Entscheidungsdatum
17.08.2021Norm
AsylG 2005 §10 Abs2Spruch
I408 2234558-3/18E
I408 2241597-1/11E
I408 2241594-1/10E
Schriftliche Ausfertigung der am 21.06.2021 mündlich verkündeten Entscheidung
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Harald NEUSCHMID als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Algerien, der XXXX , geb. XXXX , StA. Ukraine und der mj. XXXX , geb. XXXX , StA. Algerien, alle vertreten durch RA Dr. Gregor KLAMMER, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.03.2021, Zlen. XXXX , XXXX und XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 21.06.2021 zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerden werden mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise einen Monat ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Erstbeschwerdeführer (BF1), ein algerischer Staatsangehöriger, reiste 2014 in das Bundesgebiet ein und hielt sich mit einer Aufenthaltsbewilligung „Studierender“, die mehrmals verlängert wurde, in Österreich auf. Mangels Studienerfolg wurde sein Verlängerungsantrag vom 05.09.2017 mit Bescheid der Wiener Landesregierung vom 16.04.2018 abgewiesen. Dieser Bescheid blieb unbekämpft und erwuchs am 22.05.2018 in Rechtskraft.
2. Die Zweitbeschwerdeführerin (BF2) eine ukrainische Staatsangehörige, ist seit 08.01 2016 durchgehend im Bundesgebiet gemeldet. Auch sie kam zu Studienzwecke nach Österreich und ihre Aufenthaltsbewilligung „Studierende“ lief am 16.09.2019 aus. Ein Verlängerungsantrag wurde von ihrer Seite nicht gestellt.
3. Beide Beschwerdeführer heirateten am XXXX 2016 in Österreich. Am XXXX .2018 kam in Österreich die gemeinsame Tochter (BF3) zur Welt. Sie ist algerische Staatsbürgerin.
4. Im Juni 2018 übermittelte das Amt der Wiener Landesregierung der belangten Behörde den abweisenden Bescheid vom 16.04.2018 zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung in Bezug auf BF1.
5. Am 02.01.2019 stellte BF1 beim Amt der Wiener Landesregierung einen Erstantrag „Niederlassungsbewilligung – ausgenommen Erwerbstätigkeit“.
6. Am 07.05.2020 verständigte die belangte Behörde BF1 über die geplante Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme.
7. BF1 reagierte darauf mit einer Stellungnahme seines rechtsfreundlichen Vertreters vom 30.06.2020, in der er auf seine familiären Verhältnisse hinwies. In dieser Stellungnahme beantragte er unter einem auch die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 AsylG.
8. Mit Bescheid vom 24.07.2020 wurde BF1 kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Algerien zulässt ist. Einer Beschwerde wurde die aufschiebende Wirkung aberkannt und keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt. In einem weiteren Bescheid gleichen Datums wurde der in der Stellungnahme vom 30.06.2020 gestellte Antrag des BF1 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 AsylG als unzulässig zurückgewiesen.
9. Beide Entscheidungen wurden bekämpft. Die Beschwerde gegen die Zurückweisung des Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes am 04.09.2020, I408 2234558-1/3E als unbegründet abgewiesen, blieb unbekämpft und erwuchs in Rechtskraft. Die Rückkehrentscheidung wurde behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückverwiesen, weil sich die belangte Behörde in keiner Weise mit dem Privat- und Familienleben des BF1 auseinandergesetzt hat.
10. Am 27.07.2020, drei Tage nach der Erlassung der beiden Bescheide in Bezug auf BF1, leitete die belangte Behörde auch gegen BF2 und BF3 ein Verfahren zur beabsichtigten Erlassung einer Rückkehrentscheidung ein und räumte beiden zum Ergebnis der Beweisaufnahme Parteiengehör ein, auf das sie mit Schriftsatz ihres Rechtsvertreters vom 17.08.2020 reagierten.
11. Am 03.09.2020 wurde BF2 und am 05.11.2020 BF1 von Organen der belangten Behörde niederschriftlich zu ihrem Privat- und Familienleben sowie ihrem Aufenthalt in Österreich einvernommen.
12. Mit den verfahrensgegenständlichen Bescheiden vom 12.03.2021 erteilte die belangte Behörde allen drei Beschwerdeführern keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt I.), erließ gegen sie eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt II.) und stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Algerien (BF1 und BF3) bzw. in die Ukraine (BF2) zulässig ist (Spruchpunkt III.). Im Fall des BF1 wurde einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt IV.) und keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt V.), wohingegen den BF2 und BF3 eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise gewährt wurde (Spruchpunkt IV.).
13. Mit Schriftsätzen ihrer Rechtsvertretung vom 13.04.2021 bekämpften die Beschwerdeführer die Bescheide.
14. Beschwerden und Behördenakte wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 19.04.2021 vorgelegt.
15. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 21.06.2021 in Anwesenheit der BF und einer Vertreterin der belangten Behörde eine mündliche Verhandlung durch, in deren Anschluss die vorliegende Entscheidung mündlich verkündet wurde.
16. Am 01.07.2021 beantragten die Beschwerdeführer über ihren gemeinsamen Rechtsvertreter die schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der 28-jährige BF1 ist Staatsbürger Algeriens und die 24-jährige BF2 Staatsangehörige der Ukraine. Beide kamen zum Studieren nach Österreich, BF1 2014 und BF2 2016, wobei BF2 zunächst mit einem D-Visum einreiste und sich erst nach der Heirat am 16.12.2016 um einen Aufenthalt zu Studienzwecken bemühte. Am XXXX 2018 kam in Österreich die gemeinsame Tochter (BF3) auf die Welt.
Alle drei Beschwerdeführer halten sich aktuell ohne Aufenthaltsberechtigung in Österreich auf.
Der befristet zuerkannte Aufenthaltstitel für den Zweck „Studierende“ wurde BF1 mangels Studienerfolgs mit Bescheid der Wiener Landesregierung vom 16.04.2018 nicht mehr verlängert, während BF2, die nach der Geburt ihrer Tochter studienmäßig nichts mehr weiterbrachte, nicht auf den Fristablauf Ihrer Aufenthaltsberechtigung am 16.09.2019 reagierte und auch keinen Verlängerungsantrag stellte. Für die gemeinsame Tochter (BF3) wurde bisher überhaupt noch kein Aufenthaltstitel beantragt.
BF1 stellte am 02.01.2019 beim Magistrat der Stadt Wien einen Antrag auf Niederlassungsbewilligung – ausgenommen Erwerbstätigkeit. Unabhängig davon, dass dieser Aufenthaltstitel nur für Drittstaatsangehörige vorgesehen ist, die sich ohne einer Erwerbstätigkeit nachzugehen in Österreich niederlassen möchten, und im Falle eines Erstantrages ein Quotenplatz zur Verfügung stehen muss, erwähnte BF1 bei seinem Antrag weder die Verehelichung noch seine Tochter und legte auch keine sonstigen Unterlagen zur Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen bei.
