Entscheidungsdatum
01.07.2021Norm
B-VG Art133 Abs4Spruch
W170 2242130-1/9E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Thomas MARTH über die Beschwerde von XXXX , vertreten durch Rechtsanwalt Mag. Martin Winter, gegen das Disziplinarerkenntnis des Kontingentskommandanten AUTCON43/KFOR vom 01.04.2021, GZ 0672-0940/natFü/NSE/2021, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A) Der Beschwerde wird gemäß §§ 27, 28 Abs. 2 VwGVG, § 2 Abs. 1 HDG stattgegeben und XXXX von dem Vorwurf, er habe am 09.03.2021 im Camp VILLAGIO ITALIA/PEC den schriftlichen Befehl des Kontingentskommandanten, den Sachverhalt bzgl. der getroffenen Personalmaßnahmen im XXXX , nämlich die Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen XXXX wegen des Verdachts einer gerichtlich strafbaren Handlung und dessen temporäre Entbindung von seiner Funktion als Kommandant der XXXX , nicht an das NKBN/RC-W zu melden, vorsätzlich nicht befolgt und dem Kdt NKBN/RC-W, Obstlt AKIN (türkisches Kontingent), den oben angeführten Sachverhalt gemeldet,
freigesprochen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Das Bundesverwaltungsgericht hat über die rechtzeitige und zulässige Beschwerde erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. XXXX gehörte jedenfalls im Februar und März 2021 sowie zum jetzigen Entscheidungszeitpunkt dem Präsenzstand an und befand bzw. befindet sich im Auslandseinsatz im Kosovo; er wurde bis zum 03.02.2021 als Stellvertreter des Kommandanten der XXXX , XXXX , verwendet und hat dessen Aufgaben, als XXXX von der genannten Funktion entbunden wurde, wahrgenommen.
1.2. Am 03.02.2021 wurde XXXX mit schriftlichem Befehl des (österreichischen) Kontingentskommandanten vom gleichen Tag, Zl. 00192-0940/natFü/NSE/2021, mit sofortiger Wirkung temporär von seiner Funktion als Kommandant der XXXX entbunden und hatte sich in einer anderen Einrichtung zu melden. Die Aufgaben des Kommandanten der XXXX hatte nach diesem Befehl bis auf weiteres XXXX wahrzunehmen. Weiters wurde angeordnet: „Diese Personalmaßnahme ist vorerst national zu behandeln - eine Meldung des Sachverhaltes an das NKBN/RC-W hat zu unterbleiben.“ XXXX wurde dieser schriftliche Befehl am 03.02.2021 übergeben, er konnte diesen lesen und hat ihn zur Kenntnis genommen sowie diesen Umstand durch seine Unterschrift bestätigt. Dann musste er den Befehl wieder zurückgeben, ihm wurde keine Kopie ausgefolgt.
XXXX hat diesen Befehl als Befehl an sich und seine Untergebenen verstanden, so war dieser auch gemeint. XXXX hat mit seiner Gruppe deren Kommandant er nunmehr war gesprochen, er hat den Soldaten der XXXX mitgeteilt, dass nunmehr er der Kommandant sei und dass der (österreichischen) Kontingentskommandant nicht wolle, dass die Maßnahme vorerst nach außen getragen werde.
1.3. XXXX hat vom 03.02.2021 bis zum 04.03.2021 von keinem Vorgesetzten mitgeteilt bekommen, dass der schriftliche Befehl des (österreichischen) Kontingentskommandanten vom 03.02.2021, Zl. 00192-0940/natFü/NSE/2021, aufgehoben sei; er hat allerdings mitbekommen, dass sich die Einleitung des Disziplinarverfahrens als auch die damit verbundene Personalmaßnahme gegen XXXX sowohl im Einsatzraum als auch bei bestimmten Personen in Österreich herumgesprochen hat.
Ab 01.03.2021 wurde die Personalstandsmeldung auch insoweit geändert, als dann XXXX und nicht mehr XXXX als Kommandant der XXXX geführt wurde.
