TE Lvwg Erkenntnis 2021/11/9 VGW-172/092/12967/2021

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.11.2021
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Entscheidungsdatum

09.11.2021

Index

82/03 Ärzte Sonstiges Sanitätspersonal
19/05 Menschenrechte

Norm

ÄrzteG 1998 §53 Abs1
ÄrzteG 1998 §136 Abs1 Z1
ÄrzteG 1998 §136 Abs1 Z2
EMRK Art 10

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seinen Richter Mag. Dr. Kienast über die Beschwerde des Herrn Univ.-Prof. Dr. A. B., vertreten durch … Rechtsanwälte GmbH, gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Österreichischen Ärztekammer, Disziplinarkommission für Wien, vom 21.6.2021, Zl. ..., betreffend Disziplinarstrafe nach dem Ärztegesetz (ÄrzteG) nach Durchführung einer öffentlichen, mündlichen Verhandlung am 6.10.2021

zu Recht erkannt und verkündet:

I.   Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG wird der Beschwerde stattgegeben, das angefochtene Disziplinarerkenntnis aufgehoben und der Disziplinarbeschuldigte gemäß § 161 Abs. 1 ÄrzteG freigesprochen.

II.  Gemäß § 163 Abs. 2 ÄrzteG hat der Disziplinarbeschuldigte die Verfahrenskosten nicht zu tragen.

III.   Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang:

Mit Schreiben vom 21.1.2021 erstattete der Präsident der Österreichischen Ärztekammer an den Disziplinaranwalt Disziplinaranzeige betreffend den Disziplinarbeschuldigten und ersuchte um disziplinarrechtliche Prüfung eines mit Beilagen unterlegten Sachverhalts.

Mit Schreiben vom 26.1.2021 übermittelte der Disziplinaranwalt dem Disziplinarbeschuldigten eine Kopie der Anzeige mit dem Ersuchen, zu ihr binnen 14 Tagen schriftlich Stellung zu nehmen.

Mit Schreiben vom 9.2.2021 nahm der Disziplinarbeschuldigte zur Anzeige Stellung.

Mit Schreiben vom 15.4.2021 beantragte der Disziplinaranwalt bei der Disziplinarkommission für Wien die Einleitung eines Disziplinarverfahrens, die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung und die Ladung des Disziplinarbeschuldigten.

Mit Beschluss vom 15.4.2021 leitete der belangte Disziplinarrat gegen den Disziplinarbeschuldigten wegen eines Disziplinarvergehens nach § 136 Abs. 1 Z 1 ÄrzteG das Disziplinarverfahren ein und ordnete eine mündliche Disziplinarverhandlung an.

Mit Schreiben vom 15.4.2021 forderte der belangte Disziplinarrat den Disziplinarbeschuldigten auf, am 21.6.2021 zur mündlichen Verhandlung zu erscheinen.

Mit E-Mail vom 15.6.2021 ersuchte der Disziplinarbeschuldigte um Verschiebung der mündlichen Verhandlung, weil er an der Verhandlung am 21.6.2021 wegen nicht verschiebbarer beruflicher Termine nicht teilnehmen könne.

Mit Schreiben vom 15.6.2021 nahm der Disziplinarbeschuldigte ausführlich nochmals zu den Anschuldigungen Stellung, wies darauf hin, dass seine Aussagen wissenschaftlich begründet und durch Literatur sowie die öffentlich verfügbaren statistischen Daten belegbar seien.

Mit E-Mail vom 16.6.2021 ersuchte der belangte Disziplinarrat den Disziplinarbeschuldigten um Konkretisierung seiner Verhinderungsgründe.

Mit E-Mail vom 16.6.2021 antwortete der Disziplinarbeschuldigte, dass er aus Gründen der Vertraulichkeit und des Datenschutzes Details seiner Termine gegenüber der Ärztekammer nicht bekannt gebe.

Mit E-Mail vom 21.6.2021 teilte der belangte Disziplinarrat dem Disziplinarbeschuldigten mit, dass der Verhandlungstermin am 21.6.2021 nicht abgesagt werde.

Am 21.6.2021 fand eine mündliche Verhandlung vor dem belangten Disziplinarrat statt, an der der Disziplinarbeschuldigte nicht teilnahm und nach deren Schluss der Vorsitzende dem Disziplinarbeschuldigten mit Disziplinarerkenntnis anlastete, das Ansehen der in Österreich tätigen Ärzteschaft beeinträchtigt und damit das Disziplinarvergehen nach § 136 Abs. 1 Z 1 ÄrzteG begangen zu haben. Über den Beschwerdeführer wurde die Disziplinarstrafe der Geldstrafe von € 5.000,-- verhängt; er wurde zudem verpflichtet, die mit € 1.000,-- bestimmten Kosten des Disziplinarverfahrens zu ersetzen.

Die schriftliche Ausfertigung des Disziplinarerkenntnisses datiert vom selben Tag.

Mit Schriftsatz vom 22.6.2021 gab die einschreitende Rechtsanwaltskanzlei ihre Vollmacht bekannt.

