Entscheidungsdatum
10.09.2021Norm
AsylG 2005 §56Spruch
I401 2150891-2/3E
I401 2150896-2/2E
I401 2150901-2/2E
I401 2150904-2/3E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Mag. Gerhard AUER über die Beschwerden 1. der XXXX , geb. am XXXX , 2. des XXXX , geb. am XXXX , 3. der mj. XXXX , geb. am XXXX und 4. der mj. XXXX , geb. am XXXX , alle nigerianischen Staatsangehörigen, die minderjährigen Beschwerdeführer vertreten durch die gesetzliche Vertreterin XXXX , alle vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, Leopold-Moses-Gasse 4, 1020 Wien, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich, zu 1. vom 30.04.2021, IFA-Zahl/Verfahrenszahl: XXXX , und zu 2. vom 30.04.2021, IFA-Zahl/Verfahrenszahl: XXXX , sowie zu 3. vom 03.05.2021, IFA-Zahl/Verfahrenszahl: XXXX , und zu 4. vom 03.05.2021, IFA-Zahl/Verfahrenszahl: XXXX :
A)
In Erledigung der Beschwerden werden die bekämpften Bescheide behoben und die Angelegenheiten gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) zur Erlassung neuer Entscheidungen an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Begründung:
I. Verfahrensgang:
Die Asylverfahren der Beschwerdeführer wurden mit den Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 27.12.2019 rechtskräftig negativ entschieden.
Den damit einhergehenden Ausreiseverpflichtungen kamen die Beschwerdeführer nicht nach. XXXX (in der Folge als Erstbeschwerdeführerin bezeichnet) und XXXX (in der Folge als Zweitbeschwerdeführer bezeichnet) stellten am 02.03.2021 für sich und ihre beiden minderjährigen Töchter XXXX und XXXX (in der Folge als Dritt- und Viertbeschwerdeführerin bzw. in ihrer Gesamtheit als Beschwerdeführer bezeichnet) Anträge auf Erteilung von Aufenthaltstiteln gemäß § 56 Abs. 2 AsylG 2005.
Am 21.04.2021 fand eine niederschriftliche Einvernahme der Erstbeschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge als Bundesamt bezeichnet) statt, in der sie Anträge auf Mängelheilung (gemäß „§ 4 Abs. 1 Z 2 und Z 3 AsylG-DV“) stellte, weil keine Reisedokumente vorgelegt werden könnten.
Mit Bescheiden vom 30.04.2021 und 03.05.2021 wies das Bundesamt die Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 AsylG 2005 ab (Spruchpunkte I.), erließ gegen die Beschwerdeführer Rückkehrentscheidungen (Spruchpunkte II.), stellte die Zulässigkeit ihrer Abschiebung nach Nigeria fest (Spruchpunkte III.) und setzte die Frist für die freiwillige Ausreise mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkte IV.).
Mit Schriftsatz vom 04.06.2021 erhoben die Beschwerdeführer gegen diese Entscheidungen eine Beschwerde.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der oben dargestellte Verfahrensgang wird als Sachverhalt festgestellt.
Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer sind die Eltern der minderjährigen Dritt- und Viertbeschwerdeführerin und deren gesetzliche Vertreter. Alle Beschwerdeführer sind nigerianische Staatsangehörige. Ihre Identitäten stehen nicht fest. Für die Viertbeschwerdeführerin gibt es eine österreichische Geburtsurkunde. Die Beschwerdeführer legten kein Reisedokument vor.
Am 02.03.2021 stellte Erstbeschwerdeführerin für sich und ihre Familie Anträge auf Erteilung von Aufenthaltstiteln gemäß § 56 Abs. 2 AsylG 2005 sowie am 21.04.2021 (bei ihrer niederschriftlichen Einvernahme) für alle Beschwerdeführer den Antrag auf Heilung der Nichtvorlage von Reisedokumenten, ohne ihn jedoch näher zu begründen. Ein Verbesserungsauftrag wurde vom Bundesamt nicht erteilt. Über die Anträge auf Mängelheilung wurde in den bekämpften Bescheiden nicht abgesprochen.
2. Beweiswürdigung:
Der in den Beschwerden unbestritten gebliebene Sachverhalt ergibt sich aus den Verwaltungsakten, durch die Einsicht in die Gerichtsakten zu I412 2150891-1, I412 2150904-1, I412 2150896-1 und I412 2150901-1, sowie aus den angefochtenen Bescheiden.
