TE Vwgh Erkenntnis 2021/11/10 Ra 2021/19/0062

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Veröffentlicht am 10.11.2021
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht
49/01 Flüchtlinge

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
FlKonv Art1 AbschnA Z2

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Seiler, über die Revision des M A F A, vertreten durch Dr. Gerhard Mory, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19/5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. Jänner 2021, L503 2186170-1/16E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein irakischer Staatsangehöriger, stellte am 30. September 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Laufe des Verfahrens unter anderem damit begründete, dass er zum Christentum konvertiert sei und deshalb befürchte, im Irak getötet zu werden.

2        Mit Bescheid vom 5. Jänner 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        Begründend führte das BVwG - soweit für das Revisionsverfahren maßgeblich - aus, dass sich in der mündlichen Verhandlung keine Hinweise auf eine bloße Scheinkonversion des Revisionswerbers ergeben hätten. Der Revisionswerber sei seit 21. Jänner 2018 getauft, besuche regelmäßig Gottesdienste und engagiere sich in der evangelischen Kirchengemeinde. Aus den Länderfeststellungen ergebe sich, dass Christen im Irak zwar generell mit Schwierigkeiten zu kämpfen hätten, dass sich für sie die Lage in der Autonomen Region Kurdistan jedoch erheblich besser darstelle. Aus den Angaben des Revisionswerbers gehe zudem deutlich hervor, dass er nicht beabsichtige, seinen Glauben im Fall seiner Rückkehr in exponierter Weise zu leben.

5        Mit Beschluss vom 10. März 2021, E 513/2021-6, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis gerichteten Beschwerde ab.

6        Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen dieses Erkenntnis erhobene (außerordentliche) Revision nach Einleitung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

7        Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit unter anderem vor, das BVwG habe es hinsichtlich der Einschätzung, wonach der Revisionswerber nicht die Absicht verfolge, im Irak seinen Glauben in exponierter Weise zu praktizieren, unterlassen, auf sämtliche, für diese Beurteilung relevanten Ermittlungs- und Beweisergebnisse Bedacht zu nehmen. Aus der Berichtslage gehe eindeutig hervor, dass in der irakischen Gesellschaft eine Feindseligkeit gegenüber Konvertiten bestehe. Das BVwG habe die Verfolgung durch private Akteure nur unzureichend geprüft und die Berichtslage außer Acht gelassen.

8        Die Revision ist zulässig und auch berechtigt.

9        Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage einer drohenden Verfolgung von zum christlichen Glauben konvertierten Muslimen ist maßgeblich, ob der Asylwerber bei weiterer Ausführung seines behaupteten inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsse, aus diesem Grund mit einer die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktion belegt zu werden (vgl. VwGH 18.5.2017, Ra 2016/20/0022, mwN).

10       Der Verwaltungsgerichtshof hat unter Hinweis auf die Judikatur des EuGH bereits erkannt, dass eine begründete Furcht des Antragstellers vor asylrelevanter Verfolgung vorliegt, sobald nach Auffassung der zuständigen Behörden im Hinblick auf die persönlichen Umstände des Antragstellers vernünftigerweise anzunehmen ist, dass er nach Rückkehr in sein Herkunftsland religiöse Betätigungen vornehmen wird, die ihn der tatsächlichen Gefahr einer Verfolgung aussetzen (vgl. VwGH 20.8.2020, Ra 2020/19/0239, mwN).

11       Die Begründung eines Erkenntnisses des Verwaltungsgerichts hat nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes jenen Anforderungen zu entsprechen, die in seiner Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Danach erfordert dies in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalts, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche die Behörde im Fall des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheids geführt haben. Diesen Erfordernissen werden die Verwaltungsgerichte dann gerecht, wenn sich die ihre Entscheidungen tragenden Überlegungen zum maßgeblichen Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen selbst ergeben (vgl. VwGH 25.6.2019, Ra 2018/19/0459, mwN).

12       Diesen Grundsätzen hat das BVwG - wie die Revision zutreffend aufzeigt - im vorliegenden Fall nicht entsprochen:

13       Das BVwG legte seiner Entscheidung eine aus innerer Überzeugung erfolgte Konversion zugrunde und kam zu dem Schluss, dass der Revisionswerber seinen christlichen Glauben in der Autonomen Region Kurdistan weitgehend unbehelligt praktizieren könne. Diese Annahme findet jedoch in den Länderfeststellungen des angefochtenen Erkenntnisses keine Deckung. Darin wird vielmehr festgehalten, dass Christen in der Autonomen Region Kurdistan zwar grundsätzlich in Frieden leben können, hingegen aber Personen, welche vom Islam zum Christentum konvertiert sind, Ächtung und Gewalt durch die Gesellschaft, den Stamm, die Familie oder bewaffnete Gruppen ausgesetzt seien. Es gebe gemeldete Fälle von (auch tödlicher) Gewalt wegen eines Religionswechsels in der Autonomen Region Kurdistan. Auf Grund weitverbreiteter Feindseligkeiten gegenüber Konvertiten würden diese ihren Glaubenswechsel vielfach geheim halten.

14       Der Begründung des BVwG lässt sich auch nicht nachvollziehbar entnehmen, weshalb es davon ausging, dass der Revisionswerber nicht beabsichtige, „seinen Glauben in exponierter Weise zu leben“, zumal das BVwG festgestellt hat, dass der Revisionswerber regelmäßig Gottesdienste besuche und sich in der evangelischen Gemeinde engagiere. Die Einschätzung des BVwG steht auch im Widerspruch zum Vorbringen des Revisionswerbers in der mündlichen Verhandlung, in der er angab, dass ihm ein freies Leben im Irak als Christ nicht möglich sei, weil man dort weder die Kirche besuchen noch die Bibel lesen dürfe, und dass er im Falle einer Rückkehr jedenfalls über seine neue Religion sprechen wolle.

15       Damit hält das angefochtene Erkenntnis den dargestellten Anforderungen an eine überprüfbare Begründung nicht stand.

16       Das angefochtene Erkenntnis war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

17       Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil der Revisionswerber im Hinblick auf die bewilligte Verfahrenshilfe von der Entrichtung der Eingabegebühr befreit war.

Wien, am 10. November 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021190062.L01

Im RIS seit

01.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

13.12.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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