Mit Schriftsatz vom 2.8.2021 zog der Disziplinarbeschuldigte das Disziplinarerkenntnis vom 21.6.2021 (fristgerecht) in Beschwerde, legte ihr Beilagen bei und beantragte neben der Durchführung einer mündlichen Verhandlung seinen Freispruch.

Mit Schriftsatz vom 7.8.2021 erstattete der Disziplinaranwalt zur Beschwerde des Disziplinarbeschuldigten eine Stellungnahme, in der er auch darauf hinwies, dass im Verfahren vor dem erkennenden Verwaltungsgericht gemäß § 17 VwGVG iVm § 158 ÄrzteG keine Öffentlichkeit bestehe.

Mit Note vom 18.8.2021 legte der belangte Disziplinarrat dem erkennenden Verwaltungsgericht die Beschwerde samt bezughabendem Disziplinarakt vor, wo sie am 31.8.2021 einlangte.

Mit Schreiben vom 21.9.2021 übermittelte das erkennende Verwaltungsgericht dem Disziplinarbeschuldigten die Stellungnahme des Disziplinaranwalts.

Am 6.10.2021 fand vor dem erkennenden Verwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, an der sich weder der belangte Disziplinarrat noch der Disziplinaranwalt beteiligten, in der der Disziplinarbeschuldigte einvernommen wurde und er weitere Stellungnahmen vorlegte, die als Beilagen zum Akt genommen wurden; nach Schluss der Verhandlung verkündete der Verhandlungsleiter mit Erkenntnis den Freispruch des Disziplinarbeschuldigten.

Mit Schreiben vom 19.10.2021 beantragte der Disziplinaranwalt (rechtzeitig) die Ausfertigung der Entscheidung vom 6.10.2021.

II. Das Verwaltungsgericht Wien hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der Disziplinarbeschuldigte ist Facharzt für ... und leitet als Univ.-Prof. die Abteilung für … der …. Er betreibt keine Ordination und hat auch keine Patienten.

1.2. Der Disziplinarbeschuldigte nahm am 7.10.2020 an einer Pressekonferenz des Vereins C. teil und tätigte dort (unter anderen auch) folgende Aussagen (zitiert nach den im Disziplinarakt einliegenden und auch auf der Homepage des C. abrufbaren Statements der Konferenzteilnehmer):

„Die Gefährlichkeit von COVID-19 wird aufgrund der Todesopfer, welche die Erkrankung in bestimmten Ländern gefordert hat, massiv überschätzt. Die Todesraten sind auf Lebensumstände, auf Zustand und Ausrichtung des Gesundheitssystems sowie auf die unterschiedliche Zählweise bei Statistiken zurückzuführen – z.B. genügte in Belgien „Corona-Verdacht“, um als COVID-Toter gezählt zu werden. Sie sind daher auf Österreich nicht übertragbar. Die Folge sind unverhältnismäßige Prävention-Maßnahmen, die mehr psychischen, wirtschaftlichen und gesundheitlichen Schaden verursachen als Nutzen. So verständlich die Schutzmaßnahmen im März im Zuge einer ersten Reaktion waren, so sind doch mittlerweile ausreichend Erkenntnisse vorhanden, die einen Strategiewechsel rechtfertigen.“

„Die Effektivität von Mund-Nasen-Schutz-Masken ist für den Spitalsbereich mäßig gut belegt. Die Evidenz für alltäglichen Gebrauch in der Öffentlichkeit ist äußerst schwach und stützt sich auf Studien, die unter kontrollierten Bedingungen mit vordefinierten, standardisierten Masken durchgeführt wurden. Für den Effekt von selbst gefertigten Stofflappen, die noch dazu meist unter der Nase getragen, selten gewaschen und zwischenzeitlich in Hosentaschen aufbewahrt werden, fehlt jeglicher Beleg. Diese weit verbreiteten Masken sind hochgradig unhygienisch und richten wahrscheinlich mehr Schaden an als Nutzen. Es ist daher auch nicht anzunehmen, dass verpflichtendes Maskentragen von Kindern im Unterricht irgendeinen Effekt auf die Ausbreitung der Infektion haben könnte, abgesehen davon, dass Kinder per se nicht zu den Hauptträgern der SARS-CoV-2 Infektion zählen.“

„Als einzige sinnvolle Maßnahme zum Schutz vor COVID-19, aber auch zum generellen Schutz vor Erkältungskrankheiten, Influenza und Influenza-like-Infections sollte Händehygiene, Hust- und Nies-Etikette und Abstand von Erkrankten empfohlen werden. Darüber hinaus sollte an das Verantwortungsbewusstsein der Bürger appelliert werden, bei Erkältungssymptomen zu Hause zu bleiben und auf Abstand zu achten. Alle weitergehenden Maßnahmen erscheinen in Anbetracht der überschaubaren Gefährlichkeit von COVID-19 unverhältnismäßig. Es ist nicht mehr möglich, das Virus auszurotten. Wir werden uns daran gewöhnen müssen, mit SARS-CoV-2 zu leben, so wie Menschen seit Jahrmillionen mit immer neuen Varianten von Viren zu leben gelernt haben.“

1.3. Der Disziplinarbeschuldigte gab im Jänner 2021 in einem Interview mit der Tageszeitung „D.“ an, er stehe voll und ganz hinter den im „E.“ im Jänner 2020 veröffentlichten „[o]ffene[n] Brief an die österreichische Bundesregierung und an die österreichische Bevölkerung“ enthaltenen Aussagen zum Thema Zwangsimpfung. In diesem offenen Brief ist unter der Überschrift „Zwangsimpfung“ Folgendes zu lesen:

„Es macht wenig Unterschied, ob staatlicher Zwang direkt angewendet oder eine Impfpflicht über die Hintertür eingeführt wird. So etwa, wenn man am öffentlichen, gesellschaftlichen oder beruflichen Leben, wie etwa an Reisen, Veranstaltungen oder dem Erwerb nur mehr teilnehmen darf, wenn man geimpft ist. Die mRNA Impfung ist nicht verantwortungsvoll geprüft worden und es liegen keine Langzeitstudien vor. Die überwiegende Mehrheit der Wissenschaftler warnt vor den drohenden Nebenwirkungen, insbesondere vor Autoimmunerkrankungen und allergischen Reaktionen bis hin zum anaphylaktischen Schock.“

„D.“ gibt das Interview mit dem Disziplinarbeschuldigten wörtlich wie folgt wieder:

„‘Das heißt nicht, dass ich gegen die Impfung bin‘

‚Voll und ganz‘ steht [der Disziplinarbeschuldigte] hinter den Aussagen des Inserats über ‚Zwangsimpfungen‘. Der Mediziner erklärt das so: ‚Wir wissen viel zu wenig über die Impfung.‘ Es gebe bisher einen Beobachtungszeitraum von drei Monaten. Klar sei damit nur, dass sie rund drei Monate wirke. Unklar sei, ob geimpfte Personen das Virus weitergeben können. Und ‚Wir wissen nicht, wie sicher die Impfung auf Dauer ist‘.

[Der Disziplinarbeschuldigte]: ‚Das heißt nicht, dass ich gegen die Impfung bin. Man muss die Menschen ehrlich aufklären über den möglichen Nutzen und die Risken. Es ist sinnvoll, die Leute zu impfen, die ein hohes Risiko durch Covid haben‘, also Menschen hohen Alters. ‚Die gesunde Bevölkerung durchzuimpfen ist unsinnig, wenn ich nicht weiß, ob die Weitergabe verhindert wird‘, erklärt der Mediziner.“

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellung zum Disziplinarbeschuldigten gründen in den (glaubwürdigen) Aussagen des Disziplinarbeschuldigten in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Verwaltungsgericht.

Die festgestellten Aussagen basieren auf den im Disziplinarakt einliegenden – insoweit unbedenklichen – Unterlagen; die Aussagen werden auch vom Disziplinarbeschuldigten nicht bestritten.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Der Spruch eines Disziplinarerkenntnis stellt die letzte im Disziplinarverfahren erfolgende Konkretisierung der gegen den Beschuldigten erhobenen Vorwürfe dar (VwGH 20.5.2020, Ra 2019/09/0011). Diese dürfen zum einen den Kreis der im Einleitungsbeschluss enthaltenen Anschuldigungspunkte nicht überschreiten, zum anderen schränken sie auch den Gegenstand des Beschwerdeverfahrens vor dem erkennenden Verwaltungsgericht auf eben diese Vorwürfe ein, die wiederum durch die Darstellung des konkreten Verhaltens in Bezug auf ein konkret bezeichnetes Disziplinarvergehen bestimmt werden.

Der Tatvorwurf ist im Spruch des bekämpften Disziplinarerkenntnisses wörtlich wie folgt umschrieben:

„Der Disziplinarbeschuldigte Univ.-Prof. Dr. A. B. ist schuldig, er hat in einer Pressekonferenz am 07. 10. 2020 in … unter Berufung auf seine Stellung als Arzt die Gefährlichkeit der COVID-19-Pandemie verharmlost, in dem er angab, die Gefährlichkeit von COVID-19 werde massiv überschätzt, die Todesraten seien auf Lebensumstände, auf Zustand und Ausrichtung des Gesundheitssystems sowie auf die unterschiedliche Zählweise bei Statistiken zurückzuführen, der von der Bundesregierung verordnete Mund-Nasen-Schutz bringe mehr Schaden als Nutzen, die einzig sinnvolle Maßnahme zum Schutz vor COVID-19 sei Händehygiene, Hust- und Niesetikette und Abstand von Erkrankten, sowie indem er im Jänner 2021 in Wien in einem Interview mit der Tageszeitung D. angab, er stehe voll und ganz hinter den Aussagen zum Thema Zwangsimpfung des im E. im Jänner 2021 veröffentlichten offenen Briefs an die österreichische Bundesregierung und an die österreichische Bevölkerung, wonach die mRNA-Impfung nicht verantwortungsvoll geprüft worden sei und keine Langzeitstudien vorlägen und die überwiegende Mehrheit der Wissenschaftler vor den drohenden Nebenwirkungen warne“.

Die im bekämpften Disziplinarerkenntnis getroffenen Feststellungen bezüglich der Aussagen des Disziplinarbeschuldigten zu PCR-Tests oder FFP2 Masken (Disziplinarerkenntnis, Seiten 2 und 3) sind daher, da sie in keinem der im Spruch des bekämpften Disziplinarerkenntnisses enthaltenen Vorwürfe ihren Niederschlag gefunden haben, für das erkennende Verwaltungsgericht – auch wenn der belangte Disziplinarrat wesentliche Teile seiner Begründung des Disziplinarvergehens (insbesondere Seite 7) auf diese Feststellungen stützt – nicht weiter beachtlich („überschießende Feststellungen“).

Da dem Disziplinarbeschuldigten im Einleitungsbeschluss wie im bekämpften Disziplinarerkenntnis allein die Verletzung der Standespflicht gemäß § 136 Abs. 1 Z 1 ÄrzteG zur Last gelegt wurde, ist es dem erkennenden Verwaltungsgericht aus den eben genannten Gründen auch verwehrt, das inkriminierte Verhalten des Disziplinarbeschuldigten, somit seine unter den Feststellungen wiedergegebenen Äußerungen, am Maßstab der Berufspflichtverletzung des § 136 Abs. 1 Z 2 ÄrzteG zu prüfen.

3.2. Der belangte Disziplinarrat wirft dem Disziplinarbeschuldigten die Verletzung der Standespflicht gemäß § 136 Abs. 1 Z 1 ÄrzteG vor und begründet dies in seiner rechtlichen Beurteilung (Disziplinarerkenntnis, Seiten 5 f) mit einem Verstoß gegen Verpflichtungen eines Arztes, die § 53 Abs. 1 ÄrzteG und § 1 iVm § 2 Abs. 1 und 2 der Verordnung Arzt und Öffentlichkeit 2014 entspringen.

3.2.1.1. § 53 ÄrzteG und (damit) auch die in dessen Durchführung ergangene Verordnung der Österreichischen Ärztekammer über die Art und Form zulässiger ärztlicher Information in der Öffentlichkeit (Verordnung Arzt und Öffentlichkeit 2014) betreffen „Informationen“ eines Arztes im Zusammenhang mit der Ausübung seines Berufs.

„Informationen“ sind dabei weit zu verstehen und umfassen nicht nur Tatsachenbehauptungen, sondern auch Werturteile; dies ist aus § 2 Abs. 2 der Verordnung Arzt und Öffentlichkeit 2014 abzuleiten; dieser qualifiziert nämlich beispielsweise herabsetzende Äußerungen über Ärztinnen als „Information“, die das Ansehen der Ärzteschaft beeinträchtigen; derartige Äußerungen sind Werturteile. Die verfahrensgegenständlichen Äußerungen des Disziplinarbeschuldigten sind daher vom Begriff der „Information“ iSd § 53 ÄrzteG umfasst.

3.2.1.2. § 53 ÄrzteG und damit auch die Verordnung Arzt und Öffentlichkeit 2014 ist allerdings allein auf Informationen anwendbar, die der Arzt „im Zusammenhang mit der Ausübung seines Berufes“ verbreitet. Der belangte Disziplinarrat bejahte nun diesen Zusammenhang (Disziplinarerkenntnis, Seiten 6 f), qualifiziert aber gleichzeitig die vom Disziplinarbeschuldigten getätigten Äußerungen als „außerberufliches Fehlverhalten“ (Disziplinarerkenntnis, Seite 6). Damit ist das bekämpfte Disziplinarerkenntnis in seiner Begründung widersprüchlich.

Nach Auffassung des erkennenden Verwaltungsgerichts tätigte der Disziplinarbeschuldigte die inkriminierten Äußerungen nicht in Besorgung seiner ärztlichen Aufgaben, sie zählen folglich zu seinem außerberuflichen Verhalten; dies deshalb, weil nach § 2 Abs. 2 ÄrzteG die Ausübung des ärztlichen Berufs (nur, aber immerhin) „jede auf medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen begründete Tätigkeit, die unmittelbar am Menschen oder mittelbar für den Menschen ausgeführt wird“, umfasst. Auch im Vergleich mit den danach in § 2 Abs. 2 ÄrzteG (demonstrativ) aufgezählten ärztlichen Tätigkeiten ist zu ersehen, dass das vom Disziplinarbeschuldigten gesetzte Verhalten nicht als Tätigkeit angesehen werden kann, die unmittelbar am Menschen oder mittelbar für den Menschen „ausgeführt“ wird. Es steht auch nicht im Zusammenhang mit einer derart ausgeführten Tätigkeit, zumal der Disziplinarbeschuldigte keine Ordination betreibt und auch keine Patienten hat.

3.2.1.3. Die gegenständlichen Äußerungen des Disziplinarbeschuldigten stehen daher nicht im Zusammenhangs mit der Ausübung des ärztlichen Berufs, sodass § 53 ÄrzteG ebenso wenig Anwendung findet wie die Verordnung Arzt und Öffentlichkeit 2014.

3.2.2. Aber selbst wenn dieser Zusammenhang mit der Ausübung des ärztlichen Berufs anzunehmen und folglich § 53 ÄrzteG und auch die Verordnung Arzt und Öffentlichkeit 2014 im vorliegenden Fall anwendbar wären, könnte diese Verordnung zur Begründung einer Standespflichtverletzung des § 136 Abs. 1 Z 1 ÄrzteG nichts beitragen:

Nach § 136 Abs. 1 Z 1 ÄrzteG machen sich Ärzte eines Disziplinarvergehens schuldig, wenn sie im Inland oder im Ausland „durch ihr Verhalten der Gemeinschaft, den Patienten oder den Kollegen gegenüber“ „das Ansehen der in Österreich tätigen Ärzteschaft beeinträchtigen“.

Nach § 53 Abs. 1 ÄrzteG hat sich der Arzt im Zusammenhang mit der Ausübung seines Berufs „jeder unsachlichen, unwahren oder das Standesansehen beeinträchtigenden Information zu enthalten“. Damit im Gleichklang untersagt § 1 der Verordnung Arzt und Öffentlichkeit 2014 dem Arzt „jede unsachliche, unwahre oder das Ansehen der Ärzteschaft beeinträchtigende Information“. Nachfolgend definiert ihr § 2 Abs. 1, wann eine medizinische Information „unsachlich“, und ihr § 2 Abs. 2, wann eine Information „unwahr“ ist, und ihr § 2 Abs. 3, wann eine Information das Ansehen der Ärzteschaft beeinträchtigt.

3.2.2.1. Aus dieser sowohl in § 53 Abs. 1 ÄrzteG als auch in § 1 der Verordnung Arzt und Öffentlichkeit 2014 enthaltenen Aufzählung unzulässiger Informationen („unsachliche, unwahre und das Ansehen der Ärzteschaft beeinträchtigende“) lässt sich im Hinblick auf die Zweiteilung der Disziplinarvergehen in § 136 Abs. 1 ÄrzteG (Beeinträchtigung des Ansehens der in Österreich tätigen Ärzteschaft [Z 1] / Verletzung von Berufspflichten [Z 2]) Folgendes ersehen: Eine das Ansehen der Ärzteschaft beeinträchtigende Information eines Arztes verletzt dessen Standespflicht iSd § 136 Abs. 1 Z 1 ÄrzteG und eine unsachliche oder unwahre Information eines Arztes dessen Berufspflicht iSd § 136 Abs. 1 Z 2 ÄrzteG. Wenn nämlich eine unwahre und eine unsachliche Information gleichfalls das Ansehen der Ärzteschaft beeinträchtigen könnten, wäre in § 1 der Verordnung Arzt und Öffentlichkeit 2014 deren gleichrangige Aufzählung neben der das Ansehen der Ärzteschaft beeinträchtigenden Information nicht recht verständlich.

Diesem Ergebnis steht auch nicht die Judikatur des VwGH (VwGH 29.10.2019, Ra 2019/09/0010) entgegen, wonach ein Verstoß gegen die Verordnung Arzt und Öffentlichkeit 2014 grundsätzlich geeignet ist, als standeswidriges Verhalten iSd § 136 Abs. 1 Z 1 ÄrzteG qualifiziert zu werden; denn diese Aussage – und dies legt auch der Verweis des VwGH auf seine Judikatur zu aufdringlicher und marktschreierischer Werbung nahe – lässt sich unschwer auf eine das Ansehen der Ärzteschaft beeinträchtigende Information und auch auf Fälle unzulässiger Werbung beziehen.

Daraus folgt zunächst, dass mit den vom belangten Disziplinarrat dem Disziplinarbeschuldigten angelasteten Verstößen gegen § 1 der Verordnung Arzt und Öffentlichkeit 2014 durch unsachliche und unwahre Information dem Disziplinarbeschuldigten in Wahrheit eine Berufspflichtverletzung iSd § 136 Abs. 1 Z 2 ÄrzteG vorgeworfen wird (und keine Standespflichtverletzung iSd § 136 Abs. 1 Z 1 ÄrzteG). Wegen einer Berufspflichtverletzung wurde dieser aber mit dem bekämpften Disziplinarerkenntis nicht verurteilt. Mit dem Vorwurf, unsachliche und unwahre Informationen iSd § 1 iVm § 2 Abs. 1 und 2 der Verordnung Arzt und Öffentlichkeit 2014 verbreitet zu haben, lässt sich somit eine Standespflichtverletzung nicht begründen.

