TE Bvwg Erkenntnis 2021/10/8 W117 2187853-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.10.2021
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Entscheidungsdatum

08.10.2021

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28

Spruch


W117 2187853-2/16E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. DRUCKENTHANER über die Beschwerde von XXXX alias XXXX alias XXXX , geb. XXXX alias XXXX , StA. Georgien, gesetzlich vertreten durch den Verein VertretungsNetz – Erwachsenenvertretung als gerichtlicher Erwachsenenvertreter, XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.05.2018, Zl. 315573007-2192097, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 05.08.2021, zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 idgF der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Georgien zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 idgF wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung für die Dauer eines Jahres erteilt.

IV. In Erledigung der Beschwerde werden die Spruchpunkte III. bis IX. des angefochtenen Bescheides ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (in der Folge: BF) reiste am 28.06.2004 illegal nach Österreich ein und stellte bereits in den Jahren 2004 und 2005 sowie zuletzt am 09.04.2013 einen Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet.

In Rahmen der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 09.04.2013 gab der anwesende damalige Rechtsvertreter des BF an, dass dieser unter paranoider Schizophrenie leide und deswegen besachwaltert sei. Eine Abschiebung bzw. Rückkehr des BF in sein Heimatland sei aufgrund dessen Erkrankung bislang nicht möglich gewesen. Im Falle einer Heimreise bzw. Abschiebung würde der BF in seinen Rechten gemäß Art. 3 EMRK verletzt werden, da eine Behandlung der Erkrankung des BF im Herkunftsstaat nicht möglich sei, was wiederum eine unmenschliche Behandlung und Lebensgefahr für den BF bedeuten würde. Daneben bestünden auch die in den vorangegangenen Verfahren geltend gemachten Fluchtgründe weiterhin.

In der Folge wurden diverse medizinische Unterlagen vorgelegt und findet sich auch der Beschluss zur Sachwalterbestellung im Akt.

Am 25.06.2013 erfolgte eine niederschriftliche Einvernahme des BF vor dem (damals:) Bundesasylamt, in der der BF – zu den Gründen für seinen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz befragt – die im Rahmen der Erstbefragung getätigten Angaben bestätigte und ergänzend vorbrachte, dass er sich bereits seit fünf Jahren im Substitutionsprogramm beim Verein „ XXXX “ befinde und er sowohl wegen seiner Erkrankung an paranoider Schizophrenie als auch wegen seiner Suchterkrankung diverse (näher bezeichnete) Medikamente einnehmen müsse. Auch seine Leber sei kaputt, sein Blut sei nicht normal und er habe Hepatitis C, weshalb er eine Interferontherapie benötige. Dies müsse er aber erst mit seinem Arzt besprechen, weil diese Medikamente sehr stark seien.

Im Herkunftsstaat habe er noch Kontakt zu seiner Mutter und seiner Tante. Seine Mutter sei Malerin, arbeite aber nicht. Ihren Lebensunterhalt finanziere diese mittels Unterstützung durch ihre Schwester, die vermutlich in einem Kaffeehaus arbeite. Seine andere Tante sei Lehrerin für die russische Sprache. In Österreich habe er keine Familienangehörigen, aber gute Bekannte. Er selbst habe die ersten vier Jahre in Österreich auf der Straße verbracht und sei auch im Gefängnis gewesen. 2008 habe er dann ein Zimmer bekommen, seither bekomme er auch soziale Unterstützung. Wenn er dürfte, würde er auch gerne arbeiten gehen. Kurz habe er, ungefähr im Jahr 2007, Schwarzarbeit als Möbelpacker verrichtet. Seine Deutschkenntnisse seien gut, er habe sich diese auf der Straße und im Gefängnis angeeignet. Deutschkurs habe er wegen der Medikamente bisher noch keinen machen können.

Er benötige Stabilität und regelmäßige psychiatrische Behandlung. In Georgien gebe es kein (Anm.: Substitutions-) Programm und keine psychiatrische Behandlung. Und wenn doch, dann würde das Geld kosten, das er nicht habe. Georgien habe ihn verletzt, er sei Ossete und deshalb aus der Schule geworfen worden. Im Falle seiner Rückkehr würde er vielleicht drei Tage überleben, aber ein moralisches und psychisches Trauma bekommen, er wolle sich das gar nicht vorstellen.

Mit Schriftsatz vom 16.07.2013 brachte der BF durch seine damalige Rechtsvertretung eine Stellungnahme ein, in der ausgeführt wurde, dass der BF unter paranoider Schizophrenie, einer Störung durch Sedativa und Hypnotika sowie durch Kokain und Opioide leide und gegenwärtig an einem ärztlich überwachten Ersatzdrogenprogramm teilnehme. Der BF benötige kontinuierlich psychiatrische Betreuung, eine regelmäßige Substitutionstherapie sowie antipsychotische Medikation. Aus fachärztlicher Sicht sei die Fortführung der Behandlung auf unbestimmte Zeit unbedingt angezeigt, um die Gesundheit des BF nicht lebensbedrohlich zu gefährden. In Georgien sei eine Behandlungsmöglichkeit für psychische Erkrankungen zwar in eingeschränkter Form gewährleistet, in Zusammenschau mit den weiteren Erkrankungen des BF, der Teilnahme am Ersatzdrogenprogramm sowie dem Sonderbetreuungsbedarf des BF und dem eingeschränkten familiären Umfeld in Georgien könne eine unmenschliche Behandlung des BF iSd Art. 3 EMRK im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht mit der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden. Beigelegt wurde eine fachärztliche Bestätigung vom 24.06.2013.

Am 09.08.2013 beauftragte das Bundesasylamt einen Facharzt für Neurologie und Psychiatrie mit der Erstellung eines Gutachtens zum psychischen Gesundheitszustand des BF.

Am 27.09.2013 langte das von der Behörde in Auftrag gegebene psychiatrisch-neurologische Gutachten vom 16.09.2013 bei der belangten Behörde ein. Festgehalten wurde darin, dass sich der BF erstmalig im 18. Lebensjahr stationär in psychiatrischer Behandlung befunden habe. Er leide an paranoider Schizophrenie sowie an einer seit Jahren bestehenden Polytoxikomanie und befinde sich im Substitutionsprogramm. Es sei von einer ausreichenden Vernehmungs- und Verhandlungsfähigkeit auszugehen.

Mit Schreiben vom 01.10.2013 stellte das Bundesasylamt eine Anfrage an die Staatendokumentation hinsichtlich des Vorliegens von Behandlungsmöglichkeiten für den BF in Georgien.

Am 06.12.2013 ging die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation bei der belangten Behörde ein.

Am 18.11.2016 fand erneut eine niederschriftliche Einvernahme des BF vor der Behörde (nunmehr: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, in der Folge: BFA) statt, in der der BF seine bisherigen Angaben im Wesentlichen bestätigte und mit ihm das psychiatrisch-neurologische Gutachten vom 16.09.2013 erörtert wurde.

Am 01.12.2016 langte ein Schreiben des BF bzw. seiner Rechtsvertreterin bei der belangten Behörde ein, in der im Wesentlichen auf die Ausführungen in der Stellungnahme vom 16.07.2013 verwiesen und zum eingeholten psychiatrisch-neurologischen Gutachten Stellung genommen wurde. Darüber hinaus wurde ausgeführt, dass der BF seit nunmehr 12 Jahren durchgehend in Österreich aufhältig sei und eine Interessenabwägung iSd Art. 8 EMRK ergebe, dass eine Rückkehrentscheidung gegen den BF unzulässig sei.

Mit Verfahrensanordnung des BFA vom 20.01.2017 wurde dem BF aufgrund einer strafgerichtlichen Verurteilung vom 21.04.2005 der Verlust seines Aufenthaltsrechts im Bundesgebiet gemäß § 13 Abs. 2 AsylG wegen Straffälligkeit (Strafregisterauszug vom 24.10.2016) mitgeteilt.

