TE Vwgh Beschluss 2021/11/2 Ra 2021/11/0112

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Veröffentlicht am 02.11.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
82/03 Ärzte Sonstiges Sanitätspersonal

Norm

ÄrzteG 1998 §55
B-VG Art133 Abs4
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §13 Abs2
VwGVG 2014 §13 Abs4
VwGVG 2014 §22 Abs2
VwGVG 2014 §22 Abs3

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick und die Hofräte Dr. Grünstäudl und Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, über die Revision des Dr. P E in B, vertreten durch die Beneder Rechtsanwalts GmbH in 1010 Wien, Franz-Josefs-Kai 27/DG/9, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Mai 2021, Zl. W170 2241473-1/5Z, betreffend Ausschluss der aufschiebenden Wirkung iA Streichung aus der Ärzteliste (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Präsident der Österreichischen Ärztekammer), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Mit Schreiben vom 3. September 2020 teilte die Staatsanwaltschaft Leoben dem Landeshauptmann von Steiermark mit, dass gegen den Revisionswerber, einen Arzt für Allgemeinmedizin, ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Vergehen der vorsätzlichen Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten und der Fälschung von Beweismitteln sowie des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt eingeleitet worden sei.

2        Mit Beschluss vom 21. September 2020 leitete der Disziplinarrat der Österreichischen Ärztekammer, Disziplinarkommission für Steiermark (im Folgenden: Disziplinarrat), gegen den Revisionswerber das Disziplinarverfahren ein und untersagte ihm gemäß § 138 Abs. 1 ÄrzteG 1998 die Ausübung des ärztlichen Berufes bis zum rechtskräftigen Abschluss des Disziplinarverfahrens. Der Disziplinarrat legte diesem Beschluss auf das Wesentliche zusammengefasst zu Grunde, der Revisionswerber habe (in Zusammenhang mit Maßnahmen gegen die Verbreitung des sog. Coronavirus) auf einer Webseite „Maskenbefreiungsatteste“ angeboten und solche ausgestellt, ohne die Patienten gesehen zu haben.

3        Mit Bescheid vom 18. Februar 2021 untersagte der Landeshauptmann von Steiermark dem Revisionswerber gemäß § 62 Abs. 1 Z 2 ÄrzteG 1998 vorläufig die Ausübung des ärztlichen Berufes bis zur Einstellung des von der Staatsanwaltschaft Leoben eingeleiteten Ermittlungsverfahrens bzw. bei Einleitung eines Strafverfahrens bis zum rechtskräftigen Abschluss eines auf diesem Ermittlungsverfahren basierenden Strafverfahrens. Unter einem schloss der Landeshauptmann die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen diesen Bescheid aus.

4        Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber Beschwerde, welche zum Zeitpunkt der Erlassung des nunmehr angefochtenen Erkenntnisses noch anhängig war (vgl. zu diesem Verfahrensstrang den hg. Beschluss vom 2. November 2021, Ra 2021/11/0134).

5        Mit Bescheid vom 8. März 2021 stellte die belangte Behörde gemäß § 4 Abs. 2 Z 2 iVm. § 59 Abs. 1 Z 1, Abs. 2 und Abs. 3 Z 1 sowie § 117c Abs. 1 Z 6 ÄrzteG 1998 fest, dass die Berechtigung des Revisionswerbers zur Ausübung des ärztlichen Berufes nicht mehr bestehe und der Revisionswerber aus der Ärzteliste zu streichen sei. Unter einem schloss die belangte Behörde gemäß § 13 Abs. 2 VwGVG die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen diesen Bescheid aus.

6        Gegen diesen Bescheid (zur Gänze) erhob der Revisionswerber Beschwerde.

7        Mit (als „Beschluss“ bezeichnetem) Erkenntnis vom 12. März 2021 wurde der vom Revisionswerber gegen den Beschluss des Disziplinarrates vom 21. September 2020 erhobenen Beschwerde Folge gegeben und die einstweilige Maßnahme der Untersagung der Ausübung des ärztlichen Berufes aufgehoben.

8        Mit dem angefochtenen (Teil-)Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 8. März 2021 (nur) hinsichtlich der Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

9        Das Verwaltungsgericht stellte fest, der Revisionswerber habe eine große Zahl an ärztlichen „Attesten“ - jedenfalls mehr als 2000 - ausgestellt, die im Wesentlichen den Inhalt aufwiesen, es werde bestätigt, dass das Tragen einer den Mund- und Nasenbereich abdeckenden mechanischen Schutzvorrichtung für [die genannte Person] aus gesundheitlichen Gründen kontraindiziert, wissenschaftlich belegbar gesundheitsschädlich und im Sinne der Psychohygiene traumatisierend und somit unzumutbar sei. Der Revisionswerber habe nicht alle Personen, denen er ein solches „Attest“ ausgestellt habe, gewissenhaft ärztlich untersucht.