3.2.2.2. Unabhängig davon, dass der belangte Disziplinarrat die dem Disziplinarbeschuldigten zur Last gelegte Standespflichtverletzung nicht mit „Informationen“ des Disziplinarbeschuldigten, die iSd § 2 Abs. 3 der Verordnung Arzt und Öffentlichkeit 2014 das Ansehen der Ärzteschaft beeinträchtigen, begründet hat, sind ihm derartige Informationen (entsprechend der Definition in § 2 Abs. 3 der Verordnung Arzt und Öffentlichkeit 2014) auch nicht anzulasten: Er äußerte sich weder herabsetzend über Ärztinnen oder Ärzte, ihre Tätigkeit oder ihre medizinische Methoden noch stellte er eine wahrheitswidrige medizinische Exklusivität dar, noch pries er seine eigene Person selbst oder seine Leistung durch aufdringliche und/oder marktschreierische Darstellung an.

3.3. Fraglich ist, ob „Informationen“, die mangels Zusammenhangs mit der Ausübung des ärztlichen Berufs nicht von der Verordnung Arzt und Öffentlichkeit 2014 erfasst sind, gleichfalls das Standesansehen iSd § 136 Abs. 1 Z 1 ÄrzteG beeinträchtigen können oder ob die Österreichische Ärztekammer als Verordnungsgeber die Art jener Informationen, die das Ansehen der Ärzteschaft beeinträchtigen, in dieser Verordnung abschließend regeln wollte. Für eine abschließende Regelung spricht jedenfalls folgende Überlegung: An ein außerberufliches Fehlverhalten ist ein strengerer Maßstab anzulegen als an berufliches (VwGH 29.10.2019, Ra 2019/09/0010); es ist daher nicht so schnell disziplinär; deshalb erscheint vordergründig eine sachliche Rechtfertigung dafür nur schwer vorstellbar, dass eine „Information“ eines Arztes, die im Zusammenhang mit seiner ärztlichen Tätigkeit steht, auf Grundlage der in § 2 Abs. 3 der Verordnung Arzt und Öffentlichkeit 2014 enthaltenen Definition das Standesansehen disziplinär nicht beeinträchtigen könnte, während dies aber bei (derselben) „Information“ ohne diesen Zusammenhang allenfalls der Fall wäre.

3.4. Im gegenständlichen Fall kann aber diese Frage dahingestellt bleiben, weil eine Disziplinierung des Disziplinarbeschuldigten als Eingriff in sein ihm verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Meinungsfreiheit nicht gerechtfertigt wäre:

Nach Art. 10 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf freie Meinungsäußerung. Vom Schutzumfang dieser Bestimmung werden sowohl reine Meinungskundgaben als auch Tatsachenäußerungen erfasst. Art. 10 Abs. 2 EMRK sieht allerdings im Hinblick darauf, dass die Ausübung dieser Freiheit Pflichten und Verantwortung mit sich bringt, die Möglichkeit von Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen vor, wie sie in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse unter anderem des Schutzes der Gesundheit und der Moral, des Schutzes des guten Rufs oder der Rechte anderer notwendig sind. Ein verfassungsrechtlich zulässiger Eingriff in die Freiheit der Meinungsäußerung muss sohin gesetzlich vorgesehen sein, einen oder mehrere der in Art. 10 Abs. 2 EMRK genannten rechtfertigenden Zwecke verfolgen und zur Erreichung dieses Zwecks oder dieser Zwecke in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein (z.B. VfSlg 14.037/1995).

3.4.1. Wird eine Meinungsäußerung nach dem ÄrzteG als Verletzung der Standespflicht – zu Recht oder zu Unrecht – disziplinär geahndet, handelt es sich um einen „vom Gesetz vorgesehenen“ Eingriff iSd Art. 10 Abs. 2 EMRK (VfSlg 17.852/2006).

3.4.2. Da eine Verletzung der Standespflicht nach § 136 Abs. 1 Z 1 ÄrzteG in der Beeinträchtigung des Ansehens der in Österreich tätigen Ärzteschaft durch das Verhalten eines Arztes besteht, ist Schutzgut dieses Disziplinarvergehens das Ansehen der in Österreich tätigen Ärzteschaft. Das Ansehen der in Österreich tätigen Ärzteschaft ist auch ein in Art. 10 Abs. 2 EMRK angeführtes legitimes Ziel („Schutz des guten Rufes und der Rechte anderer“).

Vom Schutzzweck der Disziplinierung einer Standespflichtverletzung ist allerdings nicht die Volksgesundheit erfasst; soweit folglich der belangte Disziplinarrat im bekämpften Disziplinarerkenntnis mit der Volksgesundheit den Eingriff in die Freiheit der Meinungsäußerung des Disziplinarbeschuldigten zu rechtfertigen sucht (Disziplinarerkenntnis, Seiten 7 und 8), geht diese Argumentation ins Leere. Der Volksgesundheit dienen freilich die Berufspflichten der Ärzte; deren Verletzung wurde dem Disziplinarbeschuldigten jedoch nicht angelastet.

