TE Vwgh Beschluss 2021/11/8 Ra 2019/16/0193

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Veröffentlicht am 08.11.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
32/07 Stempelgebühren Rechtsgebühren Stempelmarken

Norm

B-VG Art133 Abs4
GebG 1957 §15 Abs1
GebG 1957 §17 Abs1
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Mairinger und den Hofrat Dr. Thoma sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Galli, LL.M., über die Revision der C GmbH in W, vertreten durch die Binder Grösswang Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Sterngasse 13, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 29. August 2019, Zl. RV/7105483/2016, betreffend Rechtsgeschäftsgebühr (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: nunmehr Finanzamt Österreich), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde der Revisionswerberin gegen die Vorschreibung der Rechtsgeschäftsgebühr für Bestandverträge gemäß § 33 TP 5 Abs. 1 Z 1 GebG in vier Fällen keine Folge und änderte die diesbezüglichen vorläufigen Bescheide des Finanzamts dahingehend ab, dass es die Gebührenbeträge anhand des tatsächlich geleisteten Entgelts der letzten drei Jahre neu berechnete und endgültig festsetzte. Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof erklärte das Bundesfinanzgericht für nicht zulässig.

2        In der Begründung führte das Bundesfinanzgericht aus, die W-GmbH habe als Bestandnehmerin mit diversen Einkaufszentren (als jeweiligem Bestandgeber) vier Bestandverträge über Geschäftsräumlichkeiten abgeschlossen. Diese Bestandverträge seien ordnungsgemäß vergebührt worden. Keiner der Verträge habe eine vorweg erteilte Zustimmung des jeweiligen Bestandgebers zur Weitergabe der Bestandrechte enthalten.

3        Im Jänner und Februar 2016 habe die W-GmbH die jeweiligen Bestandgeber über den geplanten Unternehmensverkauf an die Revisionswerberin in Kenntnis gesetzt. Voraussetzung für die Nichtausübung des Widerspruchsrechts nach § 38 Abs. 2 UGB sei seitens der Bestandgeber gewesen, dass weitere Sicherheiten geleistet würden.

4        In weiterer Folge seien zwischen dem jeweiligen Bestandgeber, der W-GmbH und der Revisionswerberin „Vereinbarungen“ betreffend die jeweilige Geschäftsräumlichkeit durch Unterzeichnung darüber errichteter Urkunden abgeschlossen worden. In diesen sei zunächst festgehalten worden, dass die W-GmbH als Bestandnehmerin mit dem jeweiligen Bestandgeber einen Bestandvertrag über eine bestimmte Geschäftsräumlichkeit abgeschlossen habe, zwischen der W-GmbH und der Revisionswerberin ein Unternehmenskaufvertrag („Asset Purchase Agreement“) abgeschlossen worden sei und der Erwerb des Unternehmens am 1. April 2016 rechtswirksam sei. Anschließend sei unter ausdrücklicher Bezugnahme auf § 38 Abs. 1 UGB festgehalten worden, dass mit Rechtswirksamkeit des Unternehmenskaufvertrags der jeweilige Bestandvertrag auf die Revisionswerberin übergehe und diese damit Bestandnehmerin des jeweiligen Geschäftslokals werde. Beurkundet sei weiters eine ausdrückliche Erklärung des jeweiligen Bestandgebers, der Übernahme des Bestandvertrags nach § 38 Abs. 2 UGB nicht zu widersprechen.

5        Neben der Beurkundung des „ex lege“ Übergangs des jeweiligen Bestandverhältnisses seien in den Urkunden aber auch Änderungen der ursprünglichen Bestandverträge enthalten. So habe sich die Revisionswerberin jeweils zur Zahlung einer höheren Kaution, als in den ursprünglichen Bestandverträgen vereinbart, verpflichtet. Weiters seien von den Bestimmungen der §§ 38 f UGB abweichende Regelungen über die Haftung des Übergebers und des Erwerbers getroffen worden. Die Anpassung der Kautionsvereinbarungen sowie die Änderung der gesetzlichen Haftungsregeln beruhten jedenfalls auf übereinstimmenden Willenserklärungen der Vertragsparteien. Damit würden zusätzlich zu der „ex lege“ eintretenden Rechtsfolge auch rechtsgeschäftliche Vereinbarungen beurkundet.

