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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
BFA-VG 2014 §21 Abs7Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, die Hofrätin Mag. Rossmeisel und den Hofrat Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, in der Revisionssache des A B, vertreten durch Mag. Karlheinz Amann, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wipplingerstraße 20/8-9, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Juli 2021, W280 2119717-3/6E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger der Ukraine, stellte erstmals am 1. August 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Mit Erkenntnis vom 3. Mai 2016 wies das Bundesverwaltungsgericht die gegen den abweisenden Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl erhobene Beschwerde als unbegründet ab. Eine dagegen erhobene außerordentliche Revision wurde vom Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 14. September 2016, Ra 2016/18/0107, zurückgewiesen.
2 Am 24. Jänner 2017 stellte der Revisionswerber einen (Folge-)Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 20. Oktober 2017 wurde dem Revisionswerber der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 bis zum 30. Oktober 2018 erteilt.
3 In der Folge wurde gegen den Revisionswerber ein Aberkennungsverfahren eingeleitet. Mit Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 20. Dezember 2018 wurde dem Revisionswerber der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 aberkannt, die befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 entzogen und ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Zugleich wurde die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 9 Abs. 2 und 3 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) für auf Dauer unzulässig erklärt und dem Revisionswerber eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 erteilt.
4 Gegen den mittlerweile straffällig gewordenen Revisionswerber leitete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein fremdenpolizeiliches Verfahren hinsichtlich der Erlassung einer Rückkehrentscheidung ein.
5 Mit Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 14. August 2019 wurde der Revisionswerber wegen versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs. 1 StGB, wegen versuchter schwerer Körperverletzung nach §§ 15, 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 und 4 StGB und wegen schwerer Sachbeschädigung nach §§ 125, 126 Abs. 1 Z 5 StGB rechtskräftig zu einer Freiheitstrafe von 15 Monaten, wovon 12 bedingt nachgesehen wurden, verurteilt.
6 Mit Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 28. August 2019 wurde gegen den Revisionswerber gemäß § 52 Abs. 4 FPG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung erlassen, die Zulässigkeit der Abschiebung in die Ukraine festgestellt, ein für die Dauer von drei Jahren befristetes Einreisverbot erlassen, keine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt und einer Beschwerde gegen die Entscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt.
7 Aufgrund der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde hob das Bundesverwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid betreffend die Erlassung der Rückkehrentscheidung in Verbindung mit dem Einreiseverbot auf. Die dagegen erhobene Amtsrevision wurde mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. November 2020, Ra 2020/21/0041, zurückgewiesen.
8 Am 26. November 2019 stellte der Revisionswerber den dritten Antrag auf internationalen Schutz.
9 Mit Urteil des Bezirksgerichtes Salzburg vom 21. Jänner 2020 wurde der Revisionswerber wegen versuchter Körperverletzung nach §§ 15, 83 Abs. 1 StGB, wegen Urkundenfälschung nach § 223 Abs. 2 StGB und wegen Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer Zusatzfreiheitstrafe von zwei Monaten verurteilt.
10 Mit Bescheid vom 22. Juni 2021 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den dritten Antrag des Revisionswerbers sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, sprach aus, dass ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt werde, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung in die Ukraine zulässig sei und erteilte keine Frist für die freiwillige Ausreise. Die Behörde erkannte einer Beschwerde gegen diesen Bescheid die aufschiebende Wirkung ab und stellte weiters fest, dass der Revisionswerber sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 14. August 2019 verloren habe.
11 Mit dem nunmehr in Revision gezogenen Erkenntnis vom 26. Juli 2021 wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen erhobene Beschwerde ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit einer hier nicht relevanten Maßgabe als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
12 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
13 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
14 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
15 Vorauszuschicken ist, dass die Revision keine Ausführungen zu den Aussprüchen hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten und subsidiär Schutzberechtigten enthält, sondern sie sich erkennbar nur gegen die Erlassung der aufenthaltsbeendenden Maßnahmen richtet.
16 Wenn die Revision eine Verletzung der Verhandlungspflicht geltend macht, dabei auf die Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK Bezug nimmt und insoweit die Rückkehrentscheidung im Blick hat, ist ihr zuzugeben, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer Verhandlung bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen besondere Bedeutung zukommt. Daraus ist aber noch keine „absolute“ (generelle) Pflicht zur Durchführung einer Verhandlung in Verfahren über aufenthaltsbeendende Maßnahmen abzuleiten. In eindeutigen Fällen, in denen bei Berücksichtigung aller zugunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das Verwaltungsgericht von ihm einen (positiven) persönlichen Eindruck verschafft, kann auch eine beantragte Verhandlung unterbleiben. (vgl. VwGH 17.3.2021, Ra 2021/14/0043; 28.12.2020, Ra 2020/14/0545; jeweils mwN).
