TE Bvwg Beschluss 2021/8/25 I406 2219220-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.08.2021
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Entscheidungsdatum

25.08.2021

Norm

AsylG 2005 §12a Abs2
AsylG 2005 §22 Abs10
AVG §68 Abs1
BFA-VG §22
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §31 Abs1

Spruch


I406 2219220-2/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Mag. Gerhard KNITEL über die Beschwerde von XXXX alias XXXX , geb. XXXX alias XXXX , StA. Marokko alias Belgien, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 19.08.2021, Zl. XXXX :

A)

Die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes ist gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 rechtmäßig.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Die Fremde, eine marokkanische Staatsbürgerin, stellte am 24.05.2018 bei der Österreichischen Botschaft Rabat einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Familienangehöriger“. Grundlage dafür war die behauptete Eheschließung mit einem in Österreich aufhältigen syrischen Staatsbürger am XXXX . Ihr wurde ein Visum ausgestellt, das bis zum 21.01.2019 gültig war.

2.       Am 22.09.2018 reiste die Fremde in Österreich ein.

3.       Mit Verständigung von der Beweisaufnahme vom 15.01.2019 informierte der Magistrat der Landeshauptstadt XXXX die Fremde, dass es sich bei der von ihr geschlossenen Ehe um eine „typische Stellvertreterehe“ handle, mit der gegen den ordre public verstoßen werde. Bei der am XXXX in Syrien erfolgten Eheschließung sei keiner der Eheleute anwesend gewesen und hätten sich beide vorher nicht gekannt. Zudem bestehe kein gemeinsames Familienleben mehr; die Fremde lebe bei ihrer Schwester, ihr „Ehemann“ habe davon gesprochen, die Scheidung zu verlangen. Es sei daher beabsichtigt, den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Familienangehöriger“ abzuweisen. In diesem Zusammenhang wurde die Fremde darauf hingewiesen, dass ihr Visum am 21.01.2019 ablaufe.

4.       Am 21.01.2019 stellte die Fremde ihren ersten Antrag auf internationalen Schutz in Österreich und gab zu ihren Fluchtgründen zusammengefasst an, dass sie am 22.09.2018 nach Österreich gekommen sei, um einen syrischen Mann zu heiraten. Dieser behandle sie allerdings schlecht und habe ihren Eltern gesagt, dass er sie nicht wolle, da sie keine „Jungfrau“ mehr sei. Sie sei deshalb von ihren Eltern verstoßen worden und fürchte, dass diese sie verfolgen, foltern und umbringen würden. Die marokkanischen Behörden seien nicht schutzwillig.

5.       Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft XXXX vom 09.04.2019 wurde der Erstantrag der Fremden vom 24.05.2018 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Familienangehöriger“ gemäß § 47 Abs. 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) abgewiesen.

6.       Mit Bescheid des BFA vom 23.04.2019 wurde der Antrag der Fremden auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten und auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Marokko abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde der Fremden nicht erteilt. Gleichzeitig wurde gegen sie eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Marokko zulässig sei. Es wurde keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt und einer Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt. Der Fremden wurde außerdem aufgetragen, ab 21.01.2019 in einem bestimmten Quartier Unterkunft zu nehmen.

7.       Eine dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 27.05.2019, I403 2219220-1/4E, als unbegründet abgewiesen.

8.       Mit 01.06.2019 wurde die Fremde aufgrund unbekannten Aufenthaltes von ihrem Unterkunftgeber abgemeldet.

9.       Am 05.08.2021 suchte die Fremde das BFA in XXXX auf, um eine österreichische E-Card zu beantragen. Sie wies sich mit einem totalgefälschten belgischen Personalausweis und einem totalgefälschten belgischen Reisepass aus.

10.      Daraufhin wurde sie festgenommen und einer Befragung durch das BFA unterzogen. Sie erklärte, sich die letzten drei Jahre in Belgien aufgehalten und dort ohne Papiere als Reinigungskraft gearbeitet zu haben. Im Jänner 2021 sei sie nach Österreich zurückgekommen, wo sie seit drei Monaten gemeinsam mit ihrem neuen Lebenspartner lebe und als Reinigungskraft arbeite.

11.      Mit Bescheid des BFA vom 05.08.2021 wurde über die Fremde die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und zur Sicherung der Abschiebung angeordnet.

12.      Aus dem Stande der Schubhaft stellte die Fremde am 05.08.2021 einen Folgeantrag auf internationalen Schutz. Befragt zu den Gründen für die neuerliche Antragstellung erklärte sie im Zuge ihrer polizeilichen Erstbefragung am nächsten Tag, dass sie nicht nach Marokko zurückkehren möchte. Sie habe einen Freund hier, den sie heiraten wolle.

13.      Mit Verfahrensanordnung des BFA vom 12.08.2021 wurde der Fremden mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, ihren faktischen Abschiebeschutz durch mündlich verkündeten Bescheid aufzuheben.

14.      Am 13.08.2021 wurde die Fremde durch das BFA niederschriftlich einvernommen. Sie machte zusammengefasst geltend, dass sie sich von 01.06.2019 bis Februar 2021 illegal in Belgien und Holland aufgehalten und dort gearbeitet habe. Dann hätten aber ihre Probleme mit ihrer Familie angefangen. Ihre in Holland lebende Schwester habe ihr gedroht, sie wegen ihres illegalen Aufenthaltes bei der Polizei anzuzeigen, damit sie in weiterer Folge nach Marokko zu ihrem Vater geschickt werde und sich dieser an ihr räche. Daraufhin habe ihr ein Mitarbeiter einen gefälschten Reisepass verkauft, damit sie ein neues Leben anfangen könne. Im März oder April 2021 habe sie ihren neuen Freund in Österreich kennengelernt, mit dem sie seither in einem gemeinsamen Haushalt lebe und den sie heiraten wolle. Ihre Fluchtgründe aus dem ersten Asylverfahren seien nach wie vor aufrecht. Sie habe in Marokko nichts mehr und habe Angst vor ihrem Vater. Sie wisse auch, dass ihre Familie der geplanten Heirat mit ihrem Freund im Wege stehen werde. Sie könne nie wieder nach Marokko zurückkehren, weil sie damit rechnen müsse, dass die Bedrohungen seitens ihrer Familie noch schlimmer werden und man sie töte.

15.      Am 19.08.2021 fand eine weitere niederschriftliche Einvernahme der Fremden durch das BFA statt. Sie erklärte, freiwillig nach Marokko zurückkehren und dort ihren Freund heiraten zu wollen. Eine Stellungnahme zur beabsichtigten Vorgehensweise des BFA (Zurückweisung ihres Folgeantrages, Erlassung einer Rückkehrentscheidung und Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes) wolle sie nicht abgeben.

