TE Vfgh Erkenntnis 2021/6/7 E3007/2020

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Veröffentlicht am 07.06.2021
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Index

L9200 Sozialhilfe, Grundsicherung, Mindestsicherung

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gerichtsakt
StGG Art2
Oö Sozialhilfe-AusführungsG §7
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch die Kürzung des Richtsatzes nach dem Oö Sozialhilfe-AusführungsG; keine Berücksichtigung der bestehenden Haushaltsgemeinschaft zwischen Eheleuten bei den gemeinsamen Aufwendungen zur Deckung des Wohnbedarfs des Ehemanns; Außerachtlassung des Parteienvorbringens

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Das Land Oberösterreich ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist ein libyscher Staatsangehöriger, dem 2010 der Status als Asylberechtigter zuerkannt wurde. Er lebt mit seiner Ehefrau und seiner volljährigen Tochter in einem gemeinsamen Haushalt und bezieht zumindest seit 2014 Leistungen der Mindestsicherung bzw Sozialhilfe. Am 9. Jänner 2020 stellte der Beschwerdeführer erneut einen Antrag, die Gewährung von Sozialhilfeleistungen zu verlängern, und führte dazu aus, dass sich seine Lebensumstände und die seiner Familie im Vergleich zu seiner letzten Antragstellung nicht verändert hätten. Mit Bescheid vom 7. Februar 2020 gab die Bezirkshauptmannschaft Linz-Land dem Antrag Folge und gewährte Leistungen zur Unterstützung des Lebensunterhalts bzw zur Befriedigung des Wohnbedarfs für ihn und seine Ehefrau. Am 18. Februar 2020 gab der Beschwerdeführer der Behörde bekannt, dass ihm zwischenzeitlich auf Grund seiner Behinderung ein Behindertenpass ausgestellt worden sei. Mit Bescheid vom 3. März 2020 hob die Bezirkshauptmannschaft Linz-Land daher ihren Bescheid vom 7. Februar 2020 auf und entschied neuerlich, dass dem Beschwerdeführer Leistungen zur Unterstützung des Lebensunterhalts bzw zur Befriedigung des Wohnbedarfs für ihn und seine Ehefrau zuzuerkennen seien. Zur Höhe der Leistungen wurde unter anderem ausgeführt, dass dem Beschwerdeführer auf Grund der Ausstellung des Behindertenpasses ein Zuschlag gemäß §7 Abs4 Oö. Sozialhilfe-Ausführungsgesetz (im Folgenden: Oö. SOHAG) gebühre. Aus dem dem Bescheid beigefügten Berechnungsblatt ergibt sich hinsichtlich der Leistung des Beschwerdeführers überdies, dass ihm der Richtsatz gemäß §7 Abs2 Z2 lita Oö. SOHAG sowie ein Zuschlag gemäß §7 Abs4 Oö. SOHAG zuerkannt und dass diese Leistungen aber um € 160,54 gekürzt wurden.

2. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Bescheidbeschwerde und brachte insbesondere vor, dass die Reduktion seiner Leistungen um 25 % des Richtsatzes nach §7 Abs2 Z2 lita Oö. SOHAG auf Grund des fehlenden Wohnungsaufwandes zum einen keine Deckung im Spruch des Bescheides finde, sondern nur im Berechnungsblatt erkennbar sei. Das Berechnungsblatt stehe somit im Widerspruch zum Spruch des Bescheides. Zum anderen entbehre diese Vorgehensweise einer rechtlichen Grundlage, da der Beschwerdeführer ebenso den Wohnungsaufwand zu tragen habe wie seine Ehefrau. Bereits aus den Ehepflichten ergebe sich, dass er seiner Frau beizustehen und ihr Unterhalt zu leisten habe. Schon auf Grund dieser gegenseitigen Unterhaltspflicht habe auch er einen Teil des Wohnungsaufwandes zu tragen. Zudem gebe es keine anderslautende Vereinbarung zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Ehefrau. Nur die Tatsache, dass die Miete vom Konto der Ehefrau überwiesen werde, lasse nicht darauf schließen, dass der Beschwerdeführer nicht auch den Wohnungsaufwand mittrage. Der Bescheid sei daher dementsprechend abzuändern.

3. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich führte am 21. Juli 2020 eine mündliche Verhandlung durch und verkündete im Anschluss sein Erkenntnis, welches es auf Antrag des Beschwerdeführers schriftlich ausfertigte. Der Beschwerde wurde hinsichtlich anderer – hier nicht relevanter – Beschwerdepunkte Folge gegeben. Sofern sich die Beschwerde gegen die Reduktion der Leistungen des Beschwerdeführers mangels Wohnbedarfs wendet, wurde sie als unbegründet abgewiesen. Dazu führt das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich in der rechtlichen Beurteilung wie folgt aus:

"Hinsichtlich des Beschwerdevorbringens zur Kürzung des Rechtsatzes mangels Aufwendungen zum Wohnbedarf ist auszuführen, dass §7 Abs9 Oö. SOHAG vorsieht, dass dann, wenn eine bezugsberechtigte volljährige Person keine Aufwendungen zur Deckung des Wohnbedarfs für Miete, Betriebs- und Energiekosten hat, der für sie anzuwendende Richtsatz nach Abs2 Z1 oder Z2 lita oder b im Ausmaß von 25 % zu verringern ist. Hat die bezugsberechtigte volljährige Person zwar Aufwendungen zur Deckung des Wohnbedarfs für Miete, Betriebs- und Energiekosten, erreichen diese aber nicht ein Ausmaß von 25 %, ist der Richtsatz nach Abs2 Z1, Z2 lita oder b im entsprechenden Ausmaß zu reduzieren.

Die erläuternden Bemerkungen zum Oö. SOHAG (Oö. Landtag: Beilage 1180/2019, XXVIII. GP) führen zur Berücksichtigung von Leistungen Dritter und von eigenen Mitteln Nachfolgendes aus:

'Abs9 macht im Sinn der gebotenen sachlichen Differenzierung deutlich, dass jene Personen, die nicht durch Aufwendungen im Bereich des Wohnbedarfs (Miete, Betriebs- und Energiekosten) belastet sind (zB weil der Wohnungsaufwand auf Grund vertraglicher Regelungen von dritten Personen zu tragen ist), nicht den vollen Richtsatz, sondern lediglich einen reduzierten Richtsatz erhalten sollen. Das Ausmaß dieser Reduktion wird unter Zugrundelegung von Berechnungen der Statistik Austria (EU-SILC) mit 25 % des jeweils anzuwendenden Richtsatzes festgesetzt. Schließlich erklärt Abs9 2. Satz noch die Vorgehensweise im Hinblick auf die Reduktion des Richtsatzes bei sehr geringen Wohnkosten.'

Nachdem nur die Ehegattin des Bf Kosten für den Wohnaufwand nachgewiesen hat war der Richtsatz der übrigen im Haushalt lebenden Personen um 25 % zu kürzen." (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)

4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.

5. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich und die Bezirkshauptmannschaft Linz-Land als belangte Behörde vor dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich haben die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber abgesehen.

II. Rechtslage

Das Oö. Sozialhilfe-Ausführungsgesetz (Oö. SOHAG), LGBl 107/2019, idF LGBl 6/2020 lautet auszugsweise wie folgt:

"§6

Sachliche Voraussetzungen für die Leistung der Sozialhilfe

(1) Voraussetzung für die Leistung der Sozialhilfe ist, dass eine Person im Sinn des §5

  1. von einer sozialen Notlage (Abs2) betroffen ist und

  2. bereit ist, sich um die Abwendung, Milderung bzw Überwindung der sozialen Notlage zu bemühen (Abs4).

(2) Eine soziale Notlage liegt bei Personen vor,

  1. die ihren eigenen Lebensunterhalt und Wohnbedarf oder

  2. den Lebensunterhalt und Wohnbedarf von unterhaltsberechtigten Angehörigen, die mit ihnen in Haushaltsgemeinschaft leben,

nicht decken können.

[…]

§7

Monatliche Leistungen der Sozialhilfe mit Rechtsanspruch

(1) Die Leistung der Sozialhilfe erfolgt in Form von monatlichen, zwölfmal im Jahr gebührenden pauschalen Geldleistungen oder Sachleistungen zur Unterstützung des Lebensunterhalts sowie zur Befriedigung eines ausreichenden und zweckmäßigen, das Maß des Notwendigen aber nicht überschreitenden Wohnbedarfs.

(2) Die Summe der Geld- und Sachleistungen (Richtsätze) nach Abs1 beträgt pro Person und Monat bezogen auf den Netto-Ausgleichszulagen-Richtsatz für Alleinstehende

  1. für eine alleinstehende oder alleinerziehende Person 100 %

  2. für in Haushaltsgemeinschaft lebende volljährige Personen

    a) pro Person                                                                      70 %

    b) ab der dritten leistungsberechtigten Person                             45 %

[…]

(4) Für volljährige und minderjährige Personen mit Behinderung (§40 Abs1 und 2 BBG, BGBl Nr 283/1990, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 150/2002) ist zur weiteren Unterstützung des Lebensunterhalts, sofern nicht höhere Leistungen auf Grund besonderer landesgesetzlicher Bestimmungen, die an eine Behinderung anknüpfen, gewährt werden, ein Zuschlag in Höhe von 18 % pro Person bezogen auf den Netto-Ausgleichszulagen-Richtsatz für Alleinstehende zu gewähren.

