TE Bvwg Erkenntnis 2021/5/14 W159 2137772-2

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Veröffentlicht am 14.05.2021
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Entscheidungsdatum

14.05.2021

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §54
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58
AsylG 2005 §8
AsylG 2005 §9
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §31 Abs1

Spruch


W159 2137772-2/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

I.

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. KUZMINSKI als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX StA. Afghanistan, gegen Spruchpunkte I. bis II. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.07.2020, Zl. XXXX beschlossen:

A) Das Verfahren wird hinsichtlich der Spruchpunkte I. bis III. wegen der Zurückziehung der Beschwerde gemäß §§ 28 Abs. 1, 31 Abs. 1 VwGV eingestellt.

II.

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. KUZMINSKI als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen die Spruchpunkte IV. bis VI. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.07.2020, Zl. XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 22.04.2021 zu Recht erkannt:

A)

I. Der Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte IV. bis VI. stattgegeben und diese ersatzlos behoben.

II. Gemäß § 9 BFA-VG wird festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung gegen XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan auf Dauer unzulässig ist und XXXX eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ gemäß §§ 54, 55 und 58 AsylG 2005 idgf erteilt wird.

Zu I. und II:

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang (Zu I. und II.):

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Afghanistan und der Volksgruppe der Hazara zugehörig, gelangte spätestens am 19.08.2015 irregulär nach Österreich und stellte an diesem Tag auch einen Antrag auf internationalen Schutz. Befragt zu seinem Fluchtgrund gab der Beschwerdeführer an, er hätte im Iran nicht die Möglichkeit gehabt die Schule zu besuchen. Außerdem sei er aufgrund seiner Herkunft von den Iranern schikaniert worden. Er sei mehrmals mit dem Messer bedroht worden und man habe ihm sein Handy und Bargeld weggenommen. Er hätte sich im Iran auch nicht versichern lassen können.

In der niederschriftlichen Einvernahme vom 30.09.2016 gab der Beschwerdeführer an, er heiße XXXX , sei afghanischer Staatsangehöriger, gehöre der Volksgruppe der Hazara an und sei schiitischer Moslem. Er sei ledig und habe keine Kinder. Er sei Ende XXXX ( XXXX ), in Logar, im Distrikt XXXX geboren worden. Seine Familie sie mit ihm, als er ungefähr drei Monate alt gewesen sei, in den Iran, nach XXXX gezogen. Er habe in Shiraz acht Jahre eine afghanische Schule besucht. Danach habe er als Schuhmacher Frauenschuhe genäht. Er habe zusätzlich in der Nacht andere Hilfsarbeiten gemacht.

Befragt nach seinem Geburtsdatum, gab der Beschwerdeführer an, sein Großvater habe es im Koran aufgeschrieben. Er glaube, er habe XXXX als Geburtsdatum angegeben. Er sei 17 Jahre alt, jedoch hier in Österreich sei er 19 Jahre alt. Er akzeptiere die Altersfeststellung. Seine Eltern und Geschwister würden noch im Iran leben. Er hätte keine Angehörigen mehr in Afghanistan. Hier in Österreich würde ein Cousin 2. Grades, XXXX , leben. Er würde keine familiären oder privaten Bindungen an Österreich haben.

Der Beschwerdeführer gab befragt an, er habe in seinem Heimatland, in Österreich oder einem anderen Land keine strafbaren Handlungen begangen, er sei nicht vorbestraft, er sei noch nie in Haft gewesen, er sei in seiner Heimat weder politisch tätig gewesen noch Mitglied einer politischen Partei.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erkundigte sich, warum der Beschwerdeführer sein Heimatland verlassen habe. Der Beschwerdeführer erzählte, als die Sowjetunion in Afghanistan einmarschiert sei, seien die Kommunisten an die Macht gekommen und sein Vater habe Militärdienst leisten müssen. Nach dem Sturz der Kommunisten, sei den Mujaheddin bekannt gewesen, dass der Vater des Beschwerdeführers Soldat gewesen sei. Der Vater des Beschwerdeführers sei belästigt worden, der Bruder des Vaters sei getötet worden. Der Leichnam des Onkels sei bis heute nicht gefunden worden. Der Vater des Beschwerdeführers habe beschlossen, seine Familie und sich in Sicherheit zu bringen und sie seien in den Iran gezogen. Die Familie hätte keine Aufenthaltsberechtigung gehabt, hätte jedoch zumindest in Sicherheit leben können. Jedoch seien im Laufe der Zeit die Iraner immer fremdenfeindlicher geworden. Als in Syrien der Krieg ausgebrochen sei, hätte die iranische Regierung die Afghanen, welche sich illegal im Iran aufgehalten hätten, nach Syrien in den Krieg schicken wollen und ihnen im Gegenzug eine Aufenthaltsberechtigung versprochen. Viele seien gezwungen worden, nach Syrien in den Krieg zu ziehen. Der Beschwerdeführer habe aus Angst den Iran verlassen.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, RD Niederösterreich vom 03.10.2016, Zl. XXXX wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten unter Spruchpunkt I sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten unter Spruchpunkt II. abgewiesen. Unter Spruchpunkt III. wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Es wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Im Spruchpunkt IV. wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgehalten.

