TE Lvwg Erkenntnis 2021/7/29 LVwG-604362/2/RK/KGr

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Veröffentlicht am 29.07.2021
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Entscheidungsdatum

29.07.2021

Norm

VStG §49
AVG §71

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich erkennt durch seinen Richter Dr. Kapsammer über die Beschwerde des R K, vertreten durch C B, C.P. X, X L, Tschechien, gegen den Bescheid der Landespolizeidirektion Oberösterreich, SVA 1 Strafamt, vom 19. Februar 2021, GZ: VStV/920302148479/2020, betreffend die Nichtbewilligung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 18. Jänner 2021

zu Recht:

I.     Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

II.    Gegen diese Entscheidung ist eine Revision unzulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

I.1. Mit Strafverfügung der Landespolizeidirektion Oberösterreich (in der Folge: belangte Behörde) vom 16. Dezember 2020, GZ: VStV/920302148479/2020, wurde dem Beschwerdeführer (in der Folge: „Bf“) vorgeworfen, mehrere Übertretungen der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO) begangen zu haben.

Die Strafverfügung wurde dem Bf am 24. Dezember 2020 durch Hinterlegung zugestellt.

I.2. Mit Email vom 13. Jänner 2021 erhob der Bf Einspruch gegen die og. Strafverfügung, welcher mit Bescheid der belangten Behörde vom 13. Jänner 2021 als verspätet zurückgewiesen wurde.

I.3. In der Folge beantragte der Bf mit Email vom 18. Jänner 2021 die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Erhebung eines Einspruchs gegen die Strafverfügung.

Der Bf begründet seinen Antrag damit, dass er in einem systemrelevanten Beruf in einem Chemieunternehmen arbeite, welches ua. auch Desinfektionsmittel gegen COVID-19 herstelle. Er sei von 23. Dezember 2020 bis 7. Jänner 2021 im Dauerdienst gewesen, da er zu diesem Zeitpunkt aufgrund von Erkrankungen seiner Kollegen alleine in der Firma gewesen sei. Dem Bf sei es in diesem Zeitraum nicht möglich gewesen, zu den normalen Postöffnungszeiten die hinterlegte Strafverfügung abzuholen. Er habe diese zu dem ihm frühestmöglichen Zeitpunkt am 8. Jänner 2021 abgeholt.

I.4. Mit Bescheid der Landespolizeidirektion Oberösterreich vom 19. Februar 2021, GZ: VStV/920302148479/2020, wurde der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 71 Abs. 1 Z 1 AVG nicht bewilligt. Begründend führt die belangte Behörde zusammengefasst aus, dass der RSb-Brief auch von anderen haushaltsangehörigen Personen behoben werden hätte können. Der Bf habe kein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis vorgebracht, welches die Zustellung der gegenständlichen Strafverfügung nicht möglich gemacht hätte. Mangels Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen sei der Antrag somit als unbegründet abzuweisen.

I.5. Dagegen erhob der Bf durch seinen bevollmächtigten Vertreter fristgerecht Beschwerde. Darin wird zusammengefasst vorgebracht, dass die LPD OÖ in ihrer Begründung nur ein standardisiertes Formular verwendet habe und nicht auf den Einzelfall eingegangen sei. Entgegen den Ausführungen der belangten Behörde, hätte kein anderer Haushaltsangehöriger den RSb-Brief abholen können, da er einen Singlehaushalt führe. Auch Nachbarn hätten dies für ihn nicht tun können, weil diese entweder schon sehr alt seien oder er diesen Personen so heikle Schreiben nicht anvertrauen möchte.

I.6. Mit Vorlageschreiben vom 29. März 2021, beim Landesverwaltungsgericht Oberösterreich eingelangt am 2. April 2021, legte die belangte Behörde die Beschwerde samt dem bezughabenden Verfahrensakt dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich vor, ohne eine Beschwerdevorentscheidung zu erlassen. Dieses entscheidet durch seinen nach der Geschäftsverteilung zuständigen Einzelrichter.

II. Beweiswürdigung, Sachverhalt

II.1. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den von der belangten Behörde zur Entscheidung übermittelten Verfahrensakt. Auf die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG trotz Antrages verzichtet werden, da die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 Grundrechtecharter entgegen stehen.