16.      Mit dem im Spruch angeführten, mündlich verkündeten Bescheid vom 19.08.2021 hob das BFA gegenüber der Fremden gemäß § 12a Abs. 2 AsylG den faktischen Abschiebeschutz auf und begründete das sinngemäß damit, dass die Fremde keinen neuen glaubhaften Sachverhalt vorgebracht habe, der eine Asylrelevanz mit sich brächte. Die Rückkehrentscheidung sei aufrecht und eine Anordnung der Außerlandesbringung würde keinen Eingriff in die durch Art. 2, 3 und 8 EMRK geschützten Rechte bedeuten. Da sich auch die Lage im Herkunftsstaat nicht wesentlich geändert habe, sei der Folgeantrag voraussichtlich zurückzuweisen.

Weiters traf das BFA die folgenden Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat der Fremden:

„COVID-19

Letzte Änderung: 17.03.2021

Die Ausbreitung von Covid-19 führt weiterhin zu Einschränkungen des internationalen Luft- und Reiseverkehr (AA 15.3.2021). Es ist mit weitgehenden Einschränkungen im öffentlichen Leben zu rechnen (BMEIA 15.3.2021). Aus Angst vor Covid-19-Mutationen hat Marokko Flüge u.a. von und nach Deutschland, der Schweiz und weiteren Ländern vorerst bis 21.3.2021 gestoppt. Ausnahmen gelten für Fracht- und medizinische Flüge. Der Ausnahmezustand wurde bis 10.4.2021 verlängert. Er beschränkt die Reisemöglichkeiten zwischen den Provinzen, bestimmt eine nächtliche Ausgangssperre sowie ein Versammlungsverbot und die Einhaltung der Hygieneregeln. Die lokalen Sicherheitskräfte kontrollieren die Einhaltung der verhängten Maßnahmen verstärkt. Laut Morocco World News wurden 3.913.615 der 33 Mio. Marokkaner bereits geimpft und 578.942 Bürger haben die zweite Impfung erhalten (BAMF 8.3.2021).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (15.3.2021): Marokko: Reise- und Sicherheitshinweise (COVID-19-bedingte Reisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/marokko-node/marokkosicherheit/224080, Zugriff 15.3.2021

?        BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (8.3.2021): Briefing Notes – Marokko: Covid-19-Pandemie, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw10-2021.html, Zugriff 15.3.2021

?        BMEIA - Bundesministerium Europäische und internationale Angelegenheiten [Österreich] (15.3.2021): Marokko – Reiseinformationen, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/marokko/, Zugriff 15.3.2021

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 17.03.2021

Marokko kann grundsätzlich als stabiles Land betrachtet werden (EDA 15.3.2021). Das französische Außenministerium rät bis auf einige Regionen zu normaler Aufmerksamkeit im Land, dem einzigen in Nordafrika, das auf diese Weise bewertet wird (FD 15.3.2021). In den Grenzregionen zu Algerien wird zu erhöhter Aufmerksamkeit geraten (FD 15.3.2021), bzw. wird von Reisen abgeraten (AA 15.3.2021).

Die Westsahara darf nur nach Genehmigung durch die marokkanischen Behörden und nur auf genehmigten Strecken bereist werden (FD 15.3.2021). Zusätzlich besteht für die Grenzregionen zu Mauretanien in der Westsahara eine Reisewarnung (AA 15.3.2021 ; vgl. FD 15.3.2021, BMEIA 15.3.2021).

Trotz erhöhter Sicherheitsmaßnahmen besteht im ganzen Land das Risiko terroristischer Angriffe. Im Dezember 2018 wurden zwei Touristinnen auf einer Wandertour in der Nähe des Mont Toubkal im Atlasgebirge Opfer eines Gewaltverbrechens mit terroristischem Hintergrund (AA 15.3.2021; vgl. EDA 15.3.2021). In Teilen der Sahara und des Sahels besteht das Risiko von Entführungen (EDA 15.3.2021).

Demonstrationen und Protestaktionen sind jederzeit im ganzen Land möglich (EDA 15.3.2020; vgl. BMEIA 15.3.2021). In der Region Rif kann es zu Übergriffen durch Kriminelle kommen, die in Drogenproduktion und -handel involviert sind (FD 15.3.2021; vgl. BMEIA 15.3.2021; EDA 15.3.2021).

In großen Teilen der Sahara sind bewaffnete Banden und islamistische Terroristen aktiv, die vom Schmuggel und von Entführungen leben. Das Entführungsrisiko ist in einigen Gebieten der Sahara und der Sahelzone hoch und nimmt noch zu. Die Grenze zu Algerien ist seit 1994 geschlossen (EDA 15.3.2021; vgl. AA 15.3.2021).

Das völkerrechtlich umstrittene Gebiet der Westsahara erstreckt sich südlich der marokkanischen Stadt Tarfaya bis zur mauretanischen Grenze. Es wird sowohl von Marokko als auch von der Unabhängigkeitsbewegung Frente Polisario beansprucht. Die United Nations Mission for the Referendum in Western Sahara MINURSO überwacht den Waffenstillstand zwischen den beiden Parteien. Auf beiden Seiten der Demarkationslinie (Sandwall) sind diverse Minenfelder vorhanden (EDA 15.3.2021).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (15.3.2021): Marokko - Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/marokko-node/marokkosicherheit/224080, Zugriff 15.3.2021

?        BMEIA - Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres [Österreich] (15.3.2021): Reiseinformation Marokko, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/marokko/, Zugriff 15.3.2021

?        EDA - Eidgenössisches Departemenet für auswärtige Angelegenheiten [Schweiz] (15.3.2021): Reisehinweise für Marokko, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/laender-reise-information/marokko/reisehinweise-marokko.html, Zugriff 15.3.2021

?        FD - France Diplomatie [Frankreich] (15.3.2021): Conseils aux Voyageurs - Maroc - Sécurité, https://www.diplomatie.gouv.fr/fr/conseils-aux-voyageurs/conseils-par-pays-destination/maroc/#derniere_nopush, Zugriff 15.3.2021

Rechtsschutz / Justizwesen

Letzte Änderung: 17.03.2021

Die Justiz ist laut Verfassung unabhängig (USDOS 11.3.2020). In der Praxis wird diese Unabhängigkeit jedoch durch Korruption (USDOS 11.3.2020; vgl. ÖB 5.2019; AA 31.1.2021) und außergerichtliche Einflüsse unterlaufen. Behörden setzen manchmal gerichtliche Anordnungen nicht zeitnah durch (USDOS 11.3.2020). Das Gerichtssystem ist nicht unabhängig vom Monarchen, der dem Obersten Justizrat vorsitzt (FH 3.3.2021). Rechtsstaatlichkeit ist vorhanden, aber noch nicht ausreichend entwickelt. Unabhängigkeit der Justiz, Verfassungsgerichtsbarkeit, Transparenz durch Digitalisierung, Modernisierung der Justizverwaltung befinden sich noch im Entwicklungsprozess, der, teils von der Verfassung gefordert, teils von der Justizverwaltung angestoßen wurde. Mit dem in der Verfassung vorgesehenen und im April 2017 eingesetzten Conseil supérieur du pouvoir judiciaire (Oberster Rat der Rechtssprechenden Gewalt) wurden Richter- und Staatsanwaltschaft aus dem Verantwortungsbereich des Justizministeriums herausgelöst und verwalten sich nun selbst. Der Rat agiert als unabhängige Behörde. Mit der Herauslösung der Staatsanwaltschaft wurde formal die Unabhängigkeit der Ermittlungsbehörden von der Politik gestärkt. Es gibt jedoch Stimmen, die eine direkte Einflussnahme des Palastes befürchten, da sich Richterschaft und Staatsanwaltschaft nunmehr jeder demokratisch legitimierten Kontrolle entziehen (AA 31.1.2021).

