Entscheidungsdatum
14.10.2021Norm
ASVG §67 Abs10Spruch
W209 2239822-1/2E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Reinhard SEITZ als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , XXXX , XXXX , vertreten durch BRAND Rechtsanwälte GmbH, Schüttelstraße 55, 1020 Wien, gegen den Bescheid der Österreichischen Gesundheitskasse, Landesstelle Wien, vom 10.08.2020, GZ: 11-2019-BE-VER10-000YH, betreffend Haftung nach § 67 Abs. 10 in Verbindung mit § 83 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG) für auf dem Betragskonto der XXXX GmbH, XXXX , XXXX , aushaftende Beiträge samt Nebengebühren aus den Vorschreibungen für die Zeiträume Juli 2018 bis April 2019 in Höhe von € 21.739,33 zuzüglich Verzugszinsen in der sich nach § 59 Abs. 1 ASVG ergebenden Höhe ab 10.08.2020 aus € 19.798,65 zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Mit Schreiben vom 30.06.2020 teilte die belangte Behörde (im Folgenden: ÖGK) dem Beschwerdeführer mit, dass auf dem Beitragskonto der XXXX GmbH, XXXX , XXXX , (im Folgenden: Primärschuldnerin) ein Beitragsrückstand in Höhe von € 21.455,01 zuzüglich der gesetzlichen Verzugszinsen aushafte. Da der Beschwerdeführer Geschäftsführer der Gesellschaft gewesen sei und der offene Betrag trotz Fälligkeit bisher nicht eingebracht werden habe können, hafte er dafür, wenn die Uneinbringlichkeit auf einer schuldhaften Verletzung der ihm als Vertreter der Gesellschaft auferlegten Pflichten beruhe. Der Beschwerdeführer werde ersucht, den erwähnten Rückstand bis spätestens 01.08.2020 zu begleichen bzw. innerhalb dieser Frist alle Tatsachen vorzubringen, die seiner Ansicht nach gegen eine Haftung sprächen.
Beigelegt war dem Schreiben ein Rückstandsausweis vom selben Tag, in dem der oben angeführte Betrag näher aufgeschlüsselt wurde.
2. Mit beschwerdegegenständlichem Bescheid vom 10.08.2020 wurde der Beschwerdeführer sodann als ehemaliger Geschäftsführer der Primärschuldnerin gemäß § 67 Abs. 10 iVm § 83 ASVG verpflichtet, binnen 14 Tagen nach Zustellung des Bescheides bei sonstigen Zwangsfolgen die von der Primärschuldnerin zu entrichten gewesenen Beiträge samt Nebengebühren aus den Beitragszeiträumen Juli 2018 bis April 2019 in Höhe von € 21.739,33 zuzüglich Verzugszinsen in der sich nach § 59 Abs. 1 ASVG jeweils ergebenden Höhe, das seien ab 10.08.2020 3,38 % p.a. aus € 19.798,65, an die ÖGK zu bezahlen.
Begründend wurde ausgeführt, dass die Primärschuldnerin aus den Beitragszeiträumen Juli 2018 bis April 2019 € 21.739,33 und weitere Verzugszinsen schulde. Sämtliche Einbringungsmaßnahmen seien erfolglos geblieben. Über das Vermögen der Primärschuldnerin sei am 29.05.2019 ein Insolvenzverfahren eröffnet worden, welches nach Schlussverteilung am 19.05.2020 aufgehoben worden sei. Die Uneinbringlichkeit der offenen Beiträge stehe somit fest. Gemäß den gesetzlichen Bestimmungen würden die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen für die von diesen zu entrichtenden Beiträgen insoweit haften, als die Beiträge infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht hereingebracht werden können. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes habe der Vertreter des Dienstgebers darzutun, aus welchen Gründen ihm die Erfüllung der abgabenrechtlichen Pflichten unmöglich gewesen ist, widrigenfalls die Behörde eine schuldhafte Verletzung anzunehmen habe (VwGH 29.04.2010, 2008/15/0085, 26.01.2011, 2007/13/0063). Dem Beschwerdeführer sei mit Schreiben vom 30.06.2020 Gelegenheit geboten worden darzutun, aus welchen Gründen ihm die Erfüllung der abgabenrechtlichen Pflichten unmöglich gewesen ist (§ 45 Abs. 3 AVG). Eine Stellungnahme sei nicht eingelangt, weshalb im Sinne der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Haftung auszusprechen gewesen sei.
