TE Bvwg Beschluss 2021/8/16 I403 2245130-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.08.2021
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Entscheidungsdatum

16.08.2021

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
AVG §11
AVG §6 Abs1
AVG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52
FPG §55 Abs2
VwGVG §17
VwGVG §24 Abs2 Z1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §31 Abs1

Spruch


I403 2245130-1/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin MMag. Birgit ERTL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA Ägypten, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Gregor KLAMMER, Lerchenfelder Gürtel 45/11, 1160 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.07.2021, Zl. XXXX :

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG als unzulässig zurückgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Begründung:

Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer reiste am 03.02.2020 illegal in das österreichische Bundesgebiet und stellte am selben Tag den vorliegenden Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Im Zuge der Erstbefragung vom 03.02.2020 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer zusammengefasst an, er habe keine Beschwerden oder Krankheiten, die ihn an der Einvernahme hindern oder das Asylverfahren in der Folge beeinträchtigen könnten. Er habe seinen Wohnort am 25.12.2019 mit einem Flugzeug nach Griechenland verlassen. Von dort sei er über Serbien und Ungarn nach Österreich gelangt.

Befragt nach seinem Fluchtgrund gab der Beschwerdeführer an, er habe seine Heimat verlassen, weil er sich in Ägypten in ein Mädchen verliebt habe, bei dessen Familie er als Chauffeur gearbeitet hätte. Die Familie habe davon erfahren und wäre strikt dagegen gewesen. Es wäre zu Problemen, auch zu Todesdrohungen ihm gegenüber gekommen. Er habe dann versucht über verschiedene Botschaften ein Visum zu bekommen, unter anderem von den Niederlanden und Malta, welche jedoch verweigert worden wären. Letztendlich habe er ein Visum von Italien bekommen. Er sei zunächst von Ägypten nach Griechenland geflogen und im Transitraum in Griechenland wäre ihm sein Pass von einem unbekannten Mann gestohlen worden. Er sei nach Griechenland ohne Pass eingereist und in der Folge selbstständig über Serbien und Ungarn bis nach Österreich gereist.

Aus der österreichischen Visa-Datenbank konnte erhoben werden, dass der Beschwerdeführer im Besitz eines gültigen italienischen Schengen Visums C, gültig von 25.12.2019 - 18.01.2020, war.

Am 04.02.2020 richtete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein Aufnahmeersuchen gem. Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO an Italien.

Mit Schreiben vom 06.04.2020 teilte die österreichische Dublin-Behörde Italien mit, dass auf Grund der nicht fristgerecht erfolgten Antwort gemäß Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO Verfristung eingetreten und Italien nunmehr für die Durchführung des gegenständlichen Asylverfahrens zuständig sei; dies beginnend mit dem 05.04.2020.

Am 20.05.2020 wurde der Beschwerdeführer, nach durchgeführter Rechtsberatung und in Anwesenheit eines Rechtsberaters, einer Einvernahme vor dem BFA unterzogen. Hierbei gab dieser im Wesentlichen an, sich psychisch und physisch in der Lage zu fühlen, die Befragung zu absolvieren. Er sei derzeit nicht in ärztlicher Betreuung bzw. Therapie, er habe ja keine Versicherung. Er nehme zurzeit Schlaftabletten, Beruhigungstabletten und Kopfschmerztabletten. Diese bekomme er von einen Bekannten. Den Namen dieser Tabletten wisse er nicht. Er nehme diese je nach Bedarf ohne Kontrolle und ärztliche Absprache seit der Untersuchung im Lager. Er nehme die Beruhigungstabletten, weil er Selbstmordgedanken habe, wenn er nicht schlafen könne. Darum nehme er auch die Schlaftabletten. Er habe diese Probleme seit er von den Leuten, die ihn verfolgt hätten, in Ägypten gefoltert worden wäre. Er sei dort in psychische Betreuung gebracht worden, habe aber keine Bestätigung darüber. In Österreich sei er deswegen nicht bei einem Arzt gewesen. Er habe nur die Bestätigung vom Militär, wonach er psychisch nicht tauglich sei. Er habe zwei Onkel in Österreich. Zu diesen habe er keinen Kontakt und wisse nichts über die beiden. Er habe die beiden jedoch getroffen. Er habe im Jahr 2019 in Italien um ein Visum angesucht. Er sei in Griechenland in die EU am 25.12.2019 eingereist. In Italien sei er nie gewesen. Er sei von Griechenland nach Österreich gereist. Befragt welche Gründe seiner Ausweisung nach Italien entgegenstünden gab der Beschwerdeführer an, er würde von den Leuten, die ihn in Ägypten verfolgt hätten, in Italien gefunden werden, weil diese wüssten, dass er ein italienisches Visum erhalten hätte. Außerdem sei in Italien Covid-19. Er habe in Italien niemanden. Die psychische Situation mache ihn fertig und er wolle sich umbringen.

