TE Bvwg Erkenntnis 2021/6/29 L512 2241823-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.06.2021
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

29.06.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §55

Spruch


L512 2241823-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Marlene JUNGWIRT als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei, vertreten durch BBU, Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Kärnten, vom XXXX , Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1, § 10 Abs. 1 Z 3, § 57 AsylG iVm § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, § 46, § 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

I.1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge kurz als „BF“ bezeichnet), ein Staatsangehöriger der Türkei, stellte am 14.09.2020 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Noch am selben Tag erfolgte eine Erstbefragung des BF durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes. Zu seinen Ausreisegründen befragt gab er zusammengefasst an, dass er in der Türkei als XXXX gearbeitet und durch diesen Beruf Hausbesuche gemacht habe. Eines Tages sei eine „Spezialpolizei“ gekommen, habe ihn mitgenommen und gefragt, wieviel er verdiene. Sie hätte ihm dann mehr Geld geboten, damit er für sie als Spion arbeite, weil er in die Häuser hineinkomme. Er habe das Angebot nicht angenommen, woraufhin er von der Einheit verfolgt und bedroht worden sei. Ihm sei gedroht worden, dass seiner Familie etwas angetan werde, wenn er das Angebot nicht annehme. Ein Freund des BF habe dieses Angebot angenommen. Diesem sei nichts passiert und sei dieser Freund jetzt bei der Polizei. Die Polizei bedrohe den BF

Bei einer Rückkehr in die Türkei befürchte er von der Polizei gesucht, gefunden und umgebracht zu werden [Aktenseite (AS) 19 ff.].

I.2. Am 03.03.2021 wurde der BF vor einem Organwalter der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen und brachte zu seinen Ausreisegründen im Wesentlichen vor, dass er mit seinem Chef und dessen XXXX zwei Straßen neben das Geschäft seines Schwagers XXXX gezogen seien. Der BF sei auch immer dort gewesen. In der Nähe sei eine Polizeistation gewesen und hätten sie den BF deshalb zusammen mit seinem Schwager gesehen. Die Polizisten seien hinter seinem Schwager her gewesen, welcher wegen seinem Cousin, XXXX , verfolgt worden sei. Der Geheimdienst habe beide unter Druck gesetzt, weil XXXX politisch aktiv gewesen sei. XXXX sei insgesamt für eineinhalb Jahre verhaftet worden und nach der Freilassung gleich nach XXXX geflüchtet. Danach habe sich der Geheimdienst für den Schwager des BF interessiert. Sie hätten ihn bedroht, dass er alle Daten an sie weitergeben solle, weil er politisch aktiv gewesen sei. Danach seien sie auch am BF interessiert gewesen, weil er immer bei seinem Schwager gewesen sei. Sie hätten ihn im Auto mitgenommen und ihn schön und ohne Bedrohung gefragt, was sie in der Partei machen. Sie hätten ihn gefragt, ob er alles mitteilen könne. Nach drei bis fünf Tagen sei der BF wieder zu seinem Schwager gegangen und habe ihn der Geheimdienst dort ein zweites Mal mitgenommen. Der BF habe eine Ohrfeige bekommen und hätten sie begonnen ihn zu bedrohen und hätten gefragt, ob er sie austricksen wolle. Sie würden ihn töten. Nachdem ihm eine Person eine Pistole gezeigt habe, habe er Angst bekommen und „ok“ gesagt. Sie hätten gedacht, dass er mit ihnen zusammenarbeiten würde. Danach sei der BF ein Monat zu Hause gewesen und habe mit seinem Schwager geredet. Der BF habe dies nicht mit seiner Familie teilen wollen, damit diese keine Angst bekäme. Der Schwager habe dem BF geraten, seinen Militärdienst zu machen und wegzugehen, damit er in Ruhe gelassen werde. Beim Militär sei der BF von drei bis vier rassistischen Soldaten angegriffen worden, weil er aus XXXX sei. Damals habe es das „Hendek“ Problem gegeben. Dabei seien sehr viele Polizisten getötet worden und würden sie deshalb denken, dass alle aus XXXX Terroristen seien. Der BF sei öfter belästigt worden. Seine Mutter könne kein Türkisch und habe er mit ihr kurdisch reden müssen, was dem BF nicht erlaubt worden sei. Sie hätten ihn als Terroristen beschuldigt, nur, weil er Kurde sei. Normalerweise sei Handyverbot, aber jeder habe am Abend geheim mit der Familie telefoniert, was dem BF nicht erlaubt worden sei. Sie hätten zu ihm gesagt, dass er wieder zurück nach XXXX gehen solle, er ein Terrorist sei und sie ihn nicht haben wollen würden. Es habe sich dabei um drei bis vier rassistische türkische Soldaten von der Partei MHP bzw. Ülkücü gehandelt. Der BF sei immer wieder belästigt, öfter geschupst worden und zu Boden gefallen. Er habe zum Arzt gehen wollen, der Kommandant habe aber „nein“ gesagt. Der Kommandant habe zum BF gesagt, dass er bestraft werde, wenn er sich über die anderen Soldaten beschwere. Der BF habe dem Kommandanten gesagt, dass er belästigt werde, weil er Kurde sei und habe der Kommandant zum BF gesagt, dass er keine Beschwerde abgeben solle, ansonsten er den Militärdienst des BF verlängern lasse. Wäre der BF vom Militär geflüchtet, wäre er wieder als Terrorist beschuldigt worden und sei sich der BF sicher, dass seine Familie auch Probleme bekommen hätte. Der BF habe dann gesagt, dass ihm sein Arm weh tue und sei er ins Krankenhaus geschickt worden, wo Röntgenbilder gemacht worden seien. Der Arzt habe gesehen, dass der Arm des BF zweimal gebrochen gewesen sei. Der BF sei operiert, ihm zwei Platinen eingesetzt und ein Monat früher nach Hause geschickt worden. Er sei offiziell aus dem Dienst entlassen und ihm ein Bescheid nach Hause geschickt worden. Der Arm habe dem BF etwa drei bis sechs Monate weh getan und seien ihm die Platinen von einem Arzt entfernt worden (AS 117 ff.).

I.3. Der Antrag des BF auf internationalen Schutz wurde folglich mit im Spruch genannten Bescheid des BFA gemäß § 3 Abs 1 AsylG abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Absatz 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat nicht zugesprochen (Spruchpunkt II). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung in die Türkei gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG wurde die Frist zur freiwilligen Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

Im Rahmen der Beweiswürdigung führte das BFA aus, dass der BF eine ihm in der Türkei drohende asylrelevante Verfolgungsgefahr nicht glaubhaft dargelegt habe und er nicht von einer aktuellen, gezielten persönlichen Verfolgung iSd GFK betroffen sei.

Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Türkei traf die belangte Behörde ausführliche, aktuelle Feststellungen mit nachvollziehbaren Quellenangaben.

Rechtlich führte die belangte Behörde aus, dass weder ein unter Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GKF noch unter § 8 Abs. 1 AsylG zu subsumierender Sachverhalt hervorkam. Es hätten sich weiters keine Hinweise auf einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG ergeben und stelle die Rückkehrentscheidung auch keinen ungerechtfertigten Eingriff in Art. 8 EMRK dar. Zudem sei die Abschiebung zulässig, da kein Sachverhalt im Sinne des § 50 Abs 1, 2 und 3 FPG vorliege. Eine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe in Höhe von 14 Tagen, da keine Gründe im Sinne des § 55 Abs 1a FPG vorliegen würden.

I.4. Gegen diesen Bescheid wurde mit im Akt ersichtlichen Schriftsatz innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben.

I.5. Hinsichtlich des Verfahrensherganges im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

II.1.1. Der Beschwerdeführer

Die Identität des BF steht fest. Er ist türkischer Staatsangehöriger, Angehöriger der kurdischen Volksgruppe sowie der sunnitischen Glaubensgemeinschaft.

Der BF stammt aus XXXX in der Provinz XXXX und hat die Grund- und Mittelschule sowie ein Jahr der Oberstufe besucht. Anschließend war der BF ca. XXXX lang als XXXX tätig.

Bis zu seiner Ausreise lebte der BF mit den Eltern, drei Brüdern und vier Schwestern in der Wohnung der Eltern.

Der BF ist ledig, hat keine Kinder und reiste im März 2020 aus der Türkei aus.