Formal besteht Gleichheit vor dem Gesetz. Das extreme Gefälle in Bildung und Einkommen, die materielle Unterentwicklung ländlicher Gebiete und der allgegenwärtige gesellschaftliche Klientelismus behindern allerdings die Umsetzung des Gleichheitsgrundsatzes (AA 31.1.2021). Gesetzlich gilt die Unschuldsvermutung. Der Rechtsweg ist formal sichergestellt. Angeklagte haben das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren, auf rechtzeitigen Zugang zu ihrem Anwalt und das Recht, Berufung einzulegen. Das marokkanische Recht sieht Pflichtverteidiger für mittellose Angeklagte vor. Der Zugang zu juristischem Beistand ist in der Praxis noch immer unzulänglich (AA 31.1.2021; vgl. USDOS 11.3.2020). NGOs kritisieren, dass die Beschuldigten zu Geständnissen gedrängt werden (FH 3.3.2021; vgl. AA 31.1.2021). Das Strafprozessrecht erlaubt der Polizei, einen Verdächtigen bis zu 48 Stunden in Gewahrsam („garde à vue“) zu nehmen. Der Staatsanwalt kann diese Frist zweimal verlängern. Der Entwurf für ein neues Strafprozessgesetz sieht verbesserten Zugang zu Anwälten bereits im Gewahrsam vor. Das Gesetz ist noch nicht verabschiedet (AA 31.1.2021). Berichten zufolge werden Untersuchungshäftlinge in der Praxis länger als ein Jahr festgehalten, und das Gesetz enthält keine Bestimmungen, die es Untersuchungshäftlingen erlauben, ihre Inhaftierung vor Gericht anzufechten. Einige Verdächtige, insbesondere diejenigen, die des Terrorismus beschuldigt werden, werden tage- oder wochenlang in geheimer Haft gehalten, bevor eine formelle Anklage erhoben wird. Zudem wird Angeklagten nach ihrer Verhaftung der sofortige Zugang zu Anwälten verwehrt und Verteidigern stoßen beim Zugang bei der Vorlage von Prozessbeweisen zu Hindernissen (FH 3.3.2021).

Im Bereich der Strafzumessung wird häufig kritisiert, dass bestehende Möglichkeiten zur Vermeidung von Haft bei minder schweren Delikten (z.B. Geldstrafen, Sozialstunden) nicht genutzt werden. Auch die Möglichkeit der Entlassung auf Bewährung (libération conditionnelle) wird kaum genutzt (AA 31.1.2021).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (31.1.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Königreich Marokko (Stand: Dezember 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2045867/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_im_K%C3%B6nigreich_Marokko_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_31.01.2021.pdf, Zugriff 11.3.2021

?        FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - Morocco, https://www.ecoi.net/en/document/2046530.html, Zugriff 11.3.2021

?        ÖB - Österreichische Botschaft in Rabat [Österreich] (5.2019): Asylländerbericht Marokko

?        USDOS - United States Department of State [USA] (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Morocco, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/MOROCCO-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 2.4.2020

Sicherheitsbehörden

Letzte Änderung: 17.03.2021

Der Sicherheitsapparat verfügt über einige Polizei- und paramilitärische Organisationen, deren Zuständigkeitsbereiche sich teilweise überlappen. Die DGSN „Direction Générale de la Sûreté Nationale“ (Nationalpolizei) ist für die Umsetzung der Gesetze zuständig und untersteht dem Innenministerium. Bei den „Forces auxiliaires“ handelt es sich um paramilitärische Hilfskräfte, die dem Innenministerium unterstellt sind und die Arbeit der regulären Sicherheitskräfte unterstützen. Die Gendarmerie Royale ist zuständig für die Sicherheit in ländlichen Gegenden und patrouilliert auf Nationalstraßen. Sie untersteht dem Verteidigungsministerium (USDOS 11.3.2020; vgl. AA 31.1.2021). Es gibt zwei Nachrichtendienste: den Auslandsdienst DGED („Direction Générale des Etudes et de Documentation“) und den Inlandsdienst DGST („Direction Générale de la Surveillance du Territoire“) (AA 31.1.2021; vgl. ÖB 5.2019). Im April 2015 wurde zusätzlich das „Bureau central d'investigations judiciaires“ (BCIJ) geschaffen. Es untersteht dem Inlandsdienst DGST. Von der Funktion entspricht es etwa dem deutschen Bundeskriminalamt mit originären Zuständigkeiten und Ermittlungskompetenzen im Bereich von Staatsschutzdelikten sowie Rauschgift- und Finanzdelikten im Rahmen von Verfahren der Organisierten Kriminalität (AA 31.1.2021).

Die zivile Kontrolle über die Sicherheitskräfte ist gemäß USDOS wirksam (USDOS 11.3.2020), gemäß auswärtigem Amt hingegen sind die Sicherheitskräfte weitgehend der zivilen Kontrolle durch Parlament und Öffentlichkeit entzogen (AA 31.1.2021).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (31.1.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Königreich Marokko (Stand: Dezember 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2045867/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_im_K%C3%B6nigreich_Marokko_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_31.01.2021.pdf, Zugriff 11.3.2021

?        ÖB - Österreichische Botschaft Rabat [Österreich] (5.2019): Asylländerbericht Marokko, Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf

?        USDOS - United States Department of State [USA] (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Morocco, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/MOROCCO-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 2.4.2020

Ethnische Minderheiten

Letzte Änderung: 17.03.2021

Marokko erkennt ausdrücklich in seiner Verfassung die Diversität der Nation an. Staatliche Diskriminierung gegenüber ethnischen Minderheiten ist nicht vorhanden (AA 31.1.2021).