Vom Rechtsberater wurde die Einholung eines PSY-III-Gutachtens beantragt.

In der Folge wurde eine gutachterliche Stellungnahme im Zulassungsverfahren von einer Fachärztin für Allgemeinmedizin, Psychotherapeutin und gerichtlich beeideten Sachverständigen eingeholt. In dieser Stellungnahme vom 19.07.2020 kommt die Sachverständige zu dem Schluss, dass beim Beschwerdeführer eine paranoide Schizophrenie, F20.0 vorliege. Derzeit scheine mit Medikamenten eine Besserung eingetreten zu sein. Trotzdem lägen Verfolgungswahn, akustische und optische Halluzinationen vor. Die Stimmung sei ängstlich, der Affekt labil, der Beschwerdeführer sei gespannt. An therapeutischen und medizinischen Maßnahmen wird die Fortführung der medikamentösen Therapie, eine Anbindung an den PSD sowie die Beistellung eines Erwachsenenvertreters/Sachwalters angeraten. Bei einer Überstellung sei eine Verschlechterung zu erwarten. Eine akute Suizidalität sei derzeit nicht erkennbar, bei der Grunderkrankung seien Affekthandlungen jedoch nicht auszuschließen.

Am 31.07.2020 erfolgte eine neuerliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem BFA. Der Beschwerdeführer wurde in der Folge weiter zu den festgestellten Krankheitsbildern befragt und wurde in der Folge eine Pause eingelegt und festgestellt, der Asylwerber beginne zu weinen und sei mit der Erläuterung total überfordert. Er möchte nicht mehr mitwirken, weil er denke, alle Personen seien gegen ihn und er vertraue niemanden.

Nach einer Stunde wurde die Einvernahme offiziell fortgesetzt, jedoch wieder abgebrochen und im Protokoll festgestellt:
„Die Einvernahme wird auf Wunsch des AW abgebrochen, da er mit der Erläuterung der Diagnose komplett überfordert ist, Kreislaufprobleme erlitt und angab, dass er keinen Sinn mehr im Leben sehe. Dies wiederruft der AW im Anschluss wieder. Er wirkt äußerst verwirrt. Es konnte ihm die Absicht der Zuweisung eines Sachwalters aufgrund des psychischen Zustandes nicht zur Kenntnis gebracht werden. Da eine Selbst- bzw. Fremdgefährdung hintangehalten werden soll, wurde mit dem BMI Kontakt aufgenommen. Diese teilte mit, dass eine Notkrankenversicherung beantragt werden kann und eine Intervention des Rettungsdienstes im eigenen Ermessen veranlasst werden kann. Es wurde ihm auch mitgeteilt, dass der Arzt im Krankenhaus nach der Abklärung die weitere Vorgehensweise entscheidet. Dies wurde ihm sogar mehrmals vom Dolmetscher, in verschiedenen Formulierungen, mitgeteilt und der AT scheint diese Entscheidung verstanden und akzeptiert zu haben. Die Befragung wird nun mit 11:45 beendet und der Rettungsdienst gerufen.“

Im Akt befinden sich zahlreiche Befunde des Beschwerdeführers, die ihm eine paranoide Schizophrenie bestätigen sowie darlegen, dass er von 16.06.2020 bis 29.06.2020 in stationärer Behandlung im psychiatrischen Krankenhaus war.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.09.2020 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Italien gemäß Art. 12 Abs. 4 (zu ergänzen wäre: iVm Art. 22 Abs. 7) der Dublin III-VO zuständig sei (Spruchpunkt I.), sowie gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung des Beschwerdeführers angeordnet und festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Italien zulässig sei (Spruchpunkt II.).