Alle drei Beschwerdeführer sind gesund und leben in einem gemeinsamen Haushalt. BF1 beherrscht die deutsche Sprache auf B2-Niveau und kann sich problemlos auf Deutsch verständigen. BF2 versteht alles sehr gut, tut sich aber schwer, sich auf Deutsch auszudrücken. Untereinander sprechen die Beschwerdeführer überwiegend Englisch bzw. mit dem dreijährigen Kind auch in Ihrer Muttersprachen. In Österreich leben keine weiteren Verwandte der Beschwerdeführer. Aufgrund ihrer Aktivitäten in den letzten Jahren sind zweifelsohne persönliche Kontakt entstanden, die aber kein gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis begründen oder eine hervorzuhebende Intensität aufweisen.
Nach der Matura in Algerien besuchte der BF1 in Österreich von 2014 bis 2017 einen Vorstudienlehrgang und ist er seit Oktober 2018 als Studierender im Bachelorstudium Informatik gemeldet. Einen Studienerfolg hat er bisher nicht nachgewiesen. Den Lebensunterhalt der Familie bestreitet B1 über Zuwendungen von Freunden und aufgrund seiner IT-Kenntnisse, die er sich über Online-Kurse angeeignet hat. Um zu Geld zu kommen hat er an der Erstellung einer neuen App mitgearbeitet, bei EFS eine Ausbildung als Finanzberater gemacht und verwaltet seit 2016 Ferienwohnungen. Daneben war er während seines Aufenthaltes nahezu durchgehend geringfügig beschäftigt.
BF2 absolvierte in der Ukraine neun Jahre die Grundschule und eine zweijährige pädagogische Ausbildung. Nach einem begonnenen Englisch- und Russischstudium kam sie nach Österreich, wo sie beabsichtigte, dieses fortzusetzen. Als ordentliche Studierende war sie nie zugelassen und ist auch nicht als Hörerin an einer Universität inskribiert. Zum Lebensunterhalt ihrer Familie trägt sie als Englischlehrerin und Babysitterin bei. Einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung ist sie in Österreich bisher nicht nachgegangen.
In Algerien leben die Mutter und zahlreiche Angehörige des BF1. Zuletzt war er 2017 für drei Wochen in Algerien. Die computerabhängige IT-Erwerbstätigkeit, die er auch in Österreich ausübt, ist nicht standortgebunden und können überall von einem PC aus vorgenommen werden.
In der Ukraine leben die Eltern der BF2. Während der Schwangerschaft war BF2 in der Ukraine und wurde dort auch von BF1 besucht. Im Jänner 2021 war die Mutter von BF2 in Wien auf Besuch. Auch wenn die Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung ein harmonisches Bild abgaben und sich liebevoll um ihre Tochter kümmerten, kam es am 26.01.2021, im Beisein der Mutter von BF2, zu handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen beiden Ehepartnern, die ein polizeiliches Einschreiten zur Folge hatte. Es führte aber zu keinen strafrechtlichen Konsequenzen.
Zur Lage in den Herkunftsstaaten:
Die belangte Behörde hat in Ihren Bescheiden die wirtschaftliche und sozioökonomische Lage in den beiden Herkunftsstaaten von BF1 und BF2 umfassend dargestellt. Die wirtschaftliche Lage ist sowohl in Algerien als auch in der Ukraine angespannt, es ist aber in beiden Staaten sowohl die Grundversorgung als auch die medizinische Versorgung gewährleistet. Zudem haben beide Beschwerdeführer im Herkunftsstaat eine gute Ausbildung erhalten und verfügen dort über ein familiäres Netzwerk, das ihnen immerhin die Möglichkeit, in Österreich ein Studium zu beginnen, bereitet hat. Beide Staaten gelten zudem als „sichere Herkunftsländer“. Von einer unmittelbaren Gefahr für Leib und Leben oder der Verletzung der in Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechte ist nicht auszugehen. Zudem ist es den beiden verheirateten Beschwerdeführern zumutbar, mit ihrer Tochter gemeinsam in eines ihrer Herkunftsstaaten zurückzukehren und dort bzw. von dort aus eine gemeinsame Zukunft auszubauen.
Im Detail wird dazu zu Algerien ausgeführt:
Die Ausbreitung von Covid-19 führt weiterhin zu Einschränkungen des internationalen Luft- und Reiseverkehr und Beeinträchtigungen des öffentlichen Lebens (AA 1.3.2021; vgl. BMEIA 10.3.2021). Algerien ist weiterhin von COVID-19 betroffen. Regionale Schwerpunkte sind der Großraum Algier sowie die Provinzen Blida und Oran. Algerien gilt als Risikogebiet. Die Landgrenzen sind geschlossen. Der internationale Personenflugverkehr aus und nach Algerien und der Fährverkehr sind seit Mitte März 2020 eingestellt. Es finden jedoch regelmäßig Sonderflüge von Algier nach Frankfurt und in einige französische Städte statt (AA 1.3.2021). Die Einreise nach Algerien ist verboten; Ausnahmen ausschließlich mit Sondergenehmigung des algerischen Innenministeriums – vollständige Einreisesperre im März 2021 (BMEIA 10.3.2021).
Aufgrund der epidemiologischen Entwicklung gelten derzeit folgende Restriktionen, welche strikt zu beachten sind: landesweite Ausgangssperre von 22:00 Uhr bis 05:00 Uhr, unbedingt erforderliche Fahrten während der Ausgangssperre sind zu begründen und generelle Mund-Nasenschutzpflicht sowie Distanzpflicht im öffentlichen Raum, insbesondere auch in Geschäften (BMEIA 10.3.2021).
Sicherheitslage
Demonstrationen fanden von Mitte Februar 2019 bis Ende März 2020 fast täglich in allen größeren Städten statt. Auch wenn diese weitgehend friedlich verliefen, konnten vereinzelte gewaltsame Auseinandersetzungen nicht ausgeschlossen werden (IPB 12.6.2020). Seit Februar 2021 versammeln sich Tausende Bürgerinnen und Bürger jeden Freitag auf den Straßen und demonstrieren für einen umfassenden Politik- und Systemwechsel (BAMF 1.3.2021; vgl. BAMF 8.3.2021). Zwischenzeitlich hat der Präsident, vorerst einmal vorübergehend die Macht übernommen.
Der djihadistische Terrorismus in Algerien ist stark zurückgedrängt worden; Terroristen wurden großteils entweder ausgeschaltet, festgenommen oder haben das Land verlassen. 2019 und 2020 wurden keine terroristischen Angriffe verzeichnet, bei Razzien und Aktionen gegen Terroristen und deren Unterstützer kommt es immer wieder zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften mit tödlichem Ausgang. Im 1 Halbjahr 2020 beliefen sich die Zahlen nach den nicht überprüfbaren Angaben des Verteidigungsministeriums auf zwölf getötete, drei sich ergebende und fünf festgenommene Terroristen. Algerische Behörden verfolgen einen relativ holistischen Ansatz des Kampfes gegen den Terrorismus und binden in ihre Bemühungen zur Deradikalisierung auch Moscheen, Frauen und Familien ein (ÖB 11.2020).