Mit Schreiben des BFA vom 24.04.2017 wurde der BF neuerlich zu einer ärztlichen Untersuchung bei einem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie geladen. Dieser erstattete am 16.05.2017 abermals ein – im Wesentlichen gleichlautendes – neurologisch-psychiatrisches Gutachten zum Gesundheitszustand des BF.

Am 12.07.2017 stellte das BFA neuerlich eine Anfrage an die Staatendokumentation hinsichtlich bestehender Behandlungsmöglichkeiten für den BF im Herkunftsstaat.

Mit als „Bescheid“ bezeichnetem Schreiben des BFA vom 19.01.2018 sollte der Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG hinsichtlich des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Georgien (Spruchpunkt II.) abgewiesen werden. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen sollte ihm gemäß § 57 AsylG nicht erteilt werden (Spruchpunkt III.) und sollte gegen ihn gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen werden (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG sollte festgestellt werden, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Georgien zulässig sei (Spruchpunkt V.) und sollte gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von zehn Jahren beschränktes Einreiseverbot gegen den BF erlassen werden (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG sollte ihm keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt VII.) und einer Beschwerde gemäß § 18 Abs. 1 Z 1 und 2 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt werden (Spruchpunkt VIII.). Außerdem sollte festgestellt werden, dass der BF gemäß § 13 AsylG sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet bereits mit 24.04.2005 verloren habe (Spruchpunkt IX.).

Das als „Bescheid“ bezeichnete Schreiben wurde gemäß Übernahmebestätigung bei einer Arbeitnehmerin des Sachwalters, welcher auch als Vertreter des BF auf dem Zustellschein genannt ist, am 31.01.2018 übernommen. Eine Zustellverfügung findet sich nicht im Akt.

Am 28.02.2018 langte eine „Beschwerde“ des BF, bzw. seiner damaligen Rechtsvertretung, gegen den „Bescheid“ vom 19.01.2018 bei der Behörde ein.

Am 28.02.2018 legte das BFA dem Bundesverwaltungsgericht (in der Folge: BVwG) die „Beschwerde“ sowie den Verwaltungsakt, einlangend am 02.03.2018, vor und beantragte die Abweisung derselben.

Mit rechtskräftigem Beschluss vom 08.03.2018 wies das BVwG die „Beschwerde“ mangels Vorliegens eines Bescheides als unzulässig zurück. Begründend wurde dazu ausgeführt, dass die Behörde das als „Bescheid“ bezeichnete Schreiben vom 19.01.2018 an den Sachwalter des BF zugestellt habe, obwohl dieser die Vertretung in Asyl- und fremdenrechtlichen Angelegenheiten an die „Diakonie“ übertragen hätte. Es habe nicht festgestellt werden können, dass das Schreiben der „Diakonie“ zugegangen sei, weshalb keine rechtswirksame Zustellung erfolgt und der „Bescheid“ folglich nicht erlassen worden sei.

Mit Schreiben vom 12.03.2018 wurde dem BF ein Parteiengehör zu den „Länderinformationen zu Georgien vom 22.03.2017“ eingeräumt und ihm eine zweiwöchige Frist zur Stellungnahme gewährt.

Mit Schriftsatz vom 28.03.2018 erstattete der BF durch seine Rechtsvertretung eine Stellungnahme zu den am 14.03.2018 übermittelten Länderinformationen.

Mit Bescheid des BFA vom 17.05.2018, zugestellt am 28.05.2018, wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 09.04.2013 gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG hinsichtlich des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Georgien (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihm gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Georgien gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG wurde gegen den BF ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG wurde ihm keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt VII.) und einer Beschwerde gemäß § 18 Abs. 1 Z 1 und 2 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VIII.). Weiters wurde festgestellt, dass der BF gemäß § 13 AsylG sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet bereits mit 24.04.2005 verloren habe (Spruchpunkt IX.).

Begründend führte die Behörde aus, dass das Fluchtvorbringen des BF als nicht glaubwürdig zu werten und es diesem daher nicht gelungen sei, eine asylrelevante Verfolgung im Herkunftsstaat geltend zu machen. Es sei dem BF zumutbar, sich im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat den Lebensunterhalt mithilfe eigener Arbeitsleistungen – allenfalls durch Hilfstätigkeiten und Gelegenheitsjobs, die mit seinem Gesundheitszustand zu vereinbaren seien – zu sichern. Die Erkrankungen des BF seien auch in Georgien – wenn auch uU nicht in gleicher Weise, worauf es aber nicht ankomme – behandelbar. Darüber hinaus stünden dem BF auch im Herkunftsstaat Vertretungsmöglichkeiten zur Verfügung, allenfalls auch durch seine nächsten Familienangehörigen. Auch die elementare Grundversorgung sei in Georgien gewährleistet. Eine Abschiebung des BF könne von einem Arzt begleitet werden und sei auch die Aushändigung eines Vorrats an Medikamenten vorgesehen. Es sei in einer Gesamtschau sohin nicht davon auszugehen, dass der BF durch eine Rückkehr nach Georgien in eine Art. 2, 3 EMRK entsprechende Notlage geraten würde. Aus der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat könnten ebenfalls keine Hinweise erkannt werden, die gegen eine Abschiebung dorthin sprächen, zumal es sich bei Georgien um einen „sicheren Herkunftsstaat“ handle.

Eine Interessenabwägung iSd Art. 8 EMRK falle zulasten des BF aus, der über keinerlei schützenswertes Privat- oder Familienleben in Österreich verfüge. Vielmehr habe dieser seinen bisherigen Aufenthalt im Bundesgebiet ausschließlich durch die wiederholte Stellung von Asylanträgen legitimiert und sei in Österreich bereits mehrfach strafgerichtlich verurteilt worden, weshalb auch ein zehnjähriges Einreiseverbot über ihn verhängt worden sei.

Einer Beschwerde sei die aufschiebende Wirkung abzuerkennen gewesen, da Georgien zum einen zu den „sicheren Herkunftsstaaten“ zähle und zum anderen, die zahlreichen strafgerichtlichen Verurteilungen des BF die Annahme rechtfertigten, dass dieser eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstelle.

Der Verlust des Aufenthaltsrechts ab dem 24.04.2005 sei dem BF bereits mit Verfahrensanordnung vom 20.01.2017 mitgeteilt worden und sei darüber vom BFA gemäß § 13 Abs. 4 AsylG im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen gewesen.

Gegen diesen Bescheid brachte der BF durch seine damalige Rechtsvertretung mit Schriftsatz vom 25.06.2018 fristgerecht vollumfänglich Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften ein.

Bemängelt wurde sowohl das mangelhafte Ermittlungsverfahren infolge der Heranziehung von – im Hinblick auf die Situation des BF – unvollständigen Länderberichten als auch die mangelhafte Beweiswürdigung, da das BFA keine ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens des BF vorgenommen habe.

Weiters habe die Behörde eine unrichtige rechtliche Beurteilung vorgenommen: So sei dem Umstand nicht Rechnung getragen worden, dass der BF in Georgien aufgrund seiner Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe verfolgt werde. Außerdem drohe dem BF aufgrund seiner extrem vulnerablen Position infolge seiner komplexen psychischen Erkrankungen Gefahr, unmenschlicher, bzw. erniedrigender Behandlung ausgesetzt zu sein und – im Falle des fehlenden Zugangs zum Gesundheitssystem, der eine reale Gefahr darstelle – auch eine Verletzung seines Rechts auf Leben. Dem BF stehe auch keine innerstaatliche Fluchtalternative offen, da die Gesundheitsversorgung in ganz Georgien nicht ausreichend sei, um eine Verletzung von Art. 3 EMRK mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausschließen zu können.

Der Umstand, dass Georgien ein sicherer Drittstaat ist, sei eine wiederlegbare Vermutung und habe die Behörde es gegenständlich – im Zusammenhang mit der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde – verabsäumt, eine einzelfallbezogene Begründung vorzunehmen.

