TE Bvwg Erkenntnis 2021/9/1 I422 2244429-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 01.09.2021
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Entscheidungsdatum

01.09.2021

Norm

BFA-VG §18 Abs3
BFA-VG §18 Abs5
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §66 Abs1
FPG §67
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §67 Abs4
FPG §70 Abs3
NAG §51
NAG §53a
NAG §55
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


I422 2244429-1/15E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Thomas BURGSCHWAIGER als Einzelrichter über die Beschwerde der XXXX , XXXX , StA Deutschland, vertreten durch die BBU GmbH, Leopold-Moses-Gasse 4, 1020 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.06.2021, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 24.08.2021, zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird insofern stattgegeben, als die Dauer des Aufenthaltsverbotes auf 7 (sieben) Jahre herabgesetzt wird und gemäß § 70 Abs. 3 FPG ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat gewährt wird. Im Übrigen wird die Beschwerde mit der Maßgabe abgewiesen, dass hinsichtlich der Erlassung des Aufenthaltsverbotes § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FPG iVm Art. 28 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG anzuwenden ist.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgegenstand:

Aufgrund der Verhängung der Untersuchungshaft über eine seit Juli 2010 im Bundesgebiet aufhältige deutsche Staatsangehörige (in Folge: Beschwerdeführerin) leitete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folge: belangte Behörde) über sie ein Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes ein.

Die belangte Behörde informierte die Beschwerdeführerin mit Parteiengehör vom 07.10.2019 über das Ergebnis der Beweisaufnahme und räumte ihr die Möglichkeit einer Stellungnahme ein, von der sie mit Schriftsatz vom 11.10.2019 Gebrauch nahm.

Nach der rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung der Beschwerdeführerin erließ die belangte Behörde mit verfahrensgegenständlichen Bescheid vom 16.06.2021, Zl. XXXX über sie ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot (Spruchpunkt I.), erteilte ihr keinen Durchsetzungsaufschub (Spruchpunkt II.) und erkannte sie einer Beschwerde gegen dieses Aufenthaltsverbot die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt III.). Der Bescheid wurde der Beschwerdeführerin am 18.06.2021 zugestellt.

Gegen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin mit Schriftsatz ihrer Rechtsvertretung vom 14.07.2021 fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Im Wesentlichen wurde moniert, dass die belangte Behörde ausreichende Ermittlungen zu dem in Österreich bestehenden Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin unterlassen habe und sei auch keine persönliche Einvernahme der Beschwerdeführerin erfolgt. Aufgrund des persönlichen Verhaltens der Beschwerdeführerin sei auch nicht von der für die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes erforderlichen Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit auszugehen und erweise sich die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes im Ausmaß von zehn Jahren keinesfalls als erforderlich und angemessen.

Die Beschwerde und der Bezug habende Akt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 16.07.2021 vorgelegt.

Am 24.08.2021 erfolgte in Anwesenheit der Beschwerdeführerin, ihrer Rechtsvertretung und der belangten Behörde eine mündliche Verhandlung durch das Bundesverwaltungsgericht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die unter Punkt I. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden nachstehend Feststellungen getroffen:

Die volljährige Beschwerdeführerin ist deutsche Staatsangehörige. Ihre Identität steht fest.

Die Beschwerdeführerin ist gesund, arbeits- und erwerbsfähig.

Die Beschwerdeführerin wurde in XXXX , in Kasachstan geboren. Zunächst wuchs die Beschwerdeführerin in Kasachstan auf und besuchte dort zwei Klassen der Grundschule. Im Dezember 1992 bzw. 1993 übersiedelte sie mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern nach Deutschland, wo die Beschwerdeführerin zehn Klassen der Grund- und Hauptschule absolvierte. Im Anschluss daran begann die Beschwerdeführerin eine Berufsausbildung zur Industriekauffrau, welche die Beschwerdeführerin aufgrund des Kennenlernens ihres (späteren) Ehegatten und einer Schwangerschaft nicht beendete. Die Beschwerdeführerin verfügt in Deutschland über familiäre Anbindungen in Form ihrer dort lebenden Mutter, zweier Brüder und einer Schwester. Der Vater der Beschwerdeführerin ist bereits verstorben. Zur Mutter und zur Schwester steht die Beschwerdeführerin in aufrechten, regelmäßigen Kontakt. Zu ihren beiden Brüdern besteht kein Kontakt mehr.

Der Beschwerdeführerin ist mit dem deutschen Staatsangehörigen XXXX L. verheiratet. Gemeinsam mit ihrem Ehegatten hat sie sieben, zwischen 2003 und 2019 geborene, Kinder. Die Kinder besitzen die deutsche Staatsangehörigkeit. Nachdem die Beschwerdeführerin und ihr Ehegatte zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt wurden, wurde die Obsorge für die sechs älteren Kinder ihrem in Deutschland lebenden Schwager namens XXXX L., übertragen. Von den sechs Kindern lebt das älteste Kind in Deutschland und die übrigen fünf Kinder in Österreich. Das jüngste Kind hält sich gegenwärtig bei der Beschwerdeführerin in der Justizanstalt auf.

Die Beschwerdeführerin bekennt sich nicht mehr zur evangelisch-freikirchlichen Glaubensgemeinschaft „ XXXX “.

Die Beschwerdeführerin reiste 2010 ins österreichische Bundesgebiet ein und ist seit 23.07.2010 durchgehend mit Hauptwohnsitz im Bundesgebiet gemeldet. Für den Zeitraum 01.01.2010 bis 27.09.2019 (die Beschwerdeführerin befindet sich seither durchgehend in Haft) weist die Beschwerdeführerin nachstehende Sozialversicherungszeiten auf:

-        08.03.2010 bis 23.05.2010 Arbeiter

-        07.04.2011 bis 19.09.2014 Bezug/Anspruch pauschales Kinderbetreuungsgeld

-        01.04.2017 bis 28.09.2019 Bezug/Anspruch pauschales Kinderbetreuungsgeld

Am 18.04.2011 beantragte die Beschwerdeführerin die Bestätigung ihres Aufenthaltstitels und wurde ihr seitens der Bezirkshauptmannschaft XXXX eine Anmeldebescheinigung (Familienangehörige) ausgestellt.

Die Beschwerdeführerin verfügt im Bundesgebiet über familiäre und private Anknüpfungspunkte. Zu ihren im Bundesgebiet aufhältigen Familienangehörigen steht die Beschwerdeführerin in regelmäßigem und aufrechtem Kontakt.

Die Beschwerdeführerin weist eine rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung im Bundesgebiet auf:

Die Beschwerdeführerin und ihr Ehegatte wurden zunächst mit Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht XXXX vom 20.02.2020, zu XXXX wegen des Verbrechens des Quälens und Vernachlässigens unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen nach § 92 Abs. 2 und Abs. 3. erster und zweiter Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von fünf Jahren verurteilt.