Religionsfreiheit
Die Bevölkerung besteht zu 99% aus sunnitischen Moslems und zu weniger als 1% aus Christen, Juden und anderen (CIA 3.3.2021). Verschiedene inoffizielle Schätzungen geben die Anzahl der Christen in Algerien zwischen 20.000 und 200.000 an. Durch den Zuzug von Studenten und Migranten aus Subsahara-Afrika ist die Anzahl der Christen in den letzten Jahren gestiegen. Mit dem Vatikan unterhält Algerien seit 1972 diplomatische Beziehungen, ein Nuntius ist vor Ort (AA 11.7.2020).
Die Verfassung gewährleistet Glaubensfreiheit. Gesetzliche Bestimmungen gestatten allen Individuen die Freiheit, ihre Religion auszuüben, solange die öffentliche Ordnung und gesetzliche Bestimmungen gewahrt bleiben (USDOS 10.6.2020). Die Verfassung erklärt den Islam zur Staatsreligion (USDOS 10.6.2020; vgl. AA 11.7.2020), verbietet aber Diskriminierung aus religiösen Gründen (AA 11.7.2020). Auch in der Praxis ist die Religionsfreiheit gut etabliert. Christen können ihren Glauben frei ausüben (BS 29.4.2020). Muslime, die zum Christentum konvertieren bzw. den Islam oder islamische Würdenträger kritisieren, sind gesellschaftlichen und rechtlichen Restriktionen ausgesetzt (BS 29.4.2020; vgl. USDOS 10.6.2020). So versagt das Gesetz Personen, die vom Islam zu einer anderen Religion konvertiert sind, ein Erbe zu erhalten (USDOS 10.6.2020).
Frauen
Die Verfassung garantiert die Gleichstellung der Geschlechter (FH 2021), aber Frauen sind nach wie vor sowohl rechtlichen als auch gesellschaftlichen Diskriminierungen ausgesetzt (FH 2021; vgl. USDOS 11.3.2020). Viele Frauen verdienen weniger als Männer in ähnlichen Positionen, und es gibt nur wenige Frauen in Führungspositionen von Unternehmen (FH 2021). Trotz verfassungsrechtlichem Diskriminierungsverbot bewirkt das von islamischen Grundsätzen geprägte Familien- und Erbrecht eine rechtliche und faktische Diskriminierung von Frauen (AA 11.7.2020).
Insbesondere in den unteren sozialen Schichten führen Scheidungen, Scheidungsfolgen und das diskriminierende Erbrecht (der Pflichtteil weiblicher Abkömmlinge ist im Vergleich zu dem der männlichen Miterben halbiert) häufig zu Mittellosigkeit und gesellschaftlicher Marginalisierung von Frauen. In Algier und anderen großen Städten des Nordens spielen Frauen gleichwohl in allen gesellschaftlichen Zusammenhängen eine maßgebliche Rolle. Der Regierung gehören aktuell fünf Ministerinnen an. Die Mehrheit der Frauen bleibt jedoch fest in patriarchalische Strukturen eingebunden. Eine Novelle des Familiengesetzbuchs („Code de la famille“), welche die Situation vor allem geschiedener Frauen verbessert, wurde 2005 von der Nationalversammlung verabschiedet. Obwohl dadurch wesentliche Defizite des auf der Scharia fußenden Familienrechts, wie die Tutelle (lebenslange Vormundschaft durch den Vater oder ein anderes männliches Familienmitglied; Zustimmung des Vormunds zu allen wesentlichen Entscheidungen) oder ein eingeschränktes Scheidungsrecht abgemildert worden sind, wirken traditionell-religiöse Regelungen vor allem der sunnitisch-malikitischen Rechtstraditionen des Landes faktisch in vieler Weise fort (AA 11.7.2020).
Frauen, die mittlerweile fast 70% der Universitätsabgänger stellen, stehen aufgrund von sozialen Einschränkungen nicht alle Tätigkeiten offen (nur 18% der Beschäftigten), Ehemänner oder Familienvorstände können die Beschäftigung von Frauen verbieten (ÖB 11.2020).
Arrangierte Ehen oder Zwangsehen gibt es in Algerien, jedoch v.a. im ländlichen Raum. Die Häufigkeit ist seit Jahren rückläufig, scheint jedoch auch aus ökonomischen Gründen in benachteiligten Gebieten mitunter weiterzuleben. Eine Zwangsehe ist laut algerischem Familienrecht verboten, eine Ehe mit bis zu vier Frauen ist gemäß den zugrunde liegenden islamischen Rechtsprinzipien zwar zulässig, in der Praxis jedoch selten, da kostspielig und relativ unüblich. Zu Ehrenmorden kommt es vereinzelt im traditionell geprägten sozialen Umfeld (ÖB 11.2020).
Vergewaltigung ist strafbar. Das Strafmaß beträgt fünf bis zehn Jahre und die Behörden setzen das Gesetz üblicherweise durch. Der Straftatbestand der Vergewaltigung in der Ehe existiert gesetzlich nicht (USDOS 11.3.2020), der Straftatbestand der Vergewaltigung bezieht sich auf Taten außerhalb der Ehe (AA 11.7.2020). Viele Frauen zeigen Fälle von Vergewaltigung aufgrund von gesellschaftlichem und familiärem Druck nicht an (USDOS 11.3.2020).
2015 wurde nach langer und kontroverser Diskussion ein Gesetz verabschiedet, das Gewalt gegen Frauen auch in der Ehe unter Strafe stellt (ÖB 11.2020) bzw. einige Formen häuslicher Gewalt kriminalisiert. Allerdings enthält das Gesetz Schlupflöcher, wonach die Strafverfolgung unterbleibt, Verurteilungen fallengelassen oder Strafen verringert werden, wenn das Opfer dem Täter verzeiht (ÖB 11.2020; vgl. HRW 13.1.2021, AI 18.2.2020). Das Gesetz sieht ferner Strafen für sexuelle Belästigung in der Öffentlichkeit vor und schützt das Vermögen von Ehefrauen vor dem Zugriff des Ehemanns und ist 2016 in Kraft getreten. Das Gesetz hat zwar zu einer Verbesserung der Situation geführt, jedoch ist es in der Praxis für Frauen oft schwierig, bei innerfamiliären Konflikten dies auch vor Gericht durchzusetzen (ÖB 11.2020).
Dem Vernehmen nach gibt es landesweit nur eine Einrichtung, die mit einem Frauenhaus verglichen werden kann. Diese wird in Algier durch die Organisation „S.O.S. femmes en détresse“ betrieben (AA 11.7.2020). Es gibt Aufnahmezentren (centres d’accueil), an die sich Frauen in Notfällen wenden können (ÖB 11.2020).
Es gibt keine Erkenntnisse zu weiblicher Genitalverstümmelung (AA 11.7.2020).
Kinder
Für Kinder und Jugendliche besteht eine allgemeine Schulpflicht. Bildung ist bis zum Universitätsabschluss kostenlos (AA 11.7.2020; vgl. SOS o.D.). Die Schulpflicht besteht bis zum Alter von 16 Jahren (SOS o.D). Dennoch gibt es vermehrt Schulabbrüche (AA 11.7.2020; vgl. SOS o.D.), die ihre Ursache in der prekären finanziellen Situation der Familien haben. Nach offiziellen Angaben werden zwar nahezu alle Kinder eingeschult, zeitweilige Kinderarbeit (speziell in den Schulferien) als Straßenverkäufer oder in der Landwirtschaft kommt jedoch vor (AA 11.7.2020). Die meisten Kinder, die Zwangsarbeit verrichten, gehen nicht zur Schule und erhalten daher keine Grundausbildung (SOS o.D.).
Als Fortschritt anzuerkennen ist das 2015 in Kraft getretene Gesetz zum Schutz der Kindheit, das einen Rechtsrahmen verstärkter staatlicher Fürsorge vorgibt und in Folge dessen eine nationale Beauftragte für Schutz und Förderung der Kindheit eingesetzt wurde. Bislang sind mit Blick auf Themen wie Gewalt gegen Kinder (in Elternhaus, Schule und Gesellschaft) und deren Versorgung (einschließlich Recht auf Bildung und Gesundheit und sonstigen rechtlichen Schutz) immer noch Defizite zu konstatieren. Neue Strafnormen des Strafgesetzbuchs stellen neben Kindesentführungen u.a. die Vergewaltigung von Kindern, Inzest, Kinderprostitution und Kinderpornographie unter Strafe - mit teils drastischen Strafrahmen (AA 11.7.2020). Das Gesetz sieht eine Freiheitsstrafe von 10 bis 20 Jahren für Vergewaltigungen vor, wenn das Opfer minderjährig ist (USDOS 11.3.2020). Kindesmissbrauch ist in Algerien aber nach wie vor ein weit verbreitetes Problem (SOS o.D.; vgl. USDOS 11.3.2020). Viele Fälle werden nicht gemeldet und die gegen Kindesmissbrauch verabschiedeten Gesetze haben bislang nur in sehr wenigen Fällen zu einer strafrechtlichen Verfolgung geführt (SOS o.D.).
Das gesetzliche Mindestalter für eine Heirat ist 19 Jahre für Männer und Frauen. Unabhängig vom Geschlecht dürfen Minderjährige mit elterlicher Zustimmung heiraten. Gegen ihren Willen dürfen Minderjährige laut Gesetz nicht verheiratet werden. Das Mindestalter für einvernehmlichen Geschlechtsverkehr ist 16 Jahre (USDOS 11.3.2020).
Zurzeit gibt es in Algerien ein SOS-Kinderdorf, eine SOS-Jugendeinrichtung, einen SOS-Kindergarten und vier SOS-Sozialzentren. SOS-Kinderdorf setzt sich für den Schutz und die Unterstützung der Kinder und Jugendlichen des Landes ein. In Algerien leben ca. 550.000 Waisenkinder, die ein oder beide Elternteile verloren haben. Waisenkinder sind besonders stark von Ausbeutung jeglicher Art bedroht (SOS o.D.).
Grundversorgung
Nahezu die gesamten Staatseinkünfte des Landes stammen aus dem Export von Erdöl und Erdgas. Rund 90% der Grundnahrungsmittel und fast die Gesamtheit der Pharmazeutika und Gebrauchsgüter werden importiert. Eine an den Bedürfnissen der Bevölkerung orientierte oder auf Autarkie zielende Industrialisierung hat nicht stattgefunden. Die Staatseinnahmen – und damit die Fähigkeit zur Subventionierung von Grundbedürfnissen (Grundnahrungsmittel, Wohnungsbau, Infrastruktur) – sind seit 2014 aufgrund der sinkenden Öl- und Gaspreise drastisch zurückgegangen (RLS 7.4.2020; vgl. BS 29.4.2020). Durch den Verfall der Öl- und Gaspreise befindet sich die algerische Wirtschaft seit 2014 in einer Abwärtsspirale. Öffentliche Ausgaben sind angespannt. Steuererhöhungen führten 2019 und Anfang 2020 zu Demonstrationen. Die Corona-Krise 2020 hat die wirtschaftliche Krise weiter vertieft (DI / DTDA 2020).
Algerien leistet sich aus Gründen der sozialen und politischen Stabilität ein für die Möglichkeiten des Landes aufwendiges Sozialsystem, das aus den Öl- und Gasexporten finanziert wird. Das Land hat - als eines von wenigen Ländern - in den letzten 20 Jahren eine Reduktion der Armutsquote von 25% auf 5% erreicht. Schulbesuch und Gesundheitsfürsorge sind kostenlos. Energie, Wasser und Grundnahrungsmittel werden stark subventioniert. Ein Menschenrecht auf Wohnraum wird anerkannt. Für Bedürftige wird Wohnraum kostenlos zur Verfügung gestellt. Missbräuchliche Verwendung ist häufig (ÖB 11.2020). Algerien hat ein relativ gut ausgebildetes Sozialsystem, dieses ist allerdings von einigen Unausgewogenheiten geprägt, z.B. Ungleichheiten zwischen formal Angestellten und im informellen Sektor Tätigen. Eine Alterspension ist rechtlich für 100% der Bevölkerung vorgesehen, tatsächlich beziehen konnten diese im Jahr 2018 nur 59%. Arbeitslosengeld existiert im formalen Sektor, es ist aber vergleichsweise niedrig (DI / DTDA 2020).
Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist bislang durch umfassende Importe gewährleistet. Insbesondere im Vorfeld religiöser Feste, wie auch im gesamten Monat Ramadan, kommt es allerdings immer wieder zu substanziellen Preissteigerungen bei Grundnahrungsmitteln. Für Grundnahrungsmittel wie Weizenmehl, Zucker und Speiseöl gelten im Jänner 2011 eingeführte Preisdeckelungen und Steuersenkungen. Im Bereich der Sozialfürsorge kommt, neben geringfügigen staatlichen Transferleistungen, vornehmlich der Familien-, im Süden des Landes auch der Stammesverband, für die Versorgung alter Menschen, Behinderter oder chronisch Kranker auf. In den Großstädten des Nordens existieren „Selbsthilfegruppen“ in Form von Vereinen, die sich um spezielle Einzelfälle (etwa die Einschulung behinderter Kinder) kümmern. Teilweise fördert das Solidaritätsministerium solche Initiativen mit Grundbeträgen (AA 11.7.2020).
Die Arbeitslosigkeit liegt [Stand 2019] bei 11,7%, die Jugendarbeitslosigkeit (15 - 24-Jährige) bei 29,5% (WKO 2.2021); nach anderen Angaben bei 17% bzw. 50% (RLS 7.4.2020). In einer weiteren Quelle wird die Jugendarbeitslosigkeit mit Stand 2020 mit 30% angegeben, v.a. unter Frauen und höher Gebildeten (DI / DTDA 2020). Die Regierung anerkennt die Problematik der hohen Akademikerarbeitslosigkeit (ÖB 11.2020). Laut Weltbank betrug die Arbeitslosigkeit Ende 2019 12,3%; dieser Wert ist jedoch im Gefolge der COVID-Pandemie sicherlich angestiegen, aktuelle verlässliche Zahlen liegen nicht vor. Schwer zu beziffern ist der informelle Sektor, der laut UN-Quellen (inoffiziell) auf bis zu 60% des Landes geschätzt wird (ÖB 11.2020), nach anderen Angaben arbeiten 38% der Algerier im informellen Sektor (DI / DTDA 2020).
Das staatliche Arbeitsamt Agence national d’emploi / ANEM (http://www.anem.dz/) bietet Dienste an, es existieren auch private Jobvermittlungsagenturen (z.B. http://www.tancib.com/index.php?page=apropos). Seit Februar 2011 stehen jungen Menschen Starthilfekredite offen, wobei keine Daten darüber vorliegen, ob diese Mittel ausgeschöpft wurden. In manchen Regionen stellt der Staat kostenlos Land, Sach- sowie Geldmittel zur Verfügung, um landwirtschaftliche Unternehmungen zu erleichtern. Grundsätzlich ist anzumerken, dass allen staatlichen Genehmigungen/Unterstützungen eine (nicht immer deklarierte) sicherheitspolitische Überprüfung vorausgeht, und dass Arbeitsplätze oft aufgrund von Interventionen besetzt werden. Der offiziell erfasste Wirtschaftssektor ist von staatlichen Betrieben dominiert (ÖB 11.2020).
Medizinische Versorgung
Der Standard in öffentlichen Krankenhäusern entspricht nicht europäischem Niveau (ÖB 11.2020; vgl. AA 11.7.2020). Krankenhäuser, in denen schwierigere Operationen durchgeführt werden können, existieren in jeder größeren Stadt; besser ausgestattete Krankenhäuser gibt es an den medizinischen Fakultäten von Algier, Oran, Annaba und Constantine. Häufig auftretende chronische Krankheiten wie Diabetes, Krebs, Tuberkulose, Herz- und Kreislaufbeschwerden, Geschlechtskrankheiten und psychische Erkrankungen können auch in anderen staatlichen medizinischen Einrichtungen behandelt werden. AIDS-Patienten werden in sechs Zentren behandelt (AA 11.7.2020). Vor allem in Algier sind Privatspitäler entstanden, die nach europäischem Standard bezahlt werden müssen. Der Sicherheitssektor kann auf ein eigenes Netz von Militärspitälern zurückgreifen. Mit Frankreich besteht ein Sozialabkommen aus den 1960er-Jahren, das vorsieht, dass komplizierte medizinische Fälle in Frankreich behandelt werden können. Dieses Abkommen ist seit einiger Zeit überlastet. Nicht alle Betroffenen können es in Anspruch nehmen. Dies soll nun auch aus Kostengründen weiter eingeschränkt werden und entsprechende medizinische Zentren im Land geschaffen werden. Auch mit Belgien besteht ein entsprechendes Abkommen (ÖB 11.2020).
Immer wieder wird darauf aufmerksam gemacht, dass sich in Algerien ausgebildete Ärzte in Frankreich und Deutschland niederlassen, was zu einem Ärztemangel in Algerien führt. Die Versorgung im Landesinneren mit fachärztlicher Expertise ist nicht sichergestellt. Augenkrankheiten sind im Süden häufig. Algerien greift für die Versorgung im Landesinneren auf kubanische Ärzte zurück, z.B. die im April 2013 neu eröffnete Augenklinik in Bechar. Immer wieder kommt es zu Beschwerden und Protesten über den unzureichenden Zustand des Gesundheitssystems, im Zuge der COVID-Pandemie kam es auch zu tätlichen Übergriffen auf Spitalspersonal. Probleme sind auch bei der Spitalshygiene und Medikamentenversorgung (nur Billigimporte oder lokale Produktion) gegeben. Die Müttersterblichkeit und Komplikationen bei Geburten sind aufgrund von Nachlässigkeiten in der Geburtshilfe hoch. Tumorpatienten können medizinisch nicht nach westlichem Standard betreut werden. Schwierig ist die Situation von Alzheimer- und Demenzpatienten und sowie von Behinderten. Generell wird, um ein Intensivbett zu kommen oder eines behalten zu können, oft auch zu Bestechung gegriffen (ÖB 11.2020).
Grundsätzlich ist medizinische Versorgung in Algerien allgemein zugänglich und kostenfrei (ÖB 11.2020; vgl. AA 11.7.2020). Krankenversichert ist nur, wer einer angemeldeten Arbeit nachgeht. Die staatliche medizinische Betreuung in Krankenhäusern steht auch Nichtversicherten beinahe kostenfrei zur Verfügung, allerdings sind Pflege und Verpflegung nicht sichergestellt, Medikamente werden nicht bereitgestellt, schwierige medizinische Eingriffe sind nicht möglich. Grundsätzlich meiden Algerier nach Möglichkeit die Krankenhäuser und bemühen sich, Kranke so schnell wie möglich in häusliche Pflege übernehmen zu können. Ohne ständige familiäre Betreuung im Krankenhaus ist eine adäquate Pflege nicht gesichert (ÖB 11.2020).
In der gesetzlichen Sozialversicherung sind Angestellte, Beamte, Arbeiter oder Rentner sowie deren Ehegatten und Kinder bis zum Abschluss der Schul- oder Hochschulausbildung obligatorisch versichert. Die Sozial- und Krankenversicherung ermöglicht grundsätzlich in staatlichen Krankenhäusern eine kostenlose, in privaten Einrichtungen eine kostenrückerstattungsfähige ärztliche Behandlung. Immer häufiger ist jedoch ein Eigenanteil zu übernehmen. Die höheren Kosten bei Behandlung in privaten Kliniken werden nicht oder nur zu geringerem Teil übernommen. Algerier, die nach jahrelanger Abwesenheit aus dem Ausland zurückgeführt werden, sind nicht mehr gesetzlich sozialversichert und müssen daher sämtliche Kosten selbst übernehmen, sofern sie nicht als Kinder oder Ehegatten von Versicherten erneut bei der Versicherung eingeschrieben werden oder selbst einer versicherungspflichtigen Arbeit nachgehen (AA 11.7.2020).