II.2. Unbestritten geblieben ist, dass der Bf mit der im Akt erliegenden „Verständigung über die Hinterlegung eines behördlichen Dokuments“ von der Hinterlegung der Strafverfügung (RSb-Brief) informiert wurde. Demnach wurde das Dokument in der Post Geschäftsstelle X L, A X, hinterlegt und war dort in der Zeit von 24. Dezember 2020 bis 11. Jänner 2021 abholbereit.

Der Bf begründet seinen Wiedereinsetzungsantrag damit, dass es ihm aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit im Zeitraum von 23. Dezember 2020 bis 7. Jänner 2021 nicht möglich gewesen ist, die hinterlegte Strafverfügung zu den Postöffnungszeiten abzuholen.

Im Übrigen legt das erkennende Gericht den im Punkt I. dargestellten und unbestrittenen Verfahrensgang seiner Entscheidung zu Grunde.

III. In rechtlicher Hinsicht ist Folgendes auszuführen:

Zur Verspätung des Einspruchs vom 13. Jänner 2021:

III.1. Die gegenständliche Strafverfügung wurde dem Bf am 24. Dezember 2020 durch Hinterlegung zugestellt. Die Einspruchsfrist von zwei Wochen gemäß § 49 Abs. 1 VStG endete mit Ablauf vom 7. Jänner 2021.

Der Bf hat den am 13. Jänner 2021 per Email übermittelten Einspruch nach Ablauf der Einspruchsfrist und somit verspätet eingebracht. Die belangte Behörde hat den Einspruch daher zu Recht als verspätet zurückgewiesen.

Zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand:

III.2. Gemäß § 71 Abs. 1 Z 1 AVG ist gegen die Versäumung einer Frist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auf Antrag einer Partei zu bewilligen, wenn

diese glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist als „Ereignis“ nicht nur tatsächliches, in der Außenwelt stattfindendes, sondern prinzipiell jedes, auch inneres, psychisches Geschehen, ein psychologischer Vorgang – einschließlich der „menschlichen Unzulänglichkeit“ – anzusehen. Das Ereignis muss für das Versäumen der Frist oder der mündlichen Verhandlung kausal, dh der Wiedereinsetzungswerber muss dadurch daran gehindert gewesen sein, die Frist einzuhalten bzw zur mündlichen Verhandlung zu erscheinen [(Hengstschläger/Leeb, AVG § 72 Rz 34ff (Stand 1.1.2020, rdb.at)].

Um die Wiedereinsetzung zu rechtfertigen, muss das Ereignis jedoch für den Wiedereinsetzungswerber entweder unvorhergesehen oder unabwendbar gewesen sein. Nach dem Wortlaut des Gesetzes („oder“) genügt das Vorliegen eines der beiden Aspekte, um den Wiedereinsetzungsanspruch zu begründen. Die Partei (der Antragsteller) muss an der zeitgerechten Vornahme einer befristeten Prozesshandlung durch ein Ereignis verhindert gewesen sein, dass er nicht vorhergesehen hat oder dessen Eintritt er nicht abwenden konnte. Mit den Begriffen „unvorhergesehen“ und „unabwendbar“ sind damit nicht objektive Eigenschaften des „Ereignisses“ angesprochen, vielmehr umschreiben sie die Relation zum Antragsteller bzw. im Falle einer Vertretung ist das Vorliegen der Voraussetzungen nach den für den Vertreter maßgebenden Verhältnissen zu beurteilen. Das zur Versäumung führende Ereignis muss daher den Vertreter an der rechtzeitigen Vornahme der Handlung gehindert haben und für ihn unvorhergesehen oder unabwendbar gewesen sein (vgl. Hengstschläger/Leeb, aaO Rz 37).

III.3. Der Bf bringt im Zuge seines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 18. Jänner 2021 vor, dass er in Zeiten der Corona-Pandemie in einem systemrelevanten Beruf (Herstellung von Desinfektionsmittel) arbeiten würde und in der Zeit von 23. Dezember 2020 bis 7. Jänner 2021 wegen Erkrankungen seiner Arbeitskollegen im Dauerdienst gewesen sei. Es sei ihm daher nicht möglich gewesen, das hinterlegte Schriftstück zu den Postöffnungszeiten abzuholen. Dieser Umstand – welcher von der belangten Behörde auch nicht bestritten wurde – kann wohl als unvorhergesehenes Ereignis iSd § 71 AVG qualifiziert werden.