Einer dagegen von der Generalprokuratur erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gab der Oberste Gerichtshof in seinem Urteil vom 01.09.2020, zu XXXX dahingehend statt, dass es das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht XXXX vom 20.02.2020, zu XXXX in den Schuldsprüchen, demzufolge auch in den Strafaussprüchen, aufhob und auf Grund des ihm zu Grunde liegenden und unberührt gebliebenen Wahrspruchs in der Sache selbst erkannte:

Der Oberste Gerichtshof befand die Beschwerdeführerin und ihren Ehegatten für schuldig, sie haben vom Mai 2017 bis zuletzt am 17.09.2019 in W. im einverständlichen Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 erster Fall StGB) ihre Verpflichtung zur Fürsorge und Obhut gegenüber ihrer Tochter XXXX L., die ihrer Fürsorge und Obhut unterstand und die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, gröblich vernachlässigt und dadurch deren Gesundheit beträchtlich geschädigt, wobei die Tat den Tod der Geschädigten zur Folge hatte, indem sie die notwendigen medizinische Behandlung und fortlaufende Therapie der chronischen Bauchspeicheldrüsenentzündung ihrer Tochter unterbanden, wodurch diese letztlich infolge einer Zuckerstoffwechselentgleisung am 17.09.2019 an Herz-Kreislauf-Versagen verstarb. Die Beschwerdeführerin und ihr Ehegatte haben hierdurch jeweils das Verbrechen des Quälens oder Vernachlässigens unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen nach § 92 Abs. 2, Abs. 3 zweiter Fall StGB begangen. Im Umfang der Aufhebung der Strafaussprüche wurde die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht XXXX als Geschworenengericht zur Strafneubemessung zurückverwiesen.

Unter zu Grundlegung der beiden vorgenannten Urteile und nach Durchführung einer neuerlichen Verhandlung wurden die Beschwerdeführerin und ihr Ehegatte mit Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht XXXX vom 24.11.2020, zu XXXX zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von fünf Jahren verurteilt.

In seiner Strafzumessung wertete das Geschworenengericht den bisherigen ordentlichen Lebenswandel und das umfassende reumütige Geständnis als mildernd. Erschwerend wurde hingegen die Tatbegehung gegen eine nahe Angehörige und der lange Tatzeitraum berücksichtigt.

Die dagegen erhobenen Berufungen der Staatsanwaltschaft, die eine Anhebung der Sanktion, sowie der Beschwerdeführerin und ihres Ehegatten, die eine Reduktion des Strafmaßes begehrten, erachtete das Oberlandesgericht XXXX mit Urteil vom 25.02.2021, zu XXXX als nicht berechtigt und leistete diesen nicht Folge. Allerdings korrigierte es in seiner Entscheidung den vom Geschworenengericht herangezogenen besonderen Strafzumessungsgründe des reumütigen Geständnisses, dass dieses mangels Erfüllung zu entfallen hat. Das Oberlandegericht XXXX begründete dies damit, dass im gegenständlichen Fall von einer „echten Reumütigkeit“ ders Beschwerdeführerin und ihres Ehegatten nicht auszugehen sei.

Die Beschwerdeführerin ist seit 27.09.2019 durchgehend in österreichischen Justizanstalten aufhältig. Mit der Überstellung der Beschwerdeführerin in die Mutter-Kind-Abteilung der Justizanstalt XXXX nimmt sie seit März 2020 regelmäßig die Betreuung des dortigen psychologischen Dienstes in Anspruch. Ebenso wird die Beschwerdeführer regelmäßig durch den evangelischen Gefängnisseelsorger der Justizanstalt betreut.

Der Ehegatte der Beschwerdeführerin hält sich seit 27.09.2019 ebenfalls in einer österreichischen Justizanstalt auf. Über ihn wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.06.2021, Zl. XXXX ein zehnjähriges Aufenthaltsverbot erlassen, ihm kein Durchsetzungsaufschub erteilt und einer Beschwerde gegen das Aufenthaltsverbot die aufschiebende Wirkung aberkannt.

2. Beweiswürdigung:

Der unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes der belangten Behörde und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichts.

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde, der Stellungnahme der Beschwerdeführerin vom 11.10.2019, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz der Beschwerdeführerin. Zudem fand am 24.08.2021 eine mündliche Verhandlung statt und finden die dortigen Ausführungen sowie vorab der mündlichen Verhandlung übermittelte, undatierte Dokumentenvorlage und Stellungnahme der Beschwerdeführerin sowie die mit Schriftsatz vom 24.08.2021 nachgereichten Unterlagen ebenfalls Berücksichtigung. Ergänzend wurden Auszüge des Zentralen Melderegisters (ZMR), des Informationsverbundes Zentrales Fremdenregister (IZR), des Dachverbandes der Sozialversicherungsträger (AJ-Web) und des Strafregisters (SA) eingeholt.

Die Feststellung zur Person der Beschwerdeführerin, insbesondere ihrer Volljährigkeit, ihrem Gesundheitszustand und ihrer Staatsangehörigkeit ergeben sich aus dem Verwaltungsakt und ihren Ausführungen in der mündlichen Verhandlung vom 24.08.2021. Die Identität der Beschwerdeführerin ist durch eine sich im Verwaltungsakt befindlichen Kopie ihres deutschen Reisepasses geklärt. Auf der Zusammenschau ihres Alters, ihres Gesundheitszustandes und ihrer bisherigen beruflichen Tätigkeit gründet die Feststellung zu ihrer Erwerbs- und Arbeitsfähigkeit.

Die Feststellung, dass die Beschwerdeführerin in XXXX , in Kasachstan geboren wurde, lässt sich dem Reisepass entnehmen und bestätigte die Beschwerdeführerin dies auch in der mündlichen Verhandlung vom 24.08.2021. Auf ihren Angaben in der Stellungnahme vom 11.10.2019 und den gleichlautenden Ausführungen in der mündlichen Verhandlung vom 24.08.2021 basieren die Feststellungen zu ihrer Schulausbildung in Kasachstan, der Übersiedelung der Familie nach Deutschland und zur dort absolvierten Schulausbildung und der nicht beendeten Berufsausbildung in Deutschland. Dass die Beschwerdeführerin in Deutschland über familiäre Anbindungen in Form ihrer Mutter, einer Schwester und zweier Brüder hat, ergibt sich ebenso wie der Tod ihres Vaters, aus den Ausführungen in der mündlichen Verhandlung vom 24.08.2021 und schlüsselte sie bei dieser Verhandlung ihr familiäres Umfeld auf.

