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82/02 Gesundheitsrecht allgemeinLeitsatz
Aufhebung der angefochtenen Entscheidung im AnlassfallSpruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in seinen Rechten verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
1. Mit Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien vom 2. Juli 2020 wurde über den Beschwerdeführer wegen einer Übertretung der §§3 und 1 COVID-19-Maßnahmengesetz (COVID-19-MG) iVm §3 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (im Folgenden: COVID-19-Maßnahmenverordnung-96) eine Geldstrafe in Höhe von € 3.000,– (Ersatzfreiheitsstrafe 3 Tage) verhängt. Dem Beschwerdeführer wurde zusammengefasst zur Last gelegt, er habe als gemäß §9 Abs1 VStG nach außen berufenes Organ am 26. März 2020, 13:00 Uhr, nicht dafür Sorge getragen, dass die Betriebsstätte der Betriebsart Gastgewerbe nicht betreten werde, als er durch den sogenannten "Gassenverkauf" vor der Betriebsstätte Essensbestellungen angenommen habe.
2. Mit Erkenntnis vom 23. Oktober 2020 gab das Verwaltungsgericht Wien der dagegen erhobenen Beschwerde insoweit Folge, als es die verhängte Geldstrafe auf € 1.450,– (Ersatzfreiheitsstrafe 1 Tag und 12 Stunden) herabsetzte.
Begründend führte das Verwaltungsgericht Wien im Wesentlichen aus, das Betreten von Betriebsstätten sämtlicher Betriebsarten der Gastgewerbe sei gemäß §3 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 in der Zeit von 17. März 2020 bis 13. April 2020 untersagt gewesen. Der Rechtsansicht des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (BMSGPK) folgend umfasse der Kundenbereich von Betriebsstätten nicht nur die Betriebsstätte selbst, sondern auch die im Schreiben des BMSGPK beispielhaft aufgezählten Orte (Drive In, Vorplätze von Imbissständen, Gastgärten etc.). Der Beschwerdeführer, der im Türbereich innerhalb des Lokals einen Tisch aufgestellt und von dort die Kunden bedient habe, sei sohin innerhalb der Betriebsstätte tätig gewesen und sei ein Betreten der Betriebsstätte des Gastgewerbes für die Kunden unumgänglich gewesen.
3. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in Rechten durch Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung (§3 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96), in eventu die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Erwerbsausübung behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.
4. Aus Anlass dieser Beschwerde leitete der Verfassungsgerichtshof gemäß Art139 Abs1 Z2 B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit des §3 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19, BGBl II 96/2020, ein. Mit Erkenntnis vom 29. September 2021, V188/2021 ua, hat der Verfassungsgerichtshof die Gesetzwidrigkeit der bezeichneten Bestimmung festgestellt.
5. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
5.1. Das Verwaltungsgericht Wien hat eine gesetzwidrige Verordnungsbestimmung angewendet. Es ist nach Lage des Falles offenkundig, dass ihre Anwendung für die Rechtsstellung des Beschwerdeführers nachteilig war.
5.2. Der Beschwerdeführer wurde also durch das angefochtene Erkenntnis wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in seinen Rechten verletzt (zB VfSlg 10.303/1984, 10.515/1985).
6. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben.
7. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
8. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in Höhe von € 240,– enthalten.
Schlagworte
VfGH / AnlassfallEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2021:E4135.2020Zuletzt aktualisiert am
01.12.2021