Zur Ukraine wird ausgeführt:
Die Existenzbedingungen sind im Landesdurchschnitt knapp ausreichend. Die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist gesichert. Vor allem in ländlichen Gebieten stehen Strom, Gas und warmes Wasser zum Teil nicht immer ganztägig zur Verfügung (AA 29.2.2020; vgl. GIZ 12.2018). Die Situation, gerade von auf staatliche Versorgung angewiesenen älteren Menschen, Kranken, Behinderten und Kindern, bleibt daher karg. Die Ukraine gehört trotzt zuletzt deutlich steigender Reallöhne zu den ärmsten Ländern Europas. Das offizielle BIP pro Kopf gehört zu den niedrigsten im Regionalvergleich und beträgt lediglich ca. 3.221 USD p.a. Ein hoher Anteil von nicht erfasster Schattenwirtschaft muss in Rechnung gestellt werden (AA 29.2.2020). Die Mietpreise für Wohnungen haben sich in den letzten Jahren in den ukrainischen Großstädten deutlich erhöht. Wohnraum von guter Qualität ist knapp (GIZ 12.2018). Insbesondere alte bzw. schlecht qualifizierte und auf dem Arbeitsmarkt nicht vermittelbare Menschen leben zum Teil weit unter der Armutsgrenze (GIZ 3.2020b). Ohne zusätzliche Einkommensquellen (in ländlichen Gebieten oft Selbstversorger, Schattenwirtschaft) bzw. private Netzwerke ist es insbesondere Rentnern und sonstigen Transferleistungsempfängern kaum möglich, ein menschenwürdiges Leben zu führen. Sozialleistungen und Renten werden zwar regelmäßig gezahlt, sind aber trotz regelmäßiger Erhöhungen größtenteils sehr niedrig (Mindestrente zum 1. Dezember 2019: 1.638 UAH (ca. 63 EUR) (AA 29.2.2020). Nachdem die durchschnittlichen Verdienstmöglichkeiten weit hinter den Möglichkeiten im EU-Raum, aber auch in Russland, zurückbleiben, spielt Arbeitsmigration am ukrainischen Arbeitsmarkt eine nicht unbedeutende Rolle (ÖB 2.2019).
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zum Sachverhalt:
Verfahrensgang und Feststellungen ergeben sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Inhalt der Behördenakte, den schriftlichen Stellungnahmen der Beschwerdeführer, ihren niederschriftlichen Einvernahmen durch die belangte Behörde am 03.09.2020 (BF2) und 05.11.2020 (BF1) sowie den Einvernahmen von BF1 und BF2 im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 21.06.2021. Hinzu kommen vom Gericht eingeholte Abfragen aus Strafregister, Fremdenregister, Sozialversicherung und Melderegister.
Die Identitäten und Nationalitäten der Beschwerdeführer sind über Reisepässe (BF1 und BF2) bzw. Geburtsurkunde (BF3) dokumentiert.
Die Feststellungen zur Person des BF1, zu seinem Aufenthalt in Österreich und zu seinen Aufenthaltstiteln ergeben sich zum einen aus den bereits im Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 04.09.2020, I408 2234558-1/3E getroffenen Feststellungen und stimmen insoweit mit dem eingeholten Auszug aus dem Fremdenregister überein. Der Auskunft der zuständigen MA35 vom 21.04.2021 und den eingeholten Behördenakten ist zu entnehmen, dass über den von BF1 am 02.01.2019 gestellten Erstantrag „Niederlassungsbewilligung – ausgenommen Erwerbstätigkeit“, mangels freien Quotenarbeitsplatz bisher zu keiner Erledigung gekommen ist. Der unvollständige Antrag, ohne Hinweis auf Ehefrau und Kind, ist aus dem Antragsformular im eingeholten Behördenakt ersichtlich.
Dass sich BF2 seit Jänner 2016 in Österreich aufhältig ist, beruht auf dem vorliegenden Melderegisterauszug. Die Aufenthaltstitel zu Studienzwecken von XXXX 2017 bis XXXX 2019 entsprechen den Angaben des Fremdenregisters. Im Zusammenschau mit ihren Angaben vor der belangten Behörde und dem erkennenden Richter resultiert die Feststellung, dass sie zunächst mit einem D-Visum und sich erst nach ihrer Verehelichung um einen Aufenthalt zu Studienzwecken bemüht hat.
Die am 16.12.2016 geschlossene Ehe ist aus der vorgelegten Heiratsurkunde ersichtlich. Aus dem Fremdenregisterauszug der BF3 geht hervor, dass für sie bisher kein Aufenthaltstitel beantragt wurde. Dies wurde auch von BF1 und BF2 auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung nicht in Abrede gestellt. Dass die Eltern für BF3 die gemeinsame Obsorge haben, führte BF1 in seiner schriftlichen Stellungnahme vom 30.06.2020 (AS 22) ausdrücklich an und wurde auch von BF2 in ihrer niederschriftlichen Einvernahme am 03.09.2020 bestätigt.
Die Feststellung, wonach alle Beschwerdeführer in einem gemeinsamen Haushalt leben, gute Deutschkenntnisse haben und untereinander überwiegend Englisch sprechen, folgt dem Vorbringen von BF1 und BF2 in der mündlichen Verhandlung am 21.06.2021. Gesundheitliche Beeinträchtigungen sind im gesamten Verfahren nicht vorgebracht worden.
Die handgreiflichen Auseinandersetzungen von BF1 gegenüber BF2 und der Aufenthalt der Mutter von BF2 sind dem Polizeibericht vom 13.04.2021 entnommen (OZ 10). Aus dem Mail der LPD vom 14.05.2021 (OZ 8) ergibt sich, dass das folgende Strafverfahren zu XXXX eingestellt wurde. Dieser Vorfall ist nicht überzubewerten, macht aber das Vorbringen von BF1, die Eltern seiner Ehefrau seien mit der Verbindung nicht glücklich, verständlich.
Aus seinen Angaben im gesamten Verfahren ergeben sich die Feststellungen zum Bildungswerdegang des BF1. Der Besuch eines Vorstudienlehrganges in den Jahren 2014 bis 2017 ist durch entsprechenden Bestätigungen belegt. Dass er seit 2018 als Studierender im Bachelorstudium Informatik gemeldet ist, gab der BF1 in der mündlichen Verhandlung an. Dass er keinen Studienerfolg vorweisen kann, ergibt sich zum einen aus dem Umstand, dass der BF1 in der mündlichen Verhandlung angab, nur zwei „IZR Punkte“ (gemeint ECTS) erlangt zu haben, wo jedoch der Arbeitsaufwand eines Studienjahres für einen Vollzeitstudenten mit 60 ECTS-Punkten bemessen wird (https://www.oesterreich.gv.at/themen/bildung_und
_neue_medien/universitaet/Seite.160120.html) und zum anderen daraus, dass BF1 zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens einen Nachweis über seinen Studienerfolg in Vorlage gebracht hat. Dem entspricht auch den Ausführungen in der Stellungnahme vom 31.05.2021, wonach BF1 erst nächsten Semester mit dem Studium beginnen werde.
