TE Bvwg Beschluss 2021/11/18 L518 2246889-1

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Veröffentlicht am 18.11.2021
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Entscheidungsdatum

18.11.2021

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §43
BBG §45
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch


L518 2246889-1/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. STEININGER als Vorsitzenden und den Richter Mag. Dr. NIEDERWIMMER und den fachkundigen Laienrichter Mag. SOMMERHUBER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , vertreten durch RAe Dr. Ulrich SCHWAB und Dr. Georg SCHWAB, gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Oberösterreich, Zl. OB: XXXX , vom 02.06.2021, in nicht öffentlicher Sitzung beschlossen:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Oberösterreich, vom 2.6.2021, OB: 47988953500024, gemäß § 28 Abs 3 zweiter Satz Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl I Nr 33/2013 idgF, aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl. Nr. 1/1930 idgF, nicht zulässig.


Text


Begründung:

I. Verfahrensgang:

Mit Schriftsatz vom 1.3.2021, welcher am 2.3.2021 bei der belangten Behörde (folglich als „bB“ bezeichnet) einlangte, beantragte der Beschwerdeführer (im Folgenden „BF“ bzw. „bP“ genannt, die Neufestsetzung des Grades der Behinderung in den Behindertenpass und brachte zur Untermauerung seines Vorbringens ein Konvolut von ärztlichen Schreiben in Vorlage.

Am 26.4.2021 wurde der BF durch Dr.in XXXX , FÄ für physikalische Medizin und Ärztin für Allgemeinmedizin, klinisch untersucht und erbrachte das am 29.4.2021 vidierte Gutachten wegen Wirbelsäulenbeschwerden, mittelgradige Bewegungseinschränkung, negativer Nervendehnungstest ohne Lähmungserscheinungen, anamnestischen Schmerzmitteldauerbedarf ohne aktueller Bildgebung; Z.n. Sehnennervenverletzung li. Handfläche, endgradig eingeschränkter Faustschluss II. bis V. Finger li; mittelgradige Schultergelenkseinschränkung re., schmerzhafte Einklemmsymptomatik (Impigement), Teileinriss der Schultersehnen (Supra- und Infraspinatussehne), Schleimbeutelreizung und Schultergelenksabnützungszeichen (AC-Gelenksarthrose); Hörschwäche, Hörverlust lt. Audiogramm re. Ohr 29% und li. Ohr 26%, Beurteilung lt. Tabelle und Sehschwäche, Visus cc RA 0,4, LA 1,0 Beurteilung lt. Tabelle, einen Gesamtgrad der Behinderung von 30 v.H.

Mit Schreiben vom 30.4.2021 wurde das Ergebnis der Beweisaufnahme dem BF gem. § 45 Abs. 3 AVG mit der Möglichkeit zur Stellungnahme zur Kenntnis gebracht.

Der BF brachte eine Stellungnahme mit am 19.5.2021 datierten Schriftsatz ein.

Folglich wurde der Antrag der beschwerdeführenden Partei mit im Spruch bezeichnetem Bescheid abschlägig entschieden.

Dagegen erhob der nunmehr rechtsfreundlich vertretene Beschwerdeführer binnen offener Frist das Rechtsmittel der Beschwerde und wurde diese verkürzt zusammengefasst dahingehend begründet, dass beim BF ein Gesamtgrad der Behinderung von 70 v.H. vorliegen würde.

So hätten sich die gesundheitlichen Beschwerden seit dem Jahr 2011 nicht gebessert, weshalb die Herabsetzung des Grades der Behinderung von 50 v.H. auf 30 v.H. nicht nachvollziehbar sei und seien noch weitere Behinderungen und Beeinträchtigungen hinzugekommen. Auch ergeben sich aus den in Vorlage gebrachten medizinischen Bescheinigungsmittel weitere Beeinträchtigungen (Chondromalazie, Varusgonarthrose, Polyarthralgien), welche weder einer Untersuchung noch einer Beurteilung zugeführt wurden. Zudem fehle es an einer tauglichen Begründung dafür, weshalb die bei der beschwerdeführenden Partei im Vergleich zum Zustand im Jahr 2011 neu hinzugekommenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Behinderungen nur „geringfügig und nicht stufenerhöhend“ sein sollten. Die drei unter den lfd. Nr. 3 bis 5 erfassten Leiden mit einen Grad der Behinderung von insgesamt 40 v.H. finden bei der Gesamtbeurteilung keine Berücksichtigung. Den Kniegelenksbeschwerden wurde keinerlei Behinderungsgrad zugemessen.

Am 25.8.2021 wurde der BF durch Dr. XXXX , FA für Orthopädie und orthopädische Chirurgie, neuerlich klinisch untersucht und erbrachte das am 2.9.2021 vidierte Gutachten einen Gesamtgrad der Behinderung von 40 v.H.

Dieser Beurteilung lagen nachstehende Leiden zu Grunde:

Chronisches Schmerzsyndrom, regelmäßige medikamentöse Kombinationstherapie einschließlich schwacher Opioide, somatoforme Schmerzstörung sowie depressive Begleitreaktion mit Medikation, keine neurologischen Defizite (Pos.Nr. 04.11.02, 30 v.H.); Wirbelsäulenbeschwerden, radiologisch nachgewiesene degenerative Veränderungen der HWS (Rötgen 11/2020) und der LWS mit Bandscheibenvorfall L4/5 (CT11/2020)kein radikuläres neurologisches Defizit, Schmerzen in Leiden Nummer 1 mitberücksichtigt (Pos.Nr. 02.01.02, 30 v.H.); Schulterbeschwerden re., radiologisch nachgewiesene degenerative Veränderungen mit Teileinriss der Rotatorenmanschetten (Röntgen 11/2020, MR 03/2021), eingeschränkte Beweglichkeit, Schmerzen in Leiden Nummer 1 mitberücksichtigt (Pos.Nr. 02.06.03, 20 v.H.); Kniegelenksbeschwerden bds., radiologisch nachgewiesene geringgradige degenerative Veränderung bds (Röntgen 11/2020), gute Beweglichkeit ohne Streckdefizit, kein Reizzustand (Pos.Nr. 02.05.19, 20 v.H.); Sehnenverletzung li. Handfläche, endlagig eingeschränkte Beweglichkeit der Langfinger, geringe Funktionseinschränkung (Pos.Nr. 02.06.26, 20 v.H.);Eingeschränktes Sehvermögen, kein aktueller Fachbefund vorliegend, daher unveränderte Einschätzung zum Vorgutachten (Pos.Nr. 11.02.01, 10 v.H.) und eingeschränktes Hörvermögen, kein aktuelleres Tonaudiogramm vorliegend, daher unveränderte Einschätzung zum Vorgutachten (Pos.Nr. 12.02.01, 10 v.H.).

Darüber hinaus führte der Sachverständige aus, dass das in der lfd. Nr. 1 erfasste führende Leiden durch das zweitgenannte Leiden um eine Stufe gesteigert wird, da es das Gesamtbild verschlechtert. Die übrigen Leiden steigern infolge Geringfügigkeit nicht weiter, weshalb ein GdB von 40 v.H. vorliegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.0. Feststellungen (Sachverhalt):

Es war festzustellen, dass für die abschließende Beurteilung des Gesamtgrades der Behinderung der dafür maßgebliche Sachverhalt nicht hinreichend abgeklärt wurde und das der Entscheidung zu Grunde liegende Gutachten, sowie auch das im Zuge des Beschwerdevorentscheidungsverfahrens erstellte Gutachten, nicht zur Entscheidungsfindung geeignet waren.

2.0. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Verfahrensgang:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes der bB und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

Der oben unter Punkt II.1. festgestellte Sachverhalt beruht auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht auf Grund der vorliegenden Akten durchgeführten Ermittlungsverfahrens.

Die Feststellungen zu den allgemeinen Voraussetzungen ergeben sich durch Einsicht in das zentrale Melderegister sowie die sonstigen relevanten Unterlagen.

Nach der ständigen Judikatur des VwGH muss ein Sachverständigengutachten einen Befund und das eigentliche Gutachten im engeren Sinn enthalten. Der Befund ist die vom Sachverständigen – wenn auch unter Zuhilfenahme wissenschaftlicher Feststellungsmethoden – vorgenommene Tatsachenfeststellung. Die Schlussfolgerungen des Sachverständigen aus dem Befund, zu deren Gewinnung er seine besonderen Fachkenntnisse und Erfahrungen benötigt, bilden das Gutachten im engeren Sinn. Eine sachverständige Äußerung, die sich in der Abgabe eines Urteiles (eines Gutachtens im engeren Sinn) erschöpft, aber weder die Tatsachen, auf die sich dieses Urteil gründet, noch die Art, wie diese Tatsachen ermittelt wurden, erkennen lässt, ist mit einem wesentlichen Mangel behaftet und als Beweismittel unbrauchbar; die Behörde, die eine so geartete Äußerung ihrer Entscheidung zugrunde legt, wird ihrer Pflicht zur Erhebung und Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes (§ 37 AVG) nicht gerecht (VwGH vom 17.02.2004, GZ 2002/06/0151).

Das im Verfahren vor der bB eingeholte medizinische Sachverständigengutachten zum Grad der Behinderung bedarf nach der Rsp des VwGH (vom 21.06.2017, Ra 2017/11/0040) einer ausreichenden, auf die vorgelegten Befunde eingehenden und die Rahmensätze der Einschätzungsverordnung vergleichenden (vgl zu den diesbezüglichen Anforderungen das hg Erkenntnis vom 08.07.2015, Ra 2015/11/0036) Begründung.

Hat eine Partei grundlegende Bedenken gegen ein ärztliches Gutachten, dann ist es nach Ansicht des VwGH an ihr gelegen, auf gleichem fachlichen Niveau diesem entgegenzutreten oder unter Anbietung von tauglichen Beweismitteln darzutun, dass die Aussagen des ärztlichen Sachverständigen mit dem Stand der medizinischen Forschung und Erkenntnis nicht vereinbar sind (VwGH vom 20.10.1978, 1353/78).

Eine Partei kann ein Sachverständigengutachten nur dann erfolgreich bekämpfen, wenn sie unter präziser Darstellung der, gegen die Gutachten gerichteten, sachlichen Einwände ausdrücklich erklärt, dass sie die Einholung eines weiteren Gutachtens bestimmter Fachrichtung zur vollständigen Ermittlung des Sachverhaltes für erforderlich halte und daher einen Antrag auf Beiziehung eines weiteren Sachverständigen stellt (VwGH vom 23.11.1978, 0705/77).

Der Verwaltungsgerichtshof führte aber in diesem Zusammenhang auch aus, dass keine Verletzung des Parteiengehörs vorliegt, wenn einem Antrag auf Einholung eines zusätzlichen Gutachtens nicht stattgegeben wird (VwGH vom 25.06.1987, 87/06/0017).

Ebenso kann die Partei ein Sachverständigengutachten erfolgreich bekämpfen, ohne diesem auf gleichem fachlichem Niveau entgegentreten zu müssen, wenn es Widersprüche bzw. Ungereimtheiten im Gutachten aufzeigt (vgl. z. B. VwGH vom 20.10.2008, 2005/07/0108).

Im gegenständlichen Verfahren hat es die bB unterlassen, den Sachverhalt dem Gesundheitszustand der bP entsprechend vollständig zu erheben – dies aus den nachfolgenden Erwägungen:

Im Hinblick der st. Jud. des VwGH (etwa vom 11.11.2015, Zl.Ra 2014/11/0109) ist vor dem Hintergrund des § 2 Abs. 1 der EinschätzungsV 2010, wonach primär Art und Schwere der Funktionsbeeinträchtigung (bzw. der Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen) für die konkrete Bemessung des Grads der Behinderung entscheidend sind, und des § 3 Abs. 1 leg. cit., wonach bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen deren Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer Wechselbeziehungen maßgebend sind, geht der VwGH davon aus, dass eine entsprechende Beurteilung auch bei der Bewertung der einzelnen, in der Anlage zur Einschätzungsverordnung bei einem bestimmten Krankheitsbild genannten und für die Bemessung des GdB innerhalb einer Bandbreite entscheidenden Parameter erforderlich ist. Eine derartige Beurteilung ist gemäß § 4 Abs. 1 der EinschätzungsV 2010 von einem Sachverständigen vorzunehmen.

Sowohl das am 29.4.2021 vidierte Gutachten, als auch das am 2.9.2021 vidierte Gutachten lassen eine medizinische Auseinandersetzung angesichts der oben zitierten Judikatur im Hinblick darauf missen, dass zwar lapidar festgehalten wurde, dass das führende Leiden mit 30 v.H. bzw. im zweitgenannten Gutachten ein neues unter der lfd. Nummer 1 erfasstes Leiden ebenfalls mit 30 v.H., welches jedoch durch das Leiden Nummer 2 um eine Stufe gesteigert wird, zu Buche schlagen, eine Begründung aus medizinischer Sicht, weshalb gerade diese Positionsnummer und dieser Grad der Einschätzung gewählt wurde und nicht etwa die nächsthöhere Positionsnummer bzw. der nächsthöhere Grad der Behinderung, ist den Gutachten nicht zu entnehmen und kann auch nicht aus den in Vorlage gebrachten Bescheinigungsmittel ersehen werden.

Im Ergebnis stellen sich die Gutachten zur Entscheidungsfindung als unzureichend begründet dar und erweist sich der Sachverhalt insoweit als mangelhaft und wurde dies von der bB nicht beanstandet und keiner ergänzenden Sachverhaltserhebung zugeführt.

Wie der VwGH auch, wie bereits oben angeführt, aussprach, bilden die Schlussfolgerungen des Sachverständigen aus dem Befund, zu deren Gewinnung er seine besonderen Fachkenntnisse und Erfahrungen benötigt, das Gutachten im engeren Sinn. Eine sachverständige Äußerung, die sich in der Abgabe eines Urteiles (eines Gutachtens im engeren Sinn) erschöpft, aber weder die Tatsachen, auf die sich dieses Urteil gründet, noch die Art, wie diese Tatsachen ermittelt wurden, erkennen lässt, ist mit einem wesentlichen Mangel behaftet und als Beweismittel unbrauchbar.

Zusammenfassend erfüllt das von der bB für seine Entscheidung herangezogene Sachverständigengutachten nicht die von der einschlägigen Judikatur geforderten Mindestanforderungen und leidet dadurch an einem wesentlichen Mangel (VwGH vom 17.02.2004, 2002/06/0151). Dies hat zur Folge, dass seitens der bB die allgemeinen Verfahrensgrundsätze, indem der Sachverhalt iSd § 37 AVG nicht ausreichend ermittelt wurde, keine Berücksichtigung fanden. Bei Einhaltung der gebotenen verfahrensrechtlichen Bestimmungen hätte die bB ihre Entscheidung aufgrund einer anderen, nämlich umfassenderen Befund- und Beweislage, getroffen.

3.0. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Entscheidungsrelevante Rechtsgrundlagen:

- Bundesverfassungsgesetz B-VG, BGBl. Nr. 1/1930 idgF

- Bundesbehindertengesetz BBG, BGBl. Nr. 283/1990 idgF

- Bundesverwaltungsgerichtsgesetz BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013 idgF

- Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idgF

- Verwaltungsgerichtshofgesetz VwGG, BGBl. Nr. 10/1985 idgF

Nachfolgende Bestimmungen beziehen sich auf die im Pkt. 3.1. angeführten Rechtsgrundlagen in der jeweils geltenden Fassung.

3.2. Gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden

1. gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit; …

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 45 Abs. 1 BBG sind Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

Gemäß § 45 Abs. 2 BBG ist ein Bescheid nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben oder der Pass eingezogen wird.

Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Gemäß § 45 Abs. 4 BBG hat bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.

Gemäß § 45 Abs. 5 BBG entsendet die im § 10 Abs. 1 Z 6 des BBG genannte Vereinigung die Vertreterin oder den Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung. Hinsichtlich der Aufteilung des Nominierungsrechtes auf gleichartige Vereinigungen ist § 10 Abs. 2 des BBG anzuwenden. Für jede Vertreterin und jeden Vertreter ist jeweils auch die erforderliche Anzahl von Ersatzmitgliedern zu entsenden.

In Anwendung des Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG iVm § 45 Abs. 3 BBG wird die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes in der zugrundeliegenden Beschwerdeangelegenheit begründet und fällt die Entscheidung der gegenständlichen Rechtssache jenem Richtersenat zu, der unter Berücksichtigung der zitierten Bestimmungen in der Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes dafür vorgesehen ist. Der erkennende Senat ist daher in diesem Beschwerdeverfahren zuständig.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem, dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht, vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Bezugnehmend auf die zitierten Bestimmungen waren die unter Pkt. 3.1 im Generellen und die in den Pkt. 3.2 ff im Speziellen angeführten Rechtsgrundlagen für dieses Verfahren in Anwendung zu bringen.

3.3. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 leg cit nicht vorliegen, das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Dies auch unter dem Aspekt, dass, um eine Entscheidung in dem vorliegenden Beschwerdeverfahren treffen zu können, vorher vom Bundesverwaltungsgericht noch notwendige ergänzende Ermittlungen durch Einholung von weiteren Sachverständigengutachten vorzunehmen wären. Dementsprechend würde es das Verfahren iSd § 28 Abs. 2 VwGVG nicht beschleunigen und auch keine Kostenersparnis mit sich bringen. Die Behörde ist in diesem Fall an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgeht.

Gegenständliche Entscheidungsform stellt nach Ansicht des ho. Gerichtes ein verfahrensökonomisches Instrument, insbesondere im Hinblick auf eine mögliche verfahrensbeschleunigende Wirkung, dar, welches generell vorab durch die Behörde zu prüfen und einzelfallbezogen in Betracht zu ziehen wäre.

Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

3.4. Steht der maßgebliche Sachverhalt fest oder ist die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden, hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden.

§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat.

Hierzu führt der VwGH aus, dass angesichts des in § 28 VwGVG 2014 insgesamt verankerten Systems die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG 2014 bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte darstellt. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG 2014 verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG 2014 insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (VwGH vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).

Gemäß § 45 Abs. 3 AVG, der gemäß Art. I Abs. 2 Z 1 EGVG auch von der österreichischen Vertretungsbehörde auf ein von ihr geführtes behördliches Verfahren anzuwenden ist (vgl. VwGH 3.5.2018, Ra 2017/19/0609), ist den Parteien Gelegenheit zu geben, vom Ergebnis einer Beweisaufnahme Kenntnis zu erlangen und dazu Stellung zu nehmen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist es mit den ein rechtsstaatliches Verwaltungsverfahren tragenden Grundsätzen des Parteiengehörs und der freien Beweiswürdigung unvereinbar, einen Bescheid auf Beweismittel zu stützen, welche der Partei nicht zugänglich gemacht worden sind (vgl. VwGH 25.9.2014, 2011/07/0006, mwN; das gilt auch für Erkenntnisse des BVwG). Dem Parteiengehör unterliegt nicht nur eine von der Behörde getroffene Auswahl jener Ergebnisse des Beweisverfahrens, welche die Behörde zur Untermauerung der von ihr getroffenen Tatsachenfeststellungen für erforderlich hält, sondern der gesamte Inhalt der Ergebnisse der Beweisaufnahme. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt im Falle des Nichtzurkenntnisbringens einer Sachverständigenäußerung (nur) dann keine Verletzung des Grundsatzes des Parteiengehöres vor, wenn der Inhalt des Gutachtens in allen wesentlichen Teilen bereits im erstinstanzlichen Bescheid wiedergegeben wurde und die Partei dadurch die Möglichkeit hatte, im Zuge des Berufungsverfahrens diesem Gutachten wirksam entgegenzutreten, wobei der Bestimmung des § 45 Abs. 3 AVG sowohl der Befund als auch die darauf (als Gutachten) beruhenden sachverhaltsbezogenen Schlussfolgerungen unterliegen (vgl. VwGH 24.5.1994, 93/04/0196; 27.2.2015, 2012/06/0022; diese Rechtsprechung ist auf die Rechtslage nach Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz übertragbar), (VwGH vom 25.09.2019, Ra 2019/19/0380).

Infolge der Verabsäumung der belangten Behörde, Parteiengehör einzuräumen, stellt in der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof insoweit nachgetragenes Vorbringen keine unbeachtliche Neuerung dar (Hinweis E vom 22. Juni 2005, 2001/12/0077, und E vom 28. Juni 2011, 2011/01/0142), (VwGH vom 16.09.2013, 2013/12/0060).

3.5. Wie bereits festgestellt und in der Beweiswürdigung erörtert, hat die bB den gegenständlich bekämpften Bescheid auf ein Beweismittel – das Sachverständigengutachten vom 29.4.2021 – gestützt, welches unvollständig ist.

Obig angeführte Ermittlungsmängel liegen aus Sicht des erkennenden Gerichtes vor und ist der Bescheid nach § 28 Abs. 3 VwGVG aufzuheben und zur neuerlichen Erlassung an die Behörde erster Instanz zurückzuverweisen. Dies auch unter dem Aspekt der Raschheit und Wirtschaftlichkeit iSd § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG, da aufgrund der infrastrukturellen Gegebenheiten des BVwG das anhängige Verfahren mit Sicherheit nicht rascher, sondern nur kostenintensiver im Vergleich zum Sozialministeriumservice durch Einholung weiterer Sachverständigengutachten, durchgeführt werden kann.

Zwar geht der VwGH davon aus, dass seine ständige Rechtsprechung, wonach eine im erstinstanzlichen Verfahren erfolgte Verletzung des Parteiengehörs im Berufungsverfahren saniert werden kann, auf das Beschwerdeverfahren vor dem VwG übertragen wird – eine im Verfahren vor der Verwaltungsbehörde erfolgte Verletzung des Parteiengehörs kann dann durch die mit Beschwerde an das VwG verbundene Möglichkeit einer Stellungnahme saniert werden, wenn der damit bekämpfte Bescheid die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens vollständig wiedergegeben hat (vgl. VwGH vom 10.9.2015, Ra 2015/09/0056).

Zusammenfassend erfüllt das, von der bB für seine Entscheidung herangezogene, Sachverständigengutachten nicht die von der einschlägigen Judikatur geforderten Mindestanforderungen und leidet dadurch an einem wesentlichen Mangel (VwGH vom 17.02.2004, GZ 2002/06/0151). Dies hat zur Folge, dass seitens der bB die allgemeinen Verfahrensgrundsätze, indem der Sachverhalt iSd § 37 AVG nicht ausreichend ermittelt wurde, keine Berücksichtigung fanden.

Aufgrund des organisatorischen Aufbaues der bB und des ho. Gerichts, der verfahrensrechtlichen Ausgestaltung der einzelnen Verfahrensabschnitte, ergibt sich, dass die Führung des Verfahrens durch die bB eine wesentliche Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens darstellt.

Es ist letztlich im Rahmen einer Gesamtschau im Lichte der oa. Ausführungen davon auszugehen, dass in diesem konkreten Fall vom Primat der inhaltlichen Entscheidung durch das Verwaltungsgericht ausnahmsweise abzugehen und aufgrund der qualifizierten Unterlassung wesentlicher Ermittlungsschritte der bekämpfte Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zu beheben war.

Die seitens des Bundesverwaltungsgerichtes erforderliche Überprüfung im Rahmen der freien Beweiswürdigung ist auf dieser Grundlage nicht möglich. Der eingeholte medizinische Sachverständigenbeweis vermag die verwaltungsbehördliche Entscheidung nicht zu tragen.

Ein Gutachten bzw. eine medizinische Stellungnahme, welche Ausführungen darüber vermissen lässt, aus welchen Gründen der ärztliche Sachverständige zu einer Beurteilung gelangt ist, stellt keine taugliche Grundlage für die von der belangten Behörde zu treffende Entscheidung dar (VwGH 20.03.2001, 2000/11/0321).

Im fortgesetzten Verfahren wird sich die bB nunmehr mit den Stellungnahmen der bP zum festgestellten Sachverhalt auseinanderzusetzen und die von der bP nunmehr angebotenen Beweismittel zu berücksichtigen haben und ein neuerliches schlüssig nachvollziehbar begründetes Gutachten zu veranlassen haben. Vom Ergebnis des ergänzenden Ermittlungsverfahrens wird sie die bP neuerlich in Kenntnis zu setzen und ihr die Möglichkeit einzuräumen haben, sich hierzu äußern. Auch eine solche Äußerung wird sie rechtskonform zu behandeln haben.

Nach Abschluss dieser Ermittlungen hat die bB einen einzelfallbezogenen Bescheid zu erlassen, welcher den Sachverhalt, von dem er ausgeht, klar und übersichtlich wiedergibt, eine nachvollziehbare, einzelfallbezogene Beweiswürdigung enthält, und die zu lösende Rechtsfrage schlüssig darstellt.

Da der maßgebliche Sachverhalt im Fall der bP noch nicht feststeht und vom Bundesverwaltungsgericht auch nicht rascher und kostengünstiger festgestellt werden kann, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die bB zurückzuverweisen.

3.6. Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn

1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder

2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.

Im vorliegenden Fall stand bereits auf Grund der Aktenlage fest, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben war, weshalb eine öffentliche mündliche Verhandlung iSd § 24 Abs. 2 VwGVG entfallen konnte.

3.7. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen (VwGH vom 22.05.2014, Ra 2014/01/0030).

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Behindertenpass Ermittlungspflicht Grad der Behinderung Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Neufestsetzung Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:L518.2246889.1.01

Im RIS seit

02.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

02.12.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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