(5) Eine Haushaltsgemeinschaft bilden mehrere in einer Wohneinheit oder Wohngemeinschaft lebende Personen, soweit eine gänzliche oder teilweise gemeinsame Wirtschaftsführung nicht auf Grund besonderer Umstände ausgeschlossen werden kann. Leben mehr als zwei bezugsberechtigte, volljährige Personen in Haushaltsgemeinschaft, ist für die beiden ältesten Personen der Richtsatz gemäß Abs2 Z2 lita heranzuziehen. Die Leistungen gemäß Abs2 Z3 sind nach dem Alter in absteigender Reihenfolge zu gewähren, wobei für die älteste minderjährige Person der Richtsatz gemäß Abs2 Z3 lita heranzuziehen ist.

[…]

(9) Hat eine bezugsberechtigte volljährige Person keine Aufwendungen zur Deckung des Wohnbedarfs für Miete, Betriebs- und Energiekosten, ist der für sie anzuwendende Richtsatz nach Abs2 Z1 oder Z2 lita oder b im Ausmaß von 25 % zu verringern. Hat die bezugsberechtigte volljährige Person zwar Aufwendungen zur Deckung des Wohnbedarfs für Miete, Betriebs- und Energiekosten, erreichen diese aber nicht ein Ausmaß von 25 %, ist der Richtsatz nach Abs2 Z1 oder Z2 lita oder b im entsprechenden Ausmaß zu reduzieren.

[…]"

III. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

3. Ein solcher Fehler ist dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich unterlaufen:

3.1. Gemäß §7 Abs9 Oö. SOHAG ist für eine bezugsberechtigte volljährige Person der Richtsatz nach §7 Abs2 Z1 oder Z2 lita oder b Oö. SOHAG im Ausmaß von 25 % zu verringern, sollte diese keine Aufwendungen zur Deckung des Wohnbedarfs für Miete, Betriebs- und Energiekosten haben. Für den Fall, dass derartige Aufwendungen anfallen, diese aber nicht ein Ausmaß von 25 % des jeweiligen Richtsatzes erreichen, ist der Richtsatz im entsprechenden Ausmaß zu reduzieren. Den Erläuterungen zu dieser Bestimmung zufolge soll es nur dann zu einer Kürzung des Richtsatzes kommen, wenn die bezugsberechtigte Person "nicht durch Aufwendungen im Bereich des Wohnbedarfs (Miete, Betriebs- und Energiekosten) belastet" wird. Als Beispiel wird die Tragung des Wohnungsaufwandes durch Dritte auf Grund vertraglicher Regelungen angeführt (AB 1180/2019 BlgLT [Oö.] 28. GP, 13). Denkbar wäre zB die im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung gewährte Wohnbeihilfe nach dem Oö. Wohnbauförderungsgesetz 1993.

3.2. In den Erläuterungen zu §6 Abs2 Oö. SOHAG hat der Ausführungsgesetzgeber überdies klargestellt, dass soziale Notlagen jeweils auf der Ebene eines Haushaltes betrachtet werden (AB 1180/2019 BlgLT [Oö.] 28. GP, 9 f.). Eine Haushaltsgemeinschaft bilden nach §7 Abs5 Oö. SOHAG mehrere in einer Wohneinheit oder Wohngemeinschaft lebende Personen, soweit eine gänzliche oder teilweise gemeinsame Wirtschaftsführung nicht auf Grund besonderer Umstände ausgeschlossen werden kann. Die grundsätzliche Annahme, dass mehrere in einer Wohneinheit oder sonstigen Wohngemeinschaft lebende Personen eine Haushaltsgemeinschaft bilden, ist – so die Erläuterungen – auf Grund der damit regelmäßig verbundenen Kostenersparnis gerechtfertigt. Dabei spielt es keine Rolle, ob zwischen diesen im gemeinsamen Haushalt lebenden Personen unterhaltsrechtliche Beziehungen bestehen oder nicht (AB 1180/2019 BlgLT [Oö.] 28. GP, 12; vgl auch VwGH 16.2.2021, Ra 2020/10/0147).