Bestritten wurde auch die Rechtmäßigkeit des Einreiseverbotes, sowohl dem Grunde als insbesondere der Dauer nach.

Beantragt wurde, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen sowie weiters die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten, in eventu die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten, in eventu eine Rückkehrentscheidung für dauerhaft unzulässig zu erklären und dem BF einen Aufenthaltstitel aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen zu erteilen, in eventu das Einreiseverbot zu beheben, bzw. die Dauer desselben herabzusetzen und festzustellen, dass der Verlust des Aufenthaltsrechts gemäß § 13 Abs. 2 AsylG zu Unrecht erfolgt ist, in eventu die Behebung des angefochtenen Bescheides und Zurückverweisung der Rechtssache an die Behörde zur Erlassung eines neuen Bescheides sowie schließlich die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Weiters wurden diverse (näher bezeichnete) Unterlagen vorgelegt.

Das BFA legte dem erkennenden Gericht die Beschwerde sowie den Verwaltungsakt, einlangend am 27.06.2018, vor und beantragte die Abweisung der Beschwerde.

Mit E-Mail vom 28.03.2019 übermittelte das BFA dem BVwG das psychiatrische Drittgutachten eines Facharztes für Psychiatrie und Neurologie, aus dem hervorgeht, dass der BF dauerhaft vollzugsuntauglich ist, sowie weiters, einen Beschluss des Landesgerichts XXXX vom 19.03.2019, wonach die Einleitung des Strafvollzugs hinsichtlich einer über den BF verhängten Freiheitsstrafe gemäß § 5 Abs. 1 StVG wegen Vollzugsuntauglichkeit für unbestimmte Zeit aufgeschoben wurde.

Mit E-Mail vom 14.01.2020 legte das BFA dem BVwG Unterlagen (Mitteilung des Vereins VertretungsNetz – Erwachsenenvertretung, Bestellungsurkunde des BG XXXX vom 07.01.2020) vor, aus denen hervorgeht, dass nunmehr der Verein VertretungsNetz zum gerichtlichen Erwachsenenvertreter des BF für finanzielle Angelegenheiten sowie zur Vertretung bei Ämtern, Behörden, Gerichten und privaten Vertragspartner bestellt wurde.

Mit Schriftsatz des Vereins VertretungsNetz – Erwachsenenvertretung vom 29.07.2021 teilte der gerichtliche Erwachsenenvertreter des BF zum Gesundheitszustand des BF mit, dass dieser sich seit einem schweren Verkehrsunfall in einem Pflegewohnhaus auf der Lanzeitbeatmungsstation befinde und die Dauer seines weiteren Aufenthaltes dort nicht absehbar sei. Der Zustand des BF sei unverändert schlecht, dieser sei dauerhaft auf Betreuung und Pflege angewiesen und müsse mittels PEG-Sonde mit Wasser und Nahrung versorgt werden. Es sei dem BF daher dauerhaft nicht möglich, einer Ladung Folge zu leisten, an einer Verhandlung teilzunehmen oder in irgendeiner Form mit der Außenwelt zu kommunizieren. Es werde darum ersucht, künftig alle Zustellungen direkt an den zuständigen Mitarbeiter des Vereins vorzunehmen. Beigelegt wurden der Beschluss des BG XXXX , mit dem der Verein VertretungsNetz zum gerichtlichen Erwachsenenvertreter bestellt wurde, die Betrauungsurkunde des Vereins VertretungsNetz, ein Kurzbrief des Pflegewohnhauses XXXX vom 28.07.2021 sowie ein Schreiben desselben vom 24.02.2020.

Mit E-Mail vom 04.08.2021 führte der Verein VertretungsNetz rechtlich aus, dass aufgrund der schweren Erkrankung des BF keinerlei Transportfähigkeit vorliege und jegliche Unterbrechung der notwendigen medizinischen Versorgung für den BF lebensbedrohlich sei und somit unmenschliche Behandlung darstelle. Es scheine daher geboten, dem BF subsidiären Schutz zu gewähren. Ausschlussgründe iSd § 9 AsylG lägen nicht vor.

Das BVwG führte am 05.08.2021 in Abwesenheit des BF eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in welcher der gerichtliche Erwachsenenvertreter des BF (Verein VertretungsNetz), XXXX , zu den persönlichen Lebensumständen, bzw. zur aktuellen Situation des BF und dessen Fluchtgründen befragt wurde.

Die Verhandlung nahm entscheidungswesentlich folgenden Verlauf:

„[…]

Verlesen wird der bisherige Akteninhalt.

Der Erwachsenenvertreter legt den Beschluss über die Bestellung zum Erwachsenenvertreter vom 09.12.2019 vor. Weiters eine Urkunde über den Vertretungsradius des BF, welcher auch das ggst. Verfahren umfasst. Zusätzlich eine vorläufige Aufenthaltsberechtigungskarte in Kopie sowie eine Urkunde vom 19.07.2020 des Vertretungsnetzes, gleichfalls die Wahrnehmung der Erwachsenenvertretung betreffend.

Verlesen wird das Schreiben der Erwachsenenvertretung samt Übermittlung des ärztlichen Gutachtens am 04.08.2021. In diesem Schriftsatz wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass keinerlei Transportfähigkeit vorliege, jegliche Unterbrechung der notwendigen medizinischen Versorgung für den BF lebensbedrohlich sei und eine unmenschliche Behandlung darstellt. Es sei subsidiärer Schutz zu gewähren und lägen keine Ausschlussgründe vor. Beigelegt ist ein Schreiben des XXXX vom 28.07.2021, wonach ein 24-stündiges Monitoring inklusive voller Versorgung des BF notwendig sei. Betont wird, dass seit Aufnahme vom 04.06.2018 keine Änderung eingetreten sei sowie dass Verhandlungsunfähigkeit gegeben sei. Im Besonderen wird verlesen das psychiatrische Gutachten vom 30.10.2017, AZ: 66 Hv 61/17Y, wonach der BF vor seinem Unfall an paranoider Schizophrenie, Benzodiazepinabhängigkeit, Opiadabhängigkeit vorlag, ebenso wie paranoide Ängste, akustische Halluzinationen, Schlafstörungen und Suizidgedanken.

Festgehalten wird, dass nach dem Bericht des XXXX vom 27.04.2018 (Näheres siehe Unfallbericht der Univ. Klinik für Neurologie vom 27.04.2018, die zur heutigen Verhandlungsunfähigkeit führten) der BF am 04.04.2018 vor eine U-Bahn fiel und dadurch derartig massive Verletzungen erlitt.

Verlesen wird auch der Strafregisterauszug, wonach der BF ebenfalls neun Vorstrafen aufweist.

RV gibt dazu an, dass sämtliche den BF betreffende Verurteilungen keine Verbrechen, sondern lediglich Vergehen darstellen und insofern kein Ausschlussgrund für die Gewährung subsidiären Schutzes bilden. Hinzuzufügen ist, dass alleine aufgrund des aktuellen Gesundheitszustandes des BF und des Umstandes, dass keinerlei Besserung in Sicht ist, keinerlei Gefahr vom BF für die öffentliche Ordnung ausgeht und ausgehen wird. Aus medizinischer Sicht ist es äußert unwahrscheinlich, dass der BF wieder auch nur einigermaßen wiederhergestellt werden kann.

RV: Ich habe den BF das letzte Mal vor drei Wochen gesehen. Er liegt ausschließlich in seinem Bett, reagiert nicht auf Gesprochenes, meistens sind die Augen zu. An wenigen Tagen kann man maximal eine Mimikbewegung erkennen. Eine verbale Kommunikation ist völlig ausgeschlossen. Die Ernährung erfolgt mittels PEG-Sonde, auch die Medikamentengabe führt über diese Sonde. Würde man die Geräte abstellen, wäre es mit unmittelbarer Lebensbedrohlichkeit verbunden.

Verlesen wird das Länderdokumentationsmaterial.

