Entscheidungsdatum
21.09.2021Index
40/01 VerwaltungsverfahrenNorm
VStG §9Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Landesverwaltungsgericht Tirol erkennt durch seine Richterin Mag.a Hofko über die Beschwerde der AA, vertreten durch BB, Adresse 1, **** Z, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Y vom 21.07.2021, Zl ***, betreffend eine Übertretung nach dem COVID-19-Maßnahmengesetz iVm der COVID-19-Notmaßnahmenverordnung
zu Recht:
1. Der Beschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis behoben und das Verwaltungsstrafverfahren eingestellt.
2. Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
I. Verfahrensgang:
Aufgrund einer anonymen Anzeige leitete die Bezirkshauptmannschaft Y gegen die CC als Inhaberin der Filiale in der Adresse 2, **** Y, ein Verwaltungsstrafverfahren wegen einer Übertretung nach dem COVID-19-Maßnahmengesetz in Verbindung mit der COVID-19-Notmaßnahmenverordnung ein.
Zusammen mit der schriftlichen Rechtfertigung eines unbeschränkt haftenden Gesellschafters wurde eine Bestellungsurkunde vorgelegt, aus der sich die Bestellung der nunmehrigen Beschwerdeführerin als verantwortliche Beauftragte nach § 9 Abs 2 VStG für insgesamt 31 Filialen in X und W, darunter auch die Filiale in **** Y, Adresse 2, ergab. Die Bestellungsurkunde war datiert mit 05.11.2020 und wurde von der Beschwerdeführerin sowie von DD unterschrieben.
Mit Straferkenntnis vom 21.07.2021, Zl ***, hat die Bezirkshauptmannschaft Y der Beschwerdeführerin zur Last gelegt, als verantwortliche Beauftragte der CC für die Filiale Adresse 2, **** Y, welche eine Betriebsstätte der Betriebsart des Lebensmittelhandels darstellt, nicht dafür Sorge getragen zu haben, dass für Kunden im Kundenbereich der genannten Betriebsstätte im Zeitraum vom 23.11.2020 bis 28.11.2020 gemäß COVID-19-Notmaßnahmenverordnung nur Waren angeboten werden, die dem typischen Warensortiment der in § 5 Abs 4 leg cit genannten Betriebsstätten des Handels entspricht, weil auch Non-Food-Artikel wie Spielzeug, Elektrogeräte usw in dieser Filiale verkauft worden seien. Dadurch sei die Rechtsvorschrift des § 8 Abs 4 COVID-19-Maßnahmengesetz in Verbindung mit § 5 Abs 1 und 4 sowie Abs 5 Z 2 COVID-19-Notmaßnahmenverordnung, BGBl II Nr 479/2020, zuletzt geändert durch BGBl II Nr 528/2020 verletzt worden. Wegen dieser Verwaltungsübertretung hat die Bezirkshauptmannschaft Y über die Beschwerdeführerin, gestützt auf § 8 Abs 4 COVID-19-Maßnahmengesetz, BGBl I Nr 12/2020, zuletzt geändert durch BGBl I Nr 104/2020, eine Geldstrafe in Höhe von Euro 500,00 (Ersatzfreiheitsstrafe: 24 Stunden) verhängt, sowie die Kosten für das behördliche Verfahren mit Euro 50,00 bestimmt.
Gegen dieses Straferkenntnis erhob die rechtsfreundlich vertretene Beschwerdeführerin rechtzeitig Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Tirol, beantragte die ersatzlose Aufhebung des angefochtenen Straferkenntnisses und die Einstellung des gegen die Beschwerdeführerin eingeleiteten Verwaltungsstrafverfahrens; in eventu von einer weiteren Verfolgung nach § 45 Abs 1 VStG abzusehen.
Begründend wird auf das Wesentliche zusammengefasst ausgeführt, dass die belangte Behörde zur Führung des gegenständlichen Verwaltungsstrafverfahrens unzuständig sei, weil die Beschwerdeführerin für mehrere Filialen zur verantwortlichen Beauftragten bestellt worden sei und in einem solchen Fall der Tatort nicht der Standort der jeweiligen Filiale sei. Das Straferkenntnis würde zudem im Spruch zwei unterschiedliche Tatzeiträume, einmal die Woche vom 23.11.2020 bis 28.11.2020 und ein weiteres Mal den Zeitraum von 17.11.2020 bis 06.12.2020 ausweisen, weshalb hier widersprüchliche Angaben hinsichtlich der Tatzeit vorliegen würden. Die Waren, die von der CC bei den wöchentlich mehrmals wechselnden Aktionen verkauft würden, seien dem typischen Warensortiment der Betriebsstätte des Lebensmittelhandelsunternehmens CC zuzurechnen, weil es sich dabei um Waren gemäß ÖNACE 2008 handle und dies seit Jahrzehnten so gehandhabt werde. Schließlich erachtet sich die Beschwerdeführerin in ihren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vom dem Gesetz nach Art 7 B-VG und auf Erwerbsausübungsfreiheit nach Art 6 StGG wegen der Gesetzwidrigkeit des § 5 Abs 5 Z 2 der COVID-19-Notmaßnahmenverordnung verletzt und regt an, das Landesverwaltungsgericht Tirol möge einen Normprüfungsantrag an den Verfassungsgerichtshof stellen.