Zusammengefasst wurde in dem Bescheid festgehalten, die Identität des Antragstellers stehe nicht fest. Dieser leide an paranoider Schizophrenie. Eine angeregte Sachwalterschaft werde nicht beantragt. Beim Antragsteller handle es sich um eine besonders vulnerable Person und würde er aktuell im besonderen Maße medizinische Versorgung benötigen. Die in den Feststellungen angeführte Krankheit ergebe sich aufgrund der PSY-III-Untersuchung, der Befunde und seinen eigenen Angaben. Der Antragsteller habe keine Einwände gegen das Untersuchungsergebnis vorgebracht.

Der gegen diesen Bescheid fristgerecht erhobenen Beschwerde wurde mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 28.09.2020, Zl. W161 2235147-1/3E stattgegeben und der Bescheid behoben; es wurde auf Zweifel an der Prozessfähigkeit des Beschwerdeführers verwiesen.

Der Beschwerdeführer wurde am 31.03.2021 neuerlich von der belangten Behörde einvernommen. Der Beschwerdeführer gab an, verschiedene Medikamente zu nehmen und dass es ihm gesundheitlich soweit gut gehe. Im Zuge der Einvernahme wurde dem Beschwerdeführer das Institut eines Erwachsenenvertreters erklärt und gab er an, die Beistellung eines solchen zu wünschen. In einer weiteren Einvernahme durch die belangte Behörde am 07.06.2021 gab der Beschwerdeführer auf Nachfrage an, krank zu sein, doch wisse er nicht genau, woran er leide. Er legte verschiedene Dokumente aus Ägypten, darunter die Entlassung aus dem Militärdienst wegen einer psychischen Erkrankung, vor. Der Beschwerdeführer gab an, dass er in Kontakt zu seinem Vater und seinen Geschwistern in Ägypten stehe und sein Vater ihn finanziell unterstütze. Zu einem späteren Zeitpunkt der Einvernahme meinte er dann, dass er, wenn er wirklich krank sei, sich die Medikamente in Ägypten nicht leisten könne; er wolle aber sagen, dass er nicht krank sei. Nach seinen Fluchtgründen befragt wiederholte der Beschwerdeführer eine schwer verständliche Geschichte rund um eine Frau, deren Chauffeur er gewesen sei und in die er sich vor mehr als zehn Jahre verliebt habe; man habe ihm dann Probleme gemacht. Beim Militär habe man ihn mit Elektroschocks tauglich gemacht, dann aber doch wegen psychischer Probleme entlassen. 2018 habe er dann einen Drohbrief erhalten und sei einem Freund von ihm an seiner Statt der Kopf abgeschnitten worden.

Mit Bescheid vom 13.07.2021 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Ägypten (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Zugleich erteilte sie dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt III.), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.) und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Ägypten zulässig ist (Spruchpunkt V.). Es wurde gemäß § 55 FPG eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt VI.).

Der Bescheid wurde vom Beschwerdeführer am 14.07.2021 persönlich übernommen. Am 03.08.2021 wurde Beschwerde erhoben und auf die Erteilung einer Vollmacht an Rechtsanwalt Dr. Gregor Klammer verwiesen.

Beschwerde und Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 06.08.2021 vorgelegt. Am 13.08.2021 wurde vom Bundesverwaltungsgericht die Bestellung eines Erwachsenenvertreters beim zuständigen Bezirksgericht angeregt.

Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer war im Besitz eines vom 25.12.2019 - 18.01.2020 gültigen italienischen Schengen-Visums und ist von Ägypten nach Griechenland geflogen. Von dort gelangte er über Serbien und andere Länder nach Österreich, wo er am 03.02.2020 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Die belangte Behörde wies diesen Antrag mit dem angefochtenen Bescheid ab und sprach eine Rückkehrentscheidung aus.

Der Beschwerdeführer leidet an paranoider Schizophrenie. Seit seiner Einreise nach Österreich war auch bereits ein stationärer Krankenhausaufenthalt notwendig. Zu der Schwere seines Krankheitsbildes wurde von der belangten Behörde eine gutachterliche Stellungnahme im Zulassungsverfahren eingeholt. Der Anregung der Verfasserin der gutachterlichen Stellungnahme auf Bestellung eines Erwachsenenvertreters wurde allerdings nicht gefolgt.

Der Beschwerdeführer ist nicht in der Lage, bestimmte oder einzelne Angelegenheiten des täglichen Lebens ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu erledigen. Eine Erwachsenenvertretung ist dringend zu empfehlen und wurde seitens des Bundesverwaltungsgerichtes beim zuständigen Bezirksgericht angeregt.

Der Beschwerdeführer war während des Verfahrens vor der belangten Behörde und zum Zeitpunkt der tatsächlichen Entgegennahme des angefochtenen Bescheides nicht in der Lage, die Tragweite dieser Rechtshandlung (nämlich die Übernahme eines behördlichen Schriftstückes, womit über seinen Antrag auf internationalen Schutz entschieden und eine Rechtsmittelfrist ausgelöst wird) zu begreifen und die notwendigen Schritte ohne die Gefahr eines Nachteiles für sich selbst zu besorgen.

2. Beweiswürdigung:

Die festgestellten Tatsachen zur Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten ergeben sich aus den vorliegenden Verwaltungsakten.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers basieren auf den unbedenklichen (oben angeführten) medizinischen Befunden und der gutachterlichen Stellungnahme im Zulassungsverfahren (AS 245-253). Die gutachterliche Stellungnahme wurde von der belangten Behörde in Auftrag gegeben und von einer Ärztin für Allgemeinmedizin, Psychotherapeutin und allgemein beeideter und gerichtlich beeideter Sachverständigen am 19.07.2020 nach Untersuchung des Beschwerdeführers am 15.06.2020 und am 13.07.2020 erstellt. In den Diagnosegesprächen berichtete der Beschwerdeführer unter anderem, dass man bereits Leute nach Italien geschickt habe, um ihn dort umzubringen und dass er auch nicht im Flüchtlingslager leben könne, da er dort vergiftet werde. Er berichtete von Albträumen, einer ständigen Bedrohung und dass er Stimmen höre. Beim Militär habe man ihn entlassen, da er mit einer Waffe auf einen anderen gezielt habe, was er selbst aber gar nicht mitbekommen habe. Seine Stiefmutter habe ihn bestohlen und ihn vergiften wollen, die Frauen seiner Brüder würden seine Kühe vergiftet haben. Die Gutachterin kam zur Diagnose einer paranoiden Schizophrenie, welche sich unter anderem durch Verfolgungswahn sowie akustische und optische Halluzinationen äußere. Die Gutachterin folgerte, dass der Beschwerdeführer seine rechtlichen Belange nicht ohne Nachteil für sich besorgen könne und empfahl die Beistellung eines Erwachsenenvertreters.