10       Der Revisionswerber habe den Vorwurf, Personen ärztliche „Atteste“ ausgestellt zu haben, ohne diese vorher gewissenhaft untersucht zu haben, bislang nicht entkräftet. Es sei (aus näher dargestellten Gründen) davon auszugehen, dass dies bei „zumindest mehr als 1000“ Personen der Fall gewesen sei. Der Revisionswerber vertrete die Meinung, dass es - erstens - ausreiche, Unterlagen (Studien) und nicht die Person selbst zu untersuchen, und dass - zweitens - die Gründe, welche dem Tragen der Maske entgegenstünden, nicht in der jeweiligen Person selbst liegen müssten. Bei den vom Revisionswerber ausgestellten „Attesten“ handle es sich um ärztliche Zeugnisse, für deren Ausstellung § 55 ÄrzteG 1998 eine gewissenhafte ärztliche Untersuchung und genaue Erhebung der im Zeugnis zu bestätigenden Tatsachen voraussetze. Diese Untersuchung habe sich auf die jeweilige Person, der das ärztliche Zeugnis ausgestellt werde, und nicht auf Unterlagen (Studien) zu beziehen. Auf Grund des fehlenden Unrechtsbewusstseins, welches der Revisionswerber selbst einräume, sei davon auszugehen, dass er auch in Zukunft ärztliche Zeugnisse ohne ärztliche Untersuchung ausstellen würde, wenn er weiterhin zur Ausübung des ärztlichen Berufes berechtigt wäre. Das Verwaltungsgericht teile die Auffassung der belangten Behörde, das festgestellte Verhalten des Revisionswerbers gefährde seine Vertrauenswürdigkeit und die öffentlichen Interessen hinsichtlich der Wahrung des Wohles der Kranken und des Schutzes der Gesundheit durch gewissenhafte Betreuung und Behandlung.

11       Die Sachlage habe sich seit der Erlassung des angefochtenen Bescheides der belangten Behörde nicht entscheidungsrelevant geändert. Der Revisionswerber bringe zwar vor, dass ihm die Ausübung des ärztlichen Berufes bereits mit Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 18. Februar 2021 untersagt worden sei. Diese Untersagung sei jedoch nur vorläufig bis zur Einstellung des eingeleiteten Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft bzw. bis zur Einstellung eines auf diesem Ermittlungsverfahren basierenden Strafverfahrens erfolgt. Gegen die Untersagung sei überdies noch ein Beschwerdeverfahren beim Landesverwaltungsgericht Steiermark anhängig. Die dargestellten öffentlichen Interessen seien daher weiterhin akut gefährdet. Hingegen habe der Revisionswerber in seiner Beschwerde Interessen, die für eine Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung sprächen, nicht dargelegt, weshalb eine Abwägung nicht erfolgen könne.

12       2.1. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

13       Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

14       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof ausschließlich im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

15       Ob eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vorliegt, ist im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes zu beurteilen. Wurde die zu lösende Rechtsfrage daher in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - auch nach Entscheidung des Verwaltungsgerichtes oder selbst nach Einbringung der Revision - bereits geklärt, ist eine Revision wegen fehlender Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht (mehr) zulässig (vgl. VwGH 29.6.2020, Ro 2019/11/0003, mwN).

16       Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Entscheidung über Zuerkennung bzw. Aberkennung (Ausschluss) der aufschiebenden Wirkung das Ergebnis einer im Einzelfall vorzunehmenden Interessenabwägung. Wurde eine im Einzelfall vorzunehmende Interessenabwägung vom Verwaltungsgericht auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen, so ist eine solche einzelfallbezogene Beurteilung im Allgemeinen nicht mit Erfolg mit Revision bekämpfbar (vgl. - ebenfalls zum Ausschluss der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde gegen die Streichung aus der Ärzteliste - VwGH 16.12.2020, Ra 2020/11/0207, mwN).

17       2.2.1. Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit zunächst vor, „die Ärztekammer“ und das Verwaltungsgericht blieben wissenschaftliche Untersuchungen schuldig, warum die Auffassung des Revisionswerbers „unrichtig“ sein solle. Im Gegensatz dazu habe der Revisionswerber zahlreiche Unterlagen vorgelegt, die „seinen Standpunkt“ stützten. Nach dem ÄrzteG 1998 bleibe es dem Arzt vorbehalten zu beurteilten, ob gesundheitliche Gründe für die Ausstellung eines „Attests“ vorlägen; „die Ärztekammer“ dürfe sich darin nicht einmischen.