1.4. Am 04.03.2021 traf XXXX in seiner Funktion als Kommandant der XXXX im Camp VILLAGIO ITALIA auf den ihm vorgesetzten Commanding Officer Non-Kinetic Battalion, XXXX ; dieser gehört zum türkischen Kontingent. Es kann nicht mehr festgestellt werden, ob das nachfolgende Gespräch von XXXX oder XXXX ausging, jedenfalls wollte XXXX im Verlaufe des Gesprächs von XXXX wissen, was mit XXXX passiert sei und hat diesen diesbezüglich verbal unter Druck gesetzt. XXXX hat XXXX mitgeteilt, dass gegen XXXX ein Disziplinarverfahren geführt werde und über Rückfrage von XXXX , ob es etwas mit einem Zivilisten bzw. einer Zivilistin sowie ob es mit der Putzfrau zu tun habe, hat XXXX jeweils „Ja“ gesagt.
XXXX wusste, dass der Befehl vom 03.02.2021 am 04.03.2021 noch aufrecht war, er hat einzig und alleine die Fragen des XXXX beantwortet, weil er von diesem verbal unter Druck gesetzt wurde; insbesondere hat XXXX nicht angeführt, dass er über diese Sache nicht sprechen dürfe und XXXX auch nicht an den (österreichischen) Kontingentskommandanten verwiesen. Ebenso war XXXX klar, dass der Befehl seines österreichischen Vorgesetzten dem eines ausländischen Vorgesetzten vorging, auch wenn ihm die einschlägige Rechtsgrundlage unbekannt sei.
1.5. Am 09.03.2021 war XXXX nicht im Camp VILLAGIO ITALIA sondern im etwa 100 km entfernten Verantwortungsbereich des XXXX . Er hat am 09.03.2021 nicht gegenüber XXXX die oben dargestellten Aussagen getätigt.
1.6. Mit (verfahrensgegenständlichem) Disziplinarerkenntnis des Kontingentskommandanten AUTCON43/KFOR vom 01.04.2021, GZ 0672-0940/natFü/NSE/2021, wurde XXXX schuldig gesprochen, am 09.03.2021 im Camp VILLAGIO ITALIA den schriftlichen Befehl des Kontingentskommandanten, den Sachverhalt bzgl. der getroffenen Personalmaßnahmen im XXXX , nämlich die Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen XXXX wegen des Verdachts einer gerichtlich strafbaren Handlung und dessen temporäre Entbindung von seiner Funktion als Kommandant der XXXX , nicht an das NKBN/RC-W zu melden, vorsätzlich nicht befolgt und dem Kdt NKBN/RC-W, XXXX (türkisches Kontingent), den oben angeführten Sachverhalt gemeldet zu haben und deshalb mit einer Disziplinarstrafe einer Geldbuße in der Höhe von € 250 bestraft. Der Bescheid wurde XXXX am 02.04.2021 zugestellt, die bezugnehmende Beschwerde wurde am 14.04.2021 bei der Behörde eingebracht.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Die Feststellungen zu 1.1. ergeben sich aus der Aktenlage sowie aus dem unwidersprochenen Vorbringen in der mündlichen Verhandlung.
2.2. Die Feststellungen zum Inhalt des Befehls vom 03.02.2021, Zl. 00192-0940/natFü/NSE/2021, ergeben sich aus der Aktenlage; der Inhalt wurde von den Parteien trotz ausdrücklichen Vorhalts in der mündlichen Verhandlung nicht bestritten. Dass dem Beschwerdeführer dieser schriftliche Befehl am 03.02.2021 übergeben wurde, er diesen lesen konnte und zur Kenntnis genommen sowie diesen Umstand durch seine Unterschrift bestätigt hat, ergibt sich aus der Aktenlage und der Aussage des Beschwerdeführers; dass der Beschwerdeführer den Befehl dann wieder zurückgeben musste und ihm keine Kopie ausgefolgt wurde, ergibt sich aus der Aussage des Beschwerdeführers, der die Behörde in der mündlichen Verhandlung nicht entgegengetreten ist.
