TE Lvwg Erkenntnis 2021/11/12 LVwG-2021/35/1912-6

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Veröffentlicht am 12.11.2021
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Entscheidungsdatum

12.11.2021

Index

40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §13 Abs8
VwGVG 2014 §27

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Tirol erkennt durch seinen Richter Dr. Christ über die Beschwerde des FF gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Z vom 28.6.2021, ***, betreffend den Antrag auf Erteilung der naturschutzrechtlichen Bewilligung für die Errichtung einer Wohnanlage,

zu Recht:

1.   Der Beschwerde wird mit der Maßgabe Folge gegeben, dass unter Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides nach der Wortfolge „nach Maßgabe der eingereichten Projektunterlagen,“ die Wortfolge „insbesondere unter Berücksichtigung der Ergänzung der AA vom 28.9.2021 lt. Besprechung LUA vom 21.9.2021,“ eingefügt wird.

Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

2.   Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I. Verfahrensgang:

1. Zum angefochtenen Bescheid vom 28.6.2021, ***:

Die AA, vertreten durch BB, hat im Namen und Auftrag der CC, Y, bei der Bezirkshauptmannschaft Z unter Vorlage von Projektunterlagen die Erteilung der naturschutzrechtlichen Bewilligung zur Errichtung der Wohnanlage DD auf den Gst. Nr. **1 und **2, KG X, beantragt.

Nach Durchführung eines im angefochtenen Bescheid näher dargestellten Ermittlungsverfahrens, insbesondere nach Einholung eines Gutachtens einer naturkundefachlichen Amtssachverständigen, entschied die belangte Behörde mit dem im gegenständlichen Verfahren angefochtenen Bescheid über den genannten Antrag wie folgt:

„I. Bewilligung

Der CC, vertreten durch den Geschäftsführer EE, Adresse 1, **** Y, wird gemäß den §§ 23 Abs. 1, Abs. 3 und Abs. 5 sowie 29 Abs. 3 lit. b TNSchG 2005 unter Anwendung der Verordnung der Landesregierung vom 18. April 2006 über geschützte Pflanzenarten, geschützte Tierarten und geschützte Vogelarten (Tiroler Naturschutzverordnung 2006), LGBl. Nr. 39/2006, die naturschutzrechtliche Bewilligung zur Errichtung der Wohnanlage DD auf den Gst. Nr. **1 und **2, KG X, nach Maßgabe der eingereichten Projektunterlagen, welche einen integrierenden Bestandteil dieses Bescheides bilden, unter Einhaltung der nachfolgenden Bescheidbestimmungen erteilt.

II. Nebenbestimmungen gemäß § 29 Abs. 5 TNSchG 2005

1. (…)“

Laut dem gegenständlichen Verwaltungsakt wurde der im vorliegenden Fall angefochtene Bescheid dem FF am 5.7.2021 zugestellt.

2. Beschwerde:

Gegen den unter Z 1 genannten Bescheid erhob der FF Beschwerde, welche am 16.7.2021 per Email an die Bezirkshauptmannschaft Z übermittelt und mit der die Versagung der naturschutzrechtlichen Bewilligung begehrt wurde.

Begründet wird diese Beschwerde zunächst damit, dass der entscheidungswesentliche Sachverhalt nur unzureichend ermittelt worden wäre. So seien Sachverhaltsermittlungen hinsichtlich der voll entwickelten Vegetation und der (Vogel-)Fauna ausständig und fehle auch eine zoologische Kartierung für den betroffenen Bereich.

Aufgrund der unvollständigen Sachverhaltserhebung (Fauna, Vogelfauna, voll entwickelte Vegetation) seien aber auch im gegenständlichen Verfahren womöglich abwägungsrelevante Tatsachen außer Acht gelassen und im Rahmen der Interessensabwägung nicht berücksichtigt worden.