Auch die sonstigen ärztlichen Unterlagen bestätigen die Diagnose einer paranoiden Schizophrenie und die Probleme des Beschwerdeführers, sich in der Alltagswelt zurechtzufinden: So hatte sich der Beschwerdeführer zwischen den beiden Diagnosegesprächen in stationärer Behandlung befunden. Er war am 16.06.2020 aufgrund akuter Suizidalität (vgl. AS 283) eingewiesen worden und war bis zum 29.06.2020 in stationärer Behandlung (Patientenbrief des Wiener Gesundheitsverbundes Klinik XXXX vom 29.06.2020: Diagnose: Paranoide Schizophrenie (AS 273)). Aufgrund einer ihm danach übergebenen Honorarrechnung in der Höhe von 12.000 Euro verschlechterte sich sein – zunächst durch die Medikation – gebesserter Zustand wieder. In einem fachärztlichen Befundbericht einer Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin ( XXXX ) vom 28.07.2020 (AS 283) wurde die Diagnose einer paranoiden Schizophrenie ebenfalls bestätigt und festgestellt, dass kein Hinweis auf Simulation und Aggravation vorliege. Nachdem von der belangten Behörde im Anschluss an eine Einvernahme die Verbringung des Beschwerdeführers in das Krankenhaus veranlasst wurde, wurde im Ambulanzbefund vom 31.07.2020 ebenfalls die Diagnose einer paranoiden Schizophrenie gestellt (AS 293-295). Dem psychiatrischen Befundbericht einer Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin ( XXXX ) vom 18.01.2021 (AS 583-589), in dem die Diagnose einer paranoiden Schizophrenie bestätigt wird, ist auf Basis monatlicher Termine mit dem Beschwerdeführer zu entnehmen, dass dieser immer wieder Suizidgedanken habe, sich teilweise auch selbst verletzt habe und dass er die Medikamente nur unregelmäßig nehme; eine mit ihm diskutierte stationäre Aufnahme wurde von ihm aufgrund der Angst vor den daraus entstehenden Kosten abgelehnt, so etwa bei einem Termin am 23.11.2020 (AS 587).

Der Beschwerdeführer ist nicht in der Lage, sein Krankheitsbild zu verstehen; obwohl ihm bereits bei seinem stationären Aufenthalt im Juni 2020 eine paranoide Schizophrenie diagnostiziert wurde (und er auch schon in Ägypten psychische Probleme hatte), erklärte der Beschwerdeführer in seiner Einvernahme durch die belangte Behörde am 31.07.2020, die Diagnose nicht zu verstehen. Nach einer Erläuterung durch den Organwalter der belangten Behörde musste die Einvernahme abgebrochen werden, da der Beschwerdeführer Kreislaufprobleme erlitt, verwirrt schien und Selbstmordgedanken äußerte (AS 267). Die belangte Behörde veranlasste eine Abholung des Beschwerdeführers durch den Rettungsdienst (AS 267) und trug sich zu diesem Zeitpunkt offensichtlich mit dem Gedanken, einen Erwachsenenvertreter zu bestellen (Protokoll vom 31.07.2020, AS 267: „Es konnte ihm die Absicht der Zuweisung eines Sachwalters aufgrund des psychischen Zustandes nicht zur Kenntnis gebracht werden.“). Die belangte Behörde setzte sich allerdings über die Empfehlung der Gutachterin hinweg und begründete dies im Bescheid vom 07.09.2020, mit dem zunächst die Zuständigkeit Italiens für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers festgestellt wurde, damit, dass die von der Gutachterin angeregte „Sachwalterschaft“ nicht beantragt werde (AS 321), weil der Beschwerdeführer in der Lage gewesen sei, selbständig einen Asylantrag zu stellen, darauf hinzuweisen, dass seine Krankenversicherung abgelaufen sei, seine Termine wahrzunehmen und schließlich auch, weil die Krankenanstalt bei seiner Einweisung durch die belangte Behörde am 31.07.2020 von einer stationären Aufnahme absah (AS 348). Allerdings ist es für die erkennende Richterin nicht nachvollziehbar, dass die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid einerseits die gutachterliche Stellungnahme der Ärztin für Allgemeinmedizin, Psychotherapeutin und allgemein beeideter und gerichtlich beeideter Sachverständigen vom 19.07.2020 als schlüssig beurteilte und auf die Erfahrung der Gutachterin hinwies, andererseits ihrer Empfehlung für die Bestellung eines Erwachsenenvertreters nicht folgte. Dies wurde auch bereits von einer anderen Richterin des Bundesverwaltungsgerichts im Verfahren über den Bescheid der belangten Behörde vom 07.09.2020, mit dem der Antrag auf internationalen Schutz wegen der Zuständigkeit Italiens zurückgewiesen worden war, in ihrem Erkenntnis vom 28.09.2020, W161 2235147-1, mit den folgenden Worten kritisiert: „In casu hat sich die erstinstanzliche Behörde mit dem tatsächlichen Gesundheitszustand des BF und den Auswirkungen seiner psychischen Erkrankung darauf, wie weit er seine rechtlichen Belange – und dazu gehört auch sein Asylverfahren – ohne Gefahr eines Nachteils für sich besorgen kann, nicht näher auseinandergesetzt und es unterlassen, ein ausführliches ärztliches Sachverständigengutachten zu dessen Gesundheitszustand und die daraus resultierenden Folgen einzuholen. Auch scheint in diesem Zusammenhang die von (der Sachverständigen) angeregte Prüfung durch das zuständige Bezirksgericht, ob die Bestellung eines gesetzlichen Erwachsenenvertreters notwendig ist, unumgänglich.“ (AS 476)