6        Hinzu komme, dass nach den ursprünglichen Bestandverträgen, deren Inhalt gemäß § 17 Abs. 1 GebG durch die Bezugnahme darauf für die gebührenrechtliche Beurteilung relevant sei, eine Zustimmung des jeweiligen Bestandgebers für einen wirksamen Übergang des Bestandverhältnisses vorgesehen sei. Auch die Bezeichnung der Urkunden als „Vereinbarung“, „Übertragungsvereinbarung“ oder „Ergänzungsvereinbarung“ spreche dafür, dass hier anlässlich des Unternehmensübergangs eine Willenseinigung zwischen dem jeweiligen Bestandgeber, der W-GmbH und der Revisionswerberin über die Übertragung der Bestandverhältnisse stattgefunden habe. In drei Fällen sei noch vor dem „ex lege“ Übergang des Bestandverhältnisses durch die Unterzeichnung der Vereinbarung eine neue vertragliche Rechtsbeziehung zwischen dem jeweiligen Bestandgeber und der Revisionswerberin geschaffen und durch den Verweis auf den ursprünglichen Bestandvertrag dessen Inhalt übernommen und damit ein neuer Bestandvertrag zwischen dem jeweiligen Bestandgeber und der Revisionswerberin abgeschlossen worden. Aber auch im vierten Fall, in dem die Vereinbarung zeitlich erst nach dem Wirksamwerden des Unternehmenskaufs erfolgt sei, spreche die Bezeichnung als „Übertragungsvereinbarung“ sowie die Vereinbarung eines Rücktrittsrechts des Bestandgebers bei Nichterlag der Kaution dafür, dass zusätzlich zur gesetzlichen Rechtsfolge auch rechtsgeschäftliche Anspruchsgrundlagen im Verhältnis des Bestandgebers zur Revisionswerberin als neue Bestandnehmerin begründet wurden. Auch die im Unternehmenskaufvertrag geregelte Vorgangsweise, wonach im Vorfeld die Zustimmung der Bestandgeber zur Übertragung der Bestandverträge erwirkt werden sollte und sich die W-GmbH als Übergeberin zur Unterzeichnung der „Übertragungsverträge“ verpflichtete, spreche für das Vorliegen rechtsgeschäftlicher Vertragsübernahmen. Die gegenständlichen Vereinbarungen seien daher - auch unter Beachtung der Bestimmungen des § 17 Abs. 1 zweiter Satz GebG und des § 17 Abs. 2 GebG - nach § 33 TP 5 GebG gebührenpflichtig.

7        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, in der zur Zulässigkeit vorgebracht wird, es fehle hinreichende Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, anhand welcher, gesetzlich nicht näher festgelegter, Kriterien zu beurteilen sei, ob eine rechtsgeschäftliche Vertragsübernahme oder bloß eine gesetzliche Rechtsfolge beurkundet werde. Das Bundesfinanzgericht gehe in seiner Entscheidung von sehr geringen Anforderungen für das Vorliegen einer rechtsgeschäftsbegründenden Willenseinigung aus, wenn es das schriftliche Festhalten des gesetzlichen Übergangs eines - ansonsten gebührenpflichtigen - Rechtsverhältnisses und leicht geänderter vertraglicher Nebenvereinbarungen, die nicht die „essentialia negotii“ beträfen, für das Entstehen der Gebührenpflicht genügen lasse. Weiters stelle sich die Frage, ob überhaupt ein gebührenrechtlich qualifizierter Verweis vorliegen könne, wenn bloß im Rahmen der Beurkundung eines gesetzlichen Vertragsübergangs auf das übergehende Rechtsverhältnis verwiesen werde.

8        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

9        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nicht gebunden und hat er diese Zulässigkeit im Rahmen der dafür gemäß § 28 Abs. 3 VwGG in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe zu überprüfen.

10       Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind Parteienvereinbarungen auch dann gebührenpflichtig, wenn der vereinbarte Erfolg auch ohne Vorliegen der Vereinbarung kraft Gesetz eingetreten wäre, sofern darüber eine rechtserzeugende oder rechtsbezeugende Urkunde errichtet wird (vgl. VwGH 11.9.2014, 2013/16/0221; 16.10.1989, 88/15/0086).

11       Im revisionsgegenständlichen Fall ist für die Frage der Gebührenpflicht somit maßgeblich, ob mit der vom jeweiligen Bestandgeber, der W-GmbH und der Revisionswerberin unterzeichneten Urkunde bloß ein „ex lege“ eingetretener Übergang des Bestandverhältnisses beurkundet wurde oder ob zusätzlich ein vertraglicher Titel für ein über den § 38 UGB hinausgehendes Rechtsgeschäft geschaffen und beurkundet wurde.