In der Türkei sind nach wie vor die Eltern, drei Brüder sowie vier Schwestern des BF aufhältig und besteht zu diesen auch Kontakt (AS 121).

Der BF reiste im September 2020 in das österreichische Bundesgebiet und hält sich seitdem in Österreich auf.

Der BF verfügt über keine nennenswerten Deutschkenntnisse, ist in Österreich nicht berufstätig und kein Mitglied in einem Verein.

Der BF bezieht Leistungen aus der Grundversorgung für Asylwerber. In Österreich ist der Schwager des BF aufhältig. Ein gemeinsamer Wohnsitz besteht mit diesem nicht.

Der BF leidet an keinen lebensbedrohlichen Krankheiten und ist arbeitsfähig.

Der BF ist in Österreich strafrechtlich unbescholten und pflegt soziale und freundschaftliche Kontakte.

II.1.2. Die Lage im Herkunftsstaat Türkei

Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Türkei werden folgende Feststellungen getroffen:

COVID-19

Letzte Änderung: 26.01.2021

Bezüglich der aktuellen Anzahl der Krankheits- und Todesfälle in den einzelnen Ländern empfiehlt die Staatendokumentation bei Interesse/Bedarf folgende Website der WHO: https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/situation-reports oder der Johns Hopkins-Universität: https://gisanddata.maps.arcgis.com/apps/opsdashboard/index.html#/bda7594740fd40299423467b48e9ecf6 mit täglich aktualisierten Zahlen zu kontaktieren.

Am 11.3.2020 verkündete der türkische Gesundheitsminister, Fahrettin Koca, die Nachricht vom tags zuvor ersten bestätigten Corona-Fall (FNS 16.3.2020; vgl. DS 11.3.2020). Mit Jahresende 2020 wurden 2,18 Mio. Corona-Fälle und rund 21.000 Tote in der Türkei verzeichnet (JHU 30.12.2020).

Am 25.11.2020 erklärte Gesundheitsminister Fahrettin Koca, dass nunmehr alle positiv auf COVID-19 getesteten Personen in die Statistik aufgenommen werden. Ende Juli 2020 hatte das Gesundheitsministerium nämlich damit begonnen, die Corona-Infektionszahlen anzupassen, indem nur noch diejenigen, die tatsächlich Symptome entwickelten und einer Behandlung bedurften, statistisch gemeldet wurden. Dadurch blieben die offiziellen Zahlen in der Türkei im internationalen Vergleich niedrig. Auf diese Weise seien nach Medienberichten bis Ende Oktober 2020 bis zu 350.000 Corona-Infektionen verschwiegen worden (BAMF 30.11.2020). Das kam für den türkischen Ärzteverband nicht überraschend, der seit Monaten davor warnt, dass die bisherigen Zahlen der Regierung das Ausmaß der Ausbreitung verschleiern und dass der Mangel an Transparenz zu dem Anstieg beiträgt. Der Ärzteverband behauptet, dass die Zahlen des Ministeriums immer noch zu niedrig seien, verglichen mit ihrer eigenen Schätzung von mindestens 50.000 neuen Infektionen pro Tag. Die Krankenhäuser des Landes sind laut der Vorsitzenden des Ärzteverbandes, Sebnem Korur Fincanci, überlastet, das medizinische Personal ist ausgebrannt und die Contract-Tracer, die einst dafür bekannt waren, den Ausbruch unter Kontrolle zu halten, haben Schwierigkeiten, die Übertragungen zu verfolgen (AP 29.11.2020).

Beginnend mit 1.12.2020 ist ein Lockdown in Kraft getreten, welcher Ausgangssperren unter der Woche von 21.00 Uhr bis 5.00 Uhr umfasst. An den Wochenenden herrschte eine totale Ausgangssperre von Freitag 21.00 Uhr bis Montag 5.00 Uhr. An allen Orten, wo sich mehrere Menschen befinden, insbesondere auf Märkten und in Geschäften, gilt Maskenpflicht. Auf öffentlichen Plätzen wurde ein Rauchverbot auch im Freien eingeführt. Das Verbot zur Durchführung von öffentlichen Veranstaltungen durch staatliche und staatsnahe Organisationen sowie von Verbänden bleibt aufrecht. Sportveranstaltungen werden ohne Zuschauer durchgeführt. An Beerdigungen und Hochzeiten dürfen maximal 30 Personen teilnehmen. Feiern und Zusammenkünfte in häuslicher Umgebung sind untersagt. Gastronomische Einrichtungen bleiben tagsüber nur für Lieferservice geöffnet. Einkaufszentren und Lebensmittelgeschäfte dürfen nur zwischen 10.00 Uhr und 20.00 Uhr geöffnet haben. Beim Betreten von Einkaufszentren wird der sogenannten HES (Hayat Eve Sigar) - Code verlangt, ein behördlich verliehener elektronischer Schlüssel, mittels welchem der momentane Status der jeweiligen Person in Hinblick auf Corona verfolgt und überprüft werden kann. Er dient z.B. als Zutrittsvoraussetzung zu Ämtern oder eben Einkaufszentren. Beginnend mit 5.11.2020 müssen kulturelle Einrichtungen, wie Theater, ab 22.00 Uhr geschlossen sein. Kinos bleiben bis auf weiteres geschlossen. Alle Schulen inklusive Vorschulen sind geschlossen und werden bis auf weiteres nur mehr im Fernunterricht fortgeführt. Jugendliche unter 20 Jahren dürfen nur zwischen 13.00 Uhr und 16.00 Uhr die Wohnung verlassen. Die Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln ist Ihnen untersagt. Ältere Menschen über 65 Jahre dürfen tagsüber nur während bestimmter Uhrzeiten (10.00 Uhr – 13.00 Uhr) die Wohnungen verlassen. Auch für diese Personengruppe ist die Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln verboten (WKO 21.1.2021).

Ab 28.12.2020 müssen alle Personen, die mit dem Flugzeug in die Türkei reisen, einen Nachweis erbringen, dass sie innerhalb von 72 Stunden vor der Einreise mit einem PCR-Test negativ auf COVID-19 getestet wurden. Einreisende ohne einen negativen Test müssen entweder an ihrer gemeldeten Adresse in der Türkei oder in einer von der Regierung bezeichneten Einrichtung in Quarantäne gehen. Alle Personen, die über die Land- oder Seegrenzen in die Türkei einreisen, unterliegen ab dem 30.12.2020 den gleichen Anforderungen. Die Richtlinie wird mindestens bis zum 1.3.2021 in Kraft bleiben (Garda World 25.12.2020).

Am 30.12.2020 wurde das bis 17.1.2021 gültige Entlassungsverbot per Präsidialdekret um weitere zwei Monate verlängert (Hürriyet 30.12.2020).

In der zweiten Jänner-Woche 2021 ist mit den Impfungen begonnen worden. Zum Einsatz kommt das chinesische Vakzin der Firma Sinovac, dem am 13.1.2021 nach einem Eilverfahren eine Notzulassung erteilt wurde. Die Prüfung sei noch nicht abgeschlossen, sie werde parallel zur Impfkampagne fortgesetzt, teilten die Behörden mit. Prioritär werden die 1,1 Mio. Mitarbeiter des Gesundheitswesens sowie Menschen über 65 Jahren geimpft. Laut dem Generalsekretär der Ärztevereinigung werde die landesweite Impfkampagne voraussichtlich im Juli 2021 angeschlossen werden. Bei Lieferverzögerungen könne sie auch bis Dezember dauern. Türkische Mediziner haben infolge der Ergebnisse in Brasilien und Indonesien ihre Zweifel an der Wirksamkeit des Impfstoffs geäußert. Die türkische Rechtsmedizinerin und Vorsitzende der Ärztevereinigung Sebnem Korur Fincanci sagte, die Sicherheit des Impfstoffs stehe jedoch außer Frage und appellierte, sich impfen zu lassen. Als Folge der intransparenten Politik will sich allerdings nur jeder zweite impfen lassen (FAZ 14.1.2021).

