TE Vwgh Beschluss 2021/11/4 Ra 2021/14/0333

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Veröffentlicht am 04.11.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §8 Abs1
B-VG Art133 Abs4
MRK Art3
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Beachte


Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2021/14/0334

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, die Hofrätin Mag. Rossmeisel und den Hofrat Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, in den Revisionssachen 1. der A B und 2. des C D, beide vertreten durch Mag. Andreas Lepschi, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Währinger Straße 26/1/3, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. August 2021, 1. L518 2216088-1/15E und 2. L518 2216089-1/19E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revisionen werden zurückgewiesen.

Begründung

1        Die Revisionswerber sind georgische Staatsangehörige. Die Erstrevisionswerberin ist die Mutter des Zweitrevisionswerbers. Nach Einreise in das Bundesgebiet stellte die Erstrevisionswerberin am 29. November 2018 für sich und den minderjährigen Zweitrevisionswerber jeweils Anträge auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Begründend führten sie aus, dass der minderjährige Zweitrevisionswerber krank sei und die notwendigen Operationen in Georgien nicht durchführbar seien.

2        Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diese Anträge mit Bescheiden je vom 22. Februar 2019 ab, erteilte den Revisionswerbern keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie Rückkehrentscheidungen und stellte jeweils fest, dass die Abschiebung nach Georgien zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3        Mit den angefochtenen Erkenntnissen wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen erhobenen Beschwerden nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit den in Revision gezogenen Erkenntnissen als unbegründet ab. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG jeweils nicht zulässig sei.

4        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

5        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

6        Die vorliegenden außerordentlichen Revisionen wenden sich nur gegen die Abweisung der Beschwerden der revisionswerbenden Parteien betreffend die Nichtzuerkennung von subsidiärem Schutz und gegen die Erlassung von Rückkehrentscheidungen.

7        Zur Zulässigkeit der Revisionen wird zusammengefasst geltend gemacht, die angefochtenen Erkenntnisse würden den in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes festgehaltenen Anforderungen an die Begründungen der Erkenntnisse der Verwaltungsgerichte nicht gerecht. Es lägen weiters grobe Mängel bei der Ermittlung des relevanten Sachverhalts in Bezug auf die Erkrankung des Zweitrevisionswerbers und die Behandlungsmöglichkeiten in Georgien vor. Ebenso hätte ein medizinisches Sachverständigengutachten eingeholt werden müssen, da es sich um ein komplexes und spezifisch zu bewertendes Krankheitsbild handle. Zudem hätte das Bundesverwaltungsgericht von dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag, den behandelnden Arzt in Georgien mit einer Auskunft über die Behandlungsmöglichkeiten in Georgien zu befassen, nicht begründungslos Abstand nehmen dürfen.

8        Vorauszuschicken ist, dass die Revisionen eine tragende Grundsätze des Verfahrensrechts berührende Verkennung der Begründungspflicht (vgl. dazu etwa VwGH 24.6.2020, Ra 2019/20/0536) nicht aufzuzeigen vermögen. Das Bundesverwaltungsgericht hat offengelegt, worauf es die Feststellung des entscheidungsmaßgeblichen Sachverhaltes gründete. Seine Feststellungen über die Lage in Georgien und die Verfügbarkeit der beim Krankheitsbild des Zweitrevisionswerbers erforderlichen medizinischen (Nach-)Behandlung konnte es insbesondere auf Länderberichte und fallbezogene Erhebungen im Herkunftsstaat stützen.

9        Die Revisionswerber rügen im Rahmen der geltend gemachten Verletzung der Ermittlungspflicht die mangelnde Auseinandersetzung des Bundesverwaltungsgerichts mit vorgelegten Urkunden und Auskünften und machen damit Verfahrensmängel geltend. Werden solche Mängel - wie hier Feststellungs-, Begründungs- und Ermittlungsmängel - als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt (in Bezug auf Feststellungsmängel) voraus, dass - auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des behaupteten Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 11.5.2021, Ra 2021/14/0057, mwN).

10       Eine diesen Anforderungen entsprechende Relevanzdarlegung, auch dazu, warum die entsprechenden Feststellungen die Gewährung des Status des subsidiär Schutzberechtigten erforderten, lassen die Revisionen vermissen.

11       Mit Blick auf das Vorbringen der revisionswerbenden Parteien ist aus der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hervorzuheben, dass im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder suizidgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland (einer Abschiebung oder Überstellung) nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben, wobei die Kosten der Behandlung und Medikamente, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks und die für den Zugang zur Versorgung zurückzulegende Entfernung zu berücksichtigen sind (vgl. VwGH 19.7.2021, Ra 2021/14/0230, mwN, mit Hinweis auf das Urteil des EGMR vom 13. Dezember 2016, Nr. 41738/10, Paposhvili gegen Belgien, Rz 183 und 189 ff).