Die Feststellungen zu den Erwerbstätigkeiten des BF1 folgen seinem Vorbringen in der mündlichen Verhandlung und im Zusammenschau mit dem Inhalt des eingeholten Sozialversicherungsauszuges sowie der vorgelegten Bestätigung, dass er auch als Verwalter von Ferienwohnungen tätig ist. Da BF1 seit 22.05.2018 über keinen Aufenthaltstitel mehr verfügt, arbeitet er ohne Beschäftigungsbewilligung und die nicht gemeldeten Erwerbstätigkeiten in Österreich sind auch nicht geeignet, einen Aufenthaltstitel nach dem NAG zu ermöglichen. Dass BF1 mit seinen EDV-Kenntnissen als Informatiker überall tätig sein kann, gab er in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich an. Das B2 Zertifikat des BF1 liegt im Verwaltungsakt ein und die mündliche Verhandlung konnte problemlos auf Deutsch geführt werden.
Die Feststellungen zur Schulbildung der BF2 in der Ukraine ergeben sich aus ihren Angaben in der niederschriftlichen Einvernahme am 03.09.2020. Die Feststellungen zum Studium in Österreich sind den Angaben in ihrer schriftlichen Stellungnahme vom 17.08.2020, wonach sie sich derzeit auf einen B2 Kurs vorbereite, um im Anschluss als ordentliche Studierende inskribieren zu können. Dass sie derzeit nicht als Studentin inskribiert ist, gab sie in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich an. Zu ihrer Erwerbstätigkeit gab die BF2 in der Verhandlung an: „Ich verdiene Geld als Babysitterin und Englischlehrerin, darf aber offiziell nicht arbeiten.“ (VH-Protokoll, S. 4), weshalb ebenso die Verrichtung von Schwarzarbeit festzustellen war.
In seiner niederschriftlichen Einvernahme am 05.11.2020 gab BF1 an: „In Algerien leben meine Eltern und meine gesamte Familie.“ In der mündlichen Verhandlung führte er aus, dass sein Vater verstorben sei, weshalb in einer Zusammenschau der Angaben die Feststellung zu treffen war, dass seine Mutter und weitere Angehörige des BF1 in Algerien leben.
BF2 gab sowohl in ihrer niederschriftlichen Einvernahme am 03.09.2020 als auch in ihrer schriftlichen Stellungnahme an, dass ihre Eltern in der Ukraine leben.
Auch wenn die Familien der BF mit der Ehe der beiden nicht glücklich sind, ist daraus nicht abzuleiten, dass nicht mit einer Unterstützung zu rechnen ist. Immerhin hat die Mutter von BF2 die Familie noch im Jänner 2021 besucht.
Dass keine Verwandten in Österreich leben, gaben die Beschwerdeführer in ihren niederschriftlichen Einvernahmen übereinstimmend an. Hinweise auf sonstige, maßgebliche private Beziehungen haben sich im Verfahren nicht ergeben.
2.3. Zur Lage in Algerien und der Ukraine:
Die Feststellungen zur Lage in den Herkunftsstaaten beruhen auf dem aktuellen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation für Algerien bzw. die Ukraine und den dort zitierten Quellen. Diese sind in den Bescheiden der belangten Behörde umfassend dargelegt und Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wissentliche Widersprüche dargestellt wird, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.
Aufgrund der Kürze der verstrichenen Zeit zwischen der Erlassung der angefochtenen Bescheide und der vorliegenden Entscheidung haben sich keine Änderungen zu den in den bekämpften Bescheiden getroffenen Länderfeststellungen ergeben.
Aus der Einsichtnahme in die Herkunftsstaaten-Verordnung (§ 1 Z 10 und 14) ergibt sich, dass Algerien und die Ukraine als sichere Herkunftsstaaten gelten.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Abweisung der Beschwerde:
Gemäß 52 Abs. 1 Z 1 FPG hat das Bundesamt mit Bescheid gegen einen Drittstaatsangehörigen eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält.
Gemäß § 58 Abs. 1 Z 5 AsylG hat das Bundesamt die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG (Aufenthaltstitel besonderer Schutz) von Amts wegen zu prüfen, wenn ein Fremder sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt.
Indizien dafür, dass die Beschwerdeführer einen Sachverhalt verwirklichen, bei dem ihnen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG („Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“) zu erteilen wäre, sind weder vorgebracht worden, noch hervorgekommen: Weder war der Aufenthalt der BF seit mindestens einem Jahr im Sinne des § 46 Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG geduldet, noch ist dieser zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig, noch sind die BF Opfer von Gewalt im Sinne des § 57 Abs. 1 Z 3 AsylG. Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG waren daher nicht zu erteilen.
Bei Erlassung einer Rückkehrentscheidung ist unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 MRK ihre Verhältnismäßigkeit am Maßstab des § 9 BFA-VG 2014 zu prüfen. Nach dessen Abs. 1 ist nämlich (ua) die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FrPolG 2005, wenn dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei Beurteilung dieser Frage ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG 2014 genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG 2014 ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. E 12. November 2015, Ra 2015/21/0101; E 20. Oktober 2016, Ra 2016/21/0198).
Verfahrensgegenständlich ist davon auszugehen, dass beide erwachsenen Beschwerdeführer sich nur auf Basis eines zeitlich befristeten Aufenthaltstitels zu Studienzwecken in Österreich aufhalten und seit der rechtskräftigen Abweisung des Verlängerungsantrages bei BF1 seit 22.05.2018 bzw. des Auslaufens der Befristung bei BF2 mit 16.09.2019 über keine Aufenthaltsberechtigung mehr verfügen. Sie sind zwar bemüht, den Lebensunterhalt ohne staatliche Unterstützung zu bestreiten. Es handelt sich dabei überwiegend um nicht registrierte Schwarzarbeit und es ist aber nicht der gesetzeskonforme Weg, um eine Aufenthaltsberechtigung im Bundesgebiet zu erhalten.
Für die in Österreich am XXXX 2018 geborene Tochter wurde von den Eltern bisher gar nichts zur Legalisierung Ihres Aufenthaltes unternommen und sie verfügt damit auch über keine Aufenthaltsberechtigung in Österreich.
Der mit Jahresbeginn 2019 von BF1 beim Magistrat der Stadt Wien gestellte Antrag auf „Niederlassungsbewilligung – ausgenommen Erwerbstätigkeit“ ist nicht nur tatsachenwidrig eingebracht – so fehlen Angaben zu Ehefrau und Kind – und begründet auch keine Aufenthaltsberechtigung im Bundesgebiet, weil es sich um einen Erstantrag und kein Verlängerungsverfahren gemäß § 24 NAG handelt. Damit erweist sich das diesbezügliche Beschwerdevorbringen als unbegründet.
