TE Vwgh Beschluss 2021/11/11 Ra 2021/19/0312

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Veröffentlicht am 11.11.2021
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Index

24/01 Strafgesetzbuch
41/02 Passrecht Fremdenrecht
49/01 Flüchtlinge
82/02 Gesundheitsrecht allgemein

Norm

AsylG 2005 §6 Abs1 Z4
FlKonv Art33 Abs2
SMG 1997 §28a Abs1
StGB §130
StGB §43 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Seiler, in der Revisionssache des S M, vertreten durch Dr. Max Kapferer, Dr. Thomas Lechner und Dr. Martin Dellasega, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Schmerlingstraße 2/2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. Jänner 2021, W259 2211051-1/22E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger des Iran, stellte am 9. März 2011 einen Antrag auf internationalen Schutz. Das (damals zuständige) Bundesasylamt erkannte dem Revisionswerber mit Bescheid vom 5. Juli 2011 den Status des Asylberechtigten zu und stellte fest, dass dem Revisionswerber die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes zukomme.

2        Mit Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 18. April 2018 wurde der Revisionswerber rechtskräftig wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 fünfter Fall SMG sowie des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall sowie Abs. 2 SMG zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten verurteilt.

3        Mit Bescheid vom 5. November 2018 erkannte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) dem Revisionswerber den Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ab und stellte fest, dass ihm gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr zukomme (Spruchpunkt I.). Zudem erkannte das BFA dem Revisionswerber den Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zu (Spruchpunkt II.), erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.), stellte fest, dass seine Abschiebung in den Iran zulässig sei (Spruchpunkt V.), legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest (Spruchpunkt VI.) und erließ gegen den Revisionswerber ein auf zehn Jahre befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt VII.).

4        Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 29. Jänner 2021 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung hinsichtlich der Spruchpunkte I., III., IV. und VI. des Bescheides als unbegründet ab. Die Spruchpunkte II. und V. des Bescheides änderte es mit der Maßgabe ab, dass dem Revisionswerber gemäß § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt werde und gemäß § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 AsylG 2005 und § 52 Abs. 9 FPG festgestellt werde, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Revisionswerbers in den Iran unzulässig sei. Hinsichtlich Spruchpunkt VII. gab das BVwG der Beschwerde insoweit statt, als die Dauer des verhängten Einreiseverbots auf fünf Jahre herabgesetzt wurde. Zudem sprach das BVwG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

5        Begründend führte das BVwG - soweit hier maßgeblich - aus, dass der Revisionswerber durch die Schwere seiner Tat ein besonders schweres Verbrechen verwirklicht habe und als aktuelle Gefahr für die Gesellschaft und Allgemeinheit angesehen werden müsse, weshalb ihm der Status des Asylberechtigten abzuerkennen gewesen sei. Auch die Voraussetzung für die Aberkennung subsidiären Schutzes würden daher gemäß § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 vorliegen. Dem Revisionswerber sei daher der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 3a AsylG 2005 nicht zuzuerkennen gewesen. Da das BFA jedoch zu Unrecht davon ausgegangen sei, dass dem Revisionswerber bei einer Rückkehr in den Iran keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 und Art. 3 EMRK drohe, sei die diesbezügliche Abweisung mit einer Rückkehrentscheidung und der Feststellung zu verbinden gewesen, dass (derzeit) die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Iran unzulässig sei.

6        Mit Beschluss vom 8. Juni 2021, E 887/2021-5, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis gerichteten Beschwerde ab und trat die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

7        In der Folge wurde die gegenständliche außerordentliche Revision erhoben.

8        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9        Die Revision bringt zur Begründung Zulässigkeit vor, das BVwG sei hinsichtlich der Beurteilung der vom Revisionswerber verübten Straftaten als besonders schweres Verbrechen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen. Die vom Verwaltungsgerichtshof diesbezüglich aufgestellten Voraussetzungen würden nämlich nicht vorliegen. Das BVwG habe nicht berücksichtigt, dass bei der gegen den Revisionswerber verhängten Freiheitsstrafe nicht einmal ein Drittel des Strafrahmens ausgeschöpft worden und der Revisionswerber bis zu dieser Verurteilung unbescholten gewesen sei. Zwar sei der Revisionswerber wegen Suchtgifthandels rechtskräftig verurteilt worden, jedoch gehe keine Gemeingefahr von ihm aus. Insoweit sei das BVwG auch an die Feststellungen der strafgerichtlichen Verurteilung gebunden. Zudem würden die privaten Interessen des Revisionswerbers am Verbleib in Österreich das öffentliche Interesse an seiner Abschiebung überwiegen. Eine Interessenabwägung habe im Fall drohender Folter und der Todesstrafe immer zugunsten des Revisionswerbers auszugehen.

10       Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes müssen für die Anwendung des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 kumulativ vier Voraussetzungen erfüllt sein, damit ein Flüchtling trotz drohender Verfolgung in den Herkunftsstaat verbracht werden darf. Er muss (erstens) ein besonders schweres Verbrechen verübt haben, dafür (zweitens) rechtskräftig verurteilt worden, (drittens) gemeingefährlich sein und (viertens) müssen die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung seine Interessen am Weiterbestehen des Schutzes durch den Zufluchtsstaat überwiegen.