Dem Bescheid war ein Rückstandsausweis vom selben Tag angeschlossen, in dem die Zusammensetzung des oben angeführten Betrages näher aufgeschlüsselt wurde.
3. In der dagegen von der rechtlichen Vertretung des Beschwerdeführers binnen offener Rechtsmittelfrist erhobenen Beschwerde wurde ausgeführt, dass gemäß § 67 Abs. 10 AlVG der Vertreter ausschließlich für Abgabenrückstände hafte, wenn ihm ein Verschulden an der nicht ordnungsgemäßen (rechtzeitigen) Beitragsentrichtung vor Insolvenzeröffnung angelastet werden könne. Relevant sei sohin nicht die Schuldlosigkeit des Vertreters an den schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen der von ihm vertretenen Gesellschaft, sondern sei die Gleichbehandlung der Sozialversicherungsbeiträge mit den anderen Verbindlichkeiten in Bezug auf ihre Bezahlung maßgeblich. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei im Rahmen der Vollziehung des § 67 Abs. 10 ASVG zudem auf die sogenannte "Zahlungstheorie" abzustellen. In diesem Konnex stütze sich der Verwaltungsgerichtshof darauf, dass das Wohl des Unternehmens, aber auch rechtlich gebotene Vorsicht im Falle unklarer Verhältnisse, es geboten erscheinen lassen können, für einen bestimmten Zeitraum die Zahlungen trotz vorhandener Mittel zur Gänze einzustellen. Demnach liege es im alleinigen Entscheidungsbereich des jeweiligen Vertreters darauf Acht zu legen, warum er nicht dafür Sorge tragen konnte, dass die jeweils betroffene Gesellschaft die anfallenden Beiträge rechtzeitig entrichtet hat. Wesentlich sei dabei zudem, dass der jeweilige Vertreter darzulegen habe, dass er den jeweiligen Sozialversicherungsträger bei der Verfügung über die vorhandenen Mittel nicht benachteiligt hat. Es liege sohin in der Obliegenheit des jeweiligen Vertreters den Nachweis zu führen, dass ausreichende Mittel zur Entrichtung der Beiträge vorhanden gewesen sind. Ebenso liege es am Vertreter darzutun, dass er die öffentlich-rechtliche Forderung bei der Verfügung über die vorhandenen Mittel nicht benachteiligt hat. Wesentlich sei in diesem gesamten Konnex jedoch der Umstand, dass die dem jeweiligen Vertreter auferlegte Behauptungs- und Beweislast jedenfalls nicht überspannt werden dürfe. Dabei gestalte sich der Sachverhalt derart, dass selbst in dem Fall, dass ein Vertreter nur ganz allgemeine Ausführungen tätigt, die jeweilige Behörde eine derartige Begründung nicht schon von vornherein aus rechtlichen Gründen als unrelevant einstufen dürfe, sondern sie diesfalls den jeweiligen Vertreter zu einer Konkretisierung seines Vorbringens aufzufordern habe.
Was nunmehr den hier gegenständlichen Sachverhalt anbelangt, sei darauf zu verweisen, dass über das Vermögen der Primärschuldnerin mit Datum 29.05.2019 zur Geschäftszahl XXXX des Handelsgerichtes Wien das Konkursverfahren eröffnet worden sei; mit Datum 15.07.2020 sei die Firma gelöscht worden. Der Beschwerdeführer habe seit der Konkurseröffnung über das Vermögen der Primärschuldnerin keinen Zugriff mehr auf die erforderlichen Geschäftsunterlagen gehabt, sodass ihm die von der Judikatur geforderte Beischaffung von dementsprechenden Dokumenten nicht möglich sei. Vielmehr gestalte sich der Lebenssachverhalt derart, dass jegliche diesbezüglichen Unterlagen bei den vom Handelsgericht Wien bestellten Masseverwaltern der Primärschuldnerin mit hoher Wahrscheinlichkeit vorhanden sein müssten.
