TE Vwgh Erkenntnis 1996/11/13 95/01/0324

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Veröffentlicht am 13.11.1996
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §16 Abs1;
AVG §37;
AVG §45 Abs3;
VwGG §41 Abs1;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 95/01/0366

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner sowie Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke und Dr. Rigler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerden 1.) des M in L, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 14. April 1995, Zl. 4.332.855/14-III/13/95, betreffend Asylgewährung (protokolliert zur hg. Zl. 95/01/0324), und

2.) der D in L, vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 29. März 1995, Zl. 4.332.855/12-III/13/95, betreffend Asylgewährung (protokolliert zur hg. Zl. 95/01/0366), zu Recht erkannt:

Spruch

1.) Der den Erstbeschwerdeführer betreffende angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

2.) Der die Zweitbeschwerdeführerin betreffende angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von je S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführer, Ehegatten, die am 7. Jänner 1992 (Erstbeschwerdeführer) bzw. 15. September 1992 (Zweitbeschwerdeführerin) in das Bundesgebiet eingereist sind und am 9. Jänner 1992 (Erstbeschwerdeführer) bzw. am 27. Februar 1995 (die Zweitbeschwerdeführerin nach rechtskräftiger Abweisung eines Ausdehnungsantrages nach § 4 AsylG 1991) Asylanträge gestellt haben, haben die Bescheide der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 29. Jänner 1992, mit dem festgestellt worden war, der Erstbeschwerdeführer erfülle die Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling nicht, bzw. des Bundesasylamtes vom 27. Februar 1995, mit dem der Asylantrag der Zweitbeschwerdeführerin abgewiesen worden war, mit Berufungen bekämpft. Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden wies die belangte Behörde diese Berufungen gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab und versagte damit die Gewährung von Asyl (hinsichtlich des Erstbeschwerdeführers im zweiten Rechtsgang nach Aufhebung des die Berufung abweisenden Bescheides der belangten Behörde vom 26. Jänner 1993 durch hg. Erkenntnis vom 21. September 1994, Zl. 93/01/0451, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes infolge Aufhebung des Wortes "offenkundig" in § 20 Abs. 2 AsylG 1991 durch den Verfassungsgerichtshof mit dessen Erkenntnis vom 1. Juli 1994, G 92,93/94).

Anläßlich seiner niederschriftlichen Befragung durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich am 21. Jänner 1992 hatte der Erstbeschwerdeführer als Fluchtgrund angegeben, er sei Bosnier und habe zuletzt in Banja Luka gelebt. Auf Grund des Bürgerkrieges in Jugoslawien hätte er zur Armee einrücken müssen. Weil er nicht "als Kanonenfutter verheizt" habe werden wollen, sei er nach Österreich geflüchtet. Er habe sich vier Monate vor der Militärpolizei versteckt gehalten. Müsse er nach Jugoslawien zurückkehren, würde er als Deserteur eingesperrt. In seiner Berufung führte er bekräftigend aus, er komme aus Bosnien, sein Vater sei Moslem, seine Mutter Deutsche gewesen. Er sei in Scenica geboren und habe in Banja Luka gelebt. Seine Frau sei Ungarin. Sie hätten in Banja Luka ein Haus gehabt und hätten auch beide dort gearbeitet. Vom Militär habe er einen Einberufungsbefehl erhalten, den er aber nicht habe annehmen wollen, da er schon von anderen Leuten erfahren habe, was drinnen stünde. Nach etwa einer Woche sei wieder versucht worden, ihm diesen zuzustellen. Seine Frau habe ihn verleugnet. Die Militärpolizei habe angefangen, ihn zu suchen. Er sei bei Verwandten untergetaucht. Wen man gefunden habe, habe man auch gleich an die Front in die ersten Reihen verfrachtet. Mit seiner Frau habe er die Situation besprochen, sie seien sich beide einig gewesen, daß es nur einen Ausweg geben könne, nämlich die Flucht aus Jugoslawien und Asyl, wenn er mit dem Leben davonkommen wolle. Er sei nicht aus wirtschaftlichen Gründen geflohen. Er und seine Frau hätten Arbeit gehabt. Er fühle sich unter der serbischen Diktatur verfolgt und sehe sein Leben in Gefahr. Würde er zurückgewiesen, erwarte ihn eine mehrjährige Gefängnisstrafe vom Militärgericht, das wiederum nur von Serben besetzt sei. Der Beschwerdeführer schloß mit der Frage: "Aber warum schleppen die Serben immer andere Nationen und Leute mit anderer Glaubensbekenntnis zum Militär?".