Quellen:

AP - Associated Press (29.11.2020): Turkey’s new virus figures confirm experts' worst fears, https://apnews.com/article/turkey-europe-coronavirus-pandemic-recep-tayyip-erdogan-07b8e18fa2268b847e84cd9702e9a895, Zugriff 11.1.2021

BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (30.11.2020): Briefing Notes, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041720/briefingnotes-kw49-2020.pdf, Zugriff 11.1.2021

DS - Daily Sabah (11.3.2020): Turkey remains firm, calm as first coronavirus case confirmed, https://www.dailysabah.com/turkey/turkey-remains-firm-calm-as-first-coronavirus-case-confirmed/news, Zugriff 30.12.2020

Hürriyet (30.12.2020): Entlassungsverbot der Türkei erneut verlängert, https://www.hurriyet.de/news_entlassungsverbot-der-tuerkei-erneut-verlaengert_143543902.html, Zugriff 30.12.2020

FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (14.1.2021): Türkei beginnt mit Impfkampagne, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/tuerkei-impfung-gegen-corona-beginnt-mit-china-impfstoff-sinovac-17146041.html, Zugriff 15.1.2021

FNS - Friedrich-Naumann-Stiftung (16.3.2020): Türkei Bulletin 5-2020, http://shop.freiheit.org/download/P2@876/248113/05-2020-T%C3%Bcrkei-Bulletin.pdf, Zugriff 30.12.2020

Garda World (25.12.2020): Turkey: Government to tighten COVID-related international entry restrictions effective Dec. 28; flights with Netherlands resume /update 30, https://www.garda.com/crisis24/news-alerts/421926/turkey-government-to-tighten-covid-related-international-entry-restrictions-effective-dec-28-flights-with-netherlands-resume-update-30, Zugriff 11.1.2020

Hürriyet (30.12.2020): Entlassungsverbot der Türkei erneut verlängert, https://www.hurriyet.de/news_entlassungsverbot-der-tuerkei-erneut-verlaengert_143543902.html, Zugriff 30.12.2020

JHU - Johns Hopkins University & Medicine (30.12.2020): COVID-19 Dashboard by the Center for Systems Science and Engineering (CSSE) at Johns Hopkins University (JHU), https://coronavirus.jhu.edu/map.html, Zugriff 30.12.2020

WKO - Wirtschaftskammer Österreich (21.1.2020): Coronavirus: Situation in der Türkei, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-infos-tuerkei.html#heading_Schutzmassnahmen_und_Geschaeftsleben, Zugriff 25.1.2021

Politische Lage

Letzte Änderung: 26.01.2021

Die Türkei ist eine Präsidialrepublik und laut Art. 2 ihrer Verfassung ein demokratischer, laizistischer und sozialer Rechtsstaat auf der Grundlage öffentlichen Friedens, nationaler Solidarität, Gerechtigkeit und der Menschenrechte. Staats- und zugleich Regierungschef ist seit Einführung des präsidialen Regierungssystems am 9.7.2018 der Staatspräsident, der die politischen Geschäfte führt (AA 24.8.2020; vgl. DFAT 10.9.2020), wobei das Amt des Ministerpräsidenten abgeschafft wurde (DFAT 10.9.2020; vgl. bpb 9.7.2018).

Die Verfassungsarchitektur ist weiterhin von einer fortschreitenden Zentralisierung der Befugnisse im Bereich des Präsidentenamtes geprägt, ohne eine solide und wirksame Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative zu gewährleisten. Da es keinen wirksamen Kontroll- und Ausgleichsmechanismus gibt, bleibt die demokratische Rechenschaftspflicht der Exekutive auf Wahlen beschränkt. Unter diesen Bedingungen setzten sich die gravierenden Rückschritte bei der Achtung demokratischer Normen, der Rechtsstaatlichkeit und der bürgerlichen Freiheiten fort. Die politische Polarisierung verhindert einen konstruktiven parlamentarischen Dialog. Die parlamentarische Kontrolle über die Exekutive bleibt schwach. Unter dem Präsidialsystem sind viele Regulierungsbehörden und die Zentralbank direkt mit dem Präsidentenamt verbunden, wodurch deren Unabhängigkeit untergraben wird. Mehrere Schlüsselinstitutionen, wie der Generalstab, der Nationale Nachrichtendienst, der Nationale Sicherheitsrat und der Souveräne Wohlfahrtsfonds, sind dem Büro des Präsidenten angegliedert worden (EC 29.5.2019). Der öffentliche Dienst wurde politisiert, insbesondere durch weitere Ernennungen von politischen Beauftragten auf der Ebene hoher Beamter und die Senkung der beruflichen Anforderungen an die Amtsinhaber (EC 6.10.2020).

Der Präsident wird für eine Amtszeit von fünf Jahren direkt gewählt und kann bis zu zwei Amtszeiten innehaben, mit der Möglichkeit einer dritten Amtszeit, wenn während der zweiten Amtszeit vorgezogene Präsidentschaftswahlen ausgerufen werden. Erhält kein Kandidat in der ersten Runde die absolute Mehrheit der gültigen Stimmen, findet eine Stichwahl zwischen den beiden stimmenstärksten Kandidaten statt. Die 600 Mitglieder des Einkammerparlaments werden durch ein proportionales System mit geschlossenen Parteienlisten bzw. unabhängigen Kandidaten in 87 Wahlkreisen für eine Amtszeit von fünf (vor der Verfassungsänderung vier) Jahren gewählt. Wahlkoalitionen sind erlaubt. Die Zehn-Prozent-Hürde, die höchste unter den OSZE-Mitgliedstaaten, wurde trotz der langjährigen Empfehlung internationaler Organisationen und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) nicht gesenkt. Die unter der Militärherrschaft verabschiedete Verfassung garantiert die Grundrechte und -freiheiten nicht ausreichend, da sie sich auf Verbote zum Schutze des Staates konzentriert und der Gesetzgebung erlaubt, weitere unangemessene Einschränkungen festzulegen. Die Vereinigungs-, Versammlungs- und Meinungsfreiheit und das Wahlrecht selbst werden durch die Verfassung und die Gesetzgebung übermäßig eingeschränkt (OSCE/ODIHR 21.9.2018).

Am 16.4.2017 stimmten 51,4% der türkischen Wählerschaft für die von der regierenden Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) initiierte und von der rechts-nationalistischen Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) unterstützte Verfassungsänderung im Sinne eines exekutiven Präsidialsystems (OSCE 22.6.2017; vgl. HDN 16.4.2017). Die gemeinsame Beobachtungsmisson der OSZE und der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE) kritisierte die ungleichen Wettbewerbsbedingungen beim Referendum. Einschränkungen von grundlegenden Freiheiten aufgrund des Ausnahmezustands hatten negative Auswirkungen. Im Vorfeld des Referendums wurden Journalisten und Gegner der Verfassungsänderung behindert, verhaftet und fallweise physisch attackiert. Mehrere hochrangige Politiker und Beamte, darunter der Staatspräsident und der Regierungschef setzten die Unterstützer der Nein-Kampagne mit Terror-Sympathisanten oder Unterstützern des Putschversuchs vom Juli 2016 gleich (OSCE/PACE 17.4.2017).

Bei den vorgezogenen Präsidentschaftswahlen am 24.6.2018 errang Amtsinhaber Recep Tayyip Erdo?an mit 52,6% der Stimmen bereits im ersten Wahlgang die nötige absolute Mehrheit für die Wiederwahl. Bei den gleichzeitig stattfindenden Parlamentswahlen erhielt die regierende AKP 42,6% der Stimmen und 295 der 600 Sitze im Parlament. Zwar verlor die AKP die absolute Mehrheit, doch durch ein Wahlbündnis mit der rechts-nationalistischen MHP unter dem Namen „Volksbündnis“ verfügt sie über eine Mehrheit im Parlament. Die kemalistisch-sekulare Republikanische Volkspartei (CHP) gewann 22,6% bzw. 146 Sitze und ihr Wahlbündnispartner, die national-konservative ?yi-Partei, eine Abspaltung der MHP, 10% bzw. 43 Mandate. Drittstärkste Partei wurde die pro-kurdische Demokratische Partei der Völker (HDP) mit 11,7% und 67 Mandaten (HDN 27.6.2018). Trotz einer echten Auswahl bestand keine Chancengleichheit zwischen den kandidierenden Parteien. Der amtierende Präsident und seine AKP genossen einen beachtlichen Vorteil, der sich auch in einer übermäßigen Berichterstattung der staatlichen und privaten Medien zu ihren Gunsten widerspiegelte. Zudem missbrauchte die regierende AKP staatliche Verwaltungsressourcen für den Wahlkampf. Der restriktive Rechtsrahmen und die unter dem (damals noch) geltenden Ausnahmezustand gewährten Machtbefugnisse schränkten die Versammlungs- und Meinungsfreiheit, auch in den Medien, ein (OSCE/ODIHR 21.9.2018).