Beweis wurde aufgenommen durch die Einsichtnahme in die verwaltungsbehördlichen Akten, die Akten des Landesverwaltungsgerichtes Tirol und die Einholung eines aktuellen und vollständigen Firmenbuchauszugs.
II. Sachverhalt:
Die Firma CC besteht in der Rechtsform einer Kommanditgesellschaft, ihr Sitz ist in *** V. Die Beschwerdeführerin ist leitende Angestellte der CC, DD vertritt die Gesellschaft als Prokurist seit 06.05.2019 selbstständig mit der Berechtigung zur Veräußerung und Belastung von Grundstücken gemäß § 49 Abs 2 UGB. Mit Vereinbarung vom 05.11.2020 wurde die Beschwerdeführerin von DD bis auf Widerruf zur verantwortlichen Beauftragten für die Einhaltung aller gesetzlichen Bestimmungen sowie den in den Bewilligungsbescheiden angeführten Auflagen für den Betrieb sowie für alle durch die Abteilung Verkauf beauftragten Zu-, Um- und Einbauten der in der Bestellungsurkunde angeführten Filialen, darunter auch die Filiale in **** Y, Adresse 2, bestellt. Diese Vereinbarung wurde von der Beschwerdeführerin und von DD unterfertigt.
III. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen betreffend die Rechtsform der CC sowie der Vertretungsbefugnis von DD als Prokurist stützen sich auf den Firmenbuchauszug, die Feststellungen betreffend die Bestellung zur verantwortlichen Beauftragten der Beschwerdeführerin auf die im verwaltungsbehördlichen Akt enthaltene Bestellungsurkunde.
IV. Rechtslage:
Die wesentliche Bestimmung des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 (VStG), BGBl Nr 52/1991, zuletzt geändert durch BGBl I Nr 58/2018, lautet wie folgt:
„Besondere Fälle der Verantwortlichkeit
§ 9.
(1) Für die Einhaltung der Verwaltungsvorschriften durch juristische Personen oder eingetragene Personengesellschaften ist, sofern die Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmen und soweit nicht verantwortliche Beauftragte (Abs. 2) bestellt sind, strafrechtlich verantwortlich, wer zur Vertretung nach außen berufen ist.
(2) Die zur Vertretung nach außen Berufenen sind berechtigt und, soweit es sich zur Sicherstellung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit als erforderlich erweist, auf Verlangen der Behörde verpflichtet, aus ihrem Kreis eine oder mehrere Personen als verantwortliche Beauftragte zu bestellen, denen für das ganze Unternehmen oder für bestimmte räumlich oder sachlich abgegrenzte Bereiche des Unternehmens die Verantwortung für die Einhaltung der Verwaltungsvorschriften obliegt. Für bestimmte räumlich oder sachlich abgegrenzte Bereiche des Unternehmens können aber auch andere Personen zu verantwortlichen Beauftragten bestellt werden.
(3) Eine natürliche Person, die Inhaber eines räumlich oder sachlich gegliederten Unternehmens ist, kann für bestimmte räumlich oder sachlich abgegrenzte Bereiche ihres Unternehmens einen verantwortlichen Beauftragten bestellen.
(4) Verantwortlicher Beauftragter kann nur eine Person mit Hauptwohnsitz im Inland sein, die strafrechtlich verfolgt werden kann, ihrer Bestellung nachweislich zugestimmt hat und der für den ihrer Verantwortung unterliegenden klar abzugrenzenden Bereich eine entsprechende Anordnungsbefugnis zugewiesen ist. Das Erfordernis des Hauptwohnsitzes im Inland gilt nicht für Staatsangehörige von EWR-Vertragsstaaten, falls Zustellungen im Verwaltungsstrafverfahren durch Staatsverträge mit dem Vertragsstaat des Wohnsitzes des verantwortlichen Beauftragten oder auf andere Weise sichergestellt sind.
(5) Verletzt der verantwortliche Beauftragte auf Grund einer besonderen Weisung des Auftraggebers eine Verwaltungsvorschrift, so ist er dann nicht verantwortlich, wenn er glaubhaft zu machen vermag, daß ihm die Einhaltung dieser Verwaltungsvorschrift unzumutbar war.
(6) Die zur Vertretung nach außen berufenen Personen im Sinne des Abs. 1 sowie Personen im Sinne des Abs. 3 bleiben trotz Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten – unbeschadet der Fälle des § 7 – strafrechtlich verantwortlich, wenn sie die Tat vorsätzlich nicht verhindert haben.