Die Feststellungen betreffend die Ehe der Beschwerdeführerin mit den deutschen Staatsangehörigen XXXX L. und den gemeinsamen sieben Kindern und deren Staatsangehörigkeit ergeben aus dem vorliegenden Akteninhalt, insbesondere der Stellungnahme vom 11.10.2019, und wurde dem in der Beschwerde nicht entgegengetreten. Der sich ebenfalls im Verwaltungsakt befindliche Beschluss des Bezirksgerichtes XXXX vom 14.02.2020, zu XXXX belegt die Feststellungen zur Übertragung der Obsorge. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung brachte die Beschwerdeführerin glaubhaft vor, dass sich ihre älteste Tochter in Deutschland und die übrigen fünf Kinder bei einem Bruder und einer Schwester ihres Ehegatten in Österreich aufhalten. Dass sich das jüngste Kind der Beschwerdeführerin und ihres Ehegatten bei ihr in der Justizanstalt aufhält, lässt sich unzweifelhaft dem Verwaltungsakt entnehmen. In diesem Zusammenhang lässt sich der Vollständigkeit halber bereits aus dem Beschwerdeschriftsatz und einer Stellungnahme des psychologischen Dienstes vom 12.08.2021 der fürsorgliche Umgang der Beschwerdeführerin mit dem bei ihr aufhältigen Sohn entnehmen. Dies bestätigte sich auch aus den glaubhaften Ausführungen in der mündlichen Verhandlung vom 24.08.2021. Aus diesem Grund war dem Antrag der zeugenschaftlichen Einvernahme der Sozialarbeiterin Frau XXXX V. zum Beweis des Umganges der Beschwerdeführerin mit ihrem Sohn und der Beschwerdeführerin im Allgemeinen nicht stattzugeben und wurde im Rahmen der mündlichen Verhandlung seitens der Beschwerdeführerin und ihrer Rechtsvertretung darauf auch explizit verzichtet.

Zuletzt bestätigte die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung vom 24.08.2021, dass sie sich nicht mehr zur Glaubensgemeinschaft „ XXXX “ bekenne. Auf die Frage, weshalb sie ausgetreten sei, vermeinte die Beschwerdeführerin, dass sie von Gott enttäuscht sei, zumal sie geglaubt habe, dass Gott ihre Tochter heilen werde. Mittlerweile habe sie aufgehört zu beten, zu meditieren, in die Kirche zu gehen oder sich den Rat Gottes einzuholen. Sofern im Beschwerdeschriftsatz zum Beweis der Glaubensänderung die niederschriftliche Einvernahme der Sozialarbeiterin XXXX N. und des evangelischen Gefängnisseelsorgers XXXX F. beantragt wurden, war diesem Antrag in weiterer Folge aufgrund der glaubhaften Äußerungen der Beschwerdeführerin nicht stattzugegeben. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung wurde seitens der Beschwerdeführerin und ihrer Rechtsvertretung auf eine zeugenschaftliche Einvernahme auch explizit verzichtet.

Die Feststellung Einreise der Beschwerdeführerin in das Bundesgebiet und der seither bestehenden melderechtlichen Erfassung leiten sich aus den Angaben der Beschwerdeführerin und der Einsichtnahme in das ZMR ab. Die Feststellung betreffend ihre Sozialversicherungszeiten im Bundesgebiet lässt sich aus einem eingeholten Auszug des Dachverbandes der Sozialversicherung ableiten. Aus der Einsichtnahme in das IZR ist bestätigt, dass der Beschwerdeführerin zur Bestätigung ihres rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet seitens der Bezirkshauptmannschaft XXXX die Anmeldebescheinigung (Familienangehörige) ausgestellt wurde.

Die Feststellung zu ihren privaten Anknüpfungspunkten begründen sich einerseits aus der Aufenthaltsdauer der Beschwerdeführerin und brachte sie dahingehend in der mündlichen Verhandlung vor, dass sie in Österreich gute Freunde gefunden habe und verwies sie auf eine Nachbarin, die zu ihr stehe und auf ihre ehemalige Arbeitgeberin. Generell habe sie zu den Nachbarn ein gutes Verhältnis gepflegt, sie haben Feste veranstaltet und haben mit den Kindern die Musikschule besucht. Dies bestätigt sich aus der vorab der mündlichen Verhandlung übermittelten Stellungnahmen und Dokumentenvorlage und er dabei vorgelegten Erklärung zur familiären und sozialen Situation vom 09.08.2021. Auf die Frage, ob sie sonstige nennenswerte soziale Kontakte erwähnen möchte, verwies sie auf die ihre hier aufhältigen Kinder. Aus den Angaben im Beschwerdeschriftsatz und den Ausführungen in der mündlichen Verhandlung vom 24.08.2021, wonach ihr Schwiegervater, ihre Schwägerin und ihr Schwager in Oberösterreich leben und sie auch noch weitschichtige Verwandte in Vorarlberg habe, zu denen sie jedoch nicht in Kontakt stehe, ergeben sich die Feststellung betreffend ihre familiäre Anbindung im Bundesgebiet. In der mündlichen Verhandlung legte die Beschwerdeführerin auch dar, dass sich der Kontakt zu den Familienangehörigen ihres Ehegatten schwierig gestalte und sich auf das Notwendigste reduziere. Sie sei nach der Heirat nie „warm“ aufgenommen worden und löse sich auf aufgrund ihrer Distanzierung vom Glauben auch ihre Bindung zu ihnen. Ebenso legte die Beschwerdeführerin dar, inwiefern sich der Kontakt zu ihren im Bundesgebiet aufhältigen Familienangehörigen – dem Ehegatten und den Kindern – gestaltet. So habe sie sich gegen die regelmäßigen Besuche und bewusst für die Videotelefonie entschieden. Dies einerseits, weil sie keine so gute Beziehung zur Familie ihres Ehegatten habe und andererseits deshalb, weil Besuche auf zwei Personen – ein Erwachsenen gemeinsam mit einem Kind – beschränkt sind und sie bei der Videotelefonie somit alle Kinder zugleich sehen könne. Darüber hinaus stehe sie zu ihren Kindern in einem regelmäßigen, guten und engen Kontakt durch Briefe schreiben, Pakete schicken und den zuvor erwähnten Videotelefonaten. Mit ihrem Ehegatten stehe sie ebenfalls schriftlich und einmal monatlich telefonisch sowie alle zwei Monate mittels Videotelefonie in Kontakt. Ihr gegenwärtiges Verhältnis beschrieb die Beschwerdeführerin als schwierig. Die Gespräche würden sich hauptsächlich um die Kinder drehen und habe sie sich als Ehefrau von ihm losgelöst.

Die Feststellungen zu ihrer strafgerichtlichen Verurteilung, die Grundlage für die Verurteilung sowie die Strafzumessungsgründe basieren auf der Einsichtnahme in den Strafregisterauszug sowie den sich im Verwaltungsakt befindlichen Strafurteilen des Landesgericht XXXX vom 24.11.2020, zu XXXX und des Obersten Gerichtshofes vom 01.09.2020 zu XXXX sowie den angeforderten Urteilen des Landesgericht XXXX vom 12.02.2020 zu XXXX und des Oberlandesgerichtes XXXX vom 25.02.2021, XXXX w.

Die Feststellung zu ihrem seit 27.05.2019 andauernden Aufenthalt in einer österreichischen Justizanstalt gründet auf einem aktuellen ZMR-Auszug und erfolgte die mündliche Verhandlung mittels Videoeinvernahme über die Justizanstalt Sch.. Auf der vorab der mündlichen Verhandlung vom 24.08.2021 vorgelegten undatierten Dokumentenvorlage und Stellungnahme und den darin enthaltenen Stellungnahmen des Psychologischen Dienstes der Justizanstalt XXXX vom 12.08.2021 und des Sozialen Betreuungsdienstes der Justizanstalt XXXX vom 04.08.2021 sowie der im Beschwerdeschriftsatz übermittelten Stellungnahme des evangelischen Gefängnisseelsorgers vom 06.07.2021 gründet die Feststellung, dass die Beschwerdeführerin mit der Überstellung in die Mutter-Kind-Abteilung der Justizanstalt XXXX regelmäßig die Betreuung des dortigen psychologischen Dienstes und des evangelischen Gefängnisseelsorgers in Anspruch nimmt.