17 Die Revision vermag mit ihrem Vorbringen in der Zulässigkeitsbegründung, das sich auf Aspekte bezieht (Beschäftigung, Nachbarschaftshilfe), die das Verwaltungsgericht ohnehin berücksichtigt hat, vor dem Hintergrund der mehrmaligen Straffälligkeit des Revisionswerbers somit nicht darzulegen, dass kein eindeutiger Fall in Bezug auf die Interessenabwägung nach § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) vorgelegen sei und damit das Bundesverwaltungsgericht von den Leitlinien des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen wäre, warum gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG von der Durchführung einer Verhandlung Abstand genommen werden darf (vgl. dazu grundlegend VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017 und 0018, sowie 8.7.2020, Ra 2019/14/0272).
18 Soweit die Interessenabwägung selbst bekämpft wird, ist festzuhalten, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG ist (vgl. VwGH 5.2.2021, Ra 2021/14/0003, mwN).
19 Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (vgl. VwGH 3.9.2021, Ra 2020/14/0282, mwN).
20 Im gegenständlichen Fall ist nicht strittig, dass der Revisionswerber mehrfach straffällig geworden ist. Entgegen den Ausführungen in der Zulässigkeitsbegründung hat das Bundesverwaltungsgericht seiner Beurteilung die vom Revisionswerber konkret verübten strafbaren Handlungen zugrunde gelegt und im Besonderen darauf hingewiesen, dass die vom Revisionswerber gesetzten Integrationsschritte vor allem durch die mehrfache Delinquenz in einem relativ kurzen Zeitraum eine weitere Einschränkung erfahre. Mit den strafgerichtlich verurteilten Handlungen zeige der Revisionswerber, dass die Identifikation mit den Grundwerten der Republik Österreich, ihrer Rechtsordnung und ihrer Gesellschaft nicht stattgefunden habe.
21 Im Rahmen der Interessenabwägung bezieht sich der Revisionswerber auf vom Bundesverwaltungsgericht ohnehin bereits berücksichtigte Gesichtspunkte, zeigt allerdings nicht auf, inwieweit auf dieser Basis das vom Bundesverwaltungsgericht erzielte Ergebnis unrichtig sein sollte und das Bundesverwaltungsgericht ausgehend von den getroffenen Feststellungen bei der im Einzelfall vorgenommenen Gewichtung der festgestellten Umstände die in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aufgestellten Leitlinien missachtet oder in unvertretbarer Weise zur Anwendung gebracht hätte.
22 Insofern der Revisionswerber die Erstellung einer Gefährdungsprognose durch das Bundesverwaltungsgericht vermisst und damit einhergehend Ermittlungs- und Feststellungsmängel geltend macht, es sei keine Einzelfallprüfung durchgeführt worden, ob eine „schwere Straftat“ vorliege, die eine Aufenthaltsbeendigung rechtfertige und auch die näheren Umstände dazu seien nicht erhoben und die bezughabenden Strafakten nicht beigeschafft worden, legt er zum einen nicht dar, welche weiteren für ihn günstigeren Feststellungen vom Bundesverwaltungsgericht zu treffen gewesen wären (zu der bei Verfahrensmängeln erforderlichen Relevanzdarlegung vgl. etwa VwGH 13.10.2021, Ra 2021/14/0305, mwN). Zum anderen zeigt der Revisionswerber nicht auf, dass in seinem Fall im Sinn der von ihm zitierten Judikatur, wie VwGH 27.5.2021, Ra 2021/21/0011, die dort genannten Kriterien nur ansatzweise erfüllt gewesen wären. Die Erstellung einer Gefährdungsprognose, wie sie die Revision vor Augen hat, war im Rahmen der fallbezogen vorgenommenen Interessenabwägung, auch vor dem Hintergrund, dass kein Einreiseverbot erlassen wurde, nicht indiziert.
23 Wenn die Revision schließlich ins Treffen führt, dass die nunmehrige Erlassung einer Rückkehrentscheidung „in den Bescheid vom 20. Dezember 2018 eingreife“, in dem die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG gem. § 9 Abs. 2 und 3 BFA-VG auf Dauer unzulässig erklärt und eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ gemäß § 58 Abs. 2 und 3 AsylG iVm § 55 Abs. 1 AsylG erteilt wurde, genügt es darauf hinzuweisen, dass gemäß § 52 Abs. 11 FPG der Umstand, dass in einem Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung deren Unzulässigkeit gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG festgestellt wurde, nicht daran hindert, im Rahmen eines weiteren Verfahrens zur Erlassung einer solchen Entscheidung neuerlich eine Abwägung gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG vorzunehmen, wenn der Fremde in der Zwischenzeit ein Verhalten gesetzt hat, das die Erlassung einer Rückkehrentscheidung rechtfertigen würde. Durch die zweimaligen Verurteilungen, wodurch der Revisionswerber ein Verhalten im Sinn des § 52 Abs. 11 FPG gesetzt hat, ist die Erlassung der Rückkehrentscheidung gerechtfertigt.
24 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 18. November 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021140301.L00Im RIS seit
03.12.2021Zuletzt aktualisiert am
06.12.2021