Das gesamte Privat- und Familienleben der Beschwerdeführer entstand im Bewusstsein, dass sie sich nur auf Grund der ihnen erteilten Aufenthaltsbewilligungen zum Zweck der Absolvierung eines Studiums vorübergehend bzw. befristet rechtmäßig in Österreich aufhalten und Verlängerungen dieser Aufenthaltstitel ausschließlich an entsprechende Studienerfolge geknüpft waren, die sie bis heute nicht erbracht haben (vgl. VwGH 26.06.2019, Ra 2019/21/0016).
Damit wird das in Österreich entstandene Privat- und Familienleben der Beschwerdeführer maßgeblich relativiert. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommen den Normen, welche die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, aus Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art 8 Abs 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (vgl. VwGH 15.12.2015, 2015/19/0247). Die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung, die sich im Interesse an der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften manifestieren, dürfen nicht zur Umgehung der allgemeinen Regelungen eines geordneten Zuwanderungswesens dienen.
Das schlägt auch auf die dreijährige Tochter durch. Es wird nicht verkannt, dass laut ständiger höchstgerichtlicher Rechtsprechung auch die Auswirkungen der Entscheidung auf das Kindeswohl zu bedenken und muss dieser Umstand bei der Interessenabwägung nach Art. 8 Abs. 2 MRK bzw. § 9 BFA-VG 2014 hinreichend berücksichtigt werden (vgl. etwa VfGH 11.06.2018, E 343/2018, mwN; VwGH 31.05.2021, Ra 2020/01/0284, u.a.). Die Berücksichtigung des Kindeswohls stellt jedoch im Kontext aufenthaltsbeendender Maßnahmen lediglich einen Aspekt im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung dar und ist das Kindeswohl daher bei der Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen von Fremden nicht das einzig ausschlaggebende Kriterium, sondern hängt die konkrete Gewichtung im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung bzw. Interessenabwägung vielmehr von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab (vgl. VwGH 17.05.2021, Ra 2021/01/0150).
Im gegenständlichen Fall ist davon auszugehen, dass beide Elternteile schon aufgrund Ihrer Ausbildung das Beste für ihre Tochter im Auge haben und von Anbeginn wissen mussten, dass früher oder später die Entscheidung über einen gemeinsamen Aufenthalt zu erfolgen hat. Beide haben in ihren Herkunftsländern einen familiären Rückhalt in Form von dort aufhältigen Angehörigen, welche in der Lage waren, ihnen einen Aufenthalt zu Ausbildungszwecken in Österreich zu ermöglichen. Dieser Umstand macht ein gemeinsames Leben im Herkunftsstaat des jeweiligen Ehepartners sowohl für jeden der beiden Beschwerdeführer als auch für die Tochter möglich und ist auch zumutbar.
Selbst wenn beide Elternteile eine Fortbestand des gemeinsamen Lebens in einem anderen Staat andenken, ist das im Rahmen der dafür bestehenden gesetzlichen Regeln zweifelsohne möglich und eine unter Umständen damit verbundene kurzzeitige Trennung der Familie zu akzeptieren. Diese Entscheidung kann und ist den Eltern nicht abzunehmen.
Diese Einsicht war bei der Erörterung in der mündlichen Verhandlung bei BF1 gegeben, der zur Vorbereitung einer gemeinsamen Ausreise um einen etwas längeren Durchsetzungsaufschub ersuchte, der ihm zwar nicht im beantragten Ausmaß aber immerhin für den Zeitraum eines Monates gewährt wurde.
Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist. Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs. 1 FPG unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 EMRK oder deren 6. bzw. 13. ZPEMRK verletzt würden oder für den Betroffenen als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes verbunden wäre. Gemäß § 50 Abs. 2 FPG ist die Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort das Leben des Betroffenen oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder persönlichen Ansichten bedroht wäre, es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative. Nach § 50 Abs. 3 FPG ist die Abschiebung unzulässig, solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.
In den angefochtenen Bescheiden hat die belangte Behörde die Zulässigkeit der Abschiebung des BF1 und der BF3 nach Algerien und der BF2 in die Ukraine aufgrund der jeweiligen Staatsangehörigkeit festgestellt, die im Ergebnis nicht zu beanstanden ist.
Eine Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte steht der Abschiebung nicht entgegen, sodass die Beschwerde auch gegen Spruchpunkt III. der angefochtenen Bescheide abzuweisen war.
Zur Verlängerung der Ausreisefrist:
In den angefochtenen Bescheiden betreffend BF2 und BF3 wurde gemäß § 55 Abs. 1 und 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt. Bei BF1 hingegen wurde einer Beschwerde gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 55 Abs. 4 FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt V.).
Nach § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG ist die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen eine Rückkehrentscheidung vom Bundesamt abzuerkennen, wenn die sofortige Ausreise des Drittstaatsangehörigen im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich ist. Diese Voraussetzung liegt verfahrensgegenständlich einfach nicht vor, zumal diese bei den beiden anderen Familienangehörigen kein Thema war und erweist sich als rechtswidrig.
Nach § 55 Abs. 3 FPG kann bei Überwiegen besonderer Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, gegenüber den Gründen, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, die Frist für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden.
Gegenständlich liegen besondere Gründe vor: Die BF führen in Österreich ein Familienleben und ist ihnen, um eine Art. 8 EMRK widersprechende dauerhafte Trennung der Ehepartner bzw. Eltern und BF3 zu vermeiden, eine geregelte und innerhalb der Frist liegende Ausreise zu ermöglichen. Da aufgrund der aktuellen Corona-Pandemie mit erschwerten Reisebedingungen zu rechnen ist, wäre in der gegenwärtigen Situation eine Ausreise innerhalb von 14 Tagen nur schwer zu realisieren.
Den durch die Corona-Pandemie bedingten besonderen Umständen war durch die Verlängerung der Frist für die freiwillige Ausreise auf ein Monat Rechnung zu tragen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. In der gegenständlichen Angelegenheit setzte sich das erkennende Gericht ausführlich mit der Thematik der Zulässigkeit von Rückkehrentscheidungen bei bestehendem Familienleben sowie dem zu berücksichtigenden Kindeswohl auseinander.
Dabei weicht die der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegte Rechtsprechung weder von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.
Schlagworte
Abschiebung Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz Aufenthaltstitel aufschiebende Wirkung berücksichtigungswürdige Gründe freiwillige Ausreise Frist illegaler Aufenthalt Interessenabwägung mündliche Verhandlung mündliche Verkündung öffentliche Interessen Privat- und Familienleben private Interessen Rückkehrentscheidung schriftliche AusfertigungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:I408.2234558.3.00Im RIS seit
29.11.2021Zuletzt aktualisiert am
29.11.2021