Mutter nicht traurig machen wolle. Er nehme auch an keinen islamischen Ritualen teil. Im Iran habe er keine andere Wahl gehabt, da sei er von seiner Familie gezwungen worden.

Er wolle mit dem Islam nichts mehr zu tun haben. Er habe nie einen Bezug zum Islam gehabt und auch kein Interesse am Islam. Ginge er nach Afghanistan zurück, würden die Leute das bemerken und er würde getötet werden. Wenn er in Afghanistan die religiösen Feste und das Gemeinschaftsgebet meide, würde dies auffallen. Er habe Angst davor, deswegen geschlagen und eingesperrt zu werden.

Religion würde in seinem Leben keine Rolle mehr spielen. Er sei in Österreich auch in die Kirche gegangen, um die Religion, die Kultur aber insbesondere um Menschen kennen zu lernen und aus Interesse für die Gemeinschaft. Er habe auch viele nette Menschen kennen gelernt. Zum Christentum wolle er aber nicht konvertieren, er habe niemals darüber nachgedacht dies zu tun.

Vom Vertreter der belangten Behörde zur Religion befragt, führte der Beschwerdeführer wie folgt aus:

„BFA: Ich kann nicht sagen, dass der Islam eine schlechte Religion ist, sagten Sie. Dann haben Sie ausgeführt, ich mag den Islam nicht. Führen Sie einfach die Rituale nicht durch oder lehnen Sie den Islam ab?

BF: Ich mag die islamische Religion für mich nicht und ich bin auch kein Moslem mehr. Aber ich möchte nicht sagen, dass eine Religion schlecht ist.

BFA: Unter Verweis auf die Anfragebeantwortung a-10159 vom 01.06.2017, welche ausführt unter Pkt. 4, dass Personen, die sich nicht unbedingt an die Regeln des Islam halten, in Großstädten keine Gefahr droht. Weshalb glauben Sie, dass Sie in einer Großstadt in Afghanistan, wie Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat so auffallen würden, dass das für Sie eine Bedrohung sein könnte?

BF: Afghanistan ist ein islamischer Staat. Selbst in den größeren Städten, wie Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat nehmen die Menschen an größeren Festen des Islam teil. Wenn ich mich jedes Mal „verdrücke“, werde ich früher oder später auffallen und ich werde als „Khafer“ bezeichnet. Da ich keine Familienmitglieder mehr dort habe, wenn ich dort Freunde kennenlerne, die mich eines Tages zu sich einladen, wenn sie das Gemeinschaftsgebet ausführen und ich da auch nicht teilnehme, werde ich auch auffallen. Außerdem bin ich im Iran geboren und aufgewachsen. Anhand meiner Aussprache werde ich schon in Afghanistan diskriminiert. Ich bin nicht Moslem und ich möchte auch nicht an den Ritualen teilnehmen.

BFA: Wenn Sie einen Freund hätten, der Moslem wäre, der Sie zu seiner Hochzeit einlädt, welche nach islamischen Traditionen durchgeführt werden würde, würden Sie dann diesem Ritual beiwohnen oder würden Sie Ihrem Freund sagen Nein?

BF: Ich lebe hier in Österreich. Ich kann ganz frei sagen, dass ich an nichts glaube und auch kein Moslem bin. Ich brauche nicht Angst davor zu haben, geschlagen zu werden oder eingesperrt zu werden. Wenn ich einen guten Freund habe, der Moslem ist, hat er mich auch so zu akzeptieren, wie ich bin. Bei einer afghanischen Hochzeit wird nicht gebetet. Wenn die Gäste eingeladen werden, fragt man sie nicht nach der Religion. Es ist eine Feier, wo alle essen, trinken und tanzen. Bei solchen Feiern wird nicht von Religion gesprochen. Ich suche meine Freunde nicht nach der Religion aus. Wer mich nicht akzeptiert, ist auch kein Freund von mir.“

In der mündlichen Verhandlung schilderte der Beschwerdeführer klar und überzeugend den seit seiner Ankunft in Österreich durchlebten Entscheidungsprozess und konnte glaubhaft dartun, dass er keiner Glaubensrichtung folgen wolle. Er wolle frei vom Glauben auf seine Weise leben. Der Beschwerdeführer brachte in der mündlichen Verhandlung glaubhaft und schlüssig vor, dass er die strengen Zwänge des Islam ablehne. Er bete nicht und gehe auch nicht in die Moschee. Der Beschwerdeführer machte deutlich, dass er über sein Leben selbst bestimmen und sich keinen Vorschriften einer Religion unterwerfen will.