In der rechtlichen Beurteilung wurde unter Spruchpunkt I. angeführt, dass der Beschwerdeführer keine tatsächliche, glaubhafte, asylrelevante Verfolgung gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention seiner Person vorgebracht habe. Im Spruchpunkt II. wurde angeführt, dass der Beschwerdeführer sich alleine auf die schlechte allgemeine Lage hinsichtlich der Sicherheit in seinem Heimatland berufen würde. Wie aus den Länderfeststellungen ersichtlich sei, sei der allgemeinen Lage in manchen Teilen von Afghanistan eine Situation zu entnehmen, die eine Niederlassung zumutbar erscheinen lasse. Zu Spruchpunkt III. wurde angeführt, dass keine der drei genannten Voraussetzungen des § 57 AsylG vorliegen würde. Der Beschwerdeführer verfüge weder über eine relevante Verwandtschaft noch über private Bindungen in Österreich. Deswegen habe die Behörde einen Aufenthaltstitel gem. §§ 55 und 57 AsylG nicht erteilt und eine Rückkehrentscheidung ausgesprochen. Mit einer Rückkehrentscheidung sei eine Abschiebung zu verbinden gewesen. Im Spruchpunkt IV. wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen festgehalten.

Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 09.03.2017, Zl. XXXX wurde die Beschwerde wegen Zurückziehung der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. eingestellt. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 09.03.2017, Zl. XXXX wurde der Beschwerde hinsichtlich des Spruchpunkts II. stattgegeben und dem Beschwerdeführer wurde der Status des subsidiären Schutzberechtigten zuerkannt und im Spruchpunkt III. eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt. In der rechtlichen Beurteilung wurde dazu ausgeführt, dass das durchgeführte Ermittlungsverfahren und der festgestellte Sachverhalt, die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten ergeben hätten. Die Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers würde zu den volatilen Provinzen zählen. Hinsichtlich der in Afghanistan vorherrschenden Versorgungslage und der allgemeinen Lebensbedingungen der Bevölkerung sei auszuführen, dass die Verwirklichung grundlegender sozialer und wirtschaftlicher Bedürfnisse in Afghanistan nur sehr eingeschränkt möglich sei. Im Spruchpunkt III. wurde angeführt, dass die Entscheidung mit einer befristeten Aufenthaltsberechtigung zu verbinden gewesen sei.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.03.2018, Zl. XXXX wurde dem Antrag des Beschwerdeführers vom 02.02.2018 stattgegeben und die befristete Aufenthaltsberechtigung für die Dauer von zwei Jahren verlängert.

Mit Antrag vom 27. Jänner 2020 wurde neuerlich die Verlängerung des subsidiären Schutzes gemäß § 8 Abs. 4 AsylG begehrt. In der niederschriftlichen Einvernahme zum Aberkennungsverfahren am 09.07.2020 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Zl. XXXX gab der Beschwerdeführer an, er würde an chronischer Hepatitis B leiden. Er brachte einen entsprechenden Befund in Vorlage und gab an er müsse alle zwei Monate zu einem Bluttest. Er gab befragt an, er habe Sprachkurse bis Niveau B1 besucht und absolviere zurzeit das Jugendcollege bis 31.12.2020. Der Beschwerdeführer legte das ÖSD Zertifikat B1, eine Kursbestätigung des Jugendcolleges und die Bestätigung von Kursen vor. Der Beschwerdeführer gab weiters an, er habe in Österreich noch nicht gearbeitet, er sei nur etwa für die Dauer von vier Monaten als Koch tätig gewesen. Er würde in Österreich mit seinem Cousin XXXX gemeinsam wohnen. Er gab auch an, er sei ein wenig depressiv, weil er wenig Freunde habe und alleine sei. Er beziehe in Österreich seinen Lebensunterhalt vom AMS. Er wolle gerne Einzelhandelskaufmann in der Sparte Schuhe werden. Er gab weiters an, er könne nicht nach Mazar-e Sharif zurückkehren, er sei im Iran aufgewachsen und habe keine Verwandte in Afghanistan.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.07.2020, Zl. XXXX wurde unter Spruchteil I. der mit Bescheid vom 03.10.2016 XXXX zuerkannte Status des subsidiären Schutzberechtigten von Amtswegen aberkannt, unter Spruchpunkt II. der Antrag vom 21.01.2020 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung abgewiesen und unter Spruchteil III. ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Unter Spruchpunkt IV. wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen, unter Spruchpunkt V. festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei und unter Spruchpunkt VI. eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise festgelegt.