Am 23.6.2019 fand in Istanbul die Wiederholung der Bürgermeisterwahl statt. Diese war von nationaler Bedeutung, da ein Fünftel der türkischen Bevölkerung in Istanbul lebt und die Stadt ein Drittel des Bruttonationalproduktes erwirtschaftet (NZZ 23.6.2019). Bei der ersten Wahl am 31.3.2019 hatte der Kandidat der oppositionellen CHP, Ekrem ?mamo?lu, mit einem Vorsprung von nur 13.000 Stimmen gewonnen. Die regierende AKP hatte jedoch das Ergebnis angefochten, sodass die Hohe Wahlkommission am 6.5.2019 schließlich die Wahl wegen formaler Fehler bei der Besetzung einiger Wahlkomitees annullierte (FAZ 23.6.2019; vgl. Standard 23.6.2019). ?mamo?lu gewann die wiederholte Wahl mit 54%. Der Kandidat der AKP, Ex-Premierminister Binali Y?ld?r?m, erreichte 45% (Anadolu 23.6.2019). Die CHP löste damit die AKP nach einem Vierteljahrhundert als regierende Partei in Istanbul ab (FAZ 23.6.2019). Bei den Lokalwahlen vom 30.3.2019 hatte die AKP von Staatspräsident Erdo?an bereits die Hauptstadt Ankara (nach 20 Jahren) sowie die Großstädte Adana, Antalya und Mersin an die Opposition verloren. Ein wichtiger Faktor war der Umstand, dass die pro-kurdische HDP auf eine Kandidatur im Westen des Landes verzichtete (Standard 1.4.2019) und deren inhaftierter Vorsitzende, Selahattin Demirta?, auch bei der Wahlwiederholung seine Unterstützung für ?mamo?lu betonte (NZZ 23.6.2019).

Die Gesetzgebungsverfahren sind nicht effektiv. Präsidialdekrete bleiben der parlamentarischen Beratung und Kontrolle entzogen (EC 6.10.2020; vgl. ÖB 10.2020). Präsidialdekrete können nur noch vom Verfassungsgericht aufgehoben werden (ÖB 10.2020). Parlamentarier haben kein Recht, mündliche Anfragen zu stellen. Schriftliche Anfragen können nur an den Vizepräsident und Minister gerichtet werden. Der Rechtsrahmen verankert zwar den Grundsatz des Vorrangs von Gesetzen vor Präsidialdekreten und bewahrt somit das Vorrecht des Parlaments, nichtsdestotrotz hat der Präsident bis Dezember 2019 53 Dekrete erlassen, die ein breites Spektrum sozioökonomischer Politikbereiche abdecken und eben nicht in den Geltungsbereich von Präsidialdekreten fallen (EC 6.10.2020). Der Präsident hat die Befugnis hochrangige Regierungsbeamte zu ernennen und zu entlassen, die nationale Sicherheitspolitik festzulegen und die erforderlichen Durchführungsmaßnahmen zu ergreifen, den Ausnahmezustand auszurufen; Präsidialdekrete zu Exekutivangelegenheiten außerhalb des Gesetzes zu erlassen, das Parlament indirekt aufzulösen, indem er Parlaments- und Präsidentschaftswahlen ausruft, das Regierungsbudget zu erstellen und 4 von 13 Mitgliedern des Rates der Richter und Staatsanwälte sowie 12 von 15 Richtern des Verfassungsgerichtshofes zu ernennen. Wenn drei Fünftel des Parlamentes zustimmen, kann dieses eine parlamentarische Untersuchung mutmaßlicher strafrechtlicher Handlungen des Präsidenten, der Vizepräsidenten und der Minister im Zusammenhang mit ihren Aufgaben einleiten. Der Präsident darf keine Dekrete in Bereichen erlassen, die durch die Verfassung der Legislative vorbehalten sind. Der Präsident hat jedoch das Recht, gegen jedes Gesetz ein Veto einzulegen, obgleich das Parlament mit absoluter Mehrheit ein solches Veto außer Kraft setzen kann, während das Parlament nur beim Verfassungsgericht die Nichtigkeitserklärung von Präsidialdekreten beantragen kann (EC 29.5.2019).

Zunehmende politische Polarisierung verhindert weiterhin einen konstruktiven parlamentarischen Dialog. Die Marginalisierung der Opposition, insbesondere der HDP, hält an. Viele der HDP-Abgeordneten sowie deren beide ehemaligen Ko-Vorsitzende befinden sich nach wie vor in Haft (Stand Ende Dezember 2020), im Falle von Selahattin Demirta? trotz eines neuerlichen Urteils des EGMR, diesen sofort frei zu lassen (ZO 22.12.2020). Die Unzulänglichkeiten des Systems der parlamentarischen Immunität, das die Meinungsfreiheit von gewählten Amtsträgern außerhalb des Parlaments einschränkt, bleiben ungelöst (EC 6.10.2020).

Trotz der Aufhebung des zweijährigen Ausnahmezustands im Juli 2018 wirkt sich dieser negativ auf Demokratie und Grundrechte aus. Einige gesetzliche Bestimmungen, die den Regierungsbehörden außerordentliche Befugnisse einräumen und mehrere restriktive Elemente des Notstandsrechtes wurden beibehalten und ins Gesetz integriert (EC 6.10.2020). Nach dem Ende des Ausnahmezustandes am 18.7.2018 verabschiedete das Parlament ein Gesetzespaket mit Anti-Terrormaßnahmen, das vorerst auf drei Jahre befristet ist (NZZ 18.7.2018; vgl. ZO 25.7.2018). In 27 Paragrafen wird geregelt, wie der Staat den Kampf gegen den Terror auch im Normalzustand weiterführen will. So behalten die Gouverneure einen Teil ihrer Befugnisse aus dem Ausnahmezustand. Sie dürfen weiterhin Menschen bei Verdacht, dass sie "die öffentliche Ordnung oder Sicherheit stören", bis zu 15 Tage den Zugang zu bestimmten Orten und Regionen verwehren und die Versammlungsfreiheit einschränken. Der neue Gesetzestext regelt auch im Detail, wie Richter, Sicherheitskräfte oder Ministeriumsmitarbeiter entlassen werden können (ZO 25.7.2018). Mehr als 152.000 Beamte, darunter Akademiker, Lehrer, Polizisten, Gesundheitspersonal, Richter und Staatsanwälte, wurden durch Notverordnungen entlassen. Mehr als 150.000 Personen wurden während des Ausnahmezustands verhaftet und mehr als 78.000 aufgrund Vorwürfen mit Terrorismusbezug festgenommen (EC 29.5.2019).

Im September 2016 verabschiedete die Regierung ein Dekret, das die Ernennung von "Treuhändern" anstelle von gewählten Bürgermeistern, stellvertretenden Bürgermeistern oder Mitgliedern von Gemeinderäten, die wegen Terrorismusvorwürfen suspendiert wurden, erlaubt. Dieses Dekret wurde im Südosten der Türkei vor und nach den Kommunalwahlen 2019 großzügig angewandt (DFAT 10.9.2020). Mit Stand Oktober 2020 war die Zahl der Gemeinden, denen aufgrund der Lokalwahlen vom März 2019 ursprünglich ein Bürgermeister aus den Reihen der HDP vorstand (insgesamt 65) um 48 reduziert. Die Zentralregierung entfernte die gewählten Bürgermeister, hauptsächlich mit der Begründung, dass diese angeblich Verbindungen zu terroristischen Organisationen hatten, und ersetzte sie durch Treuhänder (EC 6.10.2020; vgl. bianet 2.10.2020). Die Kandidaten waren jedoch vor den Wahlen überprüft worden, sodass ihre Absetzung noch weniger gerechtfertigt war. Hunderte von HDP-Kommunalpolitikern und gewählten Amtsinhabern sowie Tausende von Parteimitgliedern wurden wegen terroristischer Anschuldigungen inhaftiert. Da keine Anklage erhoben wurde, verstießen laut Europäischer Kommission diese Maßnahmen gegen die Grundprinzipien einer demokratischen Ordnung, entzogen den Wählern ihre politische Vertretung auf lokaler Ebene und schadeten der lokalen Demokratie (EC 6.10.2020).