Etwa die Hälfte der Bevölkerung macht eine berberische Abstammung geltend und spricht eine der drei in Marokko vertretenen Berbersprachen. Dies ist wichtiger Teil ihrer Identität. Die meisten Berber in Marokko sehen sich jedoch nicht als ethnische Minderheit. Marokko fördert Sprache und Kultur der Berber inzwischen aktiv. Amazigh ist Mitte 2019 per Gesetz als Unterrichtssprache aufgewertet worden (AA 31.1.2021). Wer sich den Berbern, die eine recht heterogene, auf drei Hauptstämme aufgegliederte Bevölkerungsgruppe darstellen, zugehörig fühlt, hängt vom familiären, geographischen und soziokulturellen Hintergrund ab. Im Allgemeinen verweisen Berberstämmige mit Stolz auf ihre Abkunft, insbesondere wenn sie zu den alteingesessenen Familien oder Clans der historischen Städte im Berbergebiet (Fes, Marrakesch, Ouarzazate usw.) gehören. Der „Minderheitencharakter“ der Berber ist bei ca. 40% der Bevölkerung mit berberischen Wurzeln relativ zu sehen. Aussagen über den Anteil von Berbern in bestimmten Bereichen (öffentlicher Dienst, Militär, freie Berufe, Wirtschaftstreibende) sind nicht greifbar. Nach Einschätzung der Botschaft mag eine Diskriminierung auf Grund der berberischen Herkunft im Einzelfall vorkommen, ein generelles diskriminierendes Verhaltensmuster ist nicht erkennbar (ÖB 5.2019).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (31.1.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Königreich Marokko (Stand: Dezember 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2045867/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_im_K%C3%B6nigreich_Marokko_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_31.01.2021.pdf, Zugriff 12.3.2021

?        ÖB - Österreichische Botschaft Rabat [Österreich] (5.2019): Asylländerbericht Marokko, Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf

Grundversorgung

Letzte Änderung: 17.03.2021

Die Grundversorgung der Bevölkerung ist gewährleistet, Brot, Zucker und Gas werden subventioniert. Staatliche soziale Unterstützung ist kaum vorhanden, vielfach sind religiös-karitative Organisationen tätig. Die entscheidende Rolle bei der Betreuung Bedürftiger spielt nach wie vor die Familie. Staatliche und sonstige Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer gibt es nicht (AA 31.1.2021).

Formal ist Marokko eine freie Marktwirtschaft. Bedingt durch die starke Stellung der Königsfamilie und alteingesessener Eliten ist der Wettbewerb jedoch verzerrt. Seit dem Machtantritt von König Mohammed VI. hat die Vormachtstellung der Königsfamilie in Schlüsselsektoren wie Landwirtschaft, Bergbau, Einzelhandel, Transport, Telekommunikation und erneuerbaren Energien weiter zugenommen. Gleichzeitig sind immer mehr Marokkaner auf Überweisungen aus dem Ausland angewiesen, um zu überleben (GIZ 12.2020c).

Ein gravierendes Problem bildet nach wie vor die Arbeitslosigkeit 2018 (laut IMF bei 9,8%, Dunkelziffer liegt wesentlich höher), vor allem unter der Jugend (ÖB 5.2019). Entwicklungsproblematisch für Marokko ist die Jugendarbeitslosigkeit und der Mangel an Arbeitsplätzen (GIZ 12.2020c).

Laut Informationen der Weltbank steht Marokko in der MENA-Region bei der Höhe der Auslandsüberweisungen von Migranten (Remittances) an dritter Stelle. Zur Sicherung des sozialen und politischen Friedens verteilt der Staat Subventionen: Diese wurden in den letzten Jahren allerdings gekürzt, von 5 Mrd. Euro auf voraussichtlich umgerechnet 1,2 Mrd. Euro in 2018. Für das Jahr 2020 wurde eine Erhöhung auf 1,4 Mrd. Euro angekündigt.Derzeit werden Kochgas, Mehl und Zucker subventioniert, seit Corona außerdem nicht medizinische Mund-Nase-Masken. Die Staatsverschuldung nimmt trotz Subventionskürzungen und Privatisierungen zu (GIZ 12.2020c).

Der informelle Bereich der Wirtschaft wird statistisch nicht erfasst, entfaltet aber erhebliche Absorptionskraft für den Arbeitsmarkt. Fremdsprachenkenntnisse - wie sie z.B. Heimkehrer aufweisen - sind insbesondere in der Tourismusbranche und deren Umfeld nützlich. Arbeitssuchenden steht die Internet-Plattform des nationalen Arbeitsmarktservices ANAPEC zur Verfügung (www.anapec.org), die neben aktueller Beschäftigungssuche auch Zugang zu Fortbildungsmöglichkeiten vermittelt. Unter 30-Jährige, die bestimmte Bildungsebenen erreicht haben, können mit Hilfe des OFPPT (www.ofppt.ma/) eine weiterführende Berufsausbildung einschlagen. Die marokkanische Regierung führt Programme der Armutsbekämpfung (INDH) und des sozialen Wohnbaus. Eine staatlich garantierte Grundversorgung/arbeitsloses Basiseinkommen existiert allerdings nicht. Der Mindestlohn (SMIG) liegt bei 2.570 Dirham (ca. EUR 234). Ein Monatslohn von etwa dem Doppelten dieses Betrags gilt als durchaus bürgerliches Einkommen. Statistisch beträgt der durchschnittliche Monatslohn eines Gehaltsempfängers 4.711 Dirham, wobei allerdings die Hälfte der - zur Sozialversicherung angemeldeten - Lohnempfänger nur den Mindestlohn empfängt. Ein ungelernter Hilfsarbeiter erhält für einen Arbeitstag (10 Std.) ca. 100 Dirham, Illegale aus der Subsahara erhalten weniger (ÖB 5.2019).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (31.1.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Königreich Marokko (Stand: Dezember 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2045867/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_im_K%C3%B6nigreich_Marokko_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_31.01.2021.pdf, Zugriff 15.3.2021

?        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (12.2020c): LIPortal - Marokko – Wirtschaft & Entwicklung, https://www.liportal.de/marokko/wirtschaft-entwicklung/, Zugriff 15.3.2021

?        ÖB - Österreichische Botschaft in Rabat [Österreich] (5.2019): Asylländerbericht Marokko, Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf

Medizinische Versorgung

Letzte Änderung: 17.03.2021

Politisch verantwortlich für die medizinische Versorgung ist das Gesundheitsministerium. Die meisten Marokkaner müssen für ihre Gesundheit allein vorsorgen. Wer einen formellen Arbeitsvertrag hat, ist zwar offiziell krankenversichert, aber viele Leistungen müssen trotzdem aus eigener Tasche bezahlt werden. Patienten mit geringem Einkommen haben seit 2002 die Möglichkeit, sich im Rahmen der öffentlichen Assurance Maladies Obligatoire (AMO) oder des Gesundheitssystems Régime d'Assistance Médicale (RAMED) behandeln zu lassen (GIZ 12.2020b).

Es gibt ein an die Beschäftigung geknüpftes Kranken- und Rentenversicherungssystem (CNSS). Seit 2015 können sich unter bestimmten Umständen auch Studierende und sich legal im Land aufhaltende Ausländer versichern lassen. Mittellose Personen können auf Antrag bei der Präfektur eine „Carte RAMED“ zur kostenfreien Behandlung erhalten (AA 31.1.2021).