Was zudem den von der einschlägigen Judikatur veranschlagten Beobachtungszeitraum anbelangt, werde ausgeführt, dass gegenständlich für die Durchrechnung des (allfälligen) Haftungsbetrages ein langer Durchrechnungszeitraum gefordert werde. Dabei sei jedenfalls nicht auf den Zeitpunkt der allfälligen Zahlungsunfähigkeit als Beginn für die maßgebliche Verhältnisrechnung abzustellen. Vielmehr sei jenes Zeitfenster maßgeblich, welches von der Fälligkeit/Rückständigkeit des ältesten im Zeitpunkt des Wegfalles der Vertretungsbefugnis offengebliebenen Beitrages bis zum Wegfall der Vertretungsbefugnis des Geschäftsführers (infolge Insolvenzeröffnung) liegt. Unterlegt man nunmehr all diese von der Judikatur geforderten Kriterien dem hier gegenständlichen Sachverhalt, so zeige sich, dass die belangte Behörde keine – wie auch immer gelagerten – diesbezüglichen Feststellungen getroffen habe. Vielmehr habe sie ausschließlich unter pauschalem Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ausgeführt, dass bereits dadurch, dass ein maßgeblicher Vertreter eine ihm zugegangene Aufforderung zur Stellungnahme nicht binnen auferlegter Frist beantwortet hat, von einer Haftung auszugehen gewesen sei. Darüberhinausgehende Feststellungen habe die belangte Behörde – soweit ersichtlich – nicht einmal im Ansatz getroffen.
Anhand des vorliegenden Verwaltungsaktes und insbesondere des angefochtenen Bescheides sei daher festzuhalten, dass die belangte Behörde jedenfalls ihrer amtswegigen Verpflichtung zur Ermittlung des Sachverhaltes gemäß § 37 AVG in keiner Weise entsprochen habe. Ausgehend davon wäre die belangte Behörde nämlich jedenfalls dazu verpflichtet gewesen, vor Erlassung eines Bescheides wie nun gegenständlich, auch den zuständigen Masseverwalter zur Stellungnahme aufzufordern und von diesem den maßgeblichen Konkursakt beizuschaffen, um derart amtswegig den gesamten Sachverhalt zu ermitteln, insbesondere worin und infolge welcher Ursachen das gegenständliche Insolvenzverfahren eingeleitet worden sei und worauf die Nichtzahlung beruhe. Eine derartige amtswegige Ermittlungstätigkeit sei jedoch – soweit ersichtlich – zur Gänze unterblieben und habe sich die belangte Behörde schlichtweg damit zufriedengegeben, einen Bescheid wie den nun angefochtenen ohne Kenntnis des wahren Sachverhaltes zu erlassen. Vergleiche man hierzu nunmehr den zugrundeliegenden tatsächlichen Sachverhalt, so sei anzuführen, dass die Primärschuldnerin nach einem erfolgreichen Sanierungsverfahren im Jahr 2013 zunächst einen positiven Geschäftsverlauf an den Tag legen habe können. Leider habe sich in den Folgejahren der Sachverhalt derart entwickelt, dass im Geschäftsbereich der Primärschuldnerin der Wettbewerb immer stärker geworden sei und insbesondere "freie" Werkstätten – wie eben die Primärschuldnerin – unter immer größeren wirtschaftlichen Einbußen zu leiden gehabt hätten. Der Grund hiefür liege – kurz gesagt – darin, dass namhafte Autohersteller, wie beispielhaft VW, seit geraumer Zeit auch lokale und bislang privat geführte Werkstätten und Autohäuser in den Konzern eingliedern, wodurch erhebliche Wettbewerbsnachteile zu Lasten privater Werkstättenbetreiber geschaffen würden. Zum anderen gestalte sich der Sachverhalt derart, dass bereits im Rahmen des Verkaufes von Kraftfahrzeugen sowohl an private wie auch unternehmerische Kunden diverse Garantie- und Serviceleistungen zunehmend nur unter der Bedingung angeboten werden, dass alle bezughabenden Werkstättenleistungen betreffend das jeweilige Kraftfahrzeug bei einer "hauseigenen" Werkstätte des jeweiligen Autoherstellers erbracht werden. Zusätzlich sei in diesem Zusammenhang zu erwähnen, dass aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung zunehmend Werkstattleistungen ausschließlich auf Basis computergestützter Programme erfolgen können und die Beschaffung dieser Programme für private Werkstätten zunehmend schwierig bis unmöglich, jedenfalls aber finanziell äußerst belastend sei.