Anläßlich seiner in dem von der belangten Behörde angeordneten ergänzenden Ermittlungsverfahren am 11. April 1995 vorgenommenen niederschriftlichen Befragung ergänzte der Erstbeschwerdeführer sein Vorbringen dahingehend, er habe schon im Jahr 1989 bei der Volkszählung in Banja Luka Probleme gehabt, weil er zur moslemischen Glaubensgruppe gehört habe, die in Banja Luka etwa 42 % der Bevölkerung ausgemacht habe. Er sei bei dieser Volkszählung als bosnischer Moslem registriert worden. Ein Polizist habe ihm mitgeteilt, daß es besser gewesen wäre, sich als "jugoslawischer Moslem" registrieren zu lassen. 1990 habe er versucht, in Banja Luka einen Reisepaß zu beantragen. Dieses Gesuch sei von der Behörde abgewiesen worden, er habe sich in Scenica unter dem ledigen Namen seiner Mutter "D" in der Folge einen Reisepaß ausstellen lassen. Er habe den Reisepaß erst bekommen, als er den ledigen Namen seiner Mutter angenommen habe, nachdem sich seine Eltern hätten scheiden lassen. Er habe sich bereits vor 1992 zur bosnischen Republik bekannt. Da man Ende des Jahres 1991 überall Tafeln in Banja Luka gesehen habe, auf denen "Gemeinde Banja Luka, serbische Republik" gestanden sei, obwohl Banja Luka zu Bosnien gehört habe, habe er Angst gehabt, zur Armee des ehemaligen Jugoslawien, also zur Armee der SFRJ, eingezogen zu werden. Nach der Unabhängigkeitserklärung der Republik Bosnien-Herzegowina erachte er sich derzeit als staatenlos, er fühle sich aber als bosnischer Moslem und damit auch als Angehöriger des Staates Bosnien-Herzegowina. Er könne jedoch dorthin nicht mehr zurückkommen, da er aus diesem Land bereits im Jänner 1992 geflohen sei. Über erneute Befragung gab der Erstbeschwerdeführer an, im Jahr 1991 sei der Bürgerkrieg gegen Kroatien ausgebrochen, er hätte in diesem Falle auf seiten der Armee der SFRJ kämpfen müssen. Er habe jedoch neutral bleiben wollen, da er bzw. seine Gattin Verwandte in Kroatien gehabt hätten. Deshalb habe er seine Heimat verlassen.

Die belangte Behörde hat die Abweisung der Berufung des Erstbeschwerdeführers ausgehend von diesen seinen Angaben im wesentlich rechtlich dahingehend begründet, bereits am 15. Oktober 1991 habe sich die Republik Bosnien-Herzegowina für souverän erklärt. Im Zeitpunkt seiner Einreise in das Bundesgebiet sei Bosnien-Herzegowina bereits nahezu 3 Monate souverän gewesen, die Ausrufung der Republik sei unmittelbar bevorgestanden. Seine Befürchtung, er würde zur Armee der ehemaligen SFRJ eingezogen werden, sei in diesem Zusammenhalt betrachtet, nicht nur nicht glaubhaft, sondern überhaupt nicht nachvollziehbar. Das Asylrecht schütze nur Personen, gegen die mit staatlichen Maßnahmen von erheblicher Intensität in Verfolgungsabsicht vorgegangen werde. Derartiges habe der Erstbeschwerdeführer nicht dartun können, da das Ermittlungsverfahren keine Anhaltspunkte für eine Verfolgung des Erstbeschwerdeführers durch die Behörden seines Heimatstaates, nämlich die Republik Bosnien-Herzegowina, ergeben habe.

Die Zweitbeschwerdeführerin hatte anläßlich ihrer niederschriftlichen Befragung vor dem Bundesasylamt am 27. Februar 1995 angegeben, da in Banja Luka Katholiken und Moslems keinen Platz gehabt hätten, habe sie ihre Heimat verlassen. Dies sei auf Grund "ethnischer Säuberungen" geschehen. Ihr Ehegatte (der Erstbeschwerdeführer) sei von den Serben mißhandelt worden und habe bereits vorher die Heimat verlassen müssen. Auch sie selbst sei von bosnisch-serbischen Milizen mißhandelt und geschlagen worden und habe daraufhin ihre Heimat verlassen. Einmal seien bosnisch-serbische Milizen in ihre Wohnung gekommen und hätten mitgenommen, was ihnen gefallen habe. Dies sei im Zuge einer Nachschau nach ihrem Ehegatten geschehen. Sie habe daraufhin gar nichts sagen dürfen. Sie könne auch in dieses Land nicht mehr zurück, weil mittlerweile in ihrer Wohnung auch eine serbische Familie angesiedelt worden sei. Es sei normal gewesen, was "die Serben mit uns gemacht haben". Vor dem Krieg sei alles in Ordnung gewesen.