Die medizinische Grundversorgung ist vor allem im städtischen Raum weitgehend gesichert. Medizinische Dienste sind kostenpflichtig und werden bei bestehender gesetzlicher Krankenversicherung von dieser erstattet. Es gibt einen großen qualitativen Unterschied zwischen öffentlicher und (teurer) privater Krankenversorgung. Selbst modern gut ausgestattete medizinische Einrichtungen garantieren keine europäischen Standards. Insbesondere das Hilfspersonal ist oft unzureichend ausgebildet, Krankenwagen sind in der Regel ungenügend ausgestattet. Die Notfallversorgung ist wegen Überlastung der Notaufnahmen in den Städten nicht immer gewährleistet, auf dem Land ist sie insbesondere in den abgelegenen Bergregionen unzureichend (AA 31.1.2021).

Rund 30.000 Menschen in Marokko sollen mit HIV infiziert sein. Knapp 50% der Infizierten sind weiblich. Prostitutierte und Homosexuelle sind überdurchschnittlich oft betroffen. Damit hat Marokko in der MENA-Region eine Spitzenposition inne (GIZ 10.2020b). Chronische und psychiatrische Krankheiten oder auch AIDS-Dauerbehandlungen lassen sich in Marokko vorzugsweise in privaten Krankenhäusern behandeln. Bei teuren Spezialmedikamenten soll es in der öffentlichen Gesundheitsversorgung bisweilen zu Engpässen kommen. Bei entsprechender Finanzkraft ist allerdings fast jedes lokal produzierte oder importierte Medikament erhältlich (AA 31.1.2021).

Im Bereich der Basis-Gesundheitsversorgung wurde 2012 das Programm RAMED eingeführt und erstreckt sich auf 8,5 Mio. Einwohner der untersten Einkommensschichten bzw. vulnerable Personen, die bisher keinen Krankenversicherungsschutz genossen. Im Oktober 2012 waren bereits 1,2 Mio. Personen im RAMED erfasst (knapp 3% der Haushalte). RAMED wird vom Sozialversicherungsträger ANAM administriert, der auch die Pflichtkrankenversicherung AMO der unselbständig Beschäftigten verwaltet. Zugang haben Haushaltsvorstände und deren Haushaltsangehörige, die keiner anderen Pflicht-Krankenversicherung unterliegen. Die Teilnahme an RAMED ist gratis („Carte RAMED“), lediglich vulnerable Personen zahlen einen geringen Beitrag (11 € pro Jahr pro Person). Ansprechbar sind die Leistungen im staatlichen Gesundheitssystem (Einrichtungen der medizinischen Grundversorgung und Vorsorge sowie Krankenhäuser) im Bereich der Allgemein- und Fachmedizin, stationärer Behandlung, Röntgendiagnostik etc. Die Dichte und Bestückung der medizinischen Versorgung ist auf einer Website des Gesundheitsministeriums einsehbar (ÖB 5.2019). Mittellose Personen können auf Antrag bei der Präfektur eine „Carte RAMED“ erhalten. Bei Vorlage dieser Karte sind Behandlungen kostenfrei (AA 31.1.2021).

Auf 1.775 Einwohner entfällt ein Arzt. 141 öffentliche Krankenhäuser führen etwas mehr als 27.000 Betten (ein Spitalsbett auf ca. 1.200 Einwohner); daneben bestehen 2.689 Einrichtungen der medizinischen Grundversorgung. Inhaber der Carte RAMED können bei diesen Einrichtungen medizinische Leistungen kostenfrei ansprechen. Freilich ist anzumerken, dass dieser öffentliche Gesundheitssektor in seiner Ausstattung und Qualität und Hygiene überwiegend nicht mit europäischen Standards zu vergleichen ist. Lange Wartezeiten und Mangel an medizinischen Versorgungsgütern und Arzneien sind zu beobachten. Wer weder unter das RAMED-System fällt, noch aus einem Anstellungsverhältnis pflichtversichert ist, muss für medizinische Leistungen aus eigenem aufkommen (ÖB 5.2019).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (31.1.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Königreich Marokko (Stand: Dezember 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2045867/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_im_K%C3%B6nigreich_Marokko_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_31.01.2021.pdf, Zugriff 15.3.2021

?        AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (15.3.2021): Marokko: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/marokko-node/marokkosicherheit/224080, Zugriff 15.3.2021

?        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (12.2020b): LIPortal - Marokko - Gesellschaft, https://www.liportal.de/marokko/gesellschaft/, Zugriff 15.3.2021

?        ÖB - Österreichische Botschaft in Rabat [Österreich] (5.2019): Asylländerbericht Marokko, Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf

Rückkehr

Letzte Änderung: 17.03.2021

Das Stellen eines Asylantrags im Ausland ist nicht strafbar und wird nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amts von den Behörden nicht als Ausdruck oppositioneller Gesinnung gewertet (AA 31.1.2021).

Auf institutioneller Basis wird Rückkehrhilfe von IOM organisiert, sofern der abschiebende Staat mit IOM eine diesbezügliche Vereinbarung (mit Kostenkomponente) eingeht; Österreich hat keine solche Abmachung getroffen. Rückkehrer ohne eigene finanzielle Mittel dürften primär den Beistand ihrer Familie ansprechen; gelegentlich bieten auch NGOs Unterstützung. Der Verband der Familie und Großfamilie ist primärer sozialer Ankerpunkt der Marokkaner. Dies gilt mehr noch für den ländlichen Raum, in welchem über 40% der Bevölkerung angesiedelt und beschäftigt sind. Rückkehrer würden in aller Regel im eigenen Familienverband Zuflucht suchen. Der Wohnungsmarkt ist über lokale Printmedien und das Internet in mit Europa vergleichbarer Weise zugänglich, jedenfalls für den städtischen Bereich (ÖB 5.2019).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (31.1.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Königreich Marokko (Stand: Dezember 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2045867/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_im_K%C3%B6nigreich_Marokko_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_31.01.2021.pdf, Zugriff 15.3.2021

?        ÖB - Österreichische Botschaft in Rabat [Österreich] (5.2019): Asylländerbericht Marokko, Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf“

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Die Übermittlung des Akts gilt nach § 22 Abs. 10 AsylG 2005 als Beschwerde gegen die Aufhebung des Abschiebeschutzes, die Fremde somit als Beschwerdeführerin im gerichtlichen Überprüfungsverfahren.

1. Feststellungen:

Die unter Punkt I getroffenen Ausführungen werden als Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende Feststellungen getroffen:

1.1      Zur Person der Fremden

Die Fremde ist Staatsangehörige Marokkos, ihre Identität steht fest.

Sie reiste am 22.09.2018 mit einem Visum der Österreichischen Botschaft Rabat in das Bundesgebiet ein. Am letzten Tag der Gültigkeit des Visums, dem 21.01.2019, stellte die Fremde einen Antrag auf internationalen Schutz, der mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 27.05.2019, I403 2219220-1/4E, rechtskräftig in zweiter Instanz negativ entschieden wurde. Gleichzeitig wurde gegen die Fremde eine Rückkehrentscheidung erlassen, die Zulässigkeit ihrer Abschiebung nach Marokko festgestellt und ihr keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt.