4. Am 23.02.2021 einlangend legte die ÖGK die Beschwerde unter Anschluss der Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Entscheidung wird folgender Sachverhalt zugrunde gelegt:
Der Beschwerdeführer war seit 25.02.2005 selbständig vertretungsbefugter Geschäftsführer der Primärschuldnerin.
Mit zu XXXX ergangenem Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 27.03.2020 wurde das am 29.05.2019 über das Vermögen der Primärschuldnerin eröffnete Insolvenzverfahren nach Schlussverteilung aufgehoben.
Der Haftungsbetrag beträgt mit Stichtag 10.08.2020 € 21.739,33 zuzüglich der ab 10.08.2020 auflaufenden Verzugszinsen in Höhe von 3,38 % p.a. aus € 19.798,65.
Bis dato wurde durch den Beschwerdeführer trotz Aufforderung durch die ÖGK kein Nachweis der Gläubigergleichbehandlung erbracht.
2. Beweiswürdigung:
Die Stellung des Beschwerdeführers als handelsrechtlicher Geschäftsführer der Primärschuldnerin im oben angeführten Zeitraum ergibt sich aus dem Firmenbuch und wurde vom Beschwerdeführer nicht bestritten.
Die Zahlungsunfähigkeit der Primärschuldnerin ergibt sich aus der Insolvenzdatei (www.edikte.at).
Der Haftungsbetrag ergibt sich aus dem Rückstandsausweis vom 10.08.2020, der als öffentliche Urkunde nach § 292 ZPO vollen Beweis über seinen Inhalt, also die Abgabenschuld begründet (vgl. VwGH 12.01.2016, Ra 2014/08/0028, mHa OGH RIS-Justiz RS0040429 mwN).
Dass bislang kein Nachweis der Gläubigergleichbehandlung durch den Beschwerdeführer erbracht wurde, wurde in der Beschwerde eingeräumt.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 414 Abs. 1 ASVG kann gegen Bescheide der Versicherungsträger in Verwaltungssachen Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben werden.
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gemäß § 414 Abs. 2 ASVG entscheidet in Angelegenheiten nach § 410 Abs. 1 Z 1, 2 und 6 bis 9 ASVG das Bundesverwaltungsgericht auf Antrag einer Partei durch einen Senat; dies gilt auch für Verfahren, in denen die zitierten Angelegenheiten als Vorfragen zu beurteilen sind. Da über eine Sache nach § 410 Abs. 1 Z 4 ASVG (Haftung für Beitragsschulden gemäß § 67 ASVG) entschieden wird und auch nicht eine Angelegenheit gemäß § 410 Abs. 1 Z 1, 2 und 6 bis 9 ASVG als Vorfrage zu beurteilen ist, liegt im gegenständlichen Beschwerdeverfahren Einzelrichterzuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Zu A)
Die im beschwerdegegenständlichen Zeitraum anzuwendenden Rechtsvorschriften lauten:
§ 58 ASVG in der hier maßgebenden Fassung des BGBl. I Nr. 102/2010:
„Fälligkeit und Einzahlung der Beiträge; Beitragsvorauszahlung
§ 58. (1) bis (4) ...
(5) Die VertreterInnen juristischer Personen, die gesetzlichen VertreterInnen natürlicher Personen und die VermögensverwalterInnen (§ 80 BAO) haben alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Beiträge jeweils bei Fälligkeit aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.