3.4.3. Keinesfalls wäre jedoch der Eingriff in die Meinungsfreiheit des Disziplinarbeschuldigten verhältnismäßig:

3.4.3.1. Zunächst erfordert das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung besondere Zurückhaltung bei der Beurteilung einer Äußerung als strafbares Disziplinarvergehen (VfSlg 18.763/2009). Die Notwendigkeit der mit einer Bestrafung verbundenen Einschränkung der Freiheit der Meinungsäußerung hat im Einzelfall außer Zweifel zu stehen (VfSlg 17.852 2006).

Der Disziplinarbeschuldigte äußerte seine kritische Meinung zudem zu einem im öffentlichen Interesse gelegenen Thema, nämlich zur Gefährlichkeit von COVID-19 und zu den Nutzen und der Verhältnismäßigkeit der von staatlicher Seite zum Schutz vor COVID-19 verordneten Maßnahmen. Der Disziplinarbeschuldigte nahm mit seinen inkriminierten Äußerungen somit an einer Debatte von besonderem allgemeinem Interesse teil; nach der Judikatur des EGMR (EGMR 2.10.2008, Leroy ./. FRA, Nr. 36109/03) ist in derartigen Fällen der Beurteilungsspielraum bei Grundrechtsbeschränkungen geringer, was bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu Gunsten der Meinungsfreiheit zu verbuchen ist.

Der EGMR betont ferner die Bedeutung der Meinungsfreiheit von Personen und Gruppen außerhalb des Mainstreams; diese müssen in die Lage versetzt werden, zur öffentlichen Debatte dadurch beizutragen, dass sie Informationen und Ideen über Angelegenheiten von allgemeinem Interesse verbreiten, woran ein starkes öffentliches Interesse besteht (EGMR 15.2.2005, Steel u. Morris ./. GBR, Nr. 68416/01).

Zu berücksichtigen ist nach der Judikatur des EGMR schließlich auch der abschreckende Effekt, den Sanktionen für Äußerungen auf andere Personen und auf spätere Meinungsäußerungen haben können (EGMR 27.3.1996, Goodwin ./. GBR, Nr. 17488/90). Werden somit andere Personen, die gleichfalls nicht dem Mainstream angehören, durch die Sanktionierung für Äußerungen abgehalten, an einer Debatte von allgemeinem Interesse teilzunehmen, rückt der Grundrechtseingriff näher zur Unverhältnismäßigkeit.

3.4.3.2. Bei Berücksichtigung all dieser im vorliegenden Fall zur Anwendung kommenden, die Schwere des Eingriffs erhöhenden Kriterien war die Disziplinierung in einer demokratischen Gesellschaft nicht notwendig:

Zunächst sind die Vorwürfe in der Begründung des bekämpften Disziplinarerkenntnisses (Seite 7) (erheblich) zu relativieren, weil – wie bereits ausgeführt (vgl. oben Pkt 3.1.) – sich der Disziplinarbeschuldigte weder gegen die Impfung an sich noch gegen den Einsatz von FFP2 Masken und PCR-Tests wandte; er sprach sich vielmehr gegen eine Zwangsimpfung für alle und gegen einen Mund-Nasen-Schutz durch „selbst gefertigte Stofflappen“ aus. Äußerungen zu PCR-Tests wurden ihm weder im Einleitungsbeschluss noch im (Spruch des) Disziplinarerkenntnisses vorgeworfen. Die (vom Disziplinarbeschuldigten kritisierten) Stoffmasken sind sogar – wohl wegen ihrer geringen Schutzwirkung – über weite Strecken bereits unzulässig.

Auch der in der Tatumschreibung im Spruch des Disziplinarerkenntnisses gar nicht enthaltene (aber in seiner Begründung ausgebreitete) Vorwurf, nicht dargelegt zu haben, dass die Meinung des Disziplinarbeschuldigten nicht herrschende Auffassung sei, ist nicht stichhaltig: Denn die Meinung der Politik zu diesen Themen war ebenso jederman bekannt wie die Tatsache, dass die Politik dabei stets auf Expertenmeinungen rekurrierte; damit war auch bekannt, dass die Aussagen des Disziplinarbeschuldigten gerade nicht vom Mainstream getragen waren.

Der Disziplinarbeschuldigte äußerte mit den angelasteten Erklärungen Kritik, die allenfalls provozierte und störte; aber auch für derartige Äußerungen gilt das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung; dies ergibt sich aus den Erfordernissen des Pluralismus, der Toleranz und der Großzügigkeit, ohne die eine demokratische Gesellschaft nicht bestehen kann (VfGH 24.2.2021, E 607/2020).