In ihrer Berufung machte die Zweitbeschwerdeführerin als Verfahrensmangel im Ermittlungsverfahren erster Instanz geltend, Angaben beim Erstinterview seien einerseits falsch, andererseits überhaupt nicht protokolliert worden, auch ihre Aussagen hinsichtlich ihrer Fluchtgründe seien völlig unzureichend übersetzt worden. Dem halte sie nunmehr entgegen, sie habe 15 Jahre mit ihrem Ehemann (dem Erstbeschwerdeführer) in Banja Luka gelebt. Ihr Ehemann sei Moslem und sie selbst katholisch. 1991 habe der Krieg in Kroatien angefangen. Die Serben in Banja Luka hätten eine große "Mobilisation" gegen die Kroaten durchgeführt. Im Laufe des zweiten Halbjahres 1991 habe ihr Ehemann ständig Einberufungen in das serbische Militär bekommen (ihr Ehemann sei 51 Jahre alt). Als es keine Möglichkeit mehr gegeben habe, dem Krieg zu entfliehen, sei ihr Ehegatte am 7. Jänner 1992 nach Österreich geflohen. Sie selbst habe gehofft, daß sich der Krieg nicht ausbreiten werde, und sei noch in Banja Luka geblieben. Nach vier Monaten aber habe sich die serbische Agression über ganz Bosnien in dieser Form ausgebreitet, daß für die nichtserbische Bevölkerung das Leben unerträglich geworden sei. Sie habe ihre Arbeitsstelle verloren, wo sie langjährig beschäftigt gewesen sei. Bekannte (Nichtserben) seien abgeführt und in ein Lager gebracht worden. Ihr Haus sei oftmals durchsucht und sie selbst von der Polizei zum Verlassen des Landes aufgefordert worden. Sie selbst sei auch unter Waffengewalt aufgefordert worden, ein Dokument zu unterschreiben, welches "die Hinterlassenschaft" zugunsten der serbischen Bevölkerung vorsehe. Die Soldaten seien oft nachts gekommen und hätten behauptet, ihr Ehegatte sei zu den bosnischen oder kroatischen Militärs gegangen und sie würden ihr "das heimzahlen". So habe sie sich eine Autobuskarte für den Gastarbeiterbus aus Österreich gekauft und habe Banja Luka mit einer Reisetasche verlassen.

Die belangte Behörde begründete nach Darstellung des Verfahrensganges und der in Anwendung zu bringenden Gesetzesbestimmungen die Abweisung der Berufung der Zweitbeschwerdeführerin rechtlich im wesentlichen dahingehend, die Darstellung der Zweitbeschwerdeführerin beziehe sich auf die durch die Bürgerkriegssituation hervorgerufenen allgemeinen Umstände. Dies indiziere aber noch nicht die Flüchtlingseigenschaft. Da damit bereits die Gewährung von Asyl ausgeschlossen sei, sei auch "die Prüfung des Vorliegens eines Ausschlußgrundes nach § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991 obsolet". Dennoch schließt die belangte Behörde des näheren auch eine den Ausschlußgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991 betreffende rechtliche Beurteilung ihren Ausführungen an.

Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden Beschwerden, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Verbindung beider Rechtssachen zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung infolge ihres sachlichen und persönlichen Zusammenhanges erwogen hat:

Die Zweitbeschwerdeführerin hat in ihrer Berufung bereits darauf hingewiesen, ihre Angaben im erstinstanzlichen Verfahren seien nur unvollständig und falsch übersetzt worden. Sie machte daher eine der Voraussetzungen für eine von der belangten Behörde anzuordnende Ergänzung des erstinstanzlichen Ermittlungsverfahrens im Sinne des § 20 Abs. 2 AsylG 1991 geltend. Im Hinblick auf ihre in der Berufung vorgebrachte Sachverhaltsdarstellung hätte die belangte Behörde zu begründen gehabt, weshalb sie das Vorliegen einer der Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 AsylG 1991 nicht als gegeben erachtet hat. Lediglich der Hinweis auf die Unterfertigung des Protokolls im Sinne des § 15 AVG wird diesen Anforderungen aber ebensowenig gerecht wie die daran knüpfende Beurteilung, die Beschwerdeführerin habe lediglich allgemeine, auf die Bürgerkriegssituation in ihrem Heimatland - auch die belangte Behörde geht offensichtlich davon aus, daß dies für die Beschwerdeführerin Bosnien-Herzegowina gewesen ist - zurückzuführende Umstände geltend gemacht. Vielmehr enthält dieses Vorbringen deutliche Hinweise darauf, daß die von der Beschwerdeführerin befürchtete Verfolgungsgefahr durch die von serbischen Milizen ausgehenden Aktivitäten gegen die Gesamtheit der in Bosnien-Herzegowina lebenden Moslems - und deren Angehörige - gerichteten Maßnahmen zum Ziel hatten, die nicht bloß in Beeinträchtigungen allgemeiner Natur, die von allen im Zuge von Bürgerkriegshandlungen hingenommen werden müßten, bestanden haben, und die hintanzuhalten, den staatlichen Stellen ihres Heimatlandes nicht möglich gewesen wäre. Hätte daher die staatliche Autorität der souveränen Republik Bosnien-Herzegowina zufolge der Besetzung offenbar durch serbische Milizen ihre Wirksamkeit in den davon betroffenen Gebiet verloren, so wären die dort gesetzten Verfolgungshandlungen in asylrechtlicher Hinsicht staatlichen Maßnahmen gleichzuhalten, wobei es der Zweitbeschwerdeführerin nicht zumutbar gewesen wäre, sich den dann auch von ihr persönlich zu erwartenden Repressionshandlungen nicht rechtzeitig durch ihre Flucht zu entziehen (vgl. hiezu auch hg. Erkenntnisse vom 2. Februar 1994, Zl. 92/01/0890, und vom 26. Jänner 1994, Zl. 93/01/0291). Insoweit hat die belangte Behörde die Rechtslage verkannt.

Hinsichtlich der Zweitbeschwerdeführerin stützte die belangte Behörde ihre abweisliche Entscheidung aber auch auf den Ausschlußgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 Asyl - wie auch schon zuvor das Bundesasylamt -, ohne darauf einzugehen, daß die Zweitbeschwerdeführerin bereits in ihrer Berufung das Vorliegen eines Rückschiebeschutzes in Ungarn dezidiert bestritten hatte. Damit hat aber die Zweitbeschwerdeführerin auch ihrer Mitwirkungspflicht im Verwaltungsverfahren im Sinne des hg. Erkenntnisses vom 26. Jänner 1995, Zl. 94/90/0413, Genüge getan.

Die belangte Behörde hätte daher zusätzlich zu dem von ihr herangezogenen Argument der in Ungarn bestehenden Rechts- und Verfassungsordnung Ermittlungen darüber anzustellen und entsprechende Feststellungen zu treffen gehabt, daß die von der Zweitbeschwerdeführerin behauptete mangelnde Durchsetzung dieser Rechts- und Verfassungslage in Ungarn in der Praxis tatsächlich gegeben sei.

Da eine Aufhebung infolge Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides einer Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften vorgeht, war der die Zweitbeschwerdeführerin betreffende angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Hinsichtlich des Erstbeschwerdeführers ergibt eine Prüfung des von ihm im Verwaltungsverfahren geltend gemachten Fluchtgrundes zunächst, daß nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes die Verweigerung der Ableistung des Militärdienstes grundsätzlich die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht rechtfertigt. Allerdings kann eine darauf zurückzuführende Furcht vor Verfolgung dann asylrechtlich relevant sein, wenn die Einberufung bzw. unterschiedliche Behandlung während des Militärdienstes aus einem der in § 1 Z. 1 AsylG 1991 (übereinstimmend mit Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) genannten Gründen erfolgt wäre oder aus solchen Gründen schärfere Sanktionen drohen (vgl. hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 29. Juni 1994, Zl. 93/01/0377). Der Beschwerdeführer hat bereits anläßlich seiner ersten Vernehmung einen derartigen Zusammenhang zwischen seiner Einberufung zum Militärdienst hergestellt, indem er meinte, würde er zur jugoslawischen Bundesarmee eingezogen, würde er dort als "Kanonenfutter verheizt" werden. Der Beschwerdeführer hat aber auch anläßlich seiner ergänzenden Einvernahme am 11. April 1995 nicht dartun können, aus welchen Gründen eine ihm daraus erwachsende Verfolgungsgefahr auch noch im Zeitpunkt seiner Flucht, zu einem Zeitpunkt also, in dem die Souveränitäts- und die Unabhängigkeitserklärung Bosnien-Herzegowinas bereits erfolgt war bzw. unmittelbar bevorstand, nach wie vor aufrecht bestanden haben soll. Ginge man davon aus, - tatsächlich war sich der Erstbeschwerdeführer darüber offensichtlich selbst nicht ganz im klaren - daß die befürchtete bzw. erwartete Einberufung zur Militärdienstleistung zur jugoslawischen Bundesarmee hätte erfolgen sollen, so kann in der rechtlichen Beurteilung der belangten Behörde, er habe damit eine Verfolgung durch seinen Heimatstaat, nämlich die mittlerweile souveräne Republik Bosnien-Herzegowina, im Sinne des § 1 Z. 1 AsylG 1991 nicht zu befürchten gehabt, schon allein deshalb nicht entgegentreten werden, weil mit der Souveränitäts- und Unabhängigkeitserklärung dieses Staates der Einberufungsbefehl zur jugoslawischen Bundesarmee jedenfalls hinfällig geworden ist. Daß der Erstbeschwerdeführer aber etwa auch einen bosnischen Einberufungsbefehl erhalten hätte, hat er nicht behauptet.