III.4. Ungeachtet dessen kommt eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand iSd § 71 Abs. 1 Z 1 AVG jedoch nur in Betracht, wenn die Antragstellerin am Eintritt

dieses unvorhergesehenen Ereignisses und der daraus resultierenden Versäumung

der Frist kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft. Ein minderer Grad des Versehens liegt grundsätzlich vor, wenn nur leicht fahrlässig gehandelt wird. Als leicht fahrlässig gemachte Fehler sind nur solche anzusehen, die gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch begeht (VfGH 19.6.2008, B 708/08; VwGH 29.4.1995, 93/05/0088). Der Wiedereinsetzungswerber darf also nicht auffallend sorglos gehandelt haben, dh er darf die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt nicht außer Acht gelassen haben (VwGH 8.10.1990, 90/15/0134; 27.6.2008, 2008/11/0099; 8.10.2014, 2012/10/0100).

Eine auffallende, der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entgegenstehende Sorglosigkeit liegt nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshof beispielsweise vor, wenn die Versäumung voraussehbar war und durch ein der Partei (ihrem berufsmäßigen, rechtskundigen Vertreter) zumutbares Verhalten abgewendet hätte werden können (VwGH 13.9.1999, 97/09/0134; 1.6.2006, 2005/07/0044; 31.7.2007, 2006/05/0089). Weiters wenn der Wiedereinsetzungswerber die sofortige Behebung einer hinterlegten Sendung unterlassen und in der Folge wegen beruflicher Überlastung oder familiärer Probleme nicht mehr daran gedacht hat (VwGH 26. 9. 1984, 84/11/014522. 9. 1989, 89/11/0184).

Ganz allgemein reichen berufliche Belastungen nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht hin, um die Bewilligung eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu rechtfertigen (VwGH 17.2.1993, 93/01/0047; 27.2.1998, 97/19/0417; 28.6.2001, 2001/11/0175).

III.5. Im vorliegenden Fall war es dem Bf angesichts seiner beruflichen Tätigkeit zwar selbst nicht möglich, das hinterlegte Schriftstück persönlich bei der Post abzuholen. Allerdings war der Bf vor dem Hintergrund seines Vorbringens nicht gehindert, jemanden mit der Abholung des RSb-Briefs zu beauftragen. Der Bf hat im konkreten Fall nicht bestritten, dass er von der gegenständlichen Hinterlegungsanzeige Kenntnis hatte. Er wusste daher, dass ein behördliches Dokument bei der Post in X L, A X, seit 24.12.2020 zur Abholung bereit war. Auch das Argument des Bf, dass er einen Singlehaushalt führe bzw. dass eine Beauftragung eines Nachbarn ausscheide, geht ins Leere, zumal er jede andere Person mit der Abholung des Dokuments beauftragen kann. Von einem sorgsamen Bürger ist zu erwarten, dass er im Falle der Hinterlegung von Behördenschreiben damit rechnet, dass Rechtsmittelfristen einzuhalten sind und diese demnach umgehend von der Post abholt oder für eine Abholung durch eine andere Person sorgt. Viele Berufstätige sind nicht in der Lage, Postdienststellen während ihrer regulären Öffnungszeiten aufzusuchen. Die im Wiedereinsetzungsantrag als ausschließlichen Grund für die Fristversäumnis ins Treffen geführte starke berufliche Inanspruchnahme des Bf vermag daher für sich allein keinen tauglichen Wiedereinsetzungsgrund zu bilden. Zusammenfassend ist somit festzustellen, dass der Bf auffallend sorglos gehandelt hat, da er im Sinne der vorab dargestellten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen hat.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden und die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

IV.     Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die vorliegende Entscheidung steht zunächst im Einklang mit der oben dargestellten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Die konkrete Beurteilung eines unvorhergesehenen oder unabwendbaren Ereignisses sowie die Beurteilung des Grades des Versehens sind außerdem stets einzelfallbezogen und nicht verallgemeinerungsfähig. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung liegt insofern nicht vor.

Schlagworte

Wiedereinsetzung; Fristversäumung; Strafverfügung; Einspruchsfrist; unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis; Hinterlegung eines behördliches Dokuments; Abholung; Postamt

Anmerkung

Alle Entscheidungsvolltexte sowie das Ergebnis einer gegebenenfalls dazu ergangenen höchstgerichtlichen Entscheidung sind auf der Homepage des Oö LVwG www.lvwg-ooe.gv.at abrufbar.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGOB:2021:LVwG.604362.2.RK.KGr

Zuletzt aktualisiert am

23.11.2021
Quelle: Landesverwaltungsgericht Oberösterreich LVwg Oberösterreich, http://www.lvwg-ooe.gv.at
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