Die Feststellung, dass sich der Ehegatte der Beschwerdeführerin seit 27.09.2019 in einer österreichischen Justizanstalt aufhält und über ihn mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.06.2021, Zl. XXXX ein zehnjähriges Aufenthaltsverbot erlassen, ihm kein Durchsetzungsaufschub erteilt und einer Beschwerde gegen das Aufenthaltsverbot die aufschiebende Wirkung aberkannt wurde, ergibt sich aus der Einsichtnahme in den vorliegenden Verwaltungsakt des zu unter GZ: I422 2244402-1 geführten Verfahrens sowie einem aktuellen ZMR-Auszug.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Zur Abweisung der Beschwerde:

3.1. Zum Aufenthaltsverbot (Spruchpunkte I. des angefochtenen Bescheides):

3.1.1. Zu den Rechtsgrundlagen:

Der mit „Unionsrechtliches Aufenthaltsrecht von EWR-Bürgern für mehr als drei Monate“ betitelte § 51 NAG lautet:

„§ 51. (1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie
1.         in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind;
2.         für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen, oder
3.         als Hauptzweck ihres Aufenthalts eine Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung bei einer öffentlichen Schule oder einer rechtlich anerkannten Privatschule oder Bildungseinrichtung absolvieren und die Voraussetzungen der Z 2 erfüllen.

(2) Die Erwerbstätigeneigenschaft als Arbeitnehmer oder Selbständiger gemäß Abs. 1 Z 1 bleibt dem EWR-Bürger, der diese Erwerbstätigkeit nicht mehr ausübt, erhalten, wenn er
1.         wegen einer Krankheit oder eines Unfalls vorübergehend arbeitsunfähig ist;
2.         sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach mehr als einjähriger Beschäftigung der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt;
3.         sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach Ablauf seines auf weniger als ein Jahr befristeten Arbeitsvertrages oder bei im Laufe der ersten zwölf Monate eintretender unfreiwilliger Arbeitslosigkeit der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt, wobei in diesem Fall die Erwerbstätigeneigenschaft während mindestens sechs Monaten erhalten bleibt, oder
4.         eine Berufsausbildung beginnt, wobei die Aufrechterhaltung der Erwerbstätigeneigenschaft voraussetzt, dass zwischen dieser Ausbildung und der früheren beruflichen Tätigkeit ein Zusammenhang besteht, es sei denn, der Betroffene hat zuvor seinen Arbeitsplatz unfreiwillig verloren.

(3) Der EWR-Bürger hat diese Umstände, wie auch den Wegfall der in Abs. 1 Z 1 bis 3 genannten Voraussetzungen der Behörde unverzüglich, bekannt zu geben. Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, die näheren Bestimmungen zur Bestätigung gemäß Abs. 2 Z 2 und 3 mit Verordnung festzulegen.“

Der mit „Bescheinigung des Daueraufenthalts von EWR-Bürgern“ betitelte § 53a NAG lautet:

„§ 53a. (1) EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt (§§ 51 und 52), erwerben unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen gemäß §§ 51 oder 52 nach fünf Jahren rechtmäßigem und ununterbrochenem Aufenthalt im Bundesgebiet das Recht auf Daueraufenthalt. Ihnen ist auf Antrag nach Überprüfung der Aufenthaltsdauer unverzüglich eine Bescheinigung ihres Daueraufenthaltes auszustellen.

(2) Die Kontinuität des Aufenthalts im Bundesgebiet wird nicht unterbrochen von
1.         Abwesenheiten von bis zu insgesamt sechs Monaten im Jahr;
2.         Abwesenheiten zur Erfüllung militärischer Pflichten oder
3.         durch eine einmalige Abwesenheit von höchstens zwölf aufeinander folgenden Monaten aus wichtigen Gründen wie Schwangerschaft und Entbindung, schwerer Krankheit, eines Studiums, einer Berufsausbildung oder einer beruflichen Entsendung.

(3) Abweichend von Abs. 1 erwerben EWR-Bürger gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 vor Ablauf der Fünfjahresfrist das Recht auf Daueraufenthalt, wenn sie
1.         zum Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Erwerbsleben das Regelpensionsalter erreicht haben, oder Arbeitnehmer sind, die ihre Erwerbstätigkeit im Rahmen einer Vorruhestandsregelung beenden, sofern sie diese Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet mindestens während der letzten zwölf Monate ausgeübt und sich seit mindestens drei Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten haben;
2.         sich seit mindestens zwei Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten haben und ihre Erwerbstätigkeit infolge einer dauernden Arbeitsunfähigkeit aufgeben, wobei die Voraussetzung der Aufenthaltsdauer entfällt, wenn die Arbeitsunfähigkeit durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit eingetreten ist, auf Grund derer ein Anspruch auf Pension besteht, die ganz oder teilweise zu Lasten eines österreichischen Pensionsversicherungsträgers geht, oder
3.         drei Jahre ununterbrochen im Bundesgebiet erwerbstätig und aufhältig waren und anschließend in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erwerbstätig sind, ihren Wohnsitz im Bundesgebiet beibehalten und in der Regel mindestens einmal in der Woche dorthin zurückkehren;

Für den Erwerb des Rechts nach den Z 1 und 2 gelten die Zeiten der Erwerbstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union als Zeiten der Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet. Zeiten gemäß § 51 Abs. 2 sind bei der Berechnung der Fristen zu berücksichtigen. Soweit der Ehegatte oder eingetragene Partner des EWR-Bürgers die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt oder diese nach Eheschließung oder Begründung der eingetragenen Partnerschaft mit dem EWR-Bürger verloren hat, entfallen die Voraussetzungen der Aufenthaltsdauer und der Dauer der Erwerbstätigkeit in Z 1 und 2.

(4) EWR-Bürger, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 sind, erwerben ebenfalls das Daueraufenthaltsrecht, wenn der zusammenführende EWR-Bürger das Daueraufenthaltsrecht gemäß Abs. 3 vorzeitig erworben hat oder vor seinem Tod erworben hatte, sofern sie bereits bei Entstehung seines Daueraufenthaltsrechtes bei dem EWR-Bürger ihren ständigen Aufenthalt hatten.

(5) Ist der EWR-Bürger gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 im Laufe seines Erwerbslebens verstorben, bevor er gemäß Abs. 3 das Recht auf Daueraufenthalt erworben hat, so erwerben seine Angehörigen, die selbst EWR-Bürger sind und die zum Zeitpunkt seines Todes bei ihm ihren ständigen Aufenthalt hatten, das Daueraufenthaltsrecht, wenn
1.         sich der EWR-Bürger zum Zeitpunkt seines Todes seit mindestens zwei Jahren im Bundesgebiet ununterbrochen aufgehalten hat;
2.         der EWR-Bürger infolge eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit verstorben ist, oder
3.         der überlebende Ehegatte oder eingetragene Partner die österreichische Staatsangehörigkeit nach Eheschließung oder Begründung der eingetragenen Partnerschaft mit dem EWR-Bürger verloren hat.“

Der mit „Nichtbestehen, Fortbestand und Überprüfung des Aufenthaltsrechts für mehr als drei Monate“ betitelte § 55 NAG lautet:

„§ 55. (1) EWR-Bürgern und ihren Angehörigen kommt das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52, 53 und 54 zu, solange die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind.