Dass der Beschwerdeführer diesen Befehl als Befehl an sich und seine Untergebenen verstanden hat, ergibt sich einerseits aus der Aktenlage, insbesondere aus dem Schreiben des Beschwerdeführers „Vermutliche gegensätzliche Befehlslage“ (siehe gleich den 1. Absatz auf der 1. Seite: „Der NCC befahl, dass das Regional Command West (RC West) vom Disziplinarverfahren des XXXX nicht in Kenntnis zu setzen ist.“) sowie aus den Ausführungen des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung (Verhandlungsschrift, S. 4, 1. Frage unter 2.: „[Beschwerdeführer] habe mit seiner Gruppe deren Kommandant er nunmehr gewesen sei gesprochen, er habe diesen mitgeteilt, dass nunmehr er der Kommandant sei und dass der NCC nicht wolle, dass die Maßnahme vorerst nach außen getragen werde.“). Dass dieser Befehl als Befehl gemeint war, ist schon alleine der Einleitung des Disziplinarverfahrens durch den (österreichischen) Kontingentskommandanten zu erkennen. Dass der Beschwerdeführer mit den ihm nunmehr untergebenen Soldaten wie unter 1.2. festgestellt kommuniziert hat, ergibt sich aus dessen oben zitierten Ausführungen in der mündlichen Verhandlung.
2.3. Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer vom 03.02.2021 bis zum 04.03.2021 von keinem Vorgesetzten mitgeteilt bekommen hat, dass der verfahrensgegenständliche Befehl des (österreichischen) Kontingentskommandanten aufgehoben sei, ergibt sich aus dessen Aussage in der mündlichen Verhandlung (Verhandlungsschrift, S. 4, 2. Frage unter 2.: „Über Nachfrage, ob [Beschwerdeführer] nach dem 03.02.2021 jemals gehört habe, dass der Befehl aufgehoben sei, gibt dieser an, dass das nicht der Fall sei.“)
Dass der Beschwerdeführer mitbekommen hat, dass sich die Einleitung des Disziplinarverfahrens als auch die damit verbundene Personalmaßnahme gegen XXXX sowohl im Einsatzraum als auch bei bestimmten Personen in Österreich herumgesprochen hat, ergibt sich ebenso aus dessen glaubhaften Angaben wie der Umstand, dass ab dem 01.03.2021 die Personalstandsmeldung auch insoweit geändert wurde, als dann der Beschwerdeführer und nicht mehr XXXX als Kommandant der XXXX geführt wurde.
1.4. Die Feststellungen zum Gespräch am 04.03.2021 im Camp VILLAGIO ITALIA zwischen dem Beschwerdeführer und XXXX gründen sich auf die glaubwürdigen Aussagen des Beschwerdeführers. Dieser ist, soweit es um die Schilderung objektiver Fakten geht, glaubwürdig, weil er den Sachverhalt nicht bestreitet und nachvollziehbar schildert. Zur eingeschränkteren Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers zu seinen inneren Vorgängen siehe unten. Auch im Schreiben „Vermutliche gegensätzliche Befehlslage“ schreibt der Beschwerdeführer bereits, dass sich der Vorfall am 04.03.2021 ereignet habe. Dieses Schreiben war der Behörde bei der Erstellung des Disziplinarerkenntnisses bekannt.
Dass der Beschwerdeführer wusste, dass der Befehl vom 03.02.2021 am 04.03.2021 noch aufrecht war, ergibt sich aus der Verantwortung des Beschwerdeführers im Schreiben „Vermutliche gegensätzliche Befehlslage“, wo der Beschwerdeführer sich nur insoweit rechtfertigt, als er unter Druck gestanden habe und die Information an XXXX „sinnvoll“ erschienen sei. Von einer Aufhebung des Befehls oder einer eigenmächtigen Abänderung - gegen die auch die fehlende, nach § 7 Abs. 4 vorletzter Satz ADV aber zwingend angeordnete Meldung an den Befehlsgeber spricht - ist der Beschwerdeführer nicht ausgegangen. Als Offizier war ihm klar, dass ein Befehl - von der eigenmächtigen Abänderung von Befehlen abgesehen - gilt, bis dieser aufgehoben ist. Wenn dies nicht der Fall gewesen wäre, hätte er bereits im Schreiben „Vermutliche gegensätzliche Befehlslage“ nicht mit dem Druck von und dem Wissen des XXXX über das Disziplinarverfahren argumentiert, sondern bereits zu diesem Zeitpunkt seine Argumente, die erst nach Einschaltung seines Rechtsanwaltes vorgebracht wurden, gebracht. Daher steht für das Bundesverwaltungsgericht fest, dass der Beschwerdeführer die Fragen des XXXX einzig und alleine beantwortet hat, weil er von diesem verbal unter Druck gesetzt wurde.
