Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 16. November 2021 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Nordmeyer, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz-Hummel LL.M. sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Vizthum in der Strafsache gegen ***** U***** und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 Abs 2 erster Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten U***** gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Schöffengericht vom 17. Mai 2021, GZ 62 Hv 24/21x-222, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.
Dem Angeklagten U***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde – soweit hier von Bedeutung – ***** U***** des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 Abs 2 erster Fall StGB schuldig erkannt.
[2] Danach hat er am 20. Februar 2017 in S***** mit Gewalt gegen eine Person einem anderen eine fremde bewegliche Sache mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz weggenommen, indem er ***** S***** einen Faustschlag ins Gesicht versetzte, wodurch dieser zu Boden ging, und ihm einen Rucksack mit 150.000 Euro Bargeld entriss, wobei S***** durch die ausgeübte Gewalt eine an sich schwere Körperverletzung verbunden mit einer länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung in Form eines Kieferbruches rechts erlitt.
Rechtliche Beurteilung
[3] Mit seiner auf § 281 Abs 1 Z 11 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde moniert der Angeklagte U***** zu Unrecht eine Überschreitung der Strafbefugnis.
[4] Das Erstgericht verhängte eine (Zusatz-)Freiheitsstrafe unter Bedachtnahme gemäß § 31 Abs 1 (und 2) StGB auf das Urteil des slowakischen Gerichts „Okresný súd Žiar n. Hronom, Krahský súd Banská Bystrica“ vom 13. November 2019, AZ 2T/82/2019. Von der Bedachtnahme auf das Urteil des slowakischen Gerichts „Okresný súd Zvolen, Krajský súd Banská Bystrica“ vom 16. Oktober 2017, AZ 5T 73/14, nahm es jedoch Abstand und begründete dies damit, dass dieses Urteil seinerseits auf das Urteil desselben Gerichts vom 22. Jänner 2014, AZ 4T 125/11, „in Form einer 'Gesamtstrafe' Bedacht“ genommen habe. Da die hier gegenständliche Tat nach Fällung des Urteils (erster Instanz) im zuletzt genannten (slowakischen) Verfahren begangen worden sei, sei eine gemeinsame Aburteilung „aller nunmehrigen Taten“ (gemeint: aus den beiden zuletzt genannten slowakischen und dem österreichischen Verfahren) nicht möglich (US 6). Diese Sachverhaltsannahme (einer tatsächlich erfolgten „Bedachtnahme“ durch Bildung einer „Gesamtstrafe“) stützte das Erstgericht auf die – in der Hauptverhandlung verlesene (ON 221 S 7) – Auskunft aus dem Europäischen Strafregister-Informationssystem ECRIS (ON 205).
[5] Der Rüge (Z 11 erster Fall iVm Z 5 vierter und fünfter Fall) zuwider ist diese Sachverhaltsannahme weder offenbar unzureichend noch aktenwidrig begründet.
[6] Aktenwidrigkeit begründet nur die unrichtige Wiedergabe des Inhalts von Beweismitteln. Die tatrichterliche Schlussfolgerung aus der begründend angeführten ECRIS-Auskunft, anlässlich des Urteils vom 16. Oktober 2017, AZ 5T 73/14, sei (nachträglich) eine Gesamtstrafe unter Einbeziehung des Urteils vom 22. Jänner 2014, AZ 4T 125/11, verhängt worden (US 3 iVm ON 205), scheidet demnach als Bezugspunkt dieses in Anspruch genommenen Nichtigkeitsgrundes aus (RIS-Justiz RS0099431 [insbesondere T15 und T16]). Im Übrigen sind – entgegen dem Beschwerdevorbringen – in der ECRIS-Auskunft im Zusammenhang mit der „Bildung einer Gesamtstrafe“ Datum und Aktenzeichen dieser früheren Verurteilung angeführt (ON 205 S 9).
[7] Die Ableitung der damit einhergehenden Sachverhaltsannahme, im Urteil vom 16. Oktober 2017, AZ 5T 73/14, sei tatsächlich „Bedacht“ auf jenes vom 22. Jänner 2014, AZ 4T 125/11, genommen worden, aus dem genannten Eintrag in der ECRIS-Auskunft (US 6 iVm US 2 f) widerspricht zudem – der weiteren Kritik zuwider („äußerst spekulative Auslegung“) – weder den Denkgesetzen noch grundlegenden Erfahrungssätzen (RIS-Justiz RS0118317).
[8] Dass diese (nachträgliche) Entscheidung des slowakischen Gerichts einer Bedachtnahme nach österreichischem Recht gleichzuhalten ist, ergibt sich aus § 42 Abs 1 des slowakischen Strafgesetzes (vgl zum auch bei ausländischem Recht anzuwendenden Grundsatz „iura novit curia“ RIS-Justiz RS0130194, RS0099342 [T15]; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 343), der vorsieht, dass bei der Verhängung einer „Gesamtstrafe“ aus Anlass einer späteren Verurteilung so vorzugehen ist wie bei (von vornherein) gemeinsamer Aburteilung mehrerer Straftaten (vgl dazu § 41 des slowakischen Strafgesetzes), sofern die im späteren Verfahren gegenständliche(n) Tat(en) vor der früheren (verurteilenden) Entscheidung erster Instanz begangen wurde(n). Damit enthält das slowakische Strafgesetz eine dem Wesen des § 31 StGB entsprechende Bestimmung (vgl 15 Os 93/18t [zum tschechischen Recht]).
[9] Ausgehend von den (erfolglos bekämpften) Sachverhaltsannahmen des Erstgerichts erweist sich, dass dieses die Strafe ohne Überschreitung seiner Strafbefugnis verhängte. Wurde nämlich die in Rede stehende Tat (wie hier) zwischen zwei früheren Urteilen verübt und im zweiten eine Zusatzstrafe zum ersten verhängt, so ist zur Vermeidung einer Doppelbegünstigung des Täters im nunmehrigen dritten Urteil § 31 StGB nicht anzuwenden (RIS-Justiz RS0090606; Ratz in WK2 StGB § 31 Rz 5; Leukauf/Steininger/Tipold, StGB4 § 31 Rz 15). Da frühere ausländische Verurteilungen nach der ausdrücklichen Anordnung des § 31 Abs 2 StGB inländischen (im Regelungszusammenhang ohne Einschränkung) gleichstehen (vgl dazu Ratz in WK2 StGB § 31 Rz 1; Leukauf/Steininger/Tipold, StGB4 § 31 Rz 20 f), hat diese Rechtsprechung auch für die vorliegende Konstellation (der tatsächlichen Anwendung einer dem Wesen des § 31 StGB entsprechenden Bestimmung in einem früheren ausländischen Urteil) Gültigkeit. Die Frage, wie vorzugehen wäre, wenn eine ausländische Rechtsordnung kein § 31 StGB vergleichbares Instrument vorsähe (vgl 14 Os 122/18z), stellt sich daher hier nicht.
[10] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – entgegen der (auf Rechtsprechung zu einer hier nicht vorliegenden Fallkonstellation gestützten) Stellungnahme der Generalprokuratur – bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).
[11] Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung (§ 285i StPO).
[12] Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
Textnummer
E133173European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2021:0140OS00105.21D.1116.000Im RIS seit
01.12.2021Zuletzt aktualisiert am
01.12.2021