(2) Der Fortbestand der Voraussetzungen kann bei einer Meldung gemäß §§ 51 Abs. 3 und 54 Abs. 6 oder aus besonderem Anlass wie insbesondere Kenntnis der Behörde vom Tod des unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgers oder einer Scheidung überprüft werden.

(3) Besteht das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52 und 54 nicht, weil eine Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit vorliegt, die Nachweise nach § 53 Abs. 2 oder § 54 Abs. 2 nicht erbracht werden oder die Voraussetzungen für dieses Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr vorliegen, hat die Behörde den Betroffenen hievon schriftlich in Kenntnis zu setzen und ihm mitzuteilen, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hinsichtlich einer möglichen Aufenthaltsbeendigung befasst wurde. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist unverzüglich, spätestens jedoch gleichzeitig mit der Mitteilung an den Antragsteller, zu befassen. Dies gilt nicht in einem Fall gemäß § 54 Abs. 7. Während eines Verfahrens zur Aufenthaltsbeendigung ist der Ablauf der Frist gemäß § 8 VwGVG gehemmt.

(4) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung (§ 9 BFA-VG), hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dies der Behörde mitzuteilen. Sofern der Betroffene nicht bereits über eine gültige Dokumentation verfügt, hat die Behörde in diesem Fall die Dokumentation des Aufenthaltsrechts unverzüglich vorzunehmen oder dem Betroffenen einen Aufenthaltstitel zu erteilen, wenn dies nach diesem Bundesgesetz vorgesehen ist.

(5) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung von Drittstaatsangehörigen, die Angehörige sind, aber die Voraussetzungen nicht mehr erfüllen, ist diesen Angehörigen ein Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ quotenfrei zu erteilen.

(6) Erwächst eine Aufenthaltsbeendigung in Rechtskraft, ist ein nach diesem Bundesgesetz anhängiges Verfahren einzustellen. Das Verfahren ist im Fall der Aufhebung einer Aufenthaltsbeendigung fortzusetzen, wenn nicht neuerlich eine aufenthaltsbeendende Maßnahme gesetzt wird.“

Der mit „Allgemeine Regel für Unionsbürger und ihre Familienangehörigen“ betitelte Art. 16 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 („Freizügigkeitsrichtlinie“ oder „Unionsbürgerrichtlinie“) lautet:

„(1) Jeder Unionsbürger, der sich rechtmäßig fünf Jahre lang ununterbrochen im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat, hat das Recht, sich dort auf Dauer aufzuhalten. Dieses Recht ist nicht an die Voraussetzungen des Kapitels III geknüpft.

(2) Absatz 1 gilt auch für Familienangehörige, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und die sich rechtmäßig fünf Jahre lang ununterbrochen mit dem Unionsbürger im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten haben.

(3) Die Kontinuität des Aufenthalts wird weder durch vorübergehende Abwesenheiten von bis zu insgesamt sechs Monaten im Jahr, noch durch längere Abwesenheiten wegen der Erfüllung militärischer Pflichten, noch durch eine einzige Abwesenheit von höchstens zwölf aufeinander folgenden Monaten aus wichtigen Gründen wie Schwangerschaft und Niederkunft, schwere Krankheit, Studium oder Berufsausbildung oder berufliche Entsendung in einen anderen Mitgliedstaat oder einen Drittstaat berührt.

(4) Wenn das Recht auf Daueraufenthalt erworben wurde, führt nur die Abwesenheit vom Aufnahmemitgliedstaat, die zwei aufeinander folgende Jahre überschreitet, zu seinem Verlust.“

Artikel 27 („Allgemeine Grundsätze“) der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 („Freizügigkeitsrichtlinie“ oder „Unionsbürgerrichtlinie“) lautet:

„(1) Vorbehaltlich der Bestimmungen dieses Kapitels dürfen die Mitgliedstaaten die Freizügigkeit und das Aufenthaltsrecht eines Unionsbürgers oder seiner Familienangehörigen, ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit, aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit beschränken. Diese Gründe dürfen nicht zu wirtschaftlichen Zwecken geltend gemacht werden.

(2) Bei Maßnahmen aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren und darf ausschließlich das persönliche Verhalten des Betroffenen ausschlaggebend sein. Strafrechtliche Verurteilungen allein können ohne Weiteres diese Maßnahmen nicht begründen. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.

(3) Um festzustellen, ob der Betroffene eine Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt, kann der Aufnahmemitgliedstaat bei der Ausstellung der Anmeldebescheinigung oder - wenn es kein Anmeldesystem gibt - spätestens drei Monate nach dem Zeitpunkt der Einreise des Betroffenen in das Hoheitsgebiet oder nach dem Zeitpunkt, zu dem der Betroffene seine Anwesenheit im Hoheitsgebiet gemäß Artikel 5 Absatz 5 gemeldet hat, oder bei Ausstellung der Aufenthaltskarte den Herkunftsmitgliedstaat und erforderlichenfalls andere Mitgliedstaaten um Auskünfte über das Vorleben des Betroffenen in strafrechtlicher Hinsicht ersuchen, wenn er dies für unerlässlich hält. Diese Anfragen dürfen nicht systematisch erfolgen. Der ersuchte Mitgliedstaat muss seine Antwort binnen zwei Monaten erteilen.

(4) Der Mitgliedstaat, der den Reisepass oder Personalausweis ausgestellt hat, lässt den Inhaber des Dokuments, der aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit aus einem anderen Mitgliedstaat ausgewiesen wurde, ohne jegliche Formalitäten wieder einreisen, selbst wenn der Personalausweis oder Reisepass ungültig geworden ist oder die Staatsangehörigkeit des Inhabers bestritten wird.“

Artikel 28 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG („Freizügigkeitsrichtlinie“ oder „Unionsbürgerrichtlinie“) lautet:

„(2) Der Aufnahmemitgliedstaat darf gegen Unionsbürger oder ihre Familienangehörigen, ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit, die das Recht auf Daueraufenthalt in seinem Hoheitsgebiet genießen, eine Ausweisung nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit verfügen.“

§ 66 Abs. 1 FPG lautet:

„§ 66. (1) EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige können ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden; oder sie bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben; im letzteren Fall ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt."

§ 67 Abs. 1 FPG lautet:

„§ 67. (1) Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.“

Der mit „Schutz des Privat- und Familienlebens“ betitelte § 9 BFA-VG lautet:

„§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1.         die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2.         das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3.         die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4.         der Grad der Integration,
5.         die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6.         die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7.         Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8.         die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9.         die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch Art. 4 Z 5, BGBl. I Nr. 56/2018)

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt.“

3.1.2. Anwendung der Rechtsgrundlagen auf den gegenständlichen Fall:

Die Beschwerdeführerin ist als Staatsangehörige von Deutschland EWR-Bürgerin im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 8 FPG und fällt in den persönlichen Anwendungsbereich des § 67 FPG.