Unter den Begriff des „besonders schweren Verbrechens“ iSd § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 fallen nur Straftaten, die objektiv besonders wichtige Rechtsgüter verletzen. Typischerweise schwere Verbrechen sind etwa Tötungsdelikte, Vergewaltigung, Kindesmisshandlung, Brandstiftung, Drogenhandel, bewaffneter Raub und dergleichen (vgl. zum Ganzen VwGH 15.4.2020, Ra 2020/19/0003).

11       Das im vorliegenden Fall herangezogene Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 fünfter Fall SMG ist somit grundsätzlich vom Begriff des „besonders schweren Verbrechens“ umfasst (vgl. dazu nochmals VwGH Ra 2020/19/0003).

12       In der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wird betont, dass es auf die Strafdrohung allein bei der Beurteilung, ob ein „besonders schweres Verbrechen“ vorliegt, nicht ankommt. So genügt es demnach nicht, wenn ein abstrakt als „schwer“ einzustufendes Delikt verübt worden ist. Die Tat muss sich im konkreten Einzelfall als objektiv und subjektiv besonders schwerwiegend erweisen, wobei unter anderem auf Milderungsgründe Bedacht zu nehmen ist. Bei der Beurteilung, ob ein „besonders schweres Verbrechen“ vorliegt, ist daher eine konkrete fallbezogene Prüfung vorzunehmen und sind insbesondere die Tatumstände zu berücksichtigen (vgl. VwGH 29.8.2019, Ra 2018/19/0522).

13       Der Verwaltungsgerichtshof hat zudem bereits klargestellt, dass die Gefährdungsprognose grundsätzlich unabhängig von den - die Strafbemessung, die bedingte Strafnachsicht und den Aufschub des Strafvollzugs betreffenden - Erwägungen des Strafgerichtes erfolgt (vgl. etwa VwGH 17.12.2020, Ra 2020/18/0279, mwN).

14       Im vorliegenden Fall traf das BVwG nähere Feststellungen zu den vom Revisionswerber verübten Straftaten sowie auch zu den vom Landesgericht Innsbruck herangezogenen Milderungsgründen, wie das Geständnis des Revisionswerbers, seinen bis zur Verurteilung ordentlichen Lebenswandel und seine Gewöhnung an Suchtgift. Erschwerend wertete das BVwG das Zusammentreffen von Verbrechen und Vergehen und die Tatbegehung mit Komplizen. Es berücksichtigte die gegenständlich relevanten Tatumstände, wie das über einen längeren Zeitraum wiederholt gesetzte Fehlverhalten sowie die Überschreitung der Grenzmenge (1000g Cannabiskraut). Das BVwG setzte sich vor diesem Hintergrund eingehend mit der vom Revisionswerber ausgehenden Gefährdung auseinander. Die Absolvierung einer Suchtmittelentwöhnungstherapie und die Betreuung durch die Bewährungshilfe erachtete das BVwG als nicht ausreichend, um eine positive Zukunftsprognose zu treffen, zumal die verstrichene Zeit seit der Haftentlassung des Revisionswerbers zu kurz gewesen sei, um ein nachhaltiges Wohlverhalten seit der letzten Tatbegehung festzustellen. Auch auf Grund des Gesamtverhaltens des Revisionswerbers könne nicht ausgeschlossen werden, dass er weitere Straftaten begehe.

15       Ausgehend davon vermag die Revision weder aufzuzeigen, dass das BVwG bei der Beurteilung, es liege im Revisionsfall ein besonders schweres Verbrechen im Sinne von § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 vor, von den Leitlinien der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen wäre, noch gelingt es ihr darzutun, dass die Gefährdungsprognose vom BVwG in einer unvertretbaren Weise vorgenommen worden wäre.

16       Soweit in der Zulässigkeitsbegründung die vom BVwG vorgenommene Interessenabwägung gerügt wird, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn kein revisibler Verfahrensmangel aufgezeigt wird und sie in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung bildet (vgl. VwGH 6.7.2021, Ra 2021/19/0200, mwN). Dem Umstand, dass dem Revisionswerber bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat auf Grund seiner religiösen Einstellung physische oder psychische Gewalt drohe, trug das BVwG schon durch die Feststellung Rechnung, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Iran unzulässig sei.

17       Schließlich wird auch mit dem Vorbringen der Revision, das BVwG hätte ohne die Erlassung einer Rückkehrentscheidung kein Einreiseverbot gegen den Revisionswerber erlassen dürfen, nicht die Zulässigkeit der Revision aufgezeigt, weil das BVwG - entgegen den Ausführungen der Revision - den Bescheid vom 5. November 2018 hinsichtlich seines Spruchpunktes IV. (Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen den Revisionswerber) nicht behoben, sondern die Beschwerde in diesem Punkt als unbegründet abgewiesen hat.

18       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 11. November 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021190312.L00

Im RIS seit

01.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

20.12.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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