Dass es dem Beschwerdeführer offen gestanden wäre, dass er über diese Sache nicht sprechen dürfe und XXXX an den (österreichischen) Kontingentskommandanten verweisen hätte können, schließt sich aus der Akten- und der sich daraus ergebenden Befehlslage, nach der dies nicht untersagt wurde.
Dass dem Beschwerdeführer klar war, dass der Befehl seines österreichischen Vorgesetzten dem eines ausländischen Vorgesetzten vorging, auch wenn ihm die einschlägige Rechtsgrundlage unbekannt sei, ergibt sich aus dem Umstand, dass er insbesondere im Schreiben „Vermutliche gegensätzliche Befehlslage“, im E-Mail vom 01.04.2021 und auch in weiterer Folge niemals damit argumentiert hat, dass der Befehl des XXXX den des (österreichischen) Kontingentskommandanten außer Kraft gesetzt habe. Hätte er geglaubt, dass der Befehl des XXXX (etwa im Sinne von „lex posterior derogat legi priori“) den des (österreichischen) Kontingentskommandanten verdrängt hätte, hätte er diesen nicht vier Wochen vertröstet, sondern - in Erfüllung des Befehls des XXXX - sofort mitgeteilt, was aus welchem Grund aus XXXX geworden ist. Auch wäre ihm diesfalls vorzuwerfen, dass er sich als Offizier nicht mit der für seinen Einsatz relevanten Rechtslage auseinandergesetzt hat.
2.5. Dass der Beschwerdeführer allerdings am 04.03.2021 und nicht, wie im Spruch des Disziplinarerkenntnisses ausgeführt, am 09.03.2021 im Camp VILLAGIO ITALIA sondern im etwa 100 km entfernten Verantwortungsbereich des XXXX war, ergibt sich einerseits aus den Ausführungen im Schreiben „Vermutliche gegensätzliche Befehlslage“, wo schon vom 04.03.2021 als Tatort die Rede war und andererseits aus dem vorgelegten „Operation Plan“ des XXXX für den 09.03.2021, aus dem sich - nach den unwidersprochenen Erklärungen des Beschwerdeführers - nachvollziehbar ergibt, dass dieser am 09.03.2021 im Verantwortungsbereich des XXXX und jedenfalls nicht im Camp VILLAGIO ITALIA war. Auch wurde von der Behörde kein Beweisantrag gestellt oder Beweis angeboten, der eine andere Feststellung hätte begründen können. Dem Disziplinarerkenntnis und den vorgelegten Aktenteilen ist auch nicht zu entnehmen, wieso die Behörde von der Tatzeit „09.03.2021“ ausgeht. Daher steht fest, dass der Beschwerdeführer am 09.03.2021 nicht gegenüber XXXX die oben dargestellten Aussagen getätigt hat.
2.6. Die Feststellungen zu 1.6. ergeben sich aus der unstrittigen Aktenlage.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
3.1. Zur Besetzung des Spruchkörpers und zum anzuwendenden Verfahrensrecht:
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gemäß § 75 Abs. 1 HDG hat das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden (1.) gegen ein Erkenntnis der Bundesdisziplinarbehörde, mit dem die Disziplinarstrafe der Entlassung oder der Unfähigkeit der Beförderung und Degradierung oder der Verlust aller aus dem Dienstverhältnis fließenden Rechte und Ansprüche verhängt wurde, und (2.) gegen ein Erkenntnis der Bundesdisziplinarbehörde, sofern der Disziplinaranwalt die Beschwerde erhoben hat, durch einen Senat zu entscheiden. Andere Bestimmungen, die eine Senatsentscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht anordnen, kennt das HDG nicht. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG geregelt. Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist und soweit hier relevant, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG (Bescheidbeschwerden) die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
3.2. Wie oben festgestellt wurde hat der Beschwerdeführer im Camp VILLAGIO ITALIA den schriftlichen Befehl des Kontingentskommandanten, den Sachverhalt bzgl. der getroffenen Personalmaßnahmen im XXXX , nämlich die Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen XXXX wegen des Verdachts einer gerichtlich strafbaren Handlung und dessen temporäre Entbindung von seiner Funktion als Kommandant der XXXX , nicht an das NKBN/RC-W zu melden, nicht befolgt und dem Kdt NKBN/RC-W, Obst. AKIN (türkisches Kontingent), den oben angeführten Sachverhalt gemeldet.