Nachdem sich die Beschwerdeführerin (spätestens seit März) 2010 im Bundesgebiet aufhält, gilt zu prüfen, ob der die Voraussetzungen eines zehnjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet iSd § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG iVm Art. 28 Abs. 3 lit. a der Freizügigkeitsrichtlinie erfüllt:

In einem Verfahren betreffend Aufenthaltsverbot ist bei der Frage nach dem auf einen Fremden anzuwendenden Gefährdungsmaßstab das zu Art. 28 Abs. 3 lit. a der RL 2004/38/EG (Freizügigkeitsrichtlinie) ergangene Urteil des EuGH vom 16.01.2014, Rs C-400/12, zu berücksichtigen, weil § 67 Abs. 1 FPG insgesamt der Umsetzung von Art. 27 und 28 dieser RL - § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG im Speziellen der Umsetzung ihres Art. 28 Abs. 3 lit. a - dient. Der zum erhöhten Gefährdungsmaßstab nach Art. 28 Abs. 3 lit. a der genannten RL bzw. dem fünften Satz des § 67 Abs. 1 FPG führende zehnjährige Aufenthalt im Bundesgebiet muss demnach grundsätzlich ununterbrochen sein. Es können einzelne Abwesenheiten des Fremden unter Berücksichtigung von Gesamtdauer, Häufigkeit und der Gründe, die ihn dazu veranlasst haben, Österreich zu verlassen, auf eine Verlagerung seiner persönlichen, familiären oder beruflichen Interessen schließen lassen. Auch der Zeitraum der Verbüßung einer Freiheitsstrafe durch den Betroffenen ist grundsätzlich geeignet, die Kontinuität des Aufenthaltes iSd Art. 28 Abs. 3 lit. a der Freizügigkeitsrichtlinie zu unterbrechen und sich damit auf die Gewährung des dort vorgesehenen verstärkten Schutzes auch in dem Fall auszuwirken, dass sich der Fremde vor dem Freiheitsentzug mehrere Jahre lang (kontinuierlich) im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat. Dies ist - bei einer umfassenden Beurteilung - im Rahmen der Prüfung zu berücksichtigen, ob die zuvor mit dem Aufnahmemitgliedstaat geknüpften Integrationsverbindungen abgerissen sind (vgl. VwGH 24.03.2015, Ro 2014/21/0079).

Der EuGH führt dazu im angesprochenen Erkenntnis vom 16.01.2014, Rs C-400/12 in den Rz 36 und 37 Folgendes aus:

„36 Dabei können Zeiträume der Verbüßung einer Freiheitsstrafe, da sie grundsätzlich die Kontinuität des Aufenthalts im Sinne von Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/38 unterbrechen, zusammen mit weiteren Anhaltspunkten, die die Gesamtheit der im Einzelfall relevanten Umstände darstellen, von den für die Anwendung von Art. 28 Abs. 3 dieser Richtlinie zuständigen nationalen Behörden bei der gebotenen umfassenden Beurteilung berücksichtigt werden, die für die Feststellung, ob die zuvor mit dem Aufnahmemitgliedstaat geknüpften Integrationsverbindungen abgerissen sind, und damit für die Feststellung, ob der verstärkte Schutz gemäß dieser Bestimmung gewährt wird, vorzunehmen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil Tsakouridis, Rn. 34).

37 Schließlich ist zu den Auswirkungen des Umstands, dass die betroffene Person sich in den letzten zehn Jahren vor ihrer Freiheitsstrafe in dem Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat, darauf hinzuweisen, dass, auch wenn – wie in den Rn. 24 und 25 des vorliegenden Urteils ausgeführt – der für die Gewährung des verstärkten Schutzes vor Ausweisung gemäß Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/38 erforderliche Aufenthalt von zehn Jahren vom Zeitpunkt der Verfügung der Ausweisung dieser Person an zurückzurechnen ist, die Tatsache, dass die Berechnung nach dieser Bestimmung sich von derjenigen unterscheidet, die für die Zwecke der Gewährung des Daueraufenthaltsrechts vorgenommen wird, bedeutet, dass ein solcher Umstand bei der in der vorstehenden Randnummer erwähnten umfassenden Beurteilung berücksichtigt werden kann.“

Dies bestätigte der Verwaltungsgerichthof zuletzt in seiner aktuellen Rechtsprechung, wonach der Genuss des verstärkten Schutzes nach Art. 28 Abs. 3 lit. a der Freizügigkeitsrichtlinie, der mit § 67 Abs. 1 fünfter Satz FrPolG 2005 im innerstaatlichen Recht umgesetzt wurde, davon abhängig ist, dass sich der Betroffene in den letzten zehn Jahren vor der Ausweisung im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats aufgehalten hat. Dieser Aufenthaltszeitraum von zehn Jahren muss grundsätzlich ununterbrochen gewesen sein und ist vom Zeitpunkt der Verfügung der Ausweisung des Betroffenen an zurückzurechnen. Zeiträume der Verbüßung einer Freiheitsstrafe finden für die Zwecke der Gewährung des verstärkten Schutzes nach der genannten Bestimmung keine Berücksichtigung und diese Zeiten können die Kontinuität des Aufenthalts im Sinne dieser Bestimmung grundsätzlich unterbrechen. Diesbezüglich ist eine die Gesamtheit der im Einzelfall relevanten Umstände berücksichtigende umfassende Beurteilung vorzunehmen, ob die zuvor mit dem Aufnahmemitgliedstaat geknüpften Integrationsverbindungen durch die Verbüßung einer Freiheitsstrafe abgerissen sind. Dabei kommt es unter anderem darauf an, wie lange sich der Fremde vor dem Freiheitsentzug im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat sowie auf die Gesamtdauer der Unterbrechungen und deren Häufigkeit (vgl. VwGH 26.11.2020, Ro 2020/21/0013).

Im gegenständlichen Fall weist die Beschwerdeführerin im Bundesgebiet eine strafgerichtliche Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von fünf Jahren auf. Sie befindet sich diesbezüglich seit 27.09.2019 durchgehend in Haft. Die Erlassung der Ausweisungsentscheidung durch die belangte Behörde erfolgte am 18.06.2021. Im Lichte der vorgenannten Judikatur wird die Kontinuität ihres Aufenthaltes durch ihre Inhaftierung somit bereits seit rund 20 Monaten unterbrochen. Nach umfassender Berücksichtigung aller im gegenständlichen Fall relevanten Umstände kommt das erkennende Gericht zur Auffassung, dass die sich aus ihrem Haftaufenthalt ergebende Unterbrechung und die zwischenzeitige Verurteilung die nicht unerheblichen Integrationsverbindungen zum Bundesgebiet, die sich durch ihre Aufenthaltsdauer ab 2010, ihrer kurzfristigen Beschäftigungszeit und ihrer privaten bzw. vor allem familiären Bindungen ergeben, abgerissen sind. Dabei wird keineswegs außer Acht gelassen, dass sich der im Oktober 2019 geborene Sohn mit ihr in Haft befindet. Relativierend fließt im gegenständlichen Fall jedoch mit ein, dass sich der Ehegatte seit 27.09.2019 ebenfalls durchgehend in Haft befindet und die Obsorge für die weiteren Kinder dem in Deutschland lebenden Bruder übertragen wurden.