Die belangte Behörde vernahm den Beschwerdeführer nach Behebung des Dublin-Bescheides in der Folge nochmals am 31.03.2021, erklärte ihm das Institut der Erwachsenenvertretung und konfrontierte ihn mit der Anregung der Sachverständigen, einen Erwachsenenvertreter zu bestellen:

„Leiter der Amtshandlung: Ich frage Sie nun direkt, ob Sie denken, dass Sie für Ihr Verfahren entscheidungsrelevante Angaben und Entscheidungen selbständig treffen können?

Verfahrenspartei: Ich bin nicht müde. Ihr habt mich müde gemacht.

LA: Soll für Sie eine Sachwalterschaft beantragt werden?

VP: Ja, ich möchte einen Sachwalter. Dieser soll für mich beantragt werden.“ (AS 502)

Der Beschwerdeführer gab in dieser Einvernahme zu verstehen, dass er selbst sich nicht in der Lage sehe, die Tragweite seiner Rechtshandlungen zu verstehen und die notwendigen Schritte ohne die Gefahr eines Nachteiles für sich selbst zu besorgen. Dass der Beschwerdeführer Probleme hat, am Rechtsverkehr teilzunehmen, zeigt sich auch in seinem Misstrauen gegenüber den Behörden und Instanzen; so ist dem psychiatrischen Befundbericht einer Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin ( XXXX ) zu einem Termin am 20.10.2020 (AS 587) zu entnehmen: „Er zeigt den Beschluss des BVwG, dass seiner Beschwerde stattgegeben wurde. Er traue dem nicht, denke, dass der Anwalt nur sage, dass er jetzt eine Chance habe, damit er sich nicht umbringe.“ (AS 587)

Die belangte Behörde sah in weiterer Folge dennoch weiter davon ab, einen Erwachsenenvertreter zu bestellen, sondern lud den Beschwerdeführer zu einer neuerlichen Einvernahme am 07.06.2021, auch diesmal, ohne dass ein Rechtsvertreter oder eine Vertrauensperson des Beschwerdeführers anwesend waren. Auf die Frage, ob der Beschwerdeführer in dauerhafter ärztlicher Behandlung sei, antwortete er, dass er krank sei, dass er aber nicht wisse, woran genau er leide. Es zeigte sich daher weiterhin eine fehlende Krankheitseinsicht des Beschwerdeführers bzw. die Unmöglichkeit für ihn, sein Krankheitsbild zu erfassen, obwohl ihm dieses bereits ein Jahr zuvor von der belangten Behörde erläutert worden war (woraufhin, wie bereits erwähnt, die Einvernahme abgebrochen werden musste). In dieser letzten Einvernahme meinte der Beschwerdeführer zudem: „Wenn ich wirklich krank bin, dann könnte ich mir die Medikamente in Ägypten nicht leisten, hier sind sie gratis. Ich bin aber nicht krank. Das will ich nochmals sagen.“ (AS 581) Auch daraus ergibt sich, dass der Beschwerdeführer gar nicht in der Lage ist, sein Krankheitsbild zu erfassen und es ihm daher auch nicht möglich ist, die Auswirkungen seiner Erkrankung auf sein Handeln – und auch sein rechtliches Handeln – zu erfassen.

Auch aus den Einvernahmeprotokollen ergeben sich Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer an einer schweren psychischen Störung leidet. Vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat der Beschwerdeführer unter anderem angegeben, bereits in Ägypten wegen psychischer Probleme aus dem Militärdienst entlassen worden zu sein (AS 123, AS 573), Selbstmordgedanken zu haben (AS 123, AS 127) und zeigt sich in den Einvernahmen auch immer wieder eine fehlende Krankheitseinsicht bzw. die Unmöglichkeit für ihn, sein Krankheitsbild zu erfassen (vgl. zB AS 573). Auch die Schilderung der fluchtauslösenden Gründe legt paranoide Züge nahe (beispielhaft: „Ihr Bruder (Anm.: seiner angeblichen Geliebten) hat auf einmal einen Unfall gebaut, ihm haben sie auch Probleme gemacht. Er war dann gelähmt. Dann ist er nach Deutschland geflogen, um sich dort behandeln zu lassen. Sie haben ihn dann mit Absicht umgebracht durch einen Arzt, der bestochen wurde. (…) Danach wurde ich mehrmals bedroht, dass sie mich umbringen. 2018 habe ich mich entschieden auszureichen. Ich habe einen Drohbrief erhalten, da stand, dass sie mich umbringen werden, Einem Freund von mir haben sie den Kopf abgeschnitten.“ AS 578), zumal er weder den Grund der Verfolgung noch die Verfolger konkret und plausibel benennen konnte.

Dennoch erließ die belangte Behörde am 13.07.2021 den angefochtenen Bescheid; in den Feststellungen findet die Erkrankung des Beschwerdeführers keine Erwähnung, sondern wird nur festgestellt, dass er an keinerlei lebensbedrohlichen Erkrankungen leide. In der Beweiswürdigung wurde darauf hingewiesen, dass Schizophrenie in Ägypten behandelbar sei. Auf die Frage, ob der Beschwerdeführer überhaupt prozessfähig ist, wurde gar nicht mehr eingegangen, sondern ihm der Bescheid am 14.07.2021 persönlich übergeben.

Zusammengefasst kommt das Bundesverwaltungsgericht aufgrund der im Akt einliegenden ärztlichen Unterlagen zum Ergebnis, dass der Beschwerdeführer aufgrund der bei ihm vorliegenden paranoiden Schizophrenie in seiner Entscheidungsfähigkeit eingeschränkt und deshalb nicht in der Lage ist, seine Angelegenheiten, insbesondere die Vertretung in Verwaltungsverfahren/Verfahren vor Verwaltungsgerichten bzw. die Vertretung in gerichtlichen Verfahren, ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu erledigen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Zurückweisung der Beschwerde:

Die Frage der prozessualen Handlungsfähigkeit (Prozessfähigkeit) einer Partei ist zufolge des auch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht anzuwendenden § 9 AVG nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu beurteilen. Damit wird die prozessuale Rechts- und Handlungsfähigkeit an die materiellrechtliche Rechts- und Handlungsfähigkeit geknüpft. Hierfür ist entscheidend, ob die Partei im Zeitpunkt der betreffenden Verfahrensabschnitte in der Lage war, Bedeutung und Tragweite des Verfahrens und der sich in ihm ereignenden prozessualen Vorgänge zu erkennen, zu verstehen und sich den Anforderungen eines derartigen Verfahrens entsprechend zu verhalten, was neben den von ihr gesetzten aktiven Verfahrenshandlungen auch Unterlassungen erfasst. Das Fehlen der Prozessfähigkeit ist nach § 9 AVG als Vorfrage in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmen. Hat das Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich des Vorliegens der Prozessfähigkeit einer Partei Bedenken, so hat es die Frage – in der Regel durch Einholung eines Sachverständigengutachtens – von Amts wegen zu prüfen. Bei Bestätigung der Bedenken ist nach § 11 AVG vorzugehen, sohin die Bestellung eines Sachwalters beim zuständigen Gericht zu veranlassen (vgl. VwGH 28.04.2016, Ra 2014/20/0139, siehe auch VwGH 20.02.2002, 2001/08/0192).

Ist die Partei schon bei Zustellung des verwaltungsbehördlichen Bescheides prozessunfähig, führt dies zur Unwirksamkeit der verfahrensrechtlichen Akte der Behörde (VwGH 20.12.2016, Ra 2015/01/0162).

Ausweislich der Feststellungen war der Beschwerdeführer bereits bei der Zustellung des angefochtenen Bescheides nicht in der Lage, die Tragweite der Rechtshandlung der Übernahme eines behördlichen Schriftstückes, womit über seinen Antrag auf internationalen Schutz entschieden und eine Rechtsmittelfrist ausgelöst wird, zu begreifen und die notwendigen Schritte ohne die Gefahr eines Nachteiles für sich selbst zu besorgen und sohin prozessunfähig.

Die belangte Behörde hatte ihm gegenständlichen Verfahren offenbar zunächst geplant gehabt, einen Erwachsenenvertreter zu bestellen (Protokoll vom 31.07.2020, AS 267: „Es konnte ihm die Absicht der Zuweisung eines Sachwalters aufgrund des psychischen Zustandes nicht zur Kenntnis gebracht werden.“), war aber ohne ersichtlichen Grund von diesem Vorhaben abgekommen. Eine Besserung des Krankheitsbildes ist aus der Aktenlage nicht erkennbar.

Die an den Beschwerdeführer erfolgte Zustellung des gegenständlichen Bescheides war daher aufgrund der bei ihm zu diesem Zeitpunkt nicht vorgelegenen Prozessfähigkeit rechtsunwirksam, was zur Folge hat, dass der Bescheid rechtlich nicht existent geworden ist.

Die vom Beschwerdeführer gegenständlich erhobene Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht richtet sich somit mangels wirksamer Bescheiderlassung gegen einen Nichtbescheid, was entsprechend oben zitierter Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes den Mangel der Zuständigkeit der Beschwerdeinstanz zu einem meritorischen Abspruch über das Rechtsmittel zur Folge hat (vgl. auch VwGH 20.04.2017, Ra 2017/20/0095). Diese Frage der eigenen Zuständigkeit hat das Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen wahrzunehmen (vgl. § 6 Abs. 1 AVG iVm § 17 VwGVG).

Die Beschwerde ist daher spruchgemäß als unzulässig zurückzuweisen.

Mangels Erlassung des (als solcher lediglich bezeichneten) Bescheids vom 13.07.2021 ist die Beschwerde dagegen zurückzuweisen.

Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG entfallen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen, vorstehend zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (insbesondere dem Erkenntnis vom 20.12.2016, Ra 2015/01/0162) ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Ist ein Bescheid nicht rechtswirksam erlassen worden, so ist es der Berufungsbehörde verwehrt, meritorisch über die Berufung abzusprechen. Ihre Zuständigkeit reicht in solchen Fällen nur so weit, das Rechtsmittel wegen Unzulässigkeit mangels tauglichen Anfechtungsgegenstandes zurückzuweisen (vgl. VwGH 09.03.1982, 81/07/0212; 30.05.2006, 2005/12/0098). Dies hat auch für das Bundesverwaltungsgericht als Beschwerdeinstanz in Anwendung des § 28 VwGVG zu gelten.

Schlagworte

Abschiebung Asylverfahren Bescheiderlassung Erwachsenenvertreter Krankheit Nichtbescheid Prozessfähigkeit prozessuale Handlungsfähigkeit Sachwalter Sachwalterschaftsverfahren Unzulässigkeit der Beschwerde Unzuständigkeit Vorfrage vulnerable Personengruppe Zurückweisung Zustellmangel Zustellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:I403.2245130.1.00

Im RIS seit

29.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

29.11.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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