RV: Aus den uns übermittelten Staatendokumaterial ist keinesfalls der Schluss zulässig, dass man den BF abschieben kann. Das Länderdokumentationsmaterial gibt nicht einmal ansatzweise Anlass, dass die hochkomplexe medizinische Versorgung des BF, wie sie in diesem speziellen Einzelfall notwendig wäre, gegeben sein könnte.

Nach unpräjudizieller Ansicht des Einzelrichters hat der BF nicht einmal ansatzweise im Rahmen seines aktuellen Asylverfahrens Fluchtgründe vorgebracht – in der Einvernahme vom 18.11.2016 gab der BF ausdrücklich als Fluchtgrund an: „Ich habe mich an XXXX gewöhnt, ich mag diese Stadt. Ich habe mich in Österreich eingelebt… ich möchte hier weiter Therapie erhalten!“ – sodass die Beschwerde hinsichtlich des Begehrens auf internationaler Schutz aller Wahrscheinlichkeit nach, zu verwerfen sein wird.

Dem Erwachsenenvertreter wird Gelegenheit gegeben, sich dazu zu äußern bzw. das Vorbringen des BF zu ergänzen.

RV: Ich habe dem nichts hinzuzufügen. Weitere Fluchtgründe haben sich im Zuge der Erwachsenenvertretung nicht ergeben.

Es ergeht folgender

Beschluss:

1) Der Beschwerde gegen den Bescheid der Verwaltungsbehörde, Zahl 315573007 VZ2192097 vom 17.05.2018 wird die aufschiebende Wirkung gem. § 18 Abs 5 BFAVG zuerkannt.

2) die ordentliche Revision ist gem. Art 133 B-VG nicht zulässig.

Begründung:

Die Entscheidung der Verwaltungsbehörde war diesbezüglich nicht länger aufrecht zu erhalten, da sich die Situation des BF durch den Unfall am 04.04.2018 (Sturz vor die U-Bahn) derartig dramatisch änderte – siehe verlesenen Akt/Aktenteile – dass die Gewährung subsidiären Schutzes bzw. der Ausspruch der Unzulässigkeit der Abschiebung in Folge des aktuellen Gesundheitszustandes als wahrscheinlich anzunehmen ist.

Der BF hat zwar eine Vielzahl an Verurteilungen auszuweisen, aufgrund seines Gesundheitszustandes und des Fehlens jeglicher Verbesserungswahrscheinlichkeit, geht vom BF jedenfalls keinerlei Gefahr für die öffentliche Ordnung, Ruhe und Sicherheit Österreichs aus.

Den Interessen des BF an einer, sein Leben aufrechterhaltenden, medizinischer Versorgung ist jedenfalls der Vorrang einzuräumen gegenüber dem Interesse des Staates an der Durchsetzung fremdenrechtlicher Normen.

Die ordentliche Revision war nicht zuzulassen, weil der ggst. Fall iZh mit der aufschiebenden Wirkung keinerlei Rechtsfragen aufwarf und ausschließlich tatsachenlastig ist.

Rechtsmittel belehrung:

Gegen diese Entscheidung kann innerhalb von sechs Wochen ab Zustellung der schriftlichen Ausfertigung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder eine ordentliche bzw. außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden. Für die Abfassung und Einbringung einer Beschwerde bzw. einer Revision gilt Anwaltspflicht.

Zur Erhebung einer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist berechtigt, wer sich durch die Entscheidung in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in Rechten verletzt erachtet. Eine Revision ist zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt.

Eine Beschwerde ist beim Verfassungsgerichtshof einzubringen. Eine Revision ist beim Bundesverwaltungsgericht einzubringen. Soweit gesetzlich nicht anderes bestimmt ist, ist eine Eingabengebühr von € 240,-- zu entrichten.

Eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof sind nicht mehr zulässig, wenn nach Verkündung oder Zustellung des Erkenntnisses oder Beschlusses ausdrücklich darauf verzichtet wurde. Der Verzicht auf die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist bis zur Zustellung der Ausfertigung des Erkenntnisses oder Beschlusses dem Bundesverwaltungsgericht, nach Zustellung der Ausfertigung des Erkenntnisses oder Beschlusses dem Verfassungsgerichtshof schriftlich bekanntzugeben oder zu Protokoll zu erklären. Der Verzicht auf die Revision ist dem Bundesverwaltungsgericht schriftlich bekanntzugeben oder zu Protokoll zu erklären. Wurde der Verzicht nicht von einem berufsmäßigen Parteienvertreter oder im Beisein eines solchen abgegeben, so kann er binnen drei Tagen schriftlich oder zur Niederschrift widerrufen werden.

Belehrung gemäß § 29 Abs. 2a VwGVG:

Die Parteien werden gemäß § 29 Abs. 2a VwGVG belehrt

1. über das Recht, binnen zwei Wochen nach Ausfolgung bzw. Zustellung der

Niederschrift eine Ausfertigung des Erkenntnisses oder des Beschlusses gemäß § 29 Abs. 4 VwGVG zu verlangen;

2. darüber, dass ein Antrag auf Ausfertigung des Erkenntnisses oder Beschlusses gemäß § 29 Abs. 4 VwGVG eine Voraussetzung für die Zulässigkeit der Revision beim Verwaltungsgerichtshof und der Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof darstellt.

Gemäß § 31 Abs. 3 VwGVG sind u.a. § 29 Abs. 2a, 4 und 5 leg. cit. auf die (nicht verfahrensleitenden) Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes sinngemäß anzuwenden.

Das Verfahren wird vorbehaltlich, sich doch noch ergebender neuer Umstände, geschlossen.

[…]“

Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

I. Sachverhalt:

Zur Person des BF:

Der BF führt die im Spruch genannte(n) Identität(en), ist Staatsangehöriger von Georgien, christlich-orthodoxen Glaubensbekenntnisses und Angehöriger der ossetischen Volksgruppe. Er wurde in Tskinvali/Georgien geboren und war in seinem Herkunftsstaat zuletzt in der Hauptstadt Tiflis wohnhaft.

Am 28.06.2004 reiste er nach Österreich ein und stellte bereits in den Jahren 2004 und 2005 sowie zuletzt am 09.04.2013 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Der BF ist nicht verheiratet, kinderlos und hat keine Sorgepflichten. In Georgien hatte er zuletzt (damit, auch im Folgenden, gemeint: vor seinem Unfall im April 2018) noch Kontakt zu seiner Mutter und seiner Tante. Der BF hat keine Geschwister, sein Vater ist bereits verstorben. In Österreich hat der BF keinerlei Angehörige. Seine Muttersprache ist Ossetisch, neben Russisch und Georgisch sprach der BF zuletzt auch Deutsch (auf mittlerem Niveau).

Im Herkunftsstaat hat der BF elf Jahre lang die Schule in Tiflis besucht und diese mit Matura abgeschlossen. Anschließend absolvierte er eine Ausbildung/Diplom zum Museumsführer an der theatralischen Universität Tiflis (Fakultät für Museumsführung), fand jedoch in der Folge keine entsprechende Stelle. Seinen Lebensunterhalt finanzierte er durch Gelegenheitsjobs, z.B. in Werbeagenturen, aber auch durch Unterstützung seiner Tante.

Im Jahr 2004 reiste der BF nach Österreich aus, um „sich selbst zu finden“. Im Bundesgebiet lebte er die ersten vier Jahre auf der Straße, mitunter aber auch in diversen Haftanstalten.

Seit 2008 finanziert der BF seinen Lebensunterhalt in Österreich aus der Grundversorgung und war im Zeitraum von September 2008 bis März 2011 sowie von Juni 2011 bis Juni 2018 in einer Einrichtung der „Diakonie“ wohnhaft. Seit 14. Juni 2018 ist er im Pflegewohnhaus XXXX untergebracht.