Der verstärkte Schutz des § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG iVm Art. 28 Abs. 3 lit. a der Freizügigkeitsrichtlinie kommt ihr daher nicht zu.

In weiterer Folge wäre zu prüfen, ob die Beschwerdeführerin ein unionsrechtliches Daueraufenthaltsrecht gemäß § 53a NAG erworben hat, da hinsichtlich Personen, die das Daueraufenthaltsrecht erworben haben, nicht nur bei der Ausweisung, sondern auch bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes der in § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FrPolG 2005 vorgesehene Gefährdungsmaßstab, der jenem in Art. 28 Abs. 2 der Freizügigkeitsrichtlinie entspricht, heranzuziehen ist (vgl. VwGH 13.12.2012, 2012/21/0181; VwGH 22.1.2014, 2013/21/0135; VwGH 3.7.2018, Ra 2018/21/0066). Dieser Maßstab liegt im abgestuften System der Gefährdungsprognosen über dem Gefährdungsmaßstab nach dem ersten und zweiten Satz des § 67 Abs. 1 FrPolG 2005. § 53a Abs. 1 NAG 2005 stellt in Bezug auf den Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt auf einen fünf Jahre rechtmäßigen und ununterbrochenen Aufenthalt im Bundesgebiet ab. Auf dieser Grundlage darf nur bei Vorliegen von Gründen iSd § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FrPolG 2005 (schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit) ein Aufenthaltsverbot erlassen werden (vgl. VwGH 24.10.2019, Ra 2019/21/0205).

Im gegenständlichen Fall erfüllt die Beschwerdeführerin mit ihrer in Rechtskraft erwachsenen strafgerichtlichen Verurteilung den in § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FPG vorgesehenen und dem Art. 28 Abs. 2 der Freizügigkeitsrichtlinie entsprechenden Gefährdungsmaßstab. Angesichts der Schwere der von der Beschwerdeführerin begangenen Straftat erübrigt sich im gegenständlichen Fall somit auch die Frage nach dem Erwerb bzw. dem Bestehen eines Daueraufenthaltsrechts iSd § 53a NAG 2005 (vgl. VwGH 16.07.2020, Ra 2019/21/0247).

Bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs. 1 FPG 2005 zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das „persönliche Verhalten“ des Fremden abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (vgl. VwGH 27.04.2020, Ra 2019/21/0367; 02.03.2021, Ra 2020/18/0486).

Auf Grundlage dieser Judikatur gilt es das persönliche Verhalten der Beschwerdeführerin zu beurteilen und insbesondere auf die durch die konkrete Straftat bewirkten Eingriffe in die öffentliche Ordnung, die genauen Tatumstände und Begleitumstände der Taten und auch sonstige Besonderheiten Bedacht zu nehmen. Es ist in weiterer Folge abzuwägen, ob das Allgemeininteresse an der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes schwerer wiegt als andere relativierende Momente, wie etwa auch das Familien- und Privatleben des Betroffenen.

Im gegenständlichen Fall steht bei der zu erstellenden Gefährdungsprognose die strafgerichtliche Verurteilung im Mittelpunkt.

Unter Zugrundelegung des Urteils des Geschworenengerichtes beim Landesgericht XXXX vom 12.02.2020, zu XXXX iVm dem Urteil des Obersten Gerichtshofes vom 01.09.2020, zu XXXX wurde die Beschwerdeführerin mit Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht XXXX vom 24.11.2020, zu XXXX wegen des Verbrechens des Quälens oder Vernachlässigens unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen nach § 92 Abs. 2, Abs. 3 zweiter Fall StGB zu einer fünfjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Das Urteil erwuchs am 25.02.2021 in Rechtskraft. Die Beschwerdeführerin und ihr Ehegatte wurden für schuldig befunden, von Mai 2017 bis zuletzt am 17.09.2019 im einverständlichen Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 erster Fall StGB) ihre Verpflichtung zur Fürsorge und Obhut gegenüber ihrer Tochter XXXX L., die ihrer Fürsorge und Obhut unterstand und die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, gröblich vernachlässigt und dadurch deren Gesundheit beträchtlich geschädigt zu haben, wobei die Tat den Tod der Geschädigten zur Folge hatte, indem sie die notwendigen medizinische Behandlung und fortlaufende Therapie der chronischen Bauchspeicheldrüsenentzündung ihrer Tochter unterbanden, wodurch diese letztlich infolge einer Zuckerstoffwechselentgleisung am 17.09.2019 an Herz-Kreislauf-Versagen verstarb.

Bei der Strafbemessung fanden mildernd der bisherige ordentliche Lebenswandel und erschwerend die Tatbegehung gegen einen nahen Angehörigen und der lange Tatzeitraum eine Berücksichtigung. Die Verhängung einer empfindlichen unbedingten Freiheitsstrafe sei laut Strafgericht notwendig, um der Beschwerdeführerin und ihrem Ehegatten die Wertigkeit des Rechtsgutes der körperlichen Unversehrtheit deutlich vor Augen zu führen und potentielle andere Täter wirksam von der Begehung derartiger massiver Straftaten abzuhalten.

Die strafgerichtliche Verurteilung der Beschwerdeführerin und ihr der Tat zu Grunde liegende Fehlverhalten berühren die Grundinteressen der Gesellschaft und stellt jedenfalls eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit dar, zumal einerseits ein großes öffentliches Interesse an der Verhinderung von Gewalttaten gegen Kinder besteht und andererseits die Verhinderung von (vorsätzlichen und fahrlässigen) Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit von Personen ein Grundinteresse der Gesellschaft darstellt (vgl. VwGH 08.09.2005, 2005/18/0051; 09.11.2009, 2006/18/0318).

Im gegenständlichen Fall bleibt zudem besonders zu berücksichtigen, dass das gesamte Handeln der Beschwerdeführerin – vom Zweck ihrer Einreise über ihren Aufenthalt bis hin zu ihrem strafrechtlich relevanten Handel bzw. Unterlassen – von einer tief verwurzelten Überzeugung der Rechtmäßigkeit des eigenen Handelns geprägt war und sie diesen Überzeugungen den Vorrang gegenüber den gesellschaftlichen Grundinteressen und staatlichen Normen einräumte.

