TE Lvwg Erkenntnis 2021/9/10 LVwG-AV-1116/002-2021

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.09.2021
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Entscheidungsdatum

10.09.2021

Norm

WRG 1959 §30
WRG 1959 §31

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat durch Hofrat Mag. Franz Kramer über die Beschwerde der A GmbH, vertreten durch B, C Rechtsanwälte in ***, ***, gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Stadt *** vom 17. Juni 2021, Zl. ***, betreffend einen gewässerpolizeilichen Auftrag, nach öffentlicher mündlicher Verhandlung zu Recht erkannt:

I.  Der angefochtene Bescheid wird ersatzlos behoben.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig.

Rechtsgrundlagen:

§§ 30 Abs. 1 und 3 Z 1 und 31 Abs. 1 bis 3 WRG 1959 (Wasserrechtsgesetz 1959 BGBl. Nr. 215/1959 i.d.g.F)

§§ 27, 28 Abs. 1 und 2 VwGVG (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBI. I Nr. 33/2013 i.d.g.F.)

§ 25a Abs. 1 VwGG (Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985, BGBI. Nr. 10/1985 i.d.g.F.)

Art. 133 Abs. 4 B-VG (Bundes-Verfassungsgesetz, BGBI. Nr. 1/1930 i.d.g.F)

Entscheidungsgründe

1.   Sachverhalt

1.1. Die A GmbH (in der Folge: die Beschwerdeführerin) nutzt das Grundstück Nr. ***, KG ***, im Zuge des Betriebes des städtischen Bussystems in *** („D“). Vor dem 07. Juni 2021, auf die Dauer von etwa drei Wochen, befand sich auf dem genannten Grundstück auf unbefestigter Fläche (das Areal ist mit Grädermaterial geschottert) ein Container, in dem in einem etwa 1.000 l fassenden Behälter AdBlue, ein Tankzusatzstoff zur Senkung von Abgasemissionen, gelagert wurde. In dieser Zeit wurden die von der Beschwerdeführerin im Kraftfahrlinienverkehr des „D“ genutzten Busse mithilfe einer händisch betriebenen Pumpe und eines einfachen Schlauches mit AdBlue betankt, wobei eine Überfüllsicherung nicht vorhanden war und die Buslenker den Füllfortschritt nur über eine im Inneren der Busse vorhandenen Anzeige kontrollieren konnten. AdBlue enthält als wesentlichen Inhaltsstoff Harnstoff im Ausmaß von etwa 32,5 Gewichtsprozent.

1.2. Harnstoff ist gut wasserlöslich und es ist damit zu rechnen, dass es bei Aufbringung in der Natur, sofern keine Gegenmaßnahmen gesetzt werden, mit dem Nieder-schlagswasser in ein Gewässer gelangt.

Harnstoff ist gut biologisch abbaubar. Im Zuge des biologischen Abbaus entstehen Zwischenprodukte wie Ammonium (NH4+) und Nitrit (NO2-) und in der Endstufe werden Kohlendioxid (CO2), Wasser (H2O) und Nitrat (NO3-) gebildet.

Für den vollständigen biologischen Abbau werden für 1 g Harnstoff etwa 2,1 g Sauerstoff benötigt. Dies wird durch den chemischen Sauerstoffbedarf (CSB) ausgedrückt. Dieser gibt an, wieviel Sauerstoff benötigt wird, um Inhaltsstoffe in 1 L Wasser vollständig zu oxidieren. Für 1 L AdBlue liegt der CSB bei ca. 740.000 mg.

Die relevanten, beeinträchtigbaren Parameter für das Grundwasser sind:

-                                                                                            Ammonium (Richtwert Trinkwasserverordnung: 0,5 mg/l),

-                                                                                            Nitrit (Grenzwert TWV: 0,1 mg/l),

-                                                                                            Nitrat (Grenzwert TWV: 50 mg/l) und

-                                                                                            Oxidierbarkeit mit Kaliumpermanganat, wodurch biologisch und chemisch abbaubare organische Inhaltsstoffe erfasst werden (Richtwert Trinkwassercodex: 5 mg Sauerstoff/l).

Oxidierbarkeit mit Kaliumpermanganat kann in diesem Fall mit dem CSB gleichgesetzt werden.