In der Begründung des Bescheides wurde der bisherige Verfahrensgang, einschließlich der letzterwähnten niederschriftlichen Einvernahme dargestellt, die Beweismittel aufgelistet und Feststellungen zu Afghanistan getroffen. Beweiswürdigend wurde insbesondere ausgeführt, dass aus heutiger Sicht eine Rückkehr nach Afghanistan möglich wäre. Die Umstände wurden in der rechtlichen Begründung zu Spruchteil I. noch näher ausgeführt und weiters darauf hingewiesen, dass bei einer Rückkehr seine Versorgung grundsätzlich gesichert wäre. Aufgrund der Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten sei auch die Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu entziehen gewesen (Spruchpunkt II.) Die Voraussetzungen des § 57 AsylG würden nicht vorliegen (Spruchpunkt III.) Zu Spruchpunkt IV. wurde insbesondere ausgeführt, dass der Antragssteller illegal in das Bundesgebiet eingereist sei und keine besonderen Bindungen zu Österreich habe, und weitere integrative Schritte nicht erkennbar seien. Zu Spruchpunkt V. schließlich wurde ausgeführt, dass dargelegt worden sei, dass im vorliegenden Fall keine Gefährdung im Sinne des § 50 FPG vorliege und einer Abschiebung nach Afghanistan auch keine Empfehlung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte entgegenstehe sowie auch keine Gründe für die Verlängerung der Frist für die freiwillige Ausreise vorlägen (Spruchpunkt VI.)

Der Beschwerdeführer erhob fristgerecht, am 10.08.2020, vertreten durch die XXXX , gegen die Spruchpunkte I, II, IV, V und VI des Bescheides, fristgerecht Beschwerde. In dieser wurde auf eine mangelhafte Beweiswürdigung der Behörde hingewiesen. Dem Beschwerdeführer drohe in seiner ursprünglichen Heimat eine Verletzung seines Rechtes auf Leben. Die Annahmen der Behörde seien nicht ausreichend, um eine profunde Entscheidung mit weitreichenden Folgen zu rechtfertigen.

Das Bundesverwaltungsgericht beraumte eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung für den 22.04.2021 an, zu der die belangte Behörde entschuldigt nicht erschien und der Beschwerdeführer in Begleitung seiner nunmehrigen Rechtsvertretung, XXXX anwesend war.

Es wurde eine Kursbesuchsbestätigung von Institut f. berufsbezogene Weiterbildung und Personaltraining und eine Ausbildungsvereinbarung im Rahmen einer Stiftung vorgelegt.

Befragt gab der Beschwerdeführer an, er ziehe die Beschwerde zu den Spruchpunkten I. bis III. zurück und beantragte eine Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären sowie die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung Plus. Der Beschwerdeführer wurde vor der Verhandlung im Beisein seiner Rechtsvertretung über die verschiedenen Varianten des weiteren Vorgehens aufgeklärt. Seine Rechtsvertretung belehrte den Beschwerdeführer auch diesbezüglich. Bezüglich seines Vorbringens brachte der Beschwerdeführer keine Ergänzungen oder Korrekturen vor.

Er gab an er halte sich seit 2015 (spätestens 18.8.2015) in Österreich auf. Er habe sich zwischenzeitlich nicht in anderen Staaten aufgehalten.

Der Beschwerdeführer gab befragt an, er sei afghanischer Staatsangehöriger, gehöre der Volksgruppe der Hazara an und sei schiitischer Moslem. Er würde seine Religion von Zeit zu Zeit ausüben. Er würde etwa den Ramadan einhalten. Der Beschwerdeführer gab an, dass die österreichische Behörde seinen Geburtstag mit dem XXXX festgelegt habe. Sein Großvater habe in den Koran das Geburtsdatum niedergeschrieben, er wisse, dass er 22 oder 23 Jahre alt sei. Der Beschwerdeführer sei in Afghanistan in der Provinz Loghar, im Distrikt XXXX geboren worden und sei als kleines Kind mit seinen Eltern in den Iran nach XXXX übersiedelt. Er sei nicht mehr nach Afghanistan zurückgekehrt. Im Iran habe der Beschwerdeführer acht Jahre eine afghanische Schule besucht. Sein Vater und er hätten im Iran Schuhe am Tag hergestellt und am Abend verkauft. Seine Eltern und Geschwister würden sich noch im Iran aufhalten. Er würde mit seinen Familienangehörigen jeden Monat zweimal über Whats App Kontakt pflegen. Er habe keine Familienangehörige, Verwandte, Freunde in Afghanistan mehr. Er sei mit niemanden im Afghanistan in Kontakt. Seine Cousinen (lt. Angabe des Cousins) würden nunmehr illegal im Iran leben. Sie würden miteinander keinen Kontakt pflegen und der Beschwerdeführer wisse nicht wie viele Cousinen er habe. Alle seine Familienangehörigen und Verwandten würden sich im Iran aufhalten, jedoch würde er nicht alle kennen. Im Iran hätten alle Afghanen Probleme mit den Polizisten, aber das Leben würde irgendwie weitergehen. Seine Familienangehörigen würden bei einer allfälligen Rückkehr nach Afghanistan ihn nicht unterstützen können.