Den Ausführungen der Zweitbeschwerdeführerin ist aber zu entnehmen, daß sie den von ihr dargelegten Verfolgungsmaßnahmen auch deshalb ausgesetzt gewesen sei, weil das Militär den Erstbeschwerdeführer (ihren Ehemann), der Moslem sei, habe ausforschen wollen. Vor dem Hintergrund der in Bosnien-Herzegowina von den serbischen Milizen gegen die Gesamtheit der dort lebenden Moslems gerichteten Maßnahmen und angesichts des Vorbringens der Zweitbeschwerdeführerin hinsichtlich des von ihr erlebten, in Richtung einer generellen Verfolgung aller bosnischen Moslems zu deutenden militärischen Vorgehens sind die Angaben der Zweitbeschwerdeführerin auch für die Beurteilung der Frage, ob der Erstbeschwerdeführer in seinem Heimatland Verfolgung zu gewärtigen hätte, von Bedeutung. Die Frage, ob dem Ansuchen des Erstbeschwerdeführers um Asylgewährung entsprechende Fluchtgründe im Sinne des § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 (übereinstimmend mit Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) zugrundeliegen, kann daher nur dann in ausreichend schlüssiger Weise beantwortet werden, wenn auch das Vorbringen der Zweitbeschwerdeführerin hinsichtlich des Vorgehens der serbischen Milizen gegen bosnische Moslems als maßgebliches Sachverhaltselement zugrundegelegt und sodann der Beweiswürdigung unterzogen wird. Daß der Erstbeschwerdeführer selbst dieses Vorgehen der serbischen Milizen nicht als Fluchtgrund ins Treffen geführt hat, steht diesen Überlegungen einerseits deshalb nicht entgegen, weil der Erstbeschwerdeführer bereits vor der Zweitbeschwerdeführerin sein Heimatland verlassen hat und somit die von dieser zum Gegenstand ihres Vorbringens erhobenen, erst später gemachten Beobachtungen nicht als eigene Erfahrung geltend machen können. Andererseits kann angesichts des dargestellten militärischen Vorgehens nicht davon ausgegangen werden, der Erstbeschwerdeführer hätte als Ehemann der Zweitbeschwerdeführerin - hätte er sich zum Zeitpunkt dieser Ereignisse in seinem Heimatland aufgehalten - nicht ebenfalls Verfolgungshandlungen wie seine Ehefrau zu befürchten gehabt.

Eine Einbeziehung der Angaben der Zweitbeschwerdeführerin in das den Erstbeschwerdeführer betreffende Verwaltungsverfahren wäre der belangten Behörde möglich gewesen, weil die Berufungen der Beschwerdeführer über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren zugleich bei ihr anhängig waren und sie über diese innerhalb eines Zeitraumes von weniger als drei Wochen durch Erlassung der angefochtenen Bescheide entschieden hat. Auch geht daraus, daß die belangte Behörde die die Beschwerdeführer betreffenden Verwaltungsakten mit einem Vorlagebericht gemeinsam vorgelegt hat, hervor, daß sie sich des Zusammenhanges der beiden Asylanträge bewußt war.

Durch die Unterlassung der Bedachtnahme auf das Vorbringen der Zweitbeschwerdeführerin bei Entscheidung über die Berufung des Erstbeschwerdeführers ist somit der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt ergänzungsbedürftig geblieben und wurden somit auch Verfahrensvorschriften außer acht gelassen, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können. Der den Erstbeschwerdeführer betreffende angefochtene Bescheid mußte daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufgehoben werden.

Der Ausspruch über die Aufwandersätze gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Parteiengehör Erhebungen Ermittlungsverfahren Parteiengehör Rechtsmittelverfahren Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Materielle Wahrheit Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Rechtsmittelverfahren Berufung Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Sachverhaltsänderung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995010324.X00

Im RIS seit

03.04.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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