Mit Beschluss des BG XXXX vom 27.09.2012 wurde dem BF ein Sachwalter zur Besorgung seiner finanziellen Angelegenheiten, zur Vertretung gegenüber privaten Vertragspartner sowie vor Ämtern, Behörden und Gerichten, insbesondere das Asylverfahren betreffend, bestellt.

Mit Beschluss des BG XXXX vom 09.12.2019 wurde der Verein VertretungsNetz zum gerichtlichen Erwachsenenvertreter für den BF bestellt. Der Bestellungsumfang umfasst unverändert finanzielle Angelegenheiten sowie die Vertretung vor Ämtern, Behörden und Gerichten sowie gegenüber privaten Vertragspartnern.

Zu den strafgerichtlichen Verurteilungen des BF:

Der BF wurde bislang neunmal im Bundesgebiet strafgerichtlich verurteilt, und zwar

1.       mit Urteil eines Landesgerichts vom 21.04.2005 (rk) wegen des Vergehens des versuchten gewerbsmäßigen Diebstahls (§§ 127, 130 1. Fall, 15 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten, wobei ihm diese unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde;

2.       mit Urteil eines Landesgerichts vom 09.12.2005 (rk) wegen der Vergehen des versuchten gewerbsmäßigen Diebstahls (§§ 127, 130 1. Fall, 15 StGB) sowie der Entwendung (§ 141 Abs. 1 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr, wobei die Probezeit aus der Verurteilung vom 21.04.2005 auf insgesamt fünf Jahre verlängert wurde;

3.       mit Urteil eines Landesgerichts vom 21.06.2006 (rk 27.06.2006) wegen des Vergehens des gewerbsmäßigen Diebstahls (§§ 127, 130 1. Fall StGB) zu einer Freiheitsstrafe von 13 Monaten, wobei die bedingte Nachsicht der Strafe vom 21.04.2005 widerrufen wurde;

4.       mit Urteil eines Bezirksgerichts vom 02.10.2008 (rk 07.10.2008) wegen des Vergehens des versuchten Diebstahls (§§ 15, 127 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten, wobei ihm diese unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde;

5.       mit Urteil eines Landesgerichts vom 30.03.2011 (rk) wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften (§ 27 Abs. 1 Z 1 8. Fall SMG) zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten;

6.       mit Urteil eines Bezirksgerichts vom 19.03.2014 (rk 25.03.2014) wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften (§ 27 Abs. 1 Z 1 und 2 SMG) zu einer Freiheitsstrafe von zehn Wochen, wobei ihm diese unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde;

7.       mit Urteil eines Bezirksgerichts vom 18.06.2014 (rk 05.09.2014) wegen der Vergehen des versuchten Diebstahls (§ 15, § 127 (§ 29 StGB) StGB), Diebstahls, Urkundenunterdrückung und Entfremdung unbarer Zahlungsmittel (§§ 127, 229 Abs. 1, 241e Abs. 3 StGB) unter Bedachtnahme auf das Urteil vom 19.03.2014 zu einer Zusatzfreiheitsstrafe (§§ 31, 40 StGB) von vier Wochen, wobei ihm diese unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde;

8.       mit Urteil eines Bezirksgerichts vom 02.10.2014 (rk) wegen des Vergehens des versuchten Diebstahls (§ 15, § 127 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von einem Monat, wobei ihm diese unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde;

9.       mit Urteil eines Landesgerichts vom 27.07.2017 (rk 01.08.2017) wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften (§ 27 Abs. 2a 2. Fall SMG) zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten, wobei die bedingte Nachsicht der Strafen vom 19.03.2014 sowie vom 18.06.2014 widerrufen und die Probezeit aus der Verurteilung vom 02.10.2014 auf insgesamt fünf Jahre verlängert wurde.

Es handelt sich bei den Delikten, deretwegen der BF verurteilt wurde, durchwegs um strafbare Handlungen, die nicht mit lebenslanger oder mehr als dreijähriger Freiheitsstrafe bedroht sind.

Zum Gesundheitszustand des BF:

Der BF leidet seit seiner Jugend an einer paranoiden Schizophrenie und befand sich im Alter von 18 Jahren erstmals in stationärer psychiatrischer Behandlung. Seither besteht die Erkrankung chronifiziert weiter und bestand beim BF zuletzt ein mittelgradiges Residualsyndrom bei paranoider Schizophrenie (ICD 10: F20.0) mit weiterbestehendem Beobachtungs- und Beeinflussungswahn, Antriebsverminderung, Ahedoniezeichen, Konzentrationsstörungen und sozialer Isolation.

Daneben leidet der BF auch an einer Polytoxikomanie inklusive des Morphintyps (ICD 10: F19.2). Konkret leidet er seit seinem 17. Lebensjahr an einer Störung durch Opioide (Abhängigkeitssyndrom) und befand sich zuletzt (seit 2008) in einem ärztlich überwachten Substitutionsprogramm (ICD 10: F11.22). Darüber hinaus litt der BF zuletzt auch an einer Störung durch Sedativa und Hypnotika (ICD 10: F13.22) sowie an einer rezidivierenden depressiven Störung, schwere Episode (ICD 10: F33.2).

Weiters leidet der BF an einer chronischen Hepatitis C (ICD 10: B18).

Infolge eines Sturzes vor die U-Bahn am 04.04.2018 erlitt der BF ein schweres Schädelhirntrauma und leidet nunmehr an einem Zustand nach (Z.n.) traumatischer Subduralblutung, Z.n. Pneumothorax, Z.n. Subarachnoidalblutung, Z.n. Commotio cerebri sowie an einer spastischen Tetraparese, diffusen Hirnfunktionsstörung und arteriellen Hypertonie und wurden dem BF eine PEG-Sonde, ein Tracheostoma sowie ein Cystofix-Katheder gesetzt. Der BF benötigt nunmehr ein 24h-Monitoring, die Versorgung und das Management einer gecufften Trachealkanüle sowie regelmäßiges Absaugen von Sekret über diese, eine künstliche Ernährung und Medikamentengabe über die PEG-Sonde sowie einen Cystofix-Katheder. Auch die Körperpflege muss komplett übernommen werden. An diesem Zustand hat sich seit der Entlassung des BF aus dem Krankenhaus bzw. seit der Aufnahme des BF im Pflegewohnhaus XXXX (Station Langzeitbeatmung) am 14.06.2018 nichts geändert.

Zu den Fluchtgründen des BF:

Es konnte nicht festgestellt werden, dass der BF in seinem Herkunftsland Georgien aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung verfolgt wird.

Zu einer Rückkehr des BF in den Herkunftsstaat:

Georgien gilt als sicherer Herkunftsstaat iSd der von der Bundesregierung erlassenen Herkunftsstaaten-Verordnung. Auch den Länderberichten ist zu entnehmen, dass keine allgemeine Gefährdung für die körperliche Unversehrtheit von Rückkehrern nach Georgien besteht.

Georgische Rückkehrer/Rückgeführte können die allgemeinen, wenn auch in der Regel insgesamt unzureichenden Sozialleistungen in Anspruch nehmen, darunter eine kostenlose medizinische Grundversorgung. Rückkehrer und Rückkehrerinnen, die Unterstützung benötigen, sind bislang vor allem auf Familie und Freunde angewiesen.

Die medizinische Versorgung ist für alle georgischen Staatsangehörigen durch eine staatlich finanzierte Grundversorgung (Universal Health Care, UHC) sowie zusätzlich bestehende staatliche Gesundheitsprogramme für bestimmte Krankheitsbilder (z. B. Diabetes, Hepatitis C, Tuberkulose) je nach sozialer Lage kostenlos oder mit Zuzahlungen gewährleistet.

