TE Vwgh Erkenntnis 1996/11/13 95/01/0115

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Veröffentlicht am 13.11.1996
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner sowie Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke und Dr. Rigler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des R in S, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in V, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 6. April 1995, Zl. 4.317.725/8-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger "der früheren SFRJ" albanischer Nationalität, der am 18. Juni 1991 in das Bundesgebiet eingereist ist, hat den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 20. August 1991, mit dem festgestellt worden war, beim Beschwerdeführer lägen die Voraussetzung für seine Anerkennung als Flüchtling nicht vor, mit Berufung bekämpft.

Mit Bescheid vom 30. März 1993 wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab. Dieser Bescheid wurde auf Grund einer dagegen erhobenen Beschwerde mit hg. Erkenntnis vom 5. Oktober 1994, Zl. 93/01/1030, im Hinblick auf die - durch die Aufhebung des Wortes "offenkundig" in § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 1. Juli 1994, G 92, 93/94 - geänderte Rechtslage aufgehoben.

Nach der dem Beschwerdeführer gebotenen Gelegenheit, seine Berufung zu ergänzen, wies die belangte Behörde mit Bescheid vom 6. April 1995 die Berufung neuerlich ab und versagte dem Beschwerdeführer die Gewährung von Asyl.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Der Beschwerdeführer hat bei seiner Einvernahme durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich am 28. Juni 1991 geltend gemacht, er gehöre keiner Partei an und sei hauptsächlich deshalb geflüchtet, weil er nicht bei der jugoslawischen Armee dienen wolle. Er sei im März 1991 gemustert worden und hätte im Juli 1991 einrücken sollen; einen Einberufungsbefehl habe er nicht erhalten. Ein weiterer Grund für seine Flucht sei, daß er seinen Eltern, die nach Österreich geflüchtet seien, gefolgt sei.

In seiner Berufung brachte der Beschwerdeführer vor, er habe schon "im ersten Interview" angegeben, aus politischen und religiösen Gründen um Asyl angesucht zu haben. Er habe sich dem Militärdienst entzogen, weil er nicht "unsere" Leute habe töten wollen. Er könne nicht nach Jugoslawien zurück, weil er dort vom Militär gesucht werde. Von der ihm gebotenen Gelegenheit, seine Berufung zu ergänzen, hat der Beschwerdeführer insoweit Gebrauch gemacht, als er geltend machte, entgegen der Niederschrift über seine Ersteinvernahme habe er nicht freiwillig gekündigt, sondern sei ihm seitens der Firmenleitung gekündigt worden, weil diese erfahren habe, daß er Albaner sei. Die besondere Belehrung zu Punkt 14 Abs. 2 (der Niederschrift) sei ihm nicht zur Kenntnis gebracht worden, was einen schwerwiegenden Verfahrensmangel darstelle, weshalb die Umstände, unter denen er zum Militär eingezogen worden sei, besonders zu würdigen sein würden. Er habe sich dem Militärdienst deswegen entziehen wollen, weil er gehört und erlebt habe, daß viele junge Albaner beim serbischen Heer getötet worden seien. Eine Videokassette, die zeige, daß die Leichen der umgebrachten jungen Männer verstümmelt in einem Sarg nach Hause geschickt worden seien, werde er vorlegen (dies ist in der Folge auch geschehen). Auch habe er nicht gezwungen werden wollen, auf seine eigenen Landsleute schießen zu müssen, oder in permanenter Unterdrückung zu leben. In seinem Militärausweis sei der Name seines Vaters vermerkt, welcher von den serbischen Behörden gesucht werde. Allein schon deshalb hätte er als Sohn dieses Mannes beim Militär nichts Gutes zu erwarten gehabt. Seine Lebensumstände seien von einer konkreten Bedrohung "gegen Leib und Leben" gekennzeichnet gewesen. Es sei ihm weder gesagt worden, daß die Zugehörigkeit zur albanischen Minderheit allein noch kein Asylgrund sei, noch sei ihm oder seiner Mutter, welche die Niederschrift für ihn - wegen seiner damals noch bestandenen Minderjährigkeit - unterschrieben habe, die Niederschrift in albanischer oder serbokroatischer Sprache vorgelesen worden.

Die belangte Behörde hat in der Begründung des angefochtenen Bescheides zunächst festgehalten, daß nicht die Mutter des Beschwerdeführers, sondern sein Vater bei der Ersteinvernahme anwesend gewesen sei, und dieser das darüber aufgenommene Protokoll ebenso wie der Beschwerdeführer selbst, der auch noch handschriftlich einen Satz in seiner Muttersprache angefügt habe, unterfertigt habe. Angesichts der unrichtigen Darstellung dieses Geschehens durch den Beschwerdeführer könne seinen Angaben über das Unterlassen der Übersetzung wesentlicher Teile der Niederschrift kein Glaube geschenkt werden. Es sei auch nicht glaubhaft, daß der Beschwerdeführer nicht angegeben hätte, warum er "unter keinen Umständen den Militärdienst nicht hätte(n) ableisten wollen". Der Inhalt der vom Beschwerdeführer beigebrachten Videokassette sei der belangten Behörde bereits bekannt, da diese immer wieder (offenbar gemeint auch von anderen Asylwerbern) als Beweismittel angeboten werde. Aus dem darin gezeigten Sarg mit einer in Verwesung befindlichen, eine Obduktionsnarbe aufweisenden Leiche könne nichts gewonnen werden, was ein weiteres Ermittlungsverfahren rechtfertige. Das bei der Ersteinvernahme als Fluchtgrund angeführte Bestreben des Beschwerdeführers, mit seiner Familie auszureisen, deute nicht auf das Vorliegen konkreter gegen den Beschwerdeführer gerichteter Verfolgung hin. Der als Hauptgrund für die Flucht angeführte Umstand, daß der Beschwerdeführer nicht bei der jugoslawischen Armee habe dienen wollen, stelle keinen asylrechtlich relevanten Fluchtgrund dar. In der "ehemaligen SFRJ" habe ebenso wie nunmehr in der "Jugoslawischen Föderation" die allgemeine Wehrpflicht bestanden. Der Beschwerdeführer habe lediglich dartun können, daß er im März 1991 gemustert worden sei; über den Zeitpunkt seines Einrückens habe er nur Vermutungen aufstellen können. Der Beschwerdeführer sei als Refraktär zu bezeichnen, wobei für ihn nach jugoslawischem Recht entweder ein Verwaltungsstrafverfahren, welches Bußen und Gefängnisstrafen bis 30 Tage vorsehe, oder ein gerichtliches Strafverfahren mit Gefängnisstrafen von drei Monaten bis zu zehn Jahren in Frage komme. Voraussetzung für ein Vorgehen gegen Refraktäre sei aber zumindest der Zustand der allgemeinen Mobilmachung oder eine drohende Kriegsgefahr. Dies sei vom 3. Oktober 1991 bis zum 26. Mai 1992 der Fall gewesen. Der Beschwerdeführer habe aber sein Heimatland bereits am 18. Juni 1991 verlassen. Sein Unwillen, den Militärdienst zu leisten, könne daher nicht zur Gewährung von Asyl führen.

Die Verweigerung der Ableistung des Militärdienstes - sei es durch Nichtbefolgung eines Einberufungsbefehls, sei es durch Desertion - rechtfertigt nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für sich allein nicht die Anerkennung eines Asylwerbers als Flüchtling. Der Verwaltungsgerichtshof geht allerdings von einer asylrechtlich relevanten Furcht vor Verfolgung in solchen Fällen aus, in denen die Einberufung bzw. die unterschiedliche Behandlung während des Militärdienstes aus einem der in § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 (übereinstimmend mit Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) angeführten Gründe erfolgt oder in denen davon auszugehen ist, daß eine dem Asylwerber wegen Wehrdienstverweigerung drohende Strafe aus diesen Gründen gegen diesen schwerer als gegenüber anderen Staatsangehörigen verhängt würde (vgl. insbesondere das hg. Erkenntnis vom 29. Juni 1994, Zl. 93/01/0377). Der Beschwerdeführer hat bei seiner Ersteinvernahme keine Ausführungen, die auf das Vorliegen von in der Einberufung zum Militärdienst liegender Verfolgung im Sinne obiger Judikatur hindeuten würden, gemacht. In seiner Berufungsergänzung hat er zwar vorgebracht, daß zahlreiche zur jugoslawischen Armee eingezogene Albaner dort getötet worden seien und er zufolge des Aufscheinens des Namens seines Vaters in seinem Militärausweis mit keiner guten Behandlung während seines Militärdienstes rechnen könne. Dieses Vorbringen erweist sich aber als weder der Aufforderung zur Bekanntgabe nicht offenkundiger Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens entsprechend noch hat der Beschwerdeführer zu erkennen gegeben, daß er mit diesem Vorbringen im Sinne des § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 eine seit Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides eingetretene Änderung des maßgeblichen Sachverhaltes habe geltend machen wollen, oder daß die nachgereichte Videokassette - abgesehen davon, daß dieser auf eine konkret zu befürchtende Verfolgung des Beschwerdeführers hindeutende Umstände nicht entnommen werden können - als Bescheinigungsmittel anzusehen sei, welches ihm im Verfahren vor dem Bundesasylamt nicht zugänglich gewesen sei. Damit erweisen sich aber die Ausführungen des Beschwerdeführers sowohl in der Berufung als auch in der Berufungsergänzung als über seine im erstinstanzlichen Verfahren gemachten Angaben hinausgehend und aus den dargelegten Gründen als nicht geeignet, eine Verpflichtung der belangten Behörde zu einer Ergänzung oder Wiederholung des Ermittlungsverfahrens darzutun. Der belangten Behörde kann daher nicht mit Aussicht auf Erfolg entgegengetreten werden, wenn sie das Vorliegen der Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 verneint hat.

Der belangten Behörde ist aber auch darin beizupflichten, daß von einer Bestrafung des Beschwerdeführers wegen Wehrdienstverweigerung schon allein deshalb nicht auszugehen ist, weil dem Beschwerdeführer seinen eigenen Angaben zufolge ein Einberufungsbefehl gar nicht zugestellt wurde und er für seine Behauptung, er hätte im Juli 1991 eingezogen werden sollen, keinerlei Anhaltspunkte nennen konnte.

Soweit der Beschwerdeführer der belangten Behörde vorwirft, sie wäre der ihr aufgegebenen Ermittlungspflicht nicht nachgekommen, ist festzuhalten, daß der für den Umfang der Ermittlungspflicht maßgebliche § 16 Abs. 1 Asylgesetz 1991 wohl bestimmt, daß die Asylbehörden in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen durch Fragestellung oder in anderer geeigneter Weise darauf hinzuwirken haben, daß die für die Entscheidung erheblichen Angaben über die zur Begründung des Asylantrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Bescheinigungsmittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Bescheinigungsmittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Asylantrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Bescheinigungsmittel auch von Amts wegen beizuschaffen. Diese Gesetzesstelle, die eine Konkretisierung der aus § 37 AVG in Verbindung mit § 39 Abs. 2 AVG hervorgehenden Verpflichtung der Verwaltungsbehörden, den für die Erledigung der Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt von Amts wegen vollständig zu ermitteln und festzustellen, darstellt, begründet aber keine über den Rahmen der angeführten Vorschriften hinausgehende Ermittlungspflicht. Nur im Fall hinreichend deutlicher Hinweise im Vorbringen eines Asylwerbers auf einen Sachverhalt, der für die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne der Flüchtlingskonvention in Frage kommt, hat die Behörde gemäß § 16 Abs. 1 Asylgesetz 1991 in geeigneter Weise auf eine Konkretisierung der Angaben des Asylwerbers zu dringen. Aus dieser Gesetzesstelle kann aber keine Verpflichtung der Behörde abgeleitet werden, Asylgründe, die der Asylwerber gar nicht behauptet hat, zu ermitteln (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. November 1992, Zlen. 92/01/0800-0803). Da im Beschwerdefall über die bereits oben behandelten Angaben hinausgehende, hinreichend deutliche Hinweise auf das Vorliegen weiterer Gründe im Sinne der Flüchtlingskonvention im Vorbringen des Beschwerdeführer vor der Behörde erster Instanz nicht enthalten waren, war die belangte Behörde, da auch sonst ein für die Entscheidung wesentlicher Mangel des Ermittlungsverfahrens der Behörde erster Instanz nicht hervorgekommen und vom Beschwerdeführer insoweit in seiner Berufung auch nicht geltend gemacht wurde, nicht verpflichtet, gemäß § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 die Ergänzung oder Wiederholung dieses Verfahrens anzuordnen.

Die sich sohin als unbegründet erweisende Beschwerde war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995010115.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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