Seine Kritik war auch nicht abwertend, noch benachteiligte sie die Stellung von Berufskollegen in der Öffentlichkeit, sie war auch nicht unsachlich, denn eine Kritik ist – anders als der belangte Disziplinarrat vermeint – nicht bereits deshalb unsachlich, weil sie „vielen vorliegenden ärztliche Erkenntnissen widersprechen“ (ohne dass er diese je dargelegt und auf ihre Richtigkeit überprüft hat). Die Möglichkeit zur sachlichen, in der gebotenen Form geäußerten Kritik ist aber ein unverzichtbares, aus der Meinungsäußerungsfreiheit erfließendes, jedermann zustehendes Recht in einem demokratischen Gemeinwesen. Der Disziplinarbeschuldigte hat das zulässige Maß angemessener Kritik nicht und damit auch die Schwelle zur disziplinären Erheblichkeit nicht überschritten. Seine disziplinäre Bestrafung war daher in einer demokratischen (Informations-)Gesellschaft nicht zum Schutz des Ansehen des Standes der Ärzte zwingend notwendig (vgl. EGMR 17.7.2001, Association EKIN ./. F, Nr. 39288/98).

Die inkriminierten Äußerungen des Disziplinarbeschuldigten basieren auf einer im Disziplinarverfahren und auch im Beschwerdeverfahren vom Disziplinarbeschuldigten ausgebreiteten faktischen Grundlage; die Schlüsse des Disziplinarbeschuldigten daraus sind ebenso Werturteile wie die im Spruch des Disziplinarerkenntnisses formulierte Auffassung des belangten Disziplinarrats, der Disziplinarbeschuldigte habe die COVID-19-Pandemie verharmlost oder er hänge „Verschwörungstheorien“ zum Thema „Impfen“ an (Disziplinarerkenntnis, Seite 5). Werturteile unterfallen der Freiheit der Meinungsäußerung, ohne dass sie eines Beweises bedürften (EGMR Lingens ./. AUT, Nr. 9815/82). Ein Wertungsexzess liegt gegenständlich nicht vor.

3.4.4. Auch in Bezug auf die Volksgesundheit wäre der Eingriff in das Recht auf freie Meinungsäußerung nicht verhältnismäßig. Mit seinen inkriminierten Äußerungen stellte der Disziplinarbeschuldigte ja gerade den Nutzen einer Zwangsimpfung und einer Pflicht zum Tragen von Stoffmasken für die Volksgesundheit infrage. Damit leistete er einen Beitrag in einer Debatte von besonderem allgemeinem Interesse. Denn seine Aussagen trugen einerseits dazu bei, den Bürgern die Abwägung beispielsweise für oder gegen eine Impfung zu ermöglichen, andererseits auch zum in der Wissenschaft geführten Diskurs zu Themen, in denen in vielen Bereichen noch kein abschließend gesichertes Wissen besteht. Das ist in einer demokratischen Gesellschaft nicht nur nicht als unzulässig zu verbieten, sondern vielmehr gerade als ihr Ausdruck zu begreifen.

3.5. Auch die Freiheit der Wissenschaft (Art. 10 EMRK, Art. 17 StGG) steht einem Verbot derart sachlich vorgetragener Kritik entgegen. Der verfassungsrechtliche Schutz der Wissenschaft hängt zudem auch nicht von der Richtigkeit der Methoden und Ergebnisse ab. Für die Reichweite seines Schutzes ist es auch unerheblich, ob es sich um eine Minderheitenmeinung in der Wissenschaft handelt (EGMR, 25.8.1998, Hertel ./. SUI, Nr. 25181/94). Es war daher die Richtigkeit der vom Disziplinarbeschuldigten getätigten, inkriminierten Äußerungen vom erkennenden Verwaltungsgericht nicht zu beurteilen.

3.6. Da somit die inkriminierten Äußerungen des Disziplinarbeschuldigten keine Standespflichtverletzung nach § 136 Abs. 1 Z 1 ÄrzteG bilden und auch seine Bestrafung wegen dieses Disziplinarvergehens dieser Gesetzesbestimmung einen verfassungswidrigen, nämlich einen die Schranken des Art. 10 EMRK missachtenden Inhalt unterstellen würde, war der Disziplinarbeschuldigte spruchgemäß vom Vorwurf der Verletzung dieser Standespflichten freizusprechen.

3.7. Das erkennende Verwaltungsgericht führte entgegen dem Standpunkt des Disziplinaranwalts eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Zwar schreibt § 158 ÄrzteG vor, dass die mündliche Verhandlung (vor dem Disziplinarrat) nicht öffentlich ist, und sind nach § 17 VwGVG auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG (auch) jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat, doch gilt dies nach dem ersten Halbsatz des § 17 VwGVG nur, “soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist“. § 24 Abs. 1 VwGVG bestimmt für Verhandlungen anderes, nämlich die Öffentlichkeit der mündlichen Verhandlungen.

3.8. Die ordentliche Revision ist unzulässig, weil keine Rechtsfrage iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht das gegenständliche Erkenntnis von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ab (vgl. die in ihm zitierte Judikatur), noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Disziplinarvergehen; Standespflicht; Berufspflicht; Verletzung; Information; Öffentlichkeit; Information im Zusammenhang mit der Ausübung seines Berufes; Grundrecht auf freie Meinungsäußerung; Meinungsäußerung; Eingriff; Verhältnismäßigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2021:VGW.172.092.12967.2021

Zuletzt aktualisiert am

26.11.2021
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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