Sie kam ihrer Verpflichtung zur unverzüglichen Ausreise nach Marokko, in ein Transitland oder in einen anderen Drittstaat nicht nach und tauchte unter. Ab dem 02.06.2021 verfügte sie über keine behördliche Meldeadresse im Bundesgebiet. Sie hielt sich laut eigenen Angaben illegal in Belgien und in Holland auf und war erst ab dem 26.01.2021 neuerlich unter einem Alias-Datensatz in Österreich gemeldet.

Eine Schwester der Fremden lebt in Österreich, eine Schwester und die Mutter in den Niederlanden und ihr Bruder in Deutschland. Die Eltern sind geschieden. Der Vater und eine andere Schwester der Fremden halten sich in Marokko auf. Die Fremde hatte Marokko gemeinsam mit ihrer Mutter verlassen; letztere reiste weiter in die Niederlande.

Sie ist jung, gesund und erwerbsfähig.

Vor ihrer Ausreise lebte die Fremde in XXXX . Dort hatte sie neun Jahre lang die Schule besucht, dann eine Ausbildung zur XXXX gemacht und in einem XXXX gearbeitet. Sie lebte zusammen mit ihrer Mutter, welche die Kosten für die Miete mithilfe von Unterstützungsleistungen der in Europa lebenden Geschwister der Fremden bezahlte.

Die Fremde hatte am XXXX mit einem in Österreich aufhältigen syrischen Staatsbürger die Ehe geschlossen. Keiner der beiden Brautleute war bei der Eheschließung in Syrien anwesend. Inzwischen habe sich beide getrennt und es besteht kein gemeinsamer Wohnsitz und kein Familienleben mehr.

Die Fremde hat einen Lebensgefährten in Österreich, mit dem sie seit Juni 2021 an einer gemeinsamen Adresse gemeldet ist.

Eine entscheidungswesentliche Änderung im Privat- und Familienleben der Fremden seit Rechtskraft des vorangegangenen Asylverfahrens liegt nicht vor.

Die Fremde weist in Österreich keine maßgeblichen Integrationsmerkmale in sprachlicher, beruflicher und kultureller Hinsicht auf und befindet sich aktuell in Schubhaft.

Die Fremde ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

1.2      Zur Lage im Herkunftsstaat

Hinsichtlich der aktuellen Lage im Herkunftsstaat der Fremden sind gegenüber den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen keine Änderungen eingetreten. Im angefochtenen Bescheid wurde das aktuelle "Länderinformationsblatt der Staatendokumentation" zu Marokko, welches im Akt erliegt, auszugsweise zitiert und weiters darauf verwiesen, dass es sich bei Marokko gemäß § 1 Z 9 der Herkunftsstaaten-Verordnung (HStV), BGBl. I Nr. 177/2009 um einen sicheren Herkunftsstaat handelt. Im Rahmen des gerichtlichen Überprüfungsverfahren ist auch keine Änderung eingetreten, sodass das Bundesverwaltungsgericht sich diesen Ausführungen vollinhaltlich anschließt und sie auch zu den seinen erhebt. Die Fremde erstattete kein substantiiertes Vorbringen hinsichtlich einer ihr drohenden Gefährdung in ihrem Herkunftsstaat im Falle ihrer Rückkehr und es ergaben sich auch amtswegig keine diesbezüglichen Hinweise.

1.3      Zu den Fluchtmotiven der Fremden

Die Fremde hat in ihrem ersten Asylverfahren zusammengefasst vorgebracht, dass sie im September 2018 nach Österreich gekommen sei, um einen syrischen Mann zu heiraten. Dieser behandle sie jedoch schlecht und habe ihren Eltern gesagt, dass sie keine „Jungfrau“ mehr sei und er sie nicht wolle. Aus diesem Grund sei sie von ihren Eltern verstoßen worden. Sie werde in Marokko von ihrer Familie verfolgt, gefoltert und getötet. Die Behörden würden sie nicht beschützen, sondern der Familie sogar helfen, sie zu finden.

Den gegenständlichen Folgeantrag begründete die Fremde damit, dass sie nicht nach Marokko zurückkehren möchte, weil seit März oder April 2021 einen Freund in Österreich habe, den sie heiraten wolle. Ihre Fluchtgründe aus dem ersten Asylverfahren seien nach wie vor aufrecht. Sie habe in Marokko nichts mehr und habe Angst vor ihrem Vater. Sie wisse auch, dass ihre Familie der geplanten Heirat mit ihrem Freund im Wege stehen werde. Sie könne nie wieder nach Marokko zurückkehren, weil sie damit rechnen müsse, dass die Bedrohungen seitens ihrer Familie noch schlimmer werden und man sie töte.

Die Fremde hat keinen Fluchtgrund behauptet, der seit der Entscheidung ihres vorigen Asylverfahrens entstanden oder bekannt geworden wäre. Vielmehr stützte sich die Fremde neuerlich auf eine angebliche Bedrohung durch ihre Familie.

Es ist nicht ersichtlich, dass eine Abschiebung der Fremden nach Marokko eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung ihres Lebens oder ihrer Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, zumal Marokko nach § 1 Z. 9 HStV ein sicherer Herkunftsstaat ist.

Es existieren keine Umstände, die einer Abschiebung entgegenstünden. Die Fremde verfügt über keine sonstige Aufenthaltsberechtigung.

Eine entscheidungswesentliche Änderung der Ländersituation in Marokko ist seit der Entscheidung über den vorigen Antrag der Fremden auf internationalen Schutz nicht eingetreten, insbesondere nicht auf ihr Vorbringen bezogen.

Der gegenständliche Folgeantrag wird voraussichtlich vom BFA zurückzuweisen sein.

2. Beweiswürdigung:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang und der festgestellte Sachverhalt ergeben sich aus dem Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA sowie der vorliegenden Gerichtsakten des Bundesverwaltungsgerichtes zum gegenständlichen Verfahren sowie dem Verfahren der Fremden zu ihrem ersten Antrag auf internationalen Schutz.

2.1 Zur Person der Fremden

Die Identität der Fremden steht aufgrund der im Akt einliegenden Kopie ihres marokkanischen Reisepasses, ausgestellt am 03.10.2017 und gültig bis 03.10.2022, fest.

Die Feststellungen zur „Eheschließung“ der Fremden, ihrer Einreise, ihrem erstmaligen Aufenthalt in Österreich, dem in zweiter Instanz negativ entschiedenen Antrag auf internationalen Schutz, ihrem Gesundheitszustand, ihrer Ausbildung und Berufserfahrung sowie zu ihren in Marokko, Österreich und Holland lebenden Familienmitgliedern ergeben sich aus den Angaben der Fremden gegenüber dem BFA sowie den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichtes im Verfahren zu ihrem ersten Antrag auf internationalen Schutz.