Weiters wird vom FF vorgebracht, dass die Rechtsansicht der belangten Behörde bezüglich des Bedeutungsinhalts der „zwingenden Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses“ fehlerhaft sei. Der zitierten Rechtsprechung des EuGH sei nämlich nicht zu entnehmen, dass darunter schlicht ein „Allgemeininteresse“ zu verstehen sei. Zum anderen habe auch das Landesverwaltungsgericht Tirol im Rahmen seiner Judikatur (siehe etwa LVwG 22.11.2019, LVwG-2019/37/0547-25, RS 3) mehrfach ausführlich dargelegt, dass unter den „zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses“ durchaus ein besonders qualifiziertes öffentliches Interesse zu verstehen sei.

Schließlich wird vom FF noch bemängelt, dass die Alternativenprüfung nicht nachvollziehbar durchgeführt worden sei, da im Gemeindegebiet von X Baulandreserven (46.730 m2) bestünden und überdies zu erwägen sei, ob das Projekt nicht kleiner/anders dimensioniert/positioniert werden könnte, sodass die Gehölzgruppe/Streuobstwiese bestehen bleiben kann.

3. Verfahren vor dem Landesverwaltungsgericht Tirol:

Vom Landesverwaltungsgericht wurde zunächst den Parteien in der gegenständlichen Angelegenheit das Recht eingeräumt, sich zur Beschwerde des FF zu äußern.

Von der Gemeinde X wurde mit Email vom 5.8.2021 ein Schreiben der GG vom 5.8.2021 übermittelt, in welchem eine Bewertung des öffentlichen Interesses des Vorhabens aus raumplanungsfachlicher Sicht und eine Darstellung der Alternativenprüfung erfolgte.

Von der Antragstellerin wurde mit Schreiben vom 16.8.2021 auf die eben genannte Stellungnahme der Gemeinde X verwiesen und insbesondere betont, dass sich im Hinblick auf die unabdingbare Notwendigkeit zur Schaffung von sozialem und damit leistbarem Wohnraum für die Gemeinde X ein überwiegendes öffentliches Interesse ergebe und gleichzeitig auch zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses wirtschaftlicher Art gegeben seien. Umgekehrt würden die Naturschutzeingriffe durch Ausgleichsmaßnahmen herabgemildert. Hinsichtlich dem Vorwurf der fehlenden Alternativenprüfung wurde auf die Stellungnahme der Gemeinde X und diesbezüglich insbesondere darauf verwiesen, dass bereits im Raumordnungsverfahren eine solche Alternativenprüfung durchgeführt worden wäre. Der für das Vorhaben erlassene Bebauungsplan sei eng auf das Projekt abgestimmt worden und sei zusammenfassend ausgeführt worden, dass dem mit „einem hohen öffentlichen Interesse verbunden Bedarf an leistbarem Wohnraum in der Gemeinde X entsprochen wird und ausreichend Bedacht auf die Belange des Naturschutzes genommen wird“.

Auch auf den Vorwurf der unzureichenden Sachverhaltsermittlung wurde von der Antragstellerin näher eingegangen.

Weiters wurde vom Landesverwaltungsgericht eine naturkundefachliche Stellungnahme zur Plausibilität des Beschwerdevorbringens sowie zur Frage, ob die vorliegenden Unterlagen im Sinn des § 43 Abs 2 TNSchG 2005 ausreichen, um aus naturkundefachlicher Sicht die Zulässigkeit des Vorhabens nach diesem Gesetz beurteilen zu können, angefordert.

Dieser Gutachtensauftrag führte zu einer Besprechung zwischen der CC und der Amtssachverständigen einerseits und Vertretern des FF andererseits. Im Zuge dieser Besprechungen wurden mögliche ergänzende landschaftspflegerische Maßnahmen hinsichtlich des Projektes erörtert und letztlich seitens des Beschwerdeführers mit Email vom 9.11.2021 mitgeteilt, dass in Anbetracht einer Projektänderung nach Maßgabe der Ergänzung zum landschaftspflegerischen Entwicklungskonzept der AA vom 28.9.2021 samt Vereinbarung mit dem betroffenen Grundstückseigentümer eine Beschwer nicht mehr bestünde.

