TE Vfgh Beschluss 2021/6/8 V67/2021

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Veröffentlicht am 08.06.2021
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Index

70/02 Schulorganisation
82/02 Gesundheitsrecht allgemein

Norm

B-VG Art139 Abs1 Z3
COVID-19-SchulV BGBl II 384/2020 idF BGBl II 56/2021 §35
VfGG §7 Abs2, §57 Abs1

Leitsatz

Zurückweisung eines Antrags auf Aufhebung einer Bestimmung der COVID-19-Schulverordnung 2020/21 betreffend die Durchführung von COVID-Schnelltests als Voraussetzung für die Teilnahme am Präsenzunterricht wegen zu engen Anfechtungsumfangs

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. Antrag

Gestützt auf Art139 Abs1 Z3 B-VG, begehren die Antragsteller mit ihrem am 22. Februar 2021 beim Verfassungsgerichtshof eingebrachten Antrag, die Wortfolgen "von der Schulbehörde zur Verfügung gestellten", "der für eine Probennahme im anterior-nasalen Bereich in Verkehr gebracht wurde, an der Schule durchführen" und "an der Schule durchzuführen" in §35 Abs1 der Verordnung des Bundesministers für Bildung, Wissenschaft und Forschung zur Bewältigung der COVID-19 Folgen im Schulwesen für das Schuljahr 2020/21 (COVID-19-Schulverordnung 2020/21 – C-SchVO 2020/21), BGBl II 384/2020, idF BGBl II 56/2021, in eventu die Wortfolgen "von der Schulbehörde zur Verfügung gestellten" und "an der Schule durchführen" in §35 Abs1 C-SchVO 2020/21, BGBl II 384/2020, idF BGBl II 56/2021, als verfassungswidrig bzw gesetzwidrig aufzuheben.

II. Rechtslage

§34 Abs2, 35 Abs1 sowie Anlage C der Verordnung des Bundesministers für Bildung, Wissenschaft und Forschung zur Bewältigung der COVID-19 Folgen im Schulwesen für das Schuljahr 2020/21 (COVID-19-Schulverordnung 2020/21 – C-SchVO 2020/21), BGBl II 384/2020, idF BGBl II 56/2021 lauteten zum Antragszeitpunkt wie folgt (die mit dem Hauptantrag angefochtenen Wortfolgen sind hervorgehoben):

"Anordnung des ortsungebundenen Unterrichts

§34. (1) […]

(2) Abweichend von Abs1 kann die Schulleitung oder die Schulbehörde für Schulstufen, Klassen oder Gruppen für einzelne oder mehrere zusammenhängende Tage oder einzelne Unterrichtsgegenstände Ausnahmen vom ortsungebundenen Unterricht in Form von Präsenzunterricht anordnen. Am Präsenzunterricht dürfen nur jene Schülerinnen und Schüler teilnehmen, die Vorkehrungen zur Verhinderung der Ausbreitung der COVID-19-Pandemie gemäß §35 treffen. An Volksschulen und der 1. bis 4. Schulstufe der Sonderschulen sind ab 8. Februar 2021 jene Schülerinnen und Schüler vom ortsungebundenen Unterricht ausgenommen, welche die in §35 vorgesehenen Tests vorlegen. Die §§24 bis 27 sind anzuwenden.

(3) – (5) […]

Vorkehrungen zur Verhinderung der Verbreitung der COVID-19 Erkrankung

§35. (1) Voraussetzung für die Teilnahme am Präsenzunterricht ist, dass Schülerinnen und Schüler am ersten Tag einer Woche, an welchem sie sich in der Schule aufhalten, einen von der Schulbehörde zur Verfügung gestellten Schnelltest, der für eine Probennahme im anterior-nasalen Bereich in Verkehr gebracht wurde, an der Schule durchführen und vorlegen. Schülerinnen und Schüler an Volksschulen und Sonderschulen sowie Schülerinnen und Schüler, welche sich mehr als zwei Tage einer Woche an der Schule aufhalten, haben zweimal wöchentlich Tests an der Schule durchzuführen und vorzulegen, wobei zwischen den Tests jeweils mindestens ein Kalendertag liegen muss.

(2) – (4) […]

Anlage C

Anordnung der Anwendung von Bestimmungen des 2. Teiles dieser Verordnung in Abweichung von §13.

Ab dem 18. Jänner 2021 bis einschließlich 26. März 2021 sind die Bestimmungen des 4. Abschnittes des 2. Teiles dieser Verordnung anzuwenden."