12       Das Revisionsmodell der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 soll sich nach dem Willen des Verfassungsgesetzgebers an jenem nach den §§ 500 ff ZPO orientieren (ErläutRV 1618 BlgNR XXIV. GP 16). Ausgehend davon kann einer Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG nur dann grundsätzliche Bedeutung zukommen, wenn sie über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung entfaltet (vgl. VwGH 27.11.2019, Ra 2019/16/0179).

13       Die vertretbare Auslegung einer Urkunde geht in ihrer Bedeutung nicht über den Einzelfall hinaus und wirft in der Regel keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG auf (vgl. nochmals VwGH 27.11.2019, Ra 2019/16/0179; sowie VwGH 28.9.2016, Ra 2016/16/0084).

14       Die Frage, ob eine rechtsgeschäftliche Vertragsübernahme oder bloß die Beurkundung einer gesetzlichen Rechtsfolge vorliegt, ist an Hand der Umstände des konkreten Einzelfalls zu beurteilen, weshalb von der Revisionswerberin gewünschte, allgemein gültige Aussagen zu den Abgrenzungskriterien nicht relevant sind.

15       Das Bundesfinanzgericht ist im angefochtenen Erkenntnis nach ausführlicher Auseinandersetzung mit dem Inhalt der jeweiligen Urkunden, insbesondere aufgrund der in sämtlichen Urkunden enthaltenen Änderungen der Kautionsbestimmungen und der gesetzlichen Haftungsregelungen der §§ 38 f UGB, zum Ergebnis gelangt, dass damit nicht bloß ein „ex lege“ eingetretener Rechtsübergang, sondern eine Willenseinigung zwischen der jeweiligen Bestandgeberin, der W-GmbH und der Revisionswerberin über die Übertragung des jeweiligen Bestandverhältnisses beurkundet wurde.

16       Dass dem Bundesfinanzgericht bei seiner Beurteilung ein vom Verwaltungsgerichthof aufzugreifender krasser Fehler (vgl. etwa VwGH 29.5.2019, Ra 2019/16/0096, mwN) unterlaufen wäre, macht die Revision in ihrem Zulässigkeitsvorbringen nicht einsichtig.

17       Soweit von der Revisionswerberin vorgebracht wird, dass in den Vereinbarungen keine Änderung der „essentialia negotii“ der Bestandverhältnisse erfolgt sei, ist darauf hinzuweisen, dass eine rechtsgeschäftliche Vertragsübernahme - die gebührenrechtlich wie die Neubegründung des übertragenen Rechtsverhältnisses zu behandeln ist - eine solche Änderung nicht erfordert, sondern vielmehr dann vorliegt, wenn unter Zustimmung des ausscheidenden, des neu eintretenden und des verbleibenden Vertragspartners „uno actu“ eine gesamte Vertragsstellung mit allen Rechten und Pflichten vom ausscheidenden auf den neu eintretenden Vertragspartner übertragen wird, mit welchem das Schuldverhältnis in seiner Gesamtheit fortgesetzt wird, ohne dass sich am Inhalt oder der rechtlichen Identität des bisherigen Schuldverhältnisses etwas ändert (vgl. VwGH 11.9.2014, 2012/16/0023; VwGH 17.3.2005, 2004/16/0254).

18       Gemäß § 17 Abs. 1 GebG 1957 ist für die Festsetzung der Gebühren der Inhalt der über das Rechtsgeschäft errichteten Schrift (Urkunde) maßgebend. Zum Urkundeninhalt zählt auch der Inhalt von Schriften, der durch Bezugnahme zum rechtsgeschäftlichen Inhalt gemacht wird.

19       Dass das Bundesfinanzgericht, das nach dem Gesamtbild der jeweils abgeschlossenen Vereinbarung nicht von einer bloßen Beurkundung des „ex lege“ Rechtsübergangs ausgegangen ist, aufgrund der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung des § 17 Abs. 1 GebG den Verweis auf die Bestimmungen des ursprünglichen Bestandvertrags nicht genügen hätte lassen dürfen, um diese auch zum Inhalt des neu begründeten Bestandverhältnisses zu machen, vermag die Revision in ihrem Zulässigkeitsvorbringen nicht erfolgreich aufzuzeigen.

20       In der Revision werden somit insgesamt keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 8. November 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2019160193.L00

Im RIS seit

29.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

06.12.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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