Das staatliche Programm betreffend Drogensucht enthält den stationären begleiteten Entzug mit einer Rehabilitationsphase, den ambulanten Entzug mittels Methadonabgabe und deren Reduktion über zwei bis vier Wochen sowie zeitlich nicht befristete Drogenersatzprogramme. Neben Methadon ist Drogenersatztherapie mittels Suboxone möglich. Gewisse Co-payments für die Methadonabgabe sind seit 2017 weggefallen. Es gibt häufigen Methadonmangel, was zu schwerwiegenden Folgen für jene Personen führen kann, die auf diesen Wirkstoff angewiesen sind. Zudem gibt es mangelnde Erfahrung bei der Dosierung von Methadon. Die Zuzahlung erfolgt durch den Patienten bei Durchführung der Substitutionsbehandlung, die sich auf 150 GEL [ca. 37,50 Euro] pro Patient während eines Monats beläuft.

Das staatliche Programm „Psychische Gesundheit“ bezieht sich auf die Erhöhung der geografischen und finanziellen Verfügbarkeit psychiatrischer Dienste für die georgische Bevölkerung und umfasst diverse ambulante wie auch stationäre Dienste. Begünstigte des staatlichen Programms sind Bürger Georgiens, die den ambulanten und stationären Teil des Programms nutzen; sowohl Bürger Georgiens als auch andere Personen, bei denen es zu einem Zwangsaufenthalt kommt, sowie Häftlinge in den Strafvollzugsanstalten ungeachtet des Besitzes eines amtlichen Identitätsdokumentes. Die Leistungen des Programms werden vollständig vom Staat finanziert, mit Ausnahme der stationären Betreuung von psychischen Störungen und Verhaltensstörungen, die durch psychoaktive Substanzen verursacht werden.

Seit Februar 2015 existiert in Georgien ein staatliches Programm zur Eliminierung von Hepatitis C, zu dem alle georgischen Staatsbürger mit Hepatitis C Zugang haben. Den Teilnehmern des Programms stehen ein Screening (erster Test), die Behandlung der Hepatitis C mit der neuesten Generation von antiviralen Medikamenten sowie die Diagnostik/Überwachung während der Behandlung kostenlos zur Verfügung.

Wie bereits ausgeführt, befindet sich der – schon zuvor multimorbide – BF seit seinem Unfall im April 2018 in einer Art Wachkoma, ist nicht äußerungsfähig und benötigt rund um die Uhr eine Überwachung seines Zustandes. Er ist an diverse Geräte angeschlossen, die sein Überleben sichern und benötigt mehrmals täglich Medikamente, die ihm über die PEG-Sonde verabreicht werden. Jegliche Unterbrechung der notwendigen medizinischen Versorgung wäre für den BF lebensbedrohlich.

Eine nähere Überprüfung der Behandlungsmöglichkeiten des BF in seinem Herkunftsstaat erübrigt sich im konkreten Fall, zumal der BF gar nicht transportfähig ist und eine Überstellung nach Georgien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nicht überleben würde.

Eine Rückkehr in den Herkunftsstaat ist dem BF daher aufgrund der Lebensgefahr, die mit einer Überstellung dorthin einhergehen würde, weder möglich noch zumutbar.

Zum Herkunftsstaat:

Seit 17.02.2016 gilt Georgien gemäß § 1 Z 12 der Herkunftsstaaten-Verordnung (HStV, BGBl. II Nr. 177/2009 idF BGBl. II Nr. 145/2019) als sicherer Herkunftsstaat.

Auszug aus den Länderinformationen der BFA-Staatendokumentation über Georgien aus dem COI-CMS (Version 4, generiert am 25.08.2021, letzte Änderung am 29.03.2021, Schreibfehler teilweise korrigiert):

COVID-19

Letzte Änderung: 29.03.2021

COVID-19-Infektionen kommen in allen Regionen des Landes vor; und es kommt landesweit zu unkontrollierter Übertragung von COVID-19 (USEMB 25.2.2021).

Georgien hat die Verbreitung von COVID-19 im Frühling 2020 durch strenge Maßnahmen weitgehend eingedämmt. Nachdem im Sommer 2020 die strengen Regeln aufgehoben, die Einreisebestimmungen an den Grenzen gelockert und Inlandstourismus beworben wurde, kam es ab Ende August 2020 zu einem exponentiellen Anstieg bei positiven Tests. Bis Mitte September 2020 stieg die Zahl der täglichen positiven Testergebnisse von niedrigen zweistelligen Zahlen auf etwa 150 (Eurasianet 18.9.2020) und um Mitte Oktober auf ungefähr 1.000 (Jam 16.10.2020). Gegen Ende November 2020 lag die tägliche Zahl positiver Tests um die 4.000 und die der Verstorbenen an oder mit SARS-CoV-2 bei 35-50 Personen (Agenda 26.11.2020). Im Dezember stieg die tägliche Zahl der Infektionen auf ca. 5.000. Mit strengen Maßnahmen konnte die zweite Welle bis Mitte Jänner 2021 weitgehend unter Kontrolle gebracht werden (civil 18.1.2021).

Die zentrale Homepage der Regierung mit Informationen über Covid-19 ist in Georgien unter www.stopcov.ge zu finden. Die Internetseite ist neben Georgisch auch auf Englisch, Abchasisch, Aserbaidschanisch, Armenisch und Russisch verfügbar. Somit wird gewährleistet, dass auch die Angehörigen von Minderheiten alle relevanten Informationen zur Pandemie im Allgemeinen, zur speziellen Hygiene und zu Maßnahmen der Regierung erhalten (BAMF 10.2020). Auf dieser Seite werden auch tagesaktuelle Zahlen zu bestätigten Infektionen, Genesungen, Todesfällen und Hospitalisierungen veröffentlicht (StopCoV.ge o.D.).

Der öffentliche Überlandverkehr wurde landesweit mit 25.2.2021 wieder aufgenommen (USEMB 25.2.2021). Mit Wirkung von 1.2.2021 durften Schulen, Hochschulen und Kindergärten wieder öffnen (Jam 23.1.2021). Weitere Lockerungen des wirtschaftlichen Lebens wurden im Zeitraum Februar-März 2021 ermöglicht (Gov.ge 24.2.2021). Stand Mitte März 2021 bestehen weiterhin nächtliche Ausgangssperren (USEMB 25.2.2021; vgl. Gov.ge 24.2.2021).

Mitte Jänner 2021 wurde der nationale Impfplan vorgestellt. Die Risikogruppen sollen bis Jahresmitte 2021 geimpft sein. Es ist nicht zu erwarten, dass Personen, die nicht den Risikogruppen angehören, vor dem Spätsommer/Frühherbst 2021 geimpft werden (civil 18.1.2021). Am 13.3.2021 erhielt Georgien, mit Unterstützung der Vereinten Nationen, erstmals 43.200 Impfdosen von Astra Zeneca (UNICEF 12.3.2021).

Mit 1.2.2021 wurden alle Einschränkungen für Linienflüge aufgehoben (1TV 1.2.2021; vgl. Jam 23.1.2021). Alle Personen, die einen vollständigen Impfschutz nachweisen können, müssen bei Einreise nicht in Quarantäne. Personen, die keinen Impfschutz und keinen negativen PCR-Test (nicht älter als 72 Stunden), nachweisen können, werden bei Einreise für unbestimmte Zeit und auf eigene Kosten in Quarantäne verbracht (USDOS 25.2.2021; vgl. MoF o.D.), falls eine Selbstisolierung nicht möglich ist. Bei Vorlage eines negativen PCR-Tests (nicht älter als 72 Stunden) muss eine achttägige Selbstisolation samt einer weiteren PCR-Testung fünf Tage nach Einreise auf eigene Kosten durchgeführt werden (MoF o.D.).

Trotz der Zugangsbeschränkungen unterstützt die Georgische Regierung die separatistische Region Abchasien bei der Bekämpfung von COVID-19 materiell und fachlich. Auch die Behandlung von abchasischen COVID-19-Patienten in Kern-Georgien wurde ermöglicht (CW 27.11.2020; vgl. Jam 16.10.2020). Internationale Hilfe in Südossetien ist auf das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) beschränkt. Die georgische Zentralregierung hat Zchinwali ebenfalls humanitäre Hilfe angeboten, aber der Vorschlag wurde nicht weiterverfolgt (CW 27.11.2020). Dennoch werden auch COVID-Patienten aus Südossetien in Georgien behandelt, wenn auch in geringerem Ausmaße als aus Abchasien (Jam 16.10.2020).

