Entscheidungsdatum
08.09.2021Norm
BFA-VG §21 Abs7Spruch
I421 2245341-1/4E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Martin STEINLECHNER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Deutschland, vertreten durch die BBU – Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen, Leopold-Moses-Gasse 4, 1020 Wien gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion XXXX vom 14.07.2021, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Dem BF wurde erstmals am 26.06.2008 und zuletzt am 17.12.2015 eine unbefristete Anmeldebescheinigung für den Aufenthaltszweck „Familienangehöriger“ ausgestellt.
2. Mit Urteil des Landesgerichts XXXX zu XXXX vom 03.09.2020 (rechtskräftig seit 08.09.2020) wurde der BF wegen dem Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB, dem Verbrechen der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB, dem Vergehen der Sachbeschädigung nach § 125 StGB und dem Vergehen der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel nach § 241e Abs 3 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 16 (sechzehn) Monaten sowie gemäß § 389 Abs 1 StPO zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens verurteilt. Gemäß § 43 Abs. 1 StGB wurde dem BF die verhängte Freiheitsstrafe unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.
3. Mit Schreiben vom 28.09.2020 wurde der BF im Rahmen des Parteiengehörs vom Ergebnis der Beweisaufnahme betreffend dem Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes verständigt und ihm die Möglichkeit zur Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme innerhalb einer Frist von zwei Wochen ab Zustellung gewährt. Am 12.10.2020 wurde die Übernahme des Parteiengehörs bestätigt, der BF gab keine Stellungnahme ab.
4. Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 12.10.2020 (rechtskräftig seit 12.10.2020) zu XXXX wurde der BF wegen des Vergehens des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 achter Fall, Abs 4 Z 1 SMG, dem Vergehen des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 achter Fall SMG, dem Vergehen des Betruges nach § 146 StGB, dem Vergehen der Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB, dem Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB, dem Vergehen der Sachbeschädigung nach § 125 StGB unter Bedachtnahme gem. §§ 31, 40 StGB auf das Urteil des Landesgerichts XXXX vom 03.09.2020, AZ XXXX , nach § 27 Abs 4 SMG zu einer Zusatzfreiheitsstrafe von 4 (vier) Monaten verurteilt. Gemäß § 43 Abs 1 StGB wurde dem BF der Vollzug der verhängten Zusatzstrafe unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.
5. Mit Schreiben vom 01.04.2021 wurde der BF erneut vom Ergebnis der Beweisaufnahme betreffend dem Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes verständigt und ihm die Möglichkeit zur Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme innerhalb einer Frist von zwei Wochen ab Zustellung gewährt. Der BF gab keine Stellungnahme ab.
6. Mit Urteil des Landesgerichts XXXX zu XXXX -30 vom 17.06.2021 (rechtskräftig seit 17.06.2021) wurde der BF wegen des Vergehens des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 achter Fall, Abs 4 Z 1 SMG und dem Vergehen der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von achtzehn Monaten sowie gem. § 389 Abs 1 StPO zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens verurteilt. Gemäß § 43 a Abs 3 StGB wurde dem BF ein Teil der verhängten Freiheitsstrafe von zwölf Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.
7. Der BF befindet sich seit 26.03.2021 in Untersuchungshaft/Strafhaft in der Justizanstalt XXXX .
8. Am 04.07.2021 wurde der BF von der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen.
9. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 14.07.2021, Zl. XXXX , wurde gegen den BF ein für die Dauer von fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.) und ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit der Entscheidung erteilt (Spruchpunkt II.).
10. Gegen diesen Bescheid richtet sich die durch den BF rechtzeitig mit 05.08.2021 datierte, eingelangt beim BFA am selbigen Tag, erhobene Beschwerde. Im Wesentlichen wurde darin ausgeführt, dass die belangte Behörde fallgegenständlich den Gefährdungsmaßstab des nach dem fünften Satz des § 67 Abs 1 FPG heranziehen hätte müssen, weil der BF seit über 10 Jahren durchgehend und rechtmäßig in Österreich aufhältig sei und daher gegen den BF ein Aufenthaltsverbot nicht zu erlassen gewesen sei. Beantragt werde daher, das Bundesverwaltungsgericht möge eine mündliche Beschwerdeverhandlung anberaumen, der gegenständlichen Beschwerde stattgeben und den angefochtenen Bescheid ersatzlos beheben; in eventu den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit zur Gänze beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt zurückverweisen; in eventu das Aufenthaltsverbot auf eine angemessene Dauer herabsetzen.
11. Am 09.08.2021, eingelangt beim Bundesverwaltungsgericht, Außenstelle Innsbruck, am 13.08.2021, legte die belangte Behörde dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde samt Verwaltungsakt vor und beantragte, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der volljährige, ledige BF ist deutscher Staatsangehöriger und somit EWR Bürger bzw. Unionsbürger im Sinne des § 2 Abs 4 Z 8 FPG. Die Identität des BF steht fest. Der BF ist gesund und arbeitsfähig.