(7) Juristische Personen und eingetragene Personengesellschaften sowie die in Abs. 3 genannten natürlichen Personen haften für die über die zur Vertretung nach außen Berufenen oder über einen verantwortlichen Beauftragten verhängten Geldstrafen, sonstige in Geld bemessene Unrechtsfolgen und die Verfahrenskosten zur ungeteilten Hand.“
V. Erwägungen:
Nach § 9 Abs 1 VStG ist für die Einhaltung der Verwaltungsvorschriften durch eingetragene Personengesellschaften, sofern die Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmen und soweit nicht verantwortliche Beauftragte bestellt worden sind, strafrechtlich verantwortlich, wer zur Vertretung nach außen berufen ist. Die zur Vertretung nach außen Berufenen sind nach § 9 Abs 2 VStG berechtigt, aus ihrem Kreis eine oder mehrere Personen als verantwortliche Beauftragte zu bestellen, denen für das ganze Unternehmen oder für bestimmte räumlich oder sachlich abgegrenzte Bereiche des Unternehmens die Verantwortung für Einhaltung der Verwaltungsvorschriften obliegt.
Daher war zunächst zu klären, ob die Beschwerdeführerin als verantwortliche Beauftragte im Sinn des § 9 VStG bestellt worden ist. Mit Bestellungsurkunde vom 05.11.2020 wurde die Beschwerdeführerin von DD für 31 Filialen als verantwortlich Beauftragte für die Einhaltung aller gesetzlichen Bestimmungen sowie den in den Bewilligungsbescheiden angeführten Auflagen für den Betrieb sowie für alle durch die Abteilung Verkauf beauftragten Zu-, Um- und Einbauten bestellt. Die Bestellung zur verantwortlichen Beauftragten im Sinn des § 9 Abs 2 und 4 VStG durch den Prokuristen DD ist nicht rechtwirksam, weil dieser nicht zu den zur Vertretung nach Außen berufenen Personen im Sinne des § 9 Abs 1 VStG gehört (s VwGH 21.10.2005, 2005/02/0191 und 16.03.2016, Ra 2014/05/0002; vgl Feltl, UGB § 50 E 12 [2018], Lewisch/Fister/Weilguni, VStG § 9 Rz 13 [Stand 01.05.2017, rdb.at]). Vor diesem Hintergrund ist für die Beschwerdeführerin keine gültige Bestellung zur verantwortlichen Beauftragten für den vorgeworfenen Sachverhalt zustande gekommen. Die Beschwerdeführerin ist daher für die vorgeworfene Verwaltungsübertretung nicht verantwortlich und es wäre der Strafvorwurf an das zur Vertretung nach außen befugte Organ zu richten gewesen.
Nach § 45 Abs 1 Z 2 VStG hat das Landesverwaltungsgericht Tirol von der Fortführung eines Strafverfahrens abzusehen und dessen Einstellung zu verfügen, wenn der Beschuldigte die ihm vorgeworfene Tat nicht begangen hat. Der Beschwerde war daher aus den genannten Gründen Folge zu geben, das angefochtene Straferkenntnis zu beheben und das Verwaltungsstrafverfahren gegen die Beschwerdeführerin einzustellen. Da dies bereits aufgrund der Aktenlage feststand, konnte die mündliche Verhandlung nach § 44 Abs 2 VwGVG entfallen.
VI. Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:
Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Das Landesverwaltungsgericht Tirol hatte im gegenständlichen Fall zu prüfen, ob eine wirksame Bestellung der Beschwerdeführerin zur verantwortlichen Beauftragen nach § 9 VStG erfolgt ist. Diese Rechtsfrage wurde anhand von und im Einklang mit der einheitlichen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs zur Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten durch einen Prokuristen beurteilt. Folglich wird in Spruchpunkt 2. des gegenständlichen Erkenntnisses die ordentliche Revision für nicht zulässig erklärt.
R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
Gegen diese Entscheidung kann binnen sechs Wochen ab der Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, Freyung 8, 1010 Wien, oder außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist direkt bei diesem, die außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist beim Landesverwaltungsgericht Tirol einzubringen.
Die genannten Rechtsmittel sind von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw einer bevollmächtigten Rechtsanwältin abzufassen und einzubringen und es ist eine Eingabegebühr von Euro 240,00 zu entrichten.
Es besteht die Möglichkeit, für das Beschwerdeverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof und für das Revisionsverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof Verfahrenshilfe zu beantragen. Verfahrenshilfe ist zur Gänze oder zum Teil zu bewilligen, wenn die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten bzw wenn die zur Führung des Verfahrens erforderlichen Mittel weder von der Partei noch von den an der Führung des Verfahrens wirtschaftlich Beteiligten aufgebracht werden können und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint.
Der Antrag auf Verfahrenshilfe ist innerhalb der oben angeführten Frist für das Beschwerdeverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof beim Verfassungsgerichtshof und für das Revisionsverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof beim Verwaltungsgerichtshof einzubringen. Im Antrag an den Verwaltungsgerichtshof ist, soweit dies dem Antragsteller zumutbar ist, kurz zu begründen, warum entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird.
Zudem besteht die Möglichkeit, auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zu verzichten. Ein solcher Verzicht hat zur Folge, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof und eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht mehr erhoben werden können.
Landesverwaltungsgericht Tirol
Mag.a Hofko
(Richterin)
Schlagworte
Verantwortlicher BeauftragterEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGTI:2021:LVwG.2021.16.2333.4Zuletzt aktualisiert am
26.11.2021