12       Ob derartige außergewöhnliche Umstände vorliegen, ist eine von der Behörde bzw. vorliegend dem Bundesverwaltungsgericht zu beurteilende Rechtsfrage. Diese Beurteilung setzt aber nachvollziehbare Feststellungen über die Art der Erkrankung des Betroffenen und die zu erwartenden Auswirkungen auf den Gesundheitszustand im Falle einer (allenfalls medizinisch unterstützten) Abschiebung voraus (vgl. VwGH 23.4.2020, Ra 2019/01/0368 bis 0371, mwN).

13       Entgegen dem Vorbringen in den Revisionen setzte sich das Bundesverwaltungsgericht mit den Behandlungsmöglichkeiten der Krankheiten des Zweitrevisionswerbers in Georgien auseinander. Es stellte fest, dass die dringend benötigte Blasenaugmentation mit anschließender Nierentransplantation des Zweitrevisionswerbers in Österreich bereits erfolgreich absolviert werde habe können und die aktuell benötigte medizinische Nachbehandlung in Georgien möglich sei. Dabei berücksichtigte es einschlägige Länderinformationen, die eingeholte Anfragebeantwortung der Staatendokumentation sowie die Ausführungen des Verbindungsbeamten, welcher im Rahmen seiner Recherche auch den in Georgien behandelnden Arzt bezüglich der Behandlungsmöglichkeiten befragte. Aufgrund dessen kam das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen seiner vertretbaren Beweiswürdigung zu dem Ergebnis, dass die notwendige medizinische Behandlung sowie die benötigten Medikamente dem minderjährigen Zweitrevisionswerber auch in Georgien zugänglich seien. Sofern zwei (der neun) Präparate in Georgien nicht verfügbar seien, gebe es die Möglichkeit, die notwendigen Medikamente aus dem Ausland einzuführen. Ebenso habe der Zweitrevisionswerber in Georgien aufgrund der staatlich finanzierten Grundversorgung Zugang zu kostenloser medizinischer Versorgung und die Revisionswerber könnten hinsichtlich einer finanziellen Unterstützung zudem auf das familiäre Netzwerk zugreifen. Der Zweitrevisionswerber sei bereits vor seiner Ausreise in Georgien behandelt worden und es seien der Auskunft des behandelnden Arztes zufolge Blasenaugmentationen und Nierentransplantationen dort Routineeingriffe.

14       Diesen Ausführungen und den diesbezüglichen beweiswürdigenden Überlegungen setzt die Revision nichts Stichhaltiges entgegen. Dass das Bundesverwaltungsgericht bei der hierauf gegründeten rechtlichen Beurteilung der (Nicht-)Zuerkennung von subsidiärem Schutz von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen wäre, vermag die Revision nicht aufzuzeigen.

15       Wenn die Revisionswerber in diesem Zusammenhang die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens fordern, ist darauf hinzuweisen, dass die Frage, ob amtswegige Erhebungen erforderlich sind, in der Regel keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung darstellt, weil es sich dabei um eine einzelfallbezogene Beurteilung handelt. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG läge nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre und zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Ergebnis geführt hätte (vgl. VwGH 7.7.2021, Ra 2021/14/0167, mwN). Die Revisionen zeigen mit ihrem pauschal gehaltenen Vorbringen, dass das Krankheitsbild, der Krankheitsverlauf und der Nachsorgebedarf als komplex und spezifisch zu werten seien und der Zweitrevisionswerber mehrmals in verschiedenen Ländern operiert worden sei, nicht auf, dass fallbezogen solche Umstände vorhanden gewesen wären, sodass das Bundesverwaltungsgericht - vor allem im Hinblick auf die vom ihm bereits getätigten Ermittlungen - von der Notwendigkeit weiterer amtswegiger Erhebungen hätte ausgehen müssen.

16       Insoweit die Revisionen vorbringen, das Bundesverwaltungsgericht hätte begründungslos von dem Beweisantrag der Befragung des in Georgien behandelnden Arztes zu den Behandlungsmöglichkeiten Abstand genommen, ist auf die obigen Ausführungen zu verweisen, wonach eine Befragung des Arztes im Rahmen der Auskunft des Verbindungsbeamten ohnehin erfolgte.

17       Auf die Frage der Rechtmäßigkeit der erlassenen Rückkehrentscheidungen muss nicht weiter eingegangen werden, weil die Revisionen in der Zulassungsbegründung dazu kein Vorbringen erstattet haben.

18       In den Revisionen werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revisionen waren daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 4. November 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021140333.L00

Im RIS seit

29.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

06.12.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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