Er würde derzeit nicht unter aktuellen gesundheitlichen oder psychischen Problemen leiden, sei jedoch etwas depressiv wegen Corona. Wegen Hepatitis B müsse er täglich 2 Tabletten nehmen, alle zwei Monate zur Blutabnahme gehen und einmal pro Jahr zu Sonographie. Der Beschwerdeführer brachte einen Laborbefund des XXXX vom 7.10.2020 in Vorlage und gab an, dass er im Mai 2021 neue Befunde bekommen würde.

Auf die Frage des Richters was er derzeit in Österreich machen würde, antwortete der Beschwerdeführer: „Ich habe Deutschkurse gemacht, A1 bis zu B1 und dann habe ich auch den Integrationskurs gemacht, ich habe auch in der Corona-Zeit weitere Kurse, zB über die Polizei in Ö gemacht. Ich habe zunächst eine Ausbildung als Koch begonnen, ich habe in dem Bereich schon 5 Monate gearbeitet, wegen Hepatitis B konnte ich diese Ausbildung nicht weiter fortführen. 2020 habe auch den Pflichtschulabschluss gemacht. 2021 habe ich im Institut BEST eine Ausbildung als Einzelhandelskaufmann gemacht, ich habe dann auch eine Teilzeitarbeit bei XXXX gefunden und machte dort auch schon zwei Wochen ein Praktikum. Nächsten Montag fange ich bei der Firma XXXX als Einzelhandelskaufmannlehrling an.“ Er habe die Deutschdiplome B1, A1, A2 erlangt. Er habe einen Werte- und Orientierungskurs besucht, den Pflichtschulabschluss erworben und würde zurzeit für den Führerschein lernen. Er beabsichtige die Lenkerberechtigung der Klasse B zu machen.

Der Beschwerdeführer gab an, er würde in keiner Ehe oder Lebensgemeinschaft leben und habe keine Kinder. Er sei auch nicht verlobt. In seiner Freizeit würde er kochen, Bücher lesen, Deutsch und Englisch lernen und Video-Spiele spielen. Er würde auch die Wohnung putzen.

Nachgefragt schilderte er seinen Tagesablauf auf Deutsch: „Wenn der Kurs beginnt steht ich zwischen 7 und 7:20 Uhr auf, dann dusche ich, dann gehe ich zum Kurs bis 12 Uhr, dann von 12 bis 13 Uhr esse ich. Ich koche zu Hause, zB Spagetti, Reis. Ich kaufe eher iranisches Lebensmittel ein. Dann zwei oder eine Stunde mache ich Pause und bis 17 Uhr lerne ich Englisch und Deutsch, am Abend um 19:30 Uhr bis 20:30 Uhr lese ich ein Buch. Am Abend esse ich eine Apfel.“

Befragt gab er an, er würde in einer Mietwohnung wohnen. Diese würde er sich mit seinem Cousin XXXX und noch einem Freund teilen. Sein Freund sei der Hauptmieter. Die Wohnung sei etwa 40 Quadrat groß. Sein Kontakt zu seinem Cousin XXXX sei gut, sie würden jeden Abend miteinander sprechen und am Wochenende spazieren gehen. Jedoch würden sie sich in Corona-Zeiten zu Hause aufhalten. Er habe keine weiteren Verwandte mehr zu Hause.

Auf die Frage, welche Pläne er haben würde, wenn er in Österreich bleiben dürfte, antwortete er: „Ich möchte neben meiner Lehre auch ein Abendgymnasium besuchen, vielleicht werde ich dann studieren.“

Der Beschwerdeführer beantwortete den Großteil der Fragen bereits auf Deutsch. Im verlesenen aktuellen Strafregisterauszug des Beschwerdeführers schienen keine Verurteilungen auf.

Dem Beschwerdeführer wurde eine Frist von 2 Wochen zur Abgabe einer abschließenden Stellungnahme sowie zur allfälligen Vorlage weiterer Dokumente betreffend seinen Gesundheitszustand bzw. für die Vorlage weiterer Integrationsdokumente eingeräumt.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl brachte als belangte Behörde am 26.04.21 eine Stellungnahme ein. Das BFA führte aus, dass es keine Änderungen bezüglich der Feststellungen zu der Aberkennung des subsidiären Schutzes erkennen würde. Die Erkrankung des Beschwerdeführers sei in seinem Heimatland behandelbar und es würde kein real risk iSd Art 2 und 3 EMRK ausgelöst werden. Betreffend die Kontakte zu seinem Heimatland sei auf die Ausführungen des Cousins zu verweisen. Diese Ausführungen seien aufgrund der Zurückziehung der Beschwerde zu den Spruchpunkten I. bis III. obsolet, sie seien jedoch aufgrund der Befragung in der Verhandlung trotzdem angeführt worden.

Hinsichtlich einer Bindung iSd § 9 BFA-VG sei anzuführen, dass der Beschwerdeführer im Vergleich zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides nunmehr arbeitstätig sei, sowie den Pflichtschulabschluss absolviert habe. Obwohl zwar nach wie vor keine entsprechenden Kontakte zu österreichischen Teilen der Bevölkerung maßgeblich vorgebracht worden seien, sei durch die Aufnahme eines Lehrverhältnisses und die Absolvierung des Pflichtschulabschlusses auch seitens der Behörde zu erkennen, dass nunmehr die Bindungen iSd § 9 BFA-VG anders als wie im angefochtenem Bescheid zu beurteilen seien, zumal auch bei tagesaktueller Abfrage des kriminalpolizeilichen Aktenindex keine Eintragungen angeführt seien. Es sei vertretbar, so wie in der mündlichen Verhandlung durch die Rechtsvertretung des Beschwerdeführers beantragt, die Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig zu erklären.

In der Stellungnahme durch den Beschwerdeführer, eingebracht durch seine rechtliche Vertretung wurden die überdurchschnittlichen Integrationsschritte des Beschwerdeführers und damit seine Bemühungen, sich im Bundesgebiet rasch sozial und wirtschaftlich zu verankern, hervorgehoben Der Beschwerdeführer würde sich seit fünfeinhalb Jahren, rechtmäßig (darunter u.a. mit einer Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter) im Bundesgebiet aufhalten. Es werde auch auf das bisherige Vorbringen als auch auf das Konvolut von zahlreichen Integrationsunterlagen verwiesen.

Darüber hinaus sei festzuhalten, dass auch der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers und die damit im Zusammenhang stehende notwendige medizinische Versorgung jedenfalls unter dem Gesichtspunkt des Schutzes der körperlichen Unversehrtheit i.S.d. Art. 8 EMRK zu behandeln und dieser Umstand in die vorzunehmende Interessenabwägung miteinzubeziehen sei.

Der Beschwerdeführer leide aktenkundig an einer chronischen Hepatitis B und bedarf regelmäßiger fachärztlicher Kontrollen sowie sei an die Einnahme bestimmter Medikamente angewiesen. Die betreffende Erkrankung sei nicht heilbar, sondern lediglich kontrollierbar.

Es werde darauf hingewiesen, dass es dem Beschwerdeführer nicht möglich sei jede beliebige Tätigkeit auszuüben, sondern diese sei wegen seiner Erkrankung auf bestimmte Arbeitsbereiche begrenzt. Nichtsdestotrotz hätte sich der Beschwerdeführer bemüht, sich in Österreich auch wirtschaftlich zu integrieren. So könne er aktuell eine Lehrstelle als Einzelhandelskaufmann vorweisen, sodass jedenfalls die Selbsterhaltungsfähigkeit gesichert sei.

Folglich werde die fortgeschrittene Integration des Beschwerdeführers sowie die Notwendigkeit der spezifischen medizinischen Behandlung im Rahmen der Abwägung i.S.d. Art. 8 EMRK insoweit zu berücksichtigen sein, als dass die Rückkehrentscheidung bei sonstiger Verletzung des Rechts auf Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens nach Art. 8 EMRK sowie Art. 7 GRC für dauerhaft unzulässig erklärt werden müsse.

Es wurde ein Befund des XXXX . März 2021 vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat wie folgt festgestellt und erwogen:

1. Feststellungen (Zu I. und II.):

Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsbürger von Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara, schiitisch-muslimischen Glaubens und führt den Namen XXXX . Der Beschwerdeführer wurde in Afghanistan in der Loghar, im Distrikt XXXX geboren. Das Geburtsdatum wurde seitens der österreichischen Behörde mit Hilfe eines forensischen Altersgutachten auf den XXXX festgelegt. Der Beschwerdeführer übersiedelte als Säugling mit seinen Eltern in den Iran nach XXXX und wuchs dort auf. Er ging acht Jahre in eine afghanische Schule. Danach fertigte und verkaufte er mit seinem Vater Damenschuhe, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder. Sein Cousin lebt in Österreich. Seine Eltern und Geschwister halten sich noch im Iran auf. Er pflegt mit seiner Familie über WhatsApp Kontakt. Seine Familienangehörigen können den Beschwerdeführer bei einer allfälligen Rückkehr nach Afghanistan nicht unterstützen. Der Beschwerdeführer hat in Afghanistan keine Bezugspersonen. Der Beschwerdeführer leidet an Hepatitis B und hat leichte Depressionen.

Es ist nicht erforderlich zu den Fluchtgründen Feststellungen zu treffen.

Der Beschwerdeführer gelangte (spätestens) am 19.08.2015 irregulär nach Österreich und stellte an diesem Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Er hat Österreich, nach Erhalt des Titels des subsidiär Schutzberechtigten, nicht verlassen.

Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 09.03.2017, Zl. XXXX wurde die Beschwerde wegen Zurückziehung der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. eingestellt. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 09.03.2017, Zl. XXXX wurde der Beschwerde hinsichtlich des Spruchpunkts II. stattgegeben und dem Beschwerdeführer wurde der Status des subsidiären Schutzberechtigten zuerkannt und im Spruchpunkt III. eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.07.2020, Zl. XXXX wurde unter Spruchteil I. der zuerkannte Status des subsidiären Schutzberechtigten von Amtswegen aberkannt, unter Spruchpunkt II. der Antrag vom 21.01.2020 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung abgewiesen und unter Spruchteil III. ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Unter Spruchpunkt IV. wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen, unter Spruchpunkt V. festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei und unter Spruchpunkt VI. eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise festgelegt.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde. Der Beschwerdeführer zog am 22.04.2021 in der öffentlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht seine Beschwerde zu den Spruchpunkten I. bis III. zurück und beantragte eine Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären sowie die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung Plus.

Der Beschwerdeführer absolvierte die ÖSD Prüfungen A1, A2 und B1 sowie den Integrationskurs. Wegen seiner Hepatitis B-Erkrankung konnte der Beschwerdeführer seine begonnene Ausbildung als Koch nicht weiter fortführen. Der Beschwerdeführer absolvierte am 08.10.2020 den Pflichtschulabschluss. Er hat 2021 im Institut BEST eine Ausbildung als Einzelhandelskaufmann begonnen und eine Teilzeitarbeit bei XXXX gefunden. Er wird nunmehr bei der Firma XXXX eine Lehre als Einzelhandelskaufmann beginnen. Der Beschwerdeführer lernt für den Führerschein, er beabsichtigt die Lenkerberechtigung der Klasse B zu machen.

Der Beschwerdeführer lebt in keiner Ehe oder Lebensgemeinschaft und hat keine Kinder. Der Beschwerdeführer ist Mitbewohner einer Mietwohnung. Ein Freund des Beschwerdeführers, der Cousin des Beschwerdeführers und er teilen sich eine Mietwohnung. Der Beschwerdeführer hat hauptsächlich Kontakt zu seinem Cousin.

Der Beschwerdeführer beantwortete den Großteil der Fragen bereits auf Deutsch. Im verlesenen aktuellen Strafregisterauszug des Beschwerdeführers scheinen keine Verurteilungen auf.

In Anbetracht der rechtskräftig negativen Asylentscheidung und der Zurückziehung der Beschwerde hinsichtlich der Aberkennung des subsidiären Schutzes und der Entziehung der befristeten Aufenthaltsberechtigung, ist es auch nicht erforderlich, länderkundliche Feststellungen zu treffen.

Beweis wurde erhoben (In dem vorliegenden Verfahren zur Aberkennung des subsidiären Schutzes) durch Einvernahme des Beschwerdeführers durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich am 14.07.2020, durch Befragung im Rahmen der öffentlichen mündlichen Beschwerdeverhandlung des Bundesverwaltungsgerichtes am 22.04.2021, durch Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde zur IFA/Verfahrenszahl. XXXX , durch Vorlage von den Deutschdiplomen A1, A2 und B1, einer Ausbildungsbestätigung von XXXX vom 17.06.2019, den XXXX vom 05.09.2019, die Kursbesuchsbestätigung vom 19.02.2020, das Zeugnis über die Pflichtschulabschluss Prüfung vom 08.10.2020, XXXX Kursbesuchsbestätigung vom 12.04.2021, sowie Einsichtnahme in den aktuellen, den Beschwerdeführer betreffenden Strafregisterauszug.

2. Die Beweise werden wie folgt gewürdigt:

Für den Beschwerdeführer wurde nach einer medizinischen - forensischen Altersfeststellung das Geburtsdatum auf den XXXX festgelegt. Unbestritten ist der Umstand, dass der Beschwerdeführer afghanischer Staatsangehöriger ist, der Volksgruppe der Hazara angehört, schiitischer Moslem ist und sich seit dem 19.08.2015 im österreichischen Bundesgebiet befindet, wobei er das Bundesgebiet zwischenzeitlich nicht verlassen hat.

Der Umstand, dass der Beschwerdeführer sich in Österreich integriert ergibt sich aus den zahlreichen vorgelegten Bestätigungen. Er absolvierte u.a. den Pflichtschulabschluss. Aufgrund seiner Hepatitis B Erkrankung ist es dem Beschwerdeführer nicht möglich alle Berufe auszuüben. Er musste die Lehre zum Koch deswegen abbrechen. Der Beschwerdeführer beginnt eine Lehre zum Einzelhandelskaufmann bei der Firma XXXX .

Es gibt keine Hinweise darauf, dass der Beschwerdeführer in Österreich ein Familienleben führt, aufgrund seiner leichten Depression, zurückzuführen auf seine Hepatitis Erkrankung hat er wenig Kontakte zu anderen Mitbürgerinnen und Mitbürgern. Seine Hauptbezugsperson ist sein Cousin.

Der Umstand, dass der Beschwerdeführer nicht straffällig ist, ergibt sich aus dem aktuellen Strafregisterauszug.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu I. A.:

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

Soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist, erfolgen gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG die Entscheidungen und Anordnungen des Bundesverwaltungsgerichtes durch Beschluss.

In welchen Fällen das Verfahren einzustellen ist, regelt das VwGVG nicht. Die Einstellung steht nach allgemeinem Verständnis am Ende jener Verfahren, in denen ein Erledigungsanspruch nach Beschwerdeeinbringung verloren geht, worunter auch der Fall der Zurückziehung der Beschwerde zu subsumieren ist (vgl. Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren [2013] § 28 VwGVG, Anm. 5).

Aufgrund der Zurückziehung der Beschwerde zu den Spruchpunkten I. - III. ist das Verfahren hinsichtlich dieser beiden Spruchpunkte rechtskräftig geworden und hat das Verwaltungsgericht das diesbezügliche Verfahren lediglich mit Beschluss einzustellen (siehe VwGH vom 29.04.2015 Fr 2014/20/0047-11).


Zu II. 1. und 2. A)

Gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn 1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und 2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBL I Nr 68/2017 erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird. Nach § 55 Abs. 2 AsylG 2005, ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen, wenn nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vorliegt.

Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

Gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

Gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind.

Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl I Nr 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Art. 8 Abs. 2 EMRK erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinne wird eine Ausweisung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wögen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung. Bei dieser Abwägung sind insbesondere die Dauer des Aufenthaltes, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens und dessen Intensität, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, den Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, aber auch Verstöße gegen das Einwanderungsrecht und Erfordernisse der öffentlichen Ordnung maßgeblich. Auch die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, ist bei der Abwägung in Betracht zu ziehen (Vgl. VfGH vom 29.09.2007, B 1150/07-9).

Der Begriff des „Familienlebens“ in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität erreichen. Als Kriterien hierfür kommen etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes oder die Gewährung von Unterhaltsleistungen in Betracht. In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; s. auch EKMR 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).

Unter Volljährigen reicht das rechtliche Band der Blutsverwandtschaft allein nicht, um ein Familienleben iSd. Art 8 MRK zu begründen. Hier wird auf das tatsächliche Bestehen eines effektiven Familienlebens abgestellt, darüber hinaus müssen zusätzliche Merkmale einer Abhängigkeit gegeben sein, die über die sonst üblichen Beziehungen hinausgehen. Vgl. ua. EGMR 30.11.1999 (Baghli gegen Frankreich) Ziff 35; EGMR Ezzouhdi (FN 9) Ziff 34; EGMR 10.07.2003 (Benhebba gegen Frankreich); EGMR 17.01.2006 (Aoulmi gegen Frankreich).

Dazu ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer kein Familienleben in Österreich führt. Er lebt hier nicht in einer Ehe oder Lebensgemeinschaft. Seine Eltern und seine Geschwister leben in Iran. Er steht mit seiner Familie über WhatsApp in Kontakt. Seine Hauptbezugsperson in Österreich ist sein Cousin. Der Beschwerdeführer leidet an Hepatitis B und hat leichte Depressionen.

Unter „Privatleben“ sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. EuGRZ 2006, 554, Sisojeva ua. gegen Lettland).

Hierbei ist neben diesen (beispielhaft angeführten) Kriterien, aber auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen, zumal etwa das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt rechtswidrig oder lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (vgl. VfGH vom 12.06.2007, B 2126/06; VfGH vom 29.09.2007, Zl. B 1150/07-9; VwGH vom 24.04.2007, 2007/18/0173; VwGH vom 15.05.2007, 2006/18/0107, und 2007/18/0226).

Nach ständiger Rechtssprechung der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts kommt dem öffentlichen Interesse aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung iSd Art 8 Abs 2 EMRK ein hoher Stellenwert zu. Der Verfassungsgerichtshof und der Verwaltungsgerichtshof haben in ihrer Judikatur ein öffentliches Interesse in dem Sinne bejaht, als eine über die Dauer des Asylverfahrens hinausgehende Aufenthaltsverfestigung von Personen, die sich bisher bloß auf Grund ihrer Asylantragsstellung im Inland aufhalten durften, verhindert werden soll (VfSlg. 17.516 und VwGH vom 26.06.2007, Zl. 2007/01/0479).

Gerade dieser Umstand trifft auf den Beschwerdeführer nicht zu, zumal er (rechtskräftig) mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 09.03.2017, Zl. XXXX ,den Status eines subsidiär Schutzberechtigten und die dazugehörige befristete Aufenthaltsberechtigung erhalten hat und daher spätestens seit diesem Datum über ein staatliches Aufenthaltsrecht verfügt hat und sich nicht bloß aufgrund der Asylantragsstellung im Inland aufhalten durfte.

Die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach integrationsbegründete Schritte in einem Zeitraum, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein habe müssen, zu relativieren sind (VwGH vom 28.02.2019 Ro 2019/01/003, jüngst VwGH vom 10.04.2020 Ra 2019/19/0430) trifft im vorliegenden Fall ebenfalls nicht zu, wobei der Verwaltungsgerichtshof auch erst jüngst ausgeführt hat, dass auch eine im Zuge eines unsicheren Aufenthaltsstatus erlangte Integration nicht ohne Gewicht ist (VwGH vom 06.04.2020 Ra 2020/20/0055-9)

In die Interessenabwägung ist auch die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat mit einzubeziehen, wobei die bisherige Rechtsprechung grundsätzlich keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK, in ÖJZ 2007, 852ff.). Zwar hat der VwGH zum Ausdruck gebracht, dass einem inländischen Aufenthalt von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung hinsichtlich der durchzuführenden Interessenabwägung zukommt (vgl. dazu VwGH 30.07.2015, Zl. 2014/22/0055; VwGH 23.06.2015, Zl. 2015/22/0026; VwGH 10.11.2010, Zl. 2008/22/0777, VwGH 26.06.2007, Zl. 2007/01/0479), der Beschwerdeführer ist seit 19.08.2015 in Österreich aufhältig. Er hat seine Familie im Iran nicht besucht und hat somit die „magische Grenze“ der Aufenthaltsdauer von fünf Jahren überschritten.

Der Beschwerdeführer ist sehr bemüht sich in Österreich zu integrieren. Er hat die Deutschdiplome A1 bis B1 sowie den Werte- und Orientierungskurs und den Pflichtschulabschluss absolviert. Der Beschwerdeführer musste aufgrund seiner Hepatitis B Erkrankung seine Ausbildung zum Koch abbrechen, beginnt jedoch bei Anker eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann.

Der Beschwerdeführer spricht gut Deutsch, wie das während der Verhandlung ersichtlich war.

Der Beschwerdeführer ist nicht vorbestraft.

Dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen kommt im Interesse des Schutzes der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) zwar grundsätzlich ein hoher Stellenwert zu (vgl. etwa VfGH 1. 7. 2009, U992/08 bzw. VwGH 17. 12. 2007, 2006/01/0216; 26. 6. 2007, 2007/01/0479; 16. 1. 2007, 2006/18/0453; 8. 11. 2006, 2006/18/0336 bzw. 2006/18/0316; 22. 6. 2006, 2006/21/0109; 20. 9. 2006, 2005/01/0699), im gegenständlichen Fall überwiegen aufgrund der dargestellten Gründe in einer Gesamtabwägung aller Umstände die privaten Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung, für die sich in der vorliegenden Konstellation keine begründeten Rechtfertigungen erkennen lassen (vgl. VwGH 22. 2. 2005, 2003/21/0096; vgl. ferner VwGH 26. 3. 2007, 2006/01/0595, sowie VfSlg 17.457/2005). Die vom Bundesamt verfügte Rückkehrentscheidung des Beschwerdeführers nach Afghanistan ist daher nicht im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK.

Eine Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer würde sich daher zum maßgeblichen aktuellen Entscheidungszeitpunkt als unverhältnismäßig im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK erweisen (siehe auch BVwG vom 04.12.2017, W107 2163499-1/13E).

Da die maßgeblichen Umstände in ihrem Wesen nicht bloß vorübergehend sind, war die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären (in diesem Sinne auch schon AsylGH vom 11.08.2009, Zl. B5 241.319-2/2009/3E, AsylGH vom 29.10.2009, Zl. D8 263154-0/2008/20E, AsylGH vom 09.11.2009, Zl. D7 242438-9/2008/20E, AsylGH vom 27.10.2009, Zl. E3 249.769-2/2009/5E, AsylGH vom 29.01.2010 D3 400226-1/2008/15E, u.a.).

Gemäß dem (mit 01.10.2017 in Kraft getretenen) § 55 Abs. AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn

1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und

2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird.

Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist gemäß Abs. 2 leg. cit. eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen.

Der Beschwerdeführer hat die Deutschdiplomprüfungen bis incl. B1, den Werte- und Orientierungskurs sowie den Pflichtschulabschluss erfolgreich absolviert. Er befindet sich in der Lehrausbildung zum Einzelhandelskaufmann.

Das Bundesverwaltungsgericht erteilt dem Beschwerdeführer aus diesem Grund mit konstitutiver Wirkung den Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 für die Dauer von zwölf Monaten (§ 54 Abs. 2 Asylgesetz 2005). Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat dem Beschwerdeführer diesen Aufenthaltstitel in Kartenform auszustellen.

Zu Spruchteil I. + II. B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Aufenthaltsberechtigung plus Aufenthaltsdauer Deutschkenntnisse Gesundheitszustand Integration Integrationsvereinbarung Interessenabwägung Lehre - Berufsschule Privat- und Familienleben private Interessen Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig Teileinstellung Teilstattgebung Zurückziehung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W159.2137772.2.00

Im RIS seit

02.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

02.12.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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