Quellen:

•        1TV - Pirveli Arkhi / First Channel (1.2.2021): Georgia resumes int’l flights, https://1tv.ge/en/news/georgia-resumes-intl-flights/, Zugriff 23.2.2021

•        Agenda.ge (26.11.2020): Georgian gov’t introduces further coronavirus restrictions until Jan. 31, https://agenda.ge/en/news/2020/3722, Zugriff 30.11.2020

•        BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Bundesrepublik Deutschland] (10.2020): Länderreport 31 - Georgien: Allgemeine Lage der ethnischen Minderheiten, https://www.ecoi.net/en/file/local/2042046/laenderreport-31-Georgien.pdf, Zugriff 15.12.2020 civil.ge (18.1.2021): COVID-19 Vaccine Rollout in Georgia: Waiting for Godot?, https://civil.ge/archives/391207, Zugriff 18.1.2021

•        CW - Caucasus Watch (27.11.2020): Council of Europe reports on Abkhazia and Tskhinvali, https://caucasuswatch.de/news/3289.html, Zugriff 30.11.2020

•        Eurasianet (18.9.2020): Georgia experiences its first wave of COVID-19, https://eurasianet.org/g eorgia-experiences-its-first-wave-of-covid-19, Zugriff 30.11.2020

•        Jam News (23.1.2021): Protests after Georgia announces only partial lifting of Covid restrictions, https://jam-news.net/georgia-news-coronavirus-restrictions-that-will-change-protests/, Zugriff 25.1.2021

•        Jam News (16.10.2020): Georgia: coronavirus patients from the other side of territorial conflict, https://jam-news.net/coronavirus-georgia-treatment-abkhazia-south-ossetia/, Zugriff 30.11.2020

•        MoF - Ministry of Foreign Affairs [Georgien] (o.D.): Regulations for Crossing the Georgian Border in connection with the COVID-19 pandemic, https://mfa.gov.ge/MainNav/CoVID-19-sakitkhebi/sazgvris-kvetis-regulaciebi.aspx?lang=en-US, Zugriff 15.3.2021

•        StopCoV.ge [Georgien] (o.D.): Prevention of Coronavirus Spread in Georgia, https://stopcov.ge/en/, Zugriff 15.3.2021

•        UNICEF - Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (12.3.2021): Georgia will receive a first batch of 43,200 doses of COVID-19 vaccine through COVAX Facility, https://www.unicef.org/georgia/press -releases/georgia-will-receive-first-batch-43200-doses-covid-19-vaccine-through-covax-facility

•        USEMB - U.S. Embassy in Georgia [Vereinigte Staaten von Amerika] (25.2.2021): COVID-19 Information for Georgia (Last Updated: February 25, 2021), https://ge.usembassy.gov/covid-19-information-on-georgia/, Zugriff 15.3.2021

Politische Lage

Letzte Änderung: 29.03.2021

Georgien wurde im April 1991 unabhängig [bis dahin Teilrepublik der Sowjetunion]. Nach der georgischen Unabhängigkeit erhöhten sich die Spannungen innerhalb Georgiens in den Gebieten Abchasien und Südossetien. 1992 erfolgten Unabhängigkeitserklärungen Südossetiens und Abchasiens, die jedoch von der internationalen Gemeinschaft nicht anerkannt wurden (AA 23.9.2020). Russland betreibt gegenüber beiden Regionen eine Politik der informellen militärischen und wirtschaftlichen Annexion (bpb 26.8.2020; vgl. US DOS 11.3.2020) und kontrolliert ein Fünftel des georgischen Staatsgebiets (FAZ 23.2.2021; vgl. US DOS 11.3.2020).

Durch Verfassungsänderung am 17.11.2013 wurde das Land von einer Präsidialrepublik zu einer Parlamentarischen Demokratie. Die georgische Außenpolitik sieht in der Integration Georgiens in EU und NATO ein prioritäres Ziel für eine nachhaltige demokratische Entwicklung des Landes. Dies wirkt sich unmittelbar auf den innenpolitischen Reformwillen aus (AA 23.9.2020). In Georgien finden regelmäßig kompetitive Wahlen statt. Nachdem der Demokratisierungsprozess in den Jahren 2012-13 an Dynamik gewonnen hatte, kam es in den letzten Jahren zu einer Stagnation der Fortschritte. Oligarchen haben übergroßen Einfluss auf Politik und politische Entscheidungen und die Rechtsstaatlichkeit wird nach wie vor durch politische Interessen behindert. Das politische Leben in Georgien ist lebendig. Neue politische Parteien können in der Regel ohne Behinderungen gegründet werden und zu den Wahlen antreten. Allerdings war die politische Landschaft von der Dominanz abwechselnd einer Partei geprägt, was die Entwicklung und Stabilität konkurrierender Gruppen gehemmt hat (FH 3.3.2021).

Georgien hat eine doppelte Exekutive, wobei der Premierminister als Regierungschef und der Präsident als Staatsoberhaupt fungiert. Der Präsident wurde bis 2018 durch Direktwahl gewählt. Aufgrund einer Verfassungsänderung wird der Präsident in Zukunft indirekt für sechs Jahre von einem Gremium, bestehend aus nationalen, regionalen und lokalen Gesetzgebern, gewählt werden. Der Präsident ernennt formal den Premierminister, der vom Parlament nominiert wird (FH 3.3.2021; vgl. US DOS 11.3.2020).

Die ehemalige Außenministerin Salome Zurabischwili wurde am 28.11.2018 zur Präsidentin des Landes gewählt. Offiziell als unabhängige Kandidatin, jedoch unterstützt von der Regierungspartei „Georgischer Traum“, setzte sie sich in der Stichwahl mit fast 60 % gegen ihren Konkurrenten Grigol Vaschadze durch, welcher insbesondere von der oppositionellen Vereinigten Nationalen Bewegung von Ex-Präsident Saakaschwili unterstützt wurde (FAZ 29.11.2018; vgl. CW 29.11.2018, FH 3.3.2021). Die OSZE beurteilte den Wahlgang als kompetitiv und gut administriert, wobei der Wahlkampf von einer scharfen Rhetorik und Demonstrationen begleitet war. Hauptkritikpunkte waren allerdings die einseitige Verwendung staatlicher Verwaltungsressourcen sowie die Berichterstattung des öffentlichen Rundfunks zugunsten von Zurabischwili (OSCE/ODIHR 29.11.2018).

Das Parlament Georgiens hat 150 Sitze, wovon 120 über Parteienlisten und 30 über Direktmandate in Wahlkreisen vergeben werden. Bei den Wahlen 2016 wurden noch 72 Direktmandate vergeben (KP 26.11.2020). Die Änderungen zu einem reinen Verhältniswahlrecht wurden vom Parlament für die nächsten, planmäßig 2024 stattfindenden Wahlen, beschlossen (KP 23.11.2019; vgl. RFE/RL 28.11.2019, taz 2.11.2020, FH 3.3.2021, US DOS 11.3.2020). Die Reform des Wahlrechts konnte erst nach Massenprotesten 2019 durchgesetzt werden (taz 2.11.2020; vgl. DW 24.6.2019, US DOS 11.3.2020).

Die Wahlhürde für die Verhältniswahl ist auf 1% der Stimmen festgelegt. Es besteht ein Begrenzungsmechanismus, der vorsieht, dass keine einzelne Partei, die weniger als 40% der abgegebenen Stimmen erhält, die Mehrheit der Sitze im Parlament erhalten darf. Im Falle einer vorgezogenen Neuwahl zwischen 2020 und 2024 wird diese nach demselben Wahlsystem wie im Jahr 2020 durchgeführt. Alle nachfolgenden Wahlen werden jedoch auf der Grundlage des vollständig proportionalen Wahlsystems durchgeführt, wie es für die Parlamentswahlen 2024 vorgesehen ist (civil 8.3.2020; vgl. KP 11.4.2020).