[siehe auch die Kapitel: Rechtsschutz/Justizwesen, Sicherheitsbehörden, Opposition und Gülen- oder Hizmet-Bewegung]

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (24.8.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2037143/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_T%C3%BCrkei_%28Stand_Juni_2020%29%2C_24.08.2020.pdf, Zugriff 1.10.2020

Anadolu – Anadolu Agency (23.6.2019): CHP's Imamoglu wins Istanbul’s mayoral poll, https://www.aa.com.tr/en/politics/chps-imamoglu-wins-istanbul-s-mayoral-poll/1513613, Zugriff 20.10.2020

bianet (2.10.2020): Co-Mayor Ayhan Bilgen arrested, trustee appointed to Kars Municipality, http://bianet.org/english/politics/231997-co-mayor-ayhan-bilgen-arrested-trustee-appointed-to-kars-municipality, Zugriff 5.10.2020

bpb – Bundeszentrale für politische Bildung [Deutschland] (9.7.2018): Das "neue" politische System der Türkei, https://www.bpb.de/internationales/europa/tuerkei/255789/das-neue-politische-system-der-tuerkei, Zugriff 20.10.2020

DFAT – Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (10.9.2020): DFAT Country Information Report Turkey, https://www.ecoi.net/en/file/local/2038892/country-information-report-turkey.pdf, Zugriff 20.10.2020

EC – European Commission (6.10.2020): Turkey 2020 Report [SWD (2020) 355 final], https://ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/sites/near/files/turkey_report_2020.pdf, Zugriff 9.10.2020

EC – European Commission (29.5.2019): Turkey 2019 Report [SWD(2019) 220 final], https://www.ecoi.net/en/file/local/2010472/20190529-turkey-report.pdf, Zugriff 9.10.2020

FAZ – Frankfurter Allgemeine Zeitung (23.6.2019): Erdogan gratuliert Imamoglu zum Wahlsieg in Istanbul, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/wieder-niederlage-fuer-erdogans-akp-in-istanbul-16250529.html, Zugriff 20.10.2020

HDN – Hürriyet Daily News (27.6.2018): 24. Juni 2018, Ergebnisse Präsidentschaftswahlen, Ergebnisse Parlamentswahlen, https://web.archive.org/web/20180730173700/http://www.hurriyetdailynews.com:80/wahlen-turkei-2018, Zugriff 20.10.2020

HDN – Hürriyet Daily News (16.4.2017): Turkey approves presidential system in tight referendum, http://www.hurriyetdailynews.com/live-turkey-votes-on-presidential-system-in-key-referendum.aspx?pageID=238&nID=112061&NewsCatID=338, Zugriff 20.10.2020

NZZ – Neue Zürcher Zeitung (23.6.2019): Niederlage für Erdogans AKP: CHP-Kandidat Imamoglu gewinnt erneut die Bürgermeisterwahl in Istanbul, https://www.nzz.ch/international/niederlage-fuer-erdogans-akp-chp-kandidat-imamoglu-gewinnt-erneut-die-buergermeisterwahl-in-istanbul-ld.1490981, Zugriff 20.10.2020

NZZ – Neue Zürcher Zeitung (18.7.2018): Wie es in der Türkei nach dem Ende des Ausnahmezustands weiter geht, https://www.nzz.ch/international/tuerkei-wie-es-nach-dem-ende-des-ausnahmezustands-weitergeht-ld.1404273, Zugriff 25.1.2021

ÖB – Österreichische Botschaft – Ankara [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2044096/TUER_%C3%96B+Asyll%C3%A4nderbericht_10_2020.pdf, Zugriff 20.10.2020

OSCE – Organization for Security and Cooperation in Europe (22.6.2017): Turkey, Constitutional Referendum, 16 April 2017: Final Report, http://www.osce.org/odihr/elections/turkey/324816?download=true, Zugriff 20.10.2020

OSCE/PACE – Organization for Security and Cooperation in Europe/ Parliamentary Assembly of the Council of Europe (17.4.2017): INTERNATIONAL REFERENDUM OBSERVATION MISSION, Republic of Turkey – Constitutional Referendum, 16 April 2017 - Statement of Preliminary Findings and Conclusions, https://www.osce.org/odihr/elections/turkey/311721?download=true, Zugriff 20.10.2020

OSCE/ODIHR – Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights (21.9.2018): Turkey, Early Presidential and Parliamentary Elections, 24 June 2018: Final Report,https://www.osce.org/odihr/elections/turkey/397046?download=true, 20.10.2020

Standard – Der Standard (23.6.2019): Opposition gewinnt Wahlwiederholung in Istanbul, https://derstandard.at/2000105305388/Imamoglu-bei-Auszaehlung-der-Wahlwiederholung-in-Istanbul-in-Fuehrungin-Istanbul, Zugriff 20.10.2020

Standard – Der Standard (1.4.2019): Erdo?ans AKP verliert bei türkischer Kommunalwahl die Großstädte, https://derstandard.at/2000100581333/Erdogans-AKP-verliert-die-tuerkischen-Grossstaedte, Zugriff 20.10.2020

ZO - Zeit Online (22.12.2020): Menschenrechtshof fordert Freilassung von türkischem Oppositionellen, https://www.zeit.de/politik/2020-12/selahattin-demirtas-europaeischer-gerichtshof-menschenrechte-tuerkei, Zugriff 28.12.2020

ZO - Zeit Online (25.7.2018): Türkei verabschiedet Antiterrorgesetz, https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-07/tuerkisches-parlament-verabschiedung-neue-gesetze-anti-terror-massnahmen, Zugriff 20.10.2020

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 26.01.2021

Die Türkei steht vor einer Reihe von Herausforderungen im Bereich der inneren und äußeren Sicherheit. Dazu gehören der wieder aufgeflammte Konflikt zwischen den staatlichen Sicherheitskräften und der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) im Südosten des Landes, externe Sicherheitsbedrohungen im Zusammenhang mit der Beteiligung der Türkei an Konflikten in Syrien und im Irak sowie die Bedrohung durch Terroranschläge durch interne und externe Akteure (DFAT 10.9.2020).

Die Regierung sieht die Sicherheit des Staates durch mehrere Akteure gefährdet: namentlich durch die seitens der Türkei zur Terrororganisation erklärten Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen, durch die auch in der EU als Terrororganisation gelistete PKK, durch, aus türkischer Sicht, mit der PKK verbundene Organisationen, wie die YPG in Syrien, durch den sogenannten Islamischen Staat (IS) und weitere terroristische Gruppierungen, wie der linksextremistischen DHKP-C. Die Ausrichtung des staatlichen Handelns auf die "Terrorbekämpfung" und die Sicherung "nationaler Interessen" hat infolgedessen ein sehr hohes Ausmaß erreicht. Die Türkei musste von Sommer 2015 bis Ende 2017 eine der tödlichsten Serien terroristischer Anschläge ihrer Geschichte verkraften, vornehmlich durch die PKK und ihre Ableger, den sog. IS und im geringen Ausmaß durch die DHKP-C (AA 24.8.2020; vgl. SD 29.6.2016, AJ 12.12.2016).

Die Lage im Südosten des Landes ist weiterhin sehr besorgniserregend (EC 6.10.2020). Dort sind die Spannungen besonders groß und es kommt immer wieder zu Ausschreitungen und bewaffneten Zusammenstößen (EDA 28.12.2020).Die Regierung setzte die inneren und grenzüberschreitenden Sicherheits- und Militäroperationen im Irak und in Syrien sowie innerhalb des Landes fort (USDOS 24.6.2020; vgl. EC 6.10.2020). In den Grenzgebieten ist die Sicherheitslage durch wiederkehrende Terrorakte der PKK prekärer (EC 6.10.2020). In den größeren Städten und in den Grenzregionen zu Syrien kann es zu Demonstrationen und Ausschreitungen kommen (EDA 28.12.2020).