Der BF ist im Jahr 2007 / 2008 mit seinem Vater und seiner Stiefmutter nach Österreich gezogen. Der BF war von 28.01.2008 bis 06.08.2019 durchgehend in Österreich mit Hauptwohnsitz gemeldet und hält sich daher seit mehr als 10 Jahren im Bundesgebiet auf. Dem BF wurde erstmals am 26.06.2008 und sodann am 17.12.2015 erneut eine Anmeldebescheinigung für den Aufenthaltszweck „Familienangehöriger“ gemäß § 52 Abs 2 Z 1 NAG ausgestellt.
Seit 26.11.2019 war der BF mit mehreren Unterbrechungen in der XXXX Jugendnotschlafstelle melderechtlich erfasst. Seit 26.03.2021 befindet sich der BF in Strafhaft in der Justizanstalt XXXX , aus der er am 26.09.2021 entlassen werden soll.
In Österreich hat der BF die Vorschule und Volksschule in XXXX und danach die Pflichtschule besucht. Der BF hat eine Lehre als Koch begonnen und war von 04.10.2016 bis zum 14.05.2018 in Niederösterreich und von 21.01.2019 bis zum 31.08.2019 in Wien als Lehrling beschäftigt. Die Lehre hat er nicht abgeschlossen. Vom 15.05.2018 bis zum 20.01.2019, vom 03.12.2019 bis zum 29.01.2020, vom 12.02.2020 bis zum 26.02.2020, vom 15.05.2020 bis zum 22.06.2020 und vom 14.07.2020 bis zum 05.10.2020 hat der BF Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe bezogen. Der BF bekommt keine finanzielle Unterstützung durch seine Eltern.
Im Bundesgebiet verfügt der BF über soziale Kontakte und familiäre Anknüpfungspunkte. Der Vater des BF und die Stiefmutter sowie die Kinder der Stiefmutter leben in Österreich, jedoch hat der BF keinen Kontakt mehr zu ihnen.
In Deutschland leben die Mutter und die Halbgeschwister des BF sowie alle Verwandten väterlicherseits.
Der BF macht in der Freizeit Sport, ist nicht Mitglied in einem Verein und besucht keine sonstigen Kurse. Der BF weist private als auch soziale Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet auf. Über das übliche Maß hinausgehende berücksichtigungswürdige Anknüpfungspunkte des BF im Bundesgebiet konnten nicht festgestellt werden.
In Österreich weist der BF folgende strafrechtliche Verurteilungen auf:
01) LG XXXX XXXX vom 03.09.2020 RK 08.09.2020
§ 241e (3) StGB
§ 142 (1) StGB
§ 84 (4) StGB
Datum der (letzten) Tat 27.10.2019
Freiheitsstrafe 16 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre
Anordnung der Bewährungshilfe
Junge(r) Erwachsene(r)
zu LG XXXX XXXX RK 08.09.2020
Probezeit verlängert auf insgesamt 5 Jahre
LG XXXX XXXX vom 17.06.2021
02) LG XXXX XXXX vom 12.10.2020 RK 12.10.2020
§ 15 StGB § 105 (1) StGB
§ 27 (1) Z 1 8. Fall SMG
§§ 27 (1) Z 1 8. Fall, 27 (4) Z 1 SMG
§ 107 (1) StGB
Datum der (letzten) Tat 28.08.2020
Freiheitsstrafe 4 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre
Anordnung der Bewährungshilfe
Zusatzstrafe gemäß §§ 31 und 40 STGB unter Bedachtnahme auf LG XXXX XXXX RK 08.09.2020
Junge(r) Erwachsene(r)
zu LG XXXX XXXX RK 12.10.2020
Probezeit verlängert auf insgesamt 5 Jahre
LG XXXX XXXX vom 17.06.2021
03) LG XXXX XXXX vom 17.06.2021 RK 17.06.2021
§ 229 (1) StGB
§§ 27 (1) Z 1 8. Fall, 27 (4) Z 1 SMG
Datum der (letzten) Tat 01.03.2021
Freiheitsstrafe 18 Monate, davon Freiheitsstrafe 12 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre
Anordnung der Bewährungshilfe
Junge(r) Erwachsene(r)
Zuletzt wurde der BF mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 17.06.2021, rechtskräftig seit 17.06.2021, zu XXXX für schuldig erkannt, er habe in XXXX
a./ vorschriftswidrig Suchtgift nachgenannten Minderjährigen überlassen und dadurch diesen den Gebrauch von Suchtgift ermöglicht, wobei er volljährig und mehr als zwei Jahre älter als die Minderjährigen war und zwar
aa./ am 11.12.2020 und am 12.12.2020, der am XXXX geborenen M.W. insgesamt 3 MDMA beinhaltende XTC Tabletten um € 45,- in zwei Angriffen;
ab./ am 11.02.2021 dem am XXXX geborenen J.W. 1 g THCA und THC-beinhaltendes Cannabiskraut um € 10,-
ac./ zwischen Dezember 2020 und März 2021 der am XXXX geborenen L.G. in mehreren Angriffen geringe Mengen THCA und THC-beinhaltendes Cannabiskraut;
b./ am 08.01.2021 die Kennzeichen des J.T., sohin eine Urkunde über die er nicht verfügen durfte, unterdrückt, wobei er mit dem Vorsatz handelte, zu verhindern, dass sie im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechtes eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache gebraucht werde.
Hierbei hat der BF zu a./ die Vergehen des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 achter Fall, Abs 4 Z 1 SMG und zu b./ das Vergehen der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB begangen und wurde hierfür unter Anwendung von § 28 Abs 1 StGB nach § 27 Abs 4 SMG zu einer Freiheitsstrafe von achtzehn Monaten verurteilt, wobei ein Teil der verhängten Freiheitsstrafe von zwölf Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Mildernd wurde dabei die Tatbegehung im Alter von unter 21 Jahren sowie das volle und reumütige Geständnis, als erschwerend das Zusammentreffen mehrerer Vergehen, die Tatbegehung in offener Probezeit, der rasche Rückfall sowie eine einschlägige Vorstrafe gewertet. Zudem wurde dem BF Bewährungshilfe angeordnet und die Weisung erteilt, nach Haftentlassung eine stationäre Langzeitsuchttherapie in der Dauer von sechs Monaten und im Anschluss eine ambulante Suchttherapie zu absolvieren.
Am 2.9.2021 hat der BF an einem fakultativen Rückkehrberatungsgespärch teilgenommen. Der BF ist nicht rückkehrwillig (OZ3, Dokumentation der Rückkehrberatung).
2. Beweiswürdigung:
Der erkennende Einzelrichter des Bundesverwaltungsgerichtes hat nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung über die Beschwerde folgende Erwägungen getroffen:
2.1. Verfahrensgang
Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes der belangten Behörde und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichts.
2.2. Zum Sachverhalt
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung des bekämpften Bescheides, der niederschriftlichen Einvernahme des BF vor der belangten Behörde, des Beschwerdeschriftsatzes und der Strafurteile zu XXXX , XXXX und XXXX . Ergänzend wurden Auszüge des Zentralen Melderegisters (ZMR), des Informationsverbundsystems Zentrales Fremdenregister (IZR), des Strafregisters, des Betreuungsinformationssystems und ein Sozialversicherungsdatenauszug eingeholt.
2.3. Zur Person des Beschwerdeführers:
Zumal der BF der belangten Behörde einen Ausweis für EWR-Bürger vorliegen konnte, steht die Identität des BF unstrittig fest. Zudem basieren die Feststellungen zu seiner Identität, seinem Geburtsdatum und seiner Staatsangehörigkeit auf den Angaben in den Strafurteilen und der Beschwerde.
Aufgrund der Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister konnten die Feststellungen zum Aufenthalt des BF im Bundesgebiet getroffen werden. Weiters ergibt sich daraus auch die Feststellung zum Familienstand „ledig“. Dass sich der BF seit mehr als 10 Jahren im Bundesgebiet aufhält, ergibt sich einerseits aus der melderechtlichen Erfassung seit 28.01.2008, andererseits aus den Angaben des BF vor der belangten Behörde, ca. im Jahr 2007 oder 2008 mit seinem Vater nach Österreich gezogen zu sein (Protokoll vom 04.07.2021, AS 337). Einer Abfrage im Informationsverbund Zentrales Fremdenregister war zu entnehmen, dass dem BF erstmals am 26.06.2008, und sodann am 17.12.2017 erneut eine unbefristete Anmeldebescheinigung „Familienangehöriger“ ausgestellt wurde.
Dass der BF die Schulausbildung in Österreich absolviert hat, basiert auf seinen eigenen Angaben vor der belangten Behörde sowie auf der Ausführung im Beschwerdeschriftsatz (AS 386; Protokoll vom 04.07.2021, AS 337).
Die Feststellung, dass der BF gesund ist, konnte getroffen werden, zumal der BF keine Krankheiten vorbrachte und Gegenteiliges im gesamten Akteninhalt nicht ersichtlich wurde. Zudem wird sein Gesundheitszustand durch die Haftfähigkeit indiziert. Daraus lässt sich auf die Arbeitsfähigkeit des BF schließen, welche weiters im erwerbsfähigen Alter des BF begründet liegt und er zudem selbst angab, in der Justizanstalt im U-Betrieb zu arbeiten (Protokoll vom 04.07.2021, AS 339).
Im Sozialversicherungsdatenauszug zur Person des BF wird seine Beschäftigung als Lehrling ersichtlich, weiters auch seine Bezüge von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe. Dass der BF eine Lehre als Koch begonnen und diese nicht abgeschlossen hat, führte der BF vor der belangten Behörde aus (Protokoll vom 04.07.2021, AS 337). Aufgrund seines erst jungen Alters und seiner zeitlich unterbrochenen Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet kann noch nicht von einer beruflichen Verfestigung ausgegangen werden.
Die Feststellung zu seinen familiären Anknüpfungspunkten in Österreich und Deutschland konnte aufgrund der Angaben des BF in der niederschriftlichen Einvernahme getroffen werden. Glaubhaft wird erachtet, dass der BF zu seinem Vater und der Stiefmutter keinen Kontakt mehr hat und keine finanzielle Unterstützung bekommt und nicht mit ihnen im gemeinsamen Haushalt lebt, weshalb er in der Notschlafstelle wohnen hat müssen (Protokoll vom 04.07.2021, AS 337 f).