Bei den trotz COVID-Panedmie am 31.10.2020 durchgeführten Parlamentswahlen erzielte die bisherige Regierungspartei Georgischer Traum 48% der Stimmen und mit 91 Sitzen erneut eine satte Mehrheit von 60% der Mandate (KP 26.11.2020; vgl. EN 2.11.2020). Das größte Oppositionsbündnis, die Vereinigte Nationale Bewegung, erhielt 26,9% der Stimmen zugeschrieben (EN 2.11.2020). Insgesamt haben neun Parteien den Sprung ins Parlament geschafft (KP 26.11.2020; vgl. Jam 26.11.2020). Der Gründer des Wahlbündnisses Georgischer Traum, Bidzina Iwanischwili, hatte zur Parlamentswahl 2020 wieder das Amt des Parteivorsitzenden übernommen, allerdings ohne sich um irgendeine Regierungsfunktion zu bewerben. Im Februar 2021 erfolgte der nach seinen Aussagen endgültige Rückzug ins Privatleben. Es zeigt sich allerdings das Hauptproblem, das Iwanischwili seiner Partei und dem Land hinterlassen hat: Eine Mehrheitspartei ohne klare Programmatik, ohne klare innerparteiliche Demokratie und ohne politisch selbständige Charaktere an ihrer Spitze. Eine Partei, die nach wie vor den Verdacht nicht ausräumen kann, nur willfähriges Erfüllungsinstrument ihres Gründers und Mentors zu sein, der nach wie vor im Hintergrund die Fäden zieht (KP 11.2.2021). Kobachidse ist der Nachfolger von Bidsina Iwanischwili als Vorsitzender der Regierungspartei „Georgischer Traum“ (FAZ 18.2.2021).

Die unterlegene Opposition prangerte erhebliche Wahlmanipulationen an und mobilisierte ihre Anhänger auf der Straße. Die Sicherheitskräfte setzten Schlagstöcke und Wasserwerfer ein (KP 26.11.2020; vgl. EN 2.11.2020). Einheimische Wahlbeobachter*innen stellten zahlreiche Ungereimtheiten fest (taz 2.11.2020). Gemäß OSZE waren die Parlamentswahlen kompetitiv und insgesamt wurden die Grundfreiheiten respektiert. Dennoch haben weitverbreitete Vorwürfe von der Ausübung von Druck auf die Wähler und der unklaren Abgrenzung zwischen der Regierungspartei und dem Staat das Vertrauen der Öffentlichkeit in einige Aspekte des Wahlvorganges unterminiert. Der grundlegend überarbeitete Rechtsrahmen bot eine solide Grundlage für die Abhaltung demokratischer Wahlen und die technischen Aspekte der Wahlen wurden trotz der Herausforderungen durch die COVID-19-Pandemie effizient gehandhabt. Jedoch hat sich die Dominanz der Regierungspartei in den Wahlkommissionen negativ auf die Wahrnehmung ihrer Unparteilichkeit und Unabhängigkeit ausgewirkt, insbesondere auf den unteren Ebenen (OSCE/ODIHR 1.11.2020; vgl. HRW 13.1.2021).

In Folge rief die Opposition zum Boykott der Stichwahl am 21.11.2020 in 17 Direktwahlkreisen auf, wodurch sich alle Kandidaten des Georgischen Traums sich bei einer Wahlbeteiligung von 26% durchsetzen konnten (KP 26.11.2020; vgl. Eurasianet 27.11.2020). Die Oppositionsparteien planen aus Protest, ihre Parlamentssitze nicht zu besetzen (KP 26.11.2020; vgl. Eurasianet 27.11.2020, Jam 26.11.2020). Die 90 Abgeordneten der Regierungspartei sind ausreichend, damit das Parlament seine Arbeit aufnehmen kann - um Gesetze zu verabschieden, die Abgeordneten auf die Parlamentsausschüsse zu verteilen und eine Regierung zu ernennen. Das Parlament wird jedoch nicht in der Lage sein, die Verfassung zu ändern oder die Präsidentin abzusetzen (Jam 26.11.2020; vgl. HRW 13.1.2021). Als Regierungschef wurde Giorgi Gacharia ernannt.

Dieser ist nach nur zwei Monaten im Amt am 18.2.2021 zurückgetreten (Standard 18.2.2021, 22.2.2021). Als Nachfolger wurde der frühere Verteidigungsminister Irakli Garibaschwili mit den Stimmen der Regierungsfraktion Georgischer Traum zum neuen Regierungschef gewählt (Standard 22.2.2021).

Die Opposition boykottiert Stand Ende Februar 2021 weiterhin die Arbeit im Parlament (Standard 22.2.2021). Es ist weder durch die Intervention von US-Botschafter Kelly Degnan noch durch andere internationale Moderatoren gelungen, die politische Krise in Georgien zu lösen und die Opposition davon zu überzeugen, den Parlamentsboykott aufzugeben (Jam 26.11.2020; vgl. HRW 13.1.2021). Oppositionsvertreter zeigten sich zuletzt aber zu Gesprächen mit der Regierung bereit, um Auswege aus der Krise zu finden. Die Situation müsse entschärft werden, sagte der Oppositionspolitiker Nika Melia und bekräftigte zugleich seine Forderung nach Neuwahlen, welche die Regierungsfraktion aber vehement ablehnt. Zuletzt hatte sich die Lage zugespitzt, weil Melia in Untersuchungshaft genommen werden sollte. Ihm wird die versuchte Erstürmung des Parlaments 2019 vorgeworfen. Verhandlungen mit der Opposition seien notwendig, sagte Garibaschwili, „aber nicht mit diesen Verbrechern“ (Standard 22.2.2021).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt [Bundesrepublik Deutschland] (23.9.2020): Georgien: Politisches Porträt, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/georgien-node/politisches-portrait/202874, Zugriff 25.2.2021

•        bpb - Bundeszentrale für Politische Bildung [Bundesrepublik Deutschland] (26.8.2020): Georgien, https://www.bpb.de/internationales/weltweit/innerstaatliche-konflikte/54599/georgien, Zugriff 25.2.2021

•        civil.ge (8.3.2020): Georgian Dream, Opposition Reach Consensus over Electoral Reform, https://civil.ge/archives/341385, Zugriff 25.2.2021

•        CW - Caucasus Watch (29.11.2018): Surabischwili gewinnt Wahl: Georgien bekommt erstmals eine Präsidentin, http://caucasuswatch.de/news/1190.html, Zugriff 25.2.2021

•        DW - Deutsche Welle (24.6.2019): Proteste in Tiflis trotz Zugeständnissen, https://www.dw.com/de/proteste-in-tiflis-trotz-zugest%C3%A4ndnissen/a-49339505, Zugriff 25.2.2021

•        EN - Euronews (2.11.2020): Georgia’s ruling party wins parliamentary vote, opposition calls for protests, https://www.euronews.com/2020/10/31/georgia-s-ruling-party-claims-victory-in-parliam entary-vote, Zugriff 30.11.2020

•        Eurasianet (27.11.2020): Georgian politics still deadlocked after runoff polls, https://eurasianet.org/georgian-politics-still-deadlocked-after-runoff-polls, Zugriff 30.11.2020

•        FAZ - Frankfurter Allgemeine (23.2.2021): Warum die Lage in Georgien eskaliert, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/festnahme-in-georgien-hunderte-anhaenger-demonstrieren-in-tiflis-17212521.html, Zugriff 25.2.2021

•        FAZ - Frankfurter Allgemeine (18.2.2021): Georgiens Ministerpräsident zurückgetreten, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/georgiens-ministerpraesident-gacharia-zurueckgetreten-172041 04.html, Zugriff 25.2.2021

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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