3.3. Allerdings wird dem Beschwerdeführer im verfahrensgegenständlichen Disziplinar-erkenntnis vorgeworfen, die dargestellte Tat am 09.03.2021 begangen zu haben, obwohl er - den obigen Feststellungen und auch seiner Verantwortung im Schreiben „Vermutliche gegensätzliche Befehlslage“ folgend, die Tat am 04.03.2021 begangen hat.
3.4. Dass eine Präzisierung der Tatzeit für das Verwaltungsgericht als Beschwerdeinstanz zulässig ist, ist für das Bundesverwaltungsgericht unzweifelhaft, auch wenn korrespondierende Rechtsprechung nur zur Rechtslage vor der Einführung der Verwaltungsgerichte zu finden ist; siehe dazu VwGH 05.11.2014, Ra 2014/09/0018, nach der die Bestimmung des § 66 Abs. 4 AVG die (damalige) Berufungsbehörde berechtigt die Strafzeit auf der Grundlage der unbedenklichen Sachverhaltsannahme der Behörde erster Instanz näher zu umschreiben. Eine Präzisierung liegt aber nur dann vor, wenn die Tatzeit, die das Verwaltungsgericht schließlich feststellt und in den Spruch aufnimmt, präziser ist als die Tatzeit bzw. der Tatzeitraum, den die Behörde in den Spruch aufgenommen hat. Wenn die Behörde hier die Tatzeit nicht hinreichend bestimmen konnte, hätte sie im Spruch ausführen können, dass der Beschwerdeführer den Befehl zwischen dem Zeitpunkt der Befehlserteilung - hier: 03.02.2021 - und dem Zeitpunkt, an dem die Behörde von der gegenständlichen Dienstpflichtverletzung erfahren hat, missachtet hat. Diesfalls hätte das Bundesverwaltungsgericht unzweifelhaft in der Beschwerdeentscheidung den Tatzeitpunkt präzisieren können.
Selbiges gilt, wenn es einen Schreibfehler zu berichtigen gilt; dieser bedürfte aber ein Substrat in der Begründung, das heißt, es müsste sich schlüssig aus der Begründung ergeben, dass die Behörde zwar den falschen Tatzeitpunkt im Spruch angeführt, aber den richtigen gemeint hat; hier wird die Grenze in der Berichtigungsfähigkeit des Spruches liegen.
3.5. Gegenständlich hat die Behörde aber einen expliziten Tatzeitpunkt, nämlich den 09.03.2021, genannt und ergibt sich aus der Begründung, die keine Ausführungen zum Tatzeitpunkt erkennen lässt, nicht, dass sie ein anderes Datum gemeint hat.
Gemäß der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Sache des Beschwerdeverfahrens nur der Inhalt des Spruches, nicht der Grund, warum es zum Inhalt des Spruches gekommen ist, begrenzt (VwGH 21.1.2016, Ra 2015/12/0027). Das bedeutet, dass das Verwaltungsgericht zwar alle Gründe, die zum von der Behörde ausgesprochenen Ergebnis führen können, zu prüfen hat und auch Sachverhaltselemente, die (erst) bei der Prüfung auf Grund der Beschwerde im gerichtlichen Verfahren hervorgekommen sind, seiner Entscheidung zu Grunde legen darf (VwGH 23.02.2018, Ro 2017/03/0025), aber eine Ausweitung des Verfahrensgegenstandes mangels Grundlage im Spruch des Bescheides aber nicht in Betracht kommt (siehe etwa VwGH 25.10.2018, Ra 2018/09/0110). Nach der Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes gilt dies auch für die Auswechselung der Tat (etwa durch Auswechseln der die Tat beschreibenden Tatzeit oder – hier nicht relevant – des Tatortes).