-                                                                                            Durch den Sauerstoffbedarf für den Abbau wird auch der Sauerstoffgehalt im Grundwasser verringert, der gemäß Trinkwassercodex nicht unter 3 mg/l sinken sollte (Maximaler Sauerstoffgehalt im Grundwasser liegt bei etwa 10 mg/l).

Aufgrund des Trinkwassergrenzwertes für Nitrat im Ausmaß von 50 mg/l ist eine Verdünnung von ca. 1 zu 14.000 erforderlich, damit ins Grundwasser gelangendes AdBlue den Trinkwassergrenzwert gerade nicht überschreitet. Mit anderen Worten:

Bspw. würde 1 l AdBlue ca. 14.000 l (in Bezug auf Nitrat) völlig unbelastetes Wasser für Trinkwasserzwecke unbrauchbar machen.

1.3. Das Grundstück Nr. ***, KG ***, liegt im Bereich des für vielfältige Nutzungen, darunter auch der Trinkwassernutzung, bedeutsamen Grundwasserkörpers des ***. Hier bestehen die Grundwasser führenden Schichten bzw. deren Überdeckung aus Kies und Sand, wobei Deckschichten, die einen Schadstoffrückhalt an der Oberfläche bewirken würden, fehlen. Der Grundwasserspiegel ist mit wenigen Metern unter Geländeoberkante anzunehmen. Die Grundwasserabströmrichtung verläuft etwa von Süd-Süd-West nach Nord-Nord-Ost, die Grundwasserabstandsgeschwindigkeit beträgt ca. 7 –
10 Meter pro Tag. Die nächstgelegenen potentiell betroffenen Wassernutzungen befinden sich etwa 500 m entfernt vom Grundstück Nr. ***, KG ***, eine Nutzwasserversorgungsanlage der Stadtgemeinde ***.

1.4. Im Zuge der Lagerung von bzw. der Betankung von Bussen mit AdBlue kam es im Bereich des Containers, in dem sich der Behälter für AdBlue befand, zum Austritt diese Stoffes und der Verunreinigung einer Fläche von etwa annähernd 12 m². Die exakte Menge des ausgeflossenen Harnstoffs wird nicht festgestellt; es ist jedoch von einigen Litern auszugehen.

Bei einer Besichtigung durch Vertreter der Wasserrechtsbehörde am 07. Juni 2021 wurde eine Verunreinigung auf zu mindestens einem Großteil der genannten Fläche mit auskristallisiertem Harnstoff festgestellt.

In der Folge wurde – nach formloser Aufforderung durch die Wasserrechtsbehörde -der Kontaminationsbereich mit einer Folie abgedeckt, die sich dort allerdings lediglich für etwa zwei Wochen befand. Danach war die Kontamination dem Niederschlag ausgesetzt.

Im Sommer 2021 kam es im Raum *** zu zahlreichen Starkregenereignissen mit insgesamt weit überdurchschnittlichen Niederschlägen; so etwa im Juni mit knapp 120 l, im Juli etwa mit 220 l, sowie Anfang August (bis zum 10. August) allein etwa 80 l.

Aufgrund dieser Niederschläge der guten Wasserlöslichkeit von Harnstoff sowie der Wasserwegigkeit des schottrigen Untergrunds in Verbindung mit dem Fehlen einer schützenden Deckschichte ist davon auszugehen, dass die Kontamination aus den Oberflächen nahen Bereich ausgeschwemmt, im Untergrund verteilt und großteils bereits mit dem Grundwasser abtransportiert worden ist. Es ist davon auszugehen, dass sich das Verunreinigungspotential mittlerweile vom Ort des Geschehens verlagert bzw. dort so verringert hat, dass Maßnahmen zur Gewässervermeidung – weil sie keinen spürbaren Effekt hätten - nicht mehr erforderlich bzw. nicht mehr verhältnismäßigen Mitteln bewerkstelligt werden können. Eine Gefährdung der Trinkwassernutzung bzw. eine maßgebliche Verunreinigung grundwasserstromabwärts befindlicher Wassererschließungen ist nicht (mehr) zu befürchten.

1.5. Mit Bescheid des Bürgermeisters der Stadt *** vom 17. Juni 2021, Zl. ***, wurde die Beschwerdeführerin verpflichtet, bis zum 15. Juli 2021 näher beschriebene Maßnahmen (im Wesentlichen die Entfernung und Entsorgung des kontaminierten Materials) durchzuführen.

Die nunmehrige belangte Behörde unterließ es, einer Beschwerde gegen diesen auf § 31 Abs. 3 iVm Abs. 1 WRG 1959 gestützten Auftrag die aufschiebende Wirkung abzuerkennen bzw. in der Folge eine einstweilige Verfügung nach § 122 WRG 1959 zu erlassen. Mit Schreiben vom 10. Juni 2021 war die Beschwerdeführerin formlos aufgefordert worden, das kontaminierte Areal mittels einer regendichten Plane abdecken zu lassen. Nachdem dieser Aufforderung von der Beschwerdeführerin nachgekommen worden war, unterließ es die belangte Behörde, den Weiterbestand dieser Abdeckung gehörig zu kontrollieren (eine erst am 3. August 2021 erfolgte Überprüfung durch das Gewässeraufsichtsorgan E erbrachte, dass zu diesem Zeitpunkt keine Abdeckung vorhanden war und Spuren von Kontaminaton nicht mehr gefunden wurden).

1.6. Mit Anbringen vom 28. Juni 2021, eingebracht beim Landesverwaltungsgericht Niederösterreich, erhob die A GmbH Beschwerde, in der sie im Ergebnis die Berechtigung des gewässerpolizeilichen Auftrages bestreitet und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt. Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich leitete die Beschwerde innerhalb der Beschwerdefrist an die zuständige Einbrin-gungsbehörde weiter.

Mit vom 08. Juli 2021 datierten Schreiben, eingelangt beim Landesverwaltungs-gericht Niederösterreich am 21. Juli 2021, legte die belangte Behörde die Beschwerde sowie den Verwaltungsakt vor.

1.7. Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich ergänzte die Beweisaufnahme durch Beischaffung der geohydrologischen Grundlagen (geohydrologischer Amtssachverständiger F), Vornahme eines Lokalaugenscheins, Ermittlung der Niederschlagsmengen im Raum *** sowie Einholung eines chemisch-technischen Amtssachverständigengutachten (G).

Am 12. August 2021 fand eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, bei der die Beschwerdeführerin sowie die belangte Behörde gehört, die Zeugen H, I, J, K sowie L vernommen wurden, der hydrologische Amtssachverständige eine Beurteilung abgab sowie der Inhalt des Verwaltungsaktes sowie des Gerichtsaktes durch teilweise Verlesung bzw. Verzicht auf die Verlesung ins Verfahren einbezogen wurde.

Im Anschluss an die Verhandlung wurde das gegenständliche Erkenntnis verkündet. Innerhalb der zweiwöchigen Frist beantragte die belangte Behörde die Vollausfertigung, was sie damit begründete, dass die Ausführungen des Gerichts auch in ein etwaig zu führendes Verwaltungsstrafverfahren einfließen können sollten.

2.   Beweiswürdigung

Die Feststellungen zu Verfahrensablauf sowie Inhalt aktenmäßig erfasster Schriftstücke ergeben sich aus den unbedenklichen Akten der belangten Behörde sowie des Gerichts.

Unbestritten ist, dass die Beschwerdeführerin das in Rede stehende Areal im Zuge des Kraftfahrlinienverkehrs nutzt und dort vorübergehend, etwa für drei Wochen (bis knapp vor dem 7. Juni 2021) die Betankung von Bussen mit AdBlue durchführen ließ.

Hinsichtlich der Grundwasser- und Untergrundverhältnisse stützt sich das Gericht auf die plausiblen Angaben des Amtssachverständigen F, die von den Parteien auch nicht in Zweifel gezogen wurden. Die Feststellungen zu den Eigenschaften von AdBlue, die Auswirkungen auf den Gewässerzustand im Falle einer Verunreinigung sowie das Verunreinigungspotential sowie die im Zeitablauf gegebene und realisierte Gefahr einer Gewässerverunreinigung beruhen auf den nachvollziehbaren und unbestrittenen Ausführungen des Amtssachverständigen G. Keine der Parteien ist dieser Sachverständigenbeurteilung auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten. Die Einschätzung, dass es im Hinblick auf die im Laufe der Zeit nach Verunreinigungseintritt erfolgten starken Niederschläge, denen die betroffene Fläche ausgesetzt war, zur einer Ausschwemmung und Verlagerung der Kontamination in die tieferen Bodenschichten gekommen ist, teilt das Gericht mit den beiden dazu befragten Sachverständigen. Das Gericht hat über die allgemein zugängliche und als verlässlich anzusehende Homepage der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik die Niederschlagswerte für den Raum *** erhoben. Unter Zugrundelegung der Angaben des Zeugen K, die das Gericht nicht anzweifelt, war eine die Auswaschung der Kontamination verhindernde Abdeckung lediglich für etwa zwei Wochen vorhanden. Damit haben jedenfalls die gesamten Niederschläge des Julis und des Augusts auf die Kontamination eingewirkt. Es ist nachvollziehbar, dass durch eine Wassermenge von etwa 300 l/m² ein gut wasserlöslicher Stoff oberflächlich ausgewaschen und durch die herrschende grundwasserpassierbare Beschaffenheit des Bodenaufbaus (keine schützende Überdeckung, Schotter und Kies) der größte Teil der mit einigen Litern abgeschätzten ausgetretenen Menge AdBlue ausgewaschen und in der Folge mit dem Grundwasser abtransportiert wird, wovon das Gericht somit ausgeht.

Der Amtssachverständige G, dem infolge seiner gerichts-bekannten langjährigen Erfahrung eine solche Einschätzung zugetraut werden kann, hielt nur den Abtrag der oberen Bodenschichten von etwa 30 cm im Falle der Kontamination für sinnvoll, was sich nun durch die Auswaschung der Kontamination erübrigt hat. Es ist nach Lage des Falles nicht anzunehmen, dass eine – überdies mit erheblichem Aufwand verbundene - Entfernung des von einer Restbelastung möglicherweise noch betroffenen Bodens (die kontaminiert gewesene Fläche bis zu einer Tiefe von etwa 10 m, wo sich der Grundwasserstauer befindet) zum jetzigen Zeitpunkt (Entscheidung des Gerichts) einen spürbaren Effekt erzielen würde (der Amtssachverständige hat die nunmehrige Situation mit einer Überdüngung im landwirtschaftlichen Bereich verglichen).

Daran, dass die intervenierenden und als Zeugen vernommenen Behördenvertreter H, I und J am 07. Juni 2021 tatsächlich eine Kontamination mit AdBlue vorgefunden haben, welches aus der Anlage der Beschwerdeführerin stammt, bezweifelt das Gericht nicht. Nach Lage des Falles gibt es für die vorgefundene kristalline Substanz keine andere Erklärung, als dass es sich dabei um Rückstände des Zusatzstoffes AdBlue (Harnstoff) gehandelt hat. Das Gericht hat keinen Grund anzunehmen, dass die Zeugen H, I und J von ihren Wahrnehmungen nicht wahrheitsgemäß berichtet hätten; es ist insbesondere einem langjährigen und geschulten Gewässeraufsichtsorgan wie der I zuzutrauen, eine Gewässerverunreinigung zu identifizieren und nicht etwa mit harmlosem glitzernden Sand zu verwechseln. Auch wenn die beiden als Zeugen vernommenen Bediensteten der Beschwerdeführerin L und K den Austritt von AdBlue aus eigenen Wahrnehmungen nicht bestätigen konnten, stützen diese Aussagen im Ergebnis doch die Annahme, dass es bei Betankungsvorgängen zum Ausfließen von AdBlue gekommen ist. Das Gericht hatte durchaus den Eindruck, dass beide Busfahrer von ihren Wahrnehmungen glaubhaft berichtet haben, soweit es um objektivierbare Umstände wie Dauer der Praxis der Verwend von Adblue auf dem eigenen Betriebsgelände, Häufigkeit und Prozedere beim Betankungsvorgang ging. Allerdings schienen beide Zeugen durchaus bemüht, sich selbst als besonders sorgfältig darzustellen, wobei immer durchklang, dass andere Kollegen nicht so sorgfältig seien mochten. Beide Zeugen haben übereinstimmend berichtet, dass man beim Betanken aufpassen musste, um nichts zu überfüllen und eingeräumt, dass aufgrund der verwendeten sehr einfachen Technik ein Überfüllen und damit ein Austritt von AdBlue beim Betanken durchaus möglich ist. Der Zeuge K hat auch darauf hingewiesen, dass man das Ende des Schlauches, welcher zum Befüllen verwendet wurde, immer hochhalten musste, weil ansonsten etwas ausgeflossen wäre. Legt man die Angaben des Zeugen K zugrunde, dass täglich etwa die Hälfte der 14-16 Busse mit AdBlue betankt wurden und dass dies über einen Zeitraum von etwa drei Wochen geschehen ist, kommt man überschlägig auf etwa 150 Betankungsvorgänge. Angesichts der als technisch sehr einfach anzusehenden und gegen Unaufmerksamkeiten nicht gesicherte Prozedur der Betankung wäre es geradezu verwunderlich, wäre es bei all diesen Betankvorgängen zu keinem Missgeschick gekommen, dass zum Austritt von AdBlue geführt hätte. In Verbindung mit den Wahrnehmungen der Zeugen H, I und J erscheint es dem Gericht daher erwiesen, dass es tatsächlich zu einer Oberflächenkontamination mit AdBlue gekommen ist, wobei im Hinblick auf die von den zuletzt angeführten Zeugen beschriebene weitgehend flächendeckende Kontamination des Containerbereichs von etwa 12 m² der Einschätzung des Amtssachverständigen G beizutreten ist, dass von einigen Litern ausgeflossenen AdBlue auszugehen ist. Die daraus resultierende Grundwassergefährdung hat der genannte Amtssachverständige schlüssig dargestellt.

3.   Erwägungen des Gerichts

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat sich bei seiner Entscheidung von folgenden Erwägungen leiten lassen.

3.1.     Anzuwendende Rechtsvorschriften

WRG 1959

§ 30. (1) Alle Gewässer einschließlich des Grundwassers sind im Rahmen des öffentlichen Interesses und nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen so reinzuhalten und zu schützen,

1.

dass die Gesundheit von Mensch und Tier nicht gefährdet werden kann,

2.

dass Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes und sonstige fühlbare Schädigungen vermieden werden können,

3.

dass eine Verschlechterung vermieden sowie der Zustand der aquatischen Ökosysteme und der direkt von ihnen abhängenden Landökosysteme und Feuchtgebiete im Hinblick auf ihren Wasserhaushalt geschützt und verbessert werden,

4.

dass eine nachhaltige Wassernutzung auf der Grundlage eines langfristigen Schutzes der vorhandenen Ressourcen gefördert wird,

5.

dass eine Verbesserung der aquatischen Umwelt, ua. durch spezifische Maßnahmen zur schrittweisen Reduzierung von Einleitungen, Emissionen und Verlusten von gefährlichen Schadstoffen gewährleistet wird.

Insbesondere ist Grundwasser sowie Quellwasser so reinzuhalten, dass es als Trinkwasser verwendet werden kann. Grundwasser ist weiters so zu schützen, dass eine schrittweise Reduzierung der Verschmutzung des Grundwassers und Verhinderung der weiteren Verschmutzung sichergestellt wird. Oberflächengewässer sind so reinzuhalten, dass Tagwässer zum Gemeingebrauch sowie zu gewerblichen Zwecken benutzt und Fischwässer erhalten werden können.

(…)

(3) 1. Unter Reinhaltung der Gewässer wird in diesem Bundesgesetz die Erhaltung der natürlichen Beschaffenheit des Wassers in physikalischer, chemischer und biologischer Hinsicht (Wassergüte), unter Verunreinigung jede Beeinträchtigung dieser Beschaffenheit und jede Minderung des Selbstreinigungsvermögens verstanden.

        (…)

§ 31. (1) Jedermann, dessen Anlagen, Maßnahmen oder Unterlassungen eine Einwirkung auf Gewässer herbeiführen können, hat mit der im Sinne des § 1297, zutreffendenfalls mit der im Sinne des § 1299 des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches gebotenen Sorgfalt seine Anlagen so herzustellen, instandzuhalten und zu betreiben oder sich so zu verhalten, daß eine Gewässerverunreinigung vermieden wird, die den Bestimmungen des § 30 zuwiderläuft und nicht durch eine wasserrechtliche Bewilligung gedeckt ist.

(2) Tritt dennoch die Gefahr einer Gewässerverunreinigung ein, hat der nach Abs. 1 Verpflichtete unverzüglich die zur Vermeidung einer Verunreinigung erforderlichen Maßnahmen zu treffen und die Bezirksverwaltungsbehörde, bei Gefahr im Verzug den Bürgermeister oder die nächst Dienststelle des öffentlichen Sicherheitsdienstes zu verständigen. Bei Tankfahrzeugunfällen hat der Lenker, sofern dieser hiezu nicht oder nicht allein in der Lage ist auch der Beifahrer, die erforderlichen Sofortmaßnahmen im Sinne der Betriebsanweisung für Tankfahrzeuge zu treffen. Die Verständigungs- und Hilfeleistungspflicht nach anderen Verwaltungsvorschriften, wie vor allem nach der Straßenverkehrsordnung, wird dadurch nicht berührt. Sind außer den Sofortmaßnahmen weitere Maßnahmen zur Vermeidung einer Gewässerverunreinigung erforderlich, so ist zu ihrer Durchführung der Halter des Tankfahrzeuges verpflichtet.

(3) Wenn die zur Vermeidung einer Gewässerverunreinigung erforderlichen Maßnahmen nicht oder nicht rechtzeitig getroffen werden, so hat die Wasserrechtsbehörde, soweit nicht der unmittelbare Werksbereich eines Bergbaues betroffen wird, die entsprechenden Maßnahmen dem Verpflichteten aufzutragen oder bei Gefahr im Verzuge unmittelbar anzuordnen und gegen Ersatz der Kosten durch den Verpflichteten nötigenfalls unverzüglich durchführen zu lassen. Wenn wegen Gefahr im Verzuge eine Anordnung der Wasserrechtsbehörde nicht abgewartet werden kann, ist der Bürgermeister befugt, die zur Vermeidung einer Gewässerverunreinigung erforderlichen Maßnahmen – soweit nicht dem Bergrecht unterliegende Anlagen betroffen werden – unmittelbar anzuordnen und gegen Ersatz der Kosten durch den Verpflichteten nötigenfalls unverzüglich durchführen zu lassen. Gefahr im Verzug ist jedenfalls gegeben, wenn eine Wasserversorgung gefährdet ist.

(…)

VwGVG

§ 27. Soweit das Verwaltungsgericht nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, hat es den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1.   der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2.   die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

(…)

VwGG

§ 25a. (1) Das Verwaltungsgericht hat im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

(…)

B-VG

Art. 133. (…)

(4) Gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Hat das Erkenntnis nur eine geringe Geldstrafe zum Gegenstand, kann durch Bundesgesetz vorgesehen werden, dass die Revision unzulässig ist.

(…)

3.2.     Rechtliche Beurteilung

3.2.1. Zunächst ist anzumerken, dass ein Antrag auf Vollausfertigung eines mündlich verkündeten Erkenntnisses keiner Begründung bedarf. Eine dennoch gegeben Begründung, wie im vorliegenden Fall die Absicht, Feststellungen oder rechtliche Erwägungen in ein Strafverfahren einfließen lassen zu wollen, sind unbeachtlich und berechtigten das Gericht insbesondere auch dann nicht zu einer Abstandnahme von der Durchführung der Vollausfertigung, wenn sich die gegebene Begründung als nicht zielführend erweist. Allerdings sei auf die Anmerkungen unter Punkt 3.2.7. hingewiesen.

3.2.2. Im vorliegenden Fall wurde ein Auftrag nach § 31 Abs. 3 WRG 1959 erlassen, weil die Beschwerdeführerin die zur Vermeidung einer Gewässerverunreinigung erforderlichen Maßnahmen – nach Beurteilung der belangten Behörde – nicht rechtzeitig von sich aus getroffen hat.

3.2.3. Nach dem System des § 31 leg. cit. ist jedermann, dessen Anlagen, Maßnahmen oder Unterlassungen eine Einwirkung auf Gewässer herbeiführen könnten, zu entsprechender Sorgfalt verpflichtet (Abs. 1). Nach dem Abs. 2 ist der in Abs. 1 Genannte auch verpflichtet, entsprechende Vermeidungsmaßnahmen zu treffen, wenn die Gefahr einer Gewässerverunreinigung „dennoch“ eintritt. Daraus ist abzuleiten, dass die Verpflichtung unabhängig davon besteht, ob die Gefährdung verschuldet wurde oder nicht (ständige Rechtsprechung, zB VwGH 25.09.2008, 2006/07/0091). Das bedeutet für den vorliegenden Fall, dass die Beschwerdeführerin als Betreiberin einer Anlage zur Betankung ihrer Busse unabhängig davon, ob sie selbst an der Herbeiführung der Gefahr einer Gewässerverunreinigung (dazu sogleich) ein Verschulden traf, zu entsprechenden Abwehrmaßnahmen verpflichtet war. Selbst im Fall von höherer Gewalt oder bei einem der Beschwerdeführerin nicht zurechenbaren Fehlverhalten eines Dritten wäre sie verpflichtet (gewesen), Maßnahmen zur Vermeidung einer Gewässerverunreinigung, die von ihrer Anlage aus ging, zu treffen.

3.2.4. Dass die Gefahr einer Gewässerverunreinigung gegeben war bzw. dass sich diese sogar durch die Verlagerung bis ins Grundwasser bereits verwirklicht hat, steht für das Gericht nach den getroffenen Feststellungen außer Zweifel. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass für den Begriff der Gewässer-verunreinigung nach der Judikatur des VwGH (zB 25.11.1999, 99/07/0144) § 30 Abs. 3 WRG 1959 maßgeblich ist; danach ist jede Beeinträchtigung der natürlichen Beschaffenheit des Wassers in physikalischer, chemischer und biologischer Hinsicht als Gewässerverunreinigung zu qualifizieren, ohne dass es noch auf weitere Kriterien, etwa eine Gefährdung von Gesundheit von Mensch und Tier, ankäme (VwGH 19.03.1998, 97/07/0131). Im Hinblick auf die vom Amtssachverständigen G beschriebenen chemischen Eingeschalten von AdBlue bzw. dessen Inhaltsstoffes, namentlich den Umstand, dass der Eintrag unter anderem zu einer Erhöhung der für die Trinkwasserqualität relevanten Nitratwerte führen kann, ist evident, dass im konkreten Fall eine Gefahr einer Gewässerverunreinigung bestand (Veränderung der chemischen Zusammensetzung in Bezug auf Stickstoffparameter). Dies vor dem Hintergrund, dass es bei dem gegebenen Bodenaufbau (Wasserdurch-lässigkeit, keine Schadstoffrückhaltung) und dem darunter vorhandenen Grundwasser (Grundwasserkörper des ***) geradezu zwangsläufig zu einer Gewässerverunreinigung kommen musste. Eine solche Gefährdung war auch konkret gegeben, zumal es – wenn nicht schon durch das Einsickern der flüssigen Harnstofflösung – durch Niederschläge, denen das kontaminierte Areal letztlich ausgesetzt war, zu einem Eintrag ins Grundwasser kommen musste, wenn entsprechende Regenfälle, wie sie dann auch eingetreten sind, zu einer Ausschwemmung und Verlagerung führen würden. Der Amtssachverständige G hat durch eine plakative Rechnung plausibel dargelegt, dass ein Liter Adblue ausreicht, um 14.000 l Trinkwasser so zu kontaminieren, dass es wegen Überschreitung des Nitratgrenzwertes als Trinkwasser gänzlich unbrauchbar wird. An der Gefahr einer Gewässerverunreinigung im Zeitpunkt des Lokalaugenscheins der belangten Behörde am 07.Juni 2021 besteht daher kein Zweifel.

3.2.5. Allerdings haben sich die Umstände seither verändert; das Gericht hat im vorliegenden Fall nicht (allein) die Rechtmäßigkeit der behördlichen Entscheidung im Zeitpunkt deren Erlassung zu überprüfen, sondern hat von der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seiner Entscheidung auszugehen (zB VwGH 25.9.2018,

Ra 2018/05/0216, mwN; 28.04.2016, 2013/07/0055). Daher sind die zwischenzeitlich eingetretenen Veränderungen, namentlich das Ausschwemmen der Kontamination durch die heftigen Niederschläge zu berücksichtigen.

