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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten betreffend einen Staatsangehörigen des Iraks; mangelhafte Auseinandersetzung mit der sicheren Erreichbarkeit der Herkunftsregion angesichts des sich aus den Länderinformationen ergebenden Risikoprofils des sunnitischen ArabersSpruch
Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und gegen den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Irak unter Setzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs.1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.
2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
Insoweit wird die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer ist irakischer Staatsangehöriger und stammt aus Mossul. Er gehört der Volksgruppe der Araber sowie der sunnitischen Religionsgemeinschaft an. Der Einschreiter stellte am 27. Mai 2015 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz, weil er im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit als Maler Aufträge der Regierung angenommen habe, woraufhin ihn die Terrormiliz Islamischer Staat (im Folgenden: IS) im Jahr 2008 bedroht habe.
2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17. Oktober 2017 wurde der Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asyl- und subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak (Spruchpunkte I. und II.) abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG 2005 nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung in den Irak zulässig ist (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit zwei Wochen festgesetzt (Spruchpunkt IV.).
3. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 18. November 2019 als unbegründet ab. Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. Juni 2020 wurde der dagegen erhobenen außerordentlichen Revision stattgegeben und die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
4. Mit Erkenntnis vom 18. Februar 2021 hat das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde des Einschreiters nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, in der der Beschwerdeführer sein Fluchtvorbringen insoweit ergänzt hat, als er darauf hingewiesen hat, dass er wegen der Vorherrschaft schiitischer Milizen in seiner Herkunftsregion nicht dorthin zurückkehren könne, erneut abgewiesen.
Begründend wird ausgeführt, dass das Fluchtvorbringen zur Gänze unglaubwürdig und davon auszugehen sei, dass der Beschwerdeführer sein Herkunftsland auf Grund der allgemein schlechten Sicherheitslage verlassen habe. Aus den Länderberichten gehe keine generelle und systematische Verfolgung sunnitischer Araber hervor, was durch den Umstand, dass die Familie des Einschreiters nach wie vor in Mossul lebe, bekräftigt werde. Die vom Einschreiter geäußerte Furcht vor schiitischen Milizangehörigen sei zudem nicht wohlbegründet, zumal er diesbezüglich keine konkrete, persönliche Bedrohung dargetan, sondern lediglich allgemein gehaltene Ausführungen getätigt habe. Vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen seien keine ihm drohenden Diskriminierungen oder Repressalien asylrelevanter Intensität allein auf Grund seiner Zugehörigkeit zur Gruppe der sunnitischen Araber zu erwarten. Dem Beschwerdeführer drohe im Fall der Rückkehr nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Verletzung seiner gemäß Art2 und 3 EMRK gewährleisteten Rechte, weil davon auszugehen sei, dass ihm – angesichts seiner guten Gesundheit, Arbeitsfähigkeit und beruflichen Ausbildung als Maler sowie seiner familiären Anknüpfungspunkte in Mossul – nicht die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre.
5. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird. Das Bundesverwaltungsgericht habe eine willkürliche Beweiswürdigung vorgenommen und gehe zu Unrecht davon aus, dass der Einschreiter im Fall seiner Rückkehr in den Irak mit der Unterstützung seiner dort lebenden Familie rechnen könne.
6. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Äußerung aber abgesehen.
7. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch ebenfalls Abstand genommen.
II. Erwägungen
A. Die – zulässige – Beschwerde ist, soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und gegen den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Irak unter Setzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise richtet, begründet:
1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
2. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht bei seiner Entscheidung betreffend die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten unterlaufen:
2.1. Gemäß §8 Abs1 AsylG 2005 ist einem Fremden, dessen Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Asylberechtigten abgewiesen wird, der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art2 oder 3 EMRK oder des 6. oder 13. ZPEMRK bedeutete oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich brächte.
2.2. Das Bundesverwaltungsgericht geht in seiner Entscheidung, insbesondere mit Verweis auf die persönliche Situation des Beschwerdeführers, davon aus, dass ihm im Fall seiner Rückkehr nach Mossul keine reale Gefahr einer Verletzung seiner in Art2 und 3 EMRK gewährleisteten Rechte drohe.
Dabei lässt das Bundesverwaltungsgericht allerdings die sunnitisch-arabische Identität des Beschwerdeführers und den Umstand außer Acht, dass er aus einem Gebiet stammt, das zuvor vom IS besetzt war. Den Erwägungen des UNHCR zufolge werden "Personen mit überwiegend sunnitisch-arabischer Identität und zwar vornehmlich […] Männer und Jungen im kampffähigen Alter aus Gebieten, die zuvor von ISIS besetzt waren, […] Berichten zufolge kollektiv verdächtigt, mit ISIS verbunden zu sein oder ISIS zu unterstützen" (UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die vom Irak fliehen, Mai 2019, S 69) und weisen daher ein besonderes Risikoprofil auf (vgl VfGH jeweils 7.10.2021, E2372/2021; E2637/2021).
2.3. Diesem Umstand kommt auch für die Beurteilung der sicheren Erreichbarkeit der Region, in die der Beschwerdeführer zurückkehren soll, maßgebliche Bedeutung zu (vgl VfGH 8.6.2021, E149/2021 ua; siehe auch VwGH 22.2.2021, Ra 2020/18/0516).
Das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation in der Fassung vom 14. Mai 2020 führt im Kapitel "Bewegungsfreiheit" wie folgt aus:
"Angesichts der massiven Vertreibung von Menschen aufgrund der IS-Expansion und der anschließenden Militäroperationen gegen den IS, zwischen 2014 und 2017, führten viele lokale Behörden strenge Einreise- und Aufenthaltsbeschränkungen ein, darunter unter anderem Bürgschafts-Anforderungen und in einigen Gebieten nahezu vollständige Einreiseverbote für Personen, die aus ehemals vom IS kontrollierten oder konfliktbehafteten Gebieten geflohen sind, insbesondere sunnitische Araber, einschließlich Personen, die aus einem Drittland in den Irak zurückkehren."
2.4. Indem es das Bundesverwaltungsgericht unterlassen hat, sich unter Berücksichtigung der Länderinformationen und des besonderen Risikoprofils des Beschwerdeführers mit der sicheren Erreichbarkeit der Region Mossul auseinanderzusetzen, hat es sein Erkenntnis – soweit es sich auf die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und daran anknüpfend auf die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen sowie auf die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung und der Abschiebung in den Herkunftsstaat Irak unter Setzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise bezieht – mit Willkür belastet und ist insoweit aufzuheben (vgl VfGH jeweils 7.10.2021, E1677/2021; E2637/2021).
B. Im Übrigen, soweit sich die Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet, wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:
1. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.
2. Die Beschwerde rügt die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Nach den Beschwerdebehauptungen wären diese Rechtsverletzungen aber zum erheblichen Teil nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind, insbesondere angesichts des im Hinblick auf eine wahrscheinliche Verfolgung als sunnitischer Araber aus einem ehemals vom IS besetzten Gebiet kaum substantiierten Vorbringens des Beschwerdeführers, insoweit nicht anzustellen.
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Irak unter Festsetzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
2. Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen und diese gemäß Art144 Abs3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten (zum System der Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof durch den Verfassungsgerichtshof nach Inkrafttreten der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 vgl VfSlg 19.867/2014).
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 bzw §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– sowie der Ersatz der Eingabengebühr in Höhe von € 240,– enthalten.
Schlagworte
Asylrecht, Ermittlungsverfahren, Entscheidungsbegründung, RückkehrentscheidungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2021:E1383.2021Zuletzt aktualisiert am
29.11.2021