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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung eines Antrages auf internationalen Schutz betreffend einen Staatsangehörigen des Iraks; keine Auseinandersetzung mit Länderberichten des UNHCR betreffend die Lage von – aus einem (ehemals) vom IS besetzten Gebiet stammenden – sunnitischen Arabern sowie hinsichtlich der Möglichkeit der Einreise in die HerkunftsprovinzSpruch
Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das angefochtene Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer, Staatsangehöriger des Irak, ist Araber, sunnitisch muslimischen Glaubens und stammt aus der Provinz Diyala. Am 5. September 2014 stellte er in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25. Februar 2016 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß §8 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 wurde sein Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiären Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Irak abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihm gemäß §§57 und 55 AsylG 2005 nicht erteilt, gemäß §10 Abs1 Z3 AsylG 2005 iVm §9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß §52 Abs2 Z2 FPG erlassen und es wurde gemäß §52 Abs9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß §46 FPG in den Irak zulässig ist (Spruchpunkt III.). Weiters wurde ausgesprochen, dass gemäß §55 Abs1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).
3. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit mündlich verkündetem Erkenntnis vom 26. Mai 2020, schriftlich ausgefertigt am 20. Juli 2020, mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass der erste Satz von Spruchpunkt III. des bekämpften Bescheides zu lauten hat: "Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wird Ihnen gemäß §57 AsylG nicht erteilt".
4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.
5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch abgesehen.
II. Erwägungen
Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:
1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
2. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
2.1. Das Bundesverwaltungsgericht führt in seiner Entscheidung aus, dass nicht festgestellt werden könne, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat, konkret in die Herkunftsregion Diyala, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer glaubhaften, asylrelevanten Verfolgungsgefahr oder einer realen Gefahr von Leib und/oder Leben ausgesetzt wäre. In seinem Erkenntnis gibt das Bundesverwaltungsgericht Länderberichte wieder, in denen die Zahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahr 2019 unter anderem in Diyala dargestellt wird und die laut Quellenangabe aus "Joel Wing, Musings on Iraq" vom 23. September 2019, 1. Oktober 2019 und 22. Oktober 2019 stammen. Darüber hinaus gibt das Bundesverwaltungsgericht betreffend gewalttätiger Übergriffe schiitischer Milizen auf die Zivilbevölkerung in Diyala einen Auszug aus der ACCORD-Anfragebeantwortung vom 22. Jänner 2020 zur "Lage für sunnitische Araber in Diyala: Übergriffe durch schiitische Milizen, allgemeine Sicherheitslage; Versorgungslage für RückkehrerInnen nach Diyala" wieder. Im Rahmen der Beweiswürdigung führt das Bundesverwaltungsgericht aus, dass sich die getroffenen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat aus den angeführten herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen ergäben und die Länderfeststellungen auf vielgestaltigen Quellen, denen keine Voreingenommenheit unterstellt werden könne, basierten; die Lageeinschätzung des Bundesverwaltungsgerichtes widerspreche im Wesentlichen auch nicht der Einschätzung des UNHCR in seinem Positionspapier, woraus sich insbesondere auch die Erforderlichkeit der Beurteilung des konkreten Einzelfalles ergebe.
2.2. Eine nähere Auseinandersetzung des Bundesverwaltungsgerichtes mit den wiedergegebenen Länderberichten in Hinblick auf die Sicherheitslage in der Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers ist dem Erkenntnis nicht zu entnehmen. Dies obgleich sich aus dem zum Entscheidungszeitpunkt aktuellen – aber in der Entscheidung nicht wiedergegebenen – Länderinformationsblatt der Staatendokumentation ergibt, dass Diyala regelmäßig zu den Regionen mit den meisten sicherheitsrelevanten Vorfällen zähle und als die gewalttätigste Region des Irak gelte (vgl Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Stand: 17.3.2020, S 29 f. unter Hinweis auf "Joel Wing 5.8.2019" und "Joel Wing 9.9.2019").
Darüber hinaus gibt das Bundesverwaltungsgericht – abgesehen von einem kurzen Hinweis im wiedergegebenen Teil der oben erwähnten ACCORD-Anfragebeantwortung – jene Länderberichte, die von der Präsenz des IS in der Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers berichten, weder wieder noch setzt sich das Bundesverwaltungsgericht damit auseinander, obwohl sich aus diesen ergäbe, dass Diyala weiterhin ein Kerngebiet des IS sei (vgl Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Stand: 17.3.2020, S 29 f. unter Hinweis auf "Joel Wing 3.2.2020"). Zur Sicherheitslage in Diyala vgl bereits VfGH 25.2.2020, E3356/2019 mwN.
2.3. Desweiteren hätte das Bundesverwaltungsgericht die sichere Erreichbarkeit der Herkunftsregion prüfen müssen (vgl VfGH 8.6.2021, E149/2021 mwN).
2.4. Auch unterlässt es das Bundesverwaltungsgericht, sich in Hinblick auf die Situation von Personen, die ua aus vormals vom IS kontrollierten Gebieten stammen, mit den UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen (Stand: Mai 2019) auseinander zu setzen, obwohl es sich beim Beschwerdeführer um einen sunnitischen Araber aus der Provinz Diyala handelt (vgl hiezu schon VfGH 23.2.2021, E3714/2020; VfGH 8.6.2021, E381/2021).
2.5. Indem das Bundesverwaltungsgericht eine nähere Auseinandersetzung mit der Versorgungs- und Sicherheitslage in der konkreten Herkunftsregion des Beschwerdeführers bzw eine eingehende Begründung unterlässt, warum entgegen der Darstellung der Sicherheitslage im angeführten Länderinformationsblatt bzw in den UNHCR-Erwägungen eine Rückkehr in die Provinz Diyala keinen Bedenken hinsichtlich Art2 und 3 EMRK begegnet, belastet es seine Entscheidung mit Willkür.
Außerdem belastet das Bundesverwaltungsgericht seine Entscheidung mit Willkür, indem es sich nicht damit auseinandersetzt, dass es sich beim Beschwerdeführer um einen sunnitischen Araber handelt, welcher aus einer ehemals vom IS besetzten Provinz stammt, und es daher verabsäumt, in Hinblick auf die UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen (Stand: Mai 2019) konkrete Feststellungen für Personen mit diesem Risikoprofil zu treffen und diese mit der individuellen Situation des Beschwerdeführers in Beziehung zu setzen, weshalb dem Verfassungsgerichtshof auf Grund unzureichender Feststellungen in dieser Hinsicht eine nachprüfende Kontrolle verwehrt ist.
2.6. Das angefochtene Erkenntnis ist daher wegen Verletzung des durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander aufzuheben.
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.
2. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.
Schlagworte
Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren, RückkehrentscheidungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2021:E3022.2020Zuletzt aktualisiert am
29.11.2021