18       Damit wird eine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG schon deshalb nicht dargelegt, weil das Verwaltungsgericht seine Bestätigung des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde nicht auf eine medizinische Beurteilung des Tragens sog. Mund-Nasenschutzmasken gestützt hat, sondern darauf, dass der Revisionswerber in einer Vielzahl von Fällen ärztliche Zeugnisse entgegen den Vorgaben des § 55 ÄrzteG 1998, nämlich ohne ärztliche Untersuchung, ausgestellt habe.

19       2.2.2. Wenn die Revision zu ihrer Zulässigkeit aber geltend macht, dass die Fakten aus Sicht des Revisionswerbers klar seien, sodass es nicht erforderlich gewesen wäre, jeden Patienten vor Ausstellung des „Attestes“ gewissenhaft ärztlich zu untersuchen, und dass Rechtsprechung zu dieser Frage fehle, ist darauf hinzuweisen, dass sich der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 22. September 2021, Ro 2020/09/0016, mit den sich aus § 55 ÄrzteG 1998 für die Ausstellung von ärztlichen Zeugnissen ergebenden Voraussetzungen bereits auseinandergesetzt hat. Der Verwaltungsgerichtshof hat dabei ausgeführt, dass es nach den besonderen Umständen des Falles zu beurteilen ist, ob in der Ausstellung eines ärztlichen Zeugnisses ohne eine ärztliche Untersuchung ein Verstoß gegen die in § 55 ÄrzteG 1998 auferlegte Verpflichtung zu sehen ist, wobei allerdings die Ausstellung eines ärztlichen Zeugnisses ohne vorherige Untersuchung als Ausnahmefall einer nachvollziehbaren Begründung bedarf.

20       Die Revision tritt der Annahme des Verwaltungsgerichts nicht entgegen, dass der Revisionswerber eine Vielzahl von ärztlichen Zeugnissen - das Verwaltungsgericht geht von zumindest 1000 Fällen aus - ohne ärztliche Untersuchung der betreffenden Personen ausgestellt habe. Vor diesem Hintergrund zeigt die Revision mit ihrem bloß pauschalen Vorbringen, eine ärztliche Untersuchung sei nicht „in jedem Fall“ notwendig gewesen, nicht auf, dass das Verwaltungsgericht von den Leitlinien der genannten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach die Ausstellung eines ärztlichen Zeugnisses ohne vorherige Untersuchung als Ausnahmefall einer nachvollziehbaren Begründung bedarf, in unvertretbarer Weise abgewichen wäre.

21       2.2.3. Schließlich bringt die Revision zu ihrer Zulässigkeit vor, der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung sei deshalb nicht erforderlich gewesen, weil der Revisionswerber „aufgrund des Verfahrens beim Landesverwaltungsgericht Steiermark“ den Beruf nicht ausüben könne, was vom Verwaltungsgericht auch bestätigt worden sei. Insoweit dieses Vorbringen auf die disziplinarrechtliche Untersagung der Ausübung des ärztlichen Berufes durch den Beschluss des Disziplinarrates vom 21. September 2020 Bezug nehmen sollte, geht es schon deswegen ins Leere, weil dieser Beschluss mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichts vom 12. März 2021 aufgehoben wurde. Sollte sich dieses Vorbringen hingegen auf die vorläufige Untersagung der Ausübung des ärztlichen Berufes gemäß § 62 Abs. 1 Z 2 ÄrzteG 1998 beziehen, wird mit diesen Ausführungen die Zulässigkeit der Revision auch deswegen nicht dargetan, weil damit keine konkrete Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG formuliert wird, von deren Beantwortung die Entscheidung über die Revision abhinge (vgl. zum Erfordernis der Darlegung einer konkreten Rechtsfrage etwa VwGH 13.3.2019, Ra 2019/11/0021, mwN).

22       2.2.4. Im Übrigen ist der Verwaltungsgerichtshof weder verpflichtet, Gründe für die Zulässigkeit einer Revision anhand der übrigen Revisionsausführungen gleichsam zu suchen, noch berechtigt, von Amts wegen erkannte Gründe, die zur Zulässigkeit einer Revision hätten führen können, aufzugreifen (vgl. VwGH 8.2.2021, Ra 2020/11/0150, mwN).

23       2.3. In der Revision werden daher keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 2. November 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021110112.L00

Im RIS seit

03.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

06.12.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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