Die Feststellungen zu den Personen konnten aus den Auszügen aus dem Informationsverbundsystem Zentrales Melderegister (IZR) ermittelt werden bzw. ergeben sich aus den oben angeführten Gerichtsakten, mit denen die jeweiligen Asylverfahren rechtskräftig abgewiesen wurden. Die Geburtsurkunde der Viertbeschwerdeführern findet sich in ihrem erstinstanzlichen Akt. Die übrigen Beschwerdeführer legten den österreichischen Behörden keine identitätsbezeugenden Dokumente vor, so dass ihre Identitäten nicht zweifelsfrei feststehen.
Dass ein Antrag auf Mängelheilung durch die Erstbeschwerdeführerin gestellt wurde, ergibt sich aus dem Protokoll ihrer niederschriftlichen Einvernahme vom 21.04.2021 (AS 53), wie auch der Umstand, dass sie bzw. die Beschwerdeführer kein Reisedokument haben (AS 51). Den erstinstanzlichen Akten kann nicht entnommen werden, wann einer der erwachsenen Beschwerdeführer zu einer Einvernahme vor dem Bundesamt geladen wurde. Allerdings wurde im Bescheid (S. 3) den Zweitbeschwerdeführer bestreffend ausgeführt, dass die Ehefrau in Vertretung für die Familie geantwortet habe. Daraus ergibt sich, dass das Bundesamt von der Vertretung des Zweitbeschwerdeführers durch seine Ehefrau bzw. der Erstbeschwerdeführerin ausging, zumal er nicht niederschriftlich einvernommen wurde. Da die Erstbeschwerdeführerin die gesetzliche Vertreterin der Dritt- und Viertbeschwerdeführerin ist, besteht an einer Antragstellung für die minderjährigen Kinder kein Zweifel.
Aus den Angaben der Erstbeschwerdeführerin „Nein, wir haben keine Reisepässe und keine Geburtsurkunden. Ich werde mich bemühen, einen Reisepass zu besorgen.“ und „Weiters ersuche ich den Mangel des fehlenden Reisedokumentes gem. § 4 Abs 1 Z 2 und Z 3 AsylG-DV zu heilen.“ ergibt sich, dass eine nähere Begründung der Anträge auf Mängelheilung unterblieb. Aus den erstinstanzlichen Akten ergibt sich kein Verbesserungsauftrag, den Antrag näher zu begründen und mangelt es in den bekämpften Bescheiden an einem Abspruch über die Anträge auf Mängelheilung sowie an einer Begründung.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchpunkt A):
3.1.1. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
§ 8 Abs. 1 und Abs. 2 der AsylG-DV (in der Fassung BGBl. II Nr. 230/2017) lauten:
„(1) Folgende Urkunden und Nachweise sind - unbeschadet weiterer Urkunden und Nachweise nach den Abs. 2 und 3 leg. cit. - im amtswegigen Verfahren zur Erteilung eines Aufenthaltstitels (§ 3) beizubringen oder dem Antrag auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels (§ 3) anzuschließen:
1. gültiges Reisedokument (§ 2 Abs. 1 Z 2 und 3 NAG);
2. Geburtsurkunde oder ein dieser gleichzuhaltendes Dokument;
3. Lichtbild des Antragstellers gemäß § 5;
4. erforderlichenfalls Heiratsurkunde, Urkunde über die Ehescheidung, Partnerschafts-urkunde, Urkunde über die Auflösung der eingetragenen Partnerschaft, Urkunde über die Annahme an Kindesstatt, Nachweis oder Urkunde über das Verwandtschaftsverhältnis, Sterbeurkunde."
(2) Zusätzlich zu den in Abs. 1 genannten Urkunden und Nachweisen sind dem Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 AsylG 2005 weitere Urkunden und Nachweise anzuschließen:
1. Nachweis des Rechtsanspruchs auf eine ortsübliche Unterkunft, insbesondere Miet- oder Untermietverträge, bestandsrechtliche Vorverträge oder Eigentumsnachweise;
2. Nachweis über einen in Österreich leistungspflichtigen und alle Risiken abdeckenden Krankenversicherungsschutz, insbesondere durch eine entsprechende Versicherungspolizze, sofern kein Fall der gesetzlichen Pflichtversicherung bestehen wird oder besteht;
3. Nachweis des gesicherten Lebensunterhalts, insbesondere Lohnzettel, Lohnbestätigungen, Dienstverträge, arbeitsrechtliche Vorverträge, Bestätigungen über Pensions-, Renten- oder sonstige Versicherungsleistungen, Nachweise über das Investitionskapital, Nachweis eigenen Vermögens in ausreichender Höhe oder in den bundesgesetzlich vorgesehenen Fällen eine Haftungserklärung oder Patenschaftserklärung.“
§ 4 AsylG-DV (in der Fassung BGBl. II Nr. 492/2013) normiert:
„(1) Die Behörde kann auf begründeten Antrag von Drittstaatsangehörigen die Heilung eines Mangels nach § 8 und § 58 Abs. 5, 6 und 12 AsylG 2005 zulassen:
1. im Fall eines unbegleiteten Minderjährigen zur Wahrung des Kindeswohls,
2. zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK oder
3. im Fall der Nichtvorlage erforderlicher Urkunden oder Nachweise, wenn deren Beschaffung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war. Beabsichtigt die Behörde den Antrag nach Abs. 1 zurück- oder abzuweisen, so hat die Behörde darüber gemäß Abs. 2 im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen.
(2) Beabsichtigt die Behörde den Antrag nach Abs. 1 zurück- oder abzuweisen, so hat die Behörde darüber im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen.“
3.1.2. Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen, im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
Das Rechtsinstitut der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraus. Obwohl gemäß § 17 iVm § 58 VwGVG seit 01.01.2014 der § 66 Abs. 2 AVG in Beschwerdeverfahren vor dem (Bundes-) Verwaltungsgericht nicht mehr anzuwenden ist und gemäß § 58 VwGVG stattdessen § 28 Abs. 3 VwGVG mit genanntem Datum in Kraft trat, womit das Erfordernis des § 66 Abs. 2 leg. cit, wonach die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, weggefallen ist, und sich damit die Regelungsinhalte beider Normen nicht gänzlich decken, findet die einschlägige höchstgerichtliche Judikatur zu § 66 Abs. 2 AVG grundsätzlich weiterhin Anwendung.
Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte (Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren (2013), § 28 VwGVG, Anm 11, S 153).
§ 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes, wenn „die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen“ hat.
Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 21.11.2002, Zl. 2000/20/0084, grundsätzliche Ausführungen zur Anwendbarkeit des § 66 Abs. 2 AVG im Asylverfahren im Allgemeinen und durch den Unabhängigen Bundesasylsenat im Besonderen getätigt. Dabei hob er hervor:
„Bei der Abwägung der für und gegen eine Entscheidung gemäß § 66 Abs. 2 AVG sprechenden Gesichtspunkte muss nämlich auch berücksichtigt werden, dass das Asylverfahren nicht nur möglichst kurz sein soll. Zur Sicherung seiner Qualität hat der Gesetzgeber einen Instanzenzug vorgesehen, der zum unabhängigen Bundesasylsenat und somit zu einer gerichtsähnlichen, unparteilichen und unabhängigen Instanz als besonderem Garanten eines fairen Asylverfahrens führt (vgl. das Erkenntnis vom 16. April 2002, Zl. 99/20/0430). Die dem unabhängigen Bundesasylsenat in dieser Funktion schon nach der Verfassung zukommende Rolle einer ‚obersten Berufungsbehörde’ (Art. 129c 1 B-VG) wird aber ausgehöhlt und die Einräumung eines Instanzenzuges zur bloßen Formsache degradiert, wenn sich das Asylverfahren einem eininstanzlichen Verfahren vor der Berufungsbehörde nähert, weil es das Bundesasylamt ablehnt, auf das Vorbringen sachgerecht einzugehen und brauchbare Ermittlungsergebnisse in Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen.“
Der Verwaltungsgerichtshof hat in verschiedenen Erkenntnissen betont, dass die Behörde erster Instanz eine umfangreiche und detaillierte Erhebung des (asylrechtlich) relevanten Sachverhaltes durchzuführen hat.
Ebenso hat der Verfassungsgerichtshof, so in seinem Erkenntnis vom 07.11.2008, Zl. U 67/08, ausgesprochen, dass willkürliches Verhalten einer Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, dann anzunehmen ist, wenn in einem entscheidenden Punkt jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen wird oder ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren gar nicht stattfindet, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteienvorbringens oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes. Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (vgl. VfSlg. 13.302/1992, mwN, 14.421/1996, 15.743/2000).
Ausführlich hat sich der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin (unter anderen) folgende Rechtssätze herausgearbeitet:
- Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht kommt nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 1 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies wird jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.
- Der Verfassungsgesetzgeber hat sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I 51, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden haben, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen ist.
- Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stellt die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer „Delegierung“ der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).
3.1.3. In den gegenständlichen Fällen hat das Bundesamt über die nachweislich gestellten, unbegründet gebliebenen Anträge der Beschwerdeführer auf Mängelheilung vom 21.04.2021 nicht entschieden.
Ob der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels (im konkreten Fall nach § 56 AsylG) überhaupt zulässig ist, bedarf vorgelagert das Prüfen des Vorliegens der formellen Voraussetzungen (VwGH 15.02.2021, Ra 2020/21/0494).
Ein ausdrücklicher positiver Abspruch über den Heilungsantrag ist nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 15.02.2021, Ra 2020/21/0494) dann nicht nötig, wenn trotz Nichtvorlage von sonst erforderlichen Urkunden keine Antragszurückweisung nach § 58 Abs. 11 AsylG 2005 erfolgt, sondern über den Antrag auf Erteilung des Aufenthaltstitels inhaltlich abgesprochen wird.
Im konkreten Fall wurde zwar inhaltlich über die gestellten Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 56 AsylG (negativ) entschieden, allerdings ist eine implizite Stattgabe der Mängelheilungsanträge nicht ersichtlich. Weder im Verfahrensgang, noch in den Feststellungen, der Beweiswürdigung oder der rechtlichen Beurteilung der angefochtenen Bescheide finden sich Ausführungen zu den Anträgen auf Mängelheilung. Das Bundesamt hat dahingehend keine Ermittlungsschritte gesetzt. Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann nicht im Sinn des Gesetzes sein, vor allem deshalb nicht, weil sich erst nach Ermittlung der vorgelagerten Frage ergibt, ob eine zurückweisende Entscheidung nach § 58 Abs. 11 AsylG 2005 zu ergehen hat oder eine inhaltliche.
Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme und die noch zu setzenden Ermittlungsschritte (zu der nachweislich unmöglichen Beschaffung von Reisedokumenten und der Geburtsurkunden) durch das Bundesverwaltungsgericht „im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden“ wäre, ist - auch angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - nicht ersichtlich. Dass die Zurückverweisung den gesamten Verfahrensverlauf verlängert, ist bei der Zeit- und Kostenersparnis nicht in Rechnung zu stellen, weil ansonsten eine kassatorische Entscheidung nie in Frage käme (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG-Kommentar 2007, 3. Teilband, § 66 Rz 20).
Es fehlt an einer begründeten Antragstellung, wie es § 4 Abs. 1 AsylG-DV 2005 verlangt. Die Erstbeschwerdeführerin gab bei ihrer Einvernahme lediglich an, die Familie besitze keine Reisedokumente. Weshalb den Beschwerdeführern die Beschaffung derselben nachweislich unmöglich oder unzumutbar wäre, erschließt sich aus ihren Angaben nicht. Es wäre dahingehend ein Verbesserungsauftrag zu erteilen und letztlich über die Anträge auf Mängelheilung auch abzusprechen gewesen, was, obwohl § 4 Abs. 2 AsylG-DV 2005 das explizit vorsieht, im konkreten Fall unterblieb.
Das Bundesamt wird daher die notwendigen Ermittlungen vornehmen müssen und einen neuen Bescheid zu erlassen haben, in dessen Begründung sie darlegt, auf Grund welchen Sachverhalts sie zu der den Spruch tragenden rechtlichen Beurteilung gekommen ist. Nur auf diese Weise wird die im Beschwerdefall folgende verwaltungsgerichtliche Kontrolle des Bescheids ermöglicht.
Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind im gegenständlichen Beschwerdefall somit nicht gegeben. Da das Ermittlungsverfahren mangelhaft geblieben ist und der maßgebliche Sachverhalt noch nicht feststeht, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid des Bundesamtes gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt zurückzuverweisen.
Gemäß § 52 Abs. 3 FPG ist (nur) bei Zurück- oder Abweisung eines Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 AsylG 2005 eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, weshalb die darauf aufbauenden Absprüche nach § 52 Abs. 9 FPG, § 53 FPG, § 55 FPG sowie § 18 Abs. 2 BFA-VG infolge der Aufhebung des Spruchpunktes betreffend die Antragsabweisung ebenfalls keinen Bestand haben konnten.
Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG entfallen, zumal aufgrund der Aktenlage feststeht, dass die mit den Beschwerden angefochtenen Bescheid aufzuheben sind.
Zu Spruchpunkt B) - Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder fehlt es an einer Rechtsprechung, noch weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich in den entscheidungswesentlichen Fragen auf die oben angeführte höchstgerichtliche Judikatur stützen.
Schlagworte
Abschiebung Antragstellung Aufenthaltstitel Behebung der Entscheidung Ermittlungsmangel Ermittlungspflicht freiwillige Ausreise Frist Kassation Mängelbehebung mangelhaftes Ermittlungsverfahren Mangelhaftigkeit Mängelheilung mangelnde Sachverhaltsfeststellung Reisedokument Rückkehrentscheidung Verbesserungsauftrag ZurückverweisungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:I401.2150896.2.00Im RIS seit
29.11.2021Zuletzt aktualisiert am
29.11.2021