Ebenso wird als glaubhaft erachtet, dass er Freunde im Bundesgebiet hat und in der Freizeit Sport gemacht hat. Aufgrund des 13-jährigen Aufenthaltes des BF im Bundesgebiet liegt eine Integration in sozialer als auch privater Hinsicht vor. Dennoch ist die soziale Integration wegen der strafgerichtlichen Verurteilungen maßgeblich zu relativieren. Die diesbezüglichen Details seiner Verurteilung samt Milderungs- und Erschwernisgründe waren dem Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 2021, zu XXXX zu entnehmen.
Auch wurde amtswegig mit 2021 ein Strafregisterauszug zur Person des BF eingeholt. Dass sich der derzeit in der Justizanstalt aufhält und sein errechnetes Haftende der 26.09.2021 ist, ergibt sich aus der im Akt befindlichen Verständigung vom Strafantritt (AS 297).
Dass der BF nicht rückkehrwillig ist, ergibt sich aus der Dokumentation der Rückkehrberatung vom 2.9.2021 (OZ 3).
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 2 Abs 4 Z 1 FPG gilt als Fremder, wer die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzt. Gemäß § 2 Abs 4 Z 8 FPG gilt als EWR-Bürger ein Fremder, der Staatsangehöriger einer Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen) ist.
Aufgrund der deutschen Staatsangehörigkeit ist der BF EWR-Bürger und folglich Fremder iSd. soeben angeführten Bestimmungen.
Zu A)
3.1. Stattgabe der Beschwerde:
3.1.1. Rechtslage:
Der mit "Aufenthaltsverbot" betitelte § 67 FPG idgF lautet:
§ 67 (1) Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.
(2) Ein Aufenthaltsverbot kann, vorbehaltlich des Abs 3, für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden.
(3) […]
(4) Bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes ist auf die für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen. Die Frist des Aufenthaltsverbotes beginnt mit Ablauf des Tages der Ausreise.
(Anm.: Abs 5 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 87/2012)
Der mit "Schutz des Privat- und Familienlebens" betitelte § 9 BFA-VG idgF lautet wie folgt:
§ 9 (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.
(Anm.: Abs 4 aufgehoben durch Art 4 Z 5, BGBl. I Nr. 56/2018)
Der mit "Bescheinigung des Daueraufenthalts von EWR-Bürgern" betitelte § 53a NAG lautet wie folgt:
§ 53a (1) EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt (§§ 51 und 52), erwerben unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen gemäß §§ 51 oder 52 nach fünf Jahren rechtmäßigem und ununterbrochenem Aufenthalt im Bundesgebiet das Recht auf Daueraufenthalt. Ihnen ist auf Antrag nach Überprüfung der Aufenthaltsdauer unverzüglich eine Bescheinigung ihres Daueraufenthaltes auszustellen.
(2) Die Kontinuität des Aufenthalts im Bundesgebiet wird nicht unterbrochen von
1. Abwesenheiten von bis zu insgesamt sechs Monaten im Jahr;
2. Abwesenheiten zur Erfüllung militärischer Pflichten oder
3. durch eine einmalige Abwesenheit von höchstens zwölf aufeinander folgenden Monaten aus wichtigen Gründen wie Schwangerschaft und Entbindung, schwerer Krankheit, eines Studiums, einer Berufsausbildung oder einer beruflichen Entsendung.
[…]
Der mit "Ausweisung" betitelte § 66 FPG lautet wie folgt:
§ 66 (1) EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige können ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden; oder sie bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben; im letzteren Fall ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.
3.1.2. Zur Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall:
§ 67 Abs. 1 FPG enthält zwei Stufen für die Gefährdungsprognose, nämlich einerseits (nach dem ersten und zweiten Satz) die Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, wobei eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche, ein Grundinteresse der Gesellschaft berührende Gefahr auf Grund eines persönlichen Verhaltens vorliegen muss, und andererseits (nach dem fünften Satz) die - nunmehr zur Anwendung kommende - nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit der Republik Österreich im Fall von EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen mit mindestens zehnjährigem Aufenthalt im Bundesgebiet (bzw. im Fall von Minderjährigen). Es muss aber angenommen werden, dass hinsichtlich Personen, die das Daueraufenthaltsrecht erworben haben, nicht nur bei der Ausweisung, sondern (arg. a minori ad maius) auch bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes der in Art. 28 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie und § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FPG 2005 vorgesehene Maßstab - der im abgestuften System der Gefährdungsprognosen zwischen jenen nach dem ersten und dem fünften Satz des § 67 Abs. 1 FPG angesiedelt ist - heranzuziehen ist. Dies gebietet im Anwendungsbereich der Unionsbürgerrichtlinie eine unionsrechtskonforme Interpretation, weil das Aufenthaltsverbot eine Ausweisungsentscheidung im Sinn der Richtlinie beinhaltet.
Unbestritten hält sich der BF seit 28.01.2008 ununterbrochen im Bundesgebiet auf und verfügt seit 2008 bzw. 2015 über eine Anmeldebescheinigung „Familienangehöriger“. Die belangte Behörde ging im angefochtenen Bescheid davon aus, dass der weitere Aufenthalt des BF eine aktuelle und gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit darstellt. Damit stellt sie offenbar auf den Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs. 1 zweiter Satz FPG ab und übersieht – wie auch im Beschwerdeschriftsatz zutreffend aufgezeigt -, dass auf den BF aufgrund seines seit 2008 kontinuierlichen und somit mehr als zehn Jahre andauernden Aufenthaltes in Österreich der qualifizierte Tatbestand des § 67 Abs 1 fünfter Satz FPG (d.h. nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit der Republik Österreich durch den Verbleib im Bundesgebiet) als Prüfungsmaßstab des vorliegenden Aufenthaltsverbots zur Anwendung kommt. Dieser fordert im Gegensatz zu § 67 Abs 1 Satz 2 FPG, wonach eine vom BF ausgehende tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit für die Zulässigkeit der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes verlangt wird, eine vom BF im Bundesgebiet ausgehende nachhaltige und maßgebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit, um ein Aufenthaltsverbot erlassen zu können und liegt noch über den in § 66 Abs 1 letzter Satzteil FPG vorgesehenen Gefährdungsmaßstab.
Mit der Bestimmung des § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG 2005 soll Art. 28 Abs. 3 lit. a der Unionsbürger-RL (§ 2 Abs. 4 Z 18 FrPolG 2005) umgesetzt werden, wozu der EuGH bereits judizierte, dass hierauf gestützte Maßnahmen auf "außergewöhnliche Umstände" begrenzt sein sollen; es ist vorausgesetzt, dass die vom Betroffenen ausgehende Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit einen "besonders hohen Schweregrad" aufweist, was etwa bei bandenmäßigem Handeln mit Betäubungsmitteln der Fall sein kann (vgl. EuGH 23.11.2010, C145/09; EuGH 22.5.2012, C-348/09, wo überdies darauf hingewiesen wurde, dass es "besonders schwerwiegende Merkmale" bedarf.) Hat der Fremde "mehrfach Probezeiten bestanden", ist er nunmehr erstmals wegen Suchtgifthandels und dem Überlassen und Anbieten von Suchtgift an Dritte verurteilt worden, wobei "kein professionell strukturierter Suchtgifthandel" vorliegt, und ist er erstmals für längere Zeit in Haft gewesen, konnte bedingt entlassen werden und hat er vor, seine Drogensucht behandeln zu lassen, kann nicht von "außergewöhnlichen Umständen" mit "besonders hohem Schweregrad" bzw. von "besonders schwerwiegenden Merkmalen" der vom Fremden begangenen Straftaten gesprochen werden (vgl. VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0091).
Folglich darf gegen den BF nur bei einer nachhaltigen und maßgeblichen Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit ein Aufenthaltsverbot erlassen werden. Diese liegt jedoch bei ihm aus folgenden Gründen nicht vor:
Bei der Festsetzung der Dauer des Aufenthaltsverbotes ist gemäß § 67 Abs 4 FPG auf alle für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen, insbesondere auch auf die privaten und familiären Verhältnisse (VwGH 24.05.2016, Ra 2016/21/0075).
Der BF ist in Österreich aufgewachsen und hat hier die Schulpflicht absolviert. Der BF weist drei strafgerichtliche Verurteilungen in Österreich auf.
Der ersten Verurteilung des BF liegt das Verbrechen des Raubes, das Vergehen der Sachbeschädigung, das Vergehen der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel sowie eine schwere Körperverletzung zugrunde. Insbesondere hat der BF dabei mit seinem Mittäter dem CH. ST. mehrere Faustschläge ins Gesicht versetzt, sodass dieser einen verschobenen Nasenbeinbruch sowie eine Schädelprellung erlitt. Der BF wurde deswegen zu einer bedingten Freiheitsstrafe von sechszehn Monaten verurteilt und wurde bei der Strafzumessung das volle und reumütige Geständnis, der bisherige ordentliche Lebenswandel, die Tatbegehung im Alter von unter 21 Jahren und die teilweise Rückstellung der Diebesbeute, als erschwerend das Zusammentreffen von zwei Verbrechen mit zwei Vergehen gewertet.
Der zweiten Verurteilung zu einer Zusatzfreiheitsstrafe von vier Monaten liegen zum einen Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften zugrunde, wobei hier festzuhalten gilt, dass der damals bereits volljährige BF dadurch Minderjährigen den Gebrauch von Suchtgift ermöglichte. Zum anderen hat der BF das Vergehen des Betrugs, der versuchten Nötigung, der gefährlichen Drohung und der Sachbeschädigung begangen. Mildernd wurden dabei erneut das reumütige Geständnis, der bisherige ordentliche Lebenswandel und das Alter von unter 21 Jahren gewertet, erschwerend das Zusammentreffen von mehreren Vergehen.
Zuletzt wurde der BF verurteilt, weil er erneut vorschriftswidrig Suchtgift Minderjährigen überlassen hatte und dadurch diesen den Gebrauch ermöglicht hatte. Zusätzlich beging er das Vergehen der Urkundenunterdrückung, weil er ein Kennzeichen, über das er nicht verfügen durfte, unterdrückte, wobei er mit dem Vorsatz handelte, zu verhindern, dass es im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechtes, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache gebraucht werde. Hierbei wurde dem BF Bewährungshilfe angeordnet und die Weisung erteilt, nach Haftentlassung eine stationäre Langzeitsuchttherapie in der Dauer von sechs Monaten und im Anschluss eine ambulante Suchttherapie zu absolvieren. Im Gegensatz zu den Verurteilungen zuvor wurde hierbei bei der Strafzumessung die Tatbegehung während offener Probezeit, der rasche Rückfall sowie die einschlägige Vorstrafe als erschwerend gewertet.
Im Hinblick auf die seitens des BF verübten Straftaten ist insbesondere hervorzuheben, dass nach der Judikaturlinie des VwGH gerade Suchtgiftdelinquenz - auch nach gemeinschaftsrechtlichen Maßstäben - ein besonders verpöntes Fehlverhalten darstellt, bei dem erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr gegeben ist und besteht an dessen Verhinderung ein besonders großes öffentliches Interesse (VwGH 01.04.2019, Ra 2018/19/0643; VwGH 01.03.2018, Ra 2018/19/0014; VwGH 25.04.2013, 2013/18/0053 mit Hinweis auf VwGH 20.12.2007, 2007/21/0474 und VwGH 24.04.2007, 2006/21/0243), zumal die Grundinteressen der Gesellschaft durch ein derartiges Verhalten gravierend beeinträchtigt werden, und bedarf es im Fall von strafbaren Handlungen in Folge Gewöhnung an Suchtmittel neben dem Abschluss einer Therapie noch eines maßgeblichen Zeitraums des Wohlverhaltens, um einen Wegfall der Gefährdung annehmen zu können (VwGH 01.03.2018, Ra 2018/19/0014 mit Hinweis auf etwa 22.5.2014, Ro 2014/21/0007, mwN).
Im Hinblick darauf, gilt es darauf hinzuweisen, dass sich diese Wiederholungsgefahr gerade im Verhalten des BF bestätigt hat, zumal er im Oktober 2020 rechtskräftig wegen dem vorschriftswidrigen Überlassen von Suchtgift in der Zeit von Jänner bis Mitte Mai 2020, wobei er dadurch unter anderem Minderjährigen den Gebrauch von Suchtgift ermöglichte, rechtskräftig verurteilt worden ist und bereits in der Zeit von Dezember 2020 bis März 2021 erneut vorschriftswidrig Suchtgift Minderjährigen überlassen hatte und so diesen den Gebrauch von Suchtgift ermöglichte. Dass der BF nach seinen zwei rechtskräftigen Verurteilungen noch innerhalb eines Jahres sowie innerhalb offener Probezeit wieder rückfällig wurde, bringt sein fehlendes Unrechtbewusstsein zum Ausdruck und verdeutlicht, dass der durch ein Strafurteil bewirkte Zweck einer negativen Spezialprävention - nämlich einen Täter von der Begehung (weiterer) strafbarer Handlungen abzuhalten - im Fall des BF offenkundig keine Wirkung zeigte.
Trotz der reumütigen Geständnisse des BF in den Strafrechtsverfahren lässt das Verhalten des BF erkennen, dass er nicht gewillt ist, sich an die österreichische Rechtsordnung zu halten. Entscheidungswesentlich gilt es dabei zu berücksichtigen, dass es sich nunmehr um die zweite strafgerichtliche Verurteilung des BF in Zusammenhang mit Suchtmitteldelinquenz in Österreich in einem kurzen Zeitraum handelt.
Ohnedies bleibt festzuhalten, dass ein Gesinnungswandel eines Straftäters grundsätzlich daran zu messen ist, ob und wie lange er sich - nach dem Vollzug einer Haftstrafe - in Freiheit wohlverhalten hat (VwGH 20.12.2018, Ra 2018/21/0112 mit Hinweis auf VwGH 22.05.2014, Ra 2014/21/0014). Dabei ist der Beobachtungszeitraum umso länger anzusetzen, je nachdrücklicher sich die Gefährlichkeit des Fremden in der Vergangenheit manifestiert hat (VwGH 30.04.2020, Ra 2019/20/0399). Aufgrund des Umstandes, dass sich der BF zurzeit noch bis 26.09.2021 in Strafhaft befindet, ist noch keine längere Phase des Wohlverhaltens gegeben, welche nahelegen würde, dass sein Aufenthalt im Bundesgebiet fortan keine Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit mehr darstellen würde. Zudem ist darauf Bedacht zu nehmen, dass der BF nach seinen bedingten Freiheitstrafen noch innerhalb offener Probezeit wieder straffällig geworden ist und dabei keinesfalls von einem maßgeblichen Zeitraum des Wohlverhaltens gesprochen werden konnte.
Weiters wird eine hohe kriminelle Energie aufgezeigt, zumal der BF neben der gewinnbringenden Absicht auch negative körperliche und seelische Folgen der Drogenkonsumenten, insbesondere der Minderjährigen, in Kauf genommen hat. Sohin hat der BF durch seine begangenen Handlungen, insbesondere durch das Überlassen von Suchtgift an Minderjährige, wodurch er diesen den Gebrauch von Suchtgift ermöglichte, in Kauf genommen, dass der Konsum des Suchtgiftes einen gravierenden Eingriff in die Volksgesundheit darstellt und er damit nicht nur seine eigene Gesundheit, sondern auch die Gesundheit und das Leben jugendlicher Personen maßgeblich gefährdet.
Darüber hinaus zeigt der BF im Hinblick auf die von ihm begangenen strafrechtlichen Handlungen im Zuge mit Gewalt- und Eigentumskriminalität ein Verhalten, das auf eine hohe kriminelle Energie schließen lässt. So wurde der BF zwei Mal wegen Sachbeschädigung verurteilt, weil er ein iPhone sowie Bluetooth Kopfhörer- und Lautsprecher zerstörte bzw. beschädigte sowie mehrere PKWs. Weiters wird die Gewaltbereitschaft des BF auch darin aufgezeigt, dass er mit seinem Mittäter Münzgeld in nicht mehr feststellbaren Wert, ein iPhone 6 im Wert von zumindest EUR 200,00 sowie Zigaretten dem CH. ST. weggenommen hat, indem sie ihn in zahlenmäßiger Überlegenheit bedrohlich umringten, sein Mittäter mehrere Faustschläge und der BF zumindest einen Schlag mit der flachen Hand gegen das Gesicht versetzte, beide ihm weitere Faustschläge androhten und der BF ihn mit einem Deo-Spray besprühte, während sein Mittäter zu erkennen gab, dass er den Sprühstahl entzünden werde und der Mittäter und der BF den CH. ST. aufforderten, seine Geldbörse auszuhändigen und seine Jacke auszuziehen bzw. seine Jackentaschen zu leeren, ihm den Rucksack entrissen, seine Tasche durchsuchten und die angeführten Wertgegenstände an sich nahmen. Zudem verletzten der BF und der Mittäter den CH. ST. nach diesem Vorfall schwer, sodass dieser einen verschobenen Nasenbeinbruch und eine Schädelprellung erlitt.
Diesbezüglich hält die Judikaturlinie des Verwaltungsgerichtshofes fest, dass ein großes öffentliches Interesse an der Verhinderung von strafbaren Handlungen, insbesondere der Gewalt- und Eigentumskriminalität besteht (VwGH 22.11.2017, Ra 2017/19/0474 mit Hinweis auf VwGH 22.05.2013, 2013/18/0041) und fallen Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit besonders ins Gewicht (vgl. VwGH 06.07.2020, Ra 2019/01/0426). Im Übrigen besteht auch ein großes öffentliches Interesse an der Verhinderung von strafbaren Handlungen gegen die Zuverlässigkeit von Urkunden und Beweiszeichen (VwGH 03.05.2005, 2005/18/0076 mit Hinweis auf VwGH 31.03.2000, 99/18/0343;) und wurde der BF zuletzt (unter anderem) auch wegen der Unterdrückung einer Urkunde, nämlich eines Kennzeichens, rechtskräftig verurteilt.
Ebenso sind nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes strafgerichtliche Milderungs- und Erschwerungsgründe im Rahmen der Entscheidung bezüglich der Verhängung eines Aufenthaltsverbotes zu berücksichtigen (vgl. VwGH 12.11.2019, Ra 2019/21/0305). Wie bereits eingangs ausgeführt, sind vom Strafgericht zuletzt das Zusammentreffen mehrerer Vergehen, die Tatbegehung während offener Probezeit, der rasche Rückfall sowie die einschlägige Vorstrafe als erschwerend, die Tatbegehung im Alter von unter 21 Jahren sowie das volle reumütige Geständnis als mildernd berücksichtigt worden.
Das Bundesverwaltungsgericht teilt damit durchaus die Ansicht der belangten Behörde, dass im persönlichen Verhalten des BF entsprechend den obigen Ausführungen eine Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit zu erblicken ist, welche ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Allerdings darf - wie bereits eingangs erwähnt - gegen den BF aufgrund seines mehr als 10-jährigen Aufenthaltes im Bundesgebiet nur bei einer nachhaltigen und maßgeblichen Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit ein Aufenthaltsverbot erlassen werden. Letztlich war daher ausschlaggebend, ob der BF durch sein Verhalten den in § 67 Abs 1 fünfter Satz FPG vorgesehenen Gefährdungsmaßstab erfüllt hat.
