TE Vwgh Beschluss 2021/11/8 Ra 2021/19/0226

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Veröffentlicht am 08.11.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Passrecht Fremdenrecht
49/01 Flüchtlinge

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
B-VG Art133 Abs4
FlKonv Art1 AbschnA Z2
MRK Art3
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie den Hofrat Dr. Faber und die Hofrätin Dr. Funk-Leisch als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Seiler, in der Revisionssache des I T (alias I A S), vertreten durch Mag. Paul Hechenberger, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Bozner Platz 7, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Mai 2021, G315 2166659-1/32E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein irakischer Staatsangehöriger, stellte am 29. Juni 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er vor, er habe seinen Heimatstaat aus Angst vor Bombenanschlägen verlassen. Er sei bei der Detonation einer Bombe in Bagdad im Jahr 2012 schwer verletzt worden. Einer seiner Brüder sei angeschossen und ein weiterer ebenfalls bei einer Bombenexplosion verletzt worden.

2        Mit Bescheid vom 17. Juli 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobenen Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

6        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7        Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, das BVwG hätte bei seiner Beurteilung, ob dem Revisionswerber Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention drohe, die dem Einzelfall zugrundeliegenden Aspekte berücksichtigen müssen. Es sei lebensnah und nachvollziehbar, dass eine Person nach einem derartigen Erlebnis, wie es dem Revisionswerber widerfahren sei, in Angst lebe.

8        Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 21.5.2021, Ra 2019/19/0428, mwN).

9        Das BVwG erachtete es als glaubwürdig, dass der Revisionswerber Opfer einer Bombenexplosion im Irak geworden sei, gelangte jedoch zu dem Ergebnis, dass dem Revisionswerber in seinem Herkunftsstaat keine individuelle und konkret gegen ihn persönlich gerichtete Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention drohe. Bei der Explosion habe es sich um keinen gezielt gegen den Revisionswerber gerichteten Anschlag gehandelt. Der Revisionswerber, der zuletzt im Jahr 2013 operiert worden sei, habe sich zudem bis zu seiner Ausreise im Juni 2015 ohne weitere Vorkommnisse in Bagdad aufgehalten und somit kein zum Zeitpunkt seiner Ausreise kausales und fluchtauslösendes Ereignis vorgebracht. Diesen Erwägungen tritt die Revision nicht substantiiert entgegen.

10       Hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten bringt die Revision zu ihrer Zulässigkeit vor, das BVwG habe den Gesundheitszustand des Revisionswerbers, insbesondere die Dauerfolgen seiner Verletzung, nicht ausreichend berücksichtigt. Aus den Länderfeststellungen ergebe sich, dass der Revisionswerber aufgrund seiner Invalidität zu den gefährdetsten Personengruppen im Irak zähle und überproportional vom bewaffneten Konflikt, von Gewalt und anderen Notsituationen betroffen sei. Die medizinische Versorgung in Österreich sei nicht mit jener im Irak vergleichbar.

11       Der Verwaltungsgerichtshof erkennt in ständiger Rechtsprechung, dass bei der Prüfung betreffend die Zuerkennung von subsidiärem Schutz eine Einzelfallprüfung vorzunehmen ist, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr („real risk“) einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Nach der auf der Rechtsprechung des EGMR beruhenden hg. Judikatur ist eine solche Situation nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK ist nicht ausreichend. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (vgl. etwa VwGH 16.3.2021, Ra 2020/19/0324, mwN).

12       Der Verwaltungsgerichtshof hat auch wiederholt ausgesprochen, dass ein Fremder im Allgemeinen zwar kein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben, wobei die Kosten der Behandlung und der Medikamente, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks und die für den Zugang zur Versorgung zurückzulegende Entfernung zu berücksichtigen sind. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Solche liegen jedoch jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt (vgl. VwGH 21.5.2019, Ro 2019/19/0006, mwN und unter Hinweis auf EGMR 13.12.2016, Paposhvili/Belgien, 41.738/10).

13       Entgegen dem Revisionsvorbringen setzte sich das BVwG umfassend mit dem Gesundheitszustand des Revisionswerbers auseinander und gelangte zu der Feststellung, dass dessen rechter Arm infolge einer Bombenexplosion schwer verletzt worden sei, er deswegen aber, mit Ausnahme der Anwendung einer Salbe, nicht mehr behandelt werde. Der Revisionswerber sei eingeschränkt arbeitsfähig, anpassungsfähig und verfüge über gute Schulbildung und Berufserfahrung. Auch wenn er einem Personenkreis zuzurechnen sei, von dem anzunehmen sei, dass er sich in Bezug auf die individuelle Versorgungslage schutzbedürftiger darstelle als die übrige Durchschnittsbevölkerung, sei davon auszugehen, dass er grundsätzlich in der Lage sein werde, sich mit eigener Erwerbstätigkeit zumindest ein teilweise ausreichendes Einkommen zu erwirtschaften. Überdies lebe seine Familie in Bagdad, mit welcher er in Kontakt stehe und welche ihn unterstützen könne.

14       Die Revision zeigt mit ihrem bloß allgemein gehaltenen Vorbringen nicht auf, dass die Beurteilung des BVwG, dem Revisionswerber drohe im Fall einer Rückkehr nach Bagdad keine Verletzung seiner Rechte nach Art. 3 EMRK, fallbezogen unvertretbar wäre.

15       In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 8. November 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021190226.L00

Im RIS seit

01.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

13.12.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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