Seitens der beauftragten Amtssachverständigen wurde die naturkundefachliche Sinnhaftigkeit der genannten Projektergänzung bestätigt.

II. Rechtliche Erwägungen:

1. Zur Zuständigkeit des Landesverwaltungsgerichts Tirol:

Die Zuständigkeit des Landesverwaltungsgerichts Tirol, in der vorliegenden Rechtssache zu entscheiden, gründet in der Bestimmung des Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG, wonach über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit die Verwaltungsgerichte erkennen.

Das Landesverwaltungsgericht ist in der gegenständlichen Angelegenheit gem Art 131 Abs 1 B-VG zuständig, zumal sich aus den Abs 2 und 3 dieser Bestimmung keine Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts des Bundes ergibt.

2. Zur Zulässigkeit der vorliegenden Beschwerde:

Die Beschwerde wurde innerhalb der vierwöchigen Beschwerdefrist nach § 7 Abs 4 VwGVG eingebracht und ist insofern rechtzeitig.

Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte ist die vorliegende Beschwerde auch zulässig.

3. Zur Sache:

Im vorliegenden Fall ist zunächst zu berücksichtigen, dass ein verfahrenseinleitender Antrag gemäß § 13 Abs 8 AVG in jeder Lage des Verfahrens bis zu einer allfälligen Schließung des Ermittlungsverfahrens (§ 39 Abs 3 AVG) geändert werden kann. Durch die Antragsänderung darf die Sache ihrem Wesen nach nicht geändert und die sachliche und örtliche Zuständigkeit nicht berührt werden. Auch während des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ist eine Antragsänderung gemäß § 13 Abs 8 AVG grundsätzlich zulässig. Allerdings zieht Art 130 Abs 4 B-VG iVm den §§ 27 f VwGVG solchen Projektmodifikationen engere Grenzen als der bloß auf das Wesen der Sache abstellende § 13 Abs 8 AVG. Die Entscheidungsbefugnis des Landesverwaltungsgerichts ist nämlich jedenfalls auf die „Sache“ des behördlichen Verfahrens beschränkt. Somit sind Projektänderungen im Beschwerdeverfahren nur in dem Umfang zulässig, als nicht der Prozessgegenstand, der den Inhalt des Spruches des verwaltungsbehördlichen Bescheides darstellt, ausgewechselt wird (vgl VwGH 12.12.2017, 2016/05/0068).

Laut Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht10 (2014) Rz 833 mwH, ist eine Abänderung des verfahrensgegenständlichen Antrages im Beschwerdeverfahren nur insoweit zulässig, als dadurch das „Wesen“ des Projekts unberührt bleibt und dies im Rahmen des durch die Beschwerdegründe und des Begehrens abgesteckten Prüfumfanges des Verwaltungsgerichtes bleibt. Das „Wesen“ eines Projekts für die Beurteilung der zulässigen Änderungen ergebe sich aus dem Antrag in Verbindung mit den Vorschriften, die die Behörde anzuwenden hat.

Weiters ist im vorliegenden Fall zu berücksichtigen, dass der Prüfumfang des Landesverwaltungsgerichtes nach § 27 VwGVG darauf beschränkt ist, den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs 1 Z 3 und 4) zu überprüfen, wobei die Beschwerde nach § 9 Abs 1 Z 3 und 4 VwGVG die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt, und das Begehren zu enthalten hat.

Im vorliegenden Fall wurde der verfahrenseinleitende Antrag von der Antragstellerin insofern geändert, als eine Projektänderung in Form der Ergänzung zum landschaftspflegerischen Entwicklungskonzept der AA vom 28.9.2021 erfolgte. Daran, dass sich diese Antragsänderung im Rahmen des „Wesens“ des ursprünglich eingereichten Projektes und innerhalb des vom Landesverwaltungsgerichtes zu behandelnden Beschwerdegegenstandes befindet, besteht kein Zweifel.