Zwar ist diesbezüglich keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Disziplinarverfahren im Regime seit der Einführung der Verwaltungsgerichte zu finden (weshalb auch die Revision zulässig ist), aber zum damaligen Berufungsverfahren vor der Disziplinaroberkommission hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass, wenn die Disziplinarkommission hinsichtlich eines Anschuldigungspunktes im erstinstanzlichen Disziplinarerkenntnis den Tatzeitpunkt mit "Ende 2002" angegeben habe, womit nach dem Sprachgebrauch lediglich die letzten Tage des Jahres 2002 gemeint seien, es der Berufungsbehörde versagt ist, die Tatzeit auf "Ende November/Anfang Dezember 2002" auszuwechseln, da sie dadurch einen Austausch der Tatzeit vorgenommen habe, wozu sie die von ihr als Berufungsinstanz zu entscheidende Sache im Sinne des § 66 Abs. 4 AVG in unzulässiger Weise überschritten habe (VwGH 16.10.2008, 2006/09/0180). Es ist nicht zu sehen, dass dem Verwaltungsgericht im Regime der §§ 27 f VwGVG diesbezüglich ein weiterer Spielraum zukommt wie den ehemaligen Berufungsbehörden.
3.6. Zum Verwaltungsstrafverfahren hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass eine Präzisierung der rechtlichen Grundlage der Bestrafung (Angabe der verletzten Verwaltungsbestimmung und angewendeten Strafnorm) zulässig ist, wenn es nicht zu einem „Austausch der Tat“ durch Heranziehung eines anderen als des ursprünglich der Bestrafung zu Grunde gelegten Sachverhalts kommt (VwGH 25.03.2020, Ra 2020/02/0033). Zum Tatort hat der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt, dass dieser essenzielles Element der in den Spruch eines Straferkenntnisses aufzunehmenden, als erwiesen angenommene Tat ist. Zu einem Austausch dieses wesentlichen Tatbestandselementes der vorgeworfenen Verwaltungsübertretung ist die Berufungsbehörde auch dann nicht berechtigt, wenn sie damit nur einen der Strafbehörde erster Instanz unterlaufenen Irrtum richtigstellen will (VwGH 19.09.1996, 96/07/0002). Selbiges muss auch für die Tatzeit gelten.
Wenn das Bundesverwaltungsgericht hier auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Verwaltungsstrafrecht verweist, verkennt es nicht, dass Disziplinarverfahren nach Bestimmungen des AVG zu führen sind und es sich um kein Verfahren in Verwaltungsstrafsachen handelt (VwGH 11.03.2021, Ra 2020/09/0017), aber Zweck der dargestellten Rechtsprechung zum Verwaltungsstrafverfahren ist (unter anderem) eine Verhinderung der Doppelbestrafung, die auch im Disziplinarverfahren geboten ist; diese wäre aber möglich, wenn man den Beschwerdeführer wegen der am 04.03.2021 begangenen Tat bestraft und dabei die Tatzeit mit 09.03.2021 festlegt, da diesfalls die Tat für den 04.03.2021 noch offen wäre.
3.7. Daher ist der Beschwerdeführer hinsichtlich der vorgeworfenen Tat für den Tatzeitpunkt „09.03.2021“ freizusprechen.
3.8. Soweit noch keine Verjährung eingetreten ist (was das Bundesverwaltungsgericht nicht erkennen kann aber in diesem Verfahren nicht zu beurteilen hat), steht dieses Erkenntnis einer Verfolgung des Beschwerdeführers für den Tatzeitpunkt „04.03.2021“ aber nicht entgegen, da es sich eben um einen anderen Vorwurf handelt.
Zu B) Zulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist aus den unter A) angeführten Gründen zulässig.
Schlagworte
Auslandseinsatz Befolgung einer Weisung Bundesheer Dienstpflichtverletzung Disziplinarstrafe Disziplinarverfahren Freispruch Geldstrafe Kommandant Revision zulässig Sache des Verfahrens TatzeitpunktEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W170.2242130.1.00Im RIS seit
26.11.2021Zuletzt aktualisiert am
26.11.2021