Im Übrigen wurden die Aussagen des Beschwerdeführers durch zahlreiche vorgelegte Empfehlungsschreiben und seine österreichische Ersatzmutter, welche als Zeugin einvernommenen wurde, bestätigt. Seine österreichische Ersatzmutter gab in der Verhandlung an, es sei für sie ganz klar, dass der Beschwerdeführer nicht gläubig sei. Daher habe auch sie ihm geraten, offiziell aus der islamischen Glaubensgemeinschaft auszutreten. Sie habe mit dem Beschwerdeführer auch über das Christentum gesprochen, ihr Vater sei evangelischer Priester gewesen, aber sie und ihre ganze Familie sei nicht gläubig. Der Beschwerdeführe habe sich auch mit dem Christentum auseinandergesetzt und sei in die Kirche gegangen, allerdings aus seinem Interesse an der sozialen Gemeinschaft. Die Zeugin gab auf Befragen auch an, sie könne sich nicht vorstellen, dass er sich bei einer Rückkehr nach Afghanistan verstellen könne. Er sei ein grundehrlicher Mensch, und wenn er sich verstellen müsste, würde er das sicher nicht gut machen.

Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes ist aufgrund der vorliegenden Beweisergebnisse von einer ernsthaften Abwendung des Beschwerdeführers vom (muslimischen) Glauben sowie von einem entsprechenden inneren Entschluss des Beschwerdeführers auszugehen. Auch wenn es für den Beschwerdeführer schwierig ist, die innere Haltung darzulegen bzw. dies mit Worten umfassend darzutun, kann aus seinem Vorbringen und seinem Verhalten abgeleitet werden, dass die Abwendung vom Glauben nach außen hin erkennbar erfolgt ist, und konnte er dies seiner Bildung entsprechend darlegen. Diesbezüglich ist insbesondere im Zusammenhang mit der Ausdrucksfähigkeit des Beschwerdeführers darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer im Iran lediglich zwei Jahre eine Abendschule besucht hat und auch seine Ersatzmutter in der mündlichen Verhandlung angab, er sei lieb, ehrlich, empathisch, ruhig, schüchtern, fleißig, zuverlässig, mache das Richtige vom Herzen her, aber er sei kein Intellektueller.

Es ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer (auch bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat) beabsichtigt, „ohne Glauben“ zu leben. Der Beschwerdeführer äußerte im Verfahren ausdrücklich die Befürchtung, wenn er nach Afghanistan zurückkehren müsste und die Leute merken würden, dass er nicht bete und nicht faste, würden sie ihn töten.

Das Vorbringen des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung hinsichtlich seiner Furcht vor Verfolgung im Falle der Rückkehr nach Afghanistan auf Grund seiner erfolgten Apostasie vom Islam war in ganzheitlicher Würdigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, insbesondere unter Berücksichtigung der diesbezüglich vorliegenden herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen zur allgemeinen Lage von Apostaten in Afghanistan, insgesamt als glaubhaft zu beurteilen. Insofern war das Vorbringen des Beschwerdeführers zur möglichen Furcht vor Verfolgung im Fall der Rückkehr nach Afghanistan ausreichend substantiiert, in sich schlüssig und im Hinblick auf die besonderen Umstände des Beschwerdeführers und die allgemeine Situation in Afghanistan plausibel. Der Beschwerdeführer hinterließ in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, wie bereits oben ausgeführt, auch vor dem Hintergrund der Aussagen der einvernommenen Zeugin, einen insgesamt glaubwürdigen Eindruck.

In einer Gesamtschau der Angaben des Beschwerdeführers im gesamten Verlauf des Verfahrens und aus den dargelegten Erwägungen erscheint das Vorbringen des Beschwerdeführers zu seiner Furcht vor Verfolgung in Afghanistan insgesamt als glaubhaft. Es ist daher davon auszugehen, dass dem Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer Verfolgung drohen würde.

Aus den dargelegten Gründen kann dem Antrag des Vertreters der belangten Behörde auf Abweisung der Beschwerde, unter Verweis auf einen ACCORD-Bericht, hinsichtlich eines Asylstatus, wonach der subjektive Nachfluchtgrund der Apostasie nicht für das Vorliegen einer direkten, auf den Beschwerdeführer gerichteten Bedrohung gereiche, seitens der erkennenden Richterin nicht gefolgt werden.

Zu dem vom Beschwerdeführer im Übrigen vorgebrachten Fluchtvorbringen, wonach seine Familie damals Afghanistan wegen der allgemein schlechten Lage aufgrund des Bürgerkrieges verlassen habe, kann in Anbetracht der Apostasie des Beschwerdeführers und einer damit in Zusammenhang stehenden asylrelevanten Verfolgung im Fall seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat Abstand genommen werden.

2.3. Zur Lage im Herkunftsstaat:

Die Länderfeststellungen gründen auf den angeführten Länderberichten angesehener staatlicher und nicht staatlicher Einrichtungen. Bei dem Länderbericht handelt sich um den vom Staatendokumentationsbeirat beschlossenen Standards und der Methodologie der Staatendokumentation erstellten Länderbericht der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, welcher der gegenständlichen Entscheidung zu Grunde gelegt wird. Die Länderfeststellungen stützen sich auf Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen und Personen.

Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen im Länderbericht und der Plausibilität der überwiegend übereinstimmenden Aussagen, denen inhaltlich von keiner Seite substantiiert entgegengetreten wurde, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der darin enthaltenen Informationen zu zweifeln, sodass sie den Feststellungen zur Situation in Afghanistan zu Grunde gelegt wurden.

Die Feststellungen zur Religionsfreiheit bzw. zur Apostasie in Afghanistan ergeben sich aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation in der Fassung vom 02.04.2021. Dem Beschwerdeführer wurde mit der Verhandlungsladung bekannt gegeben, dass beabsichtigt sei, diese Länderinformationen der Entscheidung zu Grunde zu legen und er Gelegenheit habe, sollten ihm diese Informationen nicht bekannt sein, um Übermittlung dieser zu ersuchen bzw. bis eine Woche vor der mündlichen Verhandlung eine schriftliche Stellungnahme dazu abzugeben.

Im Zuge der mündlichen Verhandlung verwies sein Rechtsanwalt diesbezüglich auf die am 04.05.2021 eingelangte Stellungnahme.

Die Länderfeststellungen ergeben ein einzelfallunabhängiges schlüssiges Gesamtbild zur Situation in Afghanistan, insbesondere zu Muslimen, die sich vom Islam abwenden. Dieses deckt sich mit den Berichten über asylrelevante Verfolgung infolge von Apostasie, auf welche der Beschwerdeführer in seiner Stellungnahme vom 04.05.2021 verwies.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl I 145/2017 (BFA-VG), entscheidet über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA das Bundesverwaltungsgericht.

Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz, BGBl. I Nr. 10/2013 idgF (BVwGG), entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt Einzelrichterzuständigkeit vor.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

Zu Spruchpunkt A)

Gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits wegen Drittstaatssicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

Als Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, der Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen. Ebenso liegen die Voraussetzungen bei Staatenlosen, die sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes ihres gewöhnlichen Aufenthaltes befinden und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt sind, in dieses Land zurückzukehren.

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist nach ständiger Rechtsprechung des VwGH die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 21.09.2000, Zl. 2000/20/0286).

Verlangt wird eine „Verfolgungsgefahr“, wobei unter Verfolgung ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen (VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0413).

Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (zuletzt VwGH 12.03.2020, Ra 2019/01/0472).

Das Asylverfahren bietet nur beschränkte Möglichkeiten, Sachverhalte, die sich im Herkunftsstaat des Asylwerbers ereignet haben sollen, vor Ort zu verifizieren. Hat der Asylwerber keine anderen Beweismittel, so bleibt ihm lediglich seine Aussage gegenüber den Asylbehörden, um das Schutzbegehren zu rechtfertigen. Diesen Beweisschwierigkeiten trägt das österreichische Asylrecht in der Weise Rechnung, dass es lediglich die Glaubhaftmachung der Verfolgungsgefahr verlangt. Dabei hat der Asylwerber im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach § 15 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen (VwGH 12.03.2020, Ra 2019/01/0472).

Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen (Art. 1 Abschnitt A Z 2) haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die beststehende Verfolgungsgefahr (vgl. VwGH 16.06.1994, Zl. 94/19/0183). Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. VwGH 01.06.1994, Zl. 94/18/0263; 01.02.1995, Zl. 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht – in diesem Fall wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann –, die ihren Bürgern

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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