Zu prüfen bleibt im gegenständlichen Fall noch die Gegenwärtigkeit der von der Beschwerdeführerin ausgehenden Gefährdung. Aus dem Inhalt der im Beschwerdeverfahren vorgelegten Schriftsätze und ihren zwischenzeitig vorgenommenen Handlungen ergeben sich zweifellos erste Ansätze eines Umdenkens bei der Beschwerdeführerin und gewann auch der erkennende Richter im Rahmen der mündlichen Verhandlung den persönlichen Eindruck einer gewissen Reue und inneren Läuterung, die in der Entscheidung als solches auch berücksichtigt werden. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist der Gesinnungswandel eines Straftäters jedoch grundsätzlich daran zu messen, ob und wie lange er sich - nach dem Vollzug einer Haftstrafe - in Freiheit wohlverhalten hat; für die Annahme eines Wegfalls der aus dem bisherigen Fehlverhalten ableitbaren Gefährlichkeit eines Fremden ist somit in erster Linie das Verhalten in Freiheit maßgeblich. Dabei ist der Beobachtungszeitraum umso länger anzusetzen, je nachdrücklicher sich die Gefährlichkeit des Fremden in der Vergangenheit manifestiert hat (vgl. VwGH 15.02.2021, Ra 2021/17/0006). Im gegenständlichen Fall befindet sich die Beschwerdeführerin gegenwärtig in Strafhaft, weshalb ein derartiger Beobachtungszeitraum nicht in Betracht kommt.

Letztendlich ist aus einer Gesamtbetrachtung ihres im Bundesgebiet gezeigten Verhaltens davon auszugehen, dass im gegenständlichen Fall der erhöhte Gefährdungsmaßstab des § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FPG iVm § 28 Abs. 2 Unionsbürgerrichtlinie erfüllt ist und stellt das Verhalten der Beschwerdeführerin eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar.

Auch die im Lichte des § 9 BFA-VG gebotene Abwägung der privaten und familiären Interessen der Beschwerdeführerin mit den entgegenstehenden öffentlichen Interessen konnte eine Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes nicht rechtfertigen.

Ein Teil der Familie der Beschwerdeführerin hält sich in Österreich auf und hat sie somit ein familiäres und großes privates Interesse in das Bundesgebiet ein- und durchreisen zu können bzw. hier zu verblieben. Mit der Erlassung des Aufenthaltsverbotes ist damit ein nicht unerheblicher Eingriff in die familiären und auch in die privaten Interessen der Beschwerdeführerin verbunden. Dabei gilt es ein besonderes Augenmerk auf das Kindeswohl der im Bundesgebiet aufhältigen minderjährigen Kinder der Beschwerdeführerin zu richten. Das bestehende Familienleben und deren Schutzwürdigkeit erfährt im gegenständlichen Fall dahingehend eine Beeinträchtigung und Relativierung, dass sich die strafbare Handlung bzw. Unterlassung der Beschwerdeführerin gegen ein eigenes Familienmitglied richtete, diese einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren (Mai 2017 bis September 2019) umfasste und letztendlich zum Tod des eigenen Kindes führte. Des Weiteren darf nicht außer Acht gelassen werden, dass der Beschwerdeführerin und deren Ehegatten die Obsorge für sechs der sieben Kinder entzogen wurde. In Hinblick auf das jüngste Kind ist dessen Verbleib bei der Beschwerdeführerin bis Oktober 2021 zeitlich befristet. Ebenso kann im gegenständlichen Zeitpunkt nicht gesichert von einem Verbleib seiner Obsorge bei der Beschwerdeführerin und deren Ehegatten ausgegangen werden. Auch wenn das Bundesverwaltungsgericht nunmehr nicht verkennt, dass sich ein Teil der Kinder gegenwärtig in Österreich aufhält, gilt dahingehend zu berücksichtigen, dass die Obsorge dem in Deutschland wohnhaften Bruder ihres Ehegatten übertragen wurde. Im Hinblick auf das Kindeswohl gilt des Weiteren zu berücksichtigen, dass der Kontakt zu ihren darüber in Österreich aufhältigen Familienangehörigen und Verwandten durch das Aufenthaltsverbot nicht gänzlich unterbunden wird. Vor allem auch in Hinblick auf die Kinder besteht die Möglichkeit den Kontakt weiter fernmündlich und –bildlich sowie durch Schreiben von Briefen und übersenden von Pakten aufrecht zu halten. Aufgrund der räumlichen Nähe sind auch Besuche durch die Kinder in Deutschland möglich, wobei diese – vor allem bei den älteren Kindern – mit zeitlichem Fortschreiten auch eigenständig vorgenommen werden können. Der Vollständigkeithalber ist darauf hinzuweisen, dass sich die älteste Tochter der Beschwerdeführerin bereits in Deutschland aufhältig.

Die aus seinem Aufenthalt ableitbare Integration des Fremden ist in ihrem Gewicht dadurch gemindert, dass die dafür maßgebliche soziale Komponente durch das ihr zur Last liegende Fehlverhalten wesentlich reduziert ist (vgl. etwa VwGH 28.09.2004, 2001/18/0221).

Angesichts des in seiner Gesamtheit gravierenden Fehlverhaltens der Beschwerdeführerin ist jedoch davon auszugehen, dass das gegen sie erlassene Aufenthaltsverbot gemäß § 9 BFA-VG zulässig ist, ist es doch zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen (Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, Verhinderung von weiteren strafbaren Handlungen durch den Beschwerdeführer, Schutz der Rechte Dritter) dringend geboten.

Die öffentlichen Interessen an der Erlassung des Aufenthaltsverbotes sind demnach höher zu gewichten als die gegenläufigen familiären und privaten Interessen der Beschwerdeführerin und ihrer Familie. Unter diesen Umständen ist die Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung nach § 9 BFA-VG als zulässig zu werten.

Im Hinblick auf die Dauer des Aufenthaltsverbotes lässt das Bundesverwaltungsgericht keineswegs die bisherige Aufenthaltsdauer der Beschwerdeführerin in Österreich, den sich daraus ergebenden Beziehungen zum Bundesgebiet und die bisherige strafgerichtliche Unbescholtenheit der Beschwerdeführerin außer Acht. Dem steht die Gravität der von der Beschwerdeführerin verübten Straftat, die schlussendlich den Tod des eigenen Kindes zur Folge hatte, sowie die bisher dabei von der Beschwerdeführerin ausgehenden Priorisierung des eigenen Rechtsempfindens vor den geltenden Normen gegenüber. Ohne das Unrecht der Tat verharmlosen zu wollen, erweist sich die von der belangten Behörde ausgesprochene Dauer des Aufenthaltsverbotes von zehn Jahren im gegenständlichen Fall jedoch als nicht geboten. Diese vor allem auch unter dem Aspekt, dass – wie sich im Rahmen der mündlichen Verhandlung zeigte – bei der Beschwerdeführerin mittlerweile bereits ein Prozess des Umdenkens eingeläutet wurde. Das Aufenthaltsverbot war daher auf sieben Jahre zu reduzieren. Eine darunterliegende Dauer eines Aufenthaltsverbotes oder eine gänzliche Behebung ist jedoch wegen des Gewichts des strafrechtlich relevanten Handelns der Beschwerdeführerin und um der Beschwerdeführerin die Wertigkeiten des Rechtsgutes der körperlichen Unversehrtheit und dem erhöhten Schutzbedarf von Minderjährigen vor Augen zu führen und auch um potentiell andere Täter wirksam von der Begehung derartiger massiver Straftaten abzuhalten, nicht denkbar.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

3.2. Zur Zuerkennung eines Durchsetzungsaufschubes (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides):

Gemäß § 70 Abs. 3 FPG ist EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen bei der Erlassung einer Ausweisung von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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