Dass die Fremde nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens zu ihrem ersten Antrag auf internationalen Schutz ihrer Verpflichtung zur unverzüglichen Ausreise nicht nachkam und untertauchte, ergibt sich aus dem zentralen Melderegister in Zusammenschau mit ihren eigenen Angaben, wonach sie sich im fraglichen Zeitraum illegal in Belgien und Holland aufgehalten und sich dort einen gefälschten Reisepass gekauft habe, um ein neues Leben in Österreich anzufangen und arbeiten zu können.

Die Feststellung zu der erst seit kurzem bestehenden Lebensgemeinschaft der Fremden ergibt sich aus ihren eigenen Angaben in Zusammenschau mit einer zmr-Auskunft zu ihrer Alias-Identität.

Dass keine entscheidungswesentliche Änderung im Privat- und Familienleben der Fremden seit Rechtskraft des ersten Asylverfahrens eingetreten ist und sie in Österreich keine maßgeblichen Integrationsmerkmale in sprachlicher, beruflicher und kultureller Hinsicht aufweist, ergibt sich schon alleine aus dem Umstand, dass die Fremde den überwiegenden Großteil der seither verstrichenen Zeit nicht in Österreich verbracht hat. Die Lebensgemeinschaft mit ihrem neuen Freund besteht erst seit rund zwei Monaten und somit zu kurz, um eine entscheidungswesentliche Sachverhaltsänderung darzustellen.

Die Feststellung zum Aufenthalt der Fremden in Schubhaft ergibt sich unstrittig aus dem Verwaltungsakt.

Die Feststellung bezüglich der strafgerichtlichen Unbescholtenheit entspricht dem Amtswissen des Bundesverwaltungsgerichtes durch Einsichtnahme in das Strafregister der Republik Österreich.

2.2 Zur Lage im Herkunftsland

Die von der belangten Behörde und dem Bundesverwaltungsgericht im gegenständlichen Verfahren getroffenen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat ergeben sich aus den in das Verfahren eingebrachten und im Bescheid bzw. Erkenntnis angeführten herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen. Die belangte Behörde hat dabei Berichte verschiedenster allgemein anerkannter Institutionen berücksichtigt. Diese Quellen liegen dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vor und decken sich mit dem Amtswissen des Bundesverwaltungsgerichtes, das sich aus der ständigen Beachtung der aktuellen Quellenlage (Einsicht in aktuelle Berichte zur Lage im Herkunftsstaat) ergibt.

Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

Zu den Länderfeststellungen erklärte die Fremde gegenüber dem BFA, keine Stellungnahme abgeben zu wollen (AS 134). Damit ist sie den herangezogenen Feststellungen inhaltlich nicht entgegengetreten.

2.3 Zu den Fluchtmotiven der Fremden

Die Feststellungen zu den von der Fremden im Vorverfahren sowie im gegenständlichen Verfahren geltend gemachten Fluchtgründen ergeben sich aus den vorliegenden Verwaltungs- und Gerichtsakten.

Die Fremde machte im gegenständlichen Folgeverfahren wie schon zuvor geltend, dass ihr in Marokko Verfolgung durch ihre Familie drohe. Sie behauptete zusätzlich, damit rechnen zu müssen, dass sich die Bedrohungssituation aufgrund der geplanten Heirat mit ihrem neuen Lebensgefährten verschlimmern würde.

Damit stützte sie sich im Kern auf dieselben Fluchtgründe wie bereits im rechtskräftig abgeschlossenen Vorverfahren. Die behauptete Bedrohung der Fremden durch ihren Vater wurde bereits damals für unglaubhaft befunden. Dieses Vorbringen ist damit von der Rechtskraft der früheren Entscheidung umfasst und darum nicht geeignet, eine neue meritorische Entscheidung über den Antrag der Fremden herbeizuführen.

Es gibt keinen Hinweis darauf, dass die Abschiebung der Fremden eine reale Gefahr einer Verletzung der Art. 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 bedeuten oder eine ernsthafte Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, weil dies bereits im ersten Verfahren geprüft wurde und seither eine Lageänderung weder behauptet, noch in den Länderfeststellungen berichtet wurde.

Somit konnte die Feststellung getroffen werden, dass der gegenständliche Folgeantrag voraussichtlich zurückgewiesen werden wird.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Rechtmäßigkeit der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes

Nach § 12a Abs. 2 AsylG 2005 kann das BFA unter anderem dann den faktischen Abschiebeschutz eines Fremden aufheben, der einen Folgeantrag gestellt hat, wenn dieser voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist (Z. 2), und die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten und für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde (Z. 3).

Ein Folgeantrag ist nach § 2 Abs. 1 Z 23 AsylG jeder einem bereits rechtskräftig erledigten Antrag nachfolgender weiterer Antrag. Der vorangegangene Antrag der Fremden ist durch die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.05.2019 rechtskräftig erledigt. Es handelt sich daher beim nunmehrigen Antrag um einen Folgeantrag. Das BFA war daher grundsätzlich berechtigt, den faktischen Abschiebschutz aufzuheben, so auch die übrigen Voraussetzungen vorliegen.

Zunächst ist vorausgesetzt, dass eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG besteht (Z. 1).

Die angeführte Rückkehrentscheidung vom Mai 2019 ist nach wie vor rechtskräftig, weil die Fremde ihrer Verpflichtung zur unverzüglichen Ausreise nach Marokko, in ein Transitland oder in einen anderen Drittstaat nicht nachgekommen ist.

Zur Tatbestandsvoraussetzung des § 12a Abs. 2 Z 2 AsylG muss nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes das vom Gesetz angestrebte Ziel beachtet werden, den faktischen Abschiebeschutz nur für klar missbräuchliche Anträge beseitigen zu wollen. Ausgehend davon muss schon bei einer Grobprüfung die (spätere) Zurückweisung des Folgeantrags auf der Hand liegen, weil sich der maßgebliche Sachverhalt nicht entscheidungswesentlich geändert hat. Nicht jeder Folgeantrag, bei dem eine (spätere) Zurückweisung wegen entschiedener Sache gemäß § 68 AVG in Betracht kommen könnte, berechtigt daher zur Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes nach § 12a Abs. 2 AsylG. Es muss sich vielmehr um einen Fall handeln, in dem sich dieser Verfahrensausgang von vornherein deutlich abzeichnet. Nur dann kann auch angenommen werden, dass die Antragstellung in Wirklichkeit den Zweck verfolgt, die Durchsetzung einer vorangegangenen und mit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verbundenen (rechtskräftigen) Vorentscheidung zu verhindern (VwGH 26.03.2020, Ra 2019/14/0079). Auf einen solchen missbräuchlichen Zweck deutet - unter Bedachtnahme auf Art 41 Abs 1 lit b der Richtlinie 2013/32/EU - etwa die mehrfache Folgeantragstellung hin, wenn dieser keine substanziell neuen und eine andere Beurteilung rechtfertigenden Sachverhaltselemente zugrunde liegen. Möglich sind aber auch andere Umstände, die den Schluss zulassen, dass der Fremde mit seinem Folgeantrag eine (bevorstehende) Abschiebung verhindern oder verzögern möchte (siehe VwGH 18.09.2019, Ra 2019/18/0338).