Da nun allerdings vom beschwerdeführenden FF im Hinblick auf diese Antragsänderung ausdrücklich mitgeteilt wurde, dass keine Beschwerdegründe mehr bestehen, war vom Landesverwaltungsgericht aufgrund seines auf das Beschwerdevorbringen eingeschränkten Prüfumfanges die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides nicht mehr zu prüfen und war vom Vorliegen der Voraussetzungen für die von der belangten Behörde erteilten naturschutzrechtlichen Bewilligung auszugehen.

Die Beschwerde war daher grundsätzlich als unbegründet abzuweisen und ihr nur insofern stattzugeben, als im Spruch des angefochtenen Bescheides nunmehr auch ausdrücklich auf die im Beschwerdeverfahren erfolgte Projektänderung Bezug zu nehmen war.

4. Zum Entfall der öffentlichen mündlichen Verhandlung:

Die vorliegende Entscheidung konnte im Sinn des § 24 VwGVG ohne Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung getroffen werden. Nach Abs 4 leg cit kann das Verwaltungsgericht trotz eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist und wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art 6 Abs 1 der EMRK noch Art 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entgegenstehen. Im vorliegenden Fall wurde zwar ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung gestellt; eine solche Verhandlung wird vom Landesverwaltungsgericht aber nicht für erforderlich erachtet.

In seiner Entscheidung vom 5. September 2002, Speil/Österreich, Nr. 42057/98, hat der EGMR unter Hinweis auf seine Vorjudikatur das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung dann als mit der EMRK vereinbar erklärt, wenn besondere Umstände ein Absehen von einer solchen Verhandlung rechtfertigen. Solche besonderen Umstände erblickte der EGMR darin, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht geeignet war, irgendeine Tatsachen- oder Rechtsfrage aufzuwerfen, die eine mündliche Verhandlung erforderlich machte. Dies trifft im vorliegenden Fall zu, da nach Maßgabe einer erfolgten Projektänderung keine Beschwerdegründe mehr vorlagen und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung insofern zu keiner weiteren Klärung der Rechtssache hätte beitragen können.

Insofern konnte im vorliegenden Fall nach § 24 Abs 4 VwGVG aufgrund des Vorliegens der darin genannten Voraussetzungen trotz eines Parteiantrages von der Durchführung einer Verhandlung abgesehen werden.

III. Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die ordentliche Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision unzulässig, da keine Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Der vorliegenden Entscheidung kommt keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu. Sie liegt insbesondere nicht auch im Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen, auf zusätzlichen Argumenten gestützten Rechtsprechung. Die Entscheidung betrifft keine aus rechtssystematischen Gründen bedeutsame und auch für die einheitliche Rechtsanwendung wichtige Frage des materiellen oder des formellen Rechts (vgl. etwa VwGH 26.9.1991, 91/09/0144 zum vormaligen § 33a VwGG).

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Gegen diese Entscheidung kann binnen sechs Wochen ab der Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, Freyung 8, 1010 Wien, oder außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist direkt bei diesem, die außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist beim Landesverwaltungsgericht Tirol einzubringen.

Die genannten Rechtsmittel sind von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw einer bevollmächtigten Rechtsanwältin abzufassen und einzubringen, und es ist eine Eingabegebühr von Euro 240,00 zu entrichten.

Es besteht die Möglichkeit, auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zu verzichten. Ein solcher Verzicht hat zur Folge, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof und eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht mehr erhoben werden können.

Landesverwaltungsgericht Tirol

Dr. Christ

(Richter)

Schlagworte

Antragsänderung;
Prüfumfang des Landesverwaltungsgerichtes

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGTI:2021:LVwG.2021.35.1912.6

Zuletzt aktualisiert am

02.12.2021
Quelle: Landesverwaltungsgericht Tirol LVwg Tirol, https://www.lvwg-tirol.gv.at
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