(6) bis (8) …“
§ 67 ASVG in der Fassung des BGBl. I Nr. 86/2013:
„Haftung für Beitragsschuldigkeiten
§ 67. (1) bis (9) […]
(10) Die zur Vertretung juristischer Personen oder Personenhandelsgesellschaften (offene Gesellschaft, Kommanditgesellschaft) berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen haften im Rahmen ihrer Vertretungsmacht neben den durch sie vertretenen Beitragsschuldnern für die von diesen zu entrichtenden Beiträge insoweit, als die Beiträge infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können. Vermögensverwalter haften, soweit ihre Verwaltung reicht, entsprechend.“
§ 83 ASVG in der Fassung BGBl. Nr. 588/1991:
„Verzugszinsen und Verwaltungskostenersätze
§ 83. Die Bestimmungen über Eintreibung und Sicherung, Haftung, Verjährung und Rückforderung von Beiträgen gelten entsprechend für Verzugszinsen und Verwaltungskostenersätze bei zwangsweiser Eintreibung.“
Fallbezogen ergibt sich daraus Folgendes:
§ 67 Abs. 10 ASVG zufolge haften u.a. die zur Vertretung juristischer Personen oder Personenhandelsgesellschaften (offene Gesellschaft, Kommanditgesellschaft) berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen im Rahmen ihrer Vertretungsmacht neben den durch sie vertretenen Beitragsschuldnern für die von diesen zu entrichtenden Beiträge insoweit, als die Beiträge infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.
Voraussetzung für den Eintritt der Haftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG ist, dass die betreffenden Sozialversicherungsbeiträge beim Primärschuldner uneinbringlich sind. Erst wenn dies feststeht, ist auf die Prüfung der für die Haftung nach dieser Bestimmung maßgebenden weiteren, an die Person des allenfalls Haftungspflichtigen geknüpften Voraussetzungen einzugehen (vgl. VwGH 16.09.1991, 91/15/0028; 09.02.1982, 81/14/0072).
Mit Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 27.03.2020 wurde das am 29.05.2019 eröffnete Insolvenzverfahren über das Vermögen der Primärschuldnerin nach der Schlussverteilung aufgehoben. Damit sind die darüberhinausgehenden Beitragsschulden der Gesellschaft uneinbringlich.
Gemäß § 58 Abs. 5 ASVG in der hier maßgebenden Fassung des BGBl. I Nr. 102/2010 besteht neben den im § 67 Abs. 10 ASVG auferlegten Pflichten auch eine allgemeine, die Vertreter der Beitragsschuldner gegenüber den Beitragsgläubigern treffende Pflicht, aus den von ihnen verwalteten Mitteln für die Abfuhr der Beiträge zu sorgen. Damit ist zur bisherigen Haftung für nicht abgeführte Dienstnehmerbeiträge und Meldeverstöße (gleichrangig) eine neue Haftung wegen Ungleichbehandlung (von Gläubigern) hinzugetreten (Derntl in Sonntag (Hrsg), ASVG6 (2017) § 67 Rz 77a).
Gemäß der auf die Haftung nach § 67 Abs. 10 ASVG übertragbaren Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Parallelbestimmung des § 25a Abs. 7 BUAG liegt Gläubigergleichbehandlung dann vor, wenn das Verhältnis aller im Beurteilungszeitraum erfolgten Zahlungen zu allen Verbindlichkeiten, die zu Beginn des Beurteilungszeitraumes bereits fällig waren oder bis zum Ende des Beurteilungszeitraumes fällig wurden, dem Verhältnis der in diesem Zeitraum erfolgten Beitragszahlungen zu den insgesamt fälligen Beitragsverbindlichkeiten entspricht. Unterschreitet die Beitragszahlungsquote die allgemeine Zahlungsquote, so liegt eine Ungleichbehandlung des Sozialversicherungsträgers vor (vgl. VwGH 29.01.2014, 2012/08/0227).