Die im fünften Satz des Abs 1 vorgenommene Reduktion der Zulässigkeit eines Aufenthaltsverbots auf eine „nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit der Republik Österreich“ folgt damit der Textierung des Art 28 Abs 3 der FreizügigkeitsRL. Hierbei handelt es sich um eine Konzentration auf Fälle schwerer Kriminalität. Dies wird noch deutlicher, wenn zur Interpretation dieses Begriffes der entsprechende Begriff der RL herangezogen wird, wonach es „zwingender Gründe der öffentlichen Sicherheit“ bedarf. Der EuGH hat dazu (23. 11. 2010, C-145/09, Baden-Württemberg/Panagiotis Tsakouridis) den Rahmen abgesteckt. Demnach
• sind von diesem Begriff sowohl die innere als auch die äußere Sicherheit eines Mitgliedstaats umfasst;
• handelt es sich um Sachverhalte, die die Beeinträchtigung des Funktionierens der Einrichtungen des Staates und seiner wichtigen öffentlichen Dienste sowie das Überleben der Bevölkerung ebenso wie die Gefahr einer erheblichen Störung der auswärtigen Beziehungen oder des friedlichen Zusammenlebens der Völker oder eine Beeinträchtigung der militärischen Interessen die öffentliche Sicherheit berühren können;
• kann die Bekämpfung der mit dem bandenmäßigen Handel mit Betäubungsmitteln verbundenen Kriminalität ein solcher zwingender Grund sei;
• setzt eine solche Maßnahme, wenn sie angesichts der außergewöhnlichen Schwere der Bedrohung für den Schutz der Interessen, die mit ihr gewahrt werden sollen, erforderlich ist, voraus, dass dieses Ziel unter Berücksichtigung der Aufenthaltsdauer im Aufnahmemitgliedstaat des Unionsbürgers und insbesondere der schweren negativen Folgen, die eine solche Maßnahme für Unionsbürger haben kann, die vollständig in den Aufnahmemitgliedstaat integriert sind, nicht durch weniger strikte Maßnahmen erreicht werden kann;
• eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren kann nicht zu einer Ausweisungsverfügung führen, ohne dass die folgenden Umstände berücksichtigt werden: das persönliche Verhaltens der betroffenen Person, die gegebenenfalls zu der Zeit zu beurteilen ist, zu der die Ausweisungsverfügung ergeht, und zwar nach Maßgabe der verwirkten und verhängten Strafen, des Grades der Beteiligung an der kriminellen Aktivität, des Umfangs des Schadens und gegebenenfalls der Rückfallneigung, ist gegen die Gefahr abzuwägen, die Resozialisierung des Unionsbürgers in dem Staat, in den er vollständig integriert ist, zu gefährden. (Szymanski in Schrefler-König/Szymanski, Fremdenpolizei- und Asylrecht § 67 FPG 2005 (Stand 1.1.2015, rdb.at)
Vor diesem Hintergrund erreichen die strafgerichtlichen Verurteilungen des BF nicht die Schwelle einer „schweren Kriminalität“. Weder handelt es sich gegenständlich um bandenmäßiges Handeln mit Betäubungsmitteln, noch um Sachverhalte, die die Beeinträchtigung des Funktionierens der Einrichtungen des Staates und seiner wichtigen öffentlichen Dienste sowie das Überleben der Bevölkerung berühren können. Zwar sind die vom BF begangenen strafbaren Handlungen keinesfalls zu verharmlosen oder in irgendeiner Weise zu relativieren, jedoch weist die vom BF ausgehende Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit keinen "besonders hohen Schweregrad" auf. Auch wenn der BF nun bereits zum zweiten Mal wegen dem Überlassen von Suchtgiften an Dritte verurteilt worden ist, verbüßt der BF erstmals eine sechsmonatige Freiheitsstrafe und hat er vor seine Drogensucht durch eine Therapie zu überwinden, weshalb nicht von außergewöhnlichen Umständen die Rede sein kann. Dem BF wurde Bewährungshilfe nach Haftentlassung angeordnet und hat er eine stationäre Langzeitsuchttherapie und eine ambulante Suchttherapie zu absolvieren. Festzuhalten gilt, dass ihm sowohl die erste Freiheitsstrafe als auch die Zusatzfreiheitsstrafe unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurden und er derzeit erstmals eine unbedingte Freiheitsstrafe verbüßt. Weiters hat es sich bei der Verurteilung zu einer Zusatzfreiheitsstrafe als auch bei der dritten Verurteilung durchwegs um Vergehen gehandelt und hat sich der BF bei allen Verurteilungen geständig gezeigt.
Unter Berücksichtigung all dieser Umstände vermag der BF aufgrund seines persönlichen Verhaltens den Gefährdungsmaßstab einer „nachhaltigen und maßgeblichen Gefahr“ im Sinne des § 67 Abs 1 fünfter Satz FPG nicht erfüllen. Es war daher den Ausführungen im Beschwerdeschriftsatz zuzustimmen, dass die Straftaten des BF nach der Judikatur des EuGH und des VwGH nicht die Schwelle des Art 28 Abs 3 lit. a der Freizügigkeitsrichtlinie erreichen.
Das mit Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides verhängte Aufenthaltsverbot erfolgte somit nicht zu Recht, was zugleich auch die Gegenstandslosigkeit des Ausspruchs hinsichtlich der Nichtgewährung eines Durchsetzungsaufschubes (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides) bedingt.
In Stattgabe der Beschwerde war der angefochtene Bescheid daher ersatzlos aufzuheben.
3.2. Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung:
Im gegenständlichen Fall konnte eine mündliche Verhandlung gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG unterbleiben, da bereits auf Grund der Aktenlage feststand, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben war.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
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ECLI:AT:BVWG:2021:I421.2245341.1.00Im RIS seit
03.12.2021Zuletzt aktualisiert am
03.12.2021