Diese Voraussetzung ist hier erfüllt, weil die Fremde den Folgeantrag erst nach ihrer Festnahme während der Anhaltung in Schubhaft stellte, nachdem ihr Aufenthalt davor unbekannt gewesen war und sie mit einem totalgefälschten belgischen Reisepass im Bundesgebiet betreten wurde.

Wie bereits unter Punkt II.1.3 dargetan, ist auch kein neues Vorbringen erstattet worden, von dem anzunehmen wäre, dass es beachtlich im Sinne einer materiellen Erledigung anstelle einer Zurückweisung wegen entschiedener Sache wäre. Der Sachverhalt hat sich seit Rechtskraft des ersten Asylverfahrens der Fremden nicht maßgeblich geändert und die Fremde stützte sich auf dieselben Fluchtgründe wie bereits im Vorverfahren, und zwar eine angebliche Verfolgung in Marokko durch ihre Familie.

Auch wurde bereits im rechtskräftig abgeschlossenen Vorverfahren erörtert, dass die behauptete Bedrohung der Fremden durch ihre Familie keine asylrelevante Verfolgung darstellen würde, selbst wenn diese Behauptung zutreffen sollte.

Marokko gilt gemäß § 19 Abs 5 BFA-VG iVm § 1 Z 79HStV als sicherer Herkunftsstaat, was für die Annahme einer grundsätzlich bestehenden staatlichen Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit der Behörden dieses Staates spricht. Aus den herangezogenen Länderinformationen gibt es keine Anhaltspunkte für eine Widerlegung der gesetzlichen Vermutung der grundsätzlich bestehenden staatlichen Schutzfähigkeit und -willigkeit der Behörden, die sich aus der Aufnahme eines Staates in die Liste sicherer Herkunftsstaaten ergibt. Es wurden keine spezifischen Umstände aufgezeigt, die dazu führen könnten, dass der vorhandene staatliche Schutz im Marokko gerade der Fremden nicht zuteilwerden würde. Da sie erwachsen und gesund ist, keiner besonders vulnerablen Personengruppe angehört und über Berufserfahrungen verfügt, ist nicht konkret zu befürchten, dass sie an dem in Marokko grundsätzlich vorhandenen staatlichen Sicherheitssystem nicht wirksam teilhaben könnte (siehe dazu VwGH 30.10.2019, Ra 2019/14/0436 und 28.01.2020, Ra 2020/14/0014).

Im Ergebnis liegt daher keine relevante Sachverhaltsänderung vor; es ist vielmehr davon auszugehen, dass die Fremde nur deshalb neuerlich internationalen Schutz beantragt hat, um die unmittelbar bevorstehende Durchsetzung der im Mai 2019 erlassenen aufenthaltsbeendenden Maßnahme zu verhindern.

Nach § 68 AVG hat die Behörde Anbringen von Beteiligten, die eine Abänderung eines der formell rechtskräftigen Bescheides begehren, grundsätzlich wegen entschiedener Sache zurückzuweisen. Ausnahmen dazu bilden die Fälle der Wiederaufnahme des Verfahrens und der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach §§ 69 und 71 AVG sowie die in § 68 Abs. 2 bis 4 AVG vorgesehenen Arten von Abänderungen und Behebungen, auf die kein Rechtsanspruch besteht.

Die vorgesehenen Ausnahmen kommen nach dem Inhalt der Akten im vorliegenden Fall nicht zum Tragen.

Daher ist davon auszugehen, dass die in § 68 AVG grundsätzlich vorgesehene Zurückweisung als Erledigung des BFA zu erwarten ist.

Die Fremde hat einen Folgeantrag im Sinne des § 2 Abs. 1 Z. 23 AsylG 2005 gestellt und die Voraussetzungen des § 12a Abs. 2 Z. 1 bis 3 AsylG 2005 liegen vor, weil der Fremden keine asylrelevante Verfolgung im Herkunftsstaat droht. Nach all dem wird der Folgeantrag der Fremden voraussichtlich zurückzuweisen sein, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhaltes eingetreten ist.

Es gibt nämlich auch dafür, dass der Fremden im Falle einer Rückkehr nach Marokko die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre, keine Anhaltspunkte, zumal die Fremde gesund und auch erwerbsfähig ist.

Im Verfahren sind auch keine Umstände bekannt geworden, die nahelegen würden, dass für die Fremde ein „reales Risiko“ einer gegen Art. 2 oder 3 EMRK verstoßenen Behandlung bzw. der Todesstrafe besteht. Es ist kein Grund ersichtlich, warum die Fremde ihren Lebensunterhalt nach ihrer Rückkehr nicht bestreiten können sollte, selbst wenn sie Angehörige nicht unterstützen, sei es mit der bereits ausgeübten Arbeit als XXXX oder einer anderen Tätigkeit. Ganz allgemein besteht in Marokko keine solch extreme Gefährdungslage, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung im Sinne des Art. 2 und 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK ausgesetzt wäre.

Auch zur Interessenabwägung iSd Art 8 EMRK ist auf die Entscheidung im Vorverfahren zu verweisen. Eine maßgebliche Änderung der für den Verbleib der Fremden in Österreich sprechenden Interessenlage, die zu einer anderen rechtlichen Beurteilung führen könnte, liegt nicht vor, sodass nach wie vor kein unverhältnismäßiger Eingriff in ihr Privat- und Familienleben anzunehmen ist. Die Beziehung zu ihrem neuen Lebensgefährten im Inland entstand erst vor wenigen Monaten und außerdem zu einem Zeitpunkt, zu dem sie sich ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst war, was ihr Gewicht entscheidend relativiert (§ 9 Abs 2 Z 8 BFA-VG). Die Fremde führt daher in Österreich kein im Sinne des Art. 8 EMRK geschütztes Familienleben und hat keine sprachlichen, kulturellen, beruflichen oder sozialen privaten Integrationsmerkmale.

Somit sind die Voraussetzungen des § 12a Abs. 2 AsylG 2005 gegeben, sodass die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes nicht rechtswidrig ist. Damit hatte das Gericht wie im Spruch zu entscheiden.

Die Entscheidung war mit Beschluss zu treffen, da § 22 Abs. 10 AsylG 2005 dies so vorsieht. Nach § 22 Abs. 1 BFA-VG hatte auch keine Verhandlung stattzufinden.

Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung zum faktischen Abschiebeschutz und den Voraussetzungen seiner Aufhebung in Folgeverfahren oder zur Zurückweisung wegen entschiedener Sache.

Weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

aufrechte Rückkehrentscheidung faktischer Abschiebeschutz faktischer Abschiebeschutz - Aufhebung rechtmäßig Folgeantrag Identität der Sache Privat- und Familienleben real risk reale Gefahr

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:I406.2219220.2.01

Im RIS seit

29.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

29.11.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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