Unter Bedachtnahme auf die Grundsätze der Rechtsprechung zur abgabenrechtlichen Haftung (vgl. u.a. VwGH 19.06.1985, Slg. Nr. 6012/F, 17.09.1986, 84/13/0198, 16.12.1986, 86/14/0077, und 06.03.1989, 88/15/0063) ist es auch im sozialversicherungsrechtlichen Haftungsverfahren Sache des haftungspflichtigen Geschäftsführers dazulegen, weshalb er nicht dafür Sorge tragen konnte, dass die Beitragsschulden rechtzeitig (zur Gänze) entrichtet wurden, und dafür entsprechende Beweisanbote zu erstatten. Denn ungeachtet der grundsätzlich amtswegigen Ermittlungspflicht der Behörde trifft denjenigen, der eine ihm obliegende Pflicht nicht erfüllt – über die ihn stets allgemein treffende Behauptungslast im Verwaltungsverfahren hinaus – die besondere Verpflichtung darzutun, aus welchen Gründen ihm deren Erfüllung unmöglich war, widrigenfalls angenommen werden darf, dass er seiner Pflicht schuldhafterweise nicht nachgekommen ist (vgl. VwGH 13.03.1990, 89/08/0217).
Der Beschwerdeführer wurde seitens der ÖGK aufgefordert, alle Tatsachen vorzubringen, die seiner Ansicht nach gegen eine Haftung sprächen. Er ist dieser Aufforderung nicht nachgekommen. Damit ist der Beschwerdeführer seiner besonderen Mitwirkungspflicht im Verfahren trotz Aufforderung nicht nachgekommen, sodass ohne weitere Ermittlungen und somit auch ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung eine schuldhafte Pflichtverletzung angenommen werden konnte (vgl. VwGH 25.03.2019, Ra 2019/08/0059).
Soweit im Beschwerdeverfahren vorgebracht wurde, dass dem Beschwerdeführer gar nicht die zum o.a. Nachweis erforderlichen Unterlagen zur Verfügung stünden, ist auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen (vgl. VwGH 26.03.2021, Ra 2021/08/0034), wonach es am Vertreter liegt, schon ab dem Beginn der Zahlungsschwierigkeiten zusätzliche, beleggestützte Aufzeichnungen über die Gleichbehandlung der Forderungen des Krankenversicherungsträgers anzulegen (vgl. in diesem Sinn auch Müller in SV-Komm § 67 ASVG Rz 148).
Die Kausalität der dem Beschwerdeführer anzulastenden Pflichtverletzung für die Uneinbringlichkeit und der Rechtswidrigkeitszusammenhang sind mangels eines stichhaltigen Bestreitungsvorbringens bzw. gegenteiliger Anhaltspunkte ebenso zu bejahen.
Im Falle der Nichterbringung eines Nachweises der Gläubigergleichbehandlung haftet der Vertreter für die von der Haftung betroffenen Beitragsschulden zur Gänze (vgl. VwGH 04.10.2001, 98/08/0368). Somit besteht im vorliegenden Fall die Haftung des Beschwerdeführers für die gesamte Beitragsschuld.
Die Höhe des Haftungsbetrages ergibt sich – wie bereits in der Beweiswürdigung ausgeführt – aus dem Rückstandausweis vom 10.08.2020, der als öffentliche Urkunde nach § 292 ZPO vollen Beweis über seinen Inhalt begründet.
Die Haftung umfasst im Hinblick auf die §§ 58 Abs. 5 und 83 ASVG auch die Pflicht zur Zahlung von Verzugszinsen nach § 59 Abs. 1 ASVG (vgl. VwGH 11.04.2018, Ra 2015/08/0038).
Damit war die Beschwerde gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG als unbegründet abzuweisen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Die vorliegende Entscheidung folgt in allen wesentlichen Rechtsfragen der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, die in den rechtlichen Erwägungen zu Spruchpunkt A) an der jeweiligen Stelle zitiert wird.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
Beitragsrückstand Geschäftsführer Gleichbehandlung Haftung Mitwirkungspflicht Nachweismangel Pflichtverletzung UneinbringlichkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W209.2239822.1.00Im RIS seit
30.11.2021Zuletzt aktualisiert am
30.11.2021