Laut der türkischen Menschenrechtsvereinigung (?HD) kamen 2019 bei bewaffneten Auseinandersetzungen 440 Personen ums Leben, davon 98 Angehörige der Sicherheitskräfte, 324 bewaffnete Militante und 18 Zivilisten (?HD 18.5.2020a). 2018 starben 502 Personen, davon 107 Sicherheitskräfte, 391 bewaffnete Militante und vier Zivilisten (?HD 19.4.2019). 2017 betrug die Zahl der Todesopfer 656 (?HD 24.5.2018) und 2016, am Höhepunkt der bewaffneten Auseinandersetzungen, 1.757 (?HD 1.2.2017). Die International Crisis Group zählte seit dem Wiederaufflammen der Kämpfe fast 5.200 Tote (PKK-Kämpfer, Sicherheitskräfte, Zivilisten) im Zeitraum Juli 2015 bis 10.12.2020. Im Jahr 2020 wurden bis zum 10.12.2020 311 Opfer registriert. Besonders hoch waren die Zahlen in den Monaten Mai bis September 2020 (ICG 20.12.2020). Es gab keine Entwicklungen hinsichtlich der Wiederaufnahme eines glaubwürdigen politischen Prozesses zur Erzielung einer friedlichen und nachhaltigen Lösung (EC 6.10.2020).

Die innenpolitischen Spannungen und die bewaffneten Konflikte in den Nachbarländern Syrien und Irak haben Auswirkungen auf die Sicherheitslage (EDA 8.10.2020). Im Grenzgebiet der Türkei zu Syrien und Irak, insbesondere in Diyarbak?r, Cizre, Silopi, Idil, Yüksekova und Nusaybin sowie generell in den Provinzen Mardin , ??rnak und Hakkâri bestehen erhebliche Gefahren durch angrenzende Auseinandersetzungen. In den Provinzen Hatay, Kilis, Gaziantep, ?anl?urfa, Diyarbak?r, Mardin , Batman, Bitlis, Bingöl, Siirt, Mu?, Tunceli, ??rnak, Hakkâri und Van besteht ein erhöhtes Risiko. In den genannten Gebieten werden immer wieder "zeitweilige Sicherheitszonen" eingerichtet und regionale Ausgangssperren verhängt. Zur Einrichtung von Sicherheitszonen und Verhängung von Ausgangssperren kam es bisher insbesondere im Gebiet südöstlich von Hakkâri entlang der Grenze zum Irak sowie in Diyarbak?r und Umgebung sowie südöstlich der Ortschaft Cizre (Dreiländereck Türkei-Syrien-Irak), aber auch in den Provinzen Gaziantep, Kilis, Urfa, Hakkâri, Batman und A?r? (AA 28.12.2020a).

Das türkische Parlament stimmte (mit Ausnahme der pro-kurdischen HDP) am 7.10.2020 einem Gesetzentwurf zu, das Mandat für grenzüberschreitende Militäroperationen sowohl im Irak als auch in Syrien um ein weiteres Jahr zu verlängern (BAMF 19.10.2020).

Die Sicherheitskräfte verfügen auch nach Beendigung des Ausnahmezustandes weiterhin über die Möglichkeit, die Bewegungs- und Versammlungsfreiheit einzuschränken sowie kurzfristig lokale Ausgangssperren zu verhängen (EDA 28.12.2020).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.12.2020a): Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/tuerkei-node/tuerkeisicherheit/201962#content_1, Zugriff 28.12.2020

AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (24.8.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2037143/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_T%C3%BCrkei_%28Stand_Juni_2020%29%2C_24.08.2020.pdf, Zugriff 7.10.2020

AJ – Al Jazeera (12.12.2016): Turkey detains pro-Kurdish party officials after attack, https://www.aljazeera.com/news/2016/12/12/turkey-detains-pro-kurdish-party-officials-after-attack/, Zugriff 8.10.2020

BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (19.10.2020): Briefing Notes 12. Oktober 2020, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2020/briefingnotes-kw43-2020.pdf?__blob=publicationFile&v=6, Zugriff 28.10.2020

DFAT – Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (10.9.2020): DFAT Country Information Report Turkey, https://www.ecoi.net/en/file/local/2038892/country-information-report-turkey.pdf, Zugriff 20.10.2020

EC – European Commission (6.10.2020): Turkey 2020 Report [SWD (2020) 355 final], https://ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/sites/near/files/turkey_report_2020.pdf, Zugriff 19.10.2020

EDA – Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten [Schweiz] (28.12.2020): Reisehinweise Türkei, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/tuerkei/reisehinweise-fuerdietuerkei.html, Zugriff 28.12.2020

ICG – International Crisis Group (20.12.2020): Turkey’s PKK Conflict: A Visual Explainer, https://www.crisisgroup.org/content/turkeys-pkk-conflict-visual-explainer, Zugriff 28.12.2020

?HD – ?nsan Haklar? Derne?i – Human Rights Association (18.5.2020a): 2019 Summary Table of Human Rights Violations In Turkey, https://ihd.org.tr/en/wp-content/uploads/2020/05/2019-SUMMARY-TABLE-OF-HUMAN-RIGHTS-VIOLATIONS-IN-TURKEY.pdf, Zugriff 7.10.2020

?HD – ?nsan Haklar? Derne?i – Human Rights Association (19.4.2019): 2018 Summary Table of Human Rights Violations In Turkey, https://ihd.org.tr/en/wp-content/uploads/2019/05/2018-SUMMARY-TABLE-OF-HUMAN-RIGHTS-VIOLATIONS-IN-TURKEY.pdf, Zugriff 20.10.2020

?HD – ?nsan Haklar? Derne?i – Human Rights Association (24.5.2018): 2017 Summary Table of Human Rights Violations In Turkey, http://ihd.org.tr/en/wp-content/uploads/2018/05/IHD_2017_balance-sheet-1.pdf, Zugriff 17.10.2020

?HD – ?nsan Haklar? Derne?i – Human Rights Association (1.2.2017): IHD’s 2016 Report on Human Rights Violations in Eastern and Southeastern Anatolia Region, https://ihd.org.tr/en/ihds-2016-report-on-human-rights-violations-in-eastern-and-southeastern-anatolia/, Zugriff 19.10.2020

SD – Süddeutsche Zeitung (29.6.2016) [ANM.: Ohne ein Aktualisierungsdatum zu nennen, sind Ereignisse bis Jän. 2017 hinzugefügt]: Chronologie des Terrors in der Türkei, https://www.sueddeutsche.de/politik/tuerkei-der-terror-begann-in-suruc-1.3316595, Zugriff 19.10.2020

USDOS – United States Department of State [USA] (24.6.2020): Country Report on Terrorism 2019 – Chapter 1 – Turkey, https://www.ecoi.net/de/dokument/2032441.html, Zugriff 19.10.2020

Sicherheitsbehörden

Letzte Änderung: 26.01.2021

Die nationale Polizei, die unter der Kontrolle des Innenministeriums steht, ist für die Sicherheit in großen Stadtgebieten verantwortlich (AA 24.8.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). Die Jandarma, eine paramilitärische Truppe, die sich teils aus Wehrpflichtigen rekrutiert, ist für ländliche Gebiete und spezifische Grenzgebiete zuständig (AA 24.8.2020; vgl. USDOS 11.3.2020, ÖB 10.2020), obwohl das Militär die Gesamtverantwortung für die Grenzkontrolle und die allgemeine Außensicherheit trägt (USDOS 11.3.2020). Die Jandarma mit einer Stärke von 180.000 Bediensteten wurde nach dem Putschversuch 2016 dem Innenministerium unterstellt, zuvor war diese dem Verteidigungsministerium unterstellt (ÖB 10.2020). Es gab Berichte, dass Jandarma-Kräfte, die zeitweise eine paramilitärische Rolle spielen und manchmal als Grenzschutz fungieren, auf Asylsuchende syrischer und anderer Nationalitäten schossen, die versuchten, die Grenze zu überqueren, was zu Tötungen oder Verletzungen von Zivilisten führte (USDOS 11.3.2020). Die Jandarma beaufsichtigt auch die sog. "Sicherheitskräfte" [Güvenlik Köy Korucular?], die vormaligen "Dorfschützer", eine zivile Miliz, die zusätzlich für die lokale Sicherheit im Südosten sorgen soll, vor allem als Reaktion auf die terroristische Bedrohung durch die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) (USDOS 13.3.2019). Die Polizei und mehr noch der Nationale Nachrichtendienst (Millî ?stihbarat Te?kilât? - M?T) haben unter der Regierung der Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) an Einfluss gewonnen. Seit den Auseinandersetzungen mit der Gülen-Bewegung ist die Polizei aber auch selbst zum Objekt umfangreicher Säuberungen geworden (AA 24.8.2020).