III. Antragsvorbringen

1. Die Antragsteller bringen zu ihrer Antragslegitimation zusammengefasst Folgendes vor:

Die Antragsteller seien minderjährig, schulpflichtig und Schüler an einem Bundesgymnasium. Sie hegen Bedenken wegen der Sicherheit und der Zuverlässigkeit der nach der C-SchVO 2020/21 an der Schule durchzuführenden COVID-19 Schnelltests (Selbsttests). Diese Bedenken bestehen zum einen im Hinblick auf die Sicherheit und Zuverlässigkeit der nach dieser Verordnung zwingend zu verwendenden Schnelltests und zum anderen im Hinblick auf die medizinischen und hygienischen Rahmenbedingungen bei Durchführung von Schnelltests durch Schüler und Schülerinnen am eigenen Körper an Schulen, folglich ohne medizinisch fachliche Anleitung und Überwachung und ohne jedes Hygienekonzept in der Auswertung, Behandlung und Entsorgung der gewonnenen, möglicherweise durch Viren belasteten Proben. Weder seien Schulen dafür eingerichtet, medizinische Tests nach den einschlägigen Regeln durchzuführen, noch sei das Lehrpersonal – auch bloß ansatzweise – geschult, diesbezüglich die regelkonforme Durchführung zu administrieren und zu überwachen und letztlich hiefür die Verantwortung zu übernehmen.

Seit 9. Februar 2021 seien die Antragsteller, die keinen COVID-19-Schnelltest zu Beginn der Anwesenheitsphase an der Schule selbst durchführen wollen, unter dem Regime der angefochtenen C-SchVO 2020/21 von der Teilnahme am Präsenzunterricht an ihrer Schule ausgeschlossen, weil sie die vorgeschriebene Voraussetzung für die Teilnahme am Präsenzunterricht nicht erfüllen.

Die C-SchVO 2020/21 greife tatsächlich, unmittelbar, aktuell und in eindeutig bestimmbarer Weise in die Rechte der Antragsteller ein, weil ihnen die Teilnahme am Präsenzunterricht an ihrer Schule trotz der Durchführung von COVID-19-Testungen durch eine Apotheke am Tag des Schulbesuchs verweigert werde.

Es stehe den Antragstellern auch kein zumutbarer anderer Weg zur Bekämpfung der Verordnung offen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes sei das Provozieren eines Verwaltungsstrafverfahrens unzumutbar. Es bestehe für die Antragsteller auch keine Möglichkeit einen Bescheid zu erwirken, weil ein solcher in diesem Fall nicht vorgesehen sei. Es gebe auch keine Möglichkeit, einen Antrag auf eine Ausnahmegenehmigung zu stellen, sodass auch auf diese Weise kein Bescheid erwirkt werden könne. Auch die Anrufung der ordentlichen Gerichte in der Form einer zivilrechtlichen Klage scheide in Ermangelung der Zulässigkeit des ordentlichen Rechtswegs aus.

IV. Zulässigkeit

1. Gemäß Art139 Abs1 Z3 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Gesetzwidrigkeit von Verordnungen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Gesetzwidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, wenn die Verordnung ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner mit VfSlg 8058/1977 beginnenden ständigen Rechtsprechung ausgeführt hat, ist daher grundlegende Voraussetzung für die Antragslegitimation, dass die Verordnung in die Rechtssphäre der betroffenen Person unmittelbar eingreift und sie – im Fall ihrer Gesetzwidrigkeit – verletzt. Hiebei hat der Verfassungsgerichtshof vom Antragsvorbringen auszugehen und lediglich zu prüfen, ob die vom Antragsteller ins Treffen geführten Wirkungen solche sind, wie sie Art139 Abs1 Z3 B-VG als Voraussetzung für die Antragslegitimation fordert (vgl zB VfSlg 8594/1979, 15.527/1999, 16.425/2002 und 16.426/2002).

2. Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Gesetzmäßigkeit hin zu prüfenden Verordnungsbestimmung sind, wie der Verfassungsgerichtshof sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Verordnungsprüfungsverfahren schon wiederholt dargelegt hat (VfSlg 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003), notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Verordnungsteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Verordnungsstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden.

3. Dieser Grundposition folgend hat der Gerichtshof die Rechtsauffassung entwickelt, dass im Gesetzesprüfungsverfahren der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrages nicht zu eng gewählt werden darf (vgl zB VfSlg 8155/1977, 12.235/1989, 13.915/1994, 14.131/1995, 14.498/1996, 14.890/1997, 16.212/2001). Der Antragsteller hat all jene Normen anzufechten, welche für die Beurteilung der allfälligen Gesetzwidrigkeit der Rechtslage eine untrennbare Einheit bilden. Es ist dann Sache des Verfassungsgerichtshofes, darüber zu befinden, auf welche Weise eine solche Gesetzwidrigkeit – sollte der Verfassungsgerichtshof die Auffassung des Antragstellers teilen – beseitigt werden kann (VfSlg 16.756/2002, 19.496/2011, 19.972/2015). Unter dem Aspekt einer nicht trennbaren Einheit in Prüfung zu ziehender Vorschriften ergibt sich ferner, dass ein Prozesshindernis auch dann vorliegt, wenn es auf Grund der Bindung an den gestellten Antrag zu einer in der Weise isolierten Aufhebung einer Bestimmung käme, dass Schwierigkeiten bezüglich der Anwendbarkeit der im Rechtsbestand verbleibenden Vorschriften entstünden, und zwar in der Weise, dass der Wegfall der angefochtenen (Teile einer) Bestimmung den verbleibenden Rest unverständlich oder auch unanwendbar werden ließe. Letzteres liegt dann vor, wenn nicht mehr mit Bestimmtheit beurteilt werden könnte, ob ein der verbliebenen Vorschrift zu unterstellender Fall vorliegt (VfSlg 16.869/2003 mwN).

4. Der Hauptantrag wird diesen Erfordernissen nicht gerecht:

Der Hauptantrag auf Aufhebung der Wortfolgen "von der Schulbehörde zur Verfügung gestellten", "der für eine Probennahme im anterior-nasalen Bereich in Verkehr gebracht wurde, an der Schule durchführen" und "an der Schule durchzuführen" in §35 Abs1 der C-SchVO 2020/21, BGBl II 384/2020, idF BGBl II 56/2021 ist schon wegen zu eng gewählten Anfechtungsumfanges unzulässig.

Die Bedenken der Antragsteller richten sich zusammengefasst gegen die Durchführung und Vorlage eines von der Schulbehörde zur Verfügung gestellten Schnelltests an der Schule als Voraussetzung für die Teilnahme am Präsenzunterricht. Nach der Systematik der C-SchVO 2020/21 gelangen je nach aktuell festgelegter Ampelphase verschiedene Bestimmungen zur Anwendung (siehe §3 Z1 C-SchVO 2020/21). Die Anordnung der Durchführung von Schnelltests an der Schule als Voraussetzung für die Teilnahme am Präsenzunterricht ergibt sich in der Ampelphase "Rot" aus §35 Abs1 iVm §34 Abs2 C-SchVO 2020/21, BGBl II 384/2020, idF BGBl II 56/2021. Gemäß Anlage C C-SchVO 2020/21, BGBl II 384/2020, idF BGBl II 56/2021 waren ab dem 18. Jänner 2021 bis einschließlich 26. März 2021 die Bestimmungen des 4. Abschnittes des 2. Teiles (Bestimmungen für die Ampelphase "Rot") – worunter §35 Abs1 und §34 Abs2 C-SchVO 2020/21 fallen – anzuwenden.

Vor dem Hintergrund der vorgebrachten Bedenken besteht ein untrennbarer Zusammenhang zwischen §35 Abs1., §34 Abs2 sowie Anlage C der C-SchVO 2020/21, BGBl II 384/2020, idF BGBl II 56/2021.

5. Entsprechendes gilt für den Eventualantrag auf Aufhebung der Wortfolgen "von der Schulbehörde zur Verfügung gestellten" und "an der Schule durchführen" in §35 Abs1 C-SchVO 2020/21, BGBl II 384/2020, idF BGBl II 56/2021, welcher sich vom Hauptantrag lediglich durch Weglassung der Wortfolge "der für eine Probennahme im anterior-nasalen Bereich in Verkehr gebracht wurde, an der Schule durchführen" unterscheidet.

V. Ergebnis

1. Der Antrag wird als unzulässig zurückgewiesen.

2. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

COVID (Corona), VfGH / Individualantrag, Schulen, Kinder, VfGH / Bedenken, VfGH / Prüfungsumfang, Eventualantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:V67.2021

Zuletzt aktualisiert am

09.12.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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