3.2.6. Dabei ist zu beachten, dass wasserpolizeiliche Aufträge an dem verfassungsrechtlich gebotenen Verhältnismäßigkeitsprinzip zu messen sind (vgl. VfGH 11.06.1996, B124/95) und Mitteleinsatz und Erfolg adäquat sein müssen (vgl ZB VwGH 26.0.3. 2009, 2005/07/0038). Daraus ist nach Auffassung des Gerichtes abzuleiten, dass ein erheblicher Mitteleinsatz, wie etwa der Abtrag größerer Kubaturen oder die Durchführung einer Grundwasserreinigung im Fall einer Situation, wo damit ein spürbarer Erfolg nicht mehr erzielt werden könnte, nicht zulässig ist. Eine derartige Situation ist im vorliegenden Fall gegeben, da aufgrund der Verdünnungseffekte und der großen Entfernung zu möglichen Nutzungen eine signifikante Auswirkung auf das Grundwasser bzw. fremde Rechte im Sinne der auf fachkundiger Basis zu treffenden gebotenen Prognoseentscheidung nicht mehr zu erwarten ist. Daher hat ein gewässerpolizeilicher Auftrag nach der Sachlage im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (mündliche Verhandlung am 12. August 2021) nicht mehr zu ergehen. Der angefochtene Bescheid war aus diesem Grund ersatzlos zu beheben.

3.2.7. Zur Vermeidung von Missverständnissen sei auf Folgendes hingewiesen:

-    das Gericht hat von der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seiner Entscheidung auszugehen; für ein allfälliges Strafverfahren, bei dem es um ein mögliches Fehlverhalten zu einem früheren Zeitpunkt gehen müsste, ist daher aus der Aufhebung des in Rede stehenden Bescheides nichts zu gewinnen.

-    im Gegensatz zu einem Strafverfahren, kommt es für die Handlungsverpflichtung nach § 31 Abs. 2 nicht auf ein Verschulden des Verpflichteten an; die subjektiven Verhältnisse des Verpflichteten spielen im gewässerpolizeilichen Verfahren keine Rolle

-    da nur der Spruch, nicht aber die Begründung des Erkenntnisses in Rechtskraft erwächst, resultiert aus dem gegenständlichen Erkenntnis rechtsverbindlich nur, dass im Entscheidungszeitpunkt eine Handlungsverpflichtung der Beschwerdeführerin nicht (mehr) bestand. Da die Beschwerdeführerin aus der Begründung alleine nicht beschwert sein kann, könnte sie diese auch nicht bekämpfen; für ein Strafverfahren folgt daraus, dass eine Bindung an die Feststellungen des Gerichts im gegenständlichen Erkenntnis nicht gegeben ist; vielmehr wird die Verwaltungsstrafbehörde im Falle der Durchführung eines Strafverfahrens die für den/die in Betracht kommende(n) Tatbestand/Tatbestände erforderlichen Sachverhalts-feststellungen und dazu notwendigen Beweisaufnahmen eigenständig zu treffen haben.

3.2.8. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung war im vorliegenden Fall nicht zu lösen, ging es doch einerseits um grundsätzlich nicht reversible Fragen der Beweiswürdigung soweit andererseits um die Anwendung einer eindeutigen bzw. durch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs (vgl. die angeführten Zitate) hinreichend geklärten Rechtslage auf den Einzelfall. Die ordentliche Revision (Art. 133 Abs. 4 B-VG) gegen dieses Erkenntnis war daher nicht zuzulassen.

Schlagworte

Umweltrecht; Wasserrecht; gewässerpolizeilicher Auftrag; Maßnahmen; Handlungsverpflichtung; Sach- und Rechtslage;

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGNI:2021:LVwG.AV.1116.002.2021

Zuletzt aktualisiert am

01.12.2021
Quelle: Landesverwaltungsgericht Niederösterreich LVwg Niederösterreic, http://www.lvwg.noe.gv.at
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