3.3. Wesentliches Kriterium für die Frage, ob ein gemeinsamer Haushalt bzw eine Haushaltsgemeinschaft vorliegt, ist nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes – auf die in den Erläuterungen ebenfalls verwiesen wird – "dass zumindest in Teilbereichen eine gemeinsame Wirtschaftsführung besteht" (VwGH 23.10.2012, 2012/10/0020; vgl weiters VwGH 16.2.2021, Ra 2020/10/0147). Dem Grundsatz folgend, dass in Haushaltsgemeinschaft lebende Personen erfahrungsgemäß geringere Wohnkosten und – in einem gewissen Ausmaß – auch geringere Lebenshaltungskosten zu tragen haben (vgl VfSlg 20.244/2018, 20.297/2018, 20.300/2018, 20.359/2019), ist in §7 Abs2 Oö. SOHAG eine degressive Abstufung der Richtsätze festgelegt (AB 1180/2019 BlgLT [Oö.] 28. GP, 11). Eine gemeinsame Wirtschaftsführung bringt es zwangsläufig auch mit sich, dass gewisse Ausgaben vordergründig nur von einer Person der Haushaltsgemeinschaft bezahlt werden, diese jedoch wirtschaftlich betrachtet Ausgaben der gesamten Haushaltsgemeinschaft darstellen.

3.4. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich geht in seiner rechtlichen Begründung davon aus, dass gemäß §7 Abs9 Oö. SOHAG eine Kürzung des Richtsatzes mangels Aufwendungen zum Wohnbedarf dann vorzunehmen sei, wenn eine bezugsberechtigte volljährige Person keine Aufwendungen zur Deckung des Wohnbedarfs für Miete, Betriebs- und Energiekosten habe. Nach einem Verweis auf die Erläuterungen zu der Bestimmung kommt das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich ohne nähere Begründung zu dem Schluss, dass nur die Ehegattin des Beschwerdeführers Kosten für den Wohnungsaufwand durch Vorlage ihrer Kontoauszüge nachgewiesen habe, weshalb der Richtsatz der übrigen im Haushalt lebenden Personen um 25 % zu kürzen sei.

3.5. Wie der Beschwerdeführer jedoch schon zutreffend in seiner Bescheidbeschwerde ausgeführt hat, kann alleine aus der Tatsache, dass seine Ehegattin den Mietzins von ihrem Konto – auf welches auch die Sozialhilfeleistungen für die gesamte Haushaltsgemeinschaft ausbezahlt werden – überweist, nicht darauf geschlossen werden, dass die übrigen im Haushalt lebenden (volljährigen) Personen, insbesondere auch der Beschwerdeführer, mit keinen Aufwendungen für den Wohnbedarf belastet wären. Wie oben bereits dargestellt, wäre das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich gehalten gewesen, die wirtschaftliche Situation der gesamten Haushaltsgemeinschaft zu beurteilen. Eine solche Gesamtbeurteilung führt zu dem Ergebnis, dass entweder für alle Mitglieder der Haushaltsgemeinschaft ein zu deckender Wohnbedarf vorhanden ist und/oder dass dieser (zumindest teilweise) anderweitig, zB durch Dritte, gedeckt wird. Aus den Feststellungen des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich ergibt sich jedoch unzweifelhaft, dass weder der Wohnbedarf des Beschwerdeführers noch der seiner Haushaltsgemeinschaft (von Dritten) gedeckt wird, sondern lediglich, dass die Ehegattin des Beschwerdeführers die Überweisung der Miete von ihrem Konto durchführt.

4. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat somit §7 Abs9 Oö. SOHAG grob unrichtig ausgelegt, indem es alleine auf Grund der Tatsache, dass die Ehegattin des Beschwerdeführers einen Kontoauszug des Kontos, auf das die gesamten Sozialhilfeleistungen der Haushaltsgemeinschaft überwiesen und von dem die Mietzinszahlungen geleistet werden würden, vorgelegt habe, davon ausgegangen ist, dass der Beschwerdeführer keine Aufwendungen zur Deckung seines Wohnbedarfs hätte. Deswegen und weil das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich überdies das diesbezügliche Vorbringen des Beschwerdeführers völlig außer Acht gelassen hat, hat es seine Entscheidung mit Willkür belastet (vgl VfGH 23.2.2021, E2244/2020 mwN).

IV. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

2. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil der Beschwerdeführer Verfahrenshilfe im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießt.

Schlagworte

Mindestsicherung, Sozialhilfe, Behinderte, Entscheidungsbegründung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:E3007.2020

Zuletzt aktualisiert am

01.12.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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