Die 2008 abgeschaffte Nachtwache (Bekçi) wurde 2016 nach dem gescheiterten Putschversuch wiedereingeführt. Seitdem wurden mehr als 29.000 junge Männer (TM 28.11.2020) mit nur kurzer Ausbildung als Nachtwache eingestellt. Angehörige der Nachtwache trugen ehemals nur Schlagstöcke und Pfeifen, mit denen sie Einbrecher und Kleinkriminelle anhielten (BI 10.6.2020). Mit einer Gesetzesänderung im Juni 2020 wurden ihre Befugnisse, u.a. Waffeneinsatz und Personenkontrollen, gegen Kritik der Opposition erweitert (AA 24.8.2020; vgl. BI 10.6.2020, Spiegel 9.6.2020). Festnahmen und Verhöre sind ihnen jedoch nicht erlaubt (TRT 11.6.2020). Sie sollen für öffentliche Sicherheit in ihren eigenen Stadtteilen sorgen, werden von Regierungskritikern aber als "AKP-Miliz" kritisiert (AA 24.8.2020; vgl. BI 10.6.2020, Spiegel 9.6.2020). Den Einsatz im eigenen Wohnvierteln sehen Kritiker als Beleg dafür, dass die Hilfspolizei der Bekçi die eigene Nachbarschaft nicht schützen, sondern viel mehr bespitzeln soll (Spiegel 9.6.2020). Human Rights Watch kritisierte, dass angesichts der weit verbreiteten Kultur der polizeilichen Straffreiheit die Aufsicht über die Beamten der Nachtwache noch unklarer und vager als bei der regulären Polizei sei (Guardian 8.6.2020).

Nachrichtendienstliche Belange werden bei der Türkischen Nationalpolizei (TNP) durch den polizeilichen Nachrichtendienst (?stihbarat Dairesi Ba?kanl??? - IDB) abgedeckt. Dessen Schwerpunkt liegt auf Terrorbekämpfung, Kampf gegen organisierte Kriminalität und Zusammenarbeit mit anderen türkischen Nachrichtendienststellen. Ebenso unterhält die Jandarma einen auf militärische Belange ausgerichteten Nachrichtendienst. Ferner existiert der Nationale Nachrichtendienst M?T, der seit September 2017 direkt dem Staatspräsidenten unterstellt ist (zuvor dem Amt des Premierministers) und dessen Aufgabengebiete der Schutz des Territoriums, des Volkes, der Aufrechterhaltung der staatlichen Integrität, der Wahrung des Fortbestehens, der Unabhängigkeit und der Sicherheit der Türkei sowie deren Verfassung und der verfassungskonformen Staatsordnung sind. Die Gesetzesnovelle vom April 2014 brachte dem M?T erweiterte Befugnisse zum Abhören von privaten Telefongesprächen und zur Sammlung von Informationen über terroristische und internationale Straftaten. M?T-Agenten besitzen eine erweiterte Immunität gegenüber dem Gesetz. Gefängnisstrafen von bis zu zehn Jahren sind für Personen, die Geheiminformation veröffentlichen, vorgesehen. Auch Personen, die dem M?T Dokumente bzw. Informationen vorenthalten, drohen bis zu fünf Jahre Haft (ÖB 10.2020).

Der Polizei wurden im Zuge der Abänderung des Sicherheitsgesetzes im März 2015 weitreichende Kompetenzen übertragen. Das Gesetz sieht seitdem den Gebrauch von Schusswaffen gegen Personen vor, welche Molotow-Cocktails, Explosiv- und Feuerwerkskörper oder ähnliches, etwa im Rahmen von Demonstrationen, einsetzen, oder versuchen einzusetzen (NZZ 27.3.2015; vgl. FAZ 27.3.2015, HDN 27.3.2015). Die Polizei kann auf Grundlage einer mündlichen oder schriftlichen Einwilligung des Leiters der Verwaltungsbehörde eine Person, ihren Besitz und ihr privates Verkehrsmittel durchsuchen. Der Gouverneur kann die Exekutive anweisen, Gesetzesbrecher ausfindig zu machen (Anadolu 27.3.2015).

Die Transparenz und Rechenschaftspflicht von Militär, Polizei und Geheimdiensten gegenüber dem Parlament sind jedoch nach wie vor begrenzt. Das Sicherheitspersonal genießt weiterhin einen weitreichenden Rechtsschutz. Die Erfolgsbilanz bei der gerichtlichen und administrativen Prüfung von Vorwürfen von Menschenrechtsverletzungen und unverhältnismäßiger Gewaltanwendung durch die Sicherheitskräfte ist weiterhin schlecht. Die parlamentarische Aufsichtskommission für die Strafverfolgung ist wirkungslos geblieben (EC 6.10.2020; vgl. ÖB 10.2020).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (24.8.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2037143/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_T%C3%BCrkei_%28Stand_Juni_2020%29%2C_24.08.2020.pdf, Zugriff 9.11.2020

Anadolu – Anadolu Agency (27.3.2015): Turkey: Parliament approves domestic security package, http://www.aa.com.tr/en/s/484662--turkey-parliament-approves-domestic-security-package, Zugriff 10.11.2020

BI – Balkan Insight (10.6.2020): Turkey Opposition Condemns Move to Arm Night Watchmen, https://balkaninsight.com/2020/06/10/turkey-opposition-condemns-move-to-arm-night-watchmen/, Zugriff 9.11.2020

EC – European Commission (6.10.2020): Turkey 2020 Report [SWD (2020) 355 final], https://ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/sites/near/files/turkey_report_2020.pdf, Zugriff 10.11.2020

FAZ – Frankfurter Allgemeine Zeitung (27.3.2015): Die Polizei bekommt mehr Befugnisse, http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/europa/tuerkei/tuerkei-mehr-befugnisse-fuer-polizei-gegen-demonstranten-13509122.html, Zugriff 10.11.2020

Guardian – The Guardian (8.6.2020): Alarm at Turkish plan to expand powers of nightwatchmen, https://www.theguardian.com/world/2020/jun/08/alarm-at-turkish-plan-to-expand-powers-of-nightwatchmen, Zugriff 9.11.2020

HDN – Hürriyet Daily News (27.3.2015): Turkish main opposition CHP to appeal for the annulment of the security package, http://www.hurriyetdailynews.com/turkish-main-opposition-chp-to-appeal-for-the-annulment-of-the-security-package-.aspx?pageID=238&nID=80261&NewsCatID=338, Zugriff 10.11.2020

NZZ – Neue Zürcher Zeitung (27.3.2015): Mehr Befugnisse für die Polizei; Ankara zieht die Schraube an, http://www.nzz.ch/international/europa/ankara-zieht-die-schraube-an-1.18511712, Zugriff 10.11.2020

ÖB – Österreichische Botschaft - Ankara [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2044096/TUER_%C3%96B+Asyll%C3%A4nderbericht_10_2020.pdf, Zugriff 18.11.2020

Spiegel (9.6.2020): Erdogans Parallel-Polizei, https://www.spiegel.de/politik/ausland/tuerkei-nachbarschaftswache-recep-tayyip-erdogans-parallel-polizei-a-ece122d1-5df6-4fb9-bd24-fa44b687e5fd, Zugriff 9.11.2020

TM – Turkish Minute (28.11.2020): Erdo?an's army, https://www.turkishminute.com/2020/11/28/erdogans-army/, Zugriff 30.11.2020

TRT – TRT World (11.6.2020): Turkey's neighbourhood watchmen get more powers, wider remit, https://www.trtworld.com/turkey/turkey-s-neighbourhood-watchmen-get-more-powers-wider-remit-37184, Zugriff 9.11.2020

USDOS – United States Department of State [USA] (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 – Turkey, https://www.ecoi.net/en/document/2004277.html, Zugriff 9.11.2020

USDOS – United States Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Turkey, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026346.html, Zugriff 9.11.2020

Wehrdienst

Letzte Änderung: 26.01.2021

In den Artikeln 2, 25 und 26 des türkischen Wehrdienstgesetzes heißt es, dass jeder Mann in der Türkei zur Einberufung verpflichtet ist und sich ab dem 1. Jänner des Jahres, in dem er zwanzig Jahre alt wird, anmelden muss. Der Militärdienst gilt nicht für Frauen. Wehrpflichtiger bleibt man bis zum 1. Jänner des Jahres, in dem man 41 wird. Im Falle einer Mobilmachung können Männer bis zu ihrem 65. Lebensjahr zum Militärdienst einberufen werden. Türkische Staatsbürger, die ihren rechtmäßigen Wohnsitz im Ausland haben, sind ab dem Jahr, in dem sie 19 Jahre alt werden, bis zum Ende des Jahres, in dem sie 38 Jahre alt werden, verpflichtet, der Einberufung zu folgen. Männer, die sich freiwillig zur Teilnahme an den Streitkräften melden, können dies ab dem Alter von 18 Jahren tun. Die türkischen Gesetze und Verordnungen sehen nur für Kranke oder Behinderte und für Einberufungspflichtige, deren Bruder während des Militärdienstes im Kampf gestorben ist, eine Ausnahme vom Militärdienst vor. Darüber hinaus ist es in der Praxis möglich, eine Ausnahmeregelung zu erhalten, indem man erklärt, dass man homosexuell ist. Die Verschiebung des Militärdienstes kann auf Grundlage des Gesetzes 1111, Artikel 35, erfolgen: Ein diesbezüglicher Antrag kann aus Gründen der Unentbehrlichkeit für jemanden eingereicht werden, der für die Regierung, die (Verteidigungs-)Industrie oder als Berufssportler arbeitet; wenn die Person noch studiert (Universitäten übermitteln eine standardisierte Aufschiebung für ihre Studenten); wenn die Person im Ausland arbeitet; und bei schlechter Gesundheit (mit ärztlicher Bestätigung). Eine Verschiebung des Militärdienstes kann auch wegen Inhaftierung beantragt werden. In der Regel wird eine Verschiebung um ein Jahr gewährt. Diese kann bei Vorlage der richtigen Unterlagen um ein Jahr verlängert werden. Das türkische Wehrgesetz erlaubt es Studenten, die zum Militärdienst einberufen werden, zunächst ihre Universitätsausbildung (bis zu dem Jahr, in dem sie 30 Jahre alt werden) oder ihre Postdoc-Ausbildung und Forschung (bis zu dem Jahr, in dem sie 36 Jahre alt werden) abzuschließen (MFA-NL 11.7.2019). Der Einsatzort für den Wehrdienst wird durch das Los bestimmt (ÖB 10.2020). Die Armee hat vor einigen Jahren den Einsatz von Wehrpflichtigen im Kampf eingestellt (MFA-NL 11.7.2019).

Mit dem Gesetz 7179 vom Juni 2019 wurde der Wehrdienst auf sechs Monate verkürzt, und die Möglichkeit des Freikaufs vom Wehrdienst permanent geregelt. Bis dahin gab es nur befristete Regelungen (ÖB 10.2020). Dem Staatspräsidenten obliegt es, die Dauer festzulegen. Allerdings dürfen die sechs Monate nicht unterschritten werden (HDN 25.6.2019). Nach dem Freikauf aus dem Wehrdienst muss lediglich eine Grundausbildung von 21 Tagen abgeleistet werden. Wehrpflichtige Auslandstürken absolvieren statt dieser verkürzten Grundausbildung einen Fernkurs gemäß den Vorgaben des Verteidigungsministeriums und müssen nicht mehr einrücken. Die Höhe der im Hinblick auf den Freikauf zu bezahlende Summe beläuft sich mit Stand Oktober 2020 auf rund € 5.560 (ÖB 10.2020). Für im Ausland lebende türkische Staatsbürger gilt als Voraussetzung, dass sie seit mindestens drei Jahre arbeiten, exklusive der Zeit, die sie im Inland verbracht haben. Dies gilt auch für Doppelstaatsbürger - für sie gilt ebenfalls die türkische Wehrpflicht - jedoch auch ohne Arbeitsverhältnis als Bedingung (ÖB 10.2020). Nebst Personen, die sich dem Militärdienst entziehen, und Deserteuren (Connection e.V. 11.7.2019; vgl. DFAT 10.9.2020) sind u.a. auch jene im Ausland lebenden Staatsbürger von der Freikaufsoption ausgeschlossen, die eine Aufenthalts- oder Arbeitserlaubnis infolge eines Asylantrages erhalten haben (ÖB 10.2020).

Gemäß Bestimmungen der Disziplinarordnung sowie der Gesundheitsrichtlinie des türkischen Militärs fällt Homosexualität immer noch unter "fortgeschrittene psychosexuelle Störungen". Angehörige sexueller Minderheiten gelten als untauglich bzw. werden bei Bekanntwerden ihrer Orientierung aus der Armee entfernt. Ein Gesetz vom Januar 2018 über Disziplinarmaßnahmen für Sicherheitskräfte sah vor, dass "abnormale bzw. perverse" Handlungen für das gesamte Sicherheitspersonal ein Grund zur Entlassung sind (ÖB 10.2020; vgl. EC 6.10.2020). Die Homosexualität oder Transsexualität muss dabei durch psychologische Tests und Behandlungen sowie manchmal durch visuelle "Beweismittel" nachgewiesen werden (ÖB 10.2020; vgl. AA 24.8.2020).

Medienberichten zufolge erlitten einige Rekruten, die ihren Wehrdienst ableisteten, schwere Schikanen, körperliche Misshandlungen und Folterungen, die manchmal zu Selbstmord führten (USDOS 11.3.2020). Türkische Menschenrechtsorganisationen berichteten von mindestens 17 fragwürdigen Todesfällen im Jahr 2019 (USDOS 11.3.2020; vgl. ?HD 18.5.2020b).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (24.8.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2037143/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_T%C3%BCrkei_%28Stand_Juni_2020%29%2C_24.08.2020.pdf, Zugriff 19.11.2020

Connection e.V. (11.7.2019): Freikaufsregelung, Ausbürgerung, Ausmusterung und Asyl, https://de.connection-ev.org/article-1609, Zugriff 19.11.2020

DFAT – Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (10.9.2020): DFAT Country Information Report Turkey, https://www.ecoi.net/en/file/local/2038892/country-information-report-turkey.pdf, Zugriff 19.11.2020

EC – European Commission (6.10.2020): Turkey 2020 Report [SWD (2020) 355 final], https://ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/sites/near/files/turkey_report_2020.pdf, Zugriff 19.11.2020

HDN – Hürriyet Daily News (25.6.2019): Parliament adopts bill reducing conscription, making paid military service exemption permanent, http://www.hurriyetdailynews.com/turkish-parliament-ratifies-new-military-service-law-144475, Zugriff 19.11.2020

?HD – ?nsan Haklar? Derne?i – Human Rights Association (18.5.2020b): ?HD 2019 report on human rights violations in Turkey, https://ihd.org.tr/en/wp-content/uploads/2020/05/I%CC%87HD-2019-VIOLATIONS-REPORT.pdf, Zugriff 19.11.2020

MFA-NL – The Ministry of Foreign Affairs of the Netherlands (11.7.2019): Thematic Country of Origin Information Report Turkey: Military service, https://www.rijksoverheid.nl/binaries/rijksoverheid/documenten/ambtsberichten/2019/07/11/thematisch-ambtsbericht-dienstplicht-turkije-juli-2019/EN+Tab+Turkije+dienstplicht+4+juli+2019+zonder+vertrouwelijke+bronnen.pdf, Zugriff 19.11.2020

ÖB – Österreichische Botschaft – Ankara (10.2020): Asylländerbericht Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2044096/TUER_%C3%96B+Asyll%C3%A4nderbericht_10_2020.pdf, Zugriff 19.11.2020

USDOS – United States Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Turkey, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026346.html, Zugriff 19.11.2020

Kurdisch-stämmige Rekruten in der Armee

Letzte Änderung: 26.01.2021

Das Gesetz in der Türkei macht keinen Unterschied zwischen Menschen unterschiedlicher ethnischer Herkunft. Dies gilt auch für die Vorschriften über den Militärdienst und die Rekrutierung (MFA-NL 11.7.2019). Es gibt keine Hinweise darauf, dass kurdisch-stämmige Rekruten alleine wegen ihrer Abstammung anders behandelt werden (VB 4.6.2019). Daher ist es möglich, dass ein